UNIVERSITÄT TRIER Fachbereich IV – Volkswirtschaftslehre insbesondere Stadt- und Regionalökonomie Studentisches Forschungsprojekt Nachhaltige Regionalentwicklung Sommersemester 2003 und Wintersemester 2003/2004 Nachhaltige Regionalentwicklung in Saar-Lor-Lux Erstellung eines Indikatorensystems zur Messung nachhaltiger Entwicklung auf Basis des Vier-Kapital-Modells Endbericht des studentischen Forschungsprojektes Version – 6 – vom 16.02.2004 Universität Trier Fachbereich IV: Volkswirtschaftslehre insbesondere Stadt- und Regionalökonomie Trier im Februar 2004 Praxisbezogene Studienform Nachhaltige Regionalentwicklung Leitung: Prof. Dr. H. Spehl und Dipl. Geografin M. Gensheimer Redaktion Sylvia Borsch Jessica Schmitz Kay Spiegel Helge Zahrnt Autoren der Arbeit Davron Absalyamov Stefanie Klein Daniela Sperling Anita Augustin Christoph Kohl Kay Spiegel Sylvia Borsch Anja Lassonczyk Jochen Thome Christian Fastenrath Claire Masson Markus Norman Throm Nickolas Gakhokidze Manuel Meißner Alexander Thron Britta Ganswindt Jürgen Schäfer Bakhtiyor Umarov Ling Gui Nicole Schick Ling Wu Carolin Hertling Jessica Schmitz Helge Zahrnt Lars Holstenkamp Verena Schnell Julia Zvinchukova Teresa Joneck Felix Scholzen Carmen Justen Astrid Schultze Vorwort Der vorliegende Bericht ist das Ergebnis des Ausbildungsprojekts „Nachhaltige Regionalentwicklung“, das von einer Gruppe 30 Studierender der Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre und Soziologie an der Universität Trier über zwei Semester hinweg bearbeitet wurde. Im Rahmen dieser Praxisbezogenen Veranstaltung im Hauptstudium arbeiteten die Studierenden weitgehend selbständig in mehreren kleinen Projektteams. Dabei wurden sie von uns sowohl fachlich als auch methodisch betreut und unterstützt. Neben Literaturund Datenrecherchen bestand die Arbeit der Projektteams in der Anwendung erlernter Methoden der empirischen Sozialforschung, der Anfertigung von Berichten sowie der Präsentation der Ergebnisse. Durch die Arbeit in Projektteams konnten die TeilnehmerInnen darüber hinaus wichtige Erfahrungen in Teamarbeit, Zeitmanagement und Kommunikationsfähigkeit sammeln. Das Ziel des Projektes bestand in der Erstellung eines Indikatorensets, mit dessen Hilfe Aussagen über die Entwicklung der Region Saar-Lor-Lux im Sinne einer Nachhaltigen Regionalentwicklung getroffen werden können. Die von der Forschungsgruppe entwickelten Indikatoren werden im Sinne des Vier-KapitalModells von Paul Ekins differenziert nach Indikatoren zur Abbildung der Nachhaltigkeit in den Bereichen Sachkapital, Naturkapital, Humankapital und Sozialkapital. Die nun vorliegenden Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt hin zu einem Set von Regionalindikatoren, mit deren Hilfe Fortschritte in Richtung einer Nachhaltigen Entwicklung im Saar-Lor-Lux-Raum ermittelt werden können. Insbesondere im Bereich der Datenbeschaffung gibt es Ansatzpunkte für weitere Arbeiten zu diesem Thema, was u.a. darauf zurückzuführen ist, dass für die untersuchte Region nicht durchgängig Daten zu allen Indikatoren für jede Teilregion zur Verfügung standen. Die begonnene Arbeit wird daher am Lehrstuhl für Stadt- und Regionalökonomie in den kommenden Jahren fortgesetzt werden. An dieser Stelle möchten wir uns bei den Stellen bedanken, die uns statistische Daten zur Verfügung gestellt haben: den Statistischen Landesämtern von Rheinland-Pfalz und dem Saarland sowie Eurostat Data Shop Berlin. Ohne ihre Unterstützung wären eine erste Analyse und damit eine Erprobung der Indikatoren nicht möglich gewesen. Prof. Dr. Harald Spehl Dipl.-Geografin Michaela Gensheimer I Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................... I Abbildungsverzeichnis ......................................................................................... V Tabellenverzeichnis ........................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... VIII 1. Einleitung ........................................................................................................... 1 2. Regionale Perspektive – Saar-Lor-Lux ........................................................... 4 2.1 Die regionale Ebene zur Messung von Nachhaltigkeit ................................. 4 2.2 Gebietsabgrenzung ........................................................................................ 5 2.3 Geschichte ..................................................................................................... 7 2.4 Der Bestand der vier Kapitalarten in der Region .......................................... 8 2.4.1 Naturkapital/Ressourcen ........................................................................ 8 2.4.2 Wirtschaft ............................................................................................... 9 2.4.3 Humane Faktoren ................................................................................... 9 2.4.4 Soziale Faktoren ................................................................................... 10 3. Nachhaltige Entwicklung ............................................................................... 11 3.1 Der Begriff der Nachhaltigkeit .................................................................... 11 3.2. Nutzungsintensität der Ressourcen ............................................................ 13 3.2.1.Starke Nachhaltigkeit ........................................................................... 13 3.2.2 Schwache Nachhaltigkeit ..................................................................... 14 3.2.3 Funktionale Substituierbarkeit ............................................................. 15 3.3 Realisierung des Nachhaltigkeitskonzepts .................................................. 16 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit.......................... 20 4.1 Wohlstandsmessung über des Bruttoinlandsprodukt .................................. 20 4.2 Alternative Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit ...... 22 4.3 Weitere Ansätze zur Messung von nachhaltiger Entwicklung ................... 24 4.3.1 Der Pressure State Response Ansatz ................................................... 24 4.3.2. Der Ansatz des BBR ........................................................................... 25 4.3.3. Der Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung ............................... 29 II 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren .... 33 5.1 Das Vier-Kapital-Modell ............................................................................ 33 5.1.1 Darstellung des Vier-Kapital-Modells und seine Operationalisierung 33 5.1.2 Genauere Beleuchtung der vier Kapitalarten ....................................... 35 5.1.3 Welche Anwendungsmöglichkeit ergeben sich für das Vier-KapitalModell? ......................................................................................................... 36 5.2 Konzeptionelle Grundlagen für eine indikatorengestützte Operationalisierung nachhaltiger Entwicklung ................................................. 38 5.2.1 Operationalisierung nachhaltiger Entwicklung über Indikatoren ........ 38 5.2.2 Anforderungen und Merkmale von Nachhaltigkeitsindikatoren.......... 39 5.2.3 Nachhaltigkeitsindikatoren und Werturteile ........................................ 41 5.2.4 Möglichkeiten und Grenzen einer Aggregation von Indikatoren ........ 42 5.2.5 Das System von Nachhaltigkeitsindikatoren dieser Arbeit .................. 43 6. Analyse der vier Kapitalbereiche .................................................................. 45 6.1 Humankapital .............................................................................................. 45 6.1.1 Theoretischer Hintergrund ................................................................... 45 6.1.2 Operationalisierung von Humankapital ............................................... 46 6.1.3 Analyse der Daten ................................................................................ 62 6.1.4 Wechselwirkungen innerhalb des Humankapitals ............................... 73 6.2 Naturkapital ................................................................................................. 74 6.2.1. Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes .................................... 74 6.2.2. Indikatorenauswahl ............................................................................. 85 6.2.3. Graphische Darstellung und Analyse .................................................. 94 6.2.4. Wechselwirkungen innerhalb des Naturkapitals ............................... 108 6.2.5. Fazit: Die Entwicklung im Bereich des Naturkapitals ...................... 110 Anhang: Datenlage und Erfahrungen der Datenrecherche.......................... 112 6.3 Sachkapital ................................................................................................ 118 6.3.1 Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes ................................. 118 6.3.2 Nachhaltigkeit .................................................................................... 118 6.3.3 Deduktion der Nachhaltigkeitsindikatoren ........................................ 119 6.3.4 Idealindikatoren - abgeleitet auf Grundlage der Produktionsfunktion122 6.3.5 Realindikatoren .................................................................................. 124 6.3.6 Analyse der Realindikatoren .............................................................. 136 6.3.7 Wechselwirkungen innerhalb des Sachkapitals ................................. 147 Anhang I: Diskussion und weiterführende Überlegung zu Anlagevermögen als Nachhaltigkeitsindikator ........................................................................ 150 Anhang II: Fehlerrechnung Bruttoanlagevermögen.................................... 152 6.4 Sozialkapital .............................................................................................. 153 6.4.1 Untersuchungsgegenstand: Sozialkapital ........................................... 153 6.4.2. Herleitung der Ideal- und Realindikatoren ........................................ 156 6.4.3. Analyse .............................................................................................. 164 6.4.4 Wechselwirkungen innerhalb des Sozialkapitals ............................... 176 6.4.5 Fazit .................................................................................................... 177 III 7. Analyse der Indikatorbeziehungen zwischen den Kapitalen .................... 180 7.1 Vorgehensweise ........................................................................................ 180 7.2 Analysen .................................................................................................... 182 7.2.1 Sachkapital – Naturkapital ................................................................. 182 7.2.2 Sachkapital – Humankapital .............................................................. 183 7.2.3 Sachkapital – Sozialkapital ................................................................ 183 7.2.4 Humankapital – Sozialkapital ............................................................ 184 8. Fazit ................................................................................................................ 186 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 189 IV Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Die Region Saar-Lor-Lux ................................................................. 6 Abbildung 2: Idealtypische Zielsetzungsstrategie ................................................ 18 Abbildung 3: Pressure-State-Response Modell .................................................... 25 Abbildung 4: Zieldimensionen des BBR-Ansatzes .............................................. 28 Abbildung 5: The Creation of Wealth and Utility................................................. 34 Abbildung 6. ISCED- Klassifikation (falsch nur platzhalter) .............................. 50 Abbildung 7: Bevölkerung mit höchstem abgeschlossenem Bildungsbereich ISCED 0-2 (1997) (Primarbereich und Sekundarbereich I).......................... 62 Abbildung 8: Bevölkerung mit höchstem abgeschlossenem Bildungsbereich ISCED 3-4 (1997) (Sekundarbereich II) ....................................................... 63 Abbildung 9: Bevölkerung mit höchstem abgeschlossenem Bildungsbereich ISCED 5-6 (1997) (Tertiärbereich) ............................................................... 64 Abbildung 10: Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung .................... 65 Abbildung 11: Schüler-Lehrer-Verhältnis im Schuljahr 2001/2002 ..................... 