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An die Nachgeborenen von Bertolt Brecht in niederländischer Übersetzung –
eine komparative Analyse
Magisterarbeit von Jaap Winsemius
21. August 2005
Betreuer:
Dr. Cees Koster
Prof. Dr. Ton Naaijkens
Universiteit Utrecht
Faculteit der Letteren
Duitse taal en cultuur
Inhaltsverzeichnis
Seite
Einleitung
3
I
Das Verfahren
6
II
Die Fallstudie
9
II.1 Allgemeine Informationen zum Quelltext
10
A. Smit
A.1 Hintergrund-Informationen
A.2 Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
A.3 Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
A.4 Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
A.5 Schlußfolgerung Smit
12
15
18
24
25
47
B. Van den Bremt
B.1 Hintergrund-Informationen
B.2 Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
B.3 Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
B.4 Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
B.5 Schlußfolgerung Van den Bremt
49
52
58
64
65
84
C. Gielkens & Naaijkens
C.1 Hintergrund-Informationen
C.2 Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
C.3 Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
C.4 Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
C.5 Schlußfolgerung Gielkens & Naaijkens
85
88
91
97
98
112
D. Van Istendael, Stassijns und De Vin
D.1 Hintergrund-Informationen
D.2 Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
D.3 Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
D.4 Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
D.5 Schlußfolgerung Van Istendael, Stassijns und De Vin
113
116
120
126
127
141
E. Droogenbroodt
E.1 Hintergrund-Informationen
E.2 Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
E.3 Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
E.4 Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
E.5 Schlußfolgerung Droogenbroodt
142
145
147
153
154
167
F. Mooij
F.1 Hintergrund-Informationen
F.2 Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
F.3 Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
F.4 Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
F.5 Schlußfolgerung Mooij
168
171
173
179
180
191
III
Abschließende Bemerkungen
192
IV
Literaturverzeichnis
199
2
Einleitung
Diese Arbeit stellt den Abschluß des Studiums „Duitse taal en cultuur“ an der Universiteit
Utrecht dar. Sie bewegt sich in einem übersetzungswissenschaftlichen Rahmen; im Sinne von
Holmes’ Schema ist sie deskriptiv und produkt-orientiert, laut Van Leuven-Zwart ist sie Teil
der theoriebildenden Übersetzungswissenschaft.
Ursprünglich bestand die Arbeit darin, im Rahmen des Brecht-Jahres 1998 möglichst viele
niederländischsprachige Übersetzungen von Brecht-Gedichten aufzuspüren und zu
katalogisieren. Die Suche fand in Bibliotheken und Archiven statt und umfasste Anthologien,
Zeitschriften, Zeitungen usw. Sie führte zwar zu einem Aufsatz (Naaijkens 1998), aber trug
an jenem Moment nicht zu einer Forschung meinerseits bei.
Dabei stellte sich aber heraus, daß das Gedicht An die Nachgeborenen eine besondere
Rolle innerhalb des Korpus spielte; es wurde sechs mal übersetzt, während der überwiegende
Teil der anderen Gedichte nur ein bis zwei mal übersetzt wurde. Somit ist diese Fallstudie im
Vokabular der Göttinger Gruppe eine „comet’s tail study“: Gegenstand sind verschiedene
Übersetzungen eines einzelnen Quelltextes.
„Small corpora are extracted from large corpora“, wie Pym es lapidar ausdrückt (1998: S. 56);
das ursprüngliche Korpus – alle Brecht-Gedichte in niederländischer Übersetzung – wurde
reduziert auf ein kleineres Korpus – alle Versionen von An die Nachgeborenen in
niederländischer Übersetzung. Wahrscheinlich existieren noch mehr Versionen von anderen
Übersetzern, aber eine noch intensivere Recherche hätte den Rahmen gesprengt. Pym
vergleicht die Zusammenstellung eines Korpus mit der Suche nach Gold: „At each stage in a
prospecting operation, the cost of compiling information has to be related to the probable
value of the result.“ (1998: S. 50). In diesem Sinne müsste das ausgewählte Korpus
ausreichen, um sinnvolle Aussagen zu machen.
Naaijkens gibt eine Übersicht aus historischer und Rezeptions-Sicht über Brecht-Gedichte in
niederländischer Übersetzung. Sein Fazit ist, daß die Rezeption des Dichters Brecht im
niederländischen Sprachraum bis 1998 „slechts schoorvoetend, sporadisch en in de marge
plaatsvindt.“ (1998: S. 231). Im Brecht-Jahr 1998 änderte sich die Rezeption jedoch stark. Es
3
erschienen vier Anthologien, die ausschließlich übersetzter Brecht-Lyik gewidmet waren –
Vergleichbares war vorher noch nicht passiert:
-
Een engel verleid je niet – Twintig liefdesgedichten (zusammengestellt von Gerda
Meijerink)
-
Zoals de wolk na de regen – Wie die Wolke nach dem Regen (zusammengestellt von
Germain Droogenbroodt)
-
Over de aardse liefde en meer – uit een leven vol gedichten en verzen
(zusammengestellt von Martin Mooij)
-
De mooiste van Brecht (zusammengestellt von Koen Stassijns und Ivo van Strijtem)
Die drei letzten Anthologien aus der Reihe enthalten wiederum eine Übersetzung von An die
Nachgeborenen.
Das Gedicht nimmt was die Übersetzungshäufigkeit anbelangt eine Sonderstellung ein und ist
somit rezeptionshistorisch ein interessanter Fall. Gegenstand dieser Arbeit sind die sechs
unterschiedlichen Übersetzungen eines einzelnen Gedichtes. Viele Fragen stellen sich: Wie
haben die Übersetzer das Gedicht interpretiert? Und wie haben sie diese Interpretation
umgesetzt? Welche Unterschiede gibt es zwischen den Zieltexten? Dies führt unumgänglich
zu methodologischen Fragen der Übersetzungswissenschaft: Wie geht man vor, wenn man
Übersetzungen beschreiben möchte? Wie vergleicht man Übersetzungen miteinander und mit
dem Quelltext? Welche Rolle können übersetzungshistorische Informationen und
außertextliche Faktoren in einer vergleichenden Analyse spielen?
Für Pym ist die Frage nach dem „warum“ die Hauptfrage, die die Übersetzungsgeschichte zu
beantworten hat (1998: S. IX). Koster wirft Pym jedoch vor, er weise zur konkreten
Beschreibung und Vergleich von Übersetzungen auf existierende Methoden hin, während es
bisher keine methodologisch fundierte und praktikable Modelle gäbe. (2000: S. 235)
Der Schlüssel zu diesem Problem sollte nach dem vorherrschenden zieltext-orientierten
Paradigma in den Übersetzungen selbst zu finden sein. So stellte sich eine in gewisser Weise
engere, aber dennoch vielumfassende Frage: Wie wurde das Gedicht übersetzt? Und da es
sich um sechs Zieltexte handelt, tritt automatisch die Frage nach Unterschieden und
Übereinstimmungen hervor. Beide Fragen, die nach der Beschreibung und dem Vergleich,
erfordern zunächst eine strukturierte und systematische Herangehensweise. Die ersten
4
Übersetzungswissenschaftler, die sich in der deskriptiven Forschung von der vorhergehenden
normativen Ausrichtung verabschiedeten, und nach intersubjektiven Methode suchten, waren
Holmes (1988), Toury (1980/1995) und Van Leuven-Zwart (1984).
Das „armamentarium“, daß Cees Koster in seiner Dissertation From World to World
präsentiert, bietet ein konkretes beschreibendes und komparatistisches Modell. Die
vorliegende Arbeit ist eine Analyse des Brecht-Gedichts An die Nachgeborenen und der sechs
niederländischen Zieltexte unter Anwendung dieses Modells.
In der einschlägigen Literatur wurde das Modell kritisch rezipiert. Delabastita schreibt:
„(…) the descriptive model which results from Koster’s sustained effort is undoubtedly
workable up to point. However, in the final analysis it fails to overcome the problem of the
provisional and subjective nature of interpretation.“ (2001: S. 104f.)
Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird das Verfahren erläutert, im Anschluß
findet die tatsächliche Analyse statt und als Abschluß werden Schlußfolgerungen gezogen.
5
I
Das Verfahren
Im Holmes’ Unterteilung des Fachgebiets der Übersetzungswissenschaft ist die Methode
Kosters auf der Grundlagen-Seite positioniert; sie entspricht außerdem den Kriterien der
beschreibenden und produktorientierten Übersetzungswissenschaft (Holmes 1994: S. 67-80).
Van Leuven-Zwart befürwortet mehr Dynamik in der Beziehung zwischen theoretischer und
deskriptiver Forschung und schlägt den Begriff der „theoriebildenden“
Übersetzungswissenschaft vor. Laut Van Leuven-Zwart sollte nicht nur die Rede sein von
einem „voortdurend contact, maar vooral ook van een voortdurende wisselwerking tussen de
beide gebieden van het ‚tot licht strekkende’ vertaalonderzoek“ (1992: S. 63). Ein Teil dieser
Forschung sei die Theorie und Beschreibung des Übersetzungsprodukts. Die theoretisch und
methodologisch eingehend untermauerte Methode Kosters ist nun in diese Sparte einzureihen.
Im Folgenden wird der methodologische Hintergrund von Kosters Verfahren erläutert.
Kosters Anliegen ist die Entwicklung eines Instrumentariums und eines Verfahrens zur
komparativen Beschreibung von lyrischen Texten und den dazugehörenden Übersetzungen.
Mit der Anwendung des Instrumentariums kann der Forscher die so genannte übersetzerische
Interpretation herausarbeiten –diese Interpretation des Quelltextes kann er mittels eines
Vergleichs mit dem Zieltext erstellen. Dabei wird die Übersetzung als hybrider Gegenstand
betrachtet: sie ist sowohl ein eigenständiger Text, der innerhalb seines kulturellen Umfelds
ähnlich wie andere Texte in diesem Umfeld funktioniert, als auch eine Repräsentation oder
Reproduktion eines anderen Textes, der nicht in diesem Umfeld funktioniert.
Die Unterschiede, die ein wesentlicher Teil des Konzepts Übersetzung sind, stellen im
Modell Lösungen zur Überbrückung der unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen
Systeme dar. Für die Unterschiede zwischen Übersetzungen wird im Verfahren der Begriff
„Verschiebung“ benutzt. Die übersetzerische Interpretation ist implizit im Zieltext enthalten;
das Verfahren bietet eine praktische Lösung, mit der man die Rolle des interpretierenden
Übersetzers herausarbeiten kann.
Der Übersetzer ist zunächst nur indirekt im Text anwesend. Als textuelle Instanz ist er aber
unmittelbar in den Unterschieden zwischen Quell- und Zieltext, den Verschiebungen,
enthalten. Dementsprechend ist die textuelle Präsenz des Übersetzers kein eigenständiges
Merkmal eines Textes, sondern das Ergebnis einer komparativen Analyse. Andere Elemente
6
aus der extratextuellen Welt, wie die historische und kulturelle Kontextualisierung, sind im
Verfahren nicht formalisiert. Sie sind zunächst als Hintergrund-Informationen vorgesehen, die
aus der Situation heraus analysiert werden können. Diese Analyse findet vor dem eigentlichen
Vergleich statt. Die Ergebnisse der Analyse können nachher bei einer eventuellen historischen
oder kulturellen Erklärung der übersetzerischen Interpretation herangezogen werden.
Ein zentraler Begriff im Modell ist die „Textwelt“. Dieses Konzept ist nicht mimetisch
oder referentiell belegt – es verweist nicht auf eine existierende Realität, sondern ist eine
Repräsentation einer autonomen, fiktionalen Welt. Diese fiktionale Welt wird vom Leser
konstruiert aus den textuellen Daten eines Gedichtes und stellt einen möglichen Kontext zum
Text dar; das Gedicht erhält somit eine gewisse semantische und pragmatische Kohärenz.
Eine Übersetzung ist eine spezifische Rekontextualisierung eines Quelltextes und die
übersetzerische Interpretation kann durch Feststellung der Verschiebungen zwischen der
Zieltextwelt und der Quelltextwelt hergeleitet werden. Die Textwelt ist ein latentes Konstrukt,
das einer textuellen Aktivität zuzuordnen ist. Unterschiede zwischen Textwelten sind
demnach das Ergebnis von Verschiebungen auf der textuellen Ebene. Die übersetzerische
Interpretation ist nun zugänglich, indem diejenigen textuellen Verschiebungen beschrieben
und analysiert werden, die das Ergebnis eines Vergleich von Quell- und Zieltext sind.
Das Modell beschreibt mehrere Arten der Verschiebung. Erstens gibt es die Kategorie der
individuellen Verschiebungen, die den Entscheidungen des Übersetzers zugeordnet werden
können. Zweitens gibt es konstitutive Verschiebungen, die dem Unterschied der
(linguistischen, textuellen oder kulturellen) Systeme zugeschrieben werden können. Bei der
Feststellung der Verschiebungen wird pragmatisch vorgegangen: die Zielsetzung des
Verfahrens wird hervorgehoben. Deswegen sind oben genannte Verschiebungen den
nachfolgenden Verschiebungen untergeordnet.
Formelle Verschiebungen rühren von den Unterschieden zwischen den jeweiligen
Sprachen, poetischen Systemen oder Stilen her. Verschiebungen dieser Art auf
mikrostruktureller Ebene haben keinen oder lediglich einen geringen Einfluss auf die
makrostrukturelle Ebene. Sie beeinflussen die Realisierung der Textwelt nicht und brauchen
deswegen nicht bei der Feststellung der übersetzerischen Interpretation berücksichtigt zu
werden. Substantielle Verschiebungen können den expressiven Neigungen des Übersetzers
und dessen subjektivem Idiolekt zugeordnet werden. Verschiebungen dieser Sorte auf
mikrostruktureller Ebene haben einen klaren Einfluss auf makrostruktureller Ebene. Sie
bestimmen die Realisierung der Textwelt und müssen dementsprechend bei der Feststellung
der übersetzerischen Interpretation einbezogen werden.
7
Die Methode Kosters macht beim Vergleich Gebrauch von einem Repertorium der zu
vergleichenden Elemente, das a priori bestimmt wurde. Es ist auch möglich, Texte mittels
einer von Fall zu Fall unterschiedlichen Analyse zu vergleichen. Das vorliegende Modell ist
dementsprechend einfacher anzuwenden. Das Repertorium zielt darauf ab, die übersetzerische
Interpretation unter Anwendung des Begriffes Textwelt herzuleiten. Es umfasst Ebenen, die
bei der Beschreibung und dem Vergleich von lyrischen Textwelten sachdienlich sein können:
die traditionelle Ebenen der linguistischen und textuellen Analyse (Phonologie, Morphologie,
Syntax, Lexis, Semantik und Pragmatik), die gattungsspezifische Ebene der Prosodie und die
literarisch relevanten Ebenen des rhetorischen Sprachgebrauchs und der Intertextualität.
Die Ausrichtung des Modells ist sowohl „bottom-up“ als „top-down“ und kann als zirkulär
bezeichnet werden. Zunächst wird die makrostrukturelle Ebene analysiert, danach findet eine
Analyse der mikrostrukturellen Ebene statt und daraufhin wird die makrostrukturelle Ebene
wieder einbezogen.
Das „semantisch-pragmatische Skelett“ des Zieltexts ist der erste formalisierte Schritt im
Verfahren. Dabei werden die Subjekte und Objekte der Textwelt identifiziert, deren räumliche
und zeitliche Position festgestellt, und das deiktische Zentrum des Diskurses identifiziert. Im
nächsten Schritt wird untersucht, ob das semantisch-pragmatische Skelett auch für den
Quelltext zutrifft. Der dritte Schritt befasst sich mit der Analyse der syntaktischen und
lexikalischen Ebenen.
Die Listen des Ziel- und Quelltexts, die das Ergebnis der verschiedenen Analyse-Vorgänge
sind, werden jetzt verglichen. Dabei wird festgestellt, inwieweit eventuell festgestellte
Verschiebungen die Realisierung der Textwelt beeinflussen. Weiterhin wird erforscht, was die
Folgen von eventuellen Verschiebungen für die Realisierung der Textwelt des Zieltextes im
Vergleich zur Textwelt des Quelltexts sind. Diese Folgen bedingen die übersetzerische
Interpretation, also die Interpretation des Quelltextes, die dem Zieltext zugrunde liegt. Die
übersetzerische Interpretation kann historisch oder kulturell erklärt werden unter
Zuhilfenahme der Hintergrund-Informationen aus der vorbereitenden Phase.
8
II
Die Fallstudie
9
II.1 Allgemeine Informationen zum Quelltext
Die Erstausgabe des Gedichtes An die Nachgeborenen erschien als Schlußtext der Sammlung
Svendborger Gedichte 1939 im Malik-Verlag. Der Malik-Verlag, unter Leitung von Wieland
Herzfelde, befand sich zunächst Berlin, nach der Machtergreifung Hitlers ist der Verlagssitz
Prag und später London. Spezialgebiet des Hauses ist die Verbreitung sozialistischer und
kommunistischer Literatur. Im Verlag erscheinen ab 1934 die Gesammelte Werke Brechts –
die Svendborger Gedichte waren ein Vordruck aus Band IV, dem letzten geplanten Band,
jedoch sind letztendlich in dieser Ausgabe nur Band I und II erschienen.
Zur Geschichte des Buches schreibt Esslin: „Eine kleine Anzahl von Exemplaren eines
Vorabdrucks aus dem vierten Band, den Gedichten, erschien 1939 in Dänemark (obwohl hier
ebenfalls London als Verlagsort auf der Titelseite angegeben ist) als Svendborger Gedichte.
Der größte Teil dieser Auflage fiel nach der deutschen Besetzung Dänemarks in die Hände
der Nazis (…)“ (1970: S. 101). Svendborg ist der dänische Küstenort, in dem Bertolt Brecht
(1898-1956) sich zwischen 1933 und 1939 aufhielt. Hier besuchte ihn Walter Benjamin, der
ein Kommentar zu sieben der Svendborger Gedichte schrieb.
Kurz vor Brechts Tod begann der Suhrkamp Verlag mit der Herausgabe des Gesamtwerks
Brechts. Laut Esslin wurde diese Ausgabe „im Laufe ihres Erscheinens allerdings heftig
kritisiert, da sowohl ihre Anordnung unübersichtlich war und sie zudem auch große und
schwer verständlich Lücken aufwies“ (1970: S. 346). Eine neue Gesamtausgabe erschien
1967; Esslin zufolge enthalte auch sie noch verschiedene Lücken (ebd.)
Die untenstehende Tabelle zeigt, welchen Text die Übersetzer als Quelle angegeben haben:
Smit 1975
kein Quelltext angegeben
Van den Bremt 1982
Gesammelte Werke, Bd. 9, Suhrkamp 1967
(Werkausgabe in 20 Bänden)
Gielkens und Naaijkens 1984
Gesammelte Werke, Bd. 4, Suhrkamp 1967
(Dünndruckausgabe in 8 Bänden)
Van Istendael, Stassijns und De Vin 1998
Große kommentierte Berliner und
Frankfurter Ausgabe, Bd. 12
10
Droogenbroodt 1998
Große kommentierte Berliner und
Frankfurter Ausgabe, Bd. 12
Mooij 1998
Große kommentierte Berliner und
Frankfurter Ausgabe, Bd. 12
Fig. 1: Quelltextangaben
Alle Suhrkamp-Ausgaben, die zwischen im Zeitraum von 1967 bis 1988 erschienen sind, sind
seitengleich; deswegen kann man die Quelltexte, die Van den Bremt und Gielkens/Naaijkens
benutzt haben als identisch betrachten.
Obwohl verschiedene Autoren, u.a. Kesting (1992) und Fuegi (1997) darauf hingewiesen
haben, daß Brecht seine Texte zum Teil von seinen Mitarbeiterinnen bzw. Lebensgefährtinnen
hat schreiben lassen, frei nach dem Motto „sex for text“, oder sie wenigstens im Kollektiv
verfasst hat, gehen wir von der Annahme aus, daß Brecht selbst der Autor ist – anders
lautende Angaben sind für diese Studie nicht erheblich. Dieser Faktor kann in diesem
Forschungsrahmen nicht von substantieller Bedeutung sein. Die Übersetzer, mit denen diese
Arbeit sich befasst, erwähnen die Herkunft oder Produktionsweise ihres jeweiligen
Quelltextes nicht als problematisch.
11
A.
Smit
12
AAN DIE NA ONS KOMEN – Übersetzung
Gabriël Smit
1
1
5
10
15
20
25
30
2
Werkelijk, ik leef in duistere tijden!
Het argeloze woord is dwaas, een glad voorhoofd
duidt op ongevoeligheid. Wie lacht
heeft het verschrikkelijke bericht
nog net niet gekregen.
35
Wat zijn dat voor tijden, waar
een gesprek over bomen haast een zonde is,
omdat het een zwijgen over zoveel wandaden inhoudt.
Wie daar rustig in de straat wandelt,
is hij onbereikbaar voor zijn vrienden
die in nood zijn?
40
Het is waar: ik verdien mijn kost nog,
maar geloof me: dat is louter toeval. Niets
van wat ik doe geeft me het recht mij vol te eten.
Toevallig bleef ik gespaard. (Wanneer mijn geluk uitvalt,
ben ik verloren.)
45
Men zegt mij: eet en drink. Wees blij dat je het hebt!
Maar hoe kan ik eten en drinken wanneer
ik de hongerenden ontroof wat ik eet, en
mijn glas water een dorstende ontbreekt?
En toch eet en drink ik.
50
Ik zou ook graag wijs zijn.
In de oude boeken staat wat wijs is:
je buiten de strijd van de wereld te houden en de korte tijd
doorbrengen zonder vrees.
Maar het zonder geweld klaarspelen,
kwaad met goed vergelden,
je wensen niet vervullen, maar vergeten,
ook dat is wijs.
Dit alles kan ik niet:
werkelijk, ik leef in duistere tijden!
3
60
65
70
75
Jij, die zult opduiken uit de maalstroom
waarin wij zijn ondergegaan,
gedenk,
wanneer je over onze zwakheden spreekt,
ook de duistere tijd
waaraan je zelf bent ontsnapt.
Vaker van landen wisselend dan van schoenen, doorstonden
wij de oorlogen van de klassen, vertwijfeld,
omdat er niets dan onrecht was en geen opstand.
Dit alles omdat wij toch weten:
ook de haat tegen de laagheid
verwringt de gezichten.
Ook de toorn om het onrecht
maakt de stem hees. Ach, wij
die de aarde wilden toerusten voor vriendelijkheid,
konden zelf niet vriendelijk zijn.
Jij echter, wanneer het zo ver is gekomen
dat de mens de mens een naaste is,
gedenk ons
met welwillendheid.
13
55
In de steden kwam ik tijdens jaren van chaos,
toen er honger heerste.
Onder de mensen kwam ik tijdens jaren van oproer
en ik deelde hun woede.
Zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was.
Mijn eten at ik tussen de veldslagen door,
ik legde mij te slapen tussen de moordenaars,
de liefde pleegde ik achteloos
en de natuur bekeek ik zonder geduld.
Zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was.
De straten voerden in mijn tijd naar het moeras.
De taal verried mij aan de beulen.
Ik kon weinig doen. Maar de heersers zaten
zonder mij vaster in het zadel, hoopte ik.
Zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was.
Mijn krachten waren pover. Het doel
lag in een duizelende verte.
Wel was het duidelijk zichtbaar, maar ook voor mij
nauwelijks te bereiken.
Zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was.
AN DIE NACHGEBORENEN – Bertolt
1
5
10
15
20
25
30
Brecht
I
II
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unemfpindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
35
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
40
Es ist wahr: ich verdiene meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: Das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin
ich verloren.)
45
Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
50
Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
55
III
60
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
65
70
75
Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.
14
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
A.1
Hintergrund-Informationen
Historisch-bibliographische Informationen
Smits Übersetzung Aan die na ons komen ist Teil der einsprachig niederländischen
Anthologie Grensverkeer. Sie erschien 1975 beim Verlag Ambo, einem Verlagshaus mit
einem literarischen und vor allem auch philosophisch-religiösen Programm. Die Quelltexte,
die Smit für seine Übersetzungen benutzt hat, sind nicht aufgeführt. Der Text erschien im
gleichen Jahr in einer Anthologie mit übersetzer Lyrik (Oosterhuis 1975) als textgleiche
Fassung.
Grensverkeer ist einer von insgesamt sieben Titeln die Smit bei Ambo veröffentlichte:
Psalmen opnieuw (1971)
Grensverkeer (1975)
Gedichten (1976)
Avondboek – teksten ter overweging (1978)
Beatrijs – de vroege tekst (1979)
Evenbeeld (1981)
De Psalmen (1986)
Psalmbereimung
übersetzte Gedichte
Anthologie seiner eigenen Gedichte
religiöse Texte, von Smit gesammelt
mittelniederländische Mariengeschichte, neu
bearbeitet und von Kommentar versehen von
Smit
posthum erschienen, Gedichte von Smit
Neue Bereimung der Psalme; Neuauflage,
Erstausgabe 1952 (Utrecht: Spectrum)
Kenntllichmachung als Übersetzung
Smits Grensverkeer ist auf dem ersten Blick nicht als Anthologie übersetzer Lyrik erkennbar;
so wird der Band in der Bibliographie des Werks Smits einfach als „verzamelbundel“
bezeichnet (Van Geelen 1981, Lissens 1986, Meeuwesse 1986). Das Titelblatt verrät aber,
daß es sich um Übersetzungen handelt: der Untertitel lautet „Vertaalde gedichten“.
Hintergrund-Informationen zum Übersetzer
Gabriël Smit (1910-1981) schrieb Prosa, Essays und Literaturkritiken. Er war in der
Kunstredaktion der Volkskrant tätig und war Mitherausgeber und Redakteur verschiedener
15
niederländischer Literaturzeitschriften. Er ist aber vor allem als Dichter bekannt. Smit trat
1934 in die katholische Kirche ein. Während der deutschen Besetzung trat er als einer der
wenigen bekannteren Autoren (neben Bouten und Van Deyssel) freiwillig dem „letterengilde“
der niederländischen Kulturkammer bei (Lewin 1986, S. 24). Paradoxerweise werden
gleichzeitig sechs seiner Gedichtbände im Untergrund illegal gedruckt und verbreitet.
Man könnte Smit als „Dichter-Übersetzer“ bezeichnen. Seine Anthologie Grensverkeer
enthält übersetzte Lyrik von Brecht und dreiunddreißig anderen Dichtern. Abgesehen von
diesem Band ist Smit nicht als Übersetzer in Erscheinung getreten.
Da Smit die Psalme neu bereimt hat, gehört er außerdem einer geläufigen Kategorie an,
über die Koster schreibt: „(…) in the system of Dutch literature individual poets translating
biblical poetry frequently occur” (2000: S. 55). Andere bekannte Vertreter dieser Gattung sind
Guillaume van der Graft und Ad den Besten.
Van Geelen bezeichnete die lyrische Produktion Smits als „elegisch-romantische poëzie“
(1981); laut Meeuwesse ist Smit “een van de meest authentieke religieuze dichters uit onze
moderne letterkunde (…)”(1986, S. 292). Hauptthema der Lyrik Smits sei „zijn verlangen
naar de nabijheid Gods in de aardse werkelijkheid.“ (ebd.) Gedichte schreiben sei für ihn
“vertalen van God in de werkelijkheid geworden of: Gods woord woord laten worden in het
zijne.” (ebd.)
Van Bork beobachet dieselbe Thematik: “De als pijnlijk ervaren scheiding tussen het
aardse en het hemelse zou daarin een polariteit zijn die aan het bestaan hier en nu zin verleent.
In zijn latere poëzie werd deze problematiek steeds duidelijker.” (1985) Im Denken und Werk
Smits sei aber am Ende der sechziger Jahre eine Wendung eingetreten, hin zu einem „zeer
persoonlijke toon in een mystiek getinte poëzie (…) Behalve de vrees voor overijling
behoedde hem een sterk maatschappelijk engagement. Dit alles voerde hem tot een’wending’
naar de aardse situatie; een georganiseerde geloofsgemeenschap als de rooms-katholieke kerk
kon hem niet meer leiden op deze weg; vandaar zijn uittreding in 1969. Op mijn woord (1968)
getuigt van een houding die haar grondslag vindt op en in deze wereld.” (ebd.)
Brackmann nimmt den Kirchenaustritt und die Wende bei Smit ähnlich wahr: “Ten slotte
keerde hij terug tot het aardse; Op mijn woord (1968) was hiervan het dichterlijk eindpunt.
Ook trad hij uit de Kerk.” (1996)
16
Hintergrund-Informationen Quelltext
Toury zufolge ist die Feststellung eines Quelltextes von wesentlicher Bedeutung, aber
keineswegs unproblematisch. Er zeigt verschiedene Schwierigkeiten auf, die richtige Quelle
zu finden (1995: S. 74ff.) Selbstverständlich sei es aber nicht erlaubt, irgendeine Version zum
Vergleich hinzuzuziehen (1995, S. 75.) Gabriël Smit äußert sich nicht zu seiner Quelle, es ist
aber trotzdem klar, daß das Original An die Nachgeborenen von Brecht ist; deswegen können
zum Quelltext in diesem Fall nur provisorische Äußerungen gemacht werden. Weil seine
Übersetzung 1975 veröffentlicht wurde, kommen nur Zieltextversionen vor dieser Zeit in
Frage. Nahe liegend als Quelle sind die Gesammelten Werke aus 1967, die von Van den
Bremt und Gielkens c.s. benutzt haben. Denkbar sind aber auch andere Fassungen, die
gegebenenfalls in Anthologien, Zeitschriften oder Zeitungen erschienen sind. Es würde aber
den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, alle möglichen Quelltexte aufzuspüren.
17
A.2
Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
Als erster Schritt des Verfahrens wird ein semantisch-pragmatisches Skelett des Zieltextes
erstellt. Dabei werden die situative Dimension des Textes festgestellt, die „poetische Stimme“
und die Persona identifiziert, die deiktischen Elemente erortert und die Gattung, Struktur und
Thema des Textes festgestellt.
Die wichtigsten Subjekte des Zieltext sind eine nachfolgende Gruppe, die im Titel Aan die na
ons komen angedeutet wird, und eine Persona, ein „ik“, das in der ersten Zeile eingeführt wird
und im ganzen Text die poetische Stimme darstellt. Diese Persona trifft auf eine
Gemeinschaft, die hungert, und solidarisiert sich mit ihr. Die Persona hat ebenfalls mit
Mördern, Henkern und Herrschenden zu tun. Außerdem begegnet die Persona ein „wie“, ein
anonymes Subjekt, das bestimmte Verhaltensweisen aufzeigt, („wie lacht…“, Zeile 3). Das
„ich“ befindet sich in einem Dialog mit diesem Subjekt. Neben der Persona bewegt sich ein
„jij“ , ein nachgeborenes Subjekt, das angesprochen wird; diesem „jij“ werden Hintergründe
erklärt. Dieses Objekt soll den Vorgängern, inklusive der erzählenden Persona, wenn die Welt
sich geändert hat, mit Nachsicht erinnern.
Im Text spielen Tiere oder lebendige, personifizierte Objekte keine Rolle. Die wichtigsten
Objekte sind Teil der Landschaft, die die Persona umgibt, wie Bäume, Straßen, Städte,
Länder, die Natur.
Der Zieltext von Smit besteht aus freien, ungereimten Versen. Das Gedicht besteht aus
insgesamt dreizehn Strophen und drei Teilen, die man als relativ autonom betrachten kann;
man könnte sie als drei eigenständige Texte lesen.
Der erste Teil enthält zwei Fragesätze, die die Verunsicherung der Persona und ihren
Konflikt mit der Welt, in der sie lebt, ausdrücken. Außerdem enthält die dritte Strophe
Befehls- oder Aufforderungssatz (Zeile 13: „geloof me“), Gegenüber wird zum ersten mal im
Gedicht direkt angesprochen.
Die direkte Rede in Zeile 17 ist ebenfalls Ausdruck der schwierigen Beziehung zwischen der
Persone und ihrer sozialen Umgebung. Das Umfeld wirft der Persona Undankbarkeit vor.
18
Anhand der Personalpronomina der ersten oder zweiten Person lassen sich die wichtigen
Subjekte feststellen:
Strophe
(Teil 1)
1
2
3
4
5
6
Personalpronomina der 1. und 2. Person
ik
ik mijn me ik me mij ik mijn ik
mij je (direkte Rede) ik ik ik mijn ik
ik
ik ik
(Teil 2)
7
8
9
10
ik ik ik mij
ik ik mij ik ik mij
mijn mij ik mij ik mij
mijn mij mij
(Teil 3)
11
12
13
jij wij je onze je
wij wij wij
jij ons
Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß im ersten Teil ausschließlich die erste Person Singular
verwendet wird. Im zweiten Teil des Gedichtes ist diese Person ebenfalls am häufigsten, sie
wird nur ein mal von einem Possessivpronomen der zweiten Person Plural abgelöst. Im dritten
Teil treten die erste und die zweite Person in ungefähr gleicher Frequenz auf.
Der erste Teil fängt mit einem sakral wirkenden Ausruf an. Im ersten Teil wird ein „ich“
eingeführt, das die Schwierigkeiten beschreibt, sich in den aktuellen finsteren Zeiten richtig
zu Verhalten. Als problematisch empfindet die Persona verschiedene Gegebenheiten des
Alltags: man könne nicht mehr lachen, nicht über Allerweltsthemen sprechen, nicht mehr
spazierengehen. „Normales“ Verhalten sei eine Verneinung der grausamen Wirklichkeit. Die
Tatsache, daß es der Persona gut geht und daß sie zu essen und trinken hat, sei lediglich
Zufall. Ihre Umgebung sagt der Persona, sie solle ob ihres Glückes froh sein – sie selbst habe
aber ein schlechtes Gewissen. Außerdem gelinge es der Persona nicht, sich der Tugenden alter
Verhaltenslehren, wie Gewaltlosigkeit, Angstfreiheit und Verzicht, anzunehmen. Die Aussage
bezüglich der schwierigen Zeit wird in der letzten Zeile des ersten Teils wiederholt
19
Der zweite Teil besteht vollständig aus Aussagesätzen und ist demnach eine Beschreibung.
Jede der vier Strophen wird mit dem gleichen Satz abgeschlossen. Im zweiten Teil schildert
die Persona, wie sie ihr Leben verbracht hat. Sie habe in einem Sumpf, einer kriegerischen
städtischen Landschaft agiert; diese Landschaft bestand aus einer chaotischen Gemeinschaft,
die sich in Aufruhr befand habe. Mit dieser Gemeinschaft habe die Persona sich solidarisiert.
Es tobten Schlachten, es herrschten Wut und Hunger. Die Persona habe mit Mördern verkehrt
und den Herrschern die Unterstützung verweigert. Dabei habe sie den einzigen positiv
besetzten Begriffen, Liebe und Natur, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die
Grundbedürfnisse Essen und Schlaf seien notdürftig befriedigt worden. In dieser Situation
haben ihre sprachlichen Äußerungen die Persona in Gefahr gebracht: sie haben das Interesse
der Henker erweckt. Die Persona habe sich in dieser Umgebung als zu schwach empfunden
und sei sich ihrer Wirkung nicht sicher gewesen – sie sei jedenfalls nicht in der Lage
gewesen, ein großes und wichtiges Ziel zu erreichen.
Der dritte besteht aus drei Strophen –die mittlere Strophe enthält nur Aussagesätzen, die
umringenden Strophen enthalten jeweils einen Befehls- oder Aufforderungssatz. In den
letzteren spricht die Persona sein Gegenüber direkt an.
Im dritten Teil spricht die Persona ein Gegenüber, ein „jij“ an. Sie und die Gemeinschaft, von
der sie ein Teil ist (ein „wij“), haben sich für den internationalen Klassenkampf viel bewegen
müssen und auf persönliche Bedürfnisse verzichtet. Dabei seien sie oft verzweifelt gewesen
und waren sie, was das Zwischenmenschliche anbelangt, nicht aufmerksam genug – es habe
ihnen an Geduld und Freundlichkeit gefehlt, obwohl sie gerade auch für diese Sachen
gekämpft haben. Wenn das Gegenüber in einer menschenfreundlichen Gesellschaft lebt, für
die die Persona und ihre Mitstreiter gekämpft haben, solle er sich nicht nur deren Fehler
entsinnen, sondern auch deren Bemühungen, eine bessere Welt herbeizuführen.
Der nächste Punkt ist das deiktische Zentrum, das „Hier“ und „Jetzt“ der Textwelt. Die
Persona berichtet aus einem nicht näher definierten Raum über ihre Vergangenheit und richtet
ein Aufforderung an die Nachgeborenen. Über ihren aktuellen Aufenthaltsort ist nichts in
Erfahrung zu bringen, nur über die Situation im Allgemeinen und über die Stadtlandschaft
und die Kriegsschauplätze, wo sie sich vorher aufgehalten hat.
Zur temporalen Deixis können Aussagen gemacht werden die sich auf bestimmte textuelle
Merkmale beziehen. Ein Anhaltspunkt ist die Anwesenheit von Zeitadverbien, wie „gestern“
20
oder „morgen“. Im vorliegenden Text fehlen diese gänzlich. Den temporalen deiktischen
Nullpunkt kann man anhand der Tempora feststellen:
Präsens
Teil 1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
Teil 2
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
Präteritum
Perfekt
Infinitiv
Präteritumperfekt
leef
is
duidt, lacht
heeft
gekregen
zijn
is
inhoudt
wandelt
is
zijn
is, verdien
geloof, is
doe, geeft
uitvalt
eten
bleef gespaard
ben verloren
zegt, eet,
drink, wees,
hebt
kan
ontroof, eet
ontbreekt
eet, drink
zou
staat, is
eten, drinken
zijn
houden
doorbrengen
klaarspelen
vergelden
vervullen,
vergeten
is
kan
leef
kwam
heerste
kwam
deelde
verging
gegeven was
at
legde
pleegde
bekeek
verging
slapen
gegeven was
voerden
verried
21
Futur
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
kon, zaten
hoopte
verging
gegeven was
waren
lag
was
bereiken
verging
gegevens was
Teil 3
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
zult opduiken
zijn
ondergegaan
gedenk
spreekt
bent ontsnapt
doorstonden
was
weten
verwringt
maakt
wilden
konden
toerusten
is gekomen
is
gedenk
Als Ergebnis ist festzuhalten, daß der erste Teil überwiegend Verben im Präsens und keine
einzige Präteritum-Bildung enthält, der zweite Teil überwiegend im Präteritum und keine
Präsens-Formen hat, und im dritten Teil hauptsächlich und zu nahezu gleichen Teilen
Präsens- und Präteritum-Bildungen vertreten sind. Dies geht konform der Thematik der drei
Teile des Gedichts – erstens eine Schilderung einer schwierigen und konfliktreichen
Gegenwart, zweitens die Probleme einer vergangenen Zeit und drittens eine Rechtfertigung
und ein Appell für die Zukunft.
Beziehung zwischen coding time/content time
Die Persona erzählt von der heutigen Zeit aus; sie beschreibt die aktuelle schwierig Lage, die
„finsteren Zeiten“, und die Vorgeschichte. Ihre Aufforderung richtet sich an die Zukunft. Es
gibt also drei Zeitbezüge: das Jetzt, in dem die Perona spricht, berichtet und
22
anspricht/auffordert, die Vergangenheit, die beschrieben wird, und die Zukunft, der die
Aufforderung/der Aufruf an die Nachgeborenen gilt.
23
A.3
Vergleich semantisch-pragmatisches Skeletts Zieltext/Quelltext
Als zweiter Schritt der Analyse werden die Ergebnisse des semantisch-pragmatischen Skeletts
mit dem Quelltext verglichen. Die Frage dabei ist, ob die Ergebnisse auch für den Quelltext
gelten. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte das semantisch-pragmatische Skelett sollte derartig
erarbeitet werden, daß eine Überstimmung gegeben ist. Falls auf dieser Ebene substantielle
Verschiebungen stattfinden, sollten diese erfasst werden.
