1. SYNTAX Die Syntax einer Sprache ist ein rekursives System, welches die Sätze der Sprache mitsamt ihren Strukturen erzeugt, Chomskys Sprachvermögen (vgl. (Chomsky, 1957, Chomsky, 1981, Chomsky, 1995) und viele andere). Alle neueren Varianten der Syntax haben gemeinsam, dass sie zwischen Logischer Form (LF) und Phonetischer Form (PF) unterscheiden. Die Logischen Formen bilden den Input für die semantische Interpretation. In diesem Kapitel führen wir drei Dinge ein: Wir geben einen Überblick über die drei wichtigen Satztypen des Deutschen. Wir sagen, was syntaktische Strukturen sind und wie sie erzeugt werden. Wir stellen das vorausgesetzte Grammatikmodell vor, insbesondere die Ebene der LF. Die Satztypen des Deutschen Die grundlegenden Annahmen zur deutschen Syntax haben sich in den letzten zwanzig Jahren kaum geändert. Wir verweisen hier auf (von Stechow and Sternefeld, 1988) und (Sternefeld, 2000)1 stellvertretend für viele. Deutsch ist eine Sprache mit relativ variabler Wortstellung. Wenn man beispielsweise einen einfachen Satz betrachtet, wie (1-1) Jede Studentin kennt den Fritz. so lässt sich die Wortstellung auf mehrere (grammatisch akzeptable) Weisen variieren: (1-2) a. b. c. (weil) jede Studentin den Fritz kennt Kennt jede Studentin den Fritz? Den Fritz kennt jede Studentin. „Jede Studentin“ ist hier in allen Fällen das Subjekt. Man nennt Konfigurationen wie (1-1) Verbzweit-Stellung (V2), (1-2a) Verbend-Stellung, (1-2b) Verberst-Stellung (V1) und (1-2c) Topikalisierung; der Unterschied zu (1-1) besteht darin, dass diesmal das Objekt im Vorfeld steht. Im Folgenden werden wir davon ausgehen, dass sich alle diesen Konfigurationen aus der Verbend-Stellung ableiten lassen. Diese Annahme gehört mittlerweile zum Standard jeder Deutschen Syntax. Zugrunde liegend ist also die folgende syntaktische Struktur: (1-3) Verbend-Stellung 1 Im Erscheinen als (Sternefeld, 2006). CP TOP C' C ( weil ) IP ( = S ) DP Det jede I' NP Studentin I 3.sg. VP DP Det den NP Fritz V kennt In diesem Graphen, im Jargon Baum genannt, steht NP für Nominalphrase, V für Verb, VP für Verbphrase, Det für Determinator (= Artikel). IP (= S) steht für Satz. Die Bezeichnung „IP“ („inflection phrase“) ist durch die Idee motiviert, dass der Satz eine funktionale Kategorie ist, deren Kopf die finite Verbalmorphologie ist, hier die 3. Person Singular Präsens. C steht für Komplementierer (Konjunktionen, die einen Komplementsatz einleiten), TOP (”Topikposition”) ist eine Leerstelle. Den recht abstrakten Flexionsknoten werden wir in aller Regel unterschlagen, zumal uns keinerlei empirische Evidenz für seine Existenz bekannt ist. Wir werden im Folgenden den Satz einfach als eine Projektion des Verbs auffassen und ihn S nennen. Die Satzstruktur (1-3) stellen wir also einfacher dar als: (1-4) CP TOP C' C (weil) VP ( = S) DP Det jede NP Studentin VP DP Det den NP Fritz V kennt Hier ist eine Beschreibung der wichtigsten Satztypen des Deutschen. Verbend In der mit C gekennzeichneten Position kann auch eine Konjunktion wie dass oder weil erscheinen, ansonsten braucht sich an der syntaktischen Konfiguration nichts zu verändern. Verberst Aus der Bewegung des finiten Verbs an die mit Ø gekennzeichnete Position ergibt sich die VerberstStellung. Verbzweit Aus der Bewegung des finiten Verbs an die C-Position in Verbindung mit der Bewegung des Subjekts an die TOP-Position entsteht der klassische Verbzweit-Satz. Aus der Bewegung des finiten Verbs an die C-Position und der Bewegung einer beliebigen Konstituente an die TOP-Position entsteht eine Variante des VerzweitSatzes. Topikalisierung Und hier sind die Strukturen für die anderen Satzstellungen: (1-5) Verberst CP TOP C' C V1 S ( = VP) C kennt DP Det jede VP N Studentin DP Det den N Fritz V t1 Das Verb ist an