66 Abbildung 12: Schüler-Lehrer-Verhältnis in Rheinland-Pfalz und im Saarland .. 67 Abbildung 13: Demographische Struktur innerhalb der Erwerbspersonen: Anteil der Erwerbspersonen zwischen 55 und 64 Jahren an den Erwerbspersonen zwischen 25 und 34 Jahren ........................................................................... 68 Abbildung 14: Studierende in naturwissenschaftlichen und technologischen Fachrichtungen an der Universität im Saarland in den Wintersemestern ..... 69 Abbildung 15: F&E-Ausgaben pro Beschäftigtem im F&E-Bereich im Unternehmenssektor...................................................................................... 70 Abbildung 16: F&E-Ausgaben pro Beschäftigtem im F&E- Bereich im Staatssektor ................................................................................................... 71 Abbildung 17: F&E-Ausgaben pro Beschäftigtem im F&E- Bereich im Hochschulsektor ............................................................................................ 72 Abbildung 18: Anteil der Forstfläche in der Region Saar-Lor-Lux an der Gesamtfläche (in %)...................................................................................... 94 Abbildung 19: Entwicklung der Waldschäden in Rheinland-Pfalz, Saarland, Luxemburg und Wallonien. Anteil der deutlich geschädigten Bäume (Stufen 2-4, bestehend aus mittelstark und stark geschädigten sowie abgestorbenen Bäumen) ........................................................................................................ 95 Abbildung 20: Entwicklung der Rebfläche gemessen an der Gesamtfläche (in %) ....................................................................................................................... 97 Abbildung 21: Entwicklung der Naturschutzfläche in Rheinland-Pfalz (mir fehlt Abbildung?, nur Platzhalter) ......................................................................... 98 Abbildung 22: Nitratgehalt im Grundwasser in der Region Rheinland-Pfalz ...... 99 V Abbildung 23: Nitratgehalt im Grundwasser in der Region Saarland ................ 100 Abbildung 24: Nitratgehalt im Grundwasser in der Region Wallonien .............. 101 Abbildung 25: Nitratgehalt in Oberflächengewässern in der Region RheinlandPfalz (mg/l) (ist die richtig?) ....................................................................... 102 Abbildung 26: Nitratgehalt in Oberflächengewässern in der Region Saarland (welche Abbildung? Hier nur Platzhalter) .................................................. 103 Abbildung 27: Nitratgehalt in Oberflächengewässern in der Region Wallonien 104 Abbildung 28: Chloridgehalt in Oberflächengewässern in der Region RheinlandPfalz (durchschnittliche Chloridkonzentration mg/l) .................................. 104 Abbildung 29: Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsfläche in RheinlandPfalz, Saarland, Luxemburg und Wallonien (ha) ........................................ 105 Abbildung 30: Entwicklung der NO2-Konzentration in der Luft in der Großregion ..................................................................................................................... 107 Abbildung X: An dieser Stelle: Darstellung aus Tabelle_Kapitalstock.xls Platzhalter.................................................................................................... 136 Abbildung x: Modernitätsgrad (%) ..................................................................... 138 An dieser Stelle: die entsprechend nebeneinander gestellten Viererpäckchen von Abbildungen aus Tab_kapitalintensität_kapitalprod.xls ............................. 139 An dieser Stelle: die entsprechend nebeneinander gestellten Viererpäckchen von Abbildungen aus Tab_kapitalintensität_kapitalprod.xls ............................. 141 An dieser Stelle: (Darstellung aus) Tabelle_FuE_Ausgaben.xls ........................ 142 An dieser Stelle: 2 Darstellungen aus Tabelle_Patentneuanmeldungen.xls ....... 144 An dieser Stelle: Darstellung aus Tabelle_Branchenstruktur.xls ........................ 146 Abbildung X: Anzahl der Krankenhausbetten .................................................... 170 Abbildung X: Anzahl von Ärzten ....................................................................... 171 Abbildung x: Anzahl der Mitglieder in Sportvereinen bezogen auf die Gesamtbevölkerung % ................................................................................ 175 VI Tabellenverzeichnis Tabelle x: Übersicht über die Wechselwirkungen innerhalb des Naturkapitals . 108 Tabelle X: Datenrecherche zur Ermittlung der Indikatoren im Naturkapital ..... 114 Tabelle X: Wechselwirkungen der Indikatoren des Sachkapitals ....................... 147 Tabelle X: Fehlende Daten für das Sozialkapital ................................................ 165 Tabelle X: Gegenüberstellung der Wechselwirkungen zwischen den Indikatoren ..................................................................................................................... 181 VII Abkürzungsverzeichnis ADEME Agence de l`Environment et de la Maitrise de l`Energie BBR Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BIP Bruttoinlandsprodukt bspw. beispielsweise DGRNE Direction Generale des Ressources Naturelles et de l`Environment EURES European Employment Services frz. französisch HDI Human Developement Index IKSMS Internationale Kommission zum Schutz der Mosel und der Saar INSEE Institut national de la statistique et des etudes economiques ISCED International standard classification of education ISEF Index of sustainable economic welfare NRTEE National Round Table on the Environment and the Economy OECD Organization for Economic Cooperation and Development SEEA System for integrated environmental and economic accounting SNA system of national account STATEC Service central de la statistique et des etudes economiques u.a. unter anderem UGR Umweltökonomische Gesamtrechnung v.a. vor allem VGR Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung z.B. zum Beispiel VIII 1. Einleitung 1. Einleitung Im Rahmen des einjährigen studentischen Forschungsprojektes im Hauptstudium zum Thema „Nachhaltige Regionalentwicklung“ analysierten Studierende der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die Großregion Saar-Lor-Lux hinsichtlich einer Regionalentwicklung im Sinne der Nachhaltigkeit. Ziel der vorliegenden Studie ist die Ermittlung des Ist-Zustandes der Großregion sowie die Bewertung der Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit seit dem Jahr 1990. Im Verlauf der Arbeit soll die Frage beantwortet werden, ob sich die Region nach dem Leitbild der schwachen oder starken Nachhaltigkeit entwickelt. Anhand von statistischen Daten konnten die einzelnen Regionen im Raum SaarLor-Lux miteinander verglichen werden und Defizite in einzelnen Bereichen aufdeckt werden. Diese Studie soll der Bevölkerung einen Zugang zum Thema „Nachhaltige Regionalentwicklung in Saar-Lor-Lux“ gewähren, der sowohl eine Diskussion belebt, als auch eine zukünftige Partizipation der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen erleichtert. Diese Arbeit basiert auf der Nachhaltigkeitsdefinition (Sustainable Development) der Brundtland-Kommission. Diese Kommission beschäftigte sich zwischen 1983 und 1987 mit der Verbesserung der gesellschaftlichen Wohlfahrt in der Gegenwart und Zukunft. In dem 1987 veröffentlichten Endbericht der Kommission wird das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung folgendermaßen verstanden: „Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“1 Es spielen hierbei sowohl die inter-, als auch die intragenerationale Gerechtigkeit eine wichtige Rolle. Grundlage dieser Studie ist das Vier-Kapital-Modell, auf dessen Basis ein System von Nachhaltigkeitsindikatoren entwickelt wurde. Die Bestände der vier Kapitale (Sach-, Human-, Natur- und Sozialkapital) sowie deren besonders relevante Entwicklungen werden durch Indikatoren abgebildet. Anforderungen an die gewählten Indikatoren sind eine präzise Abbildung der Realität, Praxisnähe und Anwendbarkeit. Da jedoch zur Messung der idealen Indikatoren benötigte Daten aus finanziellen und zeitlichen Gründen nicht erhoben werden konnten, wurde auf ähnliche und geeignete Hilfsindikatoren zurückgegriffen, deren Daten der Forschungsgruppe zur Verfügung standen. Zunächst wird im zweiten Kapitel auf die regionale Ebene von Nachhaltigkeit eingegangen. Die untersuchte Modellregion (Saar-Lor-Lux) wird detailliert beschrieben und auch unter dem historischen Gesichtspunkt skizziert. Der aktuelle Bestand der Kapitale in der Region, aufgegliedert in die – noch zu erläuternden – 1 Hauff, V. (1987), S.46. 1 1. Einleitung vier Kapitalbereiche, ermöglicht an dieser Stelle zunächst einen kurzen Überblick über den Untersuchungsgegenstand der Studie. Die Betrachtung eines grenzüberschreitenden Raumes ist eine Besonderheit im Vergleich zu vorhandenen Studien. Dies wirft jedoch Probleme im Hinblick auf die unterschiedliche Verfügbarkeit von Daten in den einzelnen Ländern auf. Im dritten Kapitel folgt eine genauere Erläuterung des Begriffes Nachhaltigkeit. Sie beinhaltet die ausführliche Definition auf Grundlage des Brundtland Berichtes. Anschließend wird das Konzept der starken und schwachen Nachhaltigkeit näher erläutert, woraus schließlich das Prinzip der funktionalen Substituierbarkeit von Ressourcen abgeleitet wird. Der letzte Abschnitt gewährt Einblicke in die Realisierung und Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips. Im vierten Kapitel werden verschiedene Ansätze zur Operationalisierung einer nachhaltigen Entwicklung erklärt. Hierbei werden die zur Messung von Wohlstand und Wohlfahrt möglichen Ansätze kritisch beleuchtet. Es folgt eine Erläuterung des Pressure-State-Response Ansatzes und des Ansatzes vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) mit dessen Zielsetzungen. Weiterhin werden die Handlungsfelder und Zielsetzungen der Bundesregierung in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung der gesamten Bundesrepublik aufgezeigt. Der von der Projektgruppe ausgewählte Vier-Kapital-Ansatz wird anschließend in seinen theoretischen Grundlagen vorgestellt. Auch auf die Frage, der Anwendungsmöglichkeiten des Modells in der Praxis und der damit verbundenen Operationalisierung der Kapitale über Nachhaltigkeitsindikatoren wird eingegangen. Aus den Anforderungen an die zur Analyse verwendeten Indikatoren ergeben sich die allgemeinen und konzeptionellen Grundlagen für eine indikatorengestützte Operationalisierung nachhaltiger Entwicklung. Die Besonderheiten und Problemfelder wie zum Beispiel eine mögliche Aggregation von Indikatoren werden ebenfalls kritisch behandelt. Im fünften Kapitel wird das Vier-Kapital-Modell erklärt. Nach einer genaueren Beschreibung werden Anwendungsmöglichkeiten aufgezeigt und die Operationalisierung des Modells über Nachhaltigkeitsindikatoren beschrieben. Außerdem werden konzeptionelle Grundlagen für eine indikatorengestützte Analyse nachhaltiger Entwicklung an dieser Stelle theoretisch erläutert. Im sechsten Kapitel erfolgt die Messung von Nachhaltigkeit in den vier Kapitalbereichen für die Region Saar-Lor-Lux mit Hilfe der gewählten Indikatoren. Für jeden Kapitalbereich werden die Besonderheiten und Problemfelder erörtert. Die entwickelten Indikatoren werden auf zusammenfassenden Indikatorenblättern in einem gesonderten Heft beschrieben. An dieser Stelle erfolgt eine ausführliche Beschreibung; Auswahlmotive werden erläutert und die Daten zum jeweiligen Indikator aufgeführt. 2 1. Einleitung Schließlich folgt im siebten Kapitel die Analyse der Beziehungen zwischen den Kapitalbereichen. Besonders wichtig sind hier die Wechselwirkungen innerhalb sowie zwischen den einzelnen Kapitalen und zwar insbesondere die harmonischen und die konflikthaften Beziehungen. Im Fazit wird anhand der zuvor gewonnenen Informationen eine Aussage über die nachhaltige Entwicklung der Region Saar-Lor-Lux möglich. Nun kann vor dem Hintergrund der zuvor angeführten Daten eine Aussage über den Stand der nachhaltigen Entwicklung in der Großregion Saar-Lor-Lux gemacht werden. Außerdem sind an dieser Stelle Vorschläge für eine Erweiterung und Vertiefung der vorliegenden Arbeit zu finden. 3 2. Regionale Perspektive – Saar-Lor-Lux 2. Regionale Perspektive – Saar-Lor-Lux Zunächst wird die untersuchte Region näher beschrieben, wobei eine Eingrenzung des Begriffes „Region“ vorgenommen wird, bevor die geschichtlichen und aktuellen Gegebenheiten im Untersuchungsgebiet dargestellt werden. 