Erstens ist zu bemerken, daß wir von einem provisorischen Quelltext ausgehen müssen, da
in Gabriël Smits Sammlung Grensverkeer keine Angaben zu den verwendeten Vorlagen
gemacht werden. Ausgegangen wird von der Gedichtfassung, die in 1967 in den Gesammelten
Werken Brechts veröffentlicht wurde.
Das semantisch-pragmatische Skelett besteht aus Daten, die sich auf die Subjekte, Objekte,
Situationen, Deixis, Gattung, Struktur und Thematik beziehen. In diesen Punkten stimmen
Ziel- und Quelltext im Wesentlichen überein. Eine Überarbeitung des semantischpragmatischen Skeletts ist demnach nicht erforderlich; das Skelett ist in der vorliegenden
Form als tertium comparationis brauchbar.
Nichtsdestotrotz gibt es zwischen dem Ziel- und Quelltext einen wesentlichen Unterschied.
Die Verschiebung ereignet sich auf der Ebene der Subjekte. Während im Zieltext die
wichtigsten Subjekte ein „ich“ und ein „du“ sind, treten im Quelltext ein „ich“ und ein „ihr“
auf. Somit gibt es in diesem Punkt einen substantiellen Unterschied zwischen den beiden
Textwelten. Das einzelne Gegenüber, das im Zieltext angesprochen wird, rückt den Text in
ein persönliches, fast intimes Licht – der Quelltext dahingegen ist vielmehr ein Monolog an
die Gemeinschaft, an die Nachwelt.
24
A.4
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
Zieltext Smit
Nominalphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord, een glad voorhoofd
ongevoeligheid, het verschrikkelijke bericht
wat zijn dat voor tijden
een gesprek over bomen, een zonde
een zwijgen, zoveel wandaden
in de straat
zijn vrienden
in nood
mijn kost
louter toeval
recht
mijn geluk
de hongerenden
glas water, een dorstende
in de oude boeken
buiten de strijd van de wereld, de korte tijd
zonder vrees
zonder geweld
kwaad met goed vergelden
je wensen
in duistere tijden
in de steden, tijdens jaren van chaos
honger
onder de mensen, tijdens jaren van oproer
hun woede
de tijd
op aarde
mijn eten, tussen de veldslagen door
tussen de moordenaars
de liefde
de natuur, zonder geduld
de tijd
op aarde
de straten, in mijn tijd, naar het moeras
de taal, aan de beulen
de heersers
in het zadel
de tijd
op aarde
mijn krachten, het doel
in een duizelende verte
-
Quelltext*
Nominalphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort, eine glatte Stirn
Unempfindlichkeit, der Lachende
die furchtbare Nachricht
was sind das für Zeiten
ein Gespräch über Bäume, ein Verbrechen
ein Schweigen, so viele Untaten
über die Straße
seine Freunde
in Not
meinen Unterhalt
nur ein Zufall
mein Glück
dem Hungernden
Glas Wasser, einem Verdurstenden
in den alten Büchern
aus dem Streit der Welt, die kurze Zeit
ohne Furcht
ohne Gewalt
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche
in finsteren Zeiten
in die Städte, zur Zeit der Unordnung
Hunger
unter die Menschen, zur Zeit des Aufruhrs
meine Zeit
auf Erden
mein Essen, zwischen den Schlachten
unter die Mörder
der Liebe
die Natur, ohne Geduld
meine Zeit
auf Erden
die Straßen, in den Sumpf, zu meiner Zeit
die Sprache, dem Schlächter
die Herrschenden
meine Zeit
auf Erden
die Kräfte, das Ziel
in großer Ferne
-
25
54 de tijd
55 op aarde
56 uit de maalstroom
57 58 59 onze zwakheden
60 de duistere tijd
61 62 vaker van landen wisselend dan van schoenen
63 de oorlogen van de klassen
64 niets dan onrecht, geen opstand
65 66 de haat tegen de laagheid
67 de gezichten
68 de toorn om het onrecht
69 de stem
70 de aarde, voor vriendelijkheid
71 72 73 de mens de mens, een naaste
74 75 met welwillendheid
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
meine Zeit
auf Erden
aus der Flut
unseren Schwächen
der finsteren Zeit
öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
die Kriege der Klassen
nur Unrecht, keine Empörung
der Haß gegen die Niedrigkeit
die Züge
der Zorn über das Unrecht
die Stimme
den Boden, für Freundlichkeit
der Menschen dem Menschen, ein Helfer
mit Nachsicht
Bei der Suche nach Verschiebungen kann man zuerst feststellen, an welchen Stellen
Nominalphrasen im Zieltext keine Entsprechung im Quelltext haben und umgekehrt. Dies
lässt sich in einigen Fällen beobachten, zunächst in der Zeile:
Zieltext Smit
Nominalphrasen
3
ongevoeligheid, * provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Nominalphrasen
Unempfindlichkeit, der Lachende
Der Zieltext Smits enthält in Zeile 3 ein Nomen, wohingegen der mutmaßliche Quelltext
außerdem die Nominalphrase „der Lachende“ enthält. Auf dieser Ebene tritt demnach eine
Verschiebung hervor. Der Sachverhalt findet sich im Zieltext aber schon wieder, in der
Verbalphrase „wie lacht“ – statt eines Nomens wurde hier das Stammverb „lachen“ von
einem determinativ-relativ gebrauchten Relativpronomen („wie“) versehen, das kein
selbständiges Antezedens hat, sondern dieses in sich einschließt. Die syntaktische Funktion
des Pronomens ist vergleichbar mit dem Satzglied „jeder, der …“.
Was hat sich da nun verschoben? Es ist, was die Verschiebung betrifft, sinnvoll, zu
gucken, wie Smit in einem ähnlichen Fall vorgegangen ist:
Zieltext Smit
9
Wie daar rustig in de straat wandelt
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Der dort ruhig über die Straße geht
26
Hier wurde, wie in der dritten Zeile, das Relativpronomen „wie“ benutzt. Smit bewegt sich
mit dieser Wahl innerhalb des niederländischen linguistisch-kulturellen Systems. Benutzung
eines bestimmten Artikels (entsprechend „der Lachende) oder eines Relativpronomens
(entsprechend „der“ in Zeile 9) wäre in diesem Fall als individuelle Verschiebung zu
bewerten gewesen; die Änderung wäre einer persönlichen Entscheidung des Übersetzers
zuzuschreiben. Der Gebrauch des Pronomens „wie“ ist derweil als konstitutive und formelle
Verschiebung zu aufzufassen – für die Makrostruktur des Textes und für die Erarbeitung der
Textwelt sind keine Schlüsse zu ziehen.
Die Zeile 14 zeigt ebenfalls eine Verschiebung, was die Anwesenheit eines Nomens betrifft:
Zieltext Smit
Nomina
14 recht
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Nomina
-
Das Auftreten eines Nomens, das keine Entsprechung im Zieltext findet, kann man in diesem
Fall als konstitutive Verschiebung betrachten, die demzufolge dem Unterschied zwischen den
linguistischen Systemen der niederländischen und der deutschen Sprache zugeordnet werden
kann. Auf der mikrostrukturellen Ebene in den Nominalphrasen „geeft me het recht“ und
„berechtigt mich dazu“ wird also eine formelle Verschiebung festgestellt, die keinen
wesentlichen Einfluss auf die makrostrukturelle Ebene hat – der übersetzerischen
Interpretation Smits kann man sich anhand der Verschiebung nicht nähern, sie ist in unserem
Rahmen nicht substantiell.
Die nächste Diskrepanz auf der Ebene der Nominalphrasen findet sich in Zeile 35:
Zieltext Smit
Nomina
35 woede
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Nomina
-
Das Verfahren sieht vor, daß man die Checkliste von Leech bei der Analyse der Listen zu
Hilfe zieht. Leech 1981 hat eine Liste mit Fragen erstellt, anhand derer man die “artistic
principles underlying a writer’s choice of language” (Leech 1981: S. 74) ermitteln kann. Die
Checklist von Leech ist in vier Hauptkategorien eingeteilt: eine lexikalische Kategorie, eine
grammatikalische Kategorie, eine Kategorie der Redewendungen und eine Kategorie der
Zusammenhänge und Kontext. Für die Analyse der Zeile 35 wäre die Kategorie „Context and
cohesion“ hilfreich.
27
Die entsprechende Zeile im Quelltext lautet: „ich empörte mich mit ihnen“. Eine mögliche
Bedeutung des Verbs „sich empören“ ist „sich auflehnen“ oder „Widerstand leisten“. Da Smit
in Zeile 34 bereits das Nomen „oproer“ verwendet hat, bestünde die Möglichkeit einer
teilweisen Wiederholung, z.B. „opstand“. So könnte hier ein “artistic principle underlying a
writer’s choice of language” vorliegen, indem Smit ein Phänomen anwendet, das Leech als
„avoidance of repetition by the substitution of a descriptive phase“ bezeichnet – Smit
vermeidet eine Wiederholung auf dem engen Raum von nur zwei Zeilen und beschreibt das
Gefühl der Empörung mittels „woede“. Eine größere Distanz im Text steht einer
Wiederholung nicht im Wege: In Zeile 64 wurde „opstand“ verwendet als Übersetzung von
„Empörung“.
Die Verwendung des Nomens in Zeile 35 kann dementsprechend als individuelle
Verschiebung bezeichnet werden. Sie kann den expressiven Neigungen des Übersetzers und
zugeordnet werden und hat einen Einfluss auf makrostruktureller Ebene.
Zeile 47 des Zieltextes enthält das Nomen „zadel“, während der Quelltext keine
entsprechende Nominalphrase enthält:
Zieltext Smit
Nomina
47 in het zadel
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Nomina
-
Die Stelle im Zieltext lautet: „de heersers zaten zonder mij vaster in het zadel“. Smit
verwendet eine Metapher in der Form der Synekdoche (Bronzwaer 1993, S. 167ff.) „vast(er)
in het zadel zitten“. Die entsprechende Stelle im Quelltext lautet: „die Herrschenden saßen
ohne mich sicherer“. Die zugrundelliegende Synekdoche der Stelle lautet: „die Herrschenden
saßen sicher(er)“. Laut Bronzwaer (ebd.) ist die „strekking“ der beiden Synekdoche
deckungsgleich; insofern tritt keine Verschiebung auf. Die Anwesenheit des Nomens im
Zieltext kann in dem Sinne nicht also individuelle oder substantielle Verschiebung, sondern
als formelle Verschiebung aufgefasst werden.
Eine zweite Kategorie der Verschiebung tritt in der Benutzung von Singular- und PluralFormen der Substantive auf.
In Zeile 19 hat Smit ein Plural und Brecht ein Singular verwendet:
19
Zieltext Smit
Nomina
de hongerenden
Quelltext*
Nomina
dem Hungernden
28
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
In der nächsten Zeile stimmt der Numerus der beiden Nomina überein:
Zieltext Smit
Nomina
20 een dorstende
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Nomina
einem Verdurstenden
Die Persona fragt sich in der betroffenen Strophe, wie er ganz normal essen und trinken sollte,
obwohl es viele Menschen gibt, die zu wenig oder nichts zu essen und zu trinken haben. Im
Quelltext sind der Hungernde und der Durstende im Singular; im Zieltext ist der Hungernde
auch im Singular, während der Verdurstende im Plural ist. Somit bewegen sich im Zieltext die
beiden Sachverhalte (Vorenthalten von Essen und Trinken) was die Beziehung zwischen der
Persona und der Not leidenden Umwelt betrifft auf der gleichen Ebene: die Synekdoche
bezieht sich auf ein „pars pro toto“ – eine Instanz steht der Persona sozusagen direkt
gegenüber, stellvertretend für die gebeutelten Massen. Bei Smit dahingegen ist diese
Beziehung in der Synekdoche zunächst kein „pars pro toto“: die Persona ist mit mehreren
hungernden Menschen konfrontiert. Gleich im Anschluß ist eine Beziehung als „pars pro
toto“ gegeben. In den zwei Zeilen Smits wird die Lage zugespitzt. Es findet demnach eine
Entwicklung statt, die von einem eher allgemeinen zu einer eher spezifischen Zustand läuft –
von der Konfrontation mit einer Masse zur Konfrontation mit einem Einzelnen. Im Quelltext
ist die Entwicklung nicht enthalten. Die Verschiebung, die hier festgestellt wird, liegt nach
dieser Erklärung im individuellen Bereich und sollte als substantiell bezeichnet werden; sie ist
für die Analyse der übersetzerischen Interpretation von Bedeutung.
Die Frage des Numerus der Substantive stellt sich auch in der Zeile 45:
Zieltext Smit
Nomina
45 aan de beulen
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Nomina
dem Schlächter
Im Zieltext ist die Plural-, im Quelltext die Singular-Form verwendet worden. Die
semantische Konnotation des „Schlächters“ ist eher quantitativ ausgerichtet; ein Schlächter
bewegt sich in der Nähe des Massenmörders. Der „beul“ ähnelt ist dem Henker oder
Scharfrichter ähnlich und beschäftigt sich eher mit einzelnen Hinrichtungen. Smit hat diesen
Aspekt des Vereinzelung mit einem Plural gekontert, so daß die Quantität auch im seinem
29
Text gegeben ist. Die Verschiebung, die hier auf der Ebene des Numerus stattfindet, ist also
auf der semantischen Ebene als individueller Kunstgriff des Übersetzters zu betrachten.
Ein dritter Typus der Verschiebung, die in der Liste der Nominalphrasen auftritt, stellt die
Verschiebung im Bereich des Registers vor. Das Phänomen ist in den folgenden Zeilen
vorzufinden:
Zieltext Smit
Nomina
7
een zonde
73 een naaste
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Nomina
ein Verbrechen
ein Helfer
Bei der Analyse dieser Zeilen kann die Checkliste von Leech angewandt werden. In diesem
Fall ergibt die Kategorie des Registers eine Verschiebung. Als Register betrachtet Leech
„language variation of a non-dialectal type“; als Beispiel erwähnt er die Variante der
religiösen Sprache (Leech & Short 1981, S. 80). Man kann die vorliegenden Zeilen also nach
diesem Prinzip befragen, eine Tabelle sieht dann so aus:
Zieltext Smit
Nomina aus dem religiösen Register
7
een zonde
73 een naaste
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Nomina aus dem religiösen Register
-
Beide Zeilen, die am Anfang und am Ende des Gedichts stehen, enthalten im Zieltext
Begriffe, die eindeutig dem christlich-biblischen semantischen Feld angehören – eine
Entsprechung ist auf dieser Ebene im Quelltext nicht gegeben. Die Verschiebung im Register
ist eine individuelle, sie ist einer Entscheidung des Übersetzers zuzuschreiben. Die Textwelt
des Zieltexts ist diesem Einfluss ausgesetzt.
30
47
Zieltext Smit
Verbalphrasen
ik leef in duistere tijden
het argeloze woord is dwaas
duidt, lacht
heeft
gekregen
wat zijn dat voor tijden
haast een zonde is
inhoudt
wandelt
is hij onbereikbaar
die in nood zijn
het is waar, ik verdien mijn kost nog
geloof me, dat is louter toeval
niets van wat ik doe, geeft me het recht, mij vol
te eten
toevallig bleef ik gespaard, wanneer mijn geluk
uitvalt
ben ik verloren
men zegt mij, eet en drink, wees blij dat je het
hebt
maar hoe kan ik eten en drinken
wanneer ik de hongerenden ontroof wat ik eet
mijn glas water een dorstende ontbreekt
en toch eet en drink ik
ik zou ook graag wijs zijn
staat wat wijs is
je buiten de strijd van de wereld te houden
de korte tijd doorbrengen zonder vrees
het zonder geweld klaarspelen
kwaad met goed vergelden
je wensen niet vervullen, maar vergeten
ook dat is wijs
dit alles kan ik niet
ik leef in duistere tijden
in de steden kwam ik
toen er honger heerste
onder de mensen kwam ik
en ik deelde hun woede
zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was
mijn eten at ik
ik legde mij te slapen
de liefde pleegde ik achteloos
de natuur bekeek ik zonder geduld
zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was
de straten voerden in mijn tijd naar het moeras
de taal verried mij aan de beulen
ik kon weinig doen, de heersers zaten zonder mij
vaster in het zadel
hoopte ik
48
49
50
zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was
mjin krachten waren pover
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
Quelltext*
Verbalphrasen
ich lebe in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht
deutet hin, hat
empfangen
was sind das für zeiten
fast ein Verbrechen ist
einschließt
geht
ist wohl nicht mehr erreichbar
die in Not sind
es ist wahr, ich verdiene meinen Unterhalt
glaubt mir, das ist nur ein Zufall
nichts von dem was ich tue, berechtigt mich dazu,
mich sattzuessen
zufällig bin ich verschont, wenn mein Glück aussetzt,
bin
ich verloren
man sagt mir, iß und trink du, sei froh daß du hast
aber wie kann ich essen und trinken
wenn ich dem Hungernden entreiße was ich esse
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt
und doch esse und trinke ich
ich wäre auch gerne weise
steht was weise ist
sich aus dem Streit der Welt halten halten
die kurze Zeit ohne Furcht verbringen
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
gilt für weise
alles das kann ich nicht
ich lebe in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
als da Hunger herrschte
unter die Menschen kam ich
und ich empörte mich mit ihnen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
mein Essen aß ich
schlafen legte ich mich
der Liebe pflegte ich achtlos
die Natur sah ich ohne Geduld
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit
die Sprache verriet mich dem Schlächter
ich vermochte nur wenig
die Herrschenden saßen ohne mich sicherer, das hoffte
ich
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Kräfte waren gering
31
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
het doel lag in een duizelende verte
wel was het duidelijk zichtbaar
maar ook voor mij nauwelijks te bereiken
zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was
jij, die zult opduiken uit de maalstroom
waarin wij zijn ondergegaan
gedenk
wanneer je over onze zwakheden spreekt
waaraan je zelf bent ontsnapt
vaker van landen wisselend dan van schoenen,
doorstonden wij de oorlogen van de klassen
63 64 omdat er niets dan onrecht was
65 dit alles omdat wij toch weten
66 67 [de haat tegen de laagheid] verwringt de
gezichten
68 69 [de toorn om het onrecht] maakt de stem hees
70 [wij] die de aarde wilden toerusten voor
vriendelijkheid
71 [wij] konden zelf niet vriendelijk zijn
72 wanneer het zo ver is gekomen
73 dat de mens de mens een naaste is
74 gedenk ons
75 * provisorischer Quelltext: Brecht 1967
das Ziel lag in großer Ferne
es war deutlich sichtbar
wenn auch für mich kaum zu erreichen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
in der wir untergegangen sind
gedenkt
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
der ihr entronnen seid
gingen wir doch, öfter die Schuhe als die Länder
wechselnd
wenn da nur Unrecht war
dabei wissen wir doch
[der Haß gegen die Niedrigkeit] verzerrt die Züge
[der Zorn über das Unrecht] macht die Stimme heiser
[wir] die wir den Boden bereiten wollten für
Freundlichkeit
[wir] konnten selber nicht freundlich sein
wenn es so weit sein wird
daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
gedenkt unsrer
-
Zeile 3 enthält eine erste Verschiebung:
Zieltext Smit
Verbalphrasen
3
lacht
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Verbalphrasen
-
Der Zieltext enthält eine Verbalphrase und der Quelltext nicht. Die Analyse der
Verbalphrasen überschneidet sich hier mit der Analyse der Nominalphrasen. Die festgestellte
Verschiebung wird an der entsprechenden Stelle besprochen.
Wie bei den Nominalphrasen, ergibt eine Analyse des Numerus einige Verschiebungen:
Zieltext Smit
Verbalphrasen
13 geloof me, dat is louter toeval
56 jij, die zult opduiken uit de maalstroom
58 gedenk
61 waaraan je zelf bent ontsnapt
74 gedenk ons
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Verbalphrasen
glaubt mir, das ist nur ein Zufall
ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
gedenkt
der ihr entronnen seid
gedenkt unsrer
32
Sowohl Ziel- als Quelltext enthalten haben einen dialogischen Charakter: die Verben sind in
der 2. Person aufgestellt. Der Unterschied liegt auf der Ebene des Numerus. Im Zieltext
handelt es sich um Singular-Bildungen, während der Quelltext Verben in der 2. Person Plural
enthält. Dabei kann man die Verbbildung „geloof me“ in Zeile 13 auch als Pluralform
betrachten, da es im niederländischen Sprachsystem zunehmend üblicher wird, auch beim
Ansprechen mehrerer Menschen die (ursprüngliche) Singularform zu verwenden. Dahingegen
trägt es sich bei den restlichen vier Verbalphrasen anders zu. In diesen Fällen wird eindeutig
eine Person, ein „jij“ angesprochen. Diese auf mikrostruktureller Ebene haben einen
deutlichen Einfluss auf makrostruktureller Ebene. Sie bestimmen die Realisierung der
Textwelt und müssen dementsprechend bei der Feststellung der übersetzerischen
Interpretation einbezogen werden.
Zeile 40 enthält einen anderen Typus derVerschiebung:
Zieltext Smit
Verbalphrasen
40 de liefde pleegde ik achteloos
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Verbalphrasen
der Liebe pflegte ich achtlos
Es handelt sich hier um eine Verschiebung auf der semantischen Ebene. Trotz der ähnlichen
Schreibweise, gehören die Verben unterschiedlichen semantischen Felder an. Das Verb
„plegen“ findet man nur in Zusammenhang mit dem semantischen Feld „Verbrechen“, in der
Bedeutung „verüben“. Das deutsche Verb „pflegen“ dahingegen gehört eher dem Feld
„betreiben“, „sich mit etwas beschäftigen“ an, und bezieht sich auf eine eher allgemeine
Aktivität. Von der Semantik her hat die Zeile im Zieltext eine kriminalistische Konnotation,
während der Zieltext auf eine vielmehr beiläufige Aktion abzielt. Damit ist eine individuelle
Entscheidung des Übersetzers und eine individuelle, substantielle Verschiebung gegeben.
33
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
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17
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19
20
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31
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40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
Zieltext Smit
Präpositionalphrasen
in duistere tijden
duidt op ongevoeligheid
een gesprek over bomen
een zwijgen over zoveel wandaden
in de straat wandelt
onbereikbaar voor zijn vrienden
die in nood zijn
in de oude boeken
je buiten de strijd van de wereld te houden
het zonder geweld klaarspelen
kwaad met goed vergelden
in duistere tijden
in de steden kwam ik
onder de mensen kwam ik
op aarde
tussen de veldslagen door
tussen de moordenaars
op aarde
in mijn tijd, naar het moeras
verried mij aan de beulen
vaster in het zadel
op aarde
in een duizelende verte
maar ook voor mij
op aarde
Quelltext*
Präpositionalphrasen
in finsteren Zeiten
deutet auf Unempfindlichkeit hin
ein Gespräch über Bäume
ein Schweigen über so viele Untaten
über die Straße geht
nicht mehr erreichbar für seine Freunde
die in Not sind
in den alten Büchern
sich aus dem Streit der Welt halten
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
unter die Menschen
ich empörte mich mit ihnen
auf Erden
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
auf Erden
in den Sumpf zu meiner Zeit
auf Erden
in großer Ferne
wenn auch für mich
auf Erden
34
56 zult opduiken uit de maalstroom
57 58 59 wanneer je over onze zwakheden spreekt
60 61 62 van landen wisselend, van schoenen
63 64 65 66 haat tegen de laagheid
67 68 toorn om het onrecht
69 70 de aarde wilden toerusten voor vriendelijkheid
71 72 73 74 75 met welwillendheid
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
auftauchen werdet aus der Flut
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
durch die Kriege der Klassen
Haß gegen die Niedrigkeit
Zorn über das Unrecht
den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
mit Nachsicht
Aus der Liste ist ersichtlich, daß in einigen Fällen der Zieltext eine Präpositionalphrase
enthält und der Quelltext nicht oder umgekehrt. Die erste Zeile, für die dies zutrifft, ist Zeile
35:
Zieltext Smit
Präpositionalphrasen
35 * provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Präpositionalphrasen
ich empörte mich mit ihnen
Die Zeile lautet im Zieltext „ik deelde hun woede“. In diesem Fall überschneidet sich die
Verschiebung mit dem Sachverhalt, der bei der Analyse der Nominalphrasen behandelt
wurde.
In drei Fällen enthält der Zieltext eine Präpositionalphrase und die entsprechende Zeile des
Quelltextes nicht.
Zieltext Smit
Präpositionalphrasen
45 verried mij aan de beulen
47 vaster in het zadel
62 van landen wisselend, van schoenen
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Präpositionalphrasen
-
Dabei handelt es sich in zwei Fällen um formelle, konstitutive Verschiebungen, die den
betroffenen sprachlichen Systemen zugeordnet werden müssen:
35
Zieltext Smit
Präpositionalphrasen
45 verried mij aan de beulen
62 van landen wisselend, van schoenen
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Präpositionalphrasen
-
Die syntaktische Funktion, die die Präposition „aan“ in Zeile 45 innehat, wird im Quelltext
durch den deklinierten Artikel „dem“ vertreten („die Sprache verriet mich dem Schlächter“).
Gleiches gilt für Zeile 62, in der die syntaktische Rolle der Präposition „van“ im deutschen
Verb „wechseln“ inkorporiert ist. Demzufolge handelt es sich in beiden Fällen um
Verschiebungen, die für die Textwelt und die übersetzerische Interpretation nicht von
Bedeutung sind.
Der dritte Fall, in dem im Zieltext eine Präpositionalphrase vorliegt und im Quelltext nicht,
findet sich in Zeile 47:
Zieltext Smit
Präpositionalphrasen
47 vaster in het zadel
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Präpositionalphrasen
-
Eine Überschneidung der Analyse ist auch hier gegeben, da die betroffene Zeile schon im
Rahmen der Nominalphrasen behandelt wurde.
36
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
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21
22
23
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25
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29
30
31
32
33
34
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36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
Zieltext Smit
Adverbialphrasen
in duistere tijden
nog net niet
rustig
louter toeval
wees blij
graag
zonder vrees
zonder geweld
in duistere tijden
tijdens jaren van chaos
toen er honger heerste
tijdens jaren van oproer
tussen de veldslagen door
tussen de moordenaars
achteloos
zonder geduld
weinig
[zaten] zonder mij vaster in het zadel
duidelijk zichtbaar
nauwelijks te bereiken
-
Quelltext*
Adverbialphrasen
in finsteren Zeiten
nur noch nicht
ruhig
nur ein Zufall
sei froh
gerne
ohne Furcht
ohne Gewalt
in finsteren Zeiten
zur Zeit der Unordnung
als da Hunger herrschte
zur Zeit des Aufruhrs
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
achtlos
ohne Geduld
nur wenig
saßen ohne mich sicherer
deutlich sichtbar
kaum zu erreichen
-
37
56 57 58 59 60 61 62 63 vertwijfeld
64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 * provisorischer Quelltext: Brecht 1967
verzweifelt
-
Im Rahmen der Adverbialphrasen ist lediglich eine Verschiebung festzustellen, die sich in der
fünften Zeile befindet:
Zieltext Smit
Adverbialphrasen
5
nog net niet
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Adverbialphrasen
nur noch nicht
Der Zeitpunkt, zu dem “der Lachende“ aus den vorhergenden Zeilen, die „furchtbare
Nachricht“ empfängt oder noch nicht empfängt, ist im Quell- und Zieltext unterschiedlich. Im
Zielltext steht der Erhalt der Nachricht unmittelbar bevor, wohingegen sie im Quelltext in
einer nicht näher bestimmten Zukunft eintreffen wird. Diese Änderung auf der Ebene der
Semantik stellt eine individuelle und substantielle Verschiebung dar, die ihren Einfluß auf die
Gestaltung der Textwelt hat.
38
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
Zieltext Smit
Adjektivphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord is dwaas, een glad voorhoofd
het verschrikkelijke bericht
onbereikbaar
wijs
in de oude boeken, wijs
de korte tijd
wijs
in duistere tijden
mijn krachten waren pover
in een duizelende verte
duidelijk zichtbaar
-
Quelltext*
Adjektivphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht, eine glatte Stirn
die furchtbare Nachricht
nicht mehr erreichbar
weise
in den alten Büchern, weise
die kurze Zeit
weise
in finsteren Zeiten
die Kräfte waren gering
in großer Ferne
deutlich sichtbar
-
39
55 56 57 58 59 60 de duistere tijd
61 62 63 64 65 66 67 68 69 hees
70 71 vriendelijk
72 73 74 75 * provisorischer Quelltext: Brecht 1967
der finsteren Zeit
heiser
freundlich
-
Im Bereich der Adjektivphrasen kann in Zeile 51 eine Verschiebung festgestellt werden:
Zieltext Smit
Adjektivphrasen
51 in een duizelende verte
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Adjektivphrasen
in großer Ferne
Das Adjektiv „duizelende“ stammt vom Verb „duizelen“, das ein gewisses Schwindelgefühl
beschreibt. Die Adjektivbildung ist im alltäglichen Sprachgebrauch ungewöhnlich und gibt
dem Antezedens ein bestimmtes poetisches Gewicht. Die Adjektivphrase „[das Ziel lag] in
großer Ferne“ weist auf eine bedeutende Distanz hin; sie ist zwar auch metaphorisch geladen,
bedient sich aber einer eher lapidaren bildlichen Sprache. Auf der Ebene des Stils stellt dieser
Sachverhalt demnach eine Verschiebung dar, die nicht in unmittelbarer Beziehung zu den
Unterschieden zwischen den beiden sprachlichen oder kulturellen System gestellt werden
kann. Es handelt sich um eine Entscheidung des Übersetzers, die als Zeichen seiner
Interpretation betrachtet werden kann. Die vorliegende Verschiebung ist für die Analyse also
von substantieller Bedeutung.
Was die Segmentierung der beiden Texte betrifft, läßt sich ebenfalls eine Verschiebung
feststellen. Wir gehen provisorisch davon aus, daß Smit als Quelltext die Gedicht-Version aus
den Gesammelten Werke aus 1967 benutzt hat. Im Vergleich zu diesem Text ergeben sich
zwei Änderungen auf der Ebene der Strophik. So enthält der Zieltext nach der
40
fünfundzwanzigsten Zeile eine Leerzeile, die im (mutmaßlichen) Quelltext nicht gegeben ist.
Die Folge ist, daß Smit die letzte Strophe des ersten Teils des Gedichts teilt. Die
grammatikalische Abgrenzung zwischen den beiden Strophen durch die restriktive
Konjunktion „maar“ in Zeile 26 und die typographische Trennung durch eine eingefügte
Leerzeile verstärken sich gegenseitig. Im Quelltext befindet sich keine vergleichbare
Bruchstelle, nicht auf der grammatikalischen noch auf der typographischen Ebene. Vielmehr
werden hier gleichrangige Elemente aneinder gereiht.
Die zweite Verschiebung auf der Ebene der Strophik ereignet sich im dritten Teil des
Gedichts; sie verhält sich diametral zu der eben genannten Verschiebung. In diesem Fall
wurde keine Leerzeile hinzugefügt, sondern getilgt – wo der Quelltext zwischen der 64. und
der 65. Zeile ein Leerzeile enthält, läuft der Zieltext weiter ohne typographische Trennung.
Auch in diesem Fall findet die physische Zusammenführung eine wechselseitige Verstärkung
auf der grammatikalischen Ebene: er wird eine kausale Konjunktion („omdat“) verwendet, die
die Ursache eines Sachverhalts angibt. Es könnte eine kausale Beziehung zwischen dem
ganzen vorhergehenden Text und einer Art Schlußfolgerung existieren – die Redewendung
„dit alles“ könnte sich auf den ganzen Text vor der Konjunktion beziehen. Die QuelltextKonjunktion „dabei“ ist dahingegen konzessiv oder einräumend zu verstehen: sie drückt einen
nicht wirksamen Gegengrund, ein „obwohl“ aus. Damit liegt hier eine unterschiedliche
grammatikalische Konjunktion vor.
Eine weitere praktische Handreichung, die die Checkliste von Leech und Short bietet, ist die
Analyse der Wortklassen. Für eine Studie seien u.a. Präpositionen, Konjunktionen,
Pronomina, Bestimmwörter, Hilfsverben, Interjektionen geeignet (Leech und Short 1981, S.
78). Zunächst wird eine Liste der verwendeten Konjunktionen erstellt.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Zieltext Smit
Konjunktionen
omdat
-
Quelltext*
Konjunktionen
weil
-
41
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
maar
wanneer
maar, en, wanneer
en
en
en
maar
maar
toen
en
en
maar
maar [ook]
wanneer
omdat, en
omdat
-
aber
wenn
aber, und, wenn
und
und
und
sondern
als
und
und
aber
wenn auch
wenn
wenn, und
dabei
-
42
69 70 71 72 wanneer
73 74 75 * provisorischer Quelltext: Brecht 1967
wenn
-
Beim Vergleich fällt auf, daß die Verwendung der Konjunktionen größtenteils übereinstimmt.
Es treten jedoch auch einige Verschiebungen hervor. Die erste Verschiebung ist in Zeile 26
festzustellen:
Zieltext Smit
Konjunktionen
26 maar
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Konjunktionen
-
Bei Smit lautet die Zeile „Maar het zonder geweld klaarspelen“, im Quelltext „Auch ohne
Gewalt auskommen“. Während Smit hier die restriktive Konjunktion „maar“ benutzt, gehört
„auch“ als Gradpartikel einer anderen Wortklasse an. Mit dem einschränkenden Bindewort
bewirkt der Übersetzer eine grammatikalische Abgrenzung zwischen den beiden Seiten, die
inhaltlich auch durch eine vorhergehende Leerzeile unterstützt wird. Als idealisierte
Verhaltensweise gilt ein Leben ohne Furcht, das aber nicht in Gewalt ausarten darf, sondern
gewaltlos und enthaltsam gestaltet werden muss. Im Quelltext wirkt das Partikel „auch“
anreihend: die verschiedenen gleichwertigen Elemente eines richtig gelebten Lebens werden
hier nicht von einer Bruchstelle versehen, sondern als gleichrangige Teile aufgelistet. Eine
Verschiebung auf der Ebene der Wortklassen und Grammatik ist damit gegeben. Es handelt
sich dabei nicht um eine Verschiebung, die den unterschiedlichen kulturellen oder
sprachlichen Systemen anzukreiden ist – vielmehr kann man in diesem Fall von einer
individuellen und substantiellen Verschiebung sprechen.
Die nächste Verschiebung findet in Zeile 52 statt:
Zieltext Smit
Konjunktionen
52 maar [ook]
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Konjunktionen
wenn auch
43
Anfänglich sehen „maar ook“ und „wenn auch“ gleich aus, man muss hier jedoch zwei
unterschiedliche grammatikalische Funktionen feststellen. Der Zieltext stellt mit seiner
Konjunktion eine restriktive Beziehung her, mit dem hinzugefügten Gradpartikel „auch“,
während die im Quelltext verwendete Konjunktion eine konzessive Beziehung hervorruft.
Während der Zieltext von einem „jedoch“ ausgeht, ist im Quelltext ein „obwohl“ ersichtlich –
damit ist eine unterschiedliche grammatikalische Konstruktion gegeben. Diese Entscheidung
ist eine poetische Wahl des Übersetzers, demzufolge liegt hier eine individuelle und
substantielle Verschiebung vor.
In Zeile 65 hat was Konjunktionen anbelangt ebenfalls eine Verschiebung stattgefunden:
Zieltext Smit
Konjunktionen
65 omdat
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Konjunktionen
dabei
Eine Verwendung als Pronominaladverb von „dabei“ ist auch möglich, aber in diesem Fall
wird das Wort als Konjunktion verwendet. Die Zeile im Zieltext lautet „dit alles omdat wij
toch weten“; im Quelltext lautet sie „dabei wissen wir doch“. Im Zieltext wurde eine kausale
Konjunktion verwendet, die die Ursache eines Sachverhalts angibt. Es könnte eine kausale
Beziehung zwischen dem ganzen vorhergehenden Text und einer Art Schlußfolgerung
existieren – die Redewendung „dit alles“ könnte sich auf den ganzen Text vor der
Konjunktion beziehen. Die Quelltext-Konjunktion „dabei“ ist dahingegen konzessiv oder
einräumend zu verstehen: sie drückt einen nicht wirksamen Gegengrund, ein „obwohl“ aus.
Damit liegt hier eine unterschiedliche grammatikalische Konjunktion vor. Die Verschiebung
kann demzufolge nicht als formell oder konstitutiv betracht werden. Sie ist die Folge einer
Entscheidung des Übersetzers und dadurch individuell und substantiell.
Eine weitere Tabelle, die man zur Analyse heranziehen kann, basiert sich auf Auffälligkeiten
bei den Nominalphrasen. Bei der Kombination Possessivpronomen mit Nomen treten Lücken
auf:
10
Zieltext Smit
Possessivpronomin + Nomen
zijn vrienden
Quelltext*
Possessivpronomin + Nomen
seine Freunde
44
12 mijn kost
15 mijn geluk
20 mijn glas water
28 je wensen
35 hun woede
36 38 mijn eten
42 44 mijn tijd
48 50 mijn krachten
54 59 onze zwakheden
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
meinen Unterhalt
mein Glück
mein Glas Wasser
seine Wünsche
meine Zeit
mein Essen
meine Zeit
meiner Zeit
meine Zeit
meine Zeit
unseren Schwächen
Die Verschiebung in Zeile 35 wurde schon bei den Nominalphrasen behandelt. Die restlichen
fünf Fälle sind:
Zieltext Smit
Possessivpronomin + Nomen
36 42 48 50 mijn krachten
54 * provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Possessivpronomin + Nomen
meine Zeit
meine Zeit
meine Zeit
meine Zeit
Bei den Zeilen 36, 42, 48 und 54 handelt es sich um einen identischen Satz, der jeweils die
Strophen des zweiten Teils des Gedichts abschließt. Die nachfolgende Tabelle kann man als
Spiegelbild der obigen Tabelle betrachten; die Lücken sind gefüllt, dafür gibt es sie jetzt auf
der anderen Seite:
Zieltext Smit
Bestimmter Artikel + Nomen
36 de tijd
42 de tijd
48 de tijd
50 54 de tijd
* provisorischer Quelltext: Brecht 1967
Quelltext*
Bestimmter Artikel + Nomen
die Kräfte
-
Smits Zeile lautet:
Zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was.
Die Zeile im Quelltext lautet:
So verging meine Zeit
45
Die mir auf Erden gegeben war.
Es wurde schon in der Analyse der Nominalphrasen festgestellt, daß der Übersetzer eine
Strategie angewandt hat, die von Leech und Short als „avoidance of repetition“ bezeichnet
wird (Leech & Short 1981, S. 79). Hätte Smit statt den bestimmten Artikel „de“ das
Possessivpronomen „mijn“ gewählt, so hatte der Satz nicht nur wie im Quelltext ein
zweifaches, sondern ein dreifaches Binnenreim enthalten: „mijn tijd die mij“/“meine Zeit“.
Mit der Wahl des bestimmten Artikels hat der Übersetzer hier eine Wiederholung was der
Klang betrifft bzw. ein Binnenreim vermieden. Die Verschiebung, die dies zur Folge hat sagt
etwas über die übersetzerische Interpretation aus und ist demnach substantiell.
46
A.5
Schlußfolgerung Smit
Smit war 1975 chronologisch gesehen der erste, der das Gedicht übersetzte. Das
Verlagsprogramm von Ambo und die Veröffentlichungen Smits im Verlag weisen als
Schwerpunkt religiös orientierte Texte auf; außerdem publizierte Smit im Verlag seine eigene
Lyrik. Die erste Verschiebung die auf eine spezifische übersetzerische Interpretation Smits
hinweist, ist die Verwendung von den Begriffen „zonde“ und „naaste“, die dem religiösen
Register entstammen. Die Nähe zur christlichen Religion ist in Smits Lebengeschichte
eindeutig nachzuweisen, er gehört zu seinen wesenstlichen biographischen Eckdaten. Laut
Meeuwesse ist Smit “een van de meest authentieke religieuze dichters uit onze moderne
letterkunde (…)”(1986, S. 292). Hauptthema der Lyrik Smits sei „zijn verlangen naar de
nabijheid Gods in de aardse werkelijkheid.“ (ebd.) Gedichte schreiben sei für ihn “vertalen
van God in de werkelijkheid geworden of: Gods woord woord laten worden in het zijne.”