die Komplementiererposition C bewegt (”adjungiert”) worden und hat eine Leerstelle (”Spur”) hinterlassen, die hier mit t 1 bezeichnet worden ist. Damit man weiß, dass das Verb von dieser Leerstelle herkommt, hat man den Bezug durch zwei Indizes - hier die 1 - klar gemacht (”Koindizierung”). Man beachte, dass diese Struktur mit einer speziellen Intonation als Frage benutzt werden kann, in der Schrift durch das Fragezeichen ”?” markiert, dass die Struktur aber auch in anderen Satzgefügen vorkommt, z.B. als Erstsatz in Konditionalgefügen: Kennt jeder Student Alla, kann sie zufrieden sein. Die Bewegung des finiten Verbs erzeugt die so genannte Satzklammer, die sichtbar wird, sobald das finite Verb eine trennbare Partikel enthält. Der Satz Ruft eine Studentin den Fritz an ist ein Beispiel, und hier ist seine Struktur: (1-6) Verberst eines Partikelverbs CP TOP C' C V1 C S ruft DP Det eine VP NP Studentin V DP Det den NP Fritz Partikel an V t1 Zwischen der Satzklammer, also zwischen ruft und an, befindet sich das so genannte Mittelfeld. Die TOP-Position ist das Vorfeld, und ihre Besetzung führt zur VerbzweitStellung. (1-7) V2-Stellung CP DP2 Det jede NP Studentin C' C V1 ruft S ( = VP ) C DP t2 VP DP Det den NP Fritz V' Part V an t 1 Die Struktur macht klar, dass jede Studentin das Subjekt ist, denn das Subjekt eines Satzes ist die DP, welche direkt unter dem Satzknoten S und direkt neben der VP hängt. Das direkte Objekt ist dagegen die DP, welche direkt unter VP hängt. Wenn jede Studentin das Objekt wäre, müssten die beiden DPs im Satz ihre Plätze tauschen. Zusätzlich gibt es im Deutschen noch eine weitere Bewegungsregel, die Scrambling genannt wird. Man darf im Mittelfeld ein beliebiges Satzglied nach links an eine Phrase adjungieren. Wir nehmen als Ausgangspunkt einen Satz mit einem ditransiven Verb: (1-8) a. b. Alla2 stellte1 t2 ihrem Mann die Gäste vor t1. Alla2 stellte1 t2 [die Gäste]3 ihrem Mann t3 vor t1. Man nimmt allgemein an, dass die Grundwortstellung des Deutschen im Mittelfeld Subjekt (Nominativ), indirektes Objekt (Dativergänzung), direktes Objekt ist. (1-8b) ist aus (1-8a) durch Scrambling erzeugt, d.h. wir haben das direkte Objekt an die VP adjungiert. Die Struktur für (1-8b) sieht also folgendermaßen aus: (1-9) Scrambling CP NP2 Alla C' C V1 stellte S C NP t2 VP DP3 Det die NP G ste VP DP VP NP Det DP ihrem Mann t 3 V' Part V vor t 1 Das ist die Übersicht über die wichtigsten Stellungstypen des Deutschen. Damit ist natürlich noch nicht gesagt, wie wir diese Strukturen erzeugen. Bevor wir dazu übergehen, wollen wir noch genauer sagen, was syntaktische Strukturen sind. Bäume Unsere Strukturen sind gerichtete, endliche Bäume. Dies sind Objekte, die aus endlich vielen Knoten bestehen, die durch gerichtete Kanten verbunden sind. Diese Verbindung zwischen zwei Knoten heißt direkte Dominanz. Die Richtung kann man durch > darstellen oder, wie allgemein üblich, durch das Oben-Unten im Druck. Ein Baum hat genau einen Anfangsknoten (Wurzel genannt), in den keine Kante hineinführt und endliche viele Endknoten, aus denen keine Kante hinausführt. Knoten tragen Etikette, und zwar tragen die Endknoten die Lexeme, während die Nicht-Endknoten die syntaktische Information, also Kategoriensymbole, Merkmale und Indizes tragen. Ein Baum B ist also gegeben durch eine Menge K von Knoten, einer Relation > zwischen den Elementen von K und einer Funktion E, welche jedem Knoten ein Etikett zuweist. In einem Baum der Form (1-10) X Y Z heißt der Knoten mit dem Etikett X Mutter (knoten) mit den Töchtern Y und Z. Wir verwenden diesen Begriff mehrdeutig. Einmal können mit Y und Z Knoten gemeint sein, zum anderen Teilbäume. Im zweiten Fall werden wir von Tochterbäumen oder Tochterstrukturen von X reden. Hier ist eine Anwendung