2.1 Die regionale Ebene zur Messung von Nachhaltigkeit Diese Arbeit bezieht sich auf die regionale Ebene. „Unter einer Region kann man die geographische Verräumlichung eher unräumlicher Phänomene physischmaterieller (Ökonomie, Ökologie), sozialer und psychischer Art“ verstehen.2 Die Eingrenzung dieses Raumes kann anhand von lokalen Entwicklungen wie bspw. der Arbeitsteilung stattfinden. Auch andere Merkmale wie der Kontext der Region in der nationalen und internationalen Entwicklung und die Interaktion mit anderen Regionen oder Stoffkreisläufen können zur Gestaltung herangezogen werden.3 Eine genaue räumliche Abgrenzung der Region ist für die Vergleichbarkeit der Daten wichtig. Die verschiedenen Verflechtungen der Regionen miteinander und die Mobilität der Bewohner erschwert dies aber.4 Die hier verwendete Definition der Region Saar-Lor-Lux orientiert sich an den heute gültigen politischen Grenzen der Teilregionen, obwohl dies zur Folge hat, dass die untersuchte Region größer ist als die Kernregion, in der die regionale Identität als am stärksten vermutet wird. Durch diese Ausweitung der Region wird von einer verbesserten Datenlage ausgegangen, da auf der politischen Ebene der Teilregionen die statistischen Ämter einen großen Teil der zu untersuchenden Daten verfügbar machen können. Die oben angesprochene regionale Identität entsteht aus dem Zusammenspiel von gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ereignissen in einem Gebiet.5 Der geschichtliche Verlauf der Großregion belegt eindrucksvoll, dass dieses Zusammenspiel nicht immer harmonisch verlief. Trotzdem ist über die politischen Grenzen hinweg eine Identität der Menschen mit ihrer Umgebung und der angrenzenden Gebiete entstanden. Die wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen sind hier gewachsene Strukturen und nicht nur durch die Globalisierung entstanden, die diese heute weiter fördert.6 Seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gibt es in den EUMitgliedsstaaten einen Trend zur Dezentralisierung und Globalisierung. 7 Dies führte unter anderem zu einer Bedeutungszunahme der regionalen Ebene aufgrund der Überschaubarkeit und der besseren Identifikation mit kleinräumigen 2 Majer, H. et al. (1996), S.15. Vgl. Majer, H. et al. (1996), S.15ff. 4 Vgl. Majer, H. et al. (1996), S.20. 5 Vgl. Greif, M. (2000), S.37. 6 Vgl. Greif, M. (2000), S.35. 7 Vgl. Greif, M. (2000), S.53. 3 4 2. Regionale Perspektive – Saar-Lor-Lux Gebieten.8 Aus diesem Grund wächst auch die Bedeutung der Region für die nachhaltige Entwicklung.9 Die Wichtigkeit der kommunalen Ebene zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung wird insbesondere durch die Lokale Agenda 21 hervorgehoben. Sie betont die Notwendigkeit der Handlungsbereitschaft von Lokalbehörden als treibende Kraft für die Umsetzung der in Rio de Janeiro vereinbarten Ziele. Die Vorzüge der regionalen und kommunalen Ebene sind die unmittelbare Nähe und die damit verbundene verbesserte Chance, dass sich die Bürger mehr für das Thema Nachhaltigkeit interessieren. Auch sind die Verantwortlichen besser zu identifizieren und die überschaubaren Verhältnisse ermöglichen Kooperationen und 10 verantwortungsbewusstes Handeln. Als Beispiele für die schon heute bestehenden Kooperationen im Großraum Saar-Lor-Lux können sowohl die vielen Projekte im Bereich des Umweltschutzes, initiiert durch das Saar-Lor-Lux Umweltzentrum11, als auch die im Bereich des Humankapitals gestarteten Projekte wie das durch Eures (European Employment Services = europäische Beschäftigungsdienstleistungen)12 angeregte Informations- und Beratungssystem genannt werden. Diese Projekte sind oft nur auf spezielle Einzelfragen oder Bereiche reduziert und für eine allgemeine Aussage zur Situation bzw. der Nachhaltigkeit der Region nicht geeignet. 2.2 Gebietsabgrenzung Die Großregion Saar-Lor-Lux besteht aus den Teilregionen Rheinland-Pfalz, Saarland (BRD), Wallonien (Belgien), dem Großherzogtum Luxemburg und Lothringen (Frankreich). Diese europäische Modellregion wurde zum einen ausgewählt, weil die Universitätsstadt Trier in der untersuchten Region liegt und die Autoren dieses Berichtes ein verstärktes Interesse an der hiesigen Situation haben. Ein weiteres Argument für diese Region ist der Standortvorteil, da durch die unmittelbare Nähe zum Untersuchungsgebiet die Kommunikationskosten niedrig gehalten werden konnten. Außerdem wurden bereits vorhandene Kontakte mit den entsprechenden Institutionen genutzt und ausgebaut. Diese Modellregion ist weiterhin als Untersuchungsgebiet ausgewählt worden, da hier die Verflechtungen wirtschaftlicher und sozialer Aspekte über die Staatsgrenzen hinaus sehr ausgeprägt sind. Dies hängt vor allem mit dem geschichtlichen und politischen Hintergrund dieses Gebietes zusammen. 8 Vgl. Greif, M. (2000), S.38ff. Vgl. Greif, M. (2000), S.60. 10 Vgl. Majer, H. et al. (1996), 18ff. 11 Vgl. Deutsche Bundesstiftung Umwelt, vom 31.01.04. 12 Vgl. Eures, vom 31.01.04. 9 5 2. Regionale Perspektive – Saar-Lor-Lux Abbildung 1: Die Region Saar-Lor-Lux Koblenz # RheinlandPfalz Prov. Luxembourg (Wallonien, B) Arlon # Luxembo#urg # Mainz Trier Saarland Saarbrü cken # # # # Kaiserslautern Metz Lorraine # Nancy Quelle: Barth, B. et al. (2001). Schon Ende der 40er Jahre gab es im Bereich der Benelux-Staaten die Idee eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses, in dem die Koordinierung der Wirtschaftsund Sozialpolitik umgesetzt werden sollte.13 1971 richteten die Regierungen der betreffenden Teilgebiete des Großraumes Saar-Lor-Lux eine Kommission ein, welche sich bis heute mit der Planung und Organisation der grenzübergreifenden Raumordnung beschäftigt. Seitdem wurde diese Kooperation weiter ausgebaut und weitere Institutionen wie bspw. die statistischen Landesämter bemühen sich um eine über Staatsgrenzen hinweggehende Zusammenarbeit.14 Durch diese Kooperationen, vor allem seitens der statistischen Ämter und deren Abgleichung der Daten, war es möglich, auch überregional die Indikatoren im gesamten Gebiet gleichwertig auszurichten (das heißt, in den Gebieten können dieselben Indikatoren benutzt werden, da zur Berechnung dieser die gleichen Grundlagen verwendet wurden).Dennoch stellte die Datensammlung aufgrund der verschiedenen Amtssprachen und der noch nicht vollständigen Angleichung der statistischen Systeme eine besondere Herausforderung dar. 13 14 Vgl. Erbe, M. (1993), S.307ff. Vgl. Großregion (2002), vom 13.01.04. 6 2. Regionale Perspektive – Saar-Lor-Lux 2.3 Geschichte Die Großregion hat eine politisch sehr ausgeprägte Geschichte, die sich sowohl innerhalb der einzelnen Teilregionen als auch über die heutigen Grenzen hinweg abspielte. Rheinland-Pfalz wurde 1946 durch Verordnung der französischen Militärregierung aus den Gebieten bayrische Pfalz, dem linksrheinischen Teil von Hessen-Darmstadt und der preußischen Rheinprovinz geschaffen. Die Landesverfassung wurde 1947 verabschiedet. Ende der sechziger Jahre wurde eine Gebietsreform durchgeführt und die drei heutigen Regierungsbezirke Trier, Koblenz und Rheinhessen-Pfalz entstanden.15 Das heutige Saarland hingegen hat in den letzten 200 Jahren acht Mal seine Staatszugehörigkeit gewechselt (Deutsch-Französisch).16 Diese Tatsache prägt auch heute noch das soziale und gesellschaftliche Gefüge im Saarland. Im 2. Weltkrieg wurde die Region, als Standort wichtiger Industriebetriebe stark zerstört. 1945 wurde das heutige Bundesland zu einem Teil der französischen Besatzungszone und 1946 wurden weitere Gebiete von Rheinland-Pfalz an das Saarland angegliedert. Seit dem Ende der vierziger Jahre versuchten die Franzosen verstärkt das Saarland zu einem eigenständigen Staat zu etablieren, bis sich im Oktober 1955 die Mehrheit der Bevölkerung in einer Abstimmung für die Angliederung an die Bundesrepublik Deutschland aussprach.17 Luxemburg wurde bereits im Jahr 963 als Grafschaft das erste Mal erwähnt und 1354 zum Herzogtum erhoben. 1441 ging es an das Haus Burgund zurück und später an die Habsburger. Als Folge des spanischen Erbfolgekrieges wurde es zu einem Teil der österreichischen Niederlande und fiel 1795 gemeinsam mit diesen an Frankreich. Im Jahre 1815 kam es aufgrund des Wiener Kongresses zu einer Personalunion mit den Niederlanden. 1839 trat Luxemburg mehr als die Hälfte der Fläche an Belgien ab und erlangte dadurch mehr Autonomie. In beiden Weltkriegen wurde es von Deutschland überrannt und gab 1948 mit dem Eintritt in die Benelux-Zollunion und 1949 mit Beitritt zur NATO seine Neutralität auf.18 Die Zwangsvereinigung von Flandern und Wallonien zum unabhängigen zentralistischen Einheitsstaat Belgien im Jahre 1830 führte schnell zu inneren Spannungen und ultrarechten Bewegungen.19 Wallonien gehörte zu den ersten europäischen Regionen, die industrialisiert wurden. Nach dem 2. Weltkrieg und dem Niedergang der Industriezweige verlor Wallonien jedoch seine Funktion als wirtschaftliche Antriebskraft Belgiens.20 15 Vgl. Henn, T., vom 7.12.03. Vgl. Bundesregierung Deutschland, vom 7.12.03. 17 Vgl. Henn, T, vom 7.12.03. 18 Vgl. Lotharingia, vom 13.01.04. 19 Vgl. RBI aktuell, vom 6.12.03. 20 Vgl. Lotharingia, vom 7.12.03. 16 7 2. Regionale Perspektive – Saar-Lor-Lux Auch das Gebiet Lothringen (frz. Lorraine) war ein Streitpunkt zwischen Deutschland und Frankreich und wechselte oft die nationale Zugehörigkeit. Während des 2. Weltkrieges wurde Lothringen erneut von Deutschland annektiert. Die Bevölkerung Lothringens reagierte mit einem passiven Widerstand. 1944 wurde Lothringen von den amerikanischen Invasionstruppen befreit und ist seitdem wieder französisches Staatsgebiet.21 2.4 Der Bestand der vier Kapitalarten in der Region Diese geschichtliche Entwicklung hat auch heute noch einen großen Einfluss auf die sozialen Gefüge und damit auch auf die Politik und Wirtschaft in der Region. Im folgenden Abschnitt sollen daher die daraus resultierenden Ergebnisse aufgezeigt und die Region in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft, soziale und humane Faktoren mit Hilfe einiger statistischer Kennzahlen dargestellt werden. 2.4.1 Naturkapital/Ressourcen Die Großregion Saar-Lor-Lux umfasst eine Fläche von ca. 65.400 km². Die größte Teilregion ist Lothringen mit ca. 23.500 km². Danach folgen Rheinland-Pfalz (19.900 km²) und Wallonien (ca. 16.800 km²). Das Saarland und Luxemburg besitzen mit jeweils ca. 2.600 km² die kleinsten Flächen in der Großregion.22 Die Nutzung der Fläche ist in den Teilregionen ähnlich und stellt sich wie folgt dar. In der Großregion werden ca. 49% der Fläche landwirtschaftlich genutzt. Die größten landwirtschaftlich genutzten Flächen liegen in Luxemburg (56%), Lothringen und Wallonien (je ca. 52%). Der Anteil der bewaldeten Fläche beträgt in der Großregion wie auch in Lothringen 35%. Im Saarland, in Luxemburg und Wallonien ist dieser Anteil ein wenig kleiner und beträgt jeweils ca. 33% der Gesamtfläche, während in Rheinland-Pfalz ca. 40% der Fläche bewaldet ist. Die Siedlungs- und Verkehrsdichte ist im Saarland relativ am höchsten und beträgt hier ca. 19% der Fläche.23 Die nicht erneuerbaren Ressourcen sind allerdings sehr unterschiedlich verteilt. Steinkohlelager werden, bzw. wurden im Saarland, in Wallonien und Lothringen abgebaut. Eisenerzvorkommen gab es vor allem in Lothringen aber auch in Luxemburg. Der Weinanbau blüht vor allem in Rheinland-Pfalz und Luxemburg. In Lothringen hingegen wurden auch Steinsalzvorkommen, Kalkstein, Stein, Ton, Lehm und Holz als Ressourcen ausgeschöpft.24 21 Vgl. Schaepp, vom 7.12.03. Vgl. Großregion, Großregion in Zahlen, weitere Strukturdaten, vom 7.01.04. 23 Daten eigene Berechnung auf Grundlage der Daten von Großregion 2001, vom 7.01.04. 24 Vgl. Internetquellen von Fußnote 16-23. 