Grundkonzepte funktionaler Stimmentwicklung bei Carol Baggott-Forte mit Erlaubnis von Cornelius Reid DER SINN: Der Gesangspädagogik eine rationale Basis zu geben, auf welcher vorgegeben wird, den Schwerpunkt des Unterrichtens von ästhetischer auf physikalische Funktion zu legen. Der erste Schritt ist es, Stimme zu definieren. EINE DEFINITION: Stimme ist eine Wahrnehmung von sich in Bewegung befindender Luft. Die Frequenz der Schwingung dieser Bewegung wird als Tonhöhe wahrgenommen. Die Schwingungen besitzen keine eigene mechanische Funktion, sondern sind das Produkt von muskulärer Aktivitäten im Kehlkopf, derer Spannung die Knorpel bewegen, die die physischen Ausmasse der Stimmlippen regulieren. DAS ZIEL: Die muskuläre Bewegung an der Stimmerzeugung (dem Kehlkopf) zu entwickeln, der Stimme die Möglichkeit zu geben, freier anzusprechen, sodass sie zum Diener des Willens des Sängers über die musikalische Phrase wird. DIE SCHWIERIGKEIT: Funktionale Stimm-Mechanismen zu nutzen, um die physischen Ausmasse der Stimmlippen zu beeinflussen. Dies bedeutet, eine Technik zu entwickeln, um ein komplexes System von unwillkürlichen Muskeln zu regeln und zu kontrollieren. Auf diese Weise ist es möglich, schlecht ansprechende Reflexe wieder herzustellen und stimmliche Fehler an ihren Ursachen zu beseitigen - dem Kehlkopf und seinen verbundenen Muskelsystemen. DIE LÖSUNG: Eine Auswahl von Übungen, die als Kontrolle über die stimmliche Umgebung funktionieren. Alle organischen Systeme werden beeinflusst, kontrolliert und reguliert durch die Umgebung, derer sie ausgesetzt sind. Bezogen auf die Stimme bilden spezielle Kombinationen von Vokalen, Tonhöhen, Intensitäten und Rhythmik eine stimmliche Umgebung, besser gesagt, die musikalische Phrase. UMGEBUNGSKONTROLLE: Die wohl naheliegendste Kontrolle über diese Umgebung ist das Zusammenspiel von Stimm-Mechanismus und einer musikalischen Phrase bzw. einer Übung. Dies geschieht, wenn die Stimmlippen ihre Masse, Länge und Spannung als Reaktion auf zahlreiche Kombinationen von Vokal, Tonhöhe und Intensität angleichen. Wenn Tonhöhe oder Lautstärke bzw. Intensität verändert wird, gleichen die Stimmlippen ihre physischen Ausmasse an. Als Folge werden die gegensätzlichen Verkürzungen der Muskelsysteme, die mit den Stimmlippen zusammenarbeiten und ihre Schwingungsfähigkeit erhalten , ihr Ausmass an Spannung entsprechend angleichen, um diese Veränderungen zu bewältigen. Der Wechsel eines Vokals bewirkt, dass sowohl die Einstellung des Vokaltraktes als auch die Form der Stimmlippen sich verändern werden. Diese Veränderungen haben einen direkten Einfluss aud die stimmliche Qualität. NATÜRLICHE BEWEGUNG: Die Fähigkeit, von einem Zustand des Gleichgewichts zu einem anderen zu gelangen. Was immer diesen Vorgang stört, ist unnatürlich, denn es ist gegen die Natur. EINE MECHANISCHE PARALLELE: Das Verändern des Vokals durch Benutzung der `unfreiwilligen Muskel´, die als Stimmlippen-Spanner auftreten, könnte mit der Funktionsweise eines Zahlenschlosses verglichen werden. Wenn eine bestimmte Zahlenfolge (vergleichbar mit Vokal, Tonhöhe und Intensität) getroffen wird, fallen die Sperren und der Mechanismus öffnet sich. Der entscheidene Faktor ist es, die Zahlenkombination zu kennen, an sonsten wird das Schloss sich nicht öffnen lassen. KLANGLICHES IDEAL: Ein klangliches Ideal entspricht einer freien Tongebung und einem raffinierten qualitativen Zusammenspiel. Die Entwicklung einer Gesangsstimme hängt von ihrer mechanischen Beschaffenheit ab, nicht von ihrer ästhetischen. Da wir von Geburt an alle den gleichen anatomischen Bauplan besitzen, ist es vernünftig, zu erwarten, dass grossartiges Singen nicht nur eine Laune der Natur ist, und dass durch geregelte gesunde Stimmumgebung und Studium jede Stimme zu grossartigem Singen befreit werden könnte. Das Problem besteht darin, dass Sänger, ungeachtet ihrer musikalischen Bildung, eine musikalische Phrase mit wiederholungsbedingter Schlamperei behandeln, im Glauben, dass die Übung an sich die verändernden Eigenschaften beinhaltet. Dies beruht, ohne Zweifel, auf der Annahme, dass Übung den Meister macht, ohne zu beachten, auf welche Weise geübt wird. Meist hat das, was wir üben, eine Tendenz, uns eher dauerhaft als perfekt zu machen, egal wie musikalisch ein Sänger auch ist, wird die Stimme durch das Vorhandensein technischer Schwächen eingeschränkt. Um dies zu vermeiden, ist der beste Weg, Singen zu beginnen, merkwürdigerweise NICHT zu `singen´, sich jedoch ohne Bedenken auf das Endprodukt zu richten. Das Endprdukt ist immer durch den Zustand des Stimm-Mechanismusses selbst bestimmt. PRE-PHONATORISCHE EINSTELLUNG: Dieser Vorgang ist nicht Teil der allgmeinen Art und Weise, wie wir sprechen. Es handelt sich hierbei um eine physische Einstellung, welche vor der Stimmgebung eines ausgehaltenen musikalischen Tones erscheint. Stellen wir uns beispielsweise eine Übung vor mit einem auf- und wieder absteigenden Dreiklangs auf dem Vokal “ah”. Das Zusammenspiel von Vokal, Tonhöhe und Intensität der Übung stellt den Raum in der Kehle ein, um den Vokal zu definieren und nähert gleichzeitig die Stimmlippen an und stellt diese unter die benötigte Spannung, die für die zu singende Tonhöhe und Vokal benötigt wird. Nachdem der Denkprozess stattgefunden hat, muss der Sänger rythmisch einatmen und den Atem wieder ausfliessen lassen, was dann Vibrationen in dem bereits voreingestellten Mechanismus erzeugt. MUSIKALITÄT: ist das aller wichtigste nun, da mit dem eingstellten Mechanismus der Sänger das Singen nicht zusätzlich erzeugen muss. Sein Ziel ist es, den Atem ausfliessen zu lassen, sodas die Stimmlippen schwingen. Das Ergebnis wird ein klarer musikalisch artikulierter Klang sein. Das Hinzufügen eines rhythmischen Anstosses zum Aufsteigen im Dreiklang unter Berücksichtigung von Vokalreinheit und Intensität lässst die Stimme durch den Akkord und zurück zum Grundton wandern auf gerader Legato-Phrase mit einem musikalischen Endergebnis. Falls die Qualität des Vokals unrein und die Legatoverbindung von einem Ton zum nächsten unsauber ist, müssen diese Fehler durch Korrigieren der Phrase solange behoben werden, bis es dem Sänger möglich ist, die Übung nach den Angaben des Lehrers auszuführen. Führen wir diese Vorgehensweise von einfachen Phrasen zu komplexeren weiter, wird ein musikalisches Endresultat entstehen. Meisterkurs mit Carol Baggott-Forte, Paris, France, Februar 2005.