einiger dieser Termini auf den einfachen Baum. (1-11) S NP Fritz VP schnarcht Zur Beschreibung benutzen wir die folgenden Kürzel: k1, k2,...,ki,....: Knoten E(ki) Etikett des Knotens ki k i > kj Der Knoten ki dominiert kj direkt Knoten von (1-11): k1, k2, k3, k4, k5 Direkte Dominanz: k 1 > k2 , k 1 > k 3 , k2 > k4 , k 3 > k5 Etikette: E(k1) = S, E(k2) = NP, E(k3) = VP, E(k4) = Fritz, E(k5) = schnarcht Man sieht nun leicht ein, dass diese Beziehungen durch den Graphen (1-11) repräsentiert werden, wobei natürlich die Bezeichnung der Knoten durch die Buchstaben k i willkürlich ist. Man sieht nun auch sofort, dass k1 der Anfangsknoten des Baumes ist, denn k 1 wird von keinem Knoten des Baumes (direkt) dominiert. k 4 und k5 sind Endknoten, denn sie dominieren keinen anderen Knoten (direkt). Zu direkten Dominanzbeziehung > ist nachzutragen, dass sie irreflexiv, asymmetrisch und intransitiv ist: Für beliebige Knoten k1, k2, k3 eines Baumes gilt: 1. Nicht: k1 > k1 (Kein Knoten dominiert sich selbst direkt.) 2. Wenn k1 > k2, dann nicht k2 > k1 (Kein Knoten dominiert direkt einen Knoten, der ihn direkt dominiert.). 3. Wenn k1 > k2 und k2 > k3, dann nicht k1 > k3. Man kann nun auf der Grundlage der direkten Dominanz die Relation der Dominanz definieren, die zwischen zwei Knoten besteht, wenn sie durch eine Kette von direkten Dominanzen verbunden sind: (1-12) Dominanz Der Knoten k dominiert den Knoten l (k >* l) gdw. k > l oder es Knoten k1,k2,..,kn gibt, so dass k > k1 > k2 >...> kn > l. Zum Beispiel dominiert im Baum (1-11) der Knoten k2 den Knoten k4, aber nicht den Knoten k5. Ein wichtiger struktureller Begriff ist der des c-Kommandos. (1-13) c-Kommando Ein Knoten k1 c-kommandiert einen Knoten k2, wenn k2 von dem Knoten dominiert wird, der k1 unmittelbar dominiert, aber nicht von k1 selber dominiert wird: k1 c-kommandiert k2 gdw. (k)[k > k1 & k >* k2 & k1 >* k2] In unserem Beispiel c-kommandiert der NP-Knoten den VP-Knoten und das Verb schnarcht, der VP-Knoten c-kommandiert den NP-Knoten und den Namen Fritz. Der SKnoten c-kommandiert keinen Knoten. Ebenso c-kommandieren der Fritz-Knoten und schnarcht-Knoten nichts. Bisher haben wir die Links-Rechts-Beziehung zwischen Knoten noch nicht definiert. In der graphischen Darstellung (1-11) des Baums steht zum Beispiel das Subjekt Fritz links vom Prädikat schnarcht. Nach der bisherigen Definition ist der Baum aber als Mobile zu denken. Man kann die von einem Knoten dominierten Knoten beliebig herumdrehen, so dass die Dominanzbeziehung gewahrt bleibt. Für die Semantik spielt die Recht-Links-Beziehung in der Regel keine Rolle. Man kann sie aber leicht definieren. (1-14) Präzedenz (Links-Rechts-Beziehung) Wir notieren diese Beziehung mittels des Sympols . Die Beziehung hat offensichtlich die folgenden Eigenschaften: 1. ist irreflexiv. Für jeden Knoten k gilt: nicht k k. (Kein Knoten ist links von sich selbst.) 2. ist asymmetrisch. Wenn k1 k2, dann nicht k2 k1. 3. ist transitiv. Wenn k1 k2 und k2 k3, so k1 k3. Wenn wir den Baum (1-11) im Sinn der graphischen Darstellung durch ordnen wollen, dann müssen wir noch die folgende Information hinzufügen: k2 k3, k2 k5, k4 k3, k4 k5 Man fragt sich an dieser Stelle, was die ganze Pedanterie soll. Kann man nicht einfach über Bäume in ihrer graphischen Darstellung reden, d.h. über NPs, VP und Lexeme? In der Literatur tut man das in aller Regel. Aber das funktioniert nicht immer. In dem gerade diskutierten Baum kommt jedes Etikett nur einmal vor. Deswegen entsprechen sich Etikette und Knoten eindeutig. Meistens ist dies aber nicht gegeben. In den im letzten Abschnitt diskutierten Bäumen kam das Etikett DP mehrfach im Baum vor. Wir müssen also zwischen verschiedenen Vorkommen von Etiketten im Baum unterscheiden können, und Knoten dienen gerade