22 8 2. Regionale Perspektive – Saar-Lor-Lux 2.4.2 Wirtschaft Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug 2001 für die Großregion Saar-Lor-Lux 239,4 Mrd. €. Nahezu die Hälfte des BIP wird in Rheinland-Pfalz (91,8 Mrd. €) und im Saarland (24,5 Mrd. €), also insgesamt 116,3 Mrd. €, erwirtschaftet. Wallonien hat 2001 ein BIP von 56 Mrd. € und Lothringen ein BIP von 45 Mrd. € realisiert. Das geringste BIP erzielte Luxemburg mit 21 Mrd. €. Wenn man das BIP allerdings auf die Einwohner umrechnet ergibt sich für Luxemburg mit 48.287 € je Einwohner das höchste BIP in der Großregion. Auf dieser Berechnungsgrundlage sind Rheinland-Pfalz und das Saarland mit einem BIP pro Einwohner von 22.715 € und 22.997 € ungefähr gleich stark, während Wallonien mit 16.809 € und Lothringen mit 19.832 € BIP je Einwohner noch weit unter dem Durchschnitt von 21.392 € BIP je Einwohner zurückliegen.25 Die meisten Erwerbstätigen waren 2001 im Tertiären Sektor beschäftigt. In Luxemburg arbeiteten ca. 76% der Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich. Wallonien liegt mit einem Anteil von 74% ebenfalls deutlich über dem Gesamtdurchschnitt von 70%. In den anderen Teilregionen sind je ca. 68% der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor tätig. Die Landwirtschaft bietet dagegen nur 2,5% der Erwerbstätigen Arbeit. Im Saarland spielt die Landwirtschaft keine große Rolle mehr, denn hier sind nur 0,9% aller Erwerbstätigen in diesem Sektor beschäftigt. Die prozentual größten Anteile an Beschäftigten in der Landwirtschaft mit 2,9% bzw. 2,8% aller Erwerbstätigen sind in Rheinland-Pfalz, bzw. Lothringen zu finden. Diese relativ hohen Anteile lassen sich zumindest in Rheinland-Pfalz mit dem traditionellen Weinanbau erklären.26 2.4.3 Humane Faktoren In der Großregion leben insgesamt 11.228.522 Menschen. Die wenigsten davon, nämlich nur 444.050 Menschen wohnen in Luxemburg. Die Bevölkerungsdichte beträgt hier wie auch in der Gesamtregion 172 Einwohner pro km². Mit 415 Einwohnern pro km² ist die Bevölkerungsdichte im Saarland bei einer Bevölkerungszahl von 1.066.470 Einwohnern am größten. In Rheinland-Pfalz hingegen leben die meisten Bewohner (4.049.066) und die Bevölkerungsdichte liegt über dem Schnitt der Großregion bei 204 Einwohnern pro km². In Lothringen ist die Bevölkerungsdichte mit 98 Menschen pro km² am geringsten, obwohl hier 2.310.376 Personen wohnen. In Wallonien leben 3.358560 Menschen, was einer Bevölkerungsdichte von 199 Personen pro km² entspricht.27 Für das Humankapital zählt aber nicht alleine der Bestand an Personen, sondern primär der Bildungsstand. Dieser wird im Allgemeinen durch die vorhandenen 25 Vgl. Großregion, Großregion in Zahlen, Wirtschaft, vom 7.01.04. Vgl. Großregion, Großregion in Zahlen, Beschäftigung und Arbeitsmarkt, vom 7.01.04. 27 Vgl. Großregion, Großregion in Zahlen, Bevölkerungsdichte, vom 07.01.04. 26 9 2. Regionale Perspektive – Saar-Lor-Lux Abschlüsse dargestellt. Im Schuljahr 2001/2002 gab es in der Großregion 326.984 Schüler und Studenten an Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten.28 2.4.4 Soziale Faktoren Die sozialen Faktoren sollen einen Überblick über die Zufriedenheit und Sicherheit der Menschen geben. Da diese Werte aber nur schlecht zu messen sind werden hier nun einige Daten dargestellt, die indirekt auf diese Dinge schließen lassen wie die Erwerbsquote, die Arbeitslosenquote und die Zahl der Ärzte pro 10.000 Einwohner. Die Erwerbsquote betrug 2001 im Schnitt 52% bei den Männern und 36% bei den Frauen. Auffällig bei den Männern war dass 56% in Rheinland-Pfalz und nur 47% in Wallonien erwerbstätig waren. Bei den Frauen hingegen waren fast 40% in Rheinland-Pfalz und nur 32% in Wallonien erwerbstätig. Die Arbeitslosenquote bewegte sich zwischen 10,6% in Wallonien und 2,4% in Luxemburg. In der Großregion waren insgesamt durchschnittlich 7,4% der Erwerbspersonen ohne Arbeit.29 In der Region Saar-Lor-Lux sind ca. 32 Ärzte für 10.000 Einwohner zuständig. In Luxemburg gibt es je 10.000 Einwohner die geringste Anzahl an Ärzten (26 pro 10.000 Einwohner). Im Saarland sind pro 10.000 Einwohner mit 38 die meisten Ärzte vertreten.30 Diese Beschreibung gewährt nur einen ersten Einblick in die Region. Eine genauere Untersuchung erfolgt in den Kapiteln 6 und 7, in denen die Region systematisch erfasst und auf Nachhaltigkeit hin analysiert wird. 28 Vgl. Großregion, Großregion in Zahlen, Bildung und Kultur, vom 7.01.04. Vgl. Großregion, Großregion in Zahlen, Beschäftigung und Arbeitsmarkt, vom 7.01.04. 30 Vgl. Großregion, Großregion in Zahlen, weitere Strukturdaten, vom 7.01.04. 29 10 3. Nachhaltige Entwicklung 3. Nachhaltige Entwicklung Nachdem im zweiten Kapitel ausführlich die Gegebenheiten in der Region SaarLor-Lux beschrieben wurden, wird nun die Frage gestellt, was nachhaltige Entwicklung bedeutet und wie ein Nachhaltigkeitskonzept aussehen könnte. Dazu wird im ersten Teil dieses Kapitels der Begriff der Nachhaltigkeit näher beleuchtet und die Brundtland-Definition kritisch anderen Definitionen gegenübergestellt. Der zweite Teil diskutiert umfassend die verschiedenen Auffassungen und Ansätze von Nachhaltigkeit, und daraus resultierend die funktionale Substituierbarkeit. Im dritten Teil wird schließlich das Vier-KapitalModell herbeigeführt und am Ende kurz eine Zielsetzungsstrategie erläutert. 3.1 Der Begriff der Nachhaltigkeit Der Begriff Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhundert. und wird heute als Übersetzung des englischen Wortes Sustainability verwendet. Nachhaltigkeit bedeutete damals, dass nur so viel Holz eingeschlagen werden durfte wie im Wald wieder nachwachsen konnte. Ziel war eine zukunftsbetrachtende Schonung von Primärenergieträgern um eine langfristige Versorgung zu gewährleisten. Im Laufe der Zeit wurde dieses Leitbild auch auf andere Bereiche im umweltwissenschaftlichen Kontext ausgeweitet. Vor allem heute werden unter nachhaltiger Entwicklung in der deutschen Literatur folgende verwandte Begriffe angeführt: Dauerhaft umweltgerechte Entwicklung Ökologisch-dauerhafte Entwicklung nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung zukunftsfähige Entwicklung etc.31 Im auslaufenden 20. Jahrhundert wurde der Begriff sustainable development in den Abschlussbericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung aufgenommen. Die Verfasserin Gro Harlem Brundtland stellte heraus, vor welchen Herausforderungen das Prinzip der Nachhaltigkeit nun steht und in welchen Verantwortungsbereich es fällt. „Die Menschheit hat die Fähigkeit, Entwicklungen nachhaltig zu machen - zu gewährleisten, dass sie die Bedürfnisse der gegenwärtig lebenden Menschen erfüllt, ohne dadurch die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen auf das Spiel zu setzen."32 31 32 Vgl. Zeschmar–Lahl, B. (2002), vom 03.12.2003. Hauff, V. (1987), S.46. 11 3. Nachhaltige Entwicklung Zentrales Argument ist die so genannte inter- und intragenerative Gerechtigkeit. Um zukünftigen Generationen alle Optionen zu gewährleisten, muss die heutige verantwortliche Generation anfangen nachhaltig zu handeln. Der Brundtland-Bericht hat maßgeblich dazu beigetragen, dass bisher getrennt betrachtete Problembereiche wie Umweltverschmutzung in Industrieländern, globale Hochrüstung, Schuldenkrise etc. nicht durch einzelne Maßnahmen gelöst werden können, sondern in einem Wirkungsgeflecht gesehen werden müssen.33 Es geht um die integrative Betrachtung ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte. Diese werden zum ersten Mal als untrennbare Einheit gesehen. Die Aussage des Berichts bringt vielerlei Probleme auf ökologischer, sozialer und kultureller Basis mit sich, die ein sowohl regionales als auch globales langfristiges Handeln erfordern34 (siehe Kapitel 3.3). Sowohl der Brundtland-Bericht als auch die Agenda 2135, ein globaler Aktionsplan der Vereinten Nationen und Staatsregierungen haben der Nachhaltigkeit auf der Umwelt- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro schließlich zum Durchbruch verholfen: Wirtschaftswachstum, aber auch Sozialund Umweltverträglichkeit sollen langfristig gewährleistet sein.36 Etwas anders sah es 1991 die International Chamber of Commerce (ICC): Wirtschaftliches Wachstum sei eine Grundvoraussetzung zur Verwirklichung des Umweltschutzes. Aus diesem ergeben sich weitere Ziele.37 Auch die Europäische Union verfolgt das Ziel, langfristiges Wirtschaftswachstum mit dem Umweltschutz zu verbinden. Hohe Umweltschutznormen stimulieren dabei Innovationen und Geschäftsmöglichkeiten38, da sich Institutionen und Konzerne ständig auf den aktuellen Stand der Umwelttechnik bringen müssen. Da diese Normen bis jetzt aber noch nicht ausreichend durchgesetzt sind, ist es für die Konzerne offensichtlich immer noch gewinnmaximierender auf die Umwelt entweder kaum oder gar nicht Rücksicht zu nehmen. Unter dieser gedanklichen Voraussetzung ergeben Umweltinnovationen zur Kostenreduzierung keinen Sinn. Wirtschaftswachstum ist selbstverständlich in Regionen, in denen die Befriedigung der Grundbedürfnisse nicht gewährleistet ist, aus dem jeweiligen Nachhaltigkeitskonzept nicht wegzudenken. Zur Wohlstandsverbesserung wäre in diesem Falle ein überproportionales Wirtschaftswachstum zum Bevölkerungswachstum wünschenswert, d.h. trotz Wachstum der Bevölkerung erhöht sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und pro Jahr. Es könnten, aus dieser Sichtweise heraus, die zusätzlichen Einnahmen aus dem Wirtschaftswachstum für die Umsetzung der Nachhaltigkeit verwendet werden. 33 Vgl. Hauff, V. (1992), S.163ff. Vgl. Zeschmar-Lahl, B. (2002), vom 03.12.2003. 35 Vgl. Vereinte Nationen (2002). 36 Vgl. Günter, M. (2002), S. 16. 37 Vgl. Günther, E. et al. (2000), S.14f. 38 Vgl. Europäische Union (2000), vom 03.12.2003. 34 12 3. Nachhaltige Entwicklung Für die Verfasser dieser Arbeit aber gelten Wachstum und Nachhaltigkeit in Form von Umweltschutz zwar nicht unter allen Umständen als Widerspruch an sich, doch oft beeinflusst das Eine jeweils das Andere auf eine negative Weise. Durch eine Strategie nach dem Motto get rich and clean up later wird der Nachhaltigkeitsgedanke sicherlich falsch verstanden. Da Ressourcen nur in begrenztem Maße vorhanden sind, resultieren daraus die Grenzen des Wachstums. Die Definition der Sustainable Performance Group passt da schon besser in das Konzept der Nachhaltigkeit: In die unternehmerische Wertschöpfung sollen ökonomische, ökologische und soziale Wertschöpfungspotentiale einbezogen werden.39 Umweltschutz ist vielleicht eher eine Voraussetzung für langfristiges Wachstum. Kurzfristiges Wachstum im herkömmlichen Sinne ist oft umweltschädlich. Schließlich sollte im Rahmen der Nachhaltigkeit von Entwicklung und nicht von Wachstum gesprochen werden, also von qualitativer Veränderung und nicht von quantitativem Wachstum.40 3.2. Nutzungsintensität der Ressourcen Wie soll das Konzept zur Nachhaltigkeit letztendlich aussehen? Wie im vorangegangenen Kapital bereits erwähnt, existiert ein langfristiges Wachstumsproblem. Nach Meadows gibt es für diese „Neuen Grenzen des Wachstums“ folgende Lösung: Verbesserung der Ressourcenproduktivität, Wachstumsdrosselung oder gar Wachstumsverzicht.41 Natürlich sollten auf der einen Seite die Ressourcen Verwendung finden, um damit das ökonomische Alltagsleben aufrecht zu erhalten, andererseits hat vor allem die Natur einen so hohen Lebenserhaltungswert, dass speziell der zerstörerische Abbau der natürlichen Reserven in der heutigen Zeit Probleme mit sich bringt. 42 Dieses Konfliktpotential zwischen starker und schwacher Nachhaltigkeit soll nun im Einzelnen ausdiskutiert werden. Das Ergebnis ist schließlich die funktionale Substituierbarkeit. 3.2.1.Starke Nachhaltigkeit Hier geht man entweder von der Nicht-Substituierbarkeit oder der Substituierbarkeit durch identische Stoffe des natürlichen Kapitals aus. Wichtig sind die strikte Artenerhaltung und ein strikter Verzicht auf die Ausbeutung nicht erneuerbarer Ressourcen. Ist momentan, aufgrund von globalen Knappheiten, ein künftiger Ressourcenengpass zu erwarten, so müsste zu Gunsten der nachfolgenden Generationen ein Verzicht geleistet werden. Man konzentriert sich hier auch auf die physischen Auswirkungen der Ökonomie auf andere Gesellschaftsbereiche, sogenannte Trade-Offs, bei denen die Verbesserung in 39 Vgl. Günther, E. et al. (2000), S.15. Vgl. Szerenyi, T. (1999), S.9. 41 Vgl. Maedows, D.H. et al. (1992), S.33. 42 Vgl. Becker, B. (1996), S.35. 