Physik der Stimme

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39. DGMP Tagung 2008 in Oldenburg
Physik der Stimme
Eysholdt Ulrich
Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Bohlenplatz 21, Universitätsklinikum Erlangen,
[email protected]
Für seine lautsprachliche Kommunikation hat der Mensch kein eigenes Organ, sondern nutzt
anatomische Strukturen, die auf sämtlichen niederen Stufen der Evolution nur für Atmung und
Schlucken bestimmt sind. Je nach Perspektive spricht man vom oberen Aerodigestiv- oder Vokaltrakt.
An dessen Engstelle, der Glottis (Stimmritze), kann im Kehlkopf das primäre akustische Stimmsignal
erzeugt werden, indem durch die Strömung und den Druck der Ausatmungsluft die Stimmlippen zu
Schwingungen angeregt werden, Bild 1.
Bild 1: Schematische Übersicht der Entstehung des primären Ausgangssignals im Kehlkopf. Hierbei sind
volumenstrommodulierte (gerade Pfeile), wirbelinduzierte (Kreispfeile)und mechanischschwingunginduzierte Schallanteile
zu berücksichtigen.(Bild DFG-FOR 894/1)
Im Vokaltrakt wird das primäre Signal moduliert und schließlich über die Mundöffnung abgestrahlt.
Aktuell wird der Anregungsvorgang nach der „myoelastischen Theorie“ als selbsterregte Schwingung
beschrieben, die Modulation als „Quelle-Filter-Modell“. Der gesamte Prozess ist weder bei der
gesunden noch bei der erkrankten Stimme völlig verstanden, geschweige denn im Sonderfall einer
professionell ausgebildeten Stimme. Mehrere Gründe sind für das Fehlen einer physikalisch fundierten
Modellvorstellung verantwortlich:
1. Die Stimmentstehung im Kehlkopf kann nicht direkt beobachtet werden.
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2. Jede Beobachtung stört den Prozess, der eigentlich beobachtet werden soll.
3. Fragestellungen aus Physiologie und klinischer Medizin (Endoskopie) überlagern sich mit
Problemen der Strömungsmechanik (Bild 2), der Sensortechnik, der Bildverarbeitung und der
mathematischen Modellierung und sind bis vor kurzem nicht koordiniert bearbeitet worden.
Bild 2: Zweidimensionale FEM Strömungssimulation in der Luftröhre bei Phonation, d.h. oszillierende Stimmlippen. Die Luft
strömt hier von links nach rechts. Oberhalb der Stimmlippen (supraglottaler Bereich) ist das Anlegen der Luftströmung an
eine Seite (oben) zu erkennen, d.h. Coanda Effekt. Bild Lehrstuhl für Strömungsmechanik der FAU-Eralngen Nürnberg –
DFG FOR 894/1.
Die zur Zeit fortschrittlichste Methode zur klinischen Untersuchung von Stimmstörungen ist die
Hochgeschwindigkeitsendoskopie, welche die schwingenden Stimmlippen mit bis zu 4000Hz
aufzeichnet und somit eine detaillierte Untersuchung der einzelnen Schwingungsstadien erlaubt, Bild
3.
Bild 3: Schematische Ansicht einer endoskopischen Untersuchung des Kehlkopfes. Rechts ist ein einzelner Frame innerhalb
einer Aufnahme zu sehen
Mit einer neu eingeführten Analysemethode, der so genannten Phonovibrographie (Bild 4) lassen sich
dadurch zunächst visuell nicht sichtbare Pathologien als mehr oder weniger ausgeprägte
asymmetrische Schwingungen erkennen, quantifizieren und klassifizieren, siehe Bild 5.
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Bild 4 (Lohscheller at at. 2008): Herleitung des so genannten Phonovibrograms nach Lohscheller et al. [1,2]: Die linke
Stimmlippe wird nach oben geklappt um die Abstände der Stimmlippenkanten farblich kodiert in einen Vektor abzuspeichern.
Dies wird sukzessive für alle Bilder durchgeführt und man erhält das vollständige Phonovibrogramm, Bild 5.
Bild 5: Phonovibrogramm über 10 Zyklen. Die schwarzen Flächen korrespondieren zu Zeitpunkten an denen die Stimmlippen
an diesen Positionen geschlossen sind. Der Übergang von schwarz zu grau korrespondiert mit der Stimmlippenöffnung; der
Übergang von grau zu schwarz mit dem Schließen an dieser Position. Die Stimmlippendynamik kann nun mit dem Einführen
von Winkeln, die die Oszillation und Symmetrie der Stimmlippen beschreiben objektiv quantifiziert werden [3,4].
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Literatur
1. J. Lohscheller, H. Toy, F. Rosanowski, U. Eysholdt, M. Döllinger. Clinically Evaluated
Procedure for the Reconstruction of Vocal Fold Vibrations from Endoscopic Digital HighSpeed Videos. Med Imag Anal, 11(4):400-413;2007
2. J. Lohscheller, U. Eysholdt, H. Toy, M. Döllinger. Phonovibrography: Mapping High-Speed
Movies of the Vocal Fold into 2D-Diagrams for Visualization and Analyzing the Underlying
Laryngeal Dynamics. IEEE T Med Imaging, 27(3):300-9; 2008.
3. J. Lohscheller, M. Döllinger, A. McWhorter, M. Kunduk. Quantitative analysis of vocal
loading effects on vocal fold dynamics using Phonovibrograms. Ann Otol Rhinol Laryngol, In
Druck 01/2008.
4. M. Döllinger, J. Lohscheller, A. McWhorter, M. Kunduk. Variability of normal vocal fold
dynamics for different vocal loading investigated by Phonovibrograms. J Voice, In Druck
12/2007.
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