diesem Zweck. Der Sinn dieses Abschnitts ist zu zeigen, dass man alle benutzten Strukturbegriffe völlig präzise machen kann. Im Folgenden werden wir freilich wieder die in der Literatur übliche weniger formale Redeweise benutzen. Strukturaufbau: Merge Seit einigen Jahrzehnten geht es darum, Prinzipien zu finden, welche die möglichen Strukturen von natürlichen Sprachen beschränken. Wir nehmen eine minimalistische Syntax im Stil von (Chomsky, 1995) an, also ein System, dass praktisch nur aus einer Syntaxregel besteht. Unsere Bauprinzipien für Bäume sind die folgenden. X 1. Alle Lexikoneinträge sind Bäume der Form a , wobei X ein Kategoriensymbol sein kann, das in der Regel recht komplex ist, also etwas wie NP, VP etc. mit Unterkategorien. a ist ein Lexem, also z.B. das Wort Studentin. Lexikoneinträge sind also Bäume die aus einem nicht-terminalen und einem terminalen Knoten bestehen. 2. Aus zwei Bäumen und kann man einen neuen Baum = [X ] machen, wobei X ein neuer Knoten ist mit dem Etikett von oder dem von . Der Tochterknoten, von dem das Etikett für X übernommen wird, heißt Kopf von . Diese aufbauende Operation wird im Minimalistischen Programm External Merge („externe Verschmelzung“) genannt. Zum Beispiel kann man die beiden Bäume [ NP Fritz] und [VP schnarcht] zu dem neuen Baum [S [NP Fritz] [VP schnarcht]] verschmelzen. Wie könnte das aussehen? Dazu kodieren wir die im vorigen Abschnitt beschriebenen Knoten als Zahlen, die wir als Exponenten an ihre syntaktischen Kategorien schreiben. Wir identifizieren S und VP mit V und NP mit N. Merge muss also die Bäumen V4 N2 Fritz 3 + schnarcht 5 zu dem folgenden neuen Baum verschmelzen: V1 N2 Fritz 3 V4 schnarcht5 Man sieht sofort, dass diese Operation den neuen Knoten 1 mit dem Etikett V einführt zusammen mit der Information, dass dieser die Spitzenknoten der beiden Teilbäume direkt dominiert. Die Operation ist insofern nicht eindeutig, als es gleichgültig ist, welche Zahl man für den neuen Knoten wählt. Hauptsache, es ist eine neue Zahl. Eine ernsthaftere Mehrdeutigkeit liegt darin, dass bisher nicht festgelegt ist, von welchem der beiden Tochterknoten das Etikett kopiert wird. Wir hätten genau so gut das Etikett N wählen können und hätten dann N als Etikett für den Spitzenknoten erhalten. Die formalen Details der Operation müssten natürlich noch genauer beschrieben werden. Das geschieht in großer Ausführlichkeit in (Sternefeld, 2000). Intuitiv sollte aber klar sein, was (Exernal) Merge leisten soll. Wir werden deshalb nicht genauer. 3. Bäume können weithin durch Bewegung aufgebaut werden, heute oft Internal Merge genannt. Man kopiert eine bereits erzeugte Konstituente und adjungiert sie an den bereits erzeugten Baum: [C C [S jede Studentin den Fritz kennt]] [C [kennt C] [S jede Studentin den Fritz kennt]] Hier ist das Verb nach C bewegt worden, wobei in C irgendwelche Merkmale stehen, welche die Bewegung auslösen. Die Basisposition ist die Spur, welche nicht ausgesprochen wird, was durch t oder Streichung ausgedrückt wird. Wir haben hier Kopfbewegung vorliegen (die im strikten Minimalismus gar nicht mehr erlaubt ist!). Topikalisierung ist eine weitere Anwendung von Internal Merge, und wir erhalten zum Beispiel: [C kennt [S jede Studentin den Fritz kennt]] [CP jede Studentin [C kennt [S jede Studentin den Fritz kennt]]] Das Subjekt in Basisposition muss wieder als Spur aufgefasst werden und getilgt werden, bzw. nicht ausgesprochen werden. 4. Man unterscheidet in der Literatur zwischen Phrasen und Nicht-Phrasen. Erstere hatten wir als XPs bezeichnet, letztere als X oder X’ (”X-bar”). Die Idee, die hinter dieser Notation steht, ist die folgende: X bezeichnet Lexeme, X’ ist eine bereits erweiterte Konstruktion, die sich aber noch erweitern lässt, und XP ist eine Konstruktion, die sich nicht mehr erweitern lässt. Man fasst ’ und P am besten als Merkmale auf, d.h., ”VP” steht für ”V” mit dem Merkmal Phrasalität, und ”V’” steht für ”V” mit dem Merkmal ”’”. Diese aus der so genannten X-bar-Theorie herkommende Notation ist etabliert aber schwer zu motivieren und begrifflich nicht sehr klar. Es kommt im Folgenden nicht auf die ”bar-Merkmale” an, d.h., man kann mit den einfachen Kategoriensymbolen arbeiten. Mit anderen Worten, der Baum [S Alla [VP [DP den Fritz] kennt]] ist völlig gleichwertig mit [V Alla [V [D den Fritz] kennt]]. Die X-bar-Theorie ist also ad acta gelegt. Die Terminologie ist am Minimalistischen Programm orientiert (Chomsky, 1995), aber wir halten uns nicht sklavisch an Vorgaben. Insbesondere werden wir Spuren eher im Stil der GB-Theorie (Chomsky, 1981) auffassen. (1-15) Die Syntax einer Sprache kann man also als ein Erzeugungssystem der folgenden Art auffassen: 1. Es gibt ein Lexikon, das aus einer Liste von Bäumen besteht. 2. Der Prozess Merge erlaubt es, aus zwei bereits gegebenen Bäumen einen neuen Baum zu machen: a. Externes Merge: Man kombiniert zwei Bäume zu einem neuen. Abkürzung: EM b. Internes Merge: Man macht aus einem Baum einen neuen, indem man aus ihm einen Teilbaum heraus nimmt und ihn an einen c-kommandierenden Knoten im Baum unter Koindizierung adjungiert. Abkürzung: IM Hier ist ein Beispiel für die Ableitung eines Satzes: (1-16) Wladimir stellte die Airportstation im Wohnzimmer auf. Das Lexikon (= Lex): {[NP Wladimir], [V’ [P auf] [V stellte]], [P in], [NP Wohnzimmer], [Det die], [Det dem], [NP Airportstation], C} Ableitung des Satzes: 1. [NP Wohnzimmer] + [Det dem] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]] EM, L(inker Teil) und R(echter) Teil aus Lex) 2. [P in] + [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]] [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] EM, L aus Lex, R aus 1 3. [V’ [P auf] [V stellte]] + [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [VP [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [V’ [P auf] [V stellte]]] EM, L aus Lex, R aus 2 4. [Det die] + [NP Airportstation] [DP [Det die] [NP Airportstation]] EM, L und R aus Lex 5. [VP [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [V’ [P auf] [V stellte]]] + [DP [Det die] [NP Airportstation]] [VP [DP [Det die] [NP Airportstation]] [VP [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [V’ [P auf] [V stellte]]]] EM, L aus 4, R aus 3 6. [NP Wladimir] + [VP [DP [Det die] [NP Airportstation]] [VP [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [V’ [P auf] [V stellte]]]] [S [NP Wladimir] [VP [DP [Det die] [NP Airportstation]] [VP [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [V’ [P auf] [V stellte]]]]], EM, L aus Lex, R aus 5 7. C + [VP [NP Wladimir] [VP [DP [Det die] [NP Airportstation]] [VP [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [V’ [P auf] [V stellte]]]]] [C’ C [VP [NP Wladimir] [VP [DP [Det die] [NP Airportstation]] [VP [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [V’ [P auf] [V stellte]]]]]] EM, L aus Lex, R aus 6 8. [C’ [[V stellte]1 C] [VP [NP Wladimir] [VP [DP [Det die] [NP Airportstation]] [VP [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [V’ [P auf] [V stellte]1]]]]] IM, aus 7 9. [CP [NP Wladimir]2 [C’ [[V stellte]1 C] [VP [NP Wladimir]2 [VP [DP [Det die] [NP Airportstation]] [VP [PP [P in] [DP [Det dem] [NP Wohnzimmer]]] [V’ [P auf] [V stellte]1]]]]]] IM, aus 8 Zweidimensional können wir diesen Baum folgendermaßen darstellen, wobei wir die Spur einer Bewegung als ti notieren. (1-17) CP DP2 Wladim ir C' C V1 stellte S ( = VP ) C DP t2 VP DP Det die VP NP Airportstation PP P in DP Det dem V' Part V auf t 1 NP Wohnzim m er Eine PF-Regel hat dafür zu sorgen, dass [P in] + [Det dem] zu /im/ verschmelzen kann. Außerdem werden die Spuren nicht ausgesprochen. Das Fazit dieser Überlegungen ist dieses. Bis auf die lexikalischen Bäume sind unsere Bäume binär. Der Tochterbaum, welcher die Kategorie für die Zusammenfassung liefert, ist der Kopf. Der Nichtkopf ist entweder ein Argument oder ein Adjunkt. Was von beiden vorliegt, entscheidet die Semantik, d.h. die Kompositionsprinzipien. Generiert werden die Bäume aus einer gegebenen Menge von Bäumen, dem Lexikon, mittels der Prozesse Externes und Internes Merge. Die Ebenen D-Struktur, S-Struktur, PF und LF Praktisch alle Semantiker nehmen ein Grammatikmodell an, das zwischen mehreren Ebenen von grammatischen Repräsentationen unterscheidet. Für unsere Zwecke genügt die in Chomskys Lectures on Government and Binding angenommene Grammatikarchitektur; vgl. (Chomsky, 1981). Dieses Modell nimmt die Ebenen der Tiefenstruktur (DS = deep structure), der Oberflächenstruktur (SS = surface structure), der Phonetischen Form (PF = phonetic form) und der Logischen Form (LF = Logical Form) an. Die LF enthält die Bäume, welche semantisch interpretiert werden. Die Organisation der Ebenen kann man sich anhand des folgenden Schaubildes merken: (1-18) Das GB-Modell DS PF SS LF Die Pfeile stehen für Regeln, welche Ausdrücke einer Ebene in Ausdrücke einer anderen Ebene überführen. An dieser Organisation hat sich bis heute nicht viel geändert. Das minimalistische Modell nimmt keine DS mehr an, sondern man baut die SS direkt auf. Die SS wird heute Spell-Out genannt (vgl. (Chomsky, 1995)). In der neuen Theorie gelten DS und Spell-Out nicht mehr als eigene Repräsentationsebenen, weil es keine Prinzipien gibt, die alleine auf diesen Ebenen Anwendung finden. Der Sache nach hat sich aber wenig geändert. Wir behalten deshalb die alte Einteilung bei. Eine Adaption an neuere Terminologien ist einfach und kann jederzeit vorgenommen werden. Die D-Struktur kodiert die grammatischen Funktionen: Man sieht ihr an, ob eine DP ein Subjekt, direktes Objekt oder indirektes Objekt eines Verbs ist. In der D-Struktur ist z.B. das direkte Objekt das erste Argument des transitiven Verbs. Das Subjekt ist das letzte Argument des Verbs. In der GB-Theorie definierte man das Subjekt als „die NP von S“, was zu lesen ist, als die von S direkt dominierte NP. Chomsky schrieb diese GF früher als [NP, S]. Das direkte Objekt wurde definiert als „die NP von VP“, womit die von VP direkte dominierte NP gemeint war, die außerdem noch direkt rechts adjazent zum Verb sein musste, weil das indirekte Objekt auch direkt unter der VP hing. Diese GF wurde notiert als [NP, VP]. Ein Satz wie „Jede Studentin kennt Fritz“ hat die folgende D-Struktur (1-19) Eine D-Struktur in der GB S DP Det jede NP Studentin VP NP Fritz V kennt In der GB-Theorie brauchte man die grammatischen Funktionen, um den Argumenten des Verbs bestimmte thematische Rollen zuzuweisen. Man sagte, dass die D-Struktur die Zuordnung von grammatischen Funktionen und thematischen Rollen kodiert. Das Objekt erhält die Rolle „der Gekannte“, das Subjekt die Rolle „der Kenner“. In unserem Ansatz entsprechen den Rollen jeweils Argumente der Funktion, welche durch das Verb ausgedrückt wird. Für das hier diskutierte Beispiel handelt es sich um die Funktion [[kennt]] . Zuweisung einer thematischen Rolle heißt bei uns nichts anderes als Anwendung einer Funktion auf ein Argument, hier also auf das Argument [[ Fritz]] . Die S-Struktur wird aus der D-Struktur durch Bewegung gewonnen. Um einen V2Satz zu bilden, bewegen wir zunächst das Finitum nach C, d.h. wir adjungieren es an C. Dann bewegen wir z.B. das Subjekt ins Vorfeld. [S jede Studentin [VP Fritz kennt]] [[kennt C] [S jede Studentin [VP Fritz kennt]]] V2-Bewegung jede Studentin [[kennt C] [S jede Studentin [VP Fritz kennt]]] Topikalisierung Damit wäre die S-Struktur im Wesentlichen das, was sich an der Oberfläche manifestiert. Eine Ableitung dieser Art haben wir ja gerade genau vorgeführt. Es gibt eine große Literatur zu der Frage, durch welche Faktoren diese Art von Bewegung ausgelöst wird. Der Minimalismus vertritt zum Beispiel die Auffassung, dass ein Ausdruck an eine Position bewegt wird, an der eines seiner Merkmale „überprüft“ wird. Darauf gehen wir im Augenblick nicht ein. Vgl. dazu z.B. (Chomsky, 1995) oder (Radford, 1997). Bei genauerer Untersuchung würde sich herausstellen, dass die genannten Bewegungen auch einen Einfluss auf die Bedeutung haben können. Z.B. könnte die Bewegung des Finitums an die erste oder zweite Position dadurch motiviert sein, dass der Satzmodus syntaktisch kodiert werden soll (Aussage-, Frage-, Imperativsatz). Vom Vorfeld sagt man, dass es die „Anschlussstelle“ (Topik) oder aber eine „Kontraststelle“ (Fokus) des Satzes ist. Bewegung in das Vorfeld hat also mit der „Informationsgliederung“ etwas zu tun. Wir werden in unserer Vorlesung nicht bis zu solchen Feinheiten gelangen können und nehmen an, dass die beiden Bewegungen keinen Einfluss auf die ausgedrückte Proposition haben. Bevor wir interpretieren, machen wir die beiden Bewegungen rückgängig, wir rekonstruieren in die Basisposition. Diese Rekonstruktion ist durch das folgende Prinzip gesteuert, das Chomsky in verschiedenen Schriften formuliert hat2: (1-20) Prinzip der vollständigen Interpretation (Principle of Full Interpretation = FI) Eine Repräsentationsebene („Schnittstelle“) enthält nur auf dieser Ebene interpretierbares Material. Für die phonetische Form besagt das Prinzip, dass die PF nur Material enthält, welches ausgesprochen werden kann bzw. die Aussprache determiniert. Für die LF besagt das Prinzip, dass eine LF-Struktur nur Material enthält, welches sich semantisch interpretieren lässt. Wenn sich weder Kopfbewegung noch Topikalisierung vernünftig interpretieren lassen, haben sie auf LF nichts zu suchen, und wir machen diese Prozesse Rückgängig. D.h. für unser Beispiel ist die LF identisch mit der D-Struktur. Das FI besagt auch dass semantisch leeres Material auf LF gestrichen wird, z.B. der Komplementier „dass“, das expletive Subjekt „es“, die Kopula „ist“ (falls wir Tempus ignorieren). Hier sind Beispiele: (1-21) Es ist kalt. DS: [es [VP [AP kalt] ist]] SS: [es [ist[tes [VP [AP kalt] tist]]]] V2 + Top LF: [AP kalt] FI: Rekonstruktion von V2 und Top, Tilgung von „es“ und „ist“ Zur Interpretation dieses Satzes brauchen wir lediglich den Lexikoneintrag für [AP kalt]: (1-22) [[[AP kalt]]] = {s | Es ist kalt in s} Im Russischen wird dieser Satz tatsächlich so knapp ausgedrückt. Man sagt xolodno ‚kalt’. Bisher sagt uns das FI nur, dass wir gegebenenfalls etwas tilgen (oder zurückschieben) müssen. Wir werden später sehen, dass die LF auch über Bewegung aufgebaut werden kann. Insbesondere werden wir die Regel der Quantorenanhebung (QR) ausführlich kennen lernen werden. In den letzten Jahren ist die D-Struktur aus der Mode gekommen, da nicht recht zu sehen ist, wozu man sie braucht. Im Minimalistischen Modell Chomskys3 gibt es nur noch einen Erzeugungsmechanismus GEN, welcher die SS erzeugt, die nun Spell-Out (SO) genannt wird. Von dort geht man weiter in die PF und in die LF: 2 Vgl. z.B. (Chomsky, 1986) 3 (Chomsky, 1986) (1-23) Das minimalistische Modell GEN PF SO LF Es sollte deutlich sein, dass sich dieses Modell vom GB-Modell zunächst nur durch die fehlende Ebene der D-Struktur unterscheidet. Wir behalten die Rede von der S-Struktur und der LF bei. Bis auf terminologische Feinheiten ist damit alles, was wir sagen, mit der neuesten Auffassung von generativer Syntax verträglich. Andere Architekturen sind möglich. Z.B. wird in dem Phasenmodell Chomskys angenommen, dass man an jedem Punkt der Generation, an dem man eine bestimmte Kategorie erreicht hat, die so genannte Phase (vP, CP) die LF und die PF parallel weiter aufbaut, also nicht nur einen Spell-Out-Punkt hat, sondern sehr viele. Vgl. dazu (Chomsky, 2001). Wie die LF der natürlichen Sprache genau aussieht und wie sie in die Syntax integriert wird, ist eine empirische Frage. Wenn Verbbewegung und Topikalisierung für die Interpretation tatsächlich irrelevant sein sollten und rekonstruiert werden müssen, so liegt der Verdacht nahe, dass diese Regeln nicht zwischen DS und SS operieren, sondern auf dem Weg zwischen SS (= SO) und PF. Trotzdem belassen wir es hier bei der Organisation. Das Wichtige ist, das die LF eine Repräsentationsebene ist, in der alles sprachliche Material and der Stelle ist, wo es semantisch Sinn macht und auf der nichts semantisch Leeres steht. Für unser künftiges Vorgehen halten wir die folgenden Grundsätze für die Interpretation fest. 1. Die D-Struktur erzeugt sämtliche Argumente eines Verbs an den Positionen, die ihren grammatischen Funktionen entsprechen. 2. Die S-Struktur wird daraus durch Bewegung (Internal Merge) gewonnen (Kopfbewegung, Topikalisierung, Scrambling usw.). 3. Die LF wird aus der S-Struktur erzeugt, indem man die Verbbewegung rückgängig macht, rekonstruiert, wie man sagt. Der Grund ist, dass diese Bewegung die Bedeutung nicht verändert. Ob wir die Topikalisierung auch rückgängig machen sollen, wird eine empirische Frage sein. Wir gehen hier davon aus, dass wir sie zumindest optional rückgängig machen dürfen. 4. Auf diesen Strukturen operieren dann noch weitere LF-aufbauende Regeln, die wir noch kennen lernen werden. Zur Literatur Die Idee, dass die zugrunde liegende Wortstellung des Deutschen die Verbendstellung ist (genau wie im Japanischen!) ist, ist wohl zuerst wirklich klar in (Bierwisch, 1963) formuliert. Dass man die Hauptsatzstellung am besten herleitet, indem man das Finitum nach C bewegt, ist wohl zuerst in (Den Besten, 1989) gesagt worden. Dass vor dem Finitum im Deutschen praktisch jedes Satzglied stehen kann, war in Germanistenkreisen als Drachsche Regel bekannt. Die Regel ist allerdings von Drach nicht präzise strukturell formuliert worden, da er noch keine genaue Vorstellung von syntaktischer Struktur hatte. Die Idee, dass man freie Wortstellung im Mittelfeld am besten durch Scrambling analysiert, stammt von (Ross, 1967) (publiziert als (Ross, 1986)). Ein Standardwerk zum Scrambling ist (Müller, 1995). Am Ende sei darauf hingewiesen, dass die hier vorgeführte Syntaxkonzeption minimalistisch in einen sehr strengen Sinn ist. Wir führen das Allerwichtigste vor, was man benötigt, um syntaktische Strukturen aufzubauen. Wir haben nur das Lexikon und eine einzige Regel, nämlich Merge. Unsere Syntax ist somit zwar einfach, aber praktisch völlig unbeschränkt und erzeugt viel zu viele Strukturen. Die Formulierungen von syntaktischen Beschränkungen ist nicht Aufgabe dieser Einführung, sondern die Entwicklung der Theorie der Interpretation der sinnvollen Sätze. Aufgaben Aufgabe 1. Leiten Sie die Struktur (1-9) genau her, so wie wir das für (1-16) vorgeführt haben. Mit anderen Worten, geben Sie ein Lexikon an und bauen Sie den Baum durch Externes und Internes Merge auf. Begründen Sie jeden Schritt der Ableitung. Denken Sie daran, dass Spuren nur eine Kurznotation für ganze Satzglieder mit Indizes sind. Aufgabe 2. Geben Sie eine präzise graphentheoretische Definition für den abgeleiteten Baum an, d.h., schreiben sie die Knoten hin, die Etikettfunktion, die direkte Dominanzrelation und die Präzedenzrelation. Aufgabe 3. Welche Knoten c-kommandiert die bewegte DP die Gäste? Welche Knoten c-kommandiert die DP-Spur die Gäste?