40 13 3. Nachhaltige Entwicklung einem Bereich automatisch zu einer Verschlechterung in einem anderen Bereich führt;43 Dies sollte unter allen Umständen vermieden werden. Dabei käme allerdings das Wirtschaftsleben zum Erliegen. Langfristig könnte keine Generation unmittelbaren Nutzen aus einer nichterneuerbaren Ressource ziehen. Aufgrund der fehlenden Effektivität dieses Nachhaltigkeitsprinzips sollte die Nutzung an funktionsäquivalente Potentialentwicklungen gekoppelt sein.44 3.2.2 Schwache Nachhaltigkeit Die schwache Nachhaltigkeit stellt ein Konzept der vollkommenen bzw. nutzenorientierten Substituierbarkeit des natürlichen Kapitals dar. Unter dieser Prämisse würde das Kriterium der Nachhaltigkeit bei der Ersetzung einer Ressource nicht verletzt werden.45 Nach Solow müsste man ökonomisch auf ein Prinzip schließen, welches die Produktionskapazität für eine unbestimmte Zukunft schützt. Extreme Vertreter dieser Nachhaltigkeitsthese, meist sind es Neoklassiker, wie Barnett und Morse, sehen die Möglichkeit der Substitution bei jeder Ressource. Dadurch, dass jede Generation der jeweils nachfolgenden einen Produktivitätsfortschritt hinterlässt, würde eine endliche Ressource entsprechend durch die invisible hand ohne Verluste für die menschliche Wohlfahrt ersetzt werden.46 Die Welt kann ohne natürliche Ressourcen weiterexistieren, und es wäre keine Katastrophe.47 Der Produktionsfaktor Boden könnte ohne weiteres durch Arbeit und/oder Kapital ausgeglichen werden. Wichtig ist nur, dass die monetäre Summe aller Kapitalarten gleich bleibt. Naturkapital kann somit durch Sachkapital ohne weiteres ersetzt werden. Weiterhin neigen die Anhänger dieser Nachhaltigkeitsthese dazu, den überdimensionalen Verbrauch des Naturkapitals durch das Prinzip der Diskontierung zu rechtfertigen. Mit anderen Worten, es wird davon ausgegangen, dass gegenwärtige Güter und Nutzen erheblich höher bewertet werden als zukünftige. Diese Sichtweise wird stark kritisiert, da man hier annehmen muss, dass zukünftige Generationen nicht mit Sicherheit über bessere Problemlösungsmöglichkeiten verfügen.48 Dass die neoklassischen Substitutionsregeln so nicht gelten, bewies 1971 Georgescu-Roegen. Dieser Bioökonom traf zwei Annahmen: I. Der Energieerhaltungssatz besagt, dass Materie und Energie vom Menschen weder kreiert noch vernichtet werden können. Weiterhin existiert ein Austauschlimit zwischen Energie/Materie und der 43 Vgl. Daly, H. (1991; 1996), S.40. Vgl. Ewringmann, D. (1999), S.31. 45 Vgl. Szerenyi, T. (1999), S.13. 46 Vgl. Critical Review (1993), S.42. 47 Vgl. Martínez Alier, J. (1992), S.126. 48 Vgl. Zeschmar-Lahl, B. (2002), vom 03.12.2003. 44 14 3. Nachhaltige Entwicklung restlichen Energie-/Materiemenge. Während der ökonomischen Umwandlung verwendet man die aus der Natur kommenden natürlichen Ressourcen und Emissionen jeglicher Art werden ausgestoßen. Georgescu-Roegen spricht hier von niedriger Entropie, wenn die Materie/Energie in den Prozess eintritt und von hoher Entropie, wenn sie den Prozess wieder verlässt. Es existiert also sowohl frei verfügbare Energie und Materie als auch Energie, die niemals verwendet werden kann und darf. Hieraus ergibt sich unmittelbar die zweite Annahme.49 II. Wenn sich die Energie in einem geschlossenen System nach außen verflüchtigt hat, so ist das Umkehren dieses Vorgangs ohne externe Einflüsse nicht möglich (Zum besseren Verständnis sei hier ein Beispiel angeführt: Geschmolzene Eiswürfel in einem Glas werden auf Wunsch nicht wieder automatisch zu Eiswürfeln). Schließlich verringert sich die freie Energie eines geschlossenen Systems unwiderruflich bzw. die nicht verfügbare Energie erhöht sich auf eine progressive Weise. Mit anderen Worten, bei jedem ökologischen und ökonomischen Prozess muss mehr Input verwendet werden als Output herauskommt.50 Von daher entsteht ein immer größer werdendes Defizit. Die menschliche Ökonomie zentriert sich in der niedrigen Entropie der Umwelt. Die Umwelt an sich ist sehr knapp.51 Dies ist die Auffassung der ökologischen Ökonomie. Sie ist ökozentriert und bildet eine Gegenposition zur neoklassischen Umweltökonomie und der Auffassung einer Substitutionsmöglichkeit von Naturkapital. Dieser Standpunkt und seine Folgen werden im folgenden Unterkapitel näher erläutert. 3.2.3 Funktionale Substituierbarkeit Bei der funktionalen Substituierbarkeit werden bestimmte natürliche Funktionen künstlich ersetzt und andere erhalten. Partiell sind alle Kapitale gegeneinander ersetzbar, aber eben nicht vollständig.52 Wenn man bis an das Ende aller Tage abschätzen kann, wie viele Ressourcen noch gebraucht werden, so könnte man diese Menge kalkulieren und entsprechende Ersetzbarkeitsregeln festlegen. Die Umwelt ist wegen der Entropie-Theorie unbedingt zu schonen; nur so sorgt die Natur für langfristiges wirtschaftliches Wachstum. Das Problem ist aber, dass zukünftige Substitutionsmöglichkeiten nur schwer abzuschätzen sind. Es ist ungewiss, ob bestimmte Funktionen verschiedener 49 Vgl. Martínez Alier, J. (1992), S.127. Vgl. Martínez Alier, J. (1992), S.127. 51 Vgl. Martínez Alier, J. (1992), S.128. 52 Vgl. Knaus, A. et al. (1998), S.50f. 50 15 3. Nachhaltige Entwicklung Kapitale in Zukunft überhaupt notwendig sind, während andere Nutzenfunktionen, die heute unbekannt sind, für künftige Generationen von entscheidender Bedeutung sein könnten. Eine vorübergehende Beanspruchung von nicht regenerativen Ressourcen kann aber sinnvoll sein, wenn dadurch entsprechende Vermögenswerte für zukünftige Generationen geschaffen werden.53 Schließlich sollte die Summe aus natürlichem und künstlichem Kapital gleich bleiben. Speziell die damit verbundene Wohlfahrtserhaltung kann in dem umstrittenen Wohlfahrtsindex Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) festgehalten werden. Anders ausgedrückt heißt das, dass die Menschheit von den Zinsen leben und nicht den unersetzbaren Kapitalstock von Mutter Erde innerhalb weniger Generationen aufbrauchen soll.54 Welche Werturteile liegen dem zugrunde? Es müssen die Interessen aller zukünftigen Generationen berücksichtigt werden. 3.3 Realisierung des Nachhaltigkeitskonzepts „Indefinite growth of whatever type can not be sustained by finite ressources“55 Wie im Kapitel 3.2.3 bereits erwähnt, liegt das Problem darin, dass begrenzte Ressourcen auf einen unendlichen Zeithorizont verteilt werden müssen. Intertemporale bzw. intergenerative Gerechtigkeit zur Ressourcenverteilung stellt einen spezifischen Schwerpunkt der nachhaltigen Entwicklung dar.56 Eine Grundvoraussetzung hierfür ist die intragenerative Gerechtigkeitsvorstellung, d.h. die gerechte Verteilung der Ressourcen zwischen den Bewohnern in einem abgesteckten Gebiet, für die Bewahrung und Entwicklung gleicher Potentiale, z.B. Reduzierung des Wohlstandsunterschiedes zwischen Nord und Süd. 57 Um die intergenerative Gerechtigkeit zu gewährleisten darf das heutige Wachstum nicht die Wachstumsaussichten der zukünftigen Generationen einschränken. Der Brundtlandbericht geht davon aus, dass man den zukünftigen Generationen nur Verluste hinterlässt. Für die Zerstörung der Umweltressourcen haben unsere Enkel und Urenkel keine Möglichkeit, die Schuldigen von heute zur Rechenschaft zu ziehen. Zu diesem Problem finden sich im Brundtlandbericht aber keine Lösungsansätze; es fehlen konkrete Handlungsanweisungen auf konkrete Sachfragen.58 Eindeutige Regeln und Normen können aus dem Nachhaltigkeitskonzept nicht abgeleitet werden. Vielmehr steht diese Sichtweise für eine Philosophie, die in der Praxis langsam aber sicher Konturen annimmt. Nun ist es Aufgabe der Wissenschaft, Lösungen für diese Probleme zu erarbeiten. Ein wissenschaftliches Konzept steht aber nicht unbedingt auf widerspruchsfreiem 53 Vgl. Knaus, A. (1998), S.50f. Vgl. Pearce, et al. (1993), vom 04.12.2003. 55 Goldsmith, (1972), S.6ff. 56 Vgl. Szerenyi, T. (1999), S.10. 57 Vgl. Summerer, S. (1996), S. 43. 58 Vgl. Günter, M. (2002) , S. 16. 54 16 3. Nachhaltige Entwicklung Fundament, so dass das Konzept der Nachhaltigkeit stark von der Interpretation und Wahrnehmung des verantwortlichen Akteurs abhängt.59 Das Prinzip der funktionalen Substituierbarkeit stellt ein realistisches und weitgehendes Faktum dar, was es anzustreben gilt. Nach Meadows sind die Werte wie Bescheidenheit und Genugtuung, die hier eine Rolle spielen, von enormer Wichtigkeit und müssen weitergedacht werden. Effizienzsteigerungen nützen nichts, solange Unersättlichkeit und Egoismus ein typisches Phänomen des gegenwärtigen Zeitgeistes sind.60 Deshalb ist politisches Engagement äußerst wichtig. Dabei dürfen sich die einzelnen Politikbereiche nicht gegenseitig behindern, was meist einer der Hauptgründe für viele nicht nachhaltige Trends ist; vielmehr sollten hier relevante Politikbereiche integriert werden. Auch eine zu starke Konzentration auf kurzfristige Entwicklungen kann dazu führen, dass man das langfristige Vorhaben aus den Augen verliert.61 Instabilität in einem Kriterium hat automatisch Auswirkungen auf ein anderes Kriterium, so dass auch dort eine Destabilisierung stattfindet.62 Dies soll aber möglichst vermieden werden. Die drei Komponenten einer nachhaltigen Entwicklung sind im Zusammenhang zu betrachten. Ökologische Nachhaltigkeit sollte von daher also, sowohl global als auch national, mit dem ökonomischen Wandel unter Berücksichtigung der sozialen Integration verknüpft werden 63 (siehe Kapitel 3.2.1). Weiterhin sei hier etwas über die Harmonie-Situationen gesagt. Diese bedeuten eine Realisierung von Maßnahmen, die mehrere Anforderungen gleichzeitig und konfliktfrei erfüllen.64 Die oben erwähnten Konflikte sind damit aber nicht aus der Welt geschafft. Schon im ersten Teil dieses Kapitels forderte die Sustainable Performance Group eine Berücksichtigung aller ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte. Die Politik sollte diese in Einklang bringen und, aus eben genannten Gründen, die Ökologie als Grundlage voraussetzen. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen befasst sich mit den Problemen der Verantwortbarkeit des menschlichen Handelns und mit dem Heranziehen von Kriterien und Maßstäben für dessen Rechtfertigung. Eine von ihnen entwickelte „Drei-Säulen-Konzeption“ soll die Wechselwirkungen zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien veranschaulichen.65 Daraus wird für uns das Vier-Kapital-Modell abgeleitet: Naturkapital deckt die ökologische, Sachkapital die ökonomische, Sozial- und Humankapital die soziale Dimension ab. Zu jedem Kapital messen einzelne Indikatoren den Stand der Dinge bezüglich der Nachhaltigkeit. Zentraler Begriff der sich daran anschließenden Analyse ist die 59 Vgl. Pfister, G. (2002), S.10. Vgl. Zeschmar-Lahl, B. (2002), vom 03.12.2003. 61 Vgl. Europäische Union (2000), vom 03.12.2003. 62 Vgl. Kreibich, R. (1996), S.48. 63 Vgl. Zeschmar-Lahl, B. (2002), vom 03.12.2003. 64 Vgl. Müller-Christ, G. (1998), S.324. 65 Vgl. SRU (1994), S.36. 60 17 3. Nachhaltige Entwicklung Ultrastabilität. Es geht dabei nicht um Stillstand, sondern darum sowohl Grundbedürfnisse als auch Entwicklungsmöglichkeiten in der Gesellschaft sicherzustellen.66 Andere Autoren vertreten deshalb ergänzend das Prinzip der Vorsorge. Dementsprechend sollten folgende Generationen nach dem Nachhaltigkeitsprinzip nicht nur nicht schlechter gestellt sein, sondern es sollte ihnen besser ergehen. Wichtig für die Umsetzung dieses Vorsorgeprinzips ist eine dauerhafte Motivation der Bevölkerung, die sich auf rückwärtige Dankbarkeit und zukunftsgerichtete Vorsorgeverpflichtung bezieht.67 Mit den Nachhaltigkeitsprogrammen werden die Veränderungen noch komplexer, schneller und tiefgreifender. Damit verbundene Investitionen entwerten und ersetzen bestehende Kapitalanlagen und zerstören darauf spezialisierte produktive Ressourcen.68 Nach Meinung von Kreibich ist nachhaltige Entwicklung nur möglich, wenn die folgenden vier Handlungsregeln eingehalten werden: 1. Selbst bei Wirtschaftswachstum soll der Gesamtverbrauch der Ressourcen durch technischen Fortschritt rückläufig sein. 2. Regeneration und Inanspruchnahme der erneuerbaren Ressourcen sollen übereinstimmen. 3. Die Verarbeitungskapazität der Umwelt sollte langfristig in der Lage sein die Emissionsraten abzubauen. 4. Technologien und Produkte, bei deren Einsatz soziale und ökologische Folgen nicht abschätzbar sind, sollten nicht verwendet werden.69 Eine Verbesserung zur Bewirtschaftung der Ökosysteme und eine nachhaltige Zukunft kann durch die Vereinigung der Umwelt- und Entwicklungsinteressen gewährleistet werden. Die ausdrückliche Verantwortung der Kommunen in der Region Saar-Lor-Lux wurde bereits in Kapitel 2.1 erwähnt. Eine regionalübergreifende Partnerschaft, die auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist, kann zur Koordination und zur Durchsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips durchaus von Vorteil sein. Speziell in den Kapiteln 6 und 7 wird mit dem Hilfe des Vier-Kapital-Modells untersucht werden, ob sich die Großregion unter den oben genannten Voraussetzungen im Sinne der Nachhaltigkeit. Dabei sollte nach folgendem Schema vorgegangen werden: Abbildung 2: Idealtypische Zielsetzungsstrategie 66 Vgl. Morosini M. et al. (2002), S.4. Vgl. Birnbacher, D. et al. (1996), vom 03.12.2003. 68 Vgl. Mayer Ries, J.F. (1998), S.16. 69 Vgl. Kreibich, R. (1994), S.206 f. 67 18 3. Nachhaltige Entwicklung Quelle: Günther, E. et al. (2000), S.13 (verändert nach Jakubowski, P. et al. (1997): Strategien umweltpolitischer Zielfindung. Eine ökonomische Perspektive. Münster) Es könnte eine Konkretisierung durch eine zeitlich Fixierung (etwa Monate oder Jahre) stattfinden. Zunächst einmal muss ein gewisses Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung konstruiert werden. Auf diesem weiteren Weg ist es wichtig sich vor allem auch über die Ziele und die Instrumente zu deren Erreichung klar zu werden um letztendlich Maßnahmen ergreifen zu können. Hierfür ist es wichtig zu wissen wie das Nachhaltigkeitsprinzip zum Wohlstand beiträgt, was im nächsten Kapitel behandelt wird. 19 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Wohlstand ist wie Mist, er taugt nichts, wenn er nicht gestreut ist. F. Bacon Mit der Nachhaltigkeitsdebatte entstand ein neuer Ansatz zur Lösung der gesellschaftlichen Probleme. Durch die Integration ökonomischer, ökologischer und sozialer Fragestellungen sowie der Berücksichtigung intertemporaler Gerechtigkeit soll das Wohlergehen der Gesellschaft verbessert und gerechter gestaltet werden. Neben den genauen Instrumenten zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung bleibt zu fragen, wie solch eine Entwicklung gemessen werden kann. Die Wohlfahrtsökonomik hat Konzepte zur Messung der Wohlfahrt erarbeitet, kann allerdings kein vollkommen befriedigendes Ergebnis liefern. Der weit verbreitete Wohlstandsindikator Bruttoinlandsprodukt (BIP) vernachlässigt wichtige Aspekte der Lebensqualität. Deswegen wurden mit dem Human Development Index und dem Index of Sustainable Economic Welfare umfassendere Ansätze entwickelt, die allerdings nicht die breite Anwendung wie das BIP erfahren haben und es bisher nicht ablösen konnten. Neben einer indikatorbasierenden Operationalisierung des Nachhaltigkeitskonzepts wie z.B. der Pressure-State-Respone-Ansatz der OECD oder der Ansatz des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) wird die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland vorgestellt. 4.1 Wohlstandsmessung über des Bruttoinlandsprodukt Die Begriffe Wohlstand und Wohlfahrt werden teilweise synonym verwendet, sie haben jedoch eine unterschiedliche Bedeutung. Wird Wohlstand eng definiert, so bedeutet er die Verfügungsmöglichkeit über wirtschaftliche Güter. Bereits bei Adam Smith ging es um den Wohlstand der Nationen. Smith als Vertreter der Klassik sah den Reichtum einer Nation in seinen Gütern und Maschinen begründet und setzte sich damit von der merkantilistischen Auffassung ab, Wohlstand nur als Reichtum des absoluten Herrschers zu verstehen. Ebenfalls auf Smith geht zurück, dass der Wohlstand durch Arbeitsteilung und gerechte Verteilung erhöht werden kann. Weiter gegriffen umfasst Wohlstand den Lebensstandard und wird oft im Gegensatz zu Armut verwendet. Eine Wohlstandsgesellschaft hat durch wirtschaftliche Prosperität ein hohes Lebensniveau erreicht und kann die Bedürfnisse ihrer Mitglieder durch materielle Güter (z.T. auch Luxusgüter) befriedigen. Wohlfahrt dagegen bedeutet Lebensqualität und das Wohlergehen des Einzelnen bzw. der Gesellschaft und ist von hohem Wert in der modernen Gesellschaft. Wohlfahrt ist eher ein qualitatives Maß und im Gegensatz zum Wohlstand weitaus schwieriger zu messen. Die Wohlfahrtsökonomik versucht Maßstäbe für die Wohlfahrtsmessung zu ermitteln 20 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit und Bedingungen für eine Maximierung der Wohlfahrt abzuleiten. In Modellanalysen konnte die paretianische Wohlfahrtsökonomik nachweisen, dass die vollständige Konkurrenz unter restriktiven Annahmen zum Wohlfahrtsoptimum führe. Die neuere Wohlfahrtsökonomik vertritt dagegen die Sichtweise, dass der Staat mittels Steuer- und Finanzpolitik eingreifen müsse, um ein Wohlfahrtsoptimum zu erreichen. Eine grundlegende Frage für die Wohlfahrtsmessung ist, was Wohlfahrt ausmacht und wie sie gesteigert werden kann. Wohlfahrt kann als Summe aller materiellen (Güter) oder immateriellen (Nutzen) Elemente einer Gesellschaft gesehen werden. Bei zu Marktpreisen bewerteten Gütern ergibt sich ein Problem für die Wohlfahrtsmessung. Wenn sich die auf relativer Knappheit basierenden Marktpreise ändern oder eine Geldwertänderung eintritt, ändert sich zwangsläufig die Bewertungsbasis für das Wohlfahrtsmaß. Die Bewertung von Wohlstand erfolgt daher über ein subjektives Maß: den Nutzen. Die Quantifizierung und Verrechnung von Nutzen für die Gewinnung eines gesellschaftlichen Nutzenoptimums wirft ebenfalls Probleme auf. Es gibt jedoch keine Möglichkeit, Nutzeneinheiten zu definieren, die für alle Mitglieder einer Gesellschaft gültig und verrechenbar sind, da Nutzen nur ordinal und nicht kardinal messbar ist.70 Trotz der konzeptionellen Schwierigkeiten bei der Wohlfahrtsmessung hat man das Sozialprodukt (verwendet wird das Bruttoinlandsprodukt BIP) als Maß akzeptiert, da es einfache zeitliche und räumliche Vergleiche von Volkswirtschaften zulässt. Das BIP umfasst alle Waren und Dienstleistungen, die während einer Periode in einer Volkswirtschaft produziert werden. Somit besitzt es eine Aussagekraft über die wirtschaftliche Produktion und Leistungsfähigkeit. Diese Aussagekraft muss allerdings relativiert werden, denn „[ein] Teil des Sozialprodukts wird dazu benutzt, Schäden zu kompensieren, die nicht aufträten, wenn das Sozialprodukt nicht so hoch wäre.“71 In die Berechnung des Sozialproduktes gehen Faktoren ein, die unbestreitbar die Wohlfahrt einer Gesellschaft senken. Oft angeführte Beispiele für diese Tatsache sind die Zunahme von Unfällen sowie Umweltverschmutzung. In beiden Fällen werden Dienstleistungen und Güter verwendet um die Schäden zu beseitigen, d.h. das Sozialprodukt steigt, aber die Lebensqualität steigt mit Sicherheit nicht. Schäden an Gütern, der Umwelt, den Menschen oder der Volkswirtschaft im Allgemeinen müssten demnach vom Sozialprodukt für eine adäquate Wohlstandsmessung subtrahiert werden. Eine weitere Schwäche des Wohlstandsmaßes Sozialprodukt ist die mangelnde Aussagefähigkeit über die Verteilung von Einkommen. Der Wohlstand einer Gesellschaft kann nicht hoch eingeschätzt werden, wenn sich Einkommen und Vermögen nur in der Hand weniger Menschen befindet. Gerade der Durchschnittswert BIP pro Kopf, der zum Vergleich verschiedener 70 71 Vgl. Gabler (2000), Eintrag: Wohlfahrt, S.3547. Hardes, H.D. et al. (1994), S.236. 21 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Volkswirtschaften herangezogen wird, vernachlässigt die Einkommensverteilung. Weitere Kritik an der Sozialproduktrechnung muss geäußert werden, da Schattenund Haushaltswirtschaft sowie die Zunahme von Freizeit nicht erfasst werden und Staatsaktivitäten nur über Kosten und nicht über Wertschöpfung einbezogen werden.72 Costanza und andere weisen auf Inkonsistenzen in der Sozialproduktrechnung hin. Der Schwerpunkt der Berechnung liegt auf den Marktaktivitäten, dennoch werden u.a. Mietwerte von Wohnungen, in denen die Eigentümer leben hinzugerechnet.73 Wenn dieser Bereich hinzugerechnet wird, müsste dies auch für weitere Bereiche, z.B. Umweltverbrauch oder soziale Entwicklung zulässig sein. 4.2 Alternative Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Bedeutet also ein höheres Sozialprodukt mehr Wohlstand für alle? Wichtige Aspekte von Wohlstand sind Gesundheit, Erwerbstätigkeit, Freizeit, physische Umwelt, Sicherheit, Möglichkeiten zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation und persönliche Zufriedenheit.74 Dies zeigt, dass man einen Wohlstandsindikator braucht, der sämtliche Facetten und Dimensionen des Lebens abbildet. Alternativen zum Sozialprodukt als Wohlstandsmaß sind der Human Development Index, der Index of Sustainable Economic Welfare und die umweltökonomische Gesamtrechnung, welche jeweils den sozialen bzw. ökologischen Aspekt von Wohlfahrt hervorheben. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat einen Index entwickelt, der die soziale Entwicklung in einem Land abbilden soll. Der sogenannte Human Development Index (HDI) umfasst wesentliche Sozialindikatoren wie Lebensdauer, Bildungsstand (gemessen über Analphabetismus), Gesundheit sowie Realeinkommen. Insbesondere lassen sich mit diesem Index Entwicklungsunterschiede zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufzeigen. Der Index vermag es jedoch nicht, deutliche Unterschiede zwischen den Industrieländern darzustellen sowie die Zukunftsfähigkeit von ökologischer und ökonomischer Entwicklung abzubilden.75 Trotz einiger Schwächen ist der HDI in die wissenschaftliche und politische Diskussion eingegangen und stellt ein Wohlfahrtsmaß jenseits des Sozialproduktes dar.76 Der Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) versucht die Zukunftsfähigkeit von Wohlstand und Lebensqualität in einer einzigen Zahl darzustellen. Faktoren zur Berechnung des ISEW sind Einkommensverteilung, privater Konsum, Beschäftigung und weitere soziale und ökologische Faktoren. 72 Vgl. Hardes, Mertes (1994), S.236. Vgl. Costanza, R. et al. (2001), S.137f. 74 Vgl. Hardes, H.D. et al. (1994), S.240. 75 Vgl. Spangenberg, J.H. (1996), S.211. 76 Vgl. Spangenberg, J.H. et al. (1998), S.9. 73 22 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Die Kosten der Umweltzerstörung, Ausbeutung von Ressourcen, Verkehr sowie Unfälle gehen ebenfalls in die Berechnung ein.77 Somit werden Aussagen über soziale und wirtschaftliche Aktivitäten getroffen, die tatsächlich die Lebensqualität erhöhen. Im Gegensatz zum quantitativen Indikator BIP vertritt dieser Index eher einen qualitativen Ansatz. Der ISEW zeigt eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Lebensqualität in den Industrieländern seit den 1970er Jahren. Die Wirtschaft und das Einkommen sind seit Jahrzehnten gewachsen, die Lebensqualität dagegen gesunken. Gründe dafür sind u.a. hohe Arbeitslosigkeit, Umweltschäden, zunehmende Einkommensdisparitäten und die Erkenntnis, dass Einkommen nicht ausschlaggebend für das individuelle Glück ist. Aufgrund der Entkopplung wäre es grundsätzlich möglich, die Entwicklung umzudrehen und die Lebensqualität unabhängig vom Wirtschaftswachstum steigen zu lassen.78 Wiederum zeigt sich, dass der Wohlstandsindikator BIP den wirklichen gesellschaftlichen Wohlstand nur unzureichend abbildet. Der ISEW ist als Fortschritt für eine adäquate Wohlstandsmessung gegenüber der Sozialproduktrechnung zu sehen.79 Kritisch am ISEW sind die Probleme bei der Datenerhebung sowie die Monetarisierung von Umweltschäden. Die Vergleichbarkeit mit anderen Ländern wird durch Mangel an bestimmten Daten eingeschränkt.80 Ein sehr wichtiger Aspekt für die Entwicklung sämtlicher Wohlstandsindikatoren ist die grundlegende Werthaltung. Beim BIP geht der Konsum grundsätzlich positiv in die Sozialproduktrechnung ein. Es wird nicht differenziert nach Konsumarten, die negative externe Effekte für die Gesellschaft verursachen. Beim ISEW vermindern einige Konsumarten den Wohlfahrtsindex. Es ist deutlich, dass hier eine direkte Wertung geschieht. Weniger auffallend ist die Werthaltung bei der Sozialproduktrechnung, die aber dennoch vorliegt. Einige Aspekte gehen nicht in die Rechnung ein, d.h. ihr Gewicht ist Null – dies ist ebenfalls eine eindeutige Werthaltung. Als Reaktion auf die Kritik von ökologischer Seite an der Sozialproduktrechnung wurde die umweltökonomische Gesamtrechnung (UGR) entwickelt. Die UGR wurde aus dem System for Integrated Environmental and Economic Accounting (SEEA) der Vereinten Nationen abgeleitet und für deutsche Verhältnisse angepasst. Dieses statistische Satellitensystem ist keine reine Umweltstatistik, sondern weist eine Nähe zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf. Die Interdependenzen zwischen Wirtschaft und Umwelt werden statistisch dargestellt, 77 Vgl. Costanza, R. et al. (2001), S.155f. Vgl. Spangenberg, J.H. (1996), S.211. 79 Vgl. Costanza, R. et al. (2001), S.159. 80 Vgl. Günther, E. et al. (2000), S.56. 78 23 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit wobei sich allerdings das grundlegende Problem der Bewertung und Monetarisierung von Umweltveränderungen ergibt.81 4.3 Weitere Ansätze zur Messung von nachhaltiger Entwicklung Im Folgenden werden verschiedene Ansätze zur Messung nachhaltiger Entwicklung vorgestellt. Dazu gehören der auf Indikatoren basierende PressureState-Response Ansatz der OECD, der Ansatz des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung sowie die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. 4.3.1 Der Pressure State Response Ansatz Der Pressure-State-Response Ansatz, welcher Abbildung 3 veranschaulicht , ist ein spezielles Umweltindikatorensystem, das 1994 von der OECD für ihre Mitgliedstaaten entwickelt wurde. Ziel war es ein Indikatorensystem für den Bereich Umwelt zu entwerfen, das internationalen Gebrauch finden kann. Der Pressure-State-Response Ansatz wurde erarbeitet um Einflüsse auf die Umwelt und die darauffolgenden Reaktionen von Wirtschaft und Politik zu beobachten, d.h. es wurde der Versuch unternommen die ökologische mit der ökonomischen Dimension zu verbinden.82 Dem Ansatz liegt eine kausale Handlungskette zugrunde, die wie folgt aufgebaut ist: Die Pressure-Indikatoren beschreiben den Druck der Gesellschaft, welcher auf die Umwelt einwirkt, z.B. durch Verkehr oder Schadstoffe. State-Indikatoren veranschaulichen den Zustand der Umwelt, der sich v.a. durch die Einflüsse des Menschen entweder direkt oder indirekt verändert woraufhin die Gesellschaft, die Politik und die Wirtschaft durch Umweltschutzmaßnahmen Reaktionen zeigen, die durch die Response-Indikatoren operationalisiert werden. Der Pressure-StateResponse Ansatz wurde erarbeitet um Einflüsse auf die Umwelt und die darauffolgenden Reaktionen zu beobachten und kann nicht ohne weiteres auf die ökonomische und die soziale/humane Dimension nachhaltiger Entwicklung übertragen werden83 Dieses Modell ist sehr eng gefasst. Dies zeigt sich darin, dass es nur eine Wirkungsrichtung beschreibt, nämlich die der Gesellschaft auf die Umwelt. Es sagt aber nichts über die Rückwirkungen oder Konsequenzen aus, die diese Einflüsse auf die Gesellschaft haben.84 Diese Tatsache und die unzureichende Berücksichtigung der ökonomischen und der sozialen/humanen Dimension erklären den Entschluss, im Folgenden nicht den OECD Ansatz zu verfolgen, sondern das Vier-Kapital-Modell als Grundlage für diesen Forschungsbericht zu wählen 81 Vgl. Beirat Umweltökonomische Gesamtrechnungen beim BMU (2002), S.29ff. Vgl. Birkmann, J. et al. (1999). 83 Vgl. Ecolog-Institut, vom 23.01.2004. 84 Vgl. Haberl, H. et al. (2001), S.9. 82 24 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Abbildung 3: Pressure-State-Response Modell Quelle: Birkmann, J. et al. (1999), S.24. 4.3.2. Der Ansatz des BBR Das Modell des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) ist ein indikatorgestütztes Nachhaltigkeitskonzept. Der BBR-Ansatz verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: 1. die Systematisierung und Konkretisierung der Ziele nachhaltiger Entwicklung auf der Basis von Raumordnung und Raumentwicklung 2. eine flächendeckende und regelmäßige Berichterstattung aus der Sicht des Bundes, wobei die Indikatoren auf der regionalen Ebene dargestellt werden.85 Der Indikatorenkatalog und die abgeleiteten Ziele stützen sich v.a. auf die Ergebnisse der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 und die Agenda 21, welche bis zum jetzigen Zeitpunkt sowohl national als auch international große Anerkennung finden. Die vier Leitziele der Rio-Konferenz lassen sich wie folgt zusammenfassen:86 1. Gesundes und produktives Leben für die Menschen 2. Intra- und intergenerative Gerechtigkeit 85 86 Vgl. Irmen, E. et al. (1999), S.451. Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S.7. 25 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit 3. Verringerung der Ungleichheit der Lebensstandards und Beseitigung von Armut und 4. Schutz, Erhalt und Wiederherstellung der Gesundheit und Unversehrtheit des Ökosystems Erde. Diese Leitziele sind von einer ausgesprochen globalen Sichtweise geprägt, woraufhin die Nationalstaaten von der EU aufgefordert wurden ihre Ziele daran auszurichten. Mit dem Ziel nachhaltiger Entwicklung wurde die effektive Ausführung dieser Aufgabe explizit der nationalen Verantwortung übertragen. Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ nahm sich dieser als Erste an. Des Weiteren bildet das Raumordnungsgesetz in §1 (nachhaltige Entwicklung als primäres Leitziel) und §2 (Grundsätze der Raumordnung) eine Basis zur Systematisierung und Konkretisierung der Ziele nachhaltiger Entwicklung. Anhand der Grundlagen der Enquete-Kommission und des Raumordnungsgesetzes lassen sich die Leitziele der Rio-Deklaration in vier Zielen konkretisieren: 1. Solidarität in der Gesellschaft 2. Ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiges Wirtschaften 3. Soziale und räumliche Gerechtigkeit 4. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Bereits auf dieser Ebene wird versucht über die Integration der drei Nachhaltigkeitsebenen hinaus Ziele zu formulieren, die auf die soziale und räumliche Entwicklung ausgerichtet sind. Die Ziele lassen sich im Sinne des BBR soweit auf Unterziele und Teilziele herunterbrechen, dass es ab einer bestimmten Stufe möglich ist sie anhand von Indikatoren zu messen.87 Auf die Vor- und Nachteile des Indikatorenkatalogs wird später in diesem Kapital noch genauer eingegangen Solidarität in der Gesellschaft Dieses Ziel ist in die Unterziele Gewährleistung der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit, Wahrung der Leistungen einer solidarischen Gesellschaft, Förderung des individuellen solidarischen Beitrags für die Gesellschaft und Förderung der internationalen Zusammenarbeit aufgegliedert.88 Die erste Zieldimension hat einen eher übergeordneten Charakter. Sie beinhaltet die Vorstellung, dass solidarisches Handeln sowohl das Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft als auch oberste Maxime der Nachhaltigkeit ist. Allerdings ist sie aus der räumlichen Perspektive nicht relevant und obwohl sie zwar marginal auf die 87 88 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S.8f. Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S.8. 26 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Indikatoren der anderen Zieldimensionen Einfluss nimmt, wurden explizit keine Indikatoren ausgewählt.89 Ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiges Wirtschaften Auch diese Zieldimension ist in Unterziele gegliedert. Dazu gehören der Erhalt und die Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungskraft und Wettbewerbsfähigkeit, Erhalt und Schaffung einer vielfältigen Wirtschaftsstruktur, Erhalt und Verbesserung des Humankapitals und die Verbesserung der Ressourcenproduktivität der Wirtschaft.90 Die zweite Zieldimension vereint, mit Schwerpunkt auf der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit, ökonomische, ökologische und soziale Belange. Dies verursacht besonders im Hinblick auf den räumlichen Aspekt Konflikte, die aber bisher größtenteils zugunsten der ökonomischen Perspektive ausgetragen wurden. Wichtig bei dieser Zieldimension ist die Implikation des intergenerativen Anspruchs der Nachhaltigkeit.91 Soziale und räumliche Gerechtigkeit Unter dieser Zieldimension lassen sich die Unterziele Befriedigung der individuellen Bedürfnisse, Sicherung der sozialen Stabilität, Wahrung der Entwicklungschancen für die junge Generation und gleichberechtigter Zugang zu Arbeit und gesellschaftlichem Leben subsumieren.92 Die soziale Gerechtigkeit beinhaltet das Ziel der ausgewogenen Verteilung sozialer Komponenten des Lebens, was einerseits die Befriedigung der Bedürfnisse privater Haushalte andererseits aber auch die soziale Stabilität in der Gesellschaft impliziert. Die Ziele der räumlichen Gerechtigkeit beziehen sich auf gleichwertige Lebensverhältnisse und ausgewogene räumliche Strukturen (Raumordnungsgesetz). Auch in dieser Zieldimension ist der intergenerative Charakter der Nachhaltigkeit sehr ausgeprägt.93 Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Die letzte Zieldimension beinhaltet die Unterziele Schutz der biologischen Vielfalt, Verringerung der Nutzungsrate regenerativer Ressourcen zum Erhalt der natürlichen Regenerationsfähigkeit, Verringerung der Verschmutzungsrate zum Erhalt der natürlichen Absorptionsfähigkeit und Rückgang in der Nutzung nichtregenerativer Ressourcen.94 89 Vgl. Irmen, E. et al. (1999), S.451. Vgl. Irmen, E. et al. (1999), S.452. 91 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S.9. 92 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S.8. 93 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S.10. 94 Vgl. Irmen, E. et al. (1999), S.453. 90 27 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Diese Zieldimension hat zu einer breiten Diskussion geführt und lehnt sich stark an die Grundsätze der Enquete-Kommission an. Sie hat durch die Verbindung mit ökonomischen und sozialen Zielen einen stark integrativen Charakter (Schutz der biologischen Vielfalt, Rückgang in der Nutzung nicht-regenerativer Ressourcen).95 Die Abbildung 4 bietet einen Überblick über alle Zieldimensionen und ihren Unterzielen. Abbildung 4: Zieldimensionen des BBR-Ansatzes Quelle: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2002), S.8. Der Indikatorenkatalog des BBR bietet einige Vorteile, so z.B. sein integrativer Ansatz. Des Weiteren beachtet der Indikatorenkatalog die Anforderungen, die an Nachhaltigkeitsindikatoren gestellt werden, wie z.B. seine Aussagefähigkeit (Wirkungsrichtung des Indikators, d.h. hat eine Veränderung des Indikators positive oder negative Konsequenzen für die Nachhaltigkeit), Verständlichkeit, Zuverlässigkeit, Messbarkeit etc. Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes ist die räumliche Vergleichbarkeit, da die Indikatoren alle auf der gleichen regionalen Ebene erfasst werden. Darüber hinaus sind sie auch auf höheren Ebenen wie Bund oder Länder aussagefähig.96 95 96 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S.11. Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S.19. 28 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Allerdings bietet der Ansatz auch Nachteile, die im Rahmen dieser Arbeit ausschlaggebend für die Bevorzugung des Vier-Kapitel-Modells statt des BBRAnsatzes waren. Dazu gehört u.a. die fehlende zeitliche Vergleichbarkeit durch nicht vorhandene ausreichend lange Zeitreihen. Bei einigen Indikatoren muss erstmalig eine Datengrundlage geschaffen werden. Außerdem ist der Indikatorenkatalog nicht geeignet für niedrigere Ebenen wie Kreisen oder Gemeinden. Eine entscheidende Schwachstelle des Konzeptes ist, dass es nahezu 70 Indikatoren beinhaltet. Dies führt zu einer gewissen Unübersichtlichkeit und erschwert den Vergleich zwischen einzelnen Regionen deutlich. Darüber hinaus ist es bei ca. der Hälfte der Indikatoren noch nicht möglich sie auf regionaler Ebene zu erheben.97 4.3.3. Der Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung Die Bundesregierung hat im April 2002 unter dem Titel „Perspektiven für Deutschland“ eine Strategie für eine nachhaltige Entwicklung herausgegeben. Darin wurden Ziele, Indikatoren und Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele festgelegt. Bis zum Herbst 2004 will die Regierung einen Fortschrittsbericht ausarbeiten, in dem sie zum Einen die erreichten Ziele offenbaren, aber auch die Strategie weiterentwickeln will. Das Green Cabinet, ein Staatssekretärausschuss für nachhaltige Entwicklung der Regierung, hat vier neue Ziele formuliert: 1. Potenziale älterer Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft 2. Neue Energieversorgungsstruktur unter Einbeziehung der erneuerbaren Energien 3. Alternative Kraftstoffe und Antriebstechnologien und 4. Verminderung der Flächeninanspruchnahme.98 Das erste Ziel bzw. Handlungsfeld wird v.a. vor dem Hintergrund des steigenden Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung betrachtet. Dies impliziert den intergenerativen Charakter der Nachhaltigkeit, nämlich Bedürfnisse heutiger Generationen mit den Bedürfnissen zukünftiger Generationen zu verknüpfen. Auf der einen Seite besteht heutzutage noch die Sichtweise, die auf die Problematik der wachsenden Anzahl älterer Menschen im Hinblick auf die Sicherung des Sozialsystems gerichtet ist. Andererseits gewinnt die positive Sicht dieses Wandels im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklung, Wachstum etc. zunehmend an Bedeutung. Dafür spricht auch das Verhalten und die wachsenden Potenziale seitens der älteren Menschen, so z.B. verbesserte Finanz- und Bildungsvoraussetzungen, umfangreiches Erfahrungswissen, größere Bandbreite an Kompetenzen etc. Diese wachsenden positiven Potenziale bleiben jedoch bisher zum größten Teil ungenutzt, was sich v.a. anhand der Anzahl der 97 98 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, S.19. Vgl. Rat für nachhaltige Entwicklung (2004), S.2, vom 23.01.2004. 29 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Frühverrentungen zeigt. Dem will die Regierung durch bessere Integration älterer Menschen entgegenarbeiten. Dafür müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden.99 Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Arbeitswelt und der Bildung. Bei dem Handlungsfeld Arbeitswelt geht es darum, Betriebe und Unternehmen auf eine altersmäßig andere Zusammenstellung vorzubereiten. Dies betrifft z.B. die Beschäftigungsvoraussetzungen- und Erwartungen, aber auch die Bedürfnisse. Darüber hinaus soll der Frühverrentung entgegengewirkt werden, indem in den Betrieben Lebensarbeitszeit erhöhende Voraussetzungen geschaffen werden. Die Kriterien, welche die Regierung zur Erreichung dieser Ziele aufstellt, beinhalten, dass die Arbeitsplätze, die Arbeitsorganisation und die Arbeitszeit an das veränderte Leistungsvermögen angepasst (veränderte Arbeitsabläufe und Aufgaben, spezielle Pausenregelungen...), frühzeitige Entwicklungsplanung ermöglicht (frühzeitige Förderung der Altererwerbsarbeit), berufliche Umorientierung erleichtert (alternative Perspektiven ermöglichen) und die Lebensarbeitszeit neu organisiert werden (flexiblere Muster der Lebensarbeitszeit). Das Handlungsfeld Bildung zielt auf die bessere Ausbildung und Qualifizierung älterer Menschen vor dem Hintergrund des wachsenden Anteils älterer Beschäftigter und sinkender Studierender ab. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit mit Unternehmen, die durch Umgestaltung der Arbeit die Rahmenbedingungen für zusätzliche Ausbildung schaffen können. Diese Aufgabe stellt auch für die Hochschulen eine Herausforderung dar. Die Bundesregierung hat sich in diesem Handlungsfeld entschieden Zugänge zu Bildungsabschlüssen zu vereinfachen (Verbesserung der Chancen für den Erwerb neuer Bildungsabschlüsse). Gemeinsames Lernen der Generationen wird gefördert, um die Hochschulen für Weiterbildung zu gewinnen und darauf aufbauend die Studienangebote für ältere Menschen weiterzuentwickeln. Das dritte Handlungsfeld in diesem Zusammenhang ist das Lernen in der Arbeit. Dies impliziert Überschneidungen der Handlungsfelder Arbeitswelt und Bildung, d.h. die Internalisierung von Wissen durch learning by doing. Die Kriterien für dieses Handlungsfeld sind das lebenslange berufliche Lernen in der Arbeit zu fördern, Bildungs- und Qualifizierungsangebote mit der Arbeitswelt zu verbinden (z.B. berufsbegleitende Weiterbildung) und die Weiterbildung für Veränderungen zu nutzen.100 Der Schwerpunkt im zweiten Handlungsfeld liegt auf der Energieversorgung. Durch eine gleichzeitige Steigerung der Energieeffizienz, die in Deutschland in den neunziger Jahren bei ca. zwei Prozent lag, und dem Ausbau erneuerbarer Energien, die bis zum Jahre 2010 gegenüber 2000 verdoppelt werden sollen, versucht die Bundesregierung bei angemessener Berücksichtigung von Kostenaspekten sowohl die Energiepolitik voranzutreiben als auch den 99 Vgl. Rat für nachhaltige Entwicklung (2004), S.3-4, vom 23.01.2004. Vgl. Rat für nachhaltige Entwicklung (2004), S.5-9, vom 23.01.2004. 100 30 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit Klimaschutz zu verbessern. Die dadurch geschaffenen neuen Arbeitsplätze und der Innovationssprung schaffen einen guten Nährboden für eine effiziente nachhaltige Entwicklung. Eine starke Umstrukturierung soll auch in der deutschen und europäischen Energiewirtschaft stattfinden. Die Strategie erfordert eine Integration der erneuerbaren Energien und einer umweltverträglichen und wirtschaftlichen Umstrukturierung der Energiewirtschaft. Ziel ist die effiziente Verbindung einer wettbewerbsfähigen Energiewirtschaft und einem effektiven Klimaschutz.101 Das dritte Handlungsfeld beschäftigt sich mit alternativen Kraftstoffen und Antriebstechnologien zur Verminderung der Treibhausgase und weiteren Senkung des Brennstoffverbrauchs. Im Jahre 2015 wird das Verkehrswachstum im Vergleich zu 1997 um bis zu 20% zunehmen. Gleichzeitig steigen die Transportleistungen im Güterverkehr und Straßengüterfernverkehr. Die Entwicklung alternativer Kraftstoffe und verbesserter Antriebstechnologien stellt daher für die nachhaltige Entwicklung eine Notwendigkeit und Herausforderung dar. Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem Konzept für alternative Kraftstoffe und Antriebstechnologien, das den Kriterien Klimarelevanz, Erhöhung der Energieversorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit bzw. Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit genügen muss.102 Anlehnend an diese Kriterien bzw. Ziele müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine effiziente Lösung sinnvoll erscheinen lassen. Zunächst will die Bundesregierung eine Bestandsaufnahme veranlassen, die einen allgemeinen Überblick über die bisherigen Konzepte und Maßnahmen gibt. Daran anschließend sollte ein Strategiekonzept entwickelt werden, das alternative Kraftstoffe und Antriebstechnologien beurteilt und sich mit dem finanziellen Rahmen auseinandersetzt.103 Das letzte Handlungsfeld beinhaltet die Verminderung der Flächeninanspruchnahme. Dieses Handlungsfeld hat einen ausgesprochen integrativen Charakter, da es sowohl die ökologischen, die ökonomischen und die sozialen Ansprüche einer nachhaltigen Entwicklung vereint. Bis zum Jahre 2020 soll, unter Berücksichtigung der Zielsetzungen der nachhaltigen Entwicklung, eine Verminderung der Flächeninanspruchnahme auf bis zu 30ha pro Tag erfolgen. Ziel ist eine erhöhte Nutzung vorhandener Flächen und eine positive Entwicklung der Beschäftigung in der Bauindustrie. Ein stufenweises Vorgehen zur Erreichung dieser Ziele erscheint der Bundesregierung sinnvoll. Zunächst soll eine Überprüfung der laufenden Bundesressorts im Hinblick auf eine Verminderung der Flächeninanspruchnahme stattfinden. Danach sollen Maßnahmen entwickelt werden, welche die Flächeninanspruchnahme langfristig 101 Vgl. Rat für nachhaltige Entwicklung (2004), S.9-10, vom 23.01.2004. Vgl. Rat für nachhaltige Entwicklung (2004), S.11, vom 23.01.2004. 103 Vgl. Rat für nachhaltige Entwicklung (2004), S.12, vom 23.01.2004. 102 31 4. Ansätze zur Messung von Wohlstand und Nachhaltigkeit (nachhaltig) vermindern können. Zu diesem Zweck strebt der Rat für nachhaltige Entwicklung einen Dialog mit Ländern und Kommunen an um gemeinsam Maßnahmen zu entwickeln.104 Obwohl die beschriebenen Ansätze ihre Vor- und Nachteile bieten, haben wir uns im Rahmen dieses Forschungsberichtes auf die Verwendung des Vier-KapitalModells zur Veranschaulichung nachhaltiger Entwicklung geeinigt, da uns die Einteilung in vier Dimensionen, die alle relevanten Bereiche für nachhaltige Entwicklung abdecken, sinnvoll und effizient erscheint. Das Vier-Kapital-Modell ist demnach die theoretische Grundlage auf deren in dieser Arbeit Indikatoren entwickelt wurden, welche ein möglichst genaues Abbild der Region hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung schaffen sollen. Im folgenden Kapitel wird das Vier-Kapitel-Modell erläutert. Basierend auf diesem Modell werden in Kapitel 6 die entwickelten Nachhaltigkeitsindikatoren für alle vier Kapitale dargestellt. 104 Vgl. Rat für nachhaltige Entwicklung (2004), S.14, vom 23.01.2004. 32 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren 5.1 Das Vier-Kapital-Modell 5.1.1 Darstellung des Vier-Kapital-Modells und seine Operationalisierung Im vorherigen Kapitel wurden verschiedene Ansätze zur Wohlstandsermittlung und Operationalisierung von Nachhaltigkeit dargestellt. Neben dem klassischen Bruttoinlandsprodukt und umfassenderen Konzepten wie dem HDI und ISEW wurden Systeme von Nachhaltigkeitsindikatoren vorgestellt. Alle Konzepte nehmen Bezug auf den Wohlstand (bzw. die Wohlfahrt) einer Gesellschaft und messen diesen. In diesem Kapitel wird der Ansatz vorgestellt, auf dem diese Arbeit theoretisch aufbaut: das Vier-Kapital-Modell. Es ist ein Modell der Wohlstandsgenerierung, anhand dessen sich der gesellschaftliche Produktionsprozess durch die vier Kapitalarten (Real-, Natur-, Human- und Sozialkapital) abbilden lässt. Jedes Kapital erzeugt einen flow, bspw. die wirtschaftlichen Leistungen im Sachkapital. Ebenfalls das Humankapital trägt zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei. Das Naturkapital wird dann als solches anerkannt, wenn es zum menschlichen Wohlergehen beiträgt, also Energie, Nahrung, Entlohnung etc. liefert (kein intrinsischer Wert) und Sozialkapital gewährleistet den Zugang des einzelnen zu den anderen Kapitalarten. In einem Kreislaufmodell (siehe Abbildung 5) fließen die vier Kapitale als Einsatzfaktoren in den Produktionsprozess ein und stellen die Grundlage für Güter und Dienstleistungen dar, welche konsumiert oder investiert werden können. Ein Anfangsbestand der Kapitale wird zum Funktionieren des Systems vorausgesetzt.105 Paul Ekins erweiterte mit diesem Modell die klassische Auffassung des Produktionsprozesses um ein weiteres Kapital, genauer gesagt wird Arbeit in Human- und Sozialkapital aufgegliedert. Dabei wird auch deutlich, dass in dem von Ekins entwickelten Modell, die verschiedenen Faktoren enger zusammenwirken. Es kommt im Vergleich zum Ausgangsprozess nun zu einem dichteren Wirtschaftskreislauf, indem kaum noch ein wirtschaftlicher Faktor nicht von mindestens zwei bis drei anderen abhängig ist. Konventionelle Produktionsfunktion: Wohlstand = f( Arbeit, Kapital, Boden) Produktionsfunktion nach dem Vier-Kapital-Modell: Wohlstand = f(Sachkapital, Naturkapital, Humankapital, Sozialkapital) 105 Vgl. Ekins, P. (1992), S.149. 33 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren Damit ist der Besonderheit dieses Modells aber noch nicht Rechnung getragen, denn es werden weitere Aspekte der Kapitale (C) mit einbezogen. Das Naturkapital (EC) übernimmt wichtige Funktionen als Bereitsteller von Ressourcen und environmental services sowie als Senke aus anthropogenen Aktivitäten. Durch die Betrachtung des Sozialkapitals (SOC) wird das Modell um soziale Strukturen, Normen und Institutionen erweitert. Aus den vier Kapitalien lassen sich nun die Ursachen für Wohlstand und Nutzen (U) ableiten. Nicht nur der Konsum (CO) schafft Wohlstand, sondern auch die Qualität der Umwelt und der Bildung sowie soziale Kontakte in der Gesellschaft. Abbildung 5: The Creation of Wealth and Utility Quelle: Ekins, P. (1992), S.149. Im Vergleich zum konventionellen Produktionsprozess wird hier auch deutlich, dass der Faktor Abfall (W) eine wichtige Rolle spielt, da er unter der Berücksichtigung einer nachhaltigen Entwicklung mit in den Wirtschaftsprozess eingebunden wird.106 Nicht zuletzt, weil durch den Konsum und den Produktionsprozess selbstverständlich Abfälle entstehen. Letztendlich werden aufgrund des eigentlichen Produktionsprozesses und der erstellten Güter Investitionen (I) möglich, die wiederum auf alle vier Kapitale verteilt werden. Diese Verbindungen der einzelnen Kapitale (EC, HC, PC und SOC) über die verschiedenen wirtschaftlichen Faktoren (CO, E, I, P, U und W) verweisen bereits in der Theorie auf die Problematik, die in der Realität folgen wird. Es handelt sich 106 Vgl. Ekins, P. (1998), S.148f. 34 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren dabei um positive und negative Wechselwirkungen sowohl innerhalb der einzelnen Kapitale, als auch zwischen diesen. Ein wichtiger Aspekt dieses Modells sind die Wechselwirkungen, die sich zwischen den Kapitalen beobachten lassen, den konflikthaften (Trade-Offs) und den harmonischen (Win-Wins) Beziehungen. Im Allgemeinen wird unter TradeOff der Verlust in einer Kapitalart als Konsequenz der positiven Entwicklung in einer anderen Kapitalart verstanden, so z.B. die viel zitierte Abnahme im Naturkapital als Folge des Sachkapitalanstiegs (siehe Kapitel 5.1.3). Im Gegensatz dazu wird unter einer Win-Win Situation die positive Entwicklung zweier oder mehrerer Kapitale zur selben Zeit verstanden, z.B. hat eine positive Entwicklung des Sozialkapitals zumeist auch eine positive Entwicklung des Humankapitals zur Folge.107 5.1.2 Genauere Beleuchtung der vier Kapitalarten Das Vier-Kapital-Modell beinhaltet die vier Kapitale bzw. Dimensionen Ökologie, Ökonomie, Sozial- und Humankapital. In diesen Dimensionen werden die zu entwickelnden Indikatoren so abgestimmt, dass ein einheitliches Indikatorensystem entsteht, welches die Nachhaltigkeit bzw. den Bestand des jeweiligen Kapitals in einer Region abbildet. Die ökologische Dimension beinhaltet alle Bereiche, die eine nachhaltige Bewirtschaftung der Natur abbilden. Hier wird sowohl auf den Verbrauch von erneuerbaren und nichterneuerbaren Ressourcen eingegangen als auch auf die „Assimilationskapazitäten der Ökosysteme“ (bspw. Schutz der Ozonschicht, Klimastabilität, biologische Vielfalt, etc.)108, damit diese auch von künftigen Generationen genutzt werden können (siehe Kapitel 3.2). Dies veranschaulicht besonders den Grundgedanken der inter- und intragenerativen Gerechtigkeit einer nachhaltigen Entwicklung.109 In der ökonomischen Dimension werden solche Werte erfasst, die von Menschen geleistet oder erstellt wurden. (bspw. Finanzkapital, Infrastruktur, Produktionsanlagen, etc.). Von vielen Theoretikern wird diese Dimension als eine über den anderen stehenden Dimensionen angesehen. Erstrebenswerte Ziele und Indikatoren anhand derer sich nachhaltige Entwicklung veranschaulichen lässt sind z.B. ein hoher Beschäftigungsgrad, ein angemessenes und gerecht verