Zusammenfassung_Lux (2) - IZZ-ON

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IZZ Presseforum Heidelberg 2009
Beitrag:
Verbesserung der Lebensqualität durch Korrektur von Zahn- und
Kieferfehlstellungen?! Lebensqualität aus kieferorthopädischer Sicht
.
Von:
Prof. Dr. Christopher J. Lux,
Universitätsklinikum Heidelberg
Poliklinik
für
Kieferorthopädie,
Zusammenfassung
Warum suchen Eltern mit ihren Kindern einen Kieferorthopäden auf? Warum wünscht
ein Erwachsener eine kieferorthopädische Behandlung? Warum empfiehlt ein Zahnarzt
eine kieferorthopädische Abklärung? Die Gründe für eine kieferorthopädische
Behandlung sind sehr unterschiedlich und können physischer und psychosozialer
Natur sein. Bei den physischen Gründen sollen bestehende Probleme im Kausystem
beseitigt oder künftige Probleme im Kausystem verhindert werden. Es gibt Hinweise,
dass Patienten mit einer Anomalie des progenen Formenkreises, d.h. Anomalien, bei
denen der Unterkiefer relativ zum Oberkiefer zu weit vorne liegt, am schlechtesten
Nahrung effizient kauen können. Zudem kann eine Korrektur von Zahn- und
Kieferfehlstellungen beim Kind günstige anatomische Voraussetzungen für eine
korrekte orofaziale Entwicklung einschließlich einer korrekten Zungenfunktion und
Lautbildung schaffen. Kieferorthopädie ist ein in hohem Maße präventiv ausgerichtetes
Fach, wobei die Prävention auf verschiedensten Ebenen ansetzen kann.
Beispielsweise ist bei Kindern mit einer stark vergrößerten Frontzahnstufe, d.h. einem
Vorstehen der oberen Schneidezähne, das Risiko für eine Traumatisierung der
Schneidezähne deutlich erhöht. So wurde gezeigt (Bauss et al., 2008), dass bei
vergrößerter Frontzahnstufe und fehlender Lippenbedeckung der Schneidezähne, die
bei einem Schlag wie ein schützendes Polster wirken kann, nicht nur Traumata
wesentlich häufiger auftreten, sondern diese auch schwerer verlaufen, mit mehr
betroffenen Zähnen. Eine frühzeitige kieferorthopädische Therapie kann hier präventiv
im Sinne einer Reduktion des Traumarisikos wirken (Bauss et al., 2004). Werden
Patienten mit unbehandelten Zahn- und Kieferfehlstellungen später auch vermehrt
Karies und Parodontalerkrankungen aufweisen? Diese Frage wird in der Literatur
unterschiedlich bewertet und sicherlich ist hier die individuelle Mundhygiene der
wichtigere Faktor. Grundsätzlich verbessert die kieferorthopädische Korrektur eines
starken Engstandes die Morphologie der parodontalen Weich- und Hartgewebe
(Diedrich, 2000). Es gibt auch Anhaltspunkte, dass Patienten mit einer großen
Frontzahnstufe später vermehrt parodontale Probleme aufweisen können (Geiger et
al., 1974). In Extremfällen kann es bei einem starken Tiefbiss durch Einbiss der
Unterkieferzähne zu einer Traumatisierung des Zahnfleisches im Oberkiefer kommen,
so dass hier eine Behandlung bei Kindern und Jugendlichen als präventive Maßnahme
gesehen werden kann. Die kieferorthopädische Korrektur eines starken Tiefbisses bzw.
einer stark vergrößerten Frontzahnstufe kann darüber hinaus auch spätere
restaurative, parodontale, prothetische oder implantologische Behandlungen
erleichtern bzw. erst ermöglichen, so dass hier eine kieferorthopädische Behandlung
die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität im Erwachsenenalter erhöhen kann.
Neben den genannten physischen Gründen müssen jedoch auch die Zahn- und
Kieferfehlstellungen, die psychosoziale Probleme für ein Kind bedeuten können, bei
der Indikationsstellung für eine kieferorthopädische Behandlung berücksichtigt werden.
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Die Behandlung sehr auffälliger Anomalien kann so eine soziale Ausgrenzung, z.B.
durch Hänseln oder Schikanieren in der Schule, abschwächen sowie die sozialen
Voraussetzungen für einen gesellschaftlichen Aufstieg verbessern (Proffit, 2007).
Bestimmte Gebissmerkmale, wie z.B. stark nach vorne stehende obere
Schneidezähne, können ein Kind als weniger intelligent erscheinen lassen bzw. ein
stark vorstehender Unterkiefer ein Kind fälschlicherweise als brutal oder aggressiv
(Proffit, 2007). Es gibt Hinweise, dass Menschen, die mit ihrem Erscheinungsbild im
Gesichtsbereich zufrieden sind, ein höheres Selbstbewusstsein und eine höhere
Selbstwertschätzung haben. Kontrovers diskutiert wird gegenwärtig, inwieweit sich
durch eine kieferorthopädische Behandlung bestehende Defizite im Selbstbewusstsein
und Selbstwertgefühl verbessern lassen. Eindeutiger ist die Situation bei Patienten mit
schweren Kieferfehllagen, bei denen gezeigt werden konnte, dass eine kombiniert
kieferorthopädisch-kieferchirurgische Therapie das Selbstbewusstsein vergrößerte
(Hunt et al., 2001). Auch in anderen Bereichen wird zunehmend neben klinischen
Parametern die Lebensqualität als Faktor zur Erfolgsbewertung einer Therapie
herangezogen. Ein Beispiel hierfür ist die Therapie der obstruktiven Schlafapnoe
mittels Unterkieferprotrusionsschienen, die interdisziplinär zwischen Kieferorthopädie
(Anfertigung, Kontrolle der Schiene und ihrer dentalen Nebenwirkungen) und Medizin
(HNO, Pulmologie, Neurologie) erfolgen kann. Neben klassischen Parametern wie
Atemstörungen pro Stunde ist hier Zielsetzung, auch das subjektive Wohlbefinden als
Zielgröße standardisiert zu erfassen. Interessanterweise konnte bei milden und
moderaten Formen der obstruktiven Schlafapnoe mittels der genannten Schienen in
einem interdisziplinären Therapiekonzept die Lebensqualität z.T. erheblich verbessert
werden (Petri et al., 2008).
Fazit: Ausgeprägte Zahn- und Kieferfehlstellungen können aus physischer und
psychosozialer Sicht die Entwicklung eines Kindes ungünstig beeinflussen. Eine
moderne Kieferorthopädie kann hierbei nicht nur die morphologischen Probleme für
das Kausystem beseitigen bzw. abmildern, sondern auch einen Beitrag zur
verbesserten sozialen Akzeptanz des Kindes bei stigmatisierenden Zahn- und
Kieferfehlstellungen leisten. Auch beim Erwachsenen sind gezielte Korrekturen der
Zahn- und Kieferlage in der Regel noch möglich, wobei es auch hier künftig wichtig
sein wird, die psychischen Verbesserungen an longitudinalen (Kohorten-)studien zu
erfassen und damit den Faktor Lebensqualität als Zielkriterium für diese Wahleingriffe
stärker zu berücksichtigen.
Wichtigste Quellenangaben des Vortrags:
Kaueffizienz nimmt insbesondere bei Patienten mit Klasse III-Anomalien (sog.
Progenie) ab (English et al., 2002): Quelle: English JD, Buschang PH, Throckmorton
GS: Does Malocclusion Affect Masticatory Performance? Angle Orthod 2002;72:21–27
Das Risiko für ein Frontzahntrauma scheint mit der Größe des Overjets (=sagittale
Frontzahnstufe, =horizontaler Überbiss) anzusteigen. Quelle: Nguyen QV, Bezemer
PD, Habets L, Prahl-Andersen B: A systematic review of the relationship between
overjet size and traumatic dental injuries. Eur J Orthod. 1999 Oct;21(5):503-15.
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Erhöhte Prävalenz von Frontzahn-Trauma bei vergrößertem Overjet und / oder
fehlender Lippenbedeckung der Zähne (Bauss et al., 2008). Quelle: Bauss O, Freitag
S, Röhling J, Rahman A: Influence of overjet and lip coverage on the prevalence and
severity of incisor trauma. J Orofac Orthop. 2008 Nov;69(6):402-10. Hier kann eine
frühzeitige Korrektur der entsprechenden Zahn- und Kieferfehlstellungen präventiv die
Wahrscheinlichkeit für ein Frontzahntrauma absenken (Bauss et al., 2004). Quelle:
Bauss O, Röhling J, Schwestka-Polly R: Prevalence of traumatic injuries to the
permanent incisors in candidates for orthodontic treatment. Dent Traumatol. 2004
Apr;20(2):61-6
Es treten u.a. vermehrt parodontale Erkrankungen bei stark vergrößertem Overjet
sowie bei Zahnwanderung von Seitenzähnen mit Mesialkippung auf (Geiger, 2001).
Quelle: Geiger AM: Malocclusion as an etiologic factor in periodontal disease: a
retrospective essay. Am J Orthod Dentofacial Orthop. 2001 Aug;120(2):112-5.
Positive Effekte einer Korrektur von Engständen nach Diedrich (2000): verbesserte
Hygienefähigkeit, verbesserte Morphologie der Parodontalgewebe (z.B. Gewinn an
interdentalem Knochen), verbesserte parodontale Therapiemöglichkeiten (Scaling,
Wurzelglättung, regenerative Verfahren etc.) (Diedrich, 2000), Quelle: Diedrich P:
Periodontal relevance of anterior crowding. J Orofac Orthop. 2000;61(2):69-79.
Verschlechtern Zahn- und Kieferfehlstellungen die mundgesundheitsbezogene
Lebensqualität (MLQ)? Ja, z.B. Studie von Bernabé et al. 2008 bei Jugendlichen:
Häufiger ungünstige Auswirkungen auf:
Klasse II/1-Anomalien (Unterkieferrücklage mit vorstehenden
Oberkieferschneidezähnen): beim Lachen weniger Zähnezeigen bzw. Gefühl der
Verlegenheit
Klasse III-Anomalien: Verschlechterung der Kaufunktion
Quelle: Bernabé E, Sheiham A, de Oliveira CM: Condition-specific impacts on quality of
life attributed to malocclusion by adolescents with normal occlusion and Class I, II and
III malocclusion. Angle Orthod. 2008 Nov;78(6):977-82
Bei Jugendlichen mit Zahn- und Kieferfehlstellungen stehen insbesondere
Einschränkungen im emotionalen und sozialen Wohlbefinden (z.B. Angst anders zu
sein, gehänselt zu werden, Vermeiden von Lachen, Angst vor sozialer Ausgrenzung)
im Vordergrund und weniger Funktionseinschränkungen, Schmerzen, Kauprobleme
(Foster Page et al., 2005, O'Brien et al., 2007, Kiyak, 2008). Quellen:
- Foster Page LA, Thomson WM, Jokovic A, Locker D: Validation of the Child
Perceptions Questionnaire (CPQ 11-14). J Dent Res. 2005 Jul;84(7):649-52.
- O'Brien C, Benson PE, Marshman Z: Evaluation of a quality of life measure for
children with malocclusion. J Orthod. 2007; 34(3):185-93
- Kiyak HA: Does orthodontic treatment affect patients' quality of life? J Dent Educ.
2008 Aug;72(8):886-94. Review.
Psychosoziale Beeinträchtigungen: Leichtere Zahn- und Kieferabweichungen führen oft
zu Hänseln, sich lustig machen, wohingegen starke Anomalien und Fehlbildungen oft
starke emotionale Reaktionen, z.B. Mitleid oder Abscheu, auslösen (Kiyak, 2008)
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Kiyak HA: Does orthodontic treatment affect patients' quality of life? J Dent Educ. 2008
Aug;72(8):886-94. Review.
Nach kieferorthopädischer Korrektur von starken Zahnfehlstellungen sieht Proffit
(2007) auch verbesserte Voraussetzungen für einen gesellschaftlichen Aufstieg (Proffit,
2007)
Quelle: Proffit, WR: Contemporary orthodontics, 4th ed., Mosby 2007
Bei Klasse III-Patienten, die kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgisch therapiert
wurden konnte gezeigt werden: Je größer die Zahn- / Kieferfehlstellung, desto stärker
war das Gefühl von Verlegenheit und desto stärker hatte die Behandlung einen
positiven Einfluss auf soziale Aktivitäten und Beziehungen zum anderen Geschlecht
(Zhou et al. 2002). Quelle: Zhou Y, Hägg U, Rabie AB: Severity of dentofacial
deformity, the motivations and the outcome of surgery in skeletal Class III patients.
Chin Med J (Engl). 2002 ;115(7):1031-4
Auch Erhebliche Verbesserung der Lebensqualität durch
Unterkieferprotrusionsschienen bei Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe (Petri et al.,
2008); Quelle: Petri N, Svanholt P, Solow B, Wildschiødtz G, Winkel P. Mandibular
advancement appliance for obstructive sleep apnoea: results of a randomised placebo
controlled trial using parallel group design. J Sleep Res. 2008 Jun;17(2):221-9
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