(ebd.) Somit kann man die Präsenz von den Begriffen „zonde“ und „naaste“ in seiner
übersetzerischen Interpretation erklären.
Auch die Verschiebungen auf der Ebene der Nomina und Verbalphrasen, die
Individualisierung des Problems der Persona und seines Gegenübers, läßt sich aus Smits
Biographie, aus seinem persönlichen Kampf mit der organisierten Religion erklären. Zudem
wird Smit ein starkes gesellschaftliches Engagement zugeschrieben, wobei er ab einem
gewissen Zeitpunkt keiner organisierte Glaubensgemeinschaft mehr angehören wollte – die
Folge war sein Austritt aus der katholischen Kirche 1969.
Ebenso könnte die Stelle "de liefde pleegde ik" ins Bild eines vergeistigten Autors passen,
der sich von der Sexualität entfernt und sich dem Nicht-Körperlichen hinwendet.
Einerseits zeigt Smit in seiner Interpretation an zwei Stellen „avoidance of repetition“,
womit er in seiner Übersetzung möglicherweise eine zu große sprachliche Dichte vermeiden
möchte. Andererseits steht ihm die deutsche Sprache bei seiner Interpretation mehrmals im
Wege: bei den Adverbialphrasen und Konjunktionen treten Verschiebungen auf, die auf Smits
mangelnde Fremdsprachenkenntnisse zurückzuführen sind. Smit ist kein routinierter
Übersetzer; abgesehen von diesem Band ist er nicht als Übersetzer in Erscheinung getreten.
Dementsprechend gestaltet sich seine Verantwortung, die die Überschrift „Excuus“ trägt.
Hierin berichtet der Autor, daß die Übersetzung von Lyrik eine „hachelijke aangelegenheid“
sei, er sei dabei schon oft gescheitert. Bei seinen Übersetzungen habe er oft intermediäre
Texten und die fremdsprachliche Kompetenz seiner Tochter in Anspruch genommen.
47
Die Verschiebungen in der Strophik treten zusammen mit Verschiebungen auf der Ebene
der Konjunktionen hervor – hiermit bleibt die Textwelt der Übersetzung in sich geschlossen
und logisch. Wie die strophischen Änderungen genau zustande gekommen sind, ist mangels
Quelltextangabe nicht genau nachzuvollziehen.
48
B.
Van den Bremt
49
AAN HEN DIE NA ONS KOMEN
1
5
10
– Übersetzung Stefaan van den Bremt
I
II
Werkelijk, ik leef in duistere tijden!
Het zorgeloze woord is dwaas. Een glad voorhoofd
Wijst op ongevoeligheid. Wie lacht
Heeft alleen maar het verschrikkelijke nieuws
Nog niet ontvangen.
In de steden kwam ik ten tijde van de wanorde
Toen daar honger heerste.
Onder de mensen kwam ik ten tijde van het oproer
En ik kwam in opstand met hen.
Zo verging de tijd
Die mij op aarde toegemeten was.
35
Wat zijn dat voor tijden waarin
Een gesprek over bomen haast een misdrijf is
Omdat het zwijgt van zoveel wandaden!
Wie daar rustig op straat loopt
Is al niet meer bereikbaar voor zijn vrienden
In nood?
40
15
Het is waar: ik verdien nog mijn brood
Maar gelooft me: dat is zuiver toeval. Niets
Van wat ik doe, geeft me het recht me zat te eten.
Toevallig bleef ik gespaard. (Als het lot keert, ben ik verloren.)
45
20
Ze zeggen me: Eet en drink toch! Wees blij dat je ’t kunt!
Maar hoe kan ik eten en drinken, als
Ik de hongerlijder ontruk wat ik eet, en
Wie sterft van dorst mijn glas water mist?
En toch eet en drink ik.
50
25
30
Graag was ik ook wijs.
In de oude boeken staat wat wijs is:
’s Werelds strijdtoneel mijden en zijn korte tijd
Slijten zonder vrees
En het redden zonder geweld
Kwaad met goed vergelden
Zijn wensen niet bevredigen, maar vergeten
Geldt als wijs.
Dat alles kan ik niet:
Werkelijk, ik leef in duistere tijden!
III
55
60
Jullie die zult opduiken uit de vloed
Waarin wij zijn ondergegaan
Gedenkt
Als je over onze zwakheden spreekt
Ook de duistere tijd
Waaraan jullie ontkomen bent.
Trokken we niet, vaker van land wisselend dan van schoenen
Door de oorlogen der klassen, vertwijfeld
Als er slechts onrecht was en geen opstandigheid.
65
70
Daarbij weten we wel:
Ook de haat tegen de laagheid
Verwringt het gezicht.
Ook de woede om het onrecht
Maakt de stem schor. Ach, wij
Die de grond wilden effenen voor vriendelijkheid
Konden zelf niet vriendelijk zijn.
Jullie echter, als het zover zal zijn
Dat de mens de mens een hulp is
Gedenkt ons
Welwillend.
50
Mijn eten at ik tussen twee veldslagen in
Te slapen legde ik me onder de moordenaars
De liefde bedreef ik achteloos
En de natuur bekeek ik zonder geduld.
Zo verging de tijd
Die mij op aarde toegemeten was.
De straten leidden naar het moeras in mijn tijd.
De taal verried me aan de beul.
Ik kon maar weinig doen. Maar zonder mij
Zaten de heersers zelfverzekerder: dat hoopte ik.
Zo verging de tijd
Die mij op aarde toegemeten was.
De krachten waren gering. Het doel
Lag ver verwijderd
Het was goed zichtbaar, hoewel voor mij
Amper te bereiken.
Zo verging de tijd
Die mij op aarde toegemeten was.
AN DIE NACHGEBORENEN – Bertolt
1
5
10
15
20
25
30
Brecht
I
II
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unemfpindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
35
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
40
Es ist wahr: ich verdiene meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: Das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin
ich verloren.)
45
Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
50
Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
55
III
60
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
65
70
75
Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.
51
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
B.1
Hintergrund-Informationen
Historisch-bibliographische Informationen
Van den Bremts Aan hen die na ons komen ist Teil des Zyklus Svendborger Gedichte, den
Van den Bremt 1982 als integrale Übersetzung im Verlag SUN veröffentlichte. Dieser Verlag,
der Socialistiese Uitgeverij Nijmegen, bracht den Band als „Sunschrift 177“ und als Teil der
Reihe Marxisme en kultuur, in der die unten aufgeführten Werke ebenfalls erschienen:
1979
Sergej Eisenstein, Lessen in regie
1981
Sergej Eisenstein, Montage: het konstruktieprincipe in de kunst
1980
Christian Metz, De beeldsginifikant: psychoanalyse en film
1980
Eric de Kuyper (Hrsg.), Seminar semiotiek van de film: over Christian Metz
Im selben Verlag war 1972 der übersetzte Band Muziek en politiek von Brechts Freund und
Kollege Hanns Eisler erschienen. Das Verlagsprogramm enthielt auch übersetzte Werke
Brechts:
1972
Teatereksperiment en politiek
1975
Driestuiversproces
1976
Me-Ti – boek der wendingen (Neuauflage 1998, aus Anlaß des Brecht-Jahres)
1978
Tui-roman
1980
Driestuiversroman
Den obigen Informationen zufolge, sind die Svendborgse gedichten fest im Verlagsprogramm
eingebettet. Der Band ist bis dato der einzige integral übersetzte Gedichtband Brechts im
niederländischen Sprachraum.
Kenntlichmachung als Übersetzung
Auf dem Einband sind als Titel Svendborgse gedichten und als Autor Bertolt Brecht
angegeben – rein äußerlich ist es nicht erkennbar, daß es sich um Übersetzungen handelt.
Explizit wird dies auf dem Titelblatt, das zuerst den Titel, dann den Autor und schließlich den
52
Übersetzer Stefaan van den Bremt ausweist. Im AnSchluß an die Gedichte enthält der Band
drei Seiten mit Anmerkungen des Übersetzers und eine Quellenangabe.
Hintergrund-Informationen zum Übersetzer Stefaan van den Bremt
Der Romanist Stefaan van den Bremt (1941) ist als Dichter, Übersetzer, Literaturkritiker,
Dramatiker und Publizist tätig. Sein Lyrik-Debüt, unter dem Pseudonym Stevi Braem, war der
Gedichtband Sextant (1968). Seine Lyrik wird eine gewisse Nähe zum flämischen NeoRealismus zugesagt: d.h. Ablehnung des extremen Subjektivismus und der hermetischen
bildlichen Sprache der (literarischen) Strömung der „Vijftigers“, mehr Beschäftigung mit der
objektiven Wirklichkeit und eine offenere Kommunikation. Dem folgt ein Phase der
Politisierung: in seinen nachfolgenden Werken zeigt er ein ausgeprägtes gesellschaftliches
Engagement. Die Bänder Lente in Vorst (1976) und Andere gedichten (1980) enthalten
politische Lyrik. In einem Interview sagt Van den Bremt: “Ik heb het gevoel met de bundel
Andere gedichten een ideaal te hebben verwezenlijkt, namelijk te hebben aangetoond dat
politieke poëzie vandaag de dag mogelijk is.” Dabei habe er die Vorurteile seiner Leser
überwinden müssen, “bij de poëzieliefhebber tegenover het politieke, bij de politiek actieve
mensen het vooroordeel tegenover poëzie. Op die wijze open ik ook grenzen, heb ik het
gevoel een taak te vervullen.” Diese Aufgabe formuliert er folgendermaßen: “Een gedicht dat
politiek juist is, blijft zijn geldigheid behouden zolang wat het over de maatschappij zegt
geldig blijft. Zolang het soort maatschappij blijft bestaan waartegen het gedicht zich richt, is
dat een goed gedicht.”
Diese Politisierung ist teilweise auf seine Auslandsreisen zurückzuführen – er besuchte
1968 Kuba und 1969 die palästinensischen Flüchtlingslager in Jordanien. Van den Bremt
wurde 1974 wegen seiner Mitverantwortung bei einem palästinensischen Attentat, das 1972 in
den Niederlanden verübt wurde, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, dem ein Berufsverbot
als Lehrer folgte. Von 1977 bis 1983 war Van den Bremt Redakteur beim marxistisch
orientierten Verlag Masereelfonds. Als Redakteur von Kreatief stellt er Sonderausgaben zu
den Themen Lateinamerika (1972), Surrealismus (1975), Brecht (1976) und Arbeiterliteratur
(1980) zusammen.
In der Sekundarliteratur wird daraufhin gewiesen, daß das Bild des Dichters Van den
Bremt korrigiert werden sollte – die Bereiche Theater, Literaturkritik und Übersetzung
53
müssen auch in Betracht gezogen werden. „Ten onrechte heeft zijn werk op deze andere
gebieden tot nu toe weinig aandacht gekregen“ (Zuiderent 1980). Seine Haltung der Lyrik
gegenüber sei immer kritisch gewesen: „Het conflict tussen enerzijds het streven naar
verstaanbaarheid en anderzijds de ingewikkeldheid van de werkelijkheid zou dan ook als een
rode draad door het werk van Van den Bremt heen gaan lopen: het bepaalde in aanzienlijke
mate de evolutie die zijn poëzie op het gebied van thematiek en vormgeving doormaakte,
inspireerde de kritische belangstelling voor het socialistisch realisme en meer bepaald voor
Brecht (…) (Zuiderent 1980).
Die Auswahl der Texte, die Van den Bremt übersetzt hat, sei „symptomatisch voor de
eigen poëtische, theatrale en kritische belangstellingssfeer.“ (Zuiderent 1980). Bis zum
Anfang der achtziger Jahre gilt er als „sociaal-geëngageerde, Brechtiaanse dichter“ (Zuiderent
1980). Danach findet eine Wende zu einer eher persönlichen Thematik statt. Er widmet sich
erotischen Themen und klassischen Versformen. Gerade in diesem Zeitraum erscheint seine
Übersetzung der Svendborger Gedichte, an der er allerdings schon seit Jahren gearbeitet hatte.
Van den Bremt ist 1967 einer der Gründer der flämischen Literaturzeitschrift Kreatief. Die
Zeitschrift veröffentlicht 1970 seine erste publizistische Beschäftigung mit Bertolt Brecht –
unter dem Pseudonym Stevi Braem veröffentlicht er einen Artikel, in dem er Brechts
Auffassung von der Sinn und Funktion Lyrik erörtert, und zwei Übersetzungen von BrechtGedichten (slechte tijd voor lyriek en waarom zou mijn naam ook genoemd worden). Im
Artikel, der den Titel „Notities bij Brechts bedenkingen ‚Über Lyrik’“ trägt, setzt Van den
Bremt sich mit der Poetik Brechts auseinander und vergleicht sie mit der Poetik
niederländischsprachiger Dichter. Er analysiert Brechts Aussagen und bewertet sie als
fortschrittlich und sehr aktuell.
Die Zeitschrift Kreatief widmet 1976, zwanzig Jahre nach dessen Tod, Brecht eine ganze
Ausgabe unter dem Titel „Brecht, naar de letter“. Im Vorwort zu dieser Ausgabe bezeichnet
Van den Bremt den zwanzigsten Todestag als Anlass, sich „kritisch te bezinnen over de
nalatenschap van deze representatieve tijdgenoot.“ (Van den Bremt 1976, S. 3). Die Ausgabe
befasse sich mit dem mit den Schriften Brechts, die nichts mit dem Theater zu tun haben, da
mehrere Theater-Stücke in niederländischer Fassung vorliegen, während das literarische Werk
„voor de meeste lezers nog een grote onbekende blijft“ (ebd). Die hohen finanziellen
Forderungen des Suhrkamp-Verlags habe jedoch die ursprüngliche Idee, die Ausgabe als
Anthologie aufzumachen, verhindert. Deshalb bestehe das Heft aus Essays, in denen Brecht
jedoch mittels einer großen Zahl Zitate zu Wort komme. In der nachfolgenden Bibliographie
54
der vorliegenden niederländischen Brecht-Übersetzungen sind lediglich neun Gedichte
verzeichnet, die sich „uitsluitend in bloemlezingen“ befänden. Zwei dieser Übersetzungen, die
aus dem Svendborger Zyklus stammen, Fragen eines lesenden Arbeiters und An die
Nachgeborenen, sind Gegenstand des Essays „Poëzie van Brecht vertalen … Een embryonale
gedachtenwisseling met Gabriël Smit“ (Van den Bremt 1976b, S. 27-46).
Van den Bremt stellt fest, daß Gabriël Smit einer der wenigen ist, die Brechts Lyrik ins
Niederländische übertragen haben. Smits Anthologie Grensverkeer enthält vier dieser
Übersetzungen; Van den Bremt habe zwei der Texte zufälligerweise auch selbst übersetzt. Ein
Vergleich liege deswegen auf der Hand. Dieser öffentliche Gedankenaustausch solle zu einer
Debatte beitragen, in der Fragen zur Übersetzungsmethodik und zur Übersetzbarkeit von
Lyrik erörtert werden. In einer Fußnote verweist Van den Bremt auf die gerade entfachte
übersetzungstheoretische Debatte, an dem u.a. sein Landsmann André Lefevere beteiligt ist.
(Van den Bremt 1976b, S. 27). Zu einem Austausch sei es aber nicht gekommen, weil Smit
die Unterschiede zwischen den beiden seinen und Van den Bremts Übersetzungen für
geringfügig und nicht diskussionswürdig hielt.
Es folgen der Quelltext, die beiden Versionen von Smit und Van den Bremt, und dessen
Bemerkungen zu Smits Version. Die Verschiebungen die er in den Bemerkungen festhält,
beziehen sich u.a. auf die Poetik Brechts, zu deren Merkmale fehlende Übertreibung und eine
„gestische“ Ausdrucksweise zähle.
Im selben Heft veröffentlicht Van den Bremt das Essay „Realisme en vervreemding in
‚Aus einem Lesebuch für Städtebewohner’. Een lezing ten gerieve van het voortgezet
onderwijs“, das Interlinear-Übersetzungen von sechs Brecht-Gedichten enthält (Van den
Bremt 1976c).
Die Literatur-Zeitschrift Yang befasst sich 1982 ebenfalls mit Brecht; sie enthält drei der
Svendborger Gedichte in der Übersetzung Van den Bremt. Laut Quellenangabe sind sie der
Integral-Übersetzung aus demselben Jahr entnommen worden. Die April-Ausgabe 1983 von
Kreatief enthält den Zyklus Duits OorlogsABC, eine Auskopplung aus Van den Bremts
integrale Übersetzung der Svendborger Gedichte.
Die Übersetzung der Svendborger Gedichte zieht auch Kreise in späteren
Veröffentlichungen – die Anthologie De dichter is het hart van de wereld. Honderd dichters
van Achterberg tot Yeats (Janssens und Van Vliet 1986) enthält Vragen van een lezende
arbeider in der Übersetzung Van den Bremts. Als Quelle ist Kreatief (10/4, 1976) angegeben.
Im Text wurden im Vergleich zu dieser Quelle jedoch zwei Änderungen vorgenommen:
55
Filips van Spanje weende toen zijn vloot
gekelderd werd. (Van den Bremt 1976b)
Filips van Spanje weende toen zijn vloot
gekelderd was. (Van den Bremt 1986)
[Kursivierung d. Verf.]
Die Änderung lässt darauf schließen, daß die Zusammensteller der Anthologie auch Van den
Bremts Fassung aus 1982 zu Kenntnis genommen haben, da diese vollständig mit deren
Version übereinstimmt. Weiterhin wurde eine Änderung in der Zeichensetzung
vorgenommen: die Leerzeichen vor den Fragezeichen aus Van den Bremt 1976b wurden
getilgt.
Die Anthologie Gedicht en omgedicht (Claes und Denissen 1993) enthält sechs Gedichte,
die von Van den Bremt übertragen wurden, u.a. Vragen van een lezende arbeider. Als Quelle
ist die integrale Übersetzung der Svendborger Gedichte im Verlag SUN von 1982 angegeben
und der Text entspricht dieser Quelle vollständig.
Zu den sonstige Übersetzungen von Stefaan van den Bremt zählen:
Lyrik aus dem Französischen:
-
Emile Verhaeren
-
Maurice Maeterlinck
-
Marc Dugardin
-
Aimé Césaire
Prosa aus dem Französischen:
-
Maryse Condé
-
Marie Gevers
Lyrik aus dem Englischen:
-
Wallace Stevens
56
Lyrik aus dem Spanischen:
-
Jorge Guillén
-
Jorge Luis Borges
-
Jaime Sabines
-
Joaquín Silva
-
Octavio Paz
-
José Lezama Lima
-
José Luis Sierra
Prosa aus dem Spanischen:
-
Cristina Fernández Cubas
Lyrik aus dem Deutschen:
-
Franz Kafka
Librettos aus dem Deutschen von Richard Wagner, aus dem Italienischen von Mozart und
Guiseppe Verdi.
Theaterstücke aus dem Deutschen:
-
Heiner Müller
-
Bertolt Brecht (Die Mutter)
Hintergrund-Informationen Quelltext Van den Bremt
Die letzte Seite des Buches enthält das Impressum. Zum Quelltext wird folgendes ausgesagt:
De nederlandse vertaling berust op: Bertolt Brecht, Svendborger Gedichte, uit:
Gesammelte Werke. Band 9 © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1967
Suhrkamp veröffentlichte 1967 zwei textgleiche Versionen der Gesammelten Werke, eine
Dünndruckausgabe in zehn Bänden und eine Werkausgabe in 20 Bänden. Letztere wurde von
Van den Bremt als Quelltext verwendet.
57
B.2
Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
Die Erstellung eines semantisch-pragmatischen Skeletts stellt der erste Schritt des Verfahrens
dar. Eine Bestimmung der Elemente der situativen Dimension, der „poetischen Stimme“ und
der Persona, der deiktischen Elemente, der Gattung, der Struktur und des Themas des Textes
werden dabei vorgenommen.
Da die Quelltexte der vorliegenden Arbeit sich rein pragmatisch gesehen sehr nahe stehen,
tun sich naturgemäß Parallelen zum semantisch-pragmatischen Skelett der Übersetzung
Gabriël Smits auf. Das unten beschriebene Skelett wird dementsprechend zu großen Teilen
mit dem Smitschen übereinstimmen.
Die wichtigsten Subjekte des Zieltext sind eine nachfolgende Gruppe, die im Titel Aan hen
die na ons komen angedeutet wird, und eine Persona, ein „ik“, das in der ersten Zeile
eingeführt wird und im ganzen Text die poetische Stimme darstellt. Diese Persona trifft auf
eine Gemeinschaft, die hungert, und solidarisiert sich mit ihr. Die Persona hat ebenfalls mit
Mördern, Henkern und Herrschenden zu tun. Außerdem begegnet die Persona ein „wie“, ein
anonymes Subjekt, das bestimmte Verhaltensweisen aufzeigt, („wie lacht…“, Zeile 3). Das
„ich“ befindet sich in einem Dialog mit diesem Subjekt. Neben der Persona bewegt sich ein
„jullie“ , ein nachgeborenes Subjekt, das angesprochen wird; diesem „jullie“ werden
Hintergründe erklärt. Dieses Objekt soll den Vorgängern, inklusive der erzählenden Persona,
wenn die Welt sich geändert hat, mit Nachsicht erinnern.
Im Text spielen Tiere oder lebendige, personifizierte Objekte keine Rolle. Die wichtigsten
Objekte sind Teil der Landschaft, die die Persona umgibt, wie Bäume, Straßen, Städte,
Länder, die Natur.
Der Zieltext von Van den Bremt besteht aus freien, ungereimten Versen. Das Gedicht besteht
aus insgesamt dreizehn Strophen und drei Teilen, die man als relativ autonom betrachten
kann; man könnte sie als drei eigenständige Texte lesen.
Der erste Teil enthält zwei Fragesätze, die die Verunsicherung der Persona und ihren
Konflikt mit der Welt, in der sie lebt, ausdrücken. Außerdem enthält die dritte Strophe
Befehls- oder Aufforderungssatz (Zeile 13: „gelooft me“), das Gegenüber wird zum ersten
mal im Gedicht direkt angesprochen.
58
Die direkte Rede in Zeile 16 ist ebenfalls Ausdruck der schwierigen Beziehung zwischen der
Persone und ihrer sozialen Umgebung. Das Umfeld wirft der Persona Undankbarkeit vor.
Anhand der Personalpronomina der ersten oder zweiten Person lassen sich die wichtigen
Subjekte feststellen:
Strophe
(Teil 1)
1
2
3
4
5
Personalpronomina der 1. und 2. Person
ik
ik mijn me ik me me ik ik
me je (direkte Rede) ik ik ik mijn ik
ik ik ik
(Teil 2)
6
7
8
9
ik ik ik mij
ik ik me ik ik mij
mijn me ik mij ik mij
mij mij
(Teil 3)
10
11
12
13
jullie wij je onze jullie
we
we wij
jullie ons
Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß im ersten Teil ausschließlich die erste Person Singular
verwendet wird. Im zweite Teil des Gedichtes ist ebenfalls ausschließlich diese Person
vertreten. Im dritten Teil treten die erste und die zweite Person in ungefähr gleicher Frequenz
auf.
Der erste Teil fängt mit einem sakral wirkenden Ausruf an. Im ersten Teil wird ein „ich“
eingeführt, das die Schwierigkeiten beschreibt, sich in den aktuellen finsteren Zeiten richtig
zu Verhalten. Als problematisch empfindet die Persona verschiedene Gegebenheiten des
Alltags: man könne nicht mehr lachen, nicht über Allerweltsthemen sprechen, nicht mehr
spazierengehen. „Normales“ Verhalten sei eine Verneinung der grausamen Wirklichkeit. Die
Tatsache, daß es der Persona gut geht und daß sie zu essen und trinken hat, sei lediglich
Zufall. Ihre Umgebung sagt der Persona, sie solle ob ihres Glückes froh sein – sie selbst habe
aber ein schlechtes Gewissen. Außerdem gelinge es der Persona nicht, sich der Tugenden alter
59
Verhaltenslehren, wie Gewaltlosigkeit, Angstfreiheit und Verzicht, anzunehmen. Die Aussage
bezüglich der schwierigen Zeit wird in der letzten Zeile des ersten Teils wiederholt.
Der zweite Teil besteht vollständig aus Aussagesätzen und ist demnach eine Beschreibung.
Jede der vier Strophen wird mit dem gleichen Satz abgeschlossen. Im zweiten Teil schildert
die Persona, wie sie ihr Leben verbracht hat. Sie habe in einem Sumpf, einer kriegerischen
städtischen Landschaft agiert; diese Landschaft bestand aus einer chaotischen Gemeinschaft,
die sich in Aufruhr befand habe. Mit dieser Gemeinschaft habe die Persona sich solidarisiert.
Es tobten Schlachten, es herrschten Wut und Hunger. Die Persona habe mit Mördern verkehrt
und den Herrschern die Unterstützung verweigert. Dabei habe sie den einzigen positiv
besetzten Begriffen, Liebe und Natur, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die
Grundbedürfnisse Essen und Schlaf seien notdürftig befriedigt worden. In dieser Situation
haben ihre sprachlichen Äußerungen die Persona in Gefahr gebracht: sie haben das Interesse
der Henker erweckt. Die Persona habe sich in dieser Umgebung als zu schwach empfunden
und sei sich ihrer Wirkung nicht sicher gewesen – sie sei jedenfalls nicht in der Lage
gewesen, ein großes und wichtiges Ziel zu erreichen.
Der dritte besteht aus vier Strophen – die zweite und dritte Strophe enthalten nur
Aussagesätze, die umringenden Strophen enthalten jeweils einen Befehls- oder
Aufforderungssatz. In den letzteren spricht die Persona sein Gegenüber direkt an.
Im dritten Teil spricht die Persona ein Gegenüber, ein „jullie“ an. Sie und die Gemeinschaft,
von der sie ein Teil ist (ein „wij“), haben sich für den internationalen Klassenkampf viel
bewegen müssen und auf persönliche Bedürfnisse verzichtet. Dabei seien sie oft verzweifelt
gewesen und waren sie, was das Zwischenmenschliche anbelangt, nicht aufmerksam genug –
es habe ihnen an Geduld und Freundlichkeit gefehlt, obwohl sie gerade auch für diese Sachen
gekämpft haben. Wenn das Gegenüber in einer menschenfreundlichen Gesellschaft lebt, für
die die Persona und ihre Mitstreiter gekämpft haben, solle er sich nicht nur deren Fehler
entsinnen, sondern auch deren Bemühungen, eine bessere Welt herbeizuführen.
Der nächste Punkt ist das deiktische Zentrum, das „Hier“ und „Jetzt“ der Textwelt. Die
Persona berichtet aus einem nicht näher definierten Raum über ihre Vergangenheit und richtet
ein Aufforderung an die Nachgeborenen. Über ihren aktuellen Aufenthaltsort ist nichts in
Erfahrung zu bringen, nur über die Situation im Allgemeinen und über die Stadtlandschaft
und die Kriegsschauplätze, wo sie sich vorher aufgehalten hat.
60
Zur temporalen Deixis können Aussagen gemacht werden die sich auf bestimmte textuelle
Merkmale beziehen. Ein Anhaltspunkt ist die Anwesenheit von Zeitadverbien, wie „gestern“
oder „morgen“. Im vorliegenden Text fehlen diese gänzlich. Den temporalen deiktischen
Nullpunkt kann man anhand der Tempora feststellen:
Präsens
Teil 1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
Präteritum
Perfekt
Infinitiv
Präteritumperfekt
leef
is
wijst, lacht
heeft
ontvangen
zijn
is
zwijgt
loopt
is
is, verdien
gelooft, is
doe, geeft
keert
zeggen, eet,
drink, wees,
kunt
kan
ontruk, eet
sterft, mist
eet, drink
was
staat, is
eten
ben verloren
bleef gespaard
eten, drinken
mijden
slijten
redden
vergelden
bevredigen,
vergeten
geldt
kan
leef
Teil 2
31
32
33
34
35
36
kwam
heerste
kwam
kwam
verging
37
38
39
at
legde
bedreef
toegemeten
was
slapen
61
Futur
40
41
42
bekeek
verging
43
44
45
46
47
48
leidden
verried
kon
zaten, hoopte
verging
49
50
51
52
53
54
waren
lag
was
toegemeten
was
toegemeten
was
bereiken
verging
toegemeten
was
Teil 3
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
doen
zult opduiken
zijn
ondergegaan
gedenkt
spreekt
ontkomen bent
trokken
was
weten
verwringt
maakt
wilden
konden
effenen
zal zijn
is
gedenkt
Als Ergebnis ist festzuhalten, daß der erste Teil überwiegend Verben im Präsens und keine
einzige Präteritum-Bildung enthält, der zweite Teil überwiegend im Präteritum und keine
Präsens-Formen hat, und im dritten Teil hauptsächlich und zu nahezu gleichen Teilen
Präsens- und Präteritum-Bildungen vertreten sind. Dies geht konform der Thematik der drei
Teile des Gedichts – erstens eine Schilderung einer schwierigen und konfliktreichen
Gegenwart, zweitens die Probleme einer vergangenen Zeit und drittens eine Rechtfertigung
und ein Appell für die Zukunft.
62
Beziehung zwischen coding time/content time
Die Persona erzählt von der heutigen Zeit aus; sie beschreibt die aktuelle schwierig Lage, die
„finsteren Zeiten“, und die Vorgeschichte. Ihre Aufforderung richtet sich an die Zukunft. Es
gibt also drei Zeitbezüge: das Jetzt, in dem die Persona spricht, berichtet und
anspricht/auffordert, die Vergangenheit, die beschrieben wird, und die Zukunft, der die
Aufforderung/der Aufruf an die Nachgeborenen gilt.
63
B.3
Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
Als zweiter Schritt der Analyse werden die Ergebnisse des semantisch-pragmatischen Skeletts
mit dem Quelltext verglichen. Die Frage dabei ist, ob die Ergebnisse auch für den Quelltext
gelten. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte das semantisch-pragmatische Skelett sollte derartig
erarbeitet werden, daß eine Überstimmung gegeben ist. Falls auf dieser Ebene substantielle
Verschiebungen stattfinden, sollten diese erfasst werden.
Das semantisch-pragmatische Skelett besteht aus Daten, die sich auf die Subjekte, Objekte,
Situationen, Deixis, Gattung, Struktur und Thematik beziehen. In diesen Punkten stimmen der
Zieltext von Van den Bremt und der Quelltext im Wesentlichen überein. Eine Überarbeitung
des semantisch-pragmatischen Skeletts ist demnach nicht erforderlich; das Skelett ist in der
vorliegenden Form als tertium comparationis brauchbar.
64
B.4
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
in duistere tijden
het zorgeloze woord, een glad voorhoofd
ongevoeligheid, het verschrikkelijke nieuws
wat zijn dat voor tijden
een gesprek over bomen, een misdrijf
-, zoveel wandaden
op straat
zijn vrienden
in nood
mijn brood
zuiver toeval
recht
het lot
de hongerlijder
glas water, in de oude boeken
’s werelds strijdtoneel, zijn korte tijd
zonder vrees
zonder geweld
kwaad met goed vergelden
zijn wensen
in duistere tijden
in de steden, ten tijde van de wanorde
honger
onder de mensen, ten tijde van het oproer
de tijd
op aarde
mijn eten, tussen twee veldslagen in
onder de moordenaars
de liefde
de natuur, zonder geduld
de tijd
op aarde
de straten, naar het moeras, in mijn tijd
de taal, aan de beul
de heersers
de tijd
op aarde
de krachten, het doel
-
Quelltext
Nominalphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort, eine glatte Stirn
Unempfindlichkeit, der Lachende
die furchtbare Nachricht
was sind das für Zeiten
ein Gespräch über Bäume, ein Verbrechen
ein Schweigen, so viele Untaten
über die Straße
seine Freunde
in Not
meinen Unterhalt
nur ein Zufall
mein Glück
dem Hungernden
Glas Wasser, einem Verdurstenden
in den alten Büchern
aus dem Streit der Welt, die kurze Zeit
ohne Furcht
ohne Gewalt
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche
in finsteren Zeiten
in die Städte, zur Zeit der Unordnung
Hunger
unter die Menschen, zur Zeit des Aufruhrs
meine Zeit
auf Erden
mein Essen, zwischen den Schlachten
unter die Mörder
der Liebe
die Natur, ohne Geduld
meine Zeit
auf Erden
die Straßen, in den Sumpf, zu meiner Zeit
die Sprache, dem Schlächter
die Herrschenden
meine Zeit
auf Erden
die Kräfte, das Ziel
in großer Ferne
-
65
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
de tijd
op aarde
uit de vloed
onze zwakheden
de duistere tijd
vaker van land wisselend dan van schoenen
de oorlogen der klassen
slechts onrecht, geen opstandigheid
de haat tegen de laagheid
het gezicht
de woede om het onrecht
de stem
de grond, voor vriendelijkheid
de mens de mens, een hulp
-
meine Zeit
auf Erden
aus der Flut
unseren Schwächen
der finsteren Zeit
öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
die Kriege der Klassen
nur Unrecht, keine Empörung
der Haß gegen die Niedrigkeit
die Züge
der Zorn über das Unrecht
die Stimme
den Boden, für Freundlichkeit
der Menschen dem Menschen, ein Helfer
mit Nachsicht
Zunächst wird festgestellt, an welchen Stellen Nominalphrasen im Zieltext keine
Entsprechung im Quelltext haben und umgekehrt. In diesem Bereich treten sechs
Verschiebungen auf :
3
8
14
19
50
74
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
ongevoeligheid, -, zoveel wandaden
recht
glas water, -
Quelltext
Nominalphrasen
Unempfindlichkeit, der Lachende
ein Schweigen, so viele Untaten
Glas Wasser, einem Verdurstenden
in großer Ferne
mit Nachsicht
Was die Verschiebung in Zeile 3 betrifft, kann man auf die komparative Analyse der SmitÜbersetzung verweisen – entsprechend diesem Fall ist die Verschiebung hier als eine
konstitutive und formelle Verschiebung zu betrachten, die für die Makrostruktur des Textes
und für die Erarbeitung der Textwelt nicht von wesentlicher Bedeutung ist.
Die Zeile 14 zeigt, analog zum Smit-Zieltext, ebenfalls eine Verschiebung was die
Anwesenheit eines Nomens betrifft:
14
Zieltext Van den Bremt
Nomina
recht
Quelltext
Nomina
-
66
Auf der mikrostrukturellen Ebene wird hier eine formelle Verschiebung festgestellt, die
keinen wesentlichen Einfluss auf die makrostrukturelle Ebene hat.
Es bleiben also vier Verschiebungen übrig, die nicht im Smit-Kapitel behandelt wurden:
8
19
50
74
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
-, zoveel wandaden
glas water, -
Quelltext
Nominalphrasen
ein Schweigen, so viele Untaten
Glas Wasser, einem Verdurstenden
in großer Ferne
mit Nachsicht
8
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
-, zoveel wandaden
Quelltext
Nominalphrasen
ein Schweigen, so viele Untaten
In Zeile 8 ist an der Stelle des quelltextlichen substantivierten „Schweigen“ keine nominale
Entsprechung vorhanden. Im Quelltext „zwijgt een gesprek“, im Zieltext „schließt ein
Gespräch ein Schweigen ein“. Wenn man diesen Unterschied aus der Perspektive der
Kategorie des Registers betrachtet, kann man eine Kennzeichnung der Verschiebung
vornehmen. Die Redewendung im Zieltext ist eher einem spezifisch lyrischen Register
zuzuordnen; indes könnte man den quelltextlichen Ausdruck unter dem Register der nichtlyrischen Prosa-Sprache verbuchen. Die Verschiebung im Register ist eine individuelle, sie ist
einer Entscheidung des Übersetzers zuzuschreiben. Die Textwelt des Zieltexts ist diesem
Einfluss ausgesetzt.
Die nächste Verschiebung findet man in Zeile 19:
19
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
glas water, -
Quelltext
Nominalphrasen
Glas Wasser, einem Verdurstenden
Für die Zuordnung der Verschiebung ist es sinnvoll, die vorhergende Zeile 18 herbeizuziehen:
18
19
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
de hongerlijder
glas water, -
Quelltext
Nominalphrasen
dem Hungernden
Glas Wasser, einem Verdurstenden
Von den beiden leidenden Personen des Quelltexts, der „Hungernde“ und der „Verdurstende“,
kann im Niederländischen, unter der Voraussetzung des gängigen Sprachgebrauchs im
niederländischen linguistischen System, nur der „Hungernde“ mit einem üblichen Substantiv
67
bezeichnet werden. Für eine Person im Zustand des Durstes gibt es keine Entsprechung auf
nominaler Ebene. Der Satzteil „wie sterft van dorst“ bewegt sich somit innerhalb des
niederländischen linguistisch-kulturellen Systems. Das Fehlen einer Nominalphrase ist als
konstitutive und formelle Verschiebung zu verstehen; die Makrostruktur des Textes und die
Textwelt sind nicht betroffen.
Was die Anwesenheit bzw. das Fehlen einer Nominalphrase betrifft, befindet sich die nächste
Verschiebung in Zeile 50:
50
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
-
Quelltext
Nominalphrasen
in großer Ferne
In diesem Fall liegt ein Unterschied zwischen dem Nominalen und einer Adjektivphrase vor.
Dies ist einer allgemeinen Tendenz zuzuschreiben, wonach das niederländische linguistische
System in seiner Ausdrucksweise eher verbal und das deutsche eher nominal ausgerichtet ist.
Damit ist die zieltextliche Wahl für „ver verwijderd“ zu erklären. Man kann hier demnach
nicht von einem strukturellen Phänomen sprechen; die Auswahl hat keinen Einfluß auf die
makrostrukturelle Ebene oder die Textwelt.
Auch in Zeile 74 ist eine Verschiebung festzustellen:
74
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
-
Quelltext
Nominalphrasen
mit Nachsicht
Der Teilsatz lautet im Zieltext:
„Gedenkt ons
Welwillend.“
Im Quelltext lautet er:
„Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht“
68
In Zeile 50 war festzustellen, daß das niederländische linguistische System in manchen Fällen
Verbalkonstruktionen statt Nominalkonstruktionen bevorzugt; hier kann man feststellen, daß
in anderen Fällen Adverbkonstruktionen bevorzugt werden. Damit bewegt sich die Zeile in
einem gängigen zielsprachlichen linguistischen Rahmen; die Verschiebung ist demzufolge als
konstitutiv und formell zu bezeichnen.
Eine weitere Verschiebung tritt in Zeile 37 auf:
37
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
mijn eten, tussen twee veldslagen in
Quelltext
Nominalphrasen
mein Essen, zwischen den Schlachten
Die Nominalphrase enthält im Zieltext das Zahlwort „twee“ und im Quelltext an der gleichen
Stelle den bestimmten Artikel „den“. Dies ist wiederum auf den strukturellen Unterschied
zwischen dem zieltextlichen und dem quelltextlichen linguistischen System zurückzuführen:
in Verbindung zum Konzept „tussen“ bedarf es im Niederländischen eine Spezifizierung zur
Betonung des temporalen im Gegensatz zum lokalen Aspekt. Dafür kommt in diesem Fall das
Zahlwort „twee“ zur Anwendung. Im Deutschen ist dies nicht erforderlich, das temporale
Element wird vom bestimmten Artikel „den“ abgedeckt. Somit kann man die Verschiebung
als konstitutiv und formell bezeichnen – sie hat keinen Einfluß auf die Makrostruktor des
Textes oder auf die Gestaltung der Textwelt.
Die Kategorie der Verschiebung in Bezug auf die Benutzung von Singular- und PluralFormen der Substantive, die im Fall des Smit-Zieltextes von Bedeutung war, spielt in der
komparativen Analyse der vorliegenden Texte keine Rolle: es treten in dieser Hinsicht keine
Verschiebungen auf. Abgesehen von der Zeile 8, die oben besprochen wurde, treten innerhalb
der Kategorie des verwendeten Registers ebenfalls keine Verschiebungen auf. Der Vergleich
der Nominalphrasen gibt für die Analyse also nicht mehr her.
69
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
Zieltext Van den Bremt
Verbalphrasen
ik leef in duistere tijden
het zorgeloze woord is dwaas
wijst, lacht
heeft
ontvangen
wat zijn dat voor tijden
haast een misdrijf is
zwijgt van
loopt
is hij al niet meer bereikbaar
het is waar, ik verdien nog mijn brood
gelooft me, dat is zuiver toeval
niets van wat ik doe, geeft me het recht me zat te
eten
toevallig bleef ik gespaard, als het lot keert, ben
ik verloren
ze zeggen mij, eet en drink, wees blij dat je ‘t
kunt
maar hoe kan ik eten en drinken
als ik de hongerlijder ontruk wat ik eet
wie sterft van dorst mijn glas water mist
en toch eet en drink ik
graag was ik ook wijs
staat wat wijs is
’s werelds strijdtoneel mijden
zijn korte tijd slijten zonder vrees
en het redden zonder geweld
kwaad met goed vergelden
zijn wensen niet bevredigen, maar vergeten
geldt als wijs
dat alles kan ik niet
ik leef in duistere tijden
in de steden kwam ik
toen daar honger heerste
onder de mensen kwam ik
en ik kwam in opstand met hun
zo verging de tijd
die mij op aarde toegemeten was
mijn eten at ik
te slapen legde ik me
de liefde bedreef ik achteloos
de natuur bekeek ik zonder geduld
zo verging de tijd
die mij op aarde toegemeten was
de straten leidden naar het moeras
de taal verried mij aan de beul
ik kon maar weinig doen
maar zonder mij zaten de heersers
zelfverzekerder, dat hoopte ik
zo verging de tijd
die mij op aarde toegemeten was
de krachten waren gering
het doel lag ver verwijderd
het was goed zichtbaar
Quelltext
Verbalphrasen
ich lebe in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht
deutet hin, hat
empfangen
was sind das für zeiten
fast ein Verbrechen ist
einschließt
geht
ist wohl nicht mehr erreichbar
die in Not sind
es ist wahr, ich verdiene meinen Unterhalt
glaubt mir, das ist nur ein Zufall
nichts von dem was ich tue, berechtigt mich dazu,
mich sattzuessen
zufällig bin ich verschont, wenn mein Glück aussetzt,
bin ich verloren
man sagt mir, iß und trink du, sei froh daß du hast
aber wie kann ich essen und trinken
wenn ich dem Hungernden entreiße was ich esse
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt
und doch esse und trinke ich
ich wäre auch gerne weise
steht was weise ist
sich aus dem Streit der Welt halten halten
die kurze Zeit ohne Furcht verbringen
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
gilt für weise
alles das kann ich nicht
ich lebe in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
als da Hunger herrschte
unter die Menschen kam ich
und ich empörte mich mit ihnen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
mein Essen aß ich
schlafen legte ich mich
der Liebe pflegte ich achtlos
die Natur sah ich ohne Geduld
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Straßen führten in den Sumpf
die Sprache verriet mich dem Schlächter
ich vermochte nur wenig
die Herrschenden saßen ohne mich sicherer, das hoffte
ich
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Kräfte waren gering
das Ziel lag in großer Ferne
es war deutlich sichtbar
70
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
hoewel voor mij amper te bereiken
zo verging de tijd
die mij op aarde toegemeten was
jullie die zult opduiken uit de vloed
waarin wij zijn ondergegaan
gedenkt
als je over onze zwakheden spreekt
waaraan jullie ontkomen bent
trokken we niet, vaker van landen wisselend dan
van schoenen, door de oorlogen der klassen
als er slechts onrecht was
daarbij weten we wel
[de haat tegen de laagheid] verwringt het gezicht
[de woede om het onrecht] maakt de stem schor
[wij] die de grond wilden effenen voor
vriendelijkheid
[wij] konden zelf niet vriendelijk zijn
als het zover zal zijn
dat de mens de mens een hulp is
gedenkt ons
-
wenn auch für mich kaum zu erreichen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
in der wir untergegangen sind
gedenkt
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
der ihr entronnen seid
gingen wir doch, öfter die Schuhe als die Länder
wechselnd, durch die Kriege der Klassen
wenn da nur Unrecht war
dabei wissen wir doch
[der Haß gegen die Niedrigkeit] verzerrt die Züge
[der Zorn über das Unrecht] macht die Stimme heiser
[wir] die wir den Boden bereiten wollten für
Freundlichkeit
[wir] konnten selber nicht freundlich sein
wenn es so weit sein wird
daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
gedenkt unsrer
-
Auf der Ebene der Verbalphrasen treten mehrere Verschiebungen auf. Naturgemäß gibt es
darunter, wie bei der Analyse des Falles Smit, Überschneidungen. Die Verschiebungen in den
unten aufgeführten Zeilen wurden demnach schon beim Vergleich der Nominalphrasen
analysiert:
3
8
19
Zieltext Van den Bremt
Verbalphrasen
wijst, lacht
zwijgt van
wie sterft van dorst mijn glas water mist
Quelltext
Verbalphrasen
deutet hin, einschließt
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt
Was die Anwesenheit einer Verbalphrase betrifft, sieht man in Zeile 11 eine Verschiebung:
11
Zieltext Van den Bremt
Verbalphrasen
-
Quelltext
Verbalphrasen
die in Not sind
Die Notsituation, in der die Freunde des Subjekts sich befinden, ist im Quelltext in einem
Nebensatz beschrieben; „die in Not sind“. Im Zieltext wird die Phrase „in nood“ verwendet.
Dabei handelt es sich um eine Adjektivphrase, die auf der grammatikalischen und
71
semantischen Ebene ansonsten die gleiche Funktion wie der Nebensatz im Quelltext ausübt.
Hier liegt also keine substantielle, sondern eine formelle Verschiebung vor, die die Textwelt
nicht im Wesentlichen berührt.
Eine weitere Verschiebung liest man in Zeile 16:
16
Zieltext Van den Bremt
Verbalphrasen
ze zeggen mij, eet en drink
Quelltext
Verbalphrasen
man sagt mir, iß und trink du
Das Gegenüber, das im semantisch-pragmatischen Skelett ausführlich dargestellt ist, spricht
in dieser Zeile das Subjekt des Textes direkt an. Im Zieltext spricht das Gegenüber in der 3.
Person Plural („ze“), im Quelltext in der 2. Person Singular (was die Grammatik des Verbs
betrifft), in der allgemeinen Form „man“. In beiden Fällen ist die Situation klar: das Subjekt
steht hier einer Gruppe gegenüber. Auch auf der Ebene des sprachlichen Stils sind „ze“ und
„man“ als gleichwertig zu beurteilen – in der Zielsprache würde „men“ zu einem eher
formalen Sprachgebrauch tendieren und demzufolge eine Verschiebung herbeiführen. Im
vorliegenden Fall tritt also keine individuelle, sondern eine konstitutive und formelle
Verschiebung auf.
Der Vergleich der Verbalphrasen zeigt auch in Zeile 27
27
Zieltext Van den Bremt
Verbalphrasen
zijn wensen niet bevredigen, maar vergeten
Quelltext
Verbalphrasen
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Es handelt sich hier um eine Verschiebung zwischen „bevredigen“ und „erfüllen“ auf der
semantischen Ebene. Während das zieltextliche „bevredigen“ sich eher dem semantischen
Feld der Psyche, oder sogar des Triebs bzw. der Sexualität zugeordnet werden kann, gehört
das „Erfüllen von Wünschen“ einer gängigen, neutralen Kollokation an. Die Verschiebung in
den Bereich der Erotik stellt eine Verbindung zu Zeile 39 dar:
39
Zieltext Van den Bremt
Verbalphrasen
de liefde bedreef ik achteloos
Quelltext
Verbalphrasen
der Liebe pflegte ich achtlos
In der obigen zieltextlichen Zeile kann man ebenfalls einen Ausdruck der aktiven Sinnlichkeit
oder Sexualität beobachten. Daraus läßt sich folgern, daß die semantische Verschiebung in
72
Zeile 27 eine bewußte Entscheidung des Übersetzers ist. Diese individuelle Verschiebung
kann auch als substantiell bezeichnet werden, weil sie die makrostrukturelle Ebene des Texts
berührt.
Wie bei den Nominalphrasen, ergibt eine Analyse des Numerus eine Verschiebung:
58
Zieltext Van den Bremt
Verbalphrasen
als je over onze zwakheden spreekt
Quelltext
Verbalphrasen
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Sowohl Ziel- als Quelltext enthalten haben einen dialogischen Charakter: die Verben in der
betroffenen Strophe sind in der 2. Person aufgestellt. Der Unterschied liegt auf der Ebene des
Numerus. Im Zieltext handelt es sich mit Ausnahme der Zeile 58 um Plural-Bildungen; indes
enthält der Quelltext durchgehend Verben in der 2. Person Plural enthält. Auf der rein
grammatikalischen Ebene bildet diese Ausnahme also eine Verschiebung.
Wenn man die phonologische Ebene mit einbezieht, ergibt sich im Quelltext ein klares
Halbreim-Muster:
55
56
57
58
59
60
Zieltext Van den Bremt
Verbalphrasen
jullie die zult opduiken uit de vloed
waarin wij zijn ondergegaan
gedenkt
als je over onze zwakheden spreekt
[ook de duistere tijd]
waaraan jullie ontkomen bent
Quelltext
Verbalphrasen
ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
in der wir untergegangen sind
gedenkt
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
[auch der finsteren Zeit]
der ihr entronnen seid
Jede Zeile der Quelltext-Strophe endet auf einen t-Laut. Im Zieltext weicht nur die Zeile 56
von diesem Halbreim-Muster ab. Da die Verbform „[je] spreekt“ als Singular-Form sich
wieder in dieses Muster einreiht, wo die Plural-Form „[jullie] spreken“ es erneut
durchbrechen würde, hat die Verschiebung auf der grammatikalischen Ebene keine
Entsprechung auf der phonologischen Ebene. Die Verschiebung zeigt ihre Wirkung im Kreis
der Strophe, von einem klaren Einfluß auf die Makrostruktur des Textes kann jedoch nicht die
Rede sein.
73
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
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24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
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38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
Zieltext Van den Bremt
Präpositionalphrasen
in duistere tijden
wijst op ongevoeligheid
een gesprek over bomen
zwijgt van zoveel wandaden
op straat loopt
niet meer bereikbaar voor zijn vrienden
in nood
in de oude boeken
zonder vrees
het redden zonder geweld
kwaad met goed vergelden
in duistere tijden
in de steden kwam ik
onder de mensen kwam ik
ik kwam in opstand met hen
op aarde
tussen twee veldslagen door
onder de moordenaars
op aarde
naar het moeras in mijn tijd
verried mij aan de beul
zonder mij
op aarde
hoewel voor mij
op aarde
zult opduiken uit de vloed
Quelltext
Präpositionalphrasen
in finsteren Zeiten
deutet auf Unempfindlichkeit hin
ein Gespräch über Bäume
ein Schweigen über so viele Untaten
über die Straße geht
nicht mehr erreichbar für seine Freunde
die in Not sind
in den alten Büchern
sich aus dem Streit der Welt halten
ohne Furcht
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
unter die Menschen
ich empörte mich mit ihnen
auf Erden
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
auf Erden
in den Sumpf zu meiner Zeit
ohne mich
auf Erden
in großer Ferne
wenn auch für mich
auf Erden
auftauchen werdet aus der Flut
74
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
als je over onze zwakheden spreekt
van land wisselend, van schoenen
door de oorlogen der klassen
haat tegen de laagheid
woede om het onrecht
de grond wilden effenen voor vriendelijkheid
-
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
durch die Kriege der Klassen
Haß gegen die Niedrigkeit
Zorn über das Unrecht
den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
mit Nachsicht
Aus der Liste ist ersichtlich, daß in einigen Fällen der Zieltext eine Präpositionalphrase
enthält und der Quelltext nicht oder umgekehrt. Die erste Zeile, für die dies zutrifft, ist Zeile
23:
23
Zieltext Van den Bremt
Präpositionalphrasen
-
Quelltext
Präpositionalphrasen
sich aus dem Streit der Welt halten
Die Zeile lautet im Zieltext „’s werelds strijdtoneel mijden “. Der Sachverhalt der
Abgrenzung bzw. Distanzierung, die in der Präposition „aus“ in Zusammenhang mit dem
Verb halten gegeben ist, findet man im zielsprachlichen Verb „mijden“ deckungsgleich
wieder. Eine substantielle Verschiebung ist deshalb nicht vorhanden. Die Verschiebung kann
man als konstitutiv auffassen.
Die Zeile 44 enthält ebenfalls eine konstitutive Verschiebung auf der präpositionalen
Ebene:
44
Zieltext Van den Bremt
Präpositionalphrasen
verried mij aan de beul
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Das deutsche Verb „verraten“ ist ein direktes Verb, das ohne Präposition auftritt. Dahingegen
wird das niederländische Verb von einer Präposition begleitet, „verraden aan“. Dieser
Unterschied geht auf das Konto der unterschiedlichen linguistischen Systeme und sollte
deswegen als konstitutive Verschiebung betrachtet werden.
75
Bei dem zielsprachlichen Verb „wisselen van“ und dem deutschen „wechseln“ in Zeil 61
verhält es sich genau so:
61
Zieltext Van den Bremt
Präpositionalphrasen
van land wisselend, van schoenen
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Auch hier handelt es sich um eine formelle, konstitutive Verschiebung, die den betroffenen
sprachlichen Systemen zugeordnet werden muß. In Zeile 61 ist die syntaktische Rolle der
Präposition „van“ im deutschen Verb „wechseln“ inkorporiert.. Demzufolge handelt es sich in
beiden Fällen um Verschiebungen, die für die Textwelt und die übersetzerische Interpretation
nicht von Bedeutung sind.
Außerdem gibt es zwei Fälle, in dem im Quelltext eine Präpositionalphrase vorliegt und im
Zieltext nicht:
50
74
Zieltext Van den Bremt
Präpositionalphrasen
-
Quelltext
Präpositionalphrasen
in großer Ferne
mit Nachsicht
Eine Überschneidung der Analyse ist auch hier gegeben, da die betroffenen Zeilen schon im
Rahmen der Nominalphrasen behandelt wurden.
76
1
2
3
4
5
6
7
8
9
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11
12
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41
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46
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48
49
50
51
52
53
54
Zieltext Van den Bremt
Adverbialphrasen
in duistere tijden
nog niet
rustig
zuiver toeval
wees blij
graag
zonder vrees
zonder geweld
in duistere tijden
ten tijde van de wanorde
toen daar honger heerste
ten tijde van het oproer
tussen twee veldslagen in
onder de moordenaars
achteloos
zonder geduld
maar weinig
[zonder mij zaten de heersenden]
zelfverzekerder
goed zichtbaar
amper te bereiken
-
Quelltext
Adverbialphrasen
in finsteren Zeiten
nur noch nicht
ruhig
nur ein Zufall
sei froh
gerne
ohne Furcht
ohne Gewalt
in finsteren Zeiten
zur Zeit der Unordnung
als da Hunger herrschte
zur Zeit des Aufruhrs
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
achtlos
ohne Geduld
nur wenig
saßen ohne mich sicherer
deutlich sichtbar
kaum zu erreichen
-
77
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
vertwijfeld
welwillend
verzweifelt
-
Im Rahmen der Adverbialphrasen kann lediglich eine Verschiebung festgestellt werden. Sie
befindet sich in Zeile 74:
74
Zieltext Van den Bremt
Adverbialphrasen
welwillend
Quelltext
Adverbialphrasen
-
In diesem Fall überschneiden sich zwei Vergleiche: eine Analyse der betreffenden Stelle
wurde schon im Rahmen der Nominalphrasen durchgeführt.
78
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
Zieltext Van den Bremt
Adjektivphrasen
in duistere tijden
het zorgeloze woord is dwaas, een glad
voorhoofd
het verschrikkelijke nieuws
in de oude boeken, wijs
zijn korte tijd
wijs
in duistere tijden
de krachten waren gering
ver verwijderd
goed zichtbaar
-
Quelltext
Adjektivphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht, eine glatte Stirn
die furchtbare Nachricht
in den alten Büchern, weise
die kurze Zeit
weise
in finsteren Zeiten
die Kräfte waren gering
in großer Ferne
deutlich sichtbar
-
79
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
de duistere tijd
schor
vriendelijk
-
der finsteren Zeit
heiser
freundlich
-
Im Bereich der Adjektivphrasen kann keine Verschiebung festgestellt werden.
Laut der Checkliste von Leech und Short kann eine Analyse der Wortklassen sinnvoll sein.
Für eine Studie seien u.a. Präpositionen, Konjunktionen, Pronomina, Bestimmwörter,
Hilfsverben, Interjektionen geeignet (Leech und Short 1981, S. 78). Zunächst wird eine Liste
der verwendeten Konjunktionen erstellt.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
Zieltext Van den Bremt
Konjunktionen
omdat
maar
als
maar, en, als
en
en
-
Quelltext
Konjunktionen
weil
aber
wenn
aber, und, wenn
und
und
-
80
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
en
en
maar
toen
en
en
maar
hoewel
als
als, en
daarbij
als
-
und
sondern
als
und
und
aber
wenn auch
wenn
wenn, und
dabei
wenn
-
Bei der Vergleich fällt auf, daß die Verwendung der Konjunktionen größtenteils
übereinstimmt. Eine Verschiebung ist in Zeile 26 festzustellen:
81
25
Zieltext Van den Bremt
Konjunktionen
en
Quelltext
Konjunktionen
-
Im Zieltext lautet die Zeile „en het redden zonder geweld“, im Quelltext „Auch ohne Gewalt
auskommen“. Während Van den Bremt die kopulative Konjunktion „en“ benutzt, gehört
„auch“ als Gradpartikel einer anderen Wortklasse an. Das Partikel „auch“ stellt jedoch auch in
anreihenden Satzverbindung her. In dem Sinne sind die Satzverbindungen im Ziel- und
Quelltext als gleichwertig zu beurteilen und ist keine substantielle Verschiebung gegeben.
Eine weitere Tabelle, die man zur Analyse heranziehen kann, basiert sich auf Auffälligkeiten
bei den Nominalphrasen. Bei der Kombination Possessivpronomen mit Nomen treten Lücken
auf:
10
12
15
20
28
36
38
42
44
48
54
59
Zieltext Van den Bremt
Possessivpronomin + Nomen
zijn vrienden
mijn kost
mijn geluk
mijn glas water
je wensen
mijn eten
mijn tijd
onze zwakheden
Quelltext
Possessivpronomin + Nomen
seine Freunde
meinen Unterhalt
mein Glück
mein Glas Wasser
seine Wünsche
meine Zeit
mein Essen
meine Zeit
meiner Zeit
meine Zeit
meine Zeit
unseren Schwächen
Ein Unterschied tritt in vier Fällen hervor:
36
42
48
54
Zieltext Van den Bremt
Possessivpronomin + Nomen
-
Quelltext
Possessivpronomin + Nomen
meine Zeit
meine Zeit
meine Zeit
meine Zeit
Bei den Zeilen 36, 42, 48 und 54 handelt es sich um einen identischen Satz, der jeweils die
Strophen des zweiten Teils des Gedichts abschließt. Die nachfolgende Tabelle kann man als
Spiegelbild der obigen Tabelle betrachten; die Lücken sind gefüllt, dafür gibt es sie jetzt auf
der anderen Seite:
82
36
42
48
54
Zieltext Van den Bremt
Bestimmter Artikel + Nomen
de tijd
de tijd
de tijd
de tijd
Quelltext
Bestimmter Artikel + Nomen
-
Im Zieltext lautet der Satz:
Zo verging de tijd
die mij op aarde gegeven was.
Im Quelltext lautet der Satz:
So verging meine Zeit
Die mir auf Erden gegeben war.
Im Zieltext wurde eine Strategie angewandt hat, die von Leech und Short als „avoidance of
repetition“ bezeichnet wird (Leech & Short 1981, S. 79). Hätte der Zieltext statt den
bestimmten Artikel „de“ das Possessivpronomen „mijn“ enthalten, so hatte der Satz nicht nur
wie im Quelltext ein zweifaches, sondern ein dreifaches Binnenreim enthalten: „mijn tijd die
mij“/“meine Zeit“.
Mit der Wahl des bestimmten Artikels hat der Übersetzer hier eine Wiederholung was der
Klang betrifft bzw. ein Binnenreim vermieden. Die Verschiebung, die dies zur Folge hat sagt
etwas über die übersetzerische Interpretation aus und ist demnach substantiell.
83
B.5
Schlußfolgerung Van den Bremt
Van den Bremts Aan hen die na ons komen ist Teil des Zyklus Svendborger Gedichte, den
Van den Bremt 1982 als integrale Übersetzung im Verlag SUN veröffentlichte. Bis dato ist
dies die einzige komplette Übersetzung einer Sammlung Brecht-Lyrik. Der Band ist im
Verlagsprogramm fest eingebettet: neben anderen politische linksorientierten Werken von u.a.
Sergej Eisenstein gingen den Svendborgern Gedichten fünf andere Werke Brechts voran.
In seiner eigenen Lyrik zeigt Van den Bremt ein ausgeprägtes gesellschaftliches Engagement,
sie ist selbsterklärte politische Lyrik. Van den Bremt reiste nach Kuba und Jordanien und ist
bekannt für seine verlegerischen links-orientierten Tätigkeiten. Er wird als Dichter als
„sociaal-geëngageerde, Brechtiaanse dichter“ bezeichnet (Zuiderent 1980). Spätestens seit
1976 findet in der Zeitschrift Kreatief eine intensive publizistische und übersetzerische
Beschäftigung mit Brecht statt, wobei Van den Bremt auch ein Interesse an
Übersetzungsmethodik und Übersetzbarkeit von Lyrik zeigt.
Van den Bremt ist auch sonst als Übersetzer sehr aktif, insbesondere im lyrischen Bereich.
Eine Verschiebung in Richtung lyrischen oder erotisierenden Sprachgebrauchs ist demzufolge
ein logischer Schritt in seiner Gestaltung der Textwelt. Auch legt Van den Bremt an der
gleichen Stelle wie Smit „avoidance of repetition“ an den Tag.
84
C.
Gielkens & Naaijkens
85
AAN DE KOMENDE GENERATIES
– Übersetzung Jan Gielkens und Ton Naaijkens
I
1
5
10
II
Werkelijk, ik leef in duistere tijden!
Het argeloze woord is dwaas. Een glad voorhoofd
wijst op gevoelloosheid. Wie lacht
heeft de vreselijk tijding
alleen nog niet ontvangen.
31
35
Wat zijn dat voor tijden, waarin
een gesprek over bomen bijna een misdaad is,
omdat het een zwijgen over zo veel wandaden inhoudt!
De man die daar rustig over straat loopt
is zeker niet bereikbaar meer voor zijn vrienden
die in nood zijn?
40
15
Het is waar: ik verdien mijn levensonderhoud nog,
maar geloof me: dat is maar toeval. Niets
van wat ik doe geeft mij het recht me vol te eten.
Toevallig bleef ik gespaard. (Als mijn geluk ophoudt ben ik verloren.)
45
20
Men zegt tegen mij: Eet en drink toch! Wees blij dat je hebt!
Maar hoe kan ik eten en drinken, als
ik de hongerlijder ontneem wat ik eet en
mijn glas water gemist wordt door iemand die van de dorst omkomt?
En toch eet en drink ik.
50
25
30
Graag was ik ook wijs.
In de oude boeken staat wat wijs is:
je buiten de strijd van de wereld houden en de korte tijd
zonder vrees doorbrengen,
het ook zonder geweld redden,
kwaad met goed vergelden,
je wensen niet vervullen maar vergeten
geldt als wijs.
Dat kan ik allemaal niet:
werkelijk, ik leef in duistere tijden!
III
55
60
Jullie, die zullen opduiken uit de vloed
waarin wij zijn ondergegaan,
denk,
wanneer jullie over onze zwakheden spreken,
ook aan de duistere tijd
waaraan jullie zijn ontkomen.
Wij gingen immers, vaker van land wisselend dan van schoenen,
door de oorlogen der klassen, wanhopig
als er slechts onrecht was en geen verontwaardiging.
65
70
Terwijl we toch weten:
ook de haat tegen de laagheid
vervormt de gelaatstrekken.
Ook de woede over het onrecht
maakt de stem hees. Ach wij,
die de bodem klaar wilden maken voor vriendelijkeid,
konden zelf niet vriendelijk zijn.
Maar jullie, als het zover zal zijn
dat de ene mens een helper voor de ander is,
denk aan ons
met welwillendheid.
86
In de steden kwam ik ten tijde van de wanorde,
toen er honger heerste.
Onder de mensen kwam ik ten tijde van het oproer
en ik kwam met hen in opstand.
Zo verstreek mijn tijd
die mij op aarde gegeven was.
Mijn eten at ik tussen de veldslagen,
slapen ging ik tussen de moordenaars,
de liefde bedreef ik achteloos
en de natuur zag ik zonder geduld.
Zo verstreek mijn tijd
die mij op aarde gegeven was.
De straten leidden in mijn tijd het moeras in.
De taal verried mij aan de slachter.
Ik kon maar weinig uitrichten. Maar de heersers
zaten zonder mij veiliger, dat hoopte ik.
Zo verstreek mijn tijd
die mij op aarde gegeven was.
De krachten waren gering. Het doel
lag op grote afstand
het was duidelijk zichtbaar, al was het voor mij
nauwelijks te bereiken.
Zo verstreek mijn tijd
die mij op aarde gegeven was.
AN DIE NACHGEBORENEN – Bertolt
1
5
10
15
20
25
30
Brecht
I
II
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unemfpindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
35
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräche über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
40
Es ist wahr: ich verdiene meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: Das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin
ich verloren.)
45
Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
50
Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Sein Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
55
III
60
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
65
70
75
Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.
87
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
C.1
Hintergrund-Informationen
Historisch-bibliographische Informationen
Die Anthologie Spiegel van de Duitse poëzie van 750 tot heden, zusammengestellt von Jan
Gielkens und Ton Naaijkens, ist 1984 beim Meulenhoff-Verlag in Amsterdam erschienen.
Laut der Rückseite des Bandes ist die “representatieve bloemlezing” der deutschen Lyrik der
erste “in een reeks van buitenlandse ‘Spiegels’”. Der erste “Spiegel” überhaupt ist Spiegel van
de Nederlandse poëzie; der Band wurde 1965 von Victor E. van Vriesland herausgegeben.
Die Nachfolger der Anthologie der deutschen Lyrik waren folgende Bänder:
1988
Spiegel internationaal: moderne poëzie uit 21 talen, Hrsg. von Maarten Asscher
und Laurens Vancrevel
1988
Spiegel van de Grieks poëzie van oudheid tot heden, Hrsg. von Hans Warren und
Mario Molegraaf
1989
Spiegel van de Engelse poëzie uit de gehele wereld van 1200 tot 1900, Hrsg. von
Elizabeth Mollison, Henk Romijn Meijer und Gerrit de Blaauw
1991
Spiegel van de klassieke Chinese poëzie, Hrsg. von W.L. Idema
1994
Spiegel van de Friese poëzie van de zeventiende eeuw tot heden, Hrsg. von Teake
Oppewal und Pier Boorsma
1995
Spiegel van de Surinaamse poëzie: van de oude liedkunst tot de jongste dichters,
Hrsg. von Michiel van Kempen und Jan Bongers
2000
Spiegel van de Russische poëzie van de twaalfde eeuw tot heden, Hrsg. von
Willem G. Weststeijn, Peter Zeeman und Frans-Joseph van Agt
2003
Spiegel van de Franse poëzie, Hrsg. von Philip Ingelse
Die Anthologie enthält acht Gedichte von Brecht. Neben An die Nachgeborenen ist ein
weiteres Gedicht dem Zyklus Svendborger Gedichte entnommen worden, Legende von der
Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration. Zur Motivation
der Auswahl der Gedichte Brechts schrieb Ton Naaijkens später: „Ik denk dat de keuze die in
het jaar 1984 voor de Spiegel van de Duitse poëzie gemaakt werd (…) te maken heeft met een
poging het marxistische van Brechts huid te krabben en een blik te gunnen op wat hierboven
‘het andere’ van de schrijver heet.” (Naaijkens 1998, S. 229). Damit verweist Naaijkens auf
88
die Bewegung weg vom eindimensional politischen Dichter Brecht hin zum
ernstzunehmenden Künstler Brecht, die seit Mitte der siebziger Jahre festzustellen sei.
Kenntlichmachung als Übersetzung
In der zweisprachigen Ausgabe haben die Originalgedichte einen hohen Stellenwert; sie sind
im Blattspiegel mit einem größeren Schrifttyp vertreten und belegen einen zentralen Platz,
während die Übersetzungen kleiner gedruckt sind und sich am unteren Seitenrand befinden.
Der Band verfügt zunächst über einen allgemeinen einleitenden Text, der eine historischen
und poetischen Übersicht über die deutschsprachige Lyrik gibt. Auch Brechts Poetik und
seine Rolle im deutschsprachigen literarischen System werden erwähnt: „Brechts invloed op
de Duitstalige poëzie is niet altijd direct zichtbaar maar mag niet onderschat worden. Dat
geldt niet alleen voor de poëzie die in de DDR wordt gemaakt. Brecht heeft de schijnheiligheid
ontmaskerd en met ogenschijnlijke eenvoud een andere manier van denken ingeleid.”
(Gielkens & Naaijkens 1984, S. 13). Außerdem gibt es im Rahmen der Diskussion um den
Stellenwert der Lyrik nach Auschwitz einen direkten Hinweis auf das Motiv der Natur und
des Baums in An die Nachgeborenen: Die deutschsprachigen Lyriker wüssten nicht, „hoe men
de Duitse schande kann overwinnen als rijm als overmoed wordt gezien, als een poëtisch
ritme dat een boom beschrijft automatisch een zwijgen inhoudt over de vele misdaden die
tegelijkertijd begaan worden.“ (ebd.) Damit wird der hohe Stellenwert von An die
Nachgeborenen angesprochen – das Gedicht wurde vielfach poetisch reflektiert.1 Die
dichterische Auseinandersetzung mit Brecht findet außerdem im 1970 erschienenen Band Von
den Nachgeborenen – Dichtungen auf Bertolt Brecht, herausgegeben von Jürgen P.
Wallmann, statt.
Danach folgt ein Text, in dem die Auswahl-Kriterien der Gedichte und die Aufmachung des
Bandes motiviert werden. Die Anthologie enthalte Gedichte, worüber ein „algemeen aanvaard
oordeel van kwaliteit“ besteht (Gielkens & Naaijkens 1984, S. 18). Gleichzeitig trage die
Auswahl den persönlichen “stempel van de samenstellers”; konkret wählten sie Gedichte
1
Siehe zum Beispiel:
- Hans Magnus Enzensberger, „Weiterung“, in Blindenschrift, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1964.
- Erich Fried, „Gespräch über Bäume“, in Anfechtungen, Berlin: Wagenbach, 1967.
- Paul Celan, „Ein Blatt“, in Schneepart, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1971.
- Gregor Laschen, „Naturgedicht 7“, in Die andere Geschichte der Wolken, München: Hanser, 1983.
89
„waarin sprake is van een hoge mate van taalbewustzijn” und in denen “grammaticale grenzen
en grenzen van het menselijke voorstellingsvermogen worden overschreden, waarin meer
risico’s worden genomen dan in teksten daarvóór.” (ebd.) Die Auswahl umfasse außerdem
Lyrik, die “ritme, klanken, metaforen tot het uiterste gebruikt in haar spel met symbolen, een
spel dat naar eigen orde streeft.” (ebd.) Lyrik, die als “verhalend of anekdotisch” bezeichnet
wird, sei nicht aufgenommen worden (ebd.) Bei der Auswahl sei die Übersetzbarkeit der
Gedichte kein Kriterium gewesen. Den Übersetzungen seien gelegentlich zum besseren
Verständnis erklärende Anmerkungen hinzugefügt worden; bei den acht Brecht-Gedichten An
die Nachgeborenen ist dies jedoch nicht der Fall.
90
C.2
Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
Die Erstellung eines semantisch-pragmatischen Skeletts stellt der erste Schritt des Verfahrens
dar. Eine Bestimmung der Elemente der situativen Dimension, der „poetischen Stimme“ und
der Persona, der deiktischen Elemente, der Gattung, der Struktur und des Themas des Textes
werden dabei vorgenommen.
Da die Quelltexte der vorliegenden Arbeit sich rein pragmatisch gesehen sehr nahe stehen,
tun sich naturgemäß Parallelen zum semantisch-pragmatischen Skelett der Übersetzung
Gabriël Smits auf. Das unten beschriebene Skelett wird dementsprechend zu großen Teilen
mit den der anderen Zieltexte übereinstimmen.
Die wichtigsten Subjekte des Zieltext sind eine nachfolgende Gruppe, die im Titel Aan de
komende generaties angedeutet wird, und eine Persona, ein „ik“, das in der ersten Zeile
eingeführt wird und im ganzen Text die poetische Stimme darstellt. Diese Persona trifft auf
eine Gemeinschaft, die hungert, und solidarisiert sich mit ihr. Die Persona hat ebenfalls mit
Mördern, Schlächtern und Herrschenden zu tun. Außerdem begegnet die Persona ein „wie“,
ein anonymes Subjekt, das bestimmte Verhaltensweisen aufzeigt, („wie lacht…“, Zeile 3).
Das „ich“ befindet sich in einem Dialog mit diesem Subjekt. Neben der Persona bewegt sich
ein „jullie“ , ein nachgeborenes Subjekt, das angesprochen wird; diesem „jullie“ werden
Hintergründe erklärt. Dieses Objekt soll den Vorgängern, inklusive der erzählenden Persona,
wenn die Welt sich geändert hat, mit Nachsicht erinnern.
Im Text spielen Tiere oder lebendige, personifizierte Objekte keine Rolle. Die wichtigsten
Objekte sind Teil der Landschaft, die die Persona umgibt, wie Bäume, Straßen, Städte,
Länder, die Natur.
Der Zieltext von Gielkens besteht aus freien, ungereimten Versen. Das Gedicht besteht aus
insgesamt dreizehn Strophen und drei Teilen, die man als relativ autonom betrachten kann;
man könnte sie als drei eigenständige Texte lesen.
Der erste Teil enthält zwei Fragesätze, die die Verunsicherung der Persona und ihren
Konflikt mit der Welt, in der sie lebt, ausdrücken. Außerdem enthält die dritte Strophe
Befehls- oder Aufforderungssatz (Zeile 13: „geloof me“), das Gegenüber wird zum ersten mal
im Gedicht direkt angesprochen.
91
Die direkte Rede in Zeile 16 ist ebenfalls Ausdruck der schwierigen Beziehung zwischen der
Persone und ihrer sozialen Umgebung. Das Umfeld wirft der Persona Undankbarkeit vor.
Anhand der Personalpronomina der ersten oder zweiten Person lassen sich die wichtigen
Subjekte feststellen:
Strophe
(Teil 1)
1
2
3
4
5
Personalpronomina der 1. und 2. Person
ik
ik mijn me ik mij me ik mijn ik
mij je (direkte Rede) ik ik ik mijn ik
ik ik ik
(Teil 2)
6
7
8
9
ik ik ik mijn mij
ik ik ik ik mijn mij
mijn mij mij ik mijn mij
mij mijn mij
(Teil 3)
10
11
12
13
jullie wij jullie onze jullie
wij
we wij
jullie ons
Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß im ersten Teil ausschließlich die erste Person Singular
verwendet wird. Im zweite Teil des Gedichtes ist ebenfalls ausschließlich diese Person
vertreten. Im dritten Teil treten die erste und die zweite Person in ungefähr gleicher Frequenz
auf.
Der erste Teil fängt mit einem sakral wirkenden Ausruf an. Im ersten Teil wird ein „ich“
eingeführt, das die Schwierigkeiten beschreibt, sich in den aktuellen finsteren Zeiten richtig
zu Verhalten. Als problematisch empfindet die Persona verschiedene Gegebenheiten des
Alltags: man könne nicht mehr lachen, nicht über Allerweltsthemen sprechen, nicht mehr
spazierengehen. „Normales“ Verhalten sei eine Verneinung der grausamen Wirklichkeit. Die
Tatsache, daß es der Persona gut geht und daß sie zu essen und trinken hat, sei lediglich
Zufall. Ihre Umgebung sagt der Persona, sie solle ob ihres Glückes froh sein – sie selbst habe
aber ein schlechtes Gewissen. Außerdem gelinge es der Persona nicht, sich der Tugenden alter
92
Verhaltenslehren, wie Gewaltlosigkeit, Angstfreiheit und Verzicht, anzunehmen. Die Aussage
bezüglich der schwierigen Zeit wird in der letzten Zeile des ersten Teils wiederholt.
Der zweite Teil besteht vollständig aus Aussagesätzen und ist demnach eine Beschreibung.
Jede der vier Strophen wird mit dem gleichen Satz abgeschlossen. Im zweiten Teil schildert
die Persona, wie sie ihr Leben verbracht hat. Sie habe in einem Sumpf, einer kriegerischen
städtischen Landschaft agiert; diese Landschaft bestand aus einer chaotischen Gemeinschaft,
die sich in Aufruhr befand habe. Mit dieser Gemeinschaft habe die Persona sich solidarisiert.
Es tobten Schlachten, es herrschten Wut und Hunger. Die Persona habe mit Mördern verkehrt
und den Herrschern die Unterstützung verweigert. Dabei habe sie den einzigen positiv
besetzten Begriffen, Liebe und Natur, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die
Grundbedürfnisse Essen und Schlaf seien notdürftig befriedigt worden. In dieser Situation
haben ihre sprachlichen Äußerungen die Persona in Gefahr gebracht: sie haben das Interesse
des Schlächters erweckt. Die Persona habe sich in dieser Umgebung als zu schwach
empfunden und sei sich ihrer Wirkung nicht sicher gewesen – sie sei jedenfalls nicht in der
Lage gewesen, ein großes und wichtiges Ziel zu erreichen.
Der dritte besteht aus vier Strophen – die zweite und dritte Strophe enthalten nur
Aussagesätzen, die umringenden Strophen enthalten jeweils einen Befehls- oder
Aufforderungssatz. In den letzteren spricht die Persona sein Gegenüber direkt an.
Im dritten Teil spricht die Persona ein Gegenüber, ein „jullie“ an. Sie und die Gemeinschaft,
von der sie ein Teil ist (ein „wij“), haben sich für den internationalen Klassenkampf viel
bewegen müssen und auf persönliche Bedürfnisse verzichtet. Dabei seien sie oft verzweifelt
gewesen und waren sie, was das Zwischenmenschliche anbelangt, nicht aufmerksam genug –
es habe ihnen an Geduld und Freundlichkeit gefehlt, obwohl sie gerade auch für diese Sachen
gekämpft haben. Wenn das Gegenüber in einer menschenfreundlichen Gesellschaft lebt, für
die die Persona und ihre Mitstreiter gekämpft haben, solle er sich nicht nur deren Fehler
entsinnen, sondern auch deren Bemühungen, eine bessere Welt herbeizuführen.
Der nächste Punkt ist das deiktische Zentrum, das „Hier“ und „Jetzt“ der Textwelt. Die
Persona berichtet aus einem nicht näher definierten Raum über ihre Vergangenheit und richtet
ein Aufforderung an die Nachgeborenen. Über ihren aktuellen Aufenthaltsort ist nichts in
Erfahrung zu bringen, nur über die Situation im Allgemeinen und über die Stadtlandschaft
und die Kriegsschauplätze, wo sie sich vorher aufgehalten hat.
93
Zur temporalen Deixis können Aussagen gemacht werden die sich auf bestimmte textuelle
Merkmale beziehen. Ein Anhaltspunkt ist die Anwesenheit von Zeitadverbien, wie „gestern“
oder „morgen“. Im vorliegenden Text fehlen diese gänzlich. Den temporalen deiktischen
Nullpunkt kann man anhand der Tempora feststellen:
Präsens
Teil 1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
Teil 2
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
Präteritum
Perfekt
Infinitiv
Präteritumperfekt
leef
is
wijst, lacht
heeft
ontvangen
zijn
is
zwijgen
loopt
is
zijn
is, verdien
geloof, is
doe, geeft
ophoudt
zegt, eet,
drink, wees,
hebt
kan
ontneem, eet
omkomt
eet, drink
was
staat, is
eten
ben verloren
bleef gespaard
eten, drinken
wordt gemist
houden
doorbrengen
redden
vergelden
vervullen,
vergeten
geldt
kan
leef
kwam
heerste
kwam
kwam
verstreek
gegeven was
at
ging
bedreef
zag
slapen
94
Futur
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
verstreek
gegeven was
leidden
verried
kon
zaten, hoopte
verstreek
uitrichten
gegeven was
waren
lag
was, was
bereiken
verstreek
gegeven was
Teil 3
55
zullen
opduiken
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
zijn
ondergegaan
denk
spreken
zijn ontkomen
gingen
was
weten
vervormt
maakt
wilden
konden
klaar maken
zal zijn
is
denk
Als Ergebnis ist festzuhalten, daß der erste Teil überwiegend Verben im Präsens und keine
einzige Präteritum-Bildung enthält, der zweite Teil überwiegend im Präteritum und keine
Präsens-Formen hat, und im dritten Teil hauptsächlich und zu nahezu gleichen Teilen
Präsens- und Präteritum-Bildungen vertreten sind. Dies geht konform der Thematik der drei
Teile des Gedichts – erstens eine Schilderung einer schwierigen und konfliktreichen
Gegenwart, zweitens die Probleme einer vergangenen Zeit und drittens eine Rechtfertigung
und ein Appell für die Zukunft.
95
Beziehung zwischen coding time/content time
Die Persona erzählt von der heutigen Zeit aus; sie beschreibt die aktuelle schwierig Lage, die
„finsteren Zeiten“, und die Vorgeschichte. Ihre Aufforderung richtet sich an die Zukunft. Es
gibt also drei Zeitbezüge: das Jetzt, in dem die Perona spricht, berichtet und
anspricht/auffordert, die Vergangenheit, die beschrieben wird, und die Zukunft, der die
Aufforderung/der Aufruf an die nachfolgenden Generationen gilt.
96
C.3
Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
Als zweiter Schritt der Analyse werden die Ergebnisse des semantisch-pragmatischen Skeletts
mit dem Quelltext verglichen. Die Frage dabei ist, ob die Ergebnisse auch für den Quelltext
gelten. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte das semantisch-pragmatische Skelett sollte derartig
erarbeitet werden, daß eine Überstimmung gegeben ist. Falls auf dieser Ebene substantielle
Verschiebungen stattfinden, sollten diese erfasst werden.
Das semantisch-pragmatische Skelett besteht aus Daten, die sich auf die Subjekte, Objekte,
Situationen, Deixis, Gattung, Struktur und Thematik beziehen. In diesen Punkten stimmen der
Zieltext von Van den Bremt und der Quelltext im Wesentlichen überein. Eine Überarbeitung
des semantisch-pragmatischen Skeletts ist demnach nicht erforderlich; das Skelett ist in der
vorliegenden Form als tertium comparationis brauchbar.
97
C.4
1
2
3
4
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41
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43
44
45
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47
48
49
50
Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
Zieltext Gielkens c.s.
Nominalphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord, een glad voorhoofd
gevoelloosheid, de vreselijke tijding
wat zijn dat voor tijden
een gesprek over bomen, een misdaad
een zwijgen, zo veel wandaden
over straat
zijn vrienden
in nood
mijn levensonderhoud
maar toeval
recht
mijn geluk
de hongerlijder
glas water, iemand die van de dorst omkomt
in de oude boeken
buiten de strijd van de wereld, de korte tijd
zonder vrees
zonder geweld
kwaad met goed vergelden
je wensen
in duistere tijden
in de steden, ten tijde van de wanorde
honger
onder de mensen, ten tijde van het oproer
mijn tijd
op aarde
mijn eten, tussen de veldslagen
tussen de moordenaars
de liefde
de natuur, zonder geduld
mijn tijd
op aarde
de straten, in mijn tijd, naar het moeras in
de taal, aan de slachter
de heersers
mijn tijd
op aarde
de krachten, het doel
op grote afstand
Quelltext
Nominalphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort, eine glatte Stirn
Unempfindlichkeit, der Lachende
die furchtbare Nachricht
was sind das für Zeiten
ein Gespräch über Bäume, ein Verbrechen
ein Schweigen, so viele Untaten
über die Straße
seine Freunde
in Not
meinen Unterhalt
nur ein Zufall
mein Glück
dem Hungernden
Glas Wasser, einem Verdurstenden
in den alten Büchern
aus dem Streit der Welt, die kurze Zeit
ohne Furcht
ohne Gewalt
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche
in finsteren Zeiten
in die Städte, zur Zeit der Unordnung
Hunger
unter die Menschen, zur Zeit des Aufruhrs
meine Zeit
auf Erden
mein Essen, zwischen den Schlachten
unter die Mörder
der Liebe
die Natur, ohne Geduld
meine Zeit
auf Erden
die Straßen, in den Sumpf, zu meiner Zeit
die Sprache, dem Schlächter
die Herrschenden
meine Zeit
auf Erden
die Kräfte, das Ziel
in großer Ferne
98
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
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64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
mijn tijd
op aarde
uit de vloed
onze zwakheden
de duistere tijd
vaker van land wisselend dan van schoenen
de oorlogen der klassen
slechts onrecht, geen verontwaardiging
de haat tegen de laagheid
de gelaatstrekken
de woede over het onrecht
de stem
de bodem, voor vriendelijkheid
de ene mens een helper voor de ander
met welwillendheid
meine Zeit
auf Erden
aus der Flut
unseren Schwächen
der finsteren Zeit
öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
die Kriege der Klassen
nur Unrecht, keine Empörung
der Haß gegen die Niedrigkeit
die Züge
der Zorn über das Unrecht
die Stimme
den Boden, für Freundlichkeit
der Menschen dem Menschen, ein Helfer
mit Nachsicht
In der obenstehenden Tabelle treten zwei Verschiebungen hervor, wenn feststellt an welchen
Stellen Nominalphrasen im Zieltext keine Entsprechung im Quelltext haben und umgekehrt:
3
14
Zieltext Gielkens c.s.
Nominalphrasen
gevoelloosheid, recht
Quelltext
Nominalphrasen
Unempfindlichkeit, der Lachende
-
Die Leerstelle in Zeile 3 des Zieltextes lautet „wie lacht“; in Zeile 14 ist das zielsprachliche
„geeft mij het recht“ mit der Quelltextzeile „berechtigt mich“ verbunden. Beide Fälle treten in
der gleichen Weise in den Zieltexten der Übersetzer Smit und Van den Bremt auf. Es handelt
sich in beiden Fällen um Verschiebungen die dem Bereich der unterschiedlichen
linguistischen Systeme von Ziel- und Quelltext zugeordnet werden müssen. Für die
Makrostruktur und die Textwelt sind sie deswegen nicht von substantieller Bedeutung.
99
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
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21
22
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27
28
29
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31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
Zieltext Gielkens c.s.
Verbalphrasen
ik leef in duistere tijden
het argeloze woord is dwaas
wijst op, lacht
heeft
ontvangen
wat zijn dat voor tijden
bijna een misdaad is
inhoudt
loopt
is zeker niet bereikbaar meer
die in nood zijn
het is waar, ik verdien mijn levensonderhoud
nog
geloof me, dat is maar toeval
niets van wat ik doe, geeft me het recht me vol
te eten
toevallig bleef ik gespaard, als mijn geluk
ophoudt ben ik verloren
men zegt tegen mij, eet en drink toch, wees blij
dat je hebt
maar hoe kan ik eten en drinken
als ik de hongerlijder ontneem wat ik eet
mijn glas water gemist wordt door iemand die
van de dorst omkomt
en toch eet en drink ik
ik zou ook graag wijs zijn
staat wat wijs is
je buiten de strijd van de wereld houden
de korte tijd zonder vrees doorbrengen
het zonder geweld klaarspelen
kwaad met goed vergelden
je wensen niet vervullen maar vergeten
geldt als wijs
dat kan ik allemaal niet
ik leef in duistere tijden
in de steden kwam ik
toen er honger heerste
onder de mensen kwam ik
en ik kwam met hen in opstand
zo verstreek mijn tijd
die mij op aarde gegeven was
mijn eten at ik
slapen ging ik
de liefde bedreef ik achteloos
de natuur zag ik zonder geduld
zo verstreek mijn tijd
die mij op aarde gegeven was
de straten leidden in mijn tijd het moeras in
de taal verried mij aan de slachter
ik kon maar weinig uitrichten
de heersers zaten zonder mij veiliger, dat hoopte
ik
zo verstreek mijn tijd
die mij op aarde gegeven was
de krachten waren gering
Quelltext
Verbalphrasen
ich lebe in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht
deutet hin, hat
empfangen
was sind das für zeiten
fast ein Verbrechen ist
einschließt
geht
ist wohl nicht mehr erreichbar
die in Not sind
es ist wahr, ich verdiene meinen Unterhalt
glaubt mir, das ist nur ein Zufall
nichts von dem was ich tue, berechtigt mich dazu,
mich sattzuessen
zufällig bin ich verschont, wenn mein Glück aussetzt,
bin ich verloren
man sagt mir, iß und trink du, sei froh daß du hast
aber wie kann ich essen und trinken
wenn ich dem Hungernden entreiße was ich esse
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt
und doch esse und trinke ich
ich wäre auch gerne weise
steht was weise ist
sich aus dem Streit der Welt halten halten
die kurze Zeit ohne Furcht verbringen
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
gilt für weise
alles das kann ich nicht
ich lebe in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
als da Hunger herrschte
unter die Menschen kam ich
und ich empörte mich mit ihnen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
mein Essen aß ich
schlafen legte ich mich
der Liebe pflegte ich achtlos
die Natur sah ich ohne Geduld
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit
die Sprache verriet mich dem Schlächter
ich vermochte nur wenig
die Herrschenden saßen ohne mich sicherer, das hoffte
ich
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Kräfte waren gering
100
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
het doel lag op grote afstand
het was duidelijk zichtbaar
al was het voor mij nauwelijks te bereiken
zo verstreek mijn tijd
die mij op aarde gegeven was
jullie, die zullen opduiken uit de vloed
waarin wij zijn ondergegaan
denk
wanneer jullie over onze zwakheden spreken
waaraan jullie zijn ontkomen
wij gingen immers, vaker van land wisselend
dan van schoenen
als er slechts onrecht was
terwijl we toch weten
[de haat tegen de laagheid] vervormt de
gelaatstrekken
[de woede over het onrecht] maakt de stem hees
[wij] die de bodem klaar wilden maken voor
vriendelijkheid
[wij] konden zelf niet vriendelijk zijn
als het zover zal zijn
dat de ene mens een helper voor de ander is
denk aan ons
-
das Ziel lag in großer Ferne
es war deutlich sichtbar
wenn auch für mich kaum zu erreichen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
in der wir untergegangen sind
gedenkt
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
der ihr entronnen seid
gingen wir doch, öfter die Schuhe als die Länder
wechselnd
wenn da nur Unrecht war
dabei wissen wir doch
[der Haß gegen die Niedrigkeit] verzerrt die Züge
[der Zorn über das Unrecht] macht die Stimme heiser
[wir] die wir den Boden bereiten wollten für
Freundlichkeit
[wir] konnten selber nicht freundlich sein
wenn es so weit sein wird
daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
gedenkt unsrer
-
Zeile 3 enthält die Verschiebung, die auch schon in den Zieltexten Smits und Van den Bremts
erischtlich waren:
3
Zieltext Gielkens c.s.
Verbalphrasen
lacht
Quelltext
Verbalphrasen
-
Der Zieltext enthält eine Verbalphrase und der Quelltext nicht. Die Analyse der
Verbalphrasen überschneidet sich hier mit der Analyse der Nominalphrasen. Die festgestellte
Verschiebung wird an der entsprechenden Stelle besprochen.
Die nächste Verschiebung findet man in Zeile 19:
19
Zieltext Gielkens c.s.
Verbalphrasen
mijn glas water gemist wordt door iemand die
van de dorst omkomt
Quelltext
Verbalphrasen
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt
Für die Zuordnung der Verschiebung ist es sinnvoll, die vorhergende Zeile 18 herbeizuziehen:
101
18
19
Zieltext Van den Bremt
Nominalphrasen
als ik de hongerlijder ontneem wat ik eet
mijn glas water gemist wordt door iemand die
van de dorst omkomt
Quelltext
Nominalphrasen
wenn ich dem Hungernden entreiße was ich esse
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt
Von den beiden leidenden Personen des Quelltexts, der „Hungernde“ und der „Verdurstende“,
kann im Niederländischen, unter der Voraussetzung des gängigen Sprachgebrauchs im
niederländischen linguistischen System, nur der „Hungernde“ mit einem üblichen Substantiv
bezeichnet werden. Für eine Person im Zustand des Hungers gibt es keine Entsprechung auf
nominaler Ebene. Der Satzteil „iemand die van de dorst omkomt“ bewegt sich somit
innerhalb des niederländischen linguistisch-kulturellen Systems. Das Fehlen einer
Nominalphrase ist als konstitutive und formelle Verschiebung zu verstehen; die
Makrostruktur des Textes und die Textwelt sind nicht betroffen.
102
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
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21
22
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24
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28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
Zieltext Gielkens c.s.
Präpositionalphrasen
in duistere tijden
wijst op ongevoeligheid
een gesprek over bomen
een zwijgen over zo veel wandaden
over straat loopt
niet meer bereikbaar voor zijn vrienden
die in nood zijn
iemand die van de dorst omkomt
in de oude boeken
je buiten de strijd van de wereld houden
zonder vrees
het zonder geweld klaarspelen
kwaad met goed vergelden
in duistere tijden
in de steden kwam ik
onder de mensen kwam ik
ik kwam met hen in opstand
op aarde
tussen de veldslagen
tussen de moordenaars
op aarde
in mijn tijd het moeras in
verried mij aan de slachter
zaten zonder mij
op aarde
op grote afstand
al was het voor mij
op aarde
zullen opduiken uit de vloed
Quelltext
Präpositionalphrasen
in finsteren Zeiten
deutet auf Unempfindlichkeit hin
ein Gespräch über Bäume
ein Schweigen über so viele Untaten
über die Straße geht
nicht mehr erreichbar für seine Freunde
die in Not sind
in den alten Büchern
sich aus dem Streit der Welt halten
ohne Furcht
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
unter die Menschen
ich empörte mich mit ihnen
auf Erden
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
auf Erden
in den Sumpf zu meiner Zeit
saßen ohne mich
auf Erden
in großer Ferne
wenn auch für mich
auf Erden
auftauchen werdet aus der Flut
103
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
wanneer jullie over onze zwakheden spreken
[denk] ook aan de duistere tijd
van land wisselend, van schoenen
door de oorlogen der klassen
haat tegen de laagheid
woede over het onrecht
de bodem klaar wilden maken voor
vriendelijkheid
de ene mens een helper voor de ander
denk aan ons
met welwillendheid
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
durch die Kriege der Klassen
Haß gegen die Niedrigkeit
Zorn über das Unrecht
den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
mit Nachsicht
Aus der Liste ist ersichtlich, daß der Zieltext in sechs Fällen eine Präpositionalphrase enthält
und der Quelltext nicht oder umgekehrt. Die erste Zeile, für die dies zutrifft, ist Zeile 19:
19
Zieltext Gielkens c.s.
Präpositionalphrasen
iemand die van de dorst omkomt
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Im Zieltext lautet die betreffende Stelle „einem Verdurstenden“. Auf der semantischen Ebene
sind das niederländische Verb „van de dorst omkomen“ und das deutsche Verb „verdursten“,
das ohne Präposition angewendet wird, deckungsgleich. Folgerichtig kommt bei der
Personalisierung bzw. Substantivierung des Verbs im Zieltext eine Präposition zur
Anwendung und im Quelltext nicht. Von einer individuellen bzw. substantiellen
Verschiebung kann daher nicht die Rede sein; die Verschiebung ist als formell einzustufen.
Die Zeilen 44 und 61 enthalten formelle, konstitutive Verschiebungen, die den betroffenen
sprachlichen Systemen zugeordnet werden müssen:
44
61
Zieltext Gielkens c.s.
Präpositionalphrasen
verried mij aan de slachter
van land wisselend, van schoenen
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Die syntaktische Funktion, die die Präposition „aan“ in Zeile 44 innehat, wird im Quelltext
durch den deklinierten Artikel „dem“ vertreten („die Sprache verriet mich dem Schlächter“).
104
Gleiches gilt für Zeile 61 (Quelltext: „öfter als die Schuhe die Länder wechselnd“), in der die
syntaktische Rolle der Präposition „van“ im deutschen Verb „wechseln“ inkorporiert ist.
Demzufolge handelt es sich in beiden Fällen um Verschiebungen, die für die Textwelt und die
übersetzerische Interpretation nicht von Bedeutung sind.
59
73
Zieltext Gielkens c.s.
Präpositionalphrasen
[denk] ook aan de duistere tijd
denk aan ons
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Die Stelle, die im Quelltext Zeile 59 entspricht, lautet „[gedenkt] auch der finsteren Zeit“; die
Entsprechung von Zeile 73 lautet „gedenkt unsrer“. Auf der Skala des Registers würde man
das deutsche Verb „gedenken“ in diesem Kontext (vor allem in der Redewendung „gedenkt
unsrer“) eher als formal und weihevoll einschätzen, während das zieltextliche „denken aan“
eher zum Umgangssprachlichen tendiert. Insoweit geht es hier auf der textuellen Mikro-Ebene
um eine individuelle und substantielle Verschiebung, die eine Wirkung auf die Makrostruktur
des Textes erzielt.
Eine letzte Verschiebung zeigt Zeile 72:
72
Zieltext Gielkens c.s.
Präpositionalphrasen
de ene mens een helper voor de ander
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Die dazugehörende Stelle im Quelltext lautet „[daß] der Mensch dem Menschen ein Helfer
[ist]“. Die grammatikalische Funktion, die im Zieltext die Präposition „voor“ innehat, ist im
Quelltext in der Dativ-Form des bestimmten Artikels „der“, d.h. in „dem“, enthalten. Daraus
läßt sich schließen, daß die vorliegende Verschiebung im Bereich des Konstitutiven und
Formellen liegt.
105
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
Zieltext Gielkens c.s.
Adverbialphrasen
in duistere tijden
alleen nog niet
rustig
maar toeval
wees blij
graag
zonder vrees
zonder geweld
in duistere tijden
ten tijde van de wanorde
toen er honger heerste
ten tijde van het oproer
tussen de veldslagen
tussen de moordenaars
achteloos
zonder geduld
maar weinig
[zaten] zonder mij veiliger
duidelijk zichtbaar
nauwelijks te bereiken
-
Quelltext
Adverbialphrasen
in finsteren Zeiten
nur noch nicht
ruhig
nur ein Zufall
sei froh
gerne
ohne Furcht
ohne Gewalt
in finsteren Zeiten
zur Zeit der Unordnung
als da Hunger herrschte
zur Zeit des Aufruhrs
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
achtlos
ohne Geduld
nur wenig
saßen ohne mich sicherer
deutlich sichtbar
kaum zu erreichen
-
106
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
wanhopig
-
verzweifelt
-
In der Tabelle mit den Adverbialphrasen treten keine Verschiebungen hervor.
107
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
Zieltext Gielkens c.s.
Adjektivphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord is dwaas, een glad voorhoofd
de vreselijke tijding
niet bereikbaar meer
wijs
in de oude boeken, wijs
de korte tijd
wijs
in duistere tijden
de krachten waren gering
op grote afstand
duidelijk zichtbaar
-
Quelltext
Adjektivphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht, eine glatte Stirn
die furchtbare Nachricht
nicht mehr erreichbar
weise
in den alten Büchern, weise
die kurze Zeit
weise
in finsteren Zeiten
die Kräfte waren gering
in großer Ferne
deutlich sichtbar
-
108
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
de duistere tijd
hees
vriendelijk
-
der finsteren Zeit
heiser
freundlich
-
Der Vergleich von Ziel- und Quelltext ergibt in der obigen Tabelle keine Verschiebungen.
Eine weitere praktische Handreichung, die die Checkliste von Leech und Short bietet, ist die
Analyse der Wortklassen. Für eine Studie seien u.a. Präpositionen, Konjunktionen,
Pronomina, Bestimmwörter, Hilfsverben, Interjektionen geeignet (Leech und Short 1981, S.
78). Zunächst wird eine Liste der verwendeten Konjunktionen erstellt.
109
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
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23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
Zieltext Gielkens c.s.
Konjunktionen
omdat
maar
als
en
maar, en, als
en
en, en
en
maar
toen
en
en
maar
al
-
Quelltext
Konjunktionen
weil
aber
wenn
und
aber, und, wenn
und
und, und
und
sondern
als
und
und
aber
wenn auch
-
110
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
wanneer
als, en
terwijl
als
-
wenn
wenn, und
dabei
wenn
-
Im Vergleich des Ziel- und Quelltextes was die Verwendung von Konjunktionen betrifft, sind
keine Verschiebungen anzutreffen.
111
C.5
Schlußfolgerung Gielkens & Naaijkens
Die Übersetzung ist eingebettet in eine Reihe „Spiegels“ der Weltlyrik, und befindet sich in
einem Band der von erfahrenen Germanisten, Übersetzern und Lyrik-Übersetzern hergestellt
wurde. Der Band enthalte neben den Originalen auch Übersetzungen, „die ook in de
typografie een bescheiden plaats innemen; ze neigen naar een zo letterlijk mogelijke vertaling
van de tekst met zo veel mogelijk behoud van beelden en ritme.“ Der Begriff
“basisvertalingen” wird eingeführt und erläutert; es handele sich um Übersetzungen „voor de
geïnteresseerde lezer die zelf pogingen wil doen tot een herschepping van de grote poëzie; een
beter begrip van de betekenis zal wellicht bijdragen tot een hogere mate van genot bij het
lezen van deze klassieke maar sprankelende bloemlezing.“
Was die Übersetzungen betrifft, wird folgendes ausgesagt: sie seien keine „herscheppende
of poëtische vertalingen; ze hebben niet de pretentie poëzie te zijn.“ (Gielkens & Naaijkens
1984, S. 20). Den Übersetzern zufolgen seien sie vielmehr „nuchtere vertalingen die niet
willen vervlakken, normaliseren, ontpoëtiseren of verklaren.“ (ebd.) Auch ein Aspekt der
Übersetzungspoetik Brechts taucht in dieser Verantwortung auf. Es handelt sich dabei um
dessen Mahnung, nicht zu viel eines Gedichts übersetzen zu wollen; man solle sich damit
begnügen, die Gedanken und die Haltung des Dichters zu übertragen. Damit können man
Beschädigung des Gedichts vermeiden. (ebd.)2 Die Übersetzer der Sammlung schreiben, sie
haben diese Mahnung bei ihrer Vorgehensweise versucht zu berücksichtigen.
In dem Rahmen ist auch die Verschiebung in den Zeilen 59 und 73 zu verstehen. Im
Bereich des Registers findet eine Verschiebung von zwischen "gedenken" und "denken“, von
weihevoll in Richtung umgangssprachlich statt. Keine sonstigen Verschiebungen treten
hervor; somit könnte man sagen, daß das Ziel der Übersetzer erreicht wurde.
2
Die Übersetzter zitieren Brechts Die Übersetzbarkeit von Gedichten. In: Bertolt Brecht, Über Lyrik. Frankfurt
am Main: Suhrkamp, 1977, S. 107.
112
D.
Van Istendael, Stassijns und De Vin
113
AAN WIE NA ONS KOMEN – Übersetzung
Geert van Istendael, Koen Stassijns und Daniël de Vin
1
2
1
Werkelijk, ik leef in duistere tijden!
5
Het argeloze woord is dwaas. Een glad voorhoofd
Wijst op ongevoeligheid. Wie lacht
Heeft het vreselijke nieuws
Alleen nog niet gehoord.
In de steden kwam ik in de tijd van de wanorde
Toen daar honger heerste.
Onder de mensen kwam ik in de tijd van het oproer
En ik rebelleerde samen met hen.
Zo verliep de tijd
Die mij op aarde toegemeten was.
10
15
35
Wat zijn dat voor tijden, waarin
Een gesprek over bomen haast een misdrijf is
Omdat het een zwijgen over zoveel wandaden bevat!
Wie daar rustig op straat loopt
Is zeker wel niet meer bereikbaar voor zijn vrienden
Die in nood zijn?
40
Het is waar: ik verdien nog mijn brood
Maar geloof me: dat is louter toeval. Niets
Van wat ik doe, geeft me het recht genoeg te eten.
Toevallig ben ik gespaard. (Als het geluk mij laat vallen
Ben ik verloren.)
45
50
20
Ze zeggen me: eet toch en drink! Wees blij dat je iets hebt!
Maar hoe kan ik eten en drinken, als
Ik wat ik eet, afpak van wie hongerlijdt, als
Wie sterft van dorst mijn glas water ontbeert?
En toch eet en drink ik.
55
25
30
Graag zou ik ook wijs zijn
In de oude boeken staat wat wijs is:
Zich ver houden van de herrie in de wereld en zijn korte tijd
Zonder vrees doorbrengen
Ook zich redden zonder geweld
Kwaad met goed vergelden
Zijn wensen niet vervullen, maar vergeten
Geldt voor wijs.
Dat alles kan ik niet:
Werkelijk, ik leef in duistere tijden!
In
3
60
Jullie, die opduiken zult uit de vloed
Waarin wij zijn ondergegaan
Gedenk
Als jullie over onze zwakheid spreken
Ook de duistere tijd
Die jullie ontkomen zijn.
65
Wij gingen immers, vaker dan van schoenen van land veranderend
Door de oorlogen der klassen, wanhopig
Als er enkel onrecht was en geen rebellie.
70
Terwijl we toch weten:
Ook de haat tegen laagheid
Verwringt het gezicht.
Ook de toorn tegen onrecht
Maakt de stem schor. Ach, wij
Die het terrein wilden effenen voor vriendelijkheid
Konden zelf niet vriendelijk zijn.
75
Jullie echter, als het zover zal zijn
Dat de mens de mens een helper is
Gedenk ons
Welwillend.
114
Mijn eten at ik tussen de veldslagen in
Slapen ging ik temidden van de moordenaars
De liefde bedreef ik onverschillig
En naar de natuur keek ik zonder geduld.
Zo verliep de tijd
Die mij op aarde toegemeten was.
De wegen leidden naar het moeras in mijn tijd
De taal stelde mij bloot aan de slachter
Ik was tot weinig in staat. Maar de heersers
Zaten zonder mij veiliger, dat hoopte ik.
Zo verliep de tijd
Die mij op aarde toegemeten was.
De krachten waren gering. Het doel
Lag zeer ver weg
Het was duidelijk zichtbaar, al was het voor mij
Amper te bereiken.
Zo verliep de tijd
Die mij op aarde toegemeten was.
Jullie
AN DIE NACHGEBORENEN – Bertolt
1
5
10
15
20
25
30
Brecht
I
II
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unemfpindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
35
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräche über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
40
Es ist wahr: ich verdiene meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: Das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin
ich verloren.)
45
Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
50
Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Sein Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
55
III
60
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
65
70
75
Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.
115
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
D.1
Hintergrund-Informationen
Historisch-bibliographische Informationen
De mooiste van Bertolt Brecht, zusammengestellt von Koen Stassijns und Ivo van Strijtem,
erschien 1998, hundert Jahre nach der Geburt Brechts. Die Sammlung ist Teil einer Reihe
Anthologien des flämischen Verlags Lannoo, die thematisch oder nach Autor von Stassijns
und Van Strijtem zusammengestellt werden.
De mooiste van de hele wereld – 300 gedichten van de 20ste eeuw
De mooiste van Goethe
De mooiste van Tagore
De mooiste van Heine
De mooiste van Neruda
De mooiste van Yeats
De mooiste van Alberti
Klaagzang van een vogel – De mooiste gedichten uit Kosovo en
Albanië
Liefdes werk – 300 x liefde van altijd en overal
De mooiste van Petrarca
De mooiste van Dickinson
De mooiste van Södergran
De mooiste van Hesse
De mooiste van Ungaretti
De mooiste van Wallace Stevens
Het laatste anker – 300 gedichten over de dood en wat troost uit de
hele wereld
De mooiste van Wordsworth
De mooiste van Quasimodo
1996
1997
1997
1998
1998
2000
2000
2000
2001
2001
2002
2002
2002
2002
2003
2003
2004
2004
Es handelt sich um eine zweisprachige Ausgabe, wobei jeweils die linke Seite den deutschen
und die rechte Seite den niederländischen Text enthält.
Im Vorwort beschreiben die Herausgeber das lyrische Werk Brechts. Brecht habe mehr als
2500 Gedichte geschreiben und sei „niet voor één gat te vangen“; er vereine mehrere Dichter
in einer Person, „de politieke, de lyrische, de taoïstische, de liedjeszanger, de pornografische.“
(Stassijns & Van Strijtem 1998, S. 5.) Es sei deswegen schwierig gewesen, eine repräsentative
Auswahl zu treffen. Ein Experte wurde zu Rate gezogen: den Herausgeber habe Prof. Dr.
Daniel de Vin bei der Auswahl geholfen. Einige Gedichte seien von den jeweiligen
Übersetzern beigesteuert worden. Weiterhin wirden gemeldet, daß die Anthologie
116
ausschließlich neue Übersetzugen enthalte und daß die Herausgeber und Übersetzer sich
ausschließlich „door de poëtische kwaliteit van deze grootmeester“ haben führen lassen.
(ebd.) Es folgt eine Einführung in das Leben und Werk Brechts, geschrieben von Daniel de
Vin.
Kenntlichmachung als Übersetzung
Der erste Hinweis, daß der Band Übersetzungen enthält, steht auf dem Titelblatt. Hier werden
die Namen der Mitarbeiter des Bandes aufgelistet: die Herausgeber Stassijns und Van
Strijtem, der Autor der Einführung De Vin, und die Übersetzer Stassijns, Van Strijtem, De
Vin, Erik Derycke, Stefaan van den Bremt, Brigitte Vanderlinden und Geert van Istendael.
Außerdem sind das Inhaltverzeichnis und die tatsächlichen Gedichte der Sammlung
zweisprachig aufgemacht.
Hintergrund-Informationen zu den Übersetzer Van Istendael, Stassijns und
De Vin
Jedes einzelne Gedicht des Bandes wird bestimmten Übersetzern zugewiesen. An die
Nachgeboren ist laut Register Geert van Istendael, Koen Stassijns und Daniel de Vin
zugeordnet.
Journalist, Essayist, Autor, Dichter und Übersetzer Geert van Istendael übersetzte Lyrik
von Ferdinand Schmalz, Erich Fried und John Burns und Prosa von Kristien Hemmerechts.
Außerdem übersetzte er Theatertexte von Urs Widmer. Im Rahmen der Reihe De mooiste van
… war er an den Übersetzungen der Yeats-, Goethe- und Heine-Bände beteiligt – in den
meisten Fällen bildete er ein Übersetzer-Team mit Koen Stassijns, mit wem er ebenfalls Lyrik
von Heinz Kahlau und Baudelaire übersetzt hat. Die Anthologie De mooiste van de hele
wereld – 300 gedichten van de 20ste eeuw enthält zwei Brecht-Gedichte, die Van Istendael
laut Register für diese spezifische Gelegenheit übersetzt hat. Das neueste gemeinsame Projekt
von Stassijns und Van Istendael war die Übersetzung von Liedtexte Jacques Brels.3 Van
Istendael übersetzte außerdem einzelne Gedichte aus Brechts Messingkauf, die in der
3
Jacques Brel, Ne me quitte pas – Laat me niet alleen. Amsterdam: Nijgh & Van Ditmar, 2004.
117
flämischen Literatur-Zeitschrift Dietsche Warande & Belfort veröffentlicht wurden
(DWB3/2003.) In der Sekundarliteratur gilt er als Dichter, dessen „voornaamste preoccupatie
(…) tijd en ruimte, en de verhouding tussen beide” ist. (Zuiderent 1980.) Ein Merkmal seiner
Dichtung sei, daß er “niet in de eerste plaats één herkenbare stijl beoogt, maar diverse stijlen
will hanteren, afhankelijk van het onderwerp.“ (ebd.) In seiner Lyrik gehe Van Istendael vor
wie ein Journalist, er betrachtet “observeren en meedelen als zijn voornaamste taak.“ (ebd.) Er
wurde mit dem flämischen „Literatuurprijs 2004 voor poëzie“ ausgezeichnet.
Dichter, Literatur-Dozent und Übersetzer Koen Stassijns schrieb selbst sieben
Gedichtbände. Als Herausgeber war er in Zusammenarbeit mit Ivo van Strijtem direkt an der
Übersetzung der Gedichte in allen Sammlungen der Reihe De mooiste van … beteiligt. Laut
Sekundarliteratur möchte Stassijns als Dichter „de confrontatie aangaan met zichzelf en met
de wereld.“ (Zuiderent 1980.) Seine Aufassung der Lyrik sei “eerder traditionalistisch. Hij zet
zich af tegen intellectualisme en al te sterk doorgedreven experimenteel formalisme.” (ebd.)
Seine Themen seien “het lijden aan het menselijk tekort, de onmacht tot bevredigende
communicatie met de ander en met de wereld, het terugplooien op zichzelf, het bewustzijn
van de vernietigende werking van de tijd.” (ebd.) Stassijns sei ein “romantische dichter” und
ein “ietwat verlate, maar zeer representatieve vertegenwoordiger van de Vlaamse
neoromantiek uit de jaren zeventig en tachtig.” (ebd.) Es wird ebenfalls bemerkt, daß der
Dichter Stassijns sich aktiv um ein Leser-Publikum bemüht – so habe er ein Band mit
Gedichten zum Thema Wein geschrieben, der „ook in de gastronomische wereld niet
onopgemerkt bleef“. (ebd.)
Der dritte Übersetzer, der zur Übertragung des Gedichts beigetragen hat, ist Daniel de
Vin, der Experte in Sachen Brechts, der den Herausgeber bei der Auswahl der Gedichte
geholfen hat und der die Einführung verfaßt hat. Seine Haupttätigkeiten übt De Vin in en
Bereichen Germanstik und Literaturwissenschaft aus. Er ubersetzte laut seiner
Veröffentlichungsliste „Duitstalig literaire teksten“ für die flämischen Literaturzeitschriften
Dietsche Warande & Belfort und deus ex machina. Außerdem habe er mehrere Broschüren
der Kulturzeitschrift Ons erfdeel ins Deutsche übersetzt. Die Übersetzung ist demnach in
seiner Optik eher eine Randerscheinung – zu seinem Beitrag an De mooiste van Brecht
schreibt er in der Veröffentlichungsliste „Selectie gedichten, controle vertalingen, inleiding“.
Im Register des Bandes selber ist er bei insgesamt vier Gedichten als Übersetzer aufgeführt.
118
Hintergrund-Informationen Quelltext Van Istendael c.s.
Der Quelltext wird zunächst im Vorwort erwähnt. Die Herausgeber schreiben, Text und
Chronologie der Anthologie basieren sich auf die neue Große kommentierte Berliner und
Frankfurter Ausgabe (BFA). (Stassijns & Van Strijtem 1998, S. 6) Diese Angabe findet sich
Register wieder. Außerdem wird zu jedem einzelnen Gedicht vermerkt, aus welchem Zyklus
der Quelltext stammt, wann er geschrieben wurde, und in welchem Band der BFA er sich
befindet, inklusive Seitenangabe. Demnach ist der Band was die bibliographischen Angaben
betrifft in einem geradezu wissenschaftlichen Stil gehalten.
119
D.2
Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
Die Erstellung eines semantisch-pragmatischen Skeletts stellt der erste Schritt des Verfahrens
dar. Eine Bestimmung der Elemente der situativen Dimension, der „poetischen Stimme“ und
der Persona, der deiktischen Elemente, der Gattung, der Struktur und des Themas des Textes
werden dabei vorgenommen.
Da die Quelltexte der vorliegenden Arbeit sich rein pragmatisch gesehen sehr nahe stehen,
tun sich naturgemäß Parallelen zum semantisch-pragmatischen Skelett der Übersetzung
Gabriël Smits auf. Das unten beschriebene Skelett wird dementsprechend zu großen Teilen
mit den der anderen Zieltexte übereinstimmen.
Die wichtigsten Subjekte des Zieltext sind eine nachfolgende Gruppe, die im Titel Aan wie na
ons komen angedeutet wird, und eine Persona, ein „ik“, das in der ersten Zeile eingeführt wird
und im ganzen Text die poetische Stimme darstellt. Diese Persona trifft auf eine
Gemeinschaft, die hungert, und solidarisiert sich mit ihr. Die Persona hat ebenfalls mit
Mördern, Schlächtern und Herrschenden zu tun. Außerdem begegnet die Persona ein „wie“,
ein anonymes Subjekt, das bestimmte Verhaltensweisen aufzeigt, („wie lacht…“, Zeile 3).
Das „ich“ befindet sich in einem Dialog mit diesem Subjekt. Neben der Persona bewegt sich
ein „jullie“ , ein nachgeborenes Subjekt, das angesprochen wird; diesem „jullie“ werden
Hintergründe erklärt. Dieses Objekt soll den Vorgängern, inklusive der erzählenden Persona,
wenn die Welt sich geändert hat, mit Nachsicht erinnern.
Im Text spielen Tiere oder lebendige, personifizierte Objekte keine Rolle. Die wichtigsten
Objekte sind Teil der Landschaft, die die Persona umgibt, wie Bäume, Straßen, Städte,
Länder, die Natur.
Der Zieltext von Van Istendael c.s. besteht aus freien, ungereimten Versen. Das Gedicht
besteht aus insgesamt dreizehn Strophen und drei Teilen, die man als relativ autonom
betrachten kann; man könnte sie als drei eigenständige Texte lesen.
Der erste Teil enthält zwei Fragesätze, die die Verunsicherung der Persona und ihren
Konflikt mit der Welt, in der sie lebt, ausdrücken. Außerdem enthält die dritte Strophe
Befehls- oder Aufforderungssatz (Zeile 13: „geloof me“), das Gegenüber wird zum ersten mal
im Gedicht direkt angesprochen.
120
Die direkte Rede in Zeile 17 ist ebenfalls Ausdruck der schwierigen Beziehung zwischen der
Persone und ihrer sozialen Umgebung. Das Umfeld wirft der Persona Undankbarkeit vor.
Anhand der Personalpronomina der ersten oder zweiten Person lassen sich die wichtigen
Subjekte feststellen:
Strophe
(Teil 1)
1
2
3
4
5
Personalpronomina der 1. und 2. Person
ik
ik mijn me ik me ik mij ik
me je (direkte Rede) ik ik ik mijn ik
ik ik ik
(Teil 2)
6
7
8
9
ik ik ik mij
mijn ik ik ik ik mij
mijn mij ik mij ik mij
mij mij
(Teil 3)
10
11
12
13
jullie wij jullie onze jullie
wij
we wij
jullie ons
Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß im ersten Teil ausschließlich die erste Person Singular
verwendet wird. Im zweite Teil des Gedichtes ist ebenfalls ausschließlich diese Person
vertreten. Im dritten Teil treten die erste und die zweite Person in ungefähr gleicher Frequenz
auf.
Der erste Teil fängt mit einem sakral wirkenden Ausruf an. Im ersten Teil wird ein „ich“
eingeführt, das die Schwierigkeiten beschreibt, sich in den aktuellen finsteren Zeiten richtig
zu Verhalten. Als problematisch empfindet die Persona verschiedene Gegebenheiten des
Alltags: man könne nicht mehr lachen, nicht über Allerweltsthemen sprechen, nicht mehr
spazierengehen. „Normales“ Verhalten sei eine Verneinung der grausamen Wirklichkeit. Die
Tatsache, daß es der Persona gut geht und daß sie zu essen und trinken hat, sei lediglich
Zufall. Ihre Umgebung sagt der Persona, sie solle ob ihres Glückes froh sein – sie selbst habe
aber ein schlechtes Gewissen. Außerdem gelinge es der Persona nicht, sich der Tugenden alter
121
Verhaltenslehren, wie Gewaltlosigkeit, Angstfreiheit und Verzicht, anzunehmen. Die Aussage
bezüglich der schwierigen Zeit wird in der letzten Zeile des ersten Teils wiederholt.
Der zweite Teil besteht vollständig aus Aussagesätzen und ist demnach eine Beschreibung.
Jede der vier Strophen wird mit dem gleichen Satz abgeschlossen. Im zweiten Teil schildert
die Persona, wie sie ihr Leben verbracht hat. Sie habe in einem Sumpf, einer kriegerischen
städtischen Landschaft agiert; diese Landschaft bestand aus einer chaotischen Gemeinschaft,
die sich in Aufruhr befand habe. Mit dieser Gemeinschaft habe die Persona sich solidarisiert.
Es tobten Schlachten, es herrschten Wut und Hunger. Die Persona habe mit Mördern verkehrt
und den Herrschern die Unterstützung verweigert. Dabei habe sie den einzigen positiv
besetzten Begriffen, Liebe und Natur, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die
Grundbedürfnisse Essen und Schlaf seien notdürftig befriedigt worden. In dieser Situation
haben ihre sprachlichen Äußerungen die Persona in Gefahr gebracht: sie haben das Interesse
des Schlächters erweckt. Die Persona habe sich in dieser Umgebung als zu schwach
empfunden und sei sich ihrer Wirkung nicht sicher gewesen – sie sei jedenfalls nicht in der
Lage gewesen, ein großes und wichtiges Ziel zu erreichen.
Der dritte besteht aus vier Strophen – die zweite und dritte Strophe enthalten nur
Aussagesätzen, die umringenden Strophen enthalten jeweils einen Befehls- oder
Aufforderungssatz. In den letzteren spricht die Persona sein Gegenüber direkt an.
Im dritten Teil spricht die Persona ein Gegenüber, ein „jullie“ an. Sie und die Gemeinschaft,
von der sie ein Teil ist (ein „wij“), haben sich für den internationalen Klassenkampf viel
bewegen müssen und auf persönliche Bedürfnisse verzichtet. Dabei seien sie oft verzweifelt
gewesen und waren sie, was das Zwischenmenschliche anbelangt, nicht aufmerksam genug –
es habe ihnen an Geduld und Freundlichkeit gefehlt, obwohl sie gerade auch für diese Sachen
gekämpft haben. Wenn das Gegenüber in einer menschenfreundlichen Gesellschaft lebt, für
die die Persona und ihre Mitstreiter gekämpft haben, solle er sich nicht nur deren Fehler
entsinnen, sondern auch deren Bemühungen, eine bessere Welt herbeizuführen.
Der nächste Punkt ist das deiktische Zentrum, das „Hier“ und „Jetzt“ der Textwelt. Die
Persona berichtet aus einem nicht näher definierten Raum über ihre Vergangenheit und richtet
ein Aufforderung an die Nachgeborenen. Über ihren aktuellen Aufenthaltsort ist nichts in
Erfahrung zu bringen, nur über die Situation im Allgemeinen und über die Stadtlandschaft
und die Kriegsschauplätze, wo sie sich vorher aufgehalten hat.
122
Zur temporalen Deixis können Aussagen gemacht werden die sich auf bestimmte textuelle
Merkmale beziehen. Ein Anhaltspunkt ist die Anwesenheit von Zeitadverbien, wie „gestern“
oder „morgen“. Im vorliegenden Text fehlen diese gänzlich. Den temporalen deiktischen
Nullpunkt kann man anhand der Tempora feststellen:
Präsens
Teil 1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
Teil 2
33
34
35
36
37
Präteritum
Perfekt
Infinitiv
Präteritumperfekt
Futur
leef
is
wijst, lacht
heeft
gehoord
zijn
is
bevat
loopt
is
zijn
is, verdien
geloof, is
doe, geeft
laat vallen
zwijgen
eten
ben gespaard
ben verloren
zeggen, eet,
drink, wees,
hebt
kan
eet, afpak,
hongerlijdt
sterft,
ontbeert
eet, drink
eten, drinken
zou zijn
staat, is
houden
doorbrengen
redden
vergelden
vervullen,
vergeten
geldt
kan
leef
kwam
heerste
kwam
rebelleerde
verliep
123
38
toegemeten
was
39
40
41
42
43
44
at
ging
bedreef
keek
verliep
45
46
47
48
49
50
leidden
stelde bloot
was
zaten, hoopte
verliep
51
52
53
54
55
56
waren
lag
was, was
toegemeten
was
toegemeten
was
bereiken
verliep
toegemeten
was
Teil 3
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
slapen
opduiken zult
zijn
ondergegaan
gedenk
spreken
ontkomen zijn
gingen
was
weten
verwringt
maakt
wilden
konden
effenen
zal zijn
is
gedenk
Als Ergebnis ist festzuhalten, daß der erste Teil überwiegend Verben im Präsens und keine
einzige Präteritum-Bildung enthält, der zweite Teil überwiegend im Präteritum und keine
Präsens-Formen hat, und im dritten Teil hauptsächlich und zu nahezu gleichen Teilen
Präsens- und Präteritum-Bildungen vertreten sind. Dies geht konform der Thematik der drei
Teile des Gedichts – erstens eine Schilderung einer schwierigen und konfliktreichen
124
Gegenwart, zweitens die Probleme einer vergangenen Zeit und drittens eine Rechtfertigung
und ein Appell für die Zukunft.
Beziehung zwischen coding time/content time
Die Persona erzählt von der heutigen Zeit aus; sie beschreibt die aktuelle schwierig Lage, die
„finsteren Zeiten“, und die Vorgeschichte. Ihre Aufforderung richtet sich an die Zukunft. Es
gibt also drei Zeitbezüge: das Jetzt, in dem die Perona spricht, berichtet und
anspricht/auffordert, die Vergangenheit, die beschrieben wird, und die Zukunft, der die
Aufforderung/der Aufruf an die nachfolgenden Generationen gilt.
125
D.3
Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
Als zweiter Schritt der Analyse werden die Ergebnisse des semantisch-pragmatischen Skeletts
mit dem Quelltext verglichen. Die Frage dabei ist, ob die Ergebnisse auch für den Quelltext
gelten. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte das semantisch-pragmatische Skelett sollte derartig
erarbeitet werden, daß eine Überstimmung gegeben ist. Falls auf dieser Ebene substantielle
Verschiebungen stattfinden, sollten diese erfasst werden.
Das semantisch-pragmatische Skelett besteht aus Daten, die sich auf die Subjekte, Objekte,
Situationen, Deixis, Gattung, Struktur und Thematik beziehen. In diesen Punkten stimmen der
Zieltext von Van Istendael c.s. und der Quelltext im Wesentlichen überein. Eine
Überarbeitung des semantisch-pragmatischen Skeletts ist demnach nicht erforderlich; das
Skelett ist in der vorliegenden Form als tertium comparationis brauchbar.
126
D.4
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
Zieltext Van Istendael c.s.
Nominalphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord, een glad voorhoofd
ongevoeligheid, het vreselijke nieuws
wat zijn dat voor tijden
een gesprek over bomen, een misdrijf
een zwijgen, zoveel wandaden
op straat
zijn vrienden
in nood
mijn brood
louter toeval
recht
het geluk
mijn glas water, in de oude boeken
de herrie in de wereld, zijn korte tijd
zonder vrees
zonder geweld
kwaad met goed vergelden
zijn wensen
in duistere tijden
in de steden, in de tijd van de wanorde
honger
onder de mensen, in de tijd van het oproer
de tijd
op aarde
mijn eten, tussen de veldslagen in
temidden van de moordenaars
de liefde
de natuur, zonder geduld
de tijd
op aarde
de wegen, naar het moeras in mijn tijd
de taal, aan de slachter
de heersers
de tijd
op aarde
de krachten, het doel
-
Quelltext
Nominalphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort, eine glatte Stirn
Unempfindlichkeit, der Lachende
die furchtbare Nachricht
was sind das für Zeiten
ein Gespräch über Bäume, ein Verbrechen
ein Schweigen, so viele Untaten
über die Straße
seine Freunde
in Not
meinen Unterhalt
nur ein Zufall
mein Glück
dem Hungernden
Glas Wasser, einem Verdurstenden
in den alten Büchern
aus dem Streit der Welt, die kurze Zeit
ohne Furcht
ohne Gewalt
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche
in finsteren Zeiten
in die Städte, zur Zeit der Unordnung
Hunger
unter die Menschen, zur Zeit des Aufruhrs
meine Zeit
auf Erden
mein Essen, zwischen den Schlachten
unter die Mörder
der Liebe
die Natur, ohne Geduld
meine Zeit
auf Erden
die Straßen, in den Sumpf, zu meiner Zeit
die Sprache, dem Schlächter
die Herrschenden
meine Zeit
auf Erden
die Kräfte, das Ziel
in großer Ferne
-
127
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
de tijd
op aarde
uit de vloed
onze zwakheid
de duistere tijd
vaker dan van schoenen van land veranderend
de oorlogen der klassen
enkel onrecht, geen rebellie
de haat tegen de laagheid
het gezicht
de toorn tegen onrecht
de stem
het terrein, voor vriendelijkheid
de mens de mens, een helper
met welwillendheid
meine Zeit
auf Erden
aus der Flut
unseren Schwächen
der finsteren Zeit
öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
die Kriege der Klassen
nur Unrecht, keine Empörung
der Haß gegen die Niedrigkeit
die Züge
der Zorn über das Unrecht
die Stimme
den Boden, für Freundlichkeit
der Menschen dem Menschen, ein Helfer
mit Nachsicht
Bei der Suche nach Verschiebungen kann man zuerst feststellen, an welchen Stellen
Nominalphrasen im Zieltext keine Entsprechung im Quelltext haben und umgekehrt. Dies
lässt sich in einigen Fällen beobachten, zunächst in den Zeile 3 und 14:
3
14
Zieltext Van Istendael c.s.
Nominalphrasen
ongevoeligheid, recht
Quelltext
Nominalphrasen
Unempfindlichkeit, der Lachende
-
Beide Verschiebungen wurden im Rahmen des Smit-Zieltexts schon behandelt und als
konstitutiv und formell bewertet. Für die Erarbeitung der Textwelt und die Makrostruktur des
Textes sind sie demnach nicht wichtig.
Zwei weitere Verschiebungen befinden sich in den Zeilen 19 und 20:
19
20
Zieltext Van Istendael c.s.
Nominalphrasen
mijn glas water, -
Quelltext
Nominalphrasen
dem Hungernden
Glas Wasser, einem Verdurstenden
Die entsprechende Stelle in der Zieltextzeile 19 lautet „wie hongerlijdt“; die Stelle in der
Zieltextzeile 20 lautet „wie sterft van dorst“. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß
128
der Zieltext die Stilfigur mit „wie“ auch an anderen Stellen enthält. Wenn man diese Phrasen
zusammenträgt, entsteht die folgende Gegenüberstellung:
Titel
3
9
19
20
Zieltext Van Istendael c.s.
Aan wie na ons komen
wie lacht
wie daar rustig op straat loopt
wie hongerlijdt
wie sterft van dorst
Quelltext
An die Nachgeborenen
der Lachende
der dort ruhig über die Straße geht
dem Hungernden
einem Verdurstenden
Der Quelltext zeigt eine Tendenz zur Verwendung von substantivierten Verben, wohingegen
der Zieltext zu Satzteilen mit „wie“ tendiert. Beide Text bedienen einer jeweils bestimmten
Stilfigur, die im jeweiligen Sprachsystem gängig ist. Insoweit sind die Verschiebungen
konstitutiv und formell.
Was die Anwesenheit bzw. das Fehlen einer Nominalphrase betrifft, befindet sich die
nächste Verschiebung in Zeile 52:
52
Zieltext Van Istendael c.s.
Nominalphrasen
-
Quelltext
Nominalphrasen
in großer Ferne
Eine Stellungnahme dazu wurde bereits in der komparativen Analyse des Zieltextes Van den
Bremts geliefert: an jener Stelle wurde die Verschiebung als konstitutiv und formell beurteilt.
Im Smit-Zieltext wurde bereits ein „artistic principle underlying a writer’s choice of
language” festgestellt, daß Leech als „avoidance of repetition“ bezeichnet. Im vorliegenden
Fall handelt es sich um Zeile 61:
61
Zieltext Van Istendael c.s.
Nominalphrasen
onze zwakheid
Quelltext
Nominalphrasen
unseren Schwächen
Der Numerus stimmt in nicht überein: der Zieltext enthält ein Singular und der Quelltext ein
Plural. Was das Lautbild des Textes betrifft wird im Zieltext eine Wiederholung vermieden,
die in der Form „zwakheden spreken“ aufgetreten wäre – eine vierfache Verwendung eines
„e“-Lautes. Es liegt also eine individuelle und substantielle Verschiebung vor, die ihre Kreise
bis in die Makrostruktur des Textes zieht.
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51
Zieltext Van Istendael c.s.
Verbalphrasen
ik leef in duistere tijden
het argeloze woord is dwaas
wijst, lacht
heeft
gehoord
wat zijn dat voor tijden
haast een midsrijf is
bevat
loopt
is zeker wel niet meer bereikbaar
die in nood zijn
het is waar, ik verdien nog mijn brood
geloof me, dat is louter toeval
niets van wat ik doe, geeft me het recht genoeg
te eten
toevallig ben ik gespaard, als het geluk mij laat
vallen
ben ik verloren
ze zeggen me, eet toch en drink, wees blij dat je
iets hebt
maar hoe kan ik eten en drinken
als ik wat ik eet afpak van wie hongerlijdt
wie sterft van dorst mij glas water ontbeert
en toch eet en drink ik
graag zou ik ook wijs zijn
staat wat wijs is
zich ver houden van de herrie in de wereld
zijn korte tijd zonder vrees doorbrengen
zich redden zonder geweld
kwaad met goed vergelden
zijn wensen niet vervullen, maar vergeten
geldt voor wijs
dat alles kan ik niet
ik leef in duistere tijden
in de steden kwam ik
toen daar honger heerste
onder de mensen kwam ik
en ik rebelleerde samen met hen
zo verliep de tijd
die mij op aarde toegemeten was
mijn eten at ik
slapen ging ik
de liefde bedreef ik onverschillig
naar de natuur keek ik zonder geduld
zo verliep de tijd
die mij op aarde toegemeten was
de wegen leidden naar het moeras in mijn tijd
de taal stelde mij bloot aan de slachter
ik was tot weinig in staat
de heersers zaten zonder mij veiliger, dat hoopte
ik
zo verliep de tijd
die mij op aarde toegemeten was
de krachten waren gering
Quelltext
Verbalphrasen
ich lebe in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht
deutet hin, hat
empfangen
was sind das für zeiten
fast ein Verbrechen ist
einschließt
geht
ist wohl nicht mehr erreichbar
die in Not sind
es ist wahr, ich verdiene meinen Unterhalt
glaubt mir, das ist nur ein Zufall
nichts von dem was ich tue, berechtigt mich dazu,
mich sattzuessen
zufällig bin ich verschont, wenn mein Glück aussetzt,
bin
ich verloren
man sagt mir, iß und trink du, sei froh daß du hast
aber wie kann ich essen und trinken
wenn ich dem Hungernden entreiße was ich esse
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt
und doch esse und trinke ich
ich wäre auch gerne weise
steht was weise ist
sich aus dem Streit der Welt halten halten
die kurze Zeit ohne Furcht verbringen
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
gilt für weise
alles das kann ich nicht
ich lebe in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
als da Hunger herrschte
unter die Menschen kam ich
und ich empörte mich mit ihnen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
mein Essen aß ich
schlafen legte ich mich
der Liebe pflegte ich achtlos
die Natur sah ich ohne Geduld
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit
die Sprache verriet mich dem Schlächter
ich vermochte nur wenig
die Herrschenden saßen ohne mich sicherer, das hoffte
ich
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Kräfte waren gering
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77
het doel lag zeer ver weg
het was duidelijk zichtbaar
al was het voor mij nauwelijks te bereiken
zo verliep de tijd
die mij op aarde toegemeten was
jullie, die opduiken zult uit de vloed
waarin wij zijn ondergegaan
gedenk
als jullie over onze zwakheid spreken
die jullie ontkomen zijn
wij gingen immers, vaker dan van schoenen van
land veranderend
als er enkel onrecht was
terwijl we toch weten
[de haat tegen de laagheid] verwringt het gezicht
[de toorn tegen het onrecht] maakt de stem schor
[wij] die het terrein wilden effenen voor
vriendelijkheid
[wij] konden zelf niet vriendelijk zijn
als het zover zal zijn
dat de mens de mens een helper is
gedenk ons
-
das Ziel lag in großer Ferne
es war deutlich sichtbar
wenn auch für mich kaum zu erreichen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
in der wir untergegangen sind
gedenkt
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
der ihr entronnen seid
gingen wir doch, öfter die Schuhe als die Länder
wechselnd
wenn da nur Unrecht war
dabei wissen wir doch
[der Haß gegen die Niedrigkeit] verzerrt die Züge
[der Zorn über das Unrecht] macht die Stimme heiser
[wir] die wir den Boden bereiten wollten für
Freundlichkeit
[wir] konnten selber nicht freundlich sein
wenn es so weit sein wird
daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
gedenkt unsrer
-
Die erste Verschiebung findet man in Zeile 3:
3
Zieltext Van Istendael c.s.
Verbalphrasen
lacht
Quelltext
Verbalphrasen
-
Der Zieltext enthält eine Verbalphrase und der Quelltext nicht. Die Verschiebung wurde
bereits im Rahmen des Smit-Zieltextes bewertet; es wurde festgestellt, daß sie als konstitutiv
und formell eingestuft werden kann.
Die nächste Verschiebung auf der Ebene der Verbalphrasen findet in Zeile 19 statt:
19
Zieltext Van Istendael c.s.
Verbalphrasen
als ik wat ik eet afpak van wie hongerlijdt
Quelltext
Verbalphrasen
wenn ich dem Hungernden entreiße was ich esse
Was auffällt, ist daß sich das konjugierte Verb „hongerlijdt“ im Zieltext außerhalb der
grammatikalischen Regeln bewegt, da die zwei Teile des zusammengesetzten Wortes
normalerweise getrennt geschrieben werden – in dem Sinne entspräche „honger lijdt“ der
131
Grammatik. Da die entsprechende Zeile im Quelltext keinen Verstoß gegen die Grammatik
enthält, kann man von einer Verschiebung sprechen. Im vorliegenden Fall gibt es jedoch
keinen vorstellbaren triftigen Grund, weshalb die Übersetzer absichtlich gegen die Grammatik
des Niederländischen verstoßen haben – an der Textwelt ändert sich nichts Wesentliches. Von
einer substantiellen Verschiebung kann man demnach nicht reden.
132
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Zieltext Van Istendael c.s.
Präpositionalphrasen
in duistere tijden
wijst op ongevoeligheid
een gesprek over bomen
een zwijgen over zoveel wandaden
op straat loopt
niet meer bereikbaar voor zijn vrienden
die in nood zijn
[ik] afpak van wie hongerlijdt
wie sterft van dorst
in de oude boeken
zich ver houden van de herrie in de wereld
zonder vrees
zich redden zonder geweld
kwaad met goed vergelden
in duistere tijden
in
in de steden kwam ik
onder de mensen kwam ik
ik rebelleerde samen met hen
op aarde
tussen de veldslagen in
temidden van de moordenaars
naar de natuur keek ik
op aarde
naar het moeras in mijn tijd
stelde mij bloot aan de slachter
op aarde
al was het voor mij
-
Quelltext
Präpositionalphrasen
in finsteren Zeiten
deutet auf Unempfindlichkeit hin
ein Gespräch über Bäume
ein Schweigen über so viele Untaten
über die Straße geht
nicht mehr erreichbar für seine Freunde
die in Not sind
in den alten Büchern
sich aus dem Streit der Welt halten
ohne Furcht
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
in finsteren Zeiten
in
in die Städte kam ich
unter die Menschen
ich empörte mich mit ihnen
auf Erden
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
auf Erden
in den Sumpf zu meiner Zeit
auf Erden
in großer Ferne
wenn auch für mich
-
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77
op aarde
opduiken zult uit de vloed
als jullie over onze zwakheden spreken
van dan van schoenen van land veranderend
door de oorlogen der klassen
haat tegen de laagheid
toorn tegen onrecht
het terrein wilden effenen voor vriendelijkheid
-
auf Erden
auftauchen werdet aus der Flut
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
durch die Kriege der Klassen
Haß gegen die Niedrigkeit
Zorn über das Unrecht
den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
mit Nachsicht
Auf der komparativen Ebene der Präpositionalphrasen findet man die ersten Verschiebungen
in den Zeilen 19 und 20:
19
20
Zieltext Van Istendael c.s.
Präpositionalphrasen
[ik] afpak van wie hongerlijdt
wie sterft van dorst
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Die entsprechende Phrase ohne Präposition im Quelltext lautet „dem Hungernden entreiße“.
Was Zeile 19 betrifft, muß man von einem formellen Unterschied reden: in der Zielsprache
bedarf das Verb „afpakken“ die Präposition „van“, wohingegen das semantisch vergleichbare
quellsprachliche „entreißen“ ohne Präposition agiert. Die Verschiebung ist deshalb als
konstitutiv und formell zu bezeichnen. Für die Verschiebung in Zeile 20 gilt dies
gleichermaßen; die entsprechende Stelle wurde bereits im der Analyse des Zieltextes Van den
Bremts behandelt.
Die Verschiebung, die in Zeile 42 hervortritt, kann ebenso als konstitutiv und formell
eingeordnet werden:
42
Zieltext Van Istendael c.s.
Präpositionalphrasen
naar de natuur keek ik
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
134
Die entsprechende Stelle im Quelltext lautet „die Natur sah ich“. Die Verben „kijken naar“
und „sehen“, die ein Beoachten ausdrücken, kann man über die Grenze der unterschiedlichen
Sprachen hinweg zu einem einzelnen semantischen Feld zählen. Deswegen ist hier die
Anwesenheit bzw. das Fehlen einer Präposition auf die unterschiedlichen grammatikalischen
Sprachsysteme zurückzuführen und als eine konstitutive und formelle Verschiebung zu
bewerten.
Was die Verwendung von Präpositionen betrifft, befindet die nächste Verschiebung sich in
Zeile 46:
Zieltext Van Istendael c.s.
Präpositionalphrasen
[de taal] stelde mij bloot aan de slachter
46
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Die ensprechende Stelle im Zieltext, die keine Präposition enthält, lautet „[die Sprache]
verriet mich dem Schlächter“. Abgesehen davon, daß das zielsprachliche trennbare Verb
zwangsläufig ohne Präposition verwendet wird und das deutsche Verb „verraten“ den Dativ
regiert, kann man in diesem Fall die semantische Ebene bemühen. Das Verb „blootstellen
aan“ trägt die Bedeutung „onderwerpen aan iets schadelijks“, während das deutsche Verb als
„preisgeben“ oder „die Treue brechen“ umschrieben wird. In beide Textstellen ist es die
Sprache, die eine sehr negative, sogar gefährliche Verbindung zwischen der Persona und
einem Schlächter herstellt. Von der Semantik her ist es außerdem nicht möglich, dem
„blootstellen“ oder „verraten“ eine eindeutig negativere Bedeutung beizumessen. Die
Verschiebung ist deswegen nicht als substantiell zu betrachten.
Die restlichen zwei Verschiebungen auf dieser Ebene befinden sich in den Zeilen 64 und
77:
64
77
Zieltext Van Istendael c.s.
Präpositionalphrasen
van dan van schoenen van land veranderend
-
Quelltext
Präpositionalphrasen
mit Nachsicht
Wie bereits in der Analyse Van den Bremts dargestellt wurde, handelt es sich in beiden Fällen
um konstitutive und formelle Verschiebungen.
135
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55
Zieltext Van Istendael c.s.
Adverbialphrasen
in duistere tijden
alleen nog niet
rustig
louter toeval
wees blij
graag
zonder vrees
zonder geweld
in duistere tijden
in de tijd van de wanorde
toen daar honger heerste
in de tijd van het oproer
tussen de veldslagen in
temidden van de moordenaars
onverschillig
zonder geduld
weinig
[zaten] zonder mij veiliger
duidelijk zichtbaar
nauwelijks te bereiken
-
Quelltext
Adverbialphrasen
in finsteren Zeiten
nur noch nicht
ruhig
nur ein Zufall
sei froh
gerne
ohne Furcht
ohne Gewalt
in finsteren Zeiten
zur Zeit der Unordnung
als da Hunger herrschte
zur Zeit des Aufruhrs
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
achtlos
ohne Geduld
nur wenig
saßen ohne mich sicherer
deutlich sichtbar
kaum zu erreichen
-
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wanhopig
welwillend
verzweifelt
-
Es läßt sich in dieser Tabelle eine Verschiebung feststellen – in Zeile 77 enthält der Zieltext
eine Adverbialphrase und der Quelltext nicht:
77
Zieltext Van Istendael c.s.
Adverbialphrasen
welwillend
Quelltext
Adverbialphrasen
-
Im Quelltext enthält die Zeile ein Nomen, „mit Nachsicht“. Die entsprechende Bewertung der
Stelle wurde im Rahmen des Zieltextes Van den Bremts vorgenommen. Bei der Gelegenheit
wurde festgestellt, daß es sich hier um eine konstitutive und formelle Verschiebung handelt.
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Zieltext Van Istendael c.s.
Adjektivphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord is dwaas, een glad voorhoofd
het vreselijke nieuws
niet meer bereikbaar
wijs
in de oude boeken, wijs
zijn korte tijd
wijs
in duistere tijden
de krachten waren gering
duidelijk zichtbaar
-
Quelltext
Adjektivphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht, eine glatte Stirn
die furchtbare Nachricht
nicht mehr erreichbar
weise
in den alten Büchern, weise
die kurze Zeit
weise
in finsteren Zeiten
die Kräfte waren gering
in großer Ferne
deutlich sichtbar
-
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70
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72
73
74
75
76
77
de duistere tijd
schor
vriendelijk
-
der finsteren Zeit
heiser
freundlich
-
Im Bereich der Adjektivphrasen kann in Zeile 52 eine Verschiebung festgestellt werden:
52
Zieltext Van Istendael c.s.
Adjektivphrasen
[het doel lag] zeer ver weg
Quelltext
Adjektivphrasen
[das Ziel lag] in großer Ferne
Beim Vergleich des Zieltextes Van den Bremts mit dem dazugehörenden Quelltext wurde die
gleiche Verschiebung beobachtet; an der Stelle wurde davon ausgegangen, daß die
Verschiebung den jeweiligen Ausdrucksweisen der unterschiedlichen sprachlichen Systeme
zuzuschreiben ist. Die Verschiebung ist demnach konstitutiv und formell. Sonstige
Verschiebungen treten auf der Ebene der Adjektivphrasen nicht hervor.
Eine weitere Tabelle, die man zur Analyse heranziehen kann, basiert sich auf Auffälligkeiten
bei den Nominalphrasen. Bei der Kombination Possessivpronomen mit Nomen treten Lücken
auf an den Stellen die auch bei Smit und Van den Bremt Lücken aufwiesen:
37
43
49
55
Zieltext Van Istendael c.s.
Possessivpronomin + Nomen
-
Quelltext
Possessivpronomin + Nomen
meine Zeit
meine Zeit
meine Zeit
meine Zeit
139
Bei den betreffenden Zeilen handelt es sich um einen identischen Satz, der jeweils die
Strophen des zweiten Teils des Gedichts abschließt. Analog an der Analyse den
Übersetzungen Smits und Van den Bremts und kann man feststellen, daß es sich hier um ein
Phänomen handelt, daß als „avoidance of repetition“ bezeichnet wird (Leech & Short 1981, S.
79) – es wird im Zieltext ein dreifaches Reim vermieden. Diese Verschiebung kann als
individuell und substantiell eingestuft werden.
140
D.5
Schlußfolgerung Van Istendael, Stassijns und De Vin
In der Übersetzung von Van Istendael c.s. tritt lediglich eine individuelle Verschiebung auf: in
Zeile 61 ändert sich ein Plural in ein Singular (“Schwächen”, “zwakheid”). Es wurde
festgestellt, daß es sich auch in diesem Fall um “avoidance of repetition” handelt. Damit
haben die Übersetzer auch im Einzelnen den Klang des Quelltextes interpretiert und sich
betätigt um diesen Klang auch in ihrer Textwelt zu gestalten, indem sie den Numerus in
diesem Fall abgeändert haben. Sonst enthält der Text keine Verschiebungen, die für die
Realisierung der Zieltextwelt von Bedeutung sind.
141
E.
Droogenbroodt
142
AN DIE NACHGEBORENEN – Bertolt
Brecht
1
2
1
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
5
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unemfpindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
10
15
20
25
30
35
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräche über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
40
Es ist wahr: ich verdiene meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: Das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin
ich verloren.)
Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
50
Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
55
3
60
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
65
70
75
45
Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.
143
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
AAN HET NAGESLACHT
1
5
10
15
– Übersetzung Germain Droogenbroodt
I
II
Voorwaar, ik leef in duistere tijden!
Het argeloze woord is idioot. Een glad voorhoofd
Duidt op ongevoeligheid. Wie lacht
Heeft het vreselijke bericht
Nog altijd niet ontvangen.
Ik kwam in de steden in tijden van wanorde
Als daar honger heerste.
Ik kwam onder de mensen als er oproer was
En rebelleerde met hen.
Zo verging de tijd
Die mij op aarde was gegeven.
35
Wat zijn dat voor tijden, waar
Een gesprek over bomen bijna een misdaad is
Omdat het een verzwijgen van zoveel wandaden inhoudt!
Is wie daar rustig door de straat loopt
niet meer bereikbaar voor zijn vrienden
Die in nood verkeren?
40
Het is waar: ik verdien nog mijn brood
Maar geloof me: dat is alleen maar toeval. Niets
van wat ik doe geeft me het recht,
om me vol te eten.
Toevallig ben ik gespaard. (Als mijn geluk ophoudt,
ben ik verloren).
45
50
20
Men zegt me: eet en drink jij maar! Wees blij, dat je hebt!
Maar hoe kan ik eten en drinken, als
Ik de hongerigen ontneem wat ik eet, en
wie van dorst vergaat, mijn glas water ontbreekt?
En toch eet en drink ik.
55
25
30
Graag zou ik ook verstandig willen zijn.
In de oude boeken staat, wat verstandig is:
Zich buiten de strijd van de wereld houden en de korte tijd
Doorbrengen zonder vrees
Ook zonder geweld terechtkomen
Het slechte met het goede vergelden
Zijn wensen niet vervullen, maar vergeten
Geldt voor wijzen.
Dat alles kan ik niet:
Voorwaar, ik leef in duistere tijden!
III
60
65
70
75
Jullie die uit de vloed zult opduiken
Waarin wij zijn ondergegaan
Gedenk
Als jullie van onze zwakheden spreken
Ook de duistere tijd
Waaraan jullie ontkomen zijn.
Gingen wij toch, vaker dan van schoenen, van land
veranderend
Door de klassenstrijd, vertwijfeld
Als daar slechts onrecht en geen opstand was.
Daarbij weten we toch:
Ook de haat tegen de laagheid
Misvormt de gelaatstrekken.
Ook de toorn tegen het onrecht
Maakt de stem schor. Ach, wij
Die het terrein voor vriendelijkheid wilden voorbereiden
Konden zelf niet vriendelijk zijn.
Maar jullie, als het zo ver zal komen
Dat de mens voor de mens een helper is
Gedenk ons
Met toegeeflijkheid.
144
Mijn eten at ik tussen de veldslagen
en legde me onder moordenaars te slapen
De liefde bedreef ik achteloos
En de natuur zag ik zonder geduld.
Zo verging de tijd
Die mij op aarde was gegeven.
De straten leidden naar het moeras van mijn tijd.
De taal verraadde mij de slachter.
Ik vermocht slechts weinig. Maar de heersers
Zaten zonder mij zekerder, dat hoopte ik.
Zo verging de tijd
Die mij op aarde was gegeven.
De krachten waren gering. Het doel
Lag heel ver weg
Het was duidelijk zichtbaar, al was het ook voor mij
Nauwelijks te bereiken.
Zo verging de tijd
Die mij op aarde was gegeven.
E.1
Hintergrund-Informationen
Droogenbroodts Aan het nageslacht ist Teil der Anthologie Zoals de wolk na de regen – Wie
die Wolke nach dem Regen, die 1998 im Verlag Point Editions erschienen ist. Die Website des
Verlags beschreibt die Strategie und die Ziele folgendermaßen:
„Om de twee maanden nieuwe gedichten van ’s werelds beste bekende en onbekende dichters,
geselecteerd uit de POINT-reeks hedendaagse internationale poëzie. De POINT-uitgaven zijn
bijna steeds tweetalig, origineel/Nederlands: de beste, de mooiste en toch de goedkoopste
poëziebundels in het Nederlandse taalgebied (…) POINT (Poëzie INTernationaal) werd in
1984 als een stichting zonder winstoogmerk opgericht met als doel ‘de internationale
promotie van hedendaagse kunst, voornamelijk poëzie en beeldende kunst, om aldus bij te
dragen tot een meer humane samenleving, tot een internationaal gesprek’ door middel van
vertaling en publikatie van moderne poëzie (…)” FUSSNOTE: www.point-editions.com
Die sehr umfangreiche Reihe enthält hauptsächlich ins Niederländische übersetzte Lyrik. Die
jeweiligen Quelltexte stammen aus dem europäischen, asiatischen, südamerikanischen und
afrikanischen Raum.
Kenntlichmachung als Übersetzung
Auf dem Einband ist angegeben, daß es sich um eine Anthologie mit Gedichten Brechts
handelt und daß die Auswahl und Übersetzung von Germain Droogenbroodt besorgt wurden.
Die zweisprachige Ausgabe enthält auf der jeweils linken Seite den deutschen und auf der
jeweils rechten Seiten den niederländischen Text.
Hintergrund-Informationen zum Übersetzer Germain Droogenbroodt
Der flämische Verleger, Dichter und Übersetzer Germain Droogenbroodt (1944) ist Gründer
des Verlags Point Editions, in dem der Band Zoals de wolk na de regen – Wie die Wolke nach
dem Regen erschienen ist. In seinem Verlag veröffentlichte er, neben zahlreichen anderen
zweisprachigen Lyrik-Anthologien, ebenfalls mehrere Bänder eigener Lyrik. In der Reihe
145
widmete er, neben Brecht, Peter Huchel und Reiner Kunze jeweils einen Band.4 Der Band mit
der Nummer 20 sammelte unter dem Titel Denn eure Träume sind schlecht Gedichte aus dem
deutschen Sprachraum von u.a. Günter Eich, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Rolf
Haufs und Ernst Meister. Trotz der Masse bewegen sich die Publikationen was die Kritik
betrifft in der Marginalität – Droogenbroodt wird weder in der Publizistik noch in
Nachschlagewerken erwähnt.
Hintergrund-Informationen Quelltext Droogenbroodt
Im Anschluß an die Gedichte enthält die Anthologie eine Bibliographie und ein Register.
Demzufolge hat Droogenbroodt als Grundlage für Aan het nageslacht Band 12 der Großen
Berliner und Frankfurter Ausgabe verwendet.
4
Huchel: Gespräch mit dem Schweigen (POINT Nr. 25)
Kunze: Nicht aufzuwiegen mit Gold (POINT Nr. 32)
146
E.2
Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
Die Erstellung eines semantisch-pragmatischen Skeletts stellt der erste Schritt des Verfahrens
dar. Eine Bestimmung der Elemente der situativen Dimension, der „poetischen Stimme“ und
der Persona, der deiktischen Elemente, der Gattung, der Struktur und des Themas des Textes
werden dabei vorgenommen.
Da die Quelltexte der vorliegenden Arbeit sich rein pragmatisch gesehen sehr nahe stehen,
tun sich naturgemäß Parallelen zum semantisch-pragmatischen Skelett der Übersetzung
Gabriël Smits auf. Das unten beschriebene Skelett wird dementsprechend zu großen Teilen
mit den der anderen Zieltexte übereinstimmen.
Die wichtigsten Subjekte des Zieltext sind eine nachfolgende Gruppe, die im Titel Aan het
nageslacht angedeutet wird, und eine Persona, ein „ik“, das in der ersten Zeile eingeführt wird
und im ganzen Text die poetische Stimme darstellt. Diese Persona trifft auf eine
Gemeinschaft, die hungert, und solidarisiert sich mit ihr. Die Persona hat ebenfalls mit
Mördern, Schlächtern und Herrschenden zu tun. Außerdem begegnet die Persona ein „wie“,
ein anonymes Subjekt, das bestimmte Verhaltensweisen aufzeigt, („wie lacht…“, Zeile 3).
Das „ich“ befindet sich in einem Dialog mit diesem Subjekt. Neben der Persona bewegt sich
ein „jullie“ , ein nachgeborenes Subjekt, das angesprochen wird; diesem „jullie“ werden
Hintergründe erklärt. Dieses Objekt soll den Vorgängern, inklusive der erzählenden Persona,
wenn die Welt sich geändert hat, mit Nachsicht erinnern.
Im Text spielen Tiere oder lebendige, personifizierte Objekte keine Rolle. Die wichtigsten
Objekte sind Teil der Landschaft, die die Persona umgibt, wie Bäume, Straßen, Städte,
Länder, die Natur.
Der Zieltext von Droogenbroodt besteht aus freien, ungereimten Versen. Das Gedicht besteht
aus insgesamt zwölf Strophen und drei Teilen, die man als relativ autonom betrachten kann;
man könnte sie als drei eigenständige Texte lesen.
Der erste Teil enthält zwei Fragesätze, die die Verunsicherung der Persona und ihren
Konflikt mit der Welt, in der sie lebt, ausdrücken. Außerdem enthält die dritte Strophe
147
Befehls- oder Aufforderungssatz (Zeile 13: „geloof me“), das Gegenüber wird zum ersten mal
im Gedicht direkt angesprochen.
Die direkte Rede in Zeile 18 ist ebenfalls Ausdruck der schwierigen Beziehung zwischen der
Persone und ihrer sozialen Umgebung. Das Umfeld wirft der Persona Undankbarkeit vor.
Anhand der Personalpronomina der ersten oder zweiten Person lassen sich die wichtigen
Subjekte feststellen:
Strophe
(Teil 1)
1
2
3
4
5
Personalpronomina der 1. und 2. Person
ik
ik mijn me ik me me ik mijn ik
me jij je (direkte Rede) ik ik ik mijn ik
ik ik ik
(Teil 2)
6
7
8
9
ik ik mij
mijn ik me ik ik mij
mijn mij ik mij ik mij
mij mij
(Teil 3)
10
11
12
jullie wij jullie onze jullie wij
we wij
jullie ons
Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß im ersten Teil ausschließlich die erste Person Singular
verwendet wird. Im zweite Teil des Gedichtes ist ebenfalls ausschließlich diese Person
vertreten. Im dritten Teil treten die erste und die zweite Person in ungefähr gleicher Frequenz
auf.
Der erste Teil fängt mit einem sakral wirkenden Ausruf an. Im ersten Teil wird ein „ich“
eingeführt, das die Schwierigkeiten beschreibt, sich in den aktuellen finsteren Zeiten richtig
zu Verhalten. Als problematisch empfindet die Persona verschiedene Gegebenheiten des
Alltags: man könne nicht mehr lachen, nicht über Allerweltsthemen sprechen, nicht mehr
spazierengehen. „Normales“ Verhalten sei eine Verneinung der grausamen Wirklichkeit. Die
Tatsache, daß es der Persona gut geht und daß sie zu essen und trinken hat, sei lediglich
Zufall. Ihre Umgebung sagt der Persona, sie solle ob ihres Glückes froh sein – sie selbst habe
148
aber ein schlechtes Gewissen. Außerdem gelinge es der Persona nicht, sich der Tugenden alter
Verhaltenslehren, wie Gewaltlosigkeit, Angstfreiheit und Verzicht, anzunehmen. Die Aussage
bezüglich der schwierigen Zeit wird in der letzten Zeile des ersten Teils wiederholt.
Der zweite Teil besteht vollständig aus Aussagesätzen und ist demnach eine Beschreibung.
Jede der vier Strophen wird mit dem gleichen Satz abgeschlossen. Im zweiten Teil schildert
die Persona, wie sie ihr Leben verbracht hat. Sie habe in einem Sumpf, einer kriegerischen
städtischen Landschaft agiert; diese Landschaft bestand aus einer chaotischen Gemeinschaft,
die sich in Aufruhr befand habe. Mit dieser Gemeinschaft habe die Persona sich solidarisiert.
Es tobten Schlachten, es herrschten Wut und Hunger. Die Persona habe mit Mördern verkehrt
und den Herrschern die Unterstützung verweigert. Dabei habe sie den einzigen positiv
besetzten Begriffen, Liebe und Natur, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die
Grundbedürfnisse Essen und Schlaf seien notdürftig befriedigt worden. In dieser Situation
spielen sprachlichen Äußerungen eine verräterische und gefährliche Rolle in der Beziehung
zwischen der Persona und dem Schlächter. Die Persona habe sich in dieser Umgebung als zu
schwach empfunden und sei sich ihrer Wirkung nicht sicher gewesen – sie sei jedenfalls nicht
in der Lage gewesen, ein großes und wichtiges Ziel zu erreichen.
Der dritte besteht aus vier Strophen – die zweite und dritte Strophe enthalten nur
Aussagesätzen, die umringenden Strophen enthalten jeweils einen Befehls- oder
Aufforderungssatz. In den letzteren spricht die Persona sein Gegenüber direkt an.
Im dritten Teil spricht die Persona ein Gegenüber, ein „jullie“ an. Sie und die Gemeinschaft,
von der sie ein Teil ist (ein „wij“), haben sich für den internationalen Klassenkampf viel
bewegen müssen und auf persönliche Bedürfnisse verzichtet. Dabei seien sie oft verzweifelt
gewesen und waren sie, was das Zwischenmenschliche anbelangt, nicht aufmerksam genug –
es habe ihnen an Geduld und Freundlichkeit gefehlt, obwohl sie gerade auch für diese Sachen
gekämpft haben. Wenn das Gegenüber in einer menschenfreundlichen Gesellschaft lebt, für
die die Persona und ihre Mitstreiter gekämpft haben, solle er sich nicht nur deren Fehler
entsinnen, sondern auch deren Bemühungen, eine bessere Welt herbeizuführen.
Der nächste Punkt ist das deiktische Zentrum, das „Hier“ und „Jetzt“ der Textwelt. Die
Persona berichtet aus einem nicht näher definierten Raum über ihre Vergangenheit und richtet
ein Aufforderung an die Nachgeborenen. Über ihren aktuellen Aufenthaltsort ist nichts in
149
Erfahrung zu bringen, nur über die Situation im Allgemeinen und über die Stadtlandschaft
und die Kriegsschauplätze, wo sie sich vorher aufgehalten hat.
Zur temporalen Deixis können Aussagen gemacht werden die sich auf bestimmte textuelle
Merkmale beziehen. Ein Anhaltspunkt ist die Anwesenheit von Zeitadverbien, wie „gestern“
oder „morgen“. Im vorliegenden Text fehlen diese gänzlich. Den temporalen deiktischen
Nullpunkt kann man anhand der Tempora feststellen:
Präsens
Teil 1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
Teil 2
33
34
35
Präteritum
Perfekt
Infinitiv
Präteritumperfekt
Futur
leef
is
duidt, lacht
heeft
ontvangen
zijn
is
inhoudt
is, loopt
verzwijgen
verkeren
is, verdien
geloof, is
doe, geeft
eten
ophoudt
ben gespaard
ben verloren
zegt, eet,
drink, wees,
hebt
kan
ontneem, eet
vergaat,
ontbreekt
eet, drink
eten, drinken
zou willen zijn
staat, is
houden
doorbrengen
terechtkomen
vergelden
vervullen,
vergeten
geldt
kan
leef
kwam
heerste
kwam, was
150
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
rebelleerde
verging
was gegeven
at
legde
bedreef
zag
verging
was gegeven
leidden
veraadde
vermocht
zaten, hoopte
verging
was gegeven
waren
lag
was, was
bereiken
verging
was gegeven
Teil 3
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
slapen
zult opduiken
zijn
ondergegaan
gedenk
spreken
ontkomen zijn
gingen
[veranderend]
was
weten
misvormt
maakt
wilden
konden
voorbereiden
zijn
zal komen
is
gedenk
Als Ergebnis ist festzuhalten, daß der erste Teil überwiegend Verben im Präsens und keine
einzige Präteritum-Bildung enthält, der zweite Teil überwiegend im Präteritum und keine
Präsens-Formen hat, und im dritten Teil hauptsächlich und zu nahezu gleichen Teilen
Präsens- und Präteritum-Bildungen vertreten sind. Dies geht konform der Thematik der drei
Teile des Gedichts – erstens eine Schilderung einer schwierigen und konfliktreichen
Gegenwart, zweitens die Probleme einer vergangenen Zeit und drittens eine Rechtfertigung
und ein Appell für die Zukunft.
151
Beziehung zwischen coding time/content time
Die Persona erzählt von der heutigen Zeit aus; sie beschreibt die aktuelle schwierig Lage, die
„finsteren Zeiten“, und die Vorgeschichte. Ihre Aufforderung richtet sich an die Zukunft. Es
gibt also drei Zeitbezüge: das Jetzt, in dem die Perona spricht, berichtet und
anspricht/auffordert, die Vergangenheit, die beschrieben wird, und die Zukunft, der die
Aufforderung/der Aufruf an die nachfolgenden Generationen gilt.
152
E.3
Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
Als zweiter Schritt der Analyse werden die Ergebnisse des semantisch-pragmatischen Skeletts
mit dem Quelltext verglichen. Die Frage dabei ist, ob die Ergebnisse auch für den Quelltext
gelten. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte das semantisch-pragmatische Skelett sollte derartig
erarbeitet werden, daß eine Überstimmung gegeben ist. Falls auf dieser Ebene substantielle
Verschiebungen stattfinden, sollten diese erfasst werden.
Das semantisch-pragmatische Skelett besteht aus Daten, die sich auf die Subjekte, Objekte,
Situationen, Deixis, Gattung, Struktur und Thematik beziehen. In diesen Punkten stimmen der
Zieltext von Droogenbroodt und der Quelltext im Wesentlichen überein. Eine Überarbeitung
des semantisch-pragmatischen Skeletts ist demnach nicht erforderlich; das Skelett ist in der
vorliegenden Form als tertium comparationis brauchbar.
153
E.4
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
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17
18
19
20
21
22
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30
31
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33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
Zieltext Droogenbroodt
Nominalphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord, een glad voorhoofd
ongevoeligheid, het vreselijke bericht
wat zijn dat voor tijden
een gesprek over bomen, een misdaad
een verzwijgen, zoveel wandaden
door de straat
zijn vrienden
in nood
mijn brood
alleen maar toeval
recht
mijn geluk
de hongerigen
glas water, in de oude boeken
buiten de strijd van de wereld, de korte tijd
zonder vrees
zonder geweld
het slechte met het goede vergelden
zijn wensen
geldt voor wijzen
in duistere tijden
in de steden, in tijden van wanorde
honger
onder de mensen, als er oproer was
de tijd
op aarde
mijn eten, tussen de veldslagen
onder moordenaars
de liefde
de natuur, zonder geduld
de tijd
op aarde
de straten, naar het moeras, van mijn tijd
de taal, de slachter
de heersers
de tijd
op aarde
de krachten, het doel
-
Quelltext
Nominalphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort, eine glatte Stirn
Unempfindlichkeit, der Lachende
die furchtbare Nachricht
was sind das für Zeiten
ein Gespräch über Bäume, ein Verbrechen
ein Schweigen, so viele Untaten
über die Straße
seine Freunde
in Not
meinen Unterhalt
nur ein Zufall
mein Glück
dem Hungernden
Glas Wasser, einem Verdurstenden
in den alten Büchern
aus dem Streit der Welt, die kurze Zeit
ohne Furcht
ohne Gewalt
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche
in finsteren Zeiten
in die Städte, zur Zeit der Unordnung
Hunger
unter die Menschen, zur Zeit des Aufruhrs
meine Zeit
auf Erden
mein Essen, zwischen den Schlachten
unter die Mörder
der Liebe
die Natur, ohne Geduld
meine Zeit
auf Erden
die Straßen, in den Sumpf, zu meiner Zeit
die Sprache, dem Schlächter
die Herrschenden
meine Zeit
auf Erden
die Kräfte, das Ziel
in großer Ferne
154
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
de tijd
op aarde
uit de vloed
onze zwakheden
de duistere tijd
vaker dan van schoenen van land veranderend
de klassenstrijd
slechts onrecht, geen opstand
de haat tegen de laagheid
de gelaatstrekken
de toorn tegen het onrecht
de stem
het terrein, voor vriendelijkheid
de mens voor de mens een helper
met toegeeflijkheid
meine Zeit
auf Erden
aus der Flut
unseren Schwächen
der finsteren Zeit
öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
die Kriege der Klassen
nur Unrecht, keine Empörung
der Haß gegen die Niedrigkeit
die Züge
der Zorn über das Unrecht
die Stimme
den Boden, für Freundlichkeit
der Menschen dem Menschen, ein Helfer
mit Nachsicht
An einigen Stellen haben die Nominalphrasen im Zieltext keine Entsprechung im Quelltext
und umgekehrt. Zunächst gibt es drei Fälle, die bereits anderweitig besprochen wurden:
3
14
52
Zieltext Droogenbroodt
Nominalphrasen
recht
-
Quelltext
Nominalphrasen
der Lachende
in großer Ferne
Was die Verschiebung in Zeile 3 betrifft, kann man auf die komparative Analyse der SmitÜbersetzung verweisen – entsprechend diesem Fall ist die Verschiebung hier als eine
konstitutive und formelle Verschiebung zu betrachten, die für die Makrostruktur des Textes
und für die Erarbeitung der Textwelt nicht von wesentlicher Bedeutung ist. Die Feststellung
trifft ebenso auf Zeile 14 zu, die auch bei Smit analysiert wurde. Die Verschiebung in Zeile
52 wurde bereits bei der Analyse der Übersetzung Van den Bremts erwähnt und ebenfalls als
konstitutiv und formell bewertet.
In Zeile 30 ist ebenfalls eine Verschiebung festzustellen:
Zieltext Droogenbroodt
Nominalphrasen
Quelltext
Nominalphrasen
155
30
geldt voor wijzen
-
Die entsprechende Stelle im Quelltext lautet „gilt für weise“. Die Kleinschreibung des Wortes
„weise“ zeigt, daß es sich im Quelltext um ein Adjektiv handelt; derweil ist das „wijzen“ als
Nomen aufzufassen. Die Merkmale der Weisheit, die vorher in der betreffenden Strophe
aufgelistet werden (Gelassenheit, Angstfreiheit, Gewaltlosigkeit, Enthalsamkeit) werden im
Zieltext auf Verhaltenweisen von bestimmten „weisen“ Personen bezogen, wohingegen sie
im Quelltext als Merkmale einer Lebenseinstelling betrachtet werden. Somit ist in beiden
Texten eine direkte Verbindung zwischen dem Phänomen der Weisheit und bestimmte
Charakterzüge oder Verhaltensweisen gegeben. Auf der semantischen Ebene ist die Wortform
dementsprechend und damit die Verschiebung nicht von substantieller Bedeutung.
156
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
Zieltext Droogenbroodt
Verbalphrasen
ik leef in duistere tijden
het argeloze is idioot
duidt, lacht
heeft
ontvangen
wat zijn dat voor tijden
haast een misdaad is
inhoudt
loopt
is hij al niet meer bereikbaar
die in nood verkeren
het is waar, ik verdien nog mijn brood
geloof me, dat is alleen maar toeval
niets van wat ik doe, geeft me het recht
om me vol te eten
toevallig ben ik gespaard, als mijn geluk
ophoudt
ben ik verloren
men zegt me, eet en drink jij maar, wees blij, dat
je hebt
maar hoe kan ik eten en drinken
als ik de hongerigen ontneem wat ik eet
wie van dorst vergaat, mijn glas water ontbreekt
en toch eet en drink ik
graag zou ik ook verstandig willen zijn
staat wat verstandig is
zich buiten de strijd van de wereld houden
de korte tijd doorbrengen zonder vrees
zonder geweld terechtkomen
het slechte met het goede vergelden
zijn wensen niet vervullen, maar vergeten
geldt voor wijzen
dat alles kan ik niet
ik leef in duistere tijden
ik kwam in de steden
als daar honger heerste
ik kwam onder de mensen als er oproer was
en rebelleerde met hen
zo verging de tijd
die mij op aarde was gegeven
mijn eten at ik
[ik] legde me te slapen
de liefde bedreef ik achteloos
de natuur zag ik zonder geduld
zo verging de tijd
die mij op aarde was gegeven
de straten leidden naar het moeras
de taal verraadde mij de slachter
ik vermocht slechts weinig
maar de heersers zaten zonder mij zekerder, dat
hoopte ik
zo verging de tijd
die mij op aarde was gegeven
de krachten waren gering
het doel lag ver verwijderd
Quelltext
Verbalphrasen
ich lebe in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht
deutet hin, hat
empfangen
was sind das für zeiten
fast ein Verbrechen ist
einschließt
geht
ist wohl nicht mehr erreichbar
die in Not sind
es ist wahr, ich verdiene meinen Unterhalt
glaubt mir, das ist nur ein Zufall
nichts von dem was ich tue, berechtigt mich dazu
mich sattzuessen
zufällig bin ich verschont, wenn mein Glück aussetzt
bin ich verloren
man sagt mir, iß und trink du, sei froh daß du hast
aber wie kann ich essen und trinken
wenn ich dem Hungernden entreiße was ich esse
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt
und doch esse und trinke ich
ich wäre auch gerne weise
steht was weise ist
sich aus dem Streit der Welt halten
die kurze Zeit ohne Furcht verbringen
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
gilt für weise
alles das kann ich nicht
ich lebe in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
als da Hunger herrschte
unter die Menschen kam ich
und ich empörte mich mit ihnen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
mein Essen aß ich
schlafen legte ich mich
der Liebe pflegte ich achtlos
die Natur sah ich ohne Geduld
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Straßen führten in den Sumpf
die Sprache verriet mich dem Schlächter
ich vermochte nur wenig
die Herrschenden saßen ohne mich sicherer, das hoffte
ich
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Kräfte waren gering
das Ziel lag in großer Ferne
157
53
het was duidelijk zichtbaar, al was het ook voor
voor mij
amper te bereiken
zo verging de tijd
die mij op aarde was gegeven
jullie die uit de vloed zult opduiken
waarin wij zijn ondergegaan
gedenk
als jullie van onze zwakheden spreken
waaraan jullie ontkomen zijn
gingen wij toch, vaker dan van schoenen van
land
veranderend
als daar slechts onrecht was en geen opstand was
daarbij weten we toch
[de haat tegen de laagheid] misvormt de
gelaatstrekken
[de toorn tegen het onrecht] maakt de stem schor
[wij] die het terrein wilden voorbereiden voor
vriendelijkheid
[wij] konden zelf niet vriendelijk zijn
als het zover zal komen
dat de mens voor de mens een helper is
gedenk ons
-
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
kaum zu erreichen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
in der wir untergegangen sind
gedenkt
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
der ihr entronnen seid
gingen wir doch, öfter die Schuhe als die Länder
wechselnd
wenn da nur Unrecht war und keine Empörung
dabei wissen wir doch
[der Haß gegen die Niedrigkeit] verzerrt die Züge
[der Zorn über das Unrecht] macht die Stimme heiser
[wir] die wir den Boden bereiten wollten für
Freundlichkeit
[wir] konnten selber nicht freundlich sein
wenn es so weit sein wird
daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
gedenkt unsrer
-
Die erste Verschiebung im Bereich der Verbalphrasen, die in Zeile 3 stattfindet, wurde bereits
bei der Analyse der Nominalphrasen behandelt. Die nächste Verschiebung taucht in Zeile 27
auf:
27
Zieltext Droogenbroodt
Verbalphrasen
zonder geweld terechtkomen
Quelltext
Verbalphrasen
ohne Gewalt auskommen
Die Verwendung des Verbes „terechtkomen“ im Zieltext bewegt sich, anders als das Verb
„auskommen“ im Quelltext, außerhalb der gängigen Ausdrucksweisen – wo im Quelltext eine
Kollokation gebildet wurde, ist im Zieltext eher von einem unüblichen Ausdruck die Rede.
Das Verb „terechtkomen“ wird schließlich zumeist lokativ verwendet, wobei es in den
meisten Fällen ein „irgendwo“ bedarf. Dies in im Zieltext nicht vorhanden. Die Verschiebung
muß der individuellen Ausdrucksweise des Übersetzers zugeschrieben werden und ist
demzufolge als substantiell einzustufen.
In Zeile 34 liegt ebenfalls eine Verschiebung vor:
158
34
Zieltext Droogenbroodt
Verbalphrasen
als daar honger heerste
Quelltext
Verbalphrasen
als da Hunger herrschte
In diesem Fall ist die Verwendung der Konjunktionen von Bedeutung. Das niederländische
„als“ ist eine konditionelle Konjunktion, das deutsche „als“ dagegen ist eine temporale
Konjunktion. Damit werden in den beiden Texten unterschiedliche Situationen geschaffen: im
Zieltext kam die Persona absichtlich in die Städte falls da Hunger herrschte, im Quelltext kam
sie in die Städte zum Zeitpunkt wo da Hunger herrschte – im ersten Fall handelt es sich also
um eine Voraussetzung, im zweiten um einen Zeitpunkt. Die unterschiedlichen textlichen
Situationen stellen eine individuelle und substantielle Verschiebung dar.
Eine andere Verschiebung findet man in Zeile 46 vor:
46
Zieltext Droogenbroodt
Verbalphrasen
de taal verraadde mij de slachter
Quelltext
Verbalphrasen
die Sprache verriet mich dem Schlächter
In beiden Texten ist die Rede von Verrat – aber in welcher Beziehung der Verrat auftritt, ist
unterschiedlich. Bei der zielsprachlichen Verwendung des Verbs „verraden“ in einem Satz
mit Subjekt und Objekt bedarf es in einer gängigen Ausdrucksweise der Präposition „aan“,
die im Quelltext im Verb inkorporiert ist. Im vorliegenden niederländischen Satz ist wegen
der fehlenden Präposition unklar, wer von wem verraten ist – wird die Persona oder der
Schlächter von der Sprache verraten? So entsteht im Zieltext eine zweideutige Situation, die
im Quelltext nicht gegeben ist. Demnach kann man von einer individuellen und substantiellen
Verschiebung sprechen.
Die nächste Verschiebung ist in Zeile 47 enthalten:
47
Zieltext Droogenbroodt
Verbalphrasen
ik vermocht slechts weinig
Quelltext
Verbalphrasen
ich vermochte nur wenig
Das zieltextliche Verb „vermogen“ gehört einem eindeutig archaischen Register an, während
das quelltextliche „vermögen“ auch in der modernen Sprache ihre Verwendung findet.
Insoweit kann man von einer individuellen und substantiellen Verschiebung sprechen.
159
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
Zieltext Droogenbroodt
Präpositionalphrasen
in duistere tijden
wijst op ongevoeligheid
een gesprek over bomen
een verzwijgen van zoveel wandaden
door de straat loopt
niet meer bereikbaar voor zijn vrienden
in nood
wie van dorst vergaat
in de oude boeken
zich buiten de strijd van de wereld houden
zonder vrees
zonder geweld terechtkomen
het slechte met het goede vergelden
geldt voor wijzen
in duistere tijden
ik kwam in de steden
ik kwam onder de mensen
[ik] rebelleerde met hen
op aarde
tussen de veldslagen
onder moordenaars
op aarde
naar het moeras van mijn tijd
zonder mij
op aarde
al was het ook voor mij
-
Quelltext
Präpositionalphrasen
in finsteren Zeiten
deutet auf Unempfindlichkeit hin
ein Gespräch über Bäume
ein Schweigen über so viele Untaten
über die Straße geht
nicht mehr erreichbar für seine Freunde
die in Not sind
in den alten Büchern
sich aus dem Streit der Welt halten
ohne Furcht
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
gilt für weise
in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
unter die Menschen
ich empörte mich mit ihnen
auf Erden
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
auf Erden
in den Sumpf zu meiner Zeit
ohne mich
auf Erden
in großer Ferne
wenn auch für mich
-
160
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
op aarde
uit de vloed zult opduiken
als jullie van onze zwakheden spreken
dan van schoenen, van land [veranderend]
door de klassenstrijd
haat tegen de laagheid
toorn tegen het onrecht
het terrein voor vriendelijkheid wilden
voorbereiden
dat de mens voor de mens een helper is
met toegeeflijkheid
auf Erden
auftauchen werdet aus der Flut
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
durch die Kriege der Klassen
Haß gegen die Niedrigkeit
Zorn über das Unrecht
den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
mit Nachsicht
Aus der Liste ist ersichtlich, daß in einigen Fällen der Zieltext eine Präpositionalphrase
enthält und der Quelltext nicht oder umgekehrt. Dabei wurden die folgenden drei Stellen
schon in der Analyse der Übersetzung Van den Bremts besprochen:
21
52
63
Zieltext Droogenbroodt
Präpositionalphrasen
wie van dorst vergaat
dan van schoenen, van land [veranderend]
Quelltext
Präpositionalphrasen
in großer Ferne
-
In den drei Fällen wurde festgestellt, daß es sich um konstitutive und formelle
Verschiebungen handelt, die den unterschiedlichen sprachlichen Systemen zuzuschreiben
sind. Auch die Anwesenheit der Präposition „voor“ in Zeile 75 wurde bereits anderweitig
thematisiert:
75
Zieltext Droogenbroodt
Präpositionalphrasen
dat de mens voor de mens een helper is
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Der Zieltext von Gielkens c.s. enthält eine vergleichbare Verschiebung, die als konstitutiv und
formell eingestuft wurde.
161
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
Zieltext Droogenbroodt
Adverbialphrasen
in duistere tijden
nog altijd niet
rustig
alleen maar toeval
wees blij
graag
zonder vrees
zonder geweld
in duistere tijden
in tijden van wanorde
als daar honger heerste
als er oproer was
tussen de veldslagen
onder de moordenaars
achteloos
zonder geduld
slechts weinig
zaten zonder mij zekerder
duidelijk zichtbaar
nauwelijks te bereiken
Quelltext
Adverbialphrasen
in finsteren Zeiten
nur noch nicht
ruhig
nur ein Zufall
sei froh
gerne
ohne Furcht
ohne Gewalt
in finsteren Zeiten
zur Zeit der Unordnung
als da Hunger herrschte
zur Zeit des Aufruhrs
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
achtlos
ohne Geduld
nur wenig
saßen ohne mich sicherer
deutlich sichtbar
kaum zu erreichen
162
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
vertwijfeld
-
verzweifelt
-
Im Rahmen der Adverbialphrasen werden keine Verschiebungen festgestellt.
163
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
Zieltext Droogenbroodt
Adjektivphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord is idioot, een glad voorhoofd
het vreselijke bericht
in de oude boeken, verstandig
de korte tijd
in duistere tijden
de krachten waren gering
duidelijk zichtbaar
-
Quelltext
Adjektivphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht, eine glatte Stirn
die furchtbare Nachricht
in den alten Büchern, weise
die kurze Zeit
weise
in finsteren Zeiten
die Kräfte waren gering
in großer Ferne
deutlich sichtbar
-
164
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
de duistere tijd
schor
vriendelijk
-
der finsteren Zeit
heiser
freundlich
-
Im Bereich der Adjektivphrasen werden meherer Verschiebungen festgestellt, zunächst
welche, die sich auf das Wortpaar „verstandig“ und „weise“ beziehen. Die Texte zeigen, daß
hier neben den Zeilen 24 und 30 auch die Zeile 23 von Bedeutung ist:
23
24
30
Zieltext Droogenbroodt
Adjektivphrasen
[graag zou ik ook verstandig willen zijn]
in de oude boeken staat, wat verstandig is
[zijn wensen niet vervullen, maar vergeten geldt
voor wijzen]
Quelltext
Adjektivphrasen
[ich wäre gerne auch weise]
in den alten Büchern steht, was weise ist
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen gilt
für weise
Erstens ist festzuhalten, daß im Zieltext das Konzept „verstandig“ zwei Mal verwendet wurde,
während im Quelltext der Begriff „weise“ drei Mal benutzt wurde. Somit enthält der Quelltext
eine Wiederholungsfigur, die im Zieltext nicht in dem Maße vorhanden ist. Zweitens gibt es
in den betroffenen Zeilen eine Verschiebung auf der semantischen Ebene – „verstandig“ und
„weise“ kann man zu einem semantischen Feld rechnen, „verstandig“ hat aber eine eher
praxisorientierte Konnotation, während das Konzept „Weisheit“ eher ins Philosophische geht.
Dementsprechend kann man in den drei Zeilen von individuellen und substantiellen
Verschiebungen sprechen.
Zeile 52 enthält die nächste Verschiebung:
165
52
Zieltext Droogenbroodt
Adjektivphrasen
-
Quelltext
Adjektivphrasen
in großer Ferne
Im Rahmen der Analyse Van den Bremts wurde die vorliegende Zeile bereits untersucht,
wobei das Ergebnis die Einstufung als konstitutive, formelle Verschiebung war.
Eine weitere Tabelle, die man zur Analyse heranziehen kann, basiert sich auf Auffälligkeiten
bei den Nominalphrasen. Bei der Kombination Possessivpronomen mit Nomen treten Lücken
auf an den Stellen die bereits bei Smit, Van den Bremt und Van Istendael Lücken aufwiesen:
37
43
49
55
Zieltext Droogenbroodt
Possessivpronomin + Nomen
-
Quelltext
Possessivpronomin + Nomen
meine Zeit
meine Zeit
meine Zeit
meine Zeit
Bei den betreffenden Zeilen handelt es sich um einen identischen Satz, der jeweils die
Strophen des zweiten Teils des Gedichts abschließt. Analog an der Analyse den
Übersetzungen Smits und Van den Bremts und kann man feststellen, daß es sich hier um ein
Phänomen handelt, daß als „avoidance of repetition“ bezeichnet wird (Leech & Short 1981, S.
79) – es wird im Zieltext ein dreifaches Reim vermieden. Diese Verschiebung kann als
individuell und substantiell eingestuft werden.
166
E.5
Schlußfolgerung Droogenbroodt
Die Übersetzung Droogenbroodts enthält eine Vielzahl an individuellen und substantiellen
Verschiebungen. So enthält die Zieltextwelt statt einer Kollokation einen ungebräuchlichen
Ausdruck, verschiebt sich ein Zeitpunkt zu einer Voraussetzung, eine klare Situation (des
Verrats) zu einer zweideutigen Situation und ein moderner Ausdruck zu einem archaischen. In
all diesen Fällen lehnt der Zieltext sich im sprachlichen Erscheinungsbild direkt an den
Quelltext an, wodurch eine optische Übereinstimmung zwischen Ziel- und Quelltext gegeben
ist die jedoch auf der Ebene der beiden Sprachsysteme nicht in dem Maße vorhanden ist.
Droogenbroodt, der mit seinen Point Editions eine große Zahl an Übersetzungen aus vielen
Sprachen veröffentlicht, rückt demzufolge in seiner übersetzerischen Interpretation sehr weit
von der Textwelt des Quelltextes ab und stellt somit ein Einzelfall dar – seine Publikationen
bewegen sich was die Kritik betrifft in der Marginalität, sie werden weder in der Publizistik
noch in Nachschlagewerken erwähnt.
167
F.
Mooij
168
AAN DE NIEUWE GENERATIE
– Übersetzung Martin Mooij
1
2
1
Werkelijk, ik leef in duistere tijden!
5
Het argeloze woord is dwaas. Een glad voorhoofd
Duidt op ongevoeligheid. Wie lacht
Heeft het vreselijke bericht
Alleen nog niet ontvangen.
In de steden kwam ik in de tijd van de chaos
Toen er honger heerste.
Onder de mensen kwam ik in de tijd van de opstand
En ik werd woedend met hen.
Zo verging mijn tijd
Die op aarde mij gegeven was.
10
15
20
25
30
35
Wat zijn dat voor tijden, waarin
Een gesprek over bomen bijna een misdaad is
Omdat het een stilzwijgen over zoveel wandaden inhoudt!
Die daar rustig over straat loopt
Is zeker niet meer bereikbaar voor zijn vrienden
Die in nood zijn.
40
Het is waar: ik kan mij nog bedruipen
Maar geloof me: dat is slechts toeval. Niets
Van wat ik doe, geeft mij het recht mij zat te eten.
Toevallig ben ik gespaard. (Wanneer mijn geluk ophoudt,
Ben ik verloren.)
45
Ze zeggen mij: eet en drink jij maar! Wees blij dat je het hebt!
Maar hoe kan ik eten en drinken als
Ik van de hongerende afpak wat ik eet en
Mijn glas water een verdorstende ontbreekt?
En toch eet en drink ik.
Ik zou ook graag wijs zijn
In de oude boeken staat wat wijs is:
Je buiten de strijd van de wereld houden en de korte tijd
Zonder vrees doorbrengen
Het ook zonder geweld redden
Kwaad met goed vergelden
Je wensen niet vervullen, maar vergeten
Geldt als wijs.
Maar dat alles kan ik niet:
Werkelijk, ik leef in duistere tijden!
55
3
60
Jullie, die zullen opduiken uit de vloed
Waarin wij zijn ondergegaan
Gedenkt
Wanneer jullie over onze zwakheden spreken
Ook de duistere tijd
Waaraan jullie ontkomen zijn.
Gingen wij immers, vaker dan van schoenen van landen wisselend
Door de oorlogen der klassen, vertwijfeld
Als er slechts onrecht was en geen opstand.
65
70
75
50
Daarbij weten we immers:
Ook de haat tegen de laagheid
Vervormt de gelaatstrekken.
Ook de toorn over het onrecht
Maakt de stem hees. Ach, wij
Die de grond wilden bereiden voor vriendelijkheid
Konden zelf niet vriendelijk zijn.
Jullie echter, als het zover zal zijn
Dat de mens voor de mens een helper is
Gedenkt ons
Met mededogen.
169
Mijn eten at ik tussen de veldslagen
Te slapen legde ik mij te midden van de moordenaars
De liefde bedreef ik achteloos
En de natuur bekeek ik zonder geduld.
Zo verging mijn tijd
Die op aarde mij gegeven was.
De wegen leidden naar het verderf in mijn tijd
De taal verried me aan de slachter
Ik bracht slechts weinig tot stand. Maar de heersers
Zaten zonder mij toch zekerder, dat hoopte ik.
Zo verging mijn tijd
Die op aarde mij gegeven was.
De krachten waren gering. Het doel
Lag heel ver weg
Het was duidelijk zichtbaar, zij het ook voor mij
Nauwelijks te bereiken.
Zo verging mijn tijd
Die op aarde mij gegeven was.
AN DIE NACHGEBORENEN – Bertolt
Brecht
1
2
1
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
5
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unemfpindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
10
15
20
25
30
35
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräche über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
40
Es ist wahr: ich verdiene meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: Das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin
ich verloren.)
Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
45
50
Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
55
170
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
F.1
Hintergrund-Informationen
Historisch-bibliographische Informationen
Martin Mooijs Aan de nieuwe generatie ist Teil der Anthologie Over de aardse liefde en meer
– uit een leven vol gedichten en verzen, die im Brecht-Jahr 1998 im kleinen, selbständigen
Rotterdamer Verlag Ad. Donker erschien, dessen Programmschwerpunkt nach Eigenaussage
im Bereich Kinder, Erziehung und Psychologie liegt. Trotzdem befindet sich der Brecht-Band
in ausgewählter Gesellschaft, da das Programm auch Werke von Shakespeare, Lewis Carroll,
Multatuli und Erasmus umfaßt.
Kenntlichmachung als Übersetzung
Auf dem Einband ist der Autorname Bertolt Brecht prominent anwesend. In einem kleineren
Schrifttyp ist erwähnt, daß Martin Mooij sich für die Zusammenstellung, Einführung und
Übersetzung verantwortlich zeichnet.
Hintergrund-Informationen zum Übersetzer Martin Mooij
Martin Mooijs ist vor allem als Mitbegründer und langjähriger Leiter des Literaturfestivals
Poetry International bekannt. Im Rahmen des Festivals übersetzte er Werke zahlreicher
Lyriker. Dabei ist er als Übersetzer vor allem Spezialist für den deutschen Sprachraum; er
übersetzte Prosa von Peter Handke, Martin Walser, Joseph Roth, Horst Bienek, Günter
Kunert, Anna Seghers, Kurt Tucholsky und Sarah Kirsch. Außerdem übersetzte er LyrikBände von Hermann Hesse und Hans Magnus Enzensberger.
Man kann Mooij durchaus als Brecht-Spezialisten bezeichnen: 1968 veröffentlichte er eine
Brecht-Monographie,5 1971 und 1983 übersetzte er Brecht-Prosa.6
5
Bertolt Brecht. Amsterdam: Stichting IVIO
Leesboek. Amsterdam: Meulenhoff
Vertelling over Meneer K. Amsterdam: Wereldbibliotheek
6
171
Hintergrund-Informationen Quelltext Mooij
Die letzte Seite des Bandes enthält das Impressum, in dem die zugrundeliegende Quelle
vermerkt ist: Mooij hat die Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe
verwendet.
172
F.2
Semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext
Die Erstellung eines semantisch-pragmatischen Skeletts stellt der erste Schritt des Verfahrens
dar. Eine Bestimmung der Elemente der situativen Dimension, der „poetischen Stimme“ und
der Persona, der deiktischen Elemente, der Gattung, der Struktur und des Themas des Textes
werden dabei vorgenommen.
Da die Quelltexte der vorliegenden Arbeit sich rein pragmatisch gesehen sehr nahe stehen,
tun sich naturgemäß Parallelen zum semantisch-pragmatischen Skelett der Übersetzung
Gabriël Smits auf. Das unten beschriebene Skelett wird dementsprechend zu großen Teilen
mit dem Smitschen übereinstimmen.
Die wichtigsten Subjekte des Zieltext sind eine nachfolgende Gruppe, die im Titel Aan de
nieuwe generatie angedeutet wird, und eine Persona, ein „ik“, das in der ersten Zeile
eingeführt wird und im ganzen Text die poetische Stimme darstellt. Diese Persona trifft auf
eine Gemeinschaft, die hungert, und solidarisiert sich mit ihr. Die Persona hat ebenfalls mit
Mördern, Henkern und Herrschenden zu tun. Außerdem begegnet die Persona ein „wie“, ein
anonymes Subjekt, das bestimmte Verhaltensweisen aufzeigt, („wie lacht…“, Zeile 3). Das
„ich“ befindet sich in einem Dialog mit diesem Subjekt. Neben der Persona bewegt sich ein
„jullie“ , ein nachgeborenes Subjekt, das angesprochen wird; diesem „jullie“ werden
Hintergründe erklärt. Dieses Objekt soll den Vorgängern, inklusive der erzählenden Persona,
wenn die Welt sich geändert hat, mit Nachsicht erinnern.
Im Text spielen Tiere oder lebendige, personifizierte Objekte keine Rolle. Die wichtigsten
Objekte sind Teil der Landschaft, die die Persona umgibt, wie Bäume, Straßen, Städte,
Länder, die Natur.
Der Zieltext von Mooij besteht aus freien, ungereimten Versen. Das Gedicht besteht aus
insgesamt vierzehn Strophen und drei Teilen, die man als relativ autonom betrachten kann;
man könnte sie als drei eigenständige Texte lesen.
Der erste Teil enthält zwei Fragesätze, die die Verunsicherung der Persona und ihren
Konflikt mit der Welt, in der sie lebt, ausdrücken. Außerdem enthält die dritte Strophe
Befehls- oder Aufforderungssatz (Zeile 13: „geloof me“), das Gegenüber wird zum ersten mal
im Gedicht direkt angesprochen.
173
Die direkte Rede in Zeile 17 ist ebenfalls Ausdruck der schwierigen Beziehung zwischen der
Persone und ihrer sozialen Umgebung. Das Umfeld wirft der Persona Undankbarkeit vor.
Anhand der Personalpronomina der ersten oder zweiten Person lassen sich die wichtigen
Subjekte feststellen:
Strophe
(Teil 1)
1
2
3
4
5
6
Personalpronomina der 1. und 2. Person
ik
ik mij me ik mij mij ik mijn ik
mij jij (direkte Rede) je (direkte Rede) ik ik ik
mijn ik
ik je (Reflexivpronomen) je (Reflexivpronomen)
ik ik
(Teil 2)
7
8
9
10
ik ik ik mijn mij
mijn ik ik mij ik ik mijn mij
mijn me ik mij ik mijn mij
mij mijn mij
(Teil 3)
11
12
13
14
jullie wij jullie onze jullie
wij
we wij
jullie ons
Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß im ersten Teil ausschließlich die erste Person Singular
verwendet wird. Im zweite Teil des Gedichtes ist ebenfalls ausschließlich diese Person
vertreten. Im dritten Teil treten die erste und die zweite Person in ungefähr gleicher Frequenz
auf.
Der erste Teil fängt mit einem sakral wirkenden Ausruf an. Im ersten Teil wird ein „ich“
eingeführt, das die Schwierigkeiten beschreibt, sich in den aktuellen finsteren Zeiten richtig
zu Verhalten. Als problematisch empfindet die Persona verschiedene Gegebenheiten des
Alltags: man könne nicht mehr lachen, nicht über Allerweltsthemen sprechen, nicht mehr
spazierengehen. „Normales“ Verhalten sei eine Verneinung der grausamen Wirklichkeit. Die
Tatsache, daß es der Persona gut geht und daß sie zu essen und trinken hat, sei lediglich
174
Zufall. Ihre Umgebung sagt der Persona, sie solle ob ihres Glückes froh sein – sie selbst habe
aber ein schlechtes Gewissen. Außerdem gelinge es der Persona nicht, sich der Tugenden alter
Verhaltenslehren, wie Gewaltlosigkeit, Angstfreiheit und Verzicht, anzunehmen. Die Aussage
bezüglich der schwierigen Zeit wird in der letzten Zeile des ersten Teils wiederholt.
Der zweite Teil besteht vollständig aus Aussagesätzen und ist demnach eine Beschreibung.
Jede der vier Strophen wird mit dem gleichen Satz abgeschlossen. Im zweiten Teil schildert
die Persona, wie sie ihr Leben verbracht hat. Sie habe in einem Sumpf, einer kriegerischen
städtischen Landschaft agiert; diese Landschaft bestand aus einer chaotischen Gemeinschaft,
die sich in Aufruhr befand habe. Mit dieser Gemeinschaft habe die Persona sich solidarisiert.
Es tobten Schlachten, es herrschten Wut und Hunger. Die Persona habe mit Mördern verkehrt
und den Herrschern die Unterstützung verweigert. Dabei habe sie den einzigen positiv
besetzten Begriffen, Liebe und Natur, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die
Grundbedürfnisse Essen und Schlaf seien notdürftig befriedigt worden. In dieser Situation
haben ihre sprachlichen Äußerungen die Persona in Gefahr gebracht: sie haben das Interesse
der Henker erweckt. Die Persona habe sich in dieser Umgebung als zu schwach empfunden
und sei sich ihrer Wirkung nicht sicher gewesen – sie sei jedenfalls nicht in der Lage
gewesen, ein großes und wichtiges Ziel zu erreichen.
Der dritte besteht aus vier Strophen – die zweite und dritte Strophe enthalten nur
Aussagesätzen, die umringenden Strophen enthalten jeweils einen Befehls- oder
Aufforderungssatz. In den letzteren spricht die Persona sein Gegenüber direkt an.
Im dritten Teil spricht die Persona ein Gegenüber, ein „jullie“ an. Sie und die Gemeinschaft,
von der sie ein Teil ist (ein „wij“), haben sich für den internationalen Klassenkampf viel
bewegen müssen und auf persönliche Bedürfnisse verzichtet. Dabei seien sie oft verzweifelt
gewesen und waren sie, was das Zwischenmenschliche anbelangt, nicht aufmerksam genug –
es habe ihnen an Geduld und Freundlichkeit gefehlt, obwohl sie gerade auch für diese Sachen
gekämpft haben. Wenn das Gegenüber in einer menschenfreundlichen Gesellschaft lebt, für
die die Persona und ihre Mitstreiter gekämpft haben, solle er sich nicht nur deren Fehler
entsinnen, sondern auch deren Bemühungen, eine bessere Welt herbeizuführen.
Der nächste Punkt ist das deiktische Zentrum, das „Hier“ und „Jetzt“ der Textwelt. Die
Persona berichtet aus einem nicht näher definierten Raum über ihre Vergangenheit und richtet
ein Aufforderung an die Nachgeborenen. Über ihren aktuellen Aufenthaltsort ist nichts in
175
Erfahrung zu bringen, nur über die Situation im Allgemeinen und über die Stadtlandschaft
und die Kriegsschauplätze, wo sie sich vorher aufgehalten hat.
Zur temporalen Deixis können Aussagen gemacht werden die sich auf bestimmte textuelle
Merkmale beziehen. Ein Anhaltspunkt ist die Anwesenheit von Zeitadverbien, wie „gestern“
oder „morgen“. Im vorliegenden Text fehlen diese gänzlich. Den temporalen deiktischen
Nullpunkt kann man anhand der Tempora feststellen:
Präsens
Teil 1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
Teil 2
32
33
34
35
36
37
Präteritum
Perfekt
Infinitiv
Präteritumperfekt
Futur
leef
is
duidt, lacht
heeft
ontvangen
zijn
is
inhoudt
loopt
is
zijn
is, kan
geloof, is
doe, geeft
ophoudt
bedruipen
eten
ben gespaard
ben verloren
zeggen, eet,
drink, wees,
hebt
kan
afpak, eet
ontbreekt
eet, drink
eten, drinken
zou zijn
staat, is
houden
doorbrengen
redden
vergelden
vervullen,
vergeten
geldt
kan
leef
kwam
heerste
kwam
werd
verging
gegeven was
176
38
39
40
41
42
43
44
45
46
at
legde
bedreef
bekeek
verging
gegeven was
leidden
verried aan
bracht tot
stand
zaten, hoopte
verging
47
48
49
50
51
52
53
54
55
Teil 3
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
slapen
doen
gegeven was
waren
lag
was
bereiken
verging
gegeven was
zult opduiken
zijn
ondergegaan
gedenkt
spreken
ontkomen zijn
gingen
was
weten
vervormt
maakt
wilden
konden
bereiden
zal zijn
is
gedenkt
Als Ergebnis ist festzuhalten, daß der erste Teil überwiegend Verben im Präsens und keine
einzige Präteritum-Bildung enthält, der zweite Teil überwiegend im Präteritum und keine
Präsens-Formen hat, und im dritten Teil hauptsächlich und zu nahezu gleichen Teilen
Präsens- und Präteritum-Bildungen vertreten sind. Dies geht konform der Thematik der drei
Teile des Gedichts – erstens eine Schilderung einer schwierigen und konfliktreichen
Gegenwart, zweitens die Probleme einer vergangenen Zeit und drittens eine Rechtfertigung
und ein Appell für die Zukunft.
177
Beziehung zwischen coding time/content time
Die Persona erzählt von der heutigen Zeit aus; sie beschreibt die aktuelle schwierig Lage, die
„finsteren Zeiten“, und die Vorgeschichte. Ihre Aufforderung richtet sich an die Zukunft. Es
gibt also drei Zeitbezüge: das Jetzt, in dem die Perona spricht, berichtet und
anspricht/auffordert, die Vergangenheit, die beschrieben wird, und die Zukunft, der die
Aufforderung/der Aufruf an die Nachgeborenen gilt.
178
F.3
Vergleich semantisch-pragmatisches Skelett Zieltext/Quelltext
Als zweiter Schritt der Analyse werden die Ergebnisse des semantisch-pragmatischen Skeletts
mit dem Quelltext verglichen. Die Frage dabei ist, ob die Ergebnisse auch für den Quelltext
gelten. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte das semantisch-pragmatische Skelett sollte derartig
erarbeitet werden, daß eine Überstimmung gegeben ist. Falls auf dieser Ebene substantielle
Verschiebungen stattfinden, sollten diese erfasst werden.
Das semantisch-pragmatische Skelett besteht aus Daten, die sich auf die Subjekte, Objekte,
Situationen, Deixis, Gattung, Struktur und Thematik beziehen. In diesen Punkten stimmen der
Zieltext von Mooij und der Quelltext im Wesentlichen überein. Eine Überarbeitung des
semantisch-pragmatischen Skeletts ist demnach nicht erforderlich; das Skelett ist in der
vorliegenden Form als tertium comparationis brauchbar.
179
F.4
1
2
3
4
5
6
7
8
9
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Vergleichende Analyse Ziel- und Quelltext
Zieltext Mooij
Nominalphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord, een glad voorhoofd
ongevoeligheid, het vreselijke bericht
wat zijn dat voor tijden
een gesprek over bomen, een misdaad
een stilzwijgen, zoveel wandaden
over straat
zijn vrienden
in nood
slechts toeval
recht
mijn geluk
de hongerende
glas water, een verdorstende
in de oude boeken
de strijd van de wereld, de korte tijd
zonder vrees
zonder geweld
kwaad met goed vergelden
je wensen
in duistere tijden
in de steden, in de tijd van de chaos
honger
onder de mensen, in de tijd van de opstand
mijn tijd
op aarde
mijn eten, tussen de veldslagen
te midden van de moordenaars
de liefde
de natuur, zonder geduld
mijn tijd
op aarde
de wegen, naar het verderf, in mijn tijd
de taal, aan de slachter
de heersers
mijn tijd
op aarde
de krachten, het doel
-
Quelltext
Nominalphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort, eine glatte Stirn
Unempfindlichkeit, der Lachende
die furchtbare Nachricht
was sind das für Zeiten
ein Gespräch über Bäume, ein Verbrechen
ein Schweigen, so viele Untaten
über die Straße
seine Freunde
in Not
meinen Unterhalt
nur ein Zufall
mein Glück
dem Hungernden
Glas Wasser, einem Verdurstenden
in den alten Büchern
aus dem Streit der Welt, die kurze Zeit
ohne Furcht
ohne Gewalt
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche
in finsteren Zeiten
in die Städte, zur Zeit der Unordnung
Hunger
unter die Menschen, zur Zeit des Aufruhrs
meine Zeit
auf Erden
mein Essen, zwischen den Schlachten
unter die Mörder
der Liebe
die Natur, ohne Geduld
meine Zeit
auf Erden
die Straßen, in den Sumpf, zu meiner Zeit
die Sprache, dem Schlächter
die Herrschenden
meine Zeit
auf Erden
die Kräfte, das Ziel
in großer Ferne
-
180
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70
71
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73
74
75
mijn tijd
op aarde
uit de vloed
onze zwakheden
de duistere tijd
vaker dan van schoenen van landen wisselend
de oorlogen der klassen
slechts onrecht, geen opstand
de haat tegen de laagheid
de gelaatstrekken
de toorn over het onrecht
de stem
de grond, voor vriendelijkheid
de mens voor de mens, een helper
met mededogen
meine Zeit
auf Erden
aus der Flut
unseren Schwächen
der finsteren Zeit
öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
die Kriege der Klassen
nur Unrecht, keine Empörung
der Haß gegen die Niedrigkeit
die Züge
der Zorn über das Unrecht
die Stimme
den Boden, für Freundlichkeit
der Menschen dem Menschen, ein Helfer
mit Nachsicht
Zunächst wird festgestellt, an welchen Stellen Nominalphrasen im Zieltext keine
Entsprechung im Quelltext haben und umgekehrt. In diesem Bereich treten einige
Verschiebungen auf, die schon anderweitig analysiert wurden:
3
14
51
Zieltext Mooij
Nominalphrasen
recht
-
Quelltext
Nominalphrasen
der Lachende
in großer Ferne
Im Rahmen des Van den Bremt-Zieltextes wurde festgestellt, daß es sich in diesen drei Fällen
um formelle und konstitutive Verschiebungen handelt.
Die nächste Verchiebung läßt sich in Zeile 12 feststellen:
12
Zieltext Mooij
Nominalphrasen
-
Quelltext
Nominalphrasen
meinen Unterhalt
Die entsprechende Stelle lautet im Zieltext „ik kan mij nog bedruipen“ und im Quelltext „ich
verdiene meinen Unterhalt“. Mooij verwendet eine Metapher in der Form der Synekdoche
(Bronzwaer 1993, S. 167ff.) Laut Bronzwaer (ebd.) ist die „strekking“ der beiden Aussagen
181
gleich, jedoch wird im Quelltext keine Metapher verwendt. Insofern kann man von einer
individuellen und substantiellen Verschiebung sprechen.
Zeile 44 enthält ebenfalls eine Verschiebung:
44
Zieltext Mooij
Nominalphrasen
de wegen, naar het verderf, in mijn tijd
Quelltext
Nominalphrasen
die Straßen, in den Sumpf, zu meiner Zeit
Von Bedeutung ist hier die Stelle im Zieltext „de wegen leidden naar het verderf“, dem im
Quelltext die Stelle „die Straßen führten in den Sumpf“ gegenübersteht. Die zieltextliche
Redewendung alludiert auf ein Stelle im neuen Testament, die lautet: „Breed ist de weg, die
naar het verderf leidt“ (Matthäus 7, 13). Die entsprechende Zeile im Quelltext verfügt nicht
über diesen direkten Bezug zur Bibel. Dementsprechend tritt hier eine individuelle und
substantielle Verschiebung hervor.
182
1
2
3
4
5
6
7
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50
51
Zieltext Mooij
Verbalphrasen
ik leef in duistere tijden
het argeloze woord is dwaas
duidt, lacht
heeft
ontvangen
wat zijn dat voor tijden
haast een misdaad is
inhoudt
loopt
is zeker niet meer bereikbaar
die in nood zijn
het is waar, ik kan mij nog bedruipen
geloof me, dat is slechts toeval
niets van wat ik doe, geeft mij het recht mij zat
te eten
toevallig ben ik gespaard, wanneer mijn geluk
ophoudt
ben ik verloren
ze zeggen mij, eet en drink jij maar, wees blij
dat je het hebt
maar hoe kan ik eten en drinken
als ik van de hongerende afpak wat ik eet
mijn glas water een verdorstende ontbreekt
en toch eet en drink ik
ik zou ook graag wijs zijn
staat wat wijs is
je buiten de strijd van de wereld houden
de korte tijd zonder vrees doorbrengen
het ook zonder geweld redden
kwaad met goed vergelden
je wensen niet vervullen, maar vergeten
geldt als wijs
dat alles kan ik niet
ik leef in duistere tijden
in de steden kwam ik
toen er honger heerste
onder de mensen kwam ik
en ik werd woedend met hen
zo verging mijn tijd
die op aarde mij gegeven was
mijn eten at ik
te slapen legde ik mij
de liefde bedreef ik achteloos
de natuur bekeek ik zonder geduld
zo verging mijn tijd
die op aarde mij gegeven was
de wegen leidden naar het verderf
de taal verried mij aan de slachter
ik bracht slechts weinig tot stand
maar de heersers zaten zonder mij toch zekerder,
dat hoopte ik
zo verging mijn tijd
die op aarde mij gegeven was
de krachten waren gering
het doel lag heel ver weg
Quelltext
Verbalphrasen
ich lebe in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht
deutet hin, hat
empfangen
was sind das für zeiten
fast ein Verbrechen ist
einschließt
geht
ist wohl nicht mehr erreichbar
die in Not sind
es ist wahr, ich verdiene meinen Unterhalt
glaubt mir, das ist nur ein Zufall
nichts von dem was ich tue, berechtigt mich dazu,
mich sattzuessen
zufällig bin ich verschont, wenn mein Glück aussetzt
bin ich verloren
man sagt mir, iß und trink du, sei froh daß du hast
aber wie kann ich essen und trinken
wenn ich dem Hungernden entreiße was ich esse
mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt
und doch esse und trinke ich
ich wäre auch gerne weise
steht was weise ist
sich aus dem Streit der Welt halten halten
die kurze Zeit ohne Furcht verbringen
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
gilt für weise
alles das kann ich nicht
ich lebe in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
als da Hunger herrschte
unter die Menschen kam ich
und ich empörte mich mit ihnen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
mein Essen aß ich
schlafen legte ich mich
der Liebe pflegte ich achtlos
die Natur sah ich ohne Geduld
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Straßen führten in den Sumpf
die Sprache verriet mich dem Schlächter
ich vermochte nur wenig
aber die Herrschenden saßen ohne mich sicherer, das
hoffte ich
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
die Kräfte waren gering
das Ziel lag in großer Ferne
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75
het was duidelijk zichtbaar
zij het ook voor mij nauwelijks te bereiken
zo verging mijn tijd
die op aarde mij gegeven was
jullie die zullen opduiken uit de vloed
waarin wij zijn ondergegaan
gedenkt
wanneer jullie over onze zwakheden spreken
waaraan jullie ontkomen zijn
gingen wij immers, vaker dan van schoenen van
landen wisselend
als er slechts onrecht was
daarbij weten we immers
[de haat tegen de laagheid] vervormt de
gelaatstrekken
[de toorn over het onrecht] maakt de stem hees
[wij] die de grond wilden bereiden voor
vriendelijkheid
[wij] konden zelf niet vriendelijk zijn
als het zover zal zijn
dat de mens voor de mens een helper is
gedenkt ons
-
es war deutlich sichtbar
wenn auch für mich kaum zu erreichen
so verging meine Zeit
die auf Erden mir gegeben war
ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
in der wir untergegangen sind
gedenkt
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
der ihr entronnen seid
gingen wir doch, öfter die Schuhe als die Länder
wechselnd
wenn da nur Unrecht war
dabei wissen wir doch
[der Haß gegen die Niedrigkeit] verzerrt die Züge
[der Zorn über das Unrecht] macht die Stimme heiser
[wir] die wir den Boden bereiten wollten für
Freundlichkeit
[wir] konnten selber nicht freundlich sein
wenn es so weit sein wird
daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
gedenkt unsrer
-
Auf der Ebene der Verbalphrasen tritt in Zeile 3 eine Verschiebung hervor, die schon an einer
anderen Stelle analysiert wurde:
3
Zieltext Mooij
Verbalphrasen
wijst, lacht
Quelltext
Verbalphrasen
deutet hin, -
Die betreffende Stelle wurde bereits bei der Übersetzung Smits behandelt; festgestellt wurde,
daß es sich hier um eine konstitutive und formelle Verschiebung handelt.
184
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52
53
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55
Zieltext Mooij
Präpositionalphrasen
in duistere tijden
duidt op ongevoeligheid
een gesprek over bomen
een stilzwijgen over zoveel wandaden
over straat loopt
niet meer bereikbaar voor zijn vrienden
die in nood zijn
als ik van de hongerende afpak
in de oude boeken
je buiten de strijd van de wereld houden
zonder vrees
het ook zonder geweld redden
kwaad met goed vergelden
in duistere tijden
in de steden kwam ik
onder de mensen kwam ik
ik werd woedend met hen
op aarde
tussen de veldslagen
te midden van de moordenaars
op aarde
naar het verderf in mijn tijd
verried mij aan de slachter
zonder mij
op aarde
zij het ook voor mij
op aarde
Quelltext
Präpositionalphrasen
in finsteren Zeiten
deutet auf Unempfindlichkeit hin
ein Gespräch über Bäume
ein Schweigen über so viele Untaten
über die Straße geht
nicht mehr erreichbar für seine Freunde
die in Not sind
in den alten Büchern
sich aus dem Streit der Welt halten
ohne Furcht
ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
in finsteren Zeiten
in die Städte kam ich
unter die Menschen
ich empörte mich mit ihnen
auf Erden
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
auf Erden
in den Sumpf zu meiner Zeit
ohne mich
auf Erden
in großer Ferne
wenn auch für mich
auf Erden
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zullen opduiken uit de vloed
wanneer jullie over onze zwakheden spreken
vaker dan van schoenen van landen wisselend
door de oorlogen der klassen
haat tegen de laagheid
toorn over het onrecht
de grond wilden bereiden voor vriendelijkheid
de mens voor de mens
met mededogen
auftauchen werdet aus der Flut
wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
durch die Kriege der Klassen
Haß gegen die Niedrigkeit
Zorn über das Unrecht
den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
mit Nachsicht
Aus der Liste ist ersichtlich, daß in einigen Fällen der Zieltext eine Präpositionalphrase
enthält und der Quelltext nicht oder umgekehrt:
19
Zieltext Mooij
Präpositionalphrasen
als ik van de hongerende afpak
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Die Anaylse der betreffenden Stelle wurden bereits im Rahmen Van Istendaels
vorgenommen; die Verschiebung wurde den unterschiedlichen linguistischen Systemen
zugeschrieben und als konstitutiv und formell eingestuft.
Die beiden nächsten Verschiebungen wurden bereits im Rahmen Smits analysiert:
45
62
Zieltext Mooij
Präpositionalphrasen
verried mij aan de slachter
vaker dan van schoenen van landen wisselend
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
In beiden Fällen wurde die Anwesenheit bzw. das Fehlen einer Präposition als formell und
konstitutiv bewertet. Dies trifft ebenso zu für Zeile 73:
73
Zieltext Mooij
Präpositionalphrasen
de mens voor de mens
Quelltext
Präpositionalphrasen
-
Die entsprechende Stelle wurde schon beim Zieltex von Gielkens c.s. untersucht.
186
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55
Zieltext Van den Bremt
Adverbialphrasen
in duistere tijden
alleen nog niet
rustig
slechts toeval
wees blij
graag
zonder vrees
zonder geweld
in duistere tijden
in de tijd van de chaos
toen er honger heerste
in de tijd van de opstand
tussen de veldslagen
te midden van de moordenaars
achteloos
zonder geduld
slechts weinig
zaten zonder mij toch zekerder
duidelijk zichtbaar
nauwelijks te bereiken
-
Quelltext
Adverbialphrasen
in finsteren Zeiten
nur noch nicht
ruhig
nur ein Zufall
sei froh
gerne
ohne Furcht
ohne Gewalt
in finsteren Zeiten
zur Zeit der Unordnung
als da Hunger herrschte
zur Zeit des Aufruhrs
zwischen den Schlachten
unter die Mörder
achtlos
ohne Geduld
nur wenig
saßen ohne mich sicherer
deutlich sichtbar
kaum zu erreichen
-
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vertwijfeld
-
verzweifelt
-
Im Rahmen der Adverbialphrasen werden keine Verschiebungen festgestellt.
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46
47
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53
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Zieltext Mooij
Adjektivphrasen
in duistere tijden
het argeloze woord is dwaas, een glad voorhoofd
het vreselijke bericht
in de oude boeken, wijs
de korte tijd
wijs
in duistere tijden
de krachten waren gering
duidelijk zichtbaar
-
Quelltext
Adjektivphrasen
in finsteren Zeiten
das arglose Wort ist töricht, eine glatte Stirn
die furchtbare Nachricht
in den alten Büchern, weise
die kurze Zeit
weise
in finsteren Zeiten
die Kräfte waren gering
in großer Ferne
deutlich sichtbar
-
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de duistere tijd
hees
vriendelijk
-
der finsteren Zeit
heiser
freundlich
-
Im Bereich der Adjektivphrasen kann eine Verschiebung festgestellt werden:
51
Zieltext Mooij
Adjektivphrasen
-
Quelltext
Adjektivphrasen
in großer Ferne
Die Verschiebung wurde bereits im bei der Analyse Van den Bremts erläutert; sie wurde
einem Unterschied in den linguistischen Systemen der Ziel- und Quellsprache zugeordnet und
demnach als formell und konstitutiv gewertet.
190
F.5
Schlußfolgerung Mooij
Der Brecht-Spezialist Mooij, dessen Biographie größtenteils im Zeichen der Lyrik steht,
verwendet in seinem Text einige Verschiebungen. So verwendet er eine Metapher an einer
Stelle wo im Quelltext keine Metapher vorkommt, "ik kan mij nog bedruipen“ und „ich
verdiene noch meinen Unterhalt“. Damit trägt er in der Gestaltung seiner Textwelt zu einem
eher lyrischen Sprachgebrauch bei, genauso wie er an einer anderen Stelle einen Bezug zur
Bibel hergestellt, der im Quelltext nicht vorhanden ist („de wegen leidden naar het verderf“
vs. „die Straßen führten in den Sumpf“). Er stattet seinen Text mit zusätzlichen literarischen
und lyrischen Merkmalen aus.
191
III
Abschließende Bemerkungen
Der persönliche Kampf Smits
Im Falle Smits haben die Persona in sowohl Quelltext als auch Zieltext mit existentiellen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Sie ringen mit der schwierigen Beziehung zwischen Innen- und
Außenwelt, zwischen Individuum und Geschichte, zwischen persönlicher Lebensform und
organisierter Ideologie. Der Übersetzer hat mit seiner Interpretation eine tiefgehende
thematische Verwandtschaft, eine „thematic kinship“ (Koster 2000, S. 148) hergestellt.
Dabei haben eindeutig mehrere substantielle Verschiebungen stattgefunden, deren Bezug zu
Smits Biographie leicht erkennbar ist. Dieser Zieltext und der dazugehörende Kontext stellt
unter Beweis wie sinnvoll es ist sich einer Übersetzung zunächst nicht-bewertend anzunähern.
Ist es nicht so, daß Smit im Quelltext Merkmale erkannt hat, die ihn fasziniert haben, daß er
eine gewisse Schwingung aufgefangen und verstärkt hat, daß sein Lese-Erlebnis zu einer
Interpretation geführt hat, die er in seine Übersetzung hat einfließen lassen?
So gesehen ist in Smits Augen seine Übersetzung die richtige, die einzige die er herstellen
kann. Van den Bremts Austausch mit Smit in Kreatief, der 1976 stattfand, ist logischerweise
in der „embryonalen“ Phase stecken geblieben, aus dem einfachen Grund, daß kein
Übersetzer gerne auf etwaige Fehler in seinem Text hingewiesen wird. Laut Van den Bremt
hat sich das übersetzte Gedicht aufgrund dieser Fehler anstelle eines Testaments zu einem
„gesprek onder vier ogen“ und eine „intimistische leesoefening“ verwandelt. Smit aber hat
seine Version zweifellos für richtig gehalten; schließlich hat er den Text, trotz der vielen
Vorbehalte in seinem beigefügten Nachwort, publiziert und sich damit der Öffentlichkeit
preisgegeben. Selbstverständlich sah er seine Übersetzung als richtig, fehlerfrei und in sich
schlüssig.
Smit hat richtig erkannt, daß Brecht ein gewisser sakraler und pontifikaler lyrischer Ton
nicht fremd war. Wenn man da noch die religiösen Verweisen Smits hinzufügt, entsteht ein
Text, der in der niederländischen Zielkultur durchaus einen gewissen Stellenwert hat.
Außerdem kann man die „avoidance of repetition“ und die Zusammensetzung "duizelende
verte" im zweiten Teil der Übersetzung Smits als Hinzufügung eines lyrischen Mehrwerts
verstehen. Aus dessen Hintergrund heraus ist es auch klar, daß Van den Bremt gerade diese
Verschiebungen (von „ihr“ zu „jij", das religiöses Register) nicht durchgehen läßt.
192
Der engagierte Van den Bremt
Zunächst ist er aus der Optik Van den Bremts die Kritik an Smits Text nachvollziehbar. Hier
prallen zwei Lebensformen aufeinander: der sozial und politisch stark engagierte, links
orientierte Dichter trifft auf den religiösen Dichter, der Revolutionär auf den Vertreter der
herrschenden Ordnung. Die Bezüge, die Smit zur christlichen Religion herstellt, und die
Verwandlung eines Testaments in eine „intimistische leesoefening“ irritieren Van den Bremt
dementsprechend.
Van den Bremt kann man anhand seiner Biographie als stark politisierten Autor bezeichnen.
Andererseits hat er immer die Notwendigkeit der Autonomie der Kunst betont. So erscheint
der Band in der Reihe “Marxisme en kultuur”, wird aber gleichzeitig ein Bezug zur
ideologiefreien Kultur hergestellt, indem das Bild Tafel vom Maler Klaas Gubbels, das man
beim besten Willen nichts politisch interpretieren kann, den Umschlag schmückt. Dies ist im
Kontext des Zieltextes auch der einzige Hinweis, daß Van den Bremt sich mit dem “anderen”
Brecht auseinandersetzt.
Die Übersetzung widerspiegelt die Wertschätzung und den Respekt, den Van den Bremt
Brecht entgegenbringt. Er berücksichtigt in seiner übersetzerischen Interpretation die
Vielseitigkeit der Quelltextwelt und zollt dem Vorbild Brecht Tribut.
Ein flämischer sprachlicher Einfluß ist nicht leicht aufzuspüren. Die Sammlung ist im
niederländischen Verlag SUN erschienen, und die hiesige Verlagspolitik sieht oft ein Lektorat
flämischer Autoren vor.7 Somit sind möglicherweise flämische Eigenheiten herausgefiltert
worden. Dies gilt wohl aber vor allem für Prosa, in lyrischen Werken kann von Lektoren oder
Redakteuren nicht so einfach etwas redigiert oder geändert werden. Andererseits schreibt Van
den Bremt in Zeile 14: “[Niets] van wat ik doe, geeft met het recht me zat te eten.” Die
Autorität Van Dale versieht die Redewendung „zich zat eten“ van der Qualifikation
“volkstaal”, aber meiner Meinung nach ist der Ausdruck in Belgien üblicher als in den
Niederlanden.
Wie bei Smit sieht man auch hier “avoidance of repetition”, und somit ist ein bestimmter
lyrischer Sprachgebrauch auch bei Van den Bremt gegeben. Dies ist möglicherweise auch
eine Erklärung für die Verwendung “jullie zult” und “gedenkt” in Strophe 10 und 13. Van den
Bremt trifft hiermit die Diktion Brechts, der durch die längere Mehrzahl-Formen der Verben
Siehe dazu Jeroen Brouwers, “Weverbergh en ergher”, in Mijn Vlaamse jaren, Amsterdam: De Arbeiderspers,
1978.
7
193
beeinträchtigt werden könnte. Er möchte die in Brechts Lyrik enthaltene Botschaft, aber auch
seine Ausdrucksweise vermitteln.
Nebenbei bemerkt ist es auffällig, daß Van den Bremt später nicht von Van Istendael c.s. für
die Übersetzung des Gedichts ausgewählt wurde, obwohl er sich damit dermaßen intensiv
auseinandergesetzt hat.
Die Basisübersetzung von Gielkens und Naaijkens
In chronologischem Sinne bilden Jan Gielkens und Ton Naaijkens das erste Übersetzerteam,
das An die Nachgeborenen übersetzte. Ton Naaijkens tritt hauptsächlich als Übersetzer und
Wissenschaftler und nur einmalig als Dichter in Erscheinung,8 von Jan Gielkens ist keine
Primärliteratur bekannt. Hintergrund-Informationen oder eine Poetik herauszufinden ist
dementsprechend schwerer als bei den vorliegenden Übersetzern, die öfter als Lyriker in die
Öffentlichkeit getreten sind. Ein Bezug zwischen der übersetzerischen Interpretation und
besagten Hintergrund-Informationen ist deshalb beschwerlich. Ein weiters Erschwernis zu
einer Interpretation zu kommen, ist das geringe Auftreten von Verschiebungen in der
Übersetzung.
Was die Herausgeber und Übersetzer an diesem spezifischen Gedicht interessiert ist, ist die
Wirkung des „anderen“ Brechts, die programmatisch im Gedicht enthalten ist. Eine
politisierende übersetzerische Interpretation ist demnach nicht zu erwarten und sie kann auch
nicht in der Zieltextwelt festgestellt werden. Die von den Herausgebern angekündigte
Variante „Basisübersetzung“ ist dagegen anwesend; sie zeigt eine schlichte Interpretation auf,
die sich von großen Tönen distanziert. Es wird zwar etwas Wichtiges mitgeteilt, aber in einer
lapidaren Weise.
Beispiele für diese übersetzerische Strategie findet man in Zeile 19, wo es heißt: „iemand
die van de dorst ontkomt“. An dieser Stelle ein Nomen wie „dorstende“ oder „verdorstende“
zu verwenden wäre eher ein lyrischer Sprachgebrauch gewesen. Die gewählte Lösung bezieht
sich rein auf die Bedeutung des Quelltextes.
Auch die Wendung „mijn tijd die mij“ im zweiten Teil des Gedichts weist auf die Strategie
der Basisübersetzung hin. Die dreimalige Wiederholung des Laute „ij“ wird in den übrigen
fünf Versionen vermieden oder abgewandelt, Naaijkens und Gielkens dahingegen stören sich
8
Water van Kamille, Utrecht: Nota Bene, 1985.
194
daran nicht und brauchen deswegen auch keine Strategie der „avoidance of repetition“
anzuwenden.
An der Stelle, an der die übrigen fünf Versionen von „gedenkt ons“ oder „gedenk ons“
reden, wird hier in Zeile 57 die Option „denk aan ons“ bevorzugt. Dies kann man ebenfalls
der Strategie der Basisübersetzung zurechnen, da die Betonung hier auf ein alltägliches
Sprechen statt eines schwergängiges Rezitieren gelegt wird.
Die Übersetzung erreicht das selbstgesteckte Ziel: Sie macht das deutsche Gedicht dem
niederländischsprachigen Lesepublikum zugänglich, sie bietet eine konkrete Lesehilfe zum
Verständnis des nebenan gedruckten Quelltextes, ohne allerdings zu sehr eine bestimmte
Interpretation aufzudrängen.
Ein Fall für drei – Van Istendael, Stassijns und De Vin
Auch hier haben mehrere Übersetzer am Text gearbeitet. Eine vorstellbare Folge der
Teamarbeit bei der Übersetzung wäre eine gewisse Neutralisierung, eine Vermeidung von
Verschiebungen, die tatsächlich im vorliegenden Fall kaum auftreten. Die Übersetzer
distanzieren sich von vorhergegangenen Übersetzungen – Van den Bremt arbeitete zwar am
Band mit, er war jedoch nicht Teil des Übersetzerteams dieses Textes. Der Germanist Prof.
Daniel de Vin ist für die literaturwissenschaftlichen und historischen Einordnung des Textes
zuständig. Auch mit der eigensinnige Gestaltung des Blattspiegel betreten die Herausgeber
Neuland.
In der Zeile 10, „[Wie daar rustig op straat loopt] is zeker wel niet meer bereikbaar voor zijn
vrienden“, könnte das „zeker wel niet" auf eine flämischen Einfluß deuten. Aus der
Perspektive eines Nicht-Flamen ist eine derartige Feinheit aber kaum einzuordnen.
Auch dieses Übersetzerteam bedient sicher der Strategie der „avoidance of repetition“ in
Teil 2; damit ist ein gewisses Maß an lyrischem Sprachgebrauch in der Übersetzung
enthalten.
Droogenbroodt – der Einzelfall
Sinnvolle Aussagen über Droogenbroodts Übersetzung zu machen, ist kein Leichtes – die
Begründung dafür liegt in seiner laienhaften Herangehensweise. Egal wie objektiv man an
195
Droogenbroodts Zieltext herangeht, das überwiegende Fazit muß die schlichte Feststellung
sein, daß der Text viele Fehler enthält. Man kann bestenfalls von einer sehr eigensinnigen
übersetzerischen Interpretation reden. Sein Band Zoals de wolk na de regen – Wie die Wolke
nach dem Regen macht den Eindruck einer gesteigerten Freizeitbeschäftigung, die ohne
jegliche Rückmeldung oder Kritik von Dritten betrieben wurde. In bestimmten Fällen neigen
Übersetzerteams vielleicht zur Neutralisierung, aber typisch für den Einzelübersetzer ist wohl
das Fehlen von redaktioneller Unterstützung. Es fehlt dem Autor zunächst an
Grundkenntnisse im Bereich der deutschen Sprache, die nicht durch redaktionelle Arbeit
ausgeglichen werden.
Obwohl drei der sechs vorliegenden Versionen von flämischen Übersetzern angefertigt
wurden, ist nur in Droogenbroodts Text ein Einfluß des Flämischen eindeutig erkennbar: die
Verwendung von „als“ in den Zeilen 34 und 35, in den dieses Wort die selbe Verwendung
wie das deutsche temporale „als“ findet, ist in der niederländischen Standardsprache
unbekannt, im Flämischen wird “als“ jedoch in diesem Sinne benutzt. Mittels
Nachschlagewerke ist dieses Phänomen nicht zu belegen, es kann nur durch Erfahrungswerte
festgestellt werden. Diese Verwendung von „als“ gehört wohl den flämischen Germanismen
an, wie z.B. „begeesterd“ und „grootstad“. Möglicherweise sollte man die Textstelle „ook
zonder geweld terechtkomen“ in Zeile 27 auch in diesem Licht betrachten.
Andererseits ist Droogenbroodt eine gewisse Annäherung an einen lyrischen
Sprachgebrauch nicht abzusprechen: wie die Übersetzer der meisten übrigen Versionen
verwendet er die Strategie der "avoidance of repetition" im zweiten Teil des Gedichts, indem
er ein eventuell störendes dreifaches "ij" auf eine zweimaliges Auftreten dieses Lautes
reduziert. Ebenfalls im zweiten Teil, in Zeile 46, zeigen sich die lückenhaften
Deutschkenntnisse Droogenbroodts: In der Stelle „de taal verraadde mij de slachter“ ist
dadurch nicht die Sprache des Dichters, sondern die der Schlächter verräterisch.
So schwankt die Übersetzung zwischen lyrischem Sprachgebrauch, Germanismen und
Mißverständnissen, aber auch zwischen dem Politischen und dem Nicht-Politischen. Der
Übersetzer fügt dieser Version außerdem als einzige eine eindeutige politisierende Stelle zu,
wenn er in Zeile 65 den Begriff “klassestrijd“ benutzt. An der Stelle wurde in den fünf
übrigen Versionen „oorlogen der klassen" bevorzugt. Droogenbroodt ist der einzige, der aus
Brechts mehrfachen Kriegsschauplätzen den eher abstrakten Klassenkampf herstellt, den man
bei der politischen Kultfigur Brecht auch erwarten würde.
Was die Gestaltung des Bandes betrifft, ist eine Übereinstimmung mit Van den Bremt und
Mooij festzustellen, dessen Werke auf dem Buchumschlag ebenfalls ein Bild zeigen. Des
196
Weiteren handelt es sich in den drei Fällen um ein Bild, das man als „unpolitisch“ bezeichnen
könnte. Droogenbroodts Band enthält das Bild Pescado grande II vom Maler Siegfried Reich
an der Stolpe (1912-2001), Droogenbroodts Nachbar in der spanischen Wahlheimat Altea.
Somit rückt er den Dichter Brecht in ein eher unpolitisches und künstlerisch orientiertes Licht.
So wie die oben erwähnte Politisierung auch nicht Teil einer grundlegenden Strategie oder
Vorgehensweise ist, so ist auch die Verwendung des Bildes nicht auf eine bewußte Strategie
zurückzuführen – die direkte Verfügbarkeit des Malers spielte hier wohl eher eine Rolle.
Der Band, in dem es nebenbei bemerkt vor Rechtschreib-, Tipp- und Satzfehler wimmelt,
enthält eine Mischung aus den politschen und erotischen Gedichten Brechts, wobei die
Auswahl nicht weiter motiviert wird. Mit dem Titel Zoals de wolk na de regen – Wie die
Wolke nach dem Regen verweist Droogenbroodt jedoch auf das Poetische Brechts und nicht
auf das Politische. Martin Mooijs Sammlung enthält eine ähnliche Mischung, und genau wie
Mooij ist Droogenbroodt als internationaler Lyrik-Vermittler tätig, jedoch auf einer völlig
unterschiedlichen Ebene, die man als laienhaft bezeichnen könnte.
Freund der Dichter und der Dichtung – Martin Mooij
Da Martin Mooij auch nicht als Dichter, sondern als Literaturvermittler in Erscheinung
getreten ist, sind nicht viele Hintergrund-Informationen vorhanden. Außerdem enthält sein
Text wenig Verschiebungen; eine Interpretation seitens des Forschers ist aus diesen Gründen
beschwerlich. Mooij, der als langjähriger Organisator von Poetry International bekannt ist,
kennt die Dichter, ihr Werk und die Schwierigkeiten ihrer Lebensform. Vielleicht zeigt er
deswegen Interesse an Brechts Gedicht, das man als poetisches und sozial-politisches
Testament lesen kann.
Man kann jedoch feststellen, daß Mooij in seiner übersetzerischen Interpretation zum
lyrischen Sprachgebrauch tendiert. Im zweiten Teil des Gedichts verwendet er zwar die drei
ij-Laute in „mijn“, „tijd“ und „mij“, aber mit einer leichter Verdrehung der Syntax, damit
Zwischenraum im Lesefluß entsteht. Mooij schließt sich hiermit der Diktion Brechts an,
wovon ein wesentliches Merkmal der leicht verrutschte Satzbau ist.
In Zeile 44 („de wegen leidden naar het verderf in mijn tijd“) stellt Mooij zwar einen Bezug
zur biblischen Sprache, aber auf einer Weise die man mit Smits Verschiebungen ins religiöse
Register nicht vergleichen kann, die sich vollständig aus dessen Hintergrund-Informationen
197
erklären lassen. Mooij verstärkt die Sumpf-Metapher Brechts und intensiviert somit die
poetische Aussage der Textstelle.
Wie bei Droogenbroodt und Van den Bremt schmückt Mooijs Anthologie ein Bild, das im
Impressum als nicht näher identifiziertes Werk des surrealistischen Malers Mac Zimmermann
(1912-1995) vermerkt wird. Wie bei den beiden anderen Übersetzern, verweist das Bild auf
die unpolitische oder künstlerische Seite des Dichters Brecht. Auch der Titel des Bandes,
Over de aardse liefde en meer – uit een leven vol gedichten en verzen, deutet auf den
„anderen“ Brecht, wobei dahingestellt sei, ob Mooij hiermit auch nicht zum Teil sein eigenes
Leben meint. Auch die Auswahl der Gedichte, die erotische und politische Gedichte umfaßt,
betont die Vielschichtigkeit des Brechts.
198
IV
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