Datum: 13. Oktober 2008 Thema: Wenn es im Ohr klingelt Tinnitus, ein verborgenes Warnsignal unsers Körpers Referenten: O. Univ.-Prof. Dr. Patrick Zorowka Direktor der Univ.-Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen Innsbruck Prim. Dr. Rolando Füstös, Primar der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, KH Bozen Dr. Karin Gufler Psychologin in Meran Ohrgeräusche sind kein Phänomen der heutigen Zeit: Bereits in der Antike waren die „Töne“ im Ohr bekannt. Damals nannte man sie die „Stimmen der Götter“. Erst seit dem 20. Jhdt. werden die verschiedensten Ohrgeräusche unter der medizinischen Bezeichnung „Tinnitus“ („tinnire“: lat. - klingeln) zusammengefasst. Etwa 10% - 15% der Bevölkerung müssen mit anhaltenden Ohrgeräuschen (Tinnitus) durchs Leben gehen. Ständiges Pfeifen, Zischen, Rauschen, Knistern, Summen, Brummen oder andere Töne werden so zum täglichen Begleiter. Unter schwerhörigen Patienten steigt dieser Anteil auf rund 50%. Jedoch nicht alle Betroffenen leiden auch unter diesen Dauergeräuschen. Nur 0,5 - 2% der Erkrankten empfinden Tinnitus als so belastend, dass ein normales Alltagsleben kaum mehr möglich ist. Das Symptom oder die Krankheit Tinnitus Tinnitus gilt in der Medizin nicht als eigenständige Krankheit, sondern als Symptom, welches in Verbindung mit unterschiedlichen Erkrankungen auftreten kann. Aber auch Stress, belastende Lebensumstände und seelische Probleme können Auslöser von Dauergeräuschen sein bzw. diese verstärken. Tinnitus wird dann zur Krankheit, wenn es zum Lebensmittelpunkt wird und wenn es zu Beeinträchtigungen wie Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, Angst, Rückzug, Depression usw. führt. Was ist Tinnitus? Unter einem Tinnitus versteht man die Wahrnehmung von Geräuschen im Ohr bzw. im Kopf, die nicht von außen kommen, sondern im Hörsystem selbst entstehen und daher nur vom Betroffenen selbst wahrgenommen werden. Um das Phänomen „Tinnitus“ zu verstehen, muss man sich im klaren sein, dass zum Hören nicht nur das Ohr gehört. Das eigentliche Hören passiert im Gehirn, also in den nervalen Strukturen der zentralen Hörbahn. Das Ohr ist lediglich der Schallaufnehmer, so wie ein Mikrofon: Die über das äußere Ohr, Mittelohr und das Innenohr herangetragenen Schallimpulse werden im corti´schen Organ der Schnecke in elektrische Impulse umgewandelt, die im Gehirn zur primären und sekundären akustischen Wahrnehmung verarbeitet werden, welche uns den Schall und die darin enthaltenen Informationen erst erkennen und analysieren lassen. Dies geschieht z. B. beim Verstehen von Sprache. Daher muss man bei Betrachtung des Tinnitus nicht nur die Vorgänge im Innenohr, sondern auch die noch komplexeren Vorgänge im Gehirn miteinbeziehen. Ferner muss man wissen, dass es keine absolute Stille in unserem Hörsystem gibt, sondern, dass immer eine Art Grundrauschen besteht, das wir aber normalerweise nicht wahrnehmen. Die Voraussetzung dafür ist ein akustisches Filtersystem im Gehirn, das uns in die Lage versetzt, unsere akustische Wahrnehmung in erster Linie auf Schallinformationen zu richten, die für uns wichtig sind. Eine Ursache für den Tinnitus kann eine Störung dieses Filtersystems sein, sodass z. B. akustische Signale, die offensichtlich im Hörsystem selbst entstehen, für uns belästigend wirken. Am häufigsten entsteht ein Tinnitus durch eine zu große Schalleinwirkung auf unser Innenohr, wie beispielsweise nach einem akuten Lärmtrauma (z. B. Knalltrauma) oder durch eine chronische Lärmeinwirkung, wie z. B. bei bestimmten Berufen wie Tischlerei, Schlosser, etc. Darüber hinaus gibt es einige Erkrankungen, die einen Tinnitus hervorrufen können. Darum ist bei jedem Tinnitus eine exakte medizinische Abklärung erforderlich, wobei in den meisten Fällen nicht nur der HNO- Facharzt, sondern auch praktische Ärzte, Internisten, Neurologen und andere medizinische Fachdisziplinen miteinzubeziehen sind. Was tun, wenn der Tinnitus nicht weg geht? 1) Informieren Sie sich! Auch wenn bei einer organischen Untersuchung “nichts” gefunden wird, lassen Sie sich dennoch über Sinn und die Ergebnisse von Untersuchungen aufklären. Wissen beruhigt! 2) Weniger ist mehr! Wiederholungsuntersuchungen/-behandlungen können mehr schaden als nützen. Geht der Tinnitus in den ersten Monaten nicht weg, dann sollten Sie die Strategie ändern. Anstatt mit immer neuen „Waffen“ gegen den Tinnitus anzukämpfen, sollten Sie versuchen ihn zu akzeptieren und lernen damit zu leben. Der ständige Kampf dagegen macht ihn oft nur noch schlimmer! 3) Nicht aufgeben – man kann etwas tun! Auch wenn Ohrgeräusche nicht weg gehen, kann man ein lebenswertes Leben führen. Nehmen Sie psychologische Hilfe in Anspruch, wenn Sie allein mit den Geräuschen nicht fertig werden. Tinnitus aus psychologischer Sicht Für die Tinnitusentstehung gibt es eine Vielzahl von Ursachen. Unabhängig von der Art der der Entstehung ist für das Leiden am Tinnitus entscheidend, wie sehr sich die Betroffenen von dem neuen, meist als unangenehm empfundenen Ohrgeräusch gestört fühlen (kompensierter/dekompensierter Tinnitus). Unser Gehör ist aufgrund der Entwicklungsgeschichte des Menschen darauf programmiert sich neu auftretenden Geräuschen verstärkt zuzuwenden. Zudem wird der unbekannte Höreindruck meist negativ und störend bewertet. Die Folge davon ist, dass die Gewöhnung an das Ohrgeräusch bzw. das „Überhören“ häufig verhindert wird und die Belastung zunimmt. Der Tinnitus steht dauerhaft im Zentrum der Aufmerksamkeit. Daher ist die fachärztliche Behandlung und Information hinsichtlich der medizinischen Möglichkeiten aber auch eine psychologische Beratung bezüglich der Auswirkungen, Hintergründe und Zusammenhänge des Tinnitus eine wichtige Grundlage, um den Kreislauf zwischen Tinnitus und Aufmerksamkeit so schnell wie möglich zu unterbrechen. Welche Faktoren verhindern die Gewöhnung bzw. steigern die Belastung durch den Tinnitus? Negative Einstellung zum Tinnitus Erhöhte Selbstaufmerksamkeit und körperliche Beobachtung Krisen und Stresssituationen (Gesundheit, Beruf, Partnerschaft, Familie) Depressionen und Angststörungen (besonders die gesteigerte Angst an Krankheiten zu erkranken) Häufige Beschwerden bei chronisch dekompensiertem Tinnitus: Niedergeschlagenheit, Antriebsschwäche, ausgeprägte Stimmungstiefs Sorgen und Gereiztheit Gefühle von Kontroll- und Hilflosigkeit Gedanken der Hoffnungslosigkeit Unfähigkeit zur Entspannung Angstreaktionen Konzentrationsschwierigkeiten Schwierigkeiten im sozialen Umfeld, besonders wenn auch eine Hörminderung vorliegt Schlafstörungen Körperliche Probleme: Spannungskopfschmerz, muskuläre Verspannungen usw. Das Ziel der psychologischen Behandlung ist die Verringerung der Beeinträchtigung und die Verbesserung der Bewältigung der Ohrgeräusche. Der Teufelskreis aus Aufmerksamkeitszuwendung, ungünstiger Bewertung, Stressreaktion und Tinnitusverschlimmerung soll unterbrochen werden. Bei der psychologischen Beratung geht man von den folgenden drei Annahmen aus und setzt dort mit den Interventionen an: Annahme: Ziele: 1. Der Tinnitus erzeugt Stress ▪ Reduzierung der Bedrohung durch gute Aufklärung ▪ Abbau von Hilf- und Kontrolllosigkeit ▪ Umdeutung des Tinnitus Entspannung 2. Der Tinnitus führt zu Veränderungen im Verhalten und Erleben ▪ Aufbau von neuen Aktivitäten ▪ Aufmerksamkeitslenkung ▪ Abbau von Krankheitsverhalten ▪ Wiederentdecken positiven Erlebens 3. Belastungen (Familie, Partnerschaft, Beruf) führen zur Verstärkung des Tinnitus ▪ Verbesserung der allgemeinen Stressbewältigung ▪ Gute Gespräche führen lernen Es ist wichtig, die Betroffenen mit dem Störungsmodell vertraut zu machen und allen Sorgen und Befürchtungen möglichst frühzeitig zu begegnen, um die häufig erlebte Bedrohung möglichst bald zu relativieren. Es geht darum aufzuzeigen, dass es Möglichkeiten eines guten Umgangs mit dem Tinnitus und der Einflussnahme darauf gibt. Die negative Bewertung soll sich in Richtung Akzeptanz und Gelassenheit gegenüber dem Ohrgeräusch verändern. Durch den Einsatz von konkreten Verhaltensübungen, um die Aufmerksamkeit zu lenken, und das Erlernen von Strategien, um mit der erlebten Beeinträchtigung besser umzugehen, wird versucht das Bewältigungsverhalten aufzubauen. Um dem Rückzug und der Vermeidung von bestimmten Gesprächssituationen entgegenzuwirken werden Problemsituationen analysiert und der Aufbau von günstigen Verhaltensweisen geübt. Das Erlernen von Entspannungsverfahren ist in der Tinnitusberatung sehr wichtig. Mit einer Entspannungsreaktion sind positive Gefühle der inneren Ruhe, der Gelöstheit und des Wohlbefindens verbunden. Bei der progressiven Muskelentspannung nach Jacobson besteht das Prinzip in der willkürlichen, maximalen An- und Entspannung bestimmter Muskelgruppen, um über die Wahrnehmung von angespannter und entspannter Muskulatur eine Entspannungsreaktion einzuleiten. Weitere Informationen: O. Univ.-Prof. Dr. Patrick G. Zorowka Univ.-Klinik für Hör- Stimm- und Sprachstörungen Innsbruck Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck Tel: 0512-504-23216 Email: [email protected] Prim. Dr. Rolando Füstös Krankenhaus Bozen Lorenz-Böhler-Straße 5,I-39100 Bozen Tel: 0039 0471 908 641 E-Mail: [email protected] (Internet-Tipp: http://www.acufeni.net/) Dr. Karin Gufler Psychologische Praxis Rennweg 69, I-39012 Meran Telefon: 0039 0473 492572 E-Mail: [email protected] www.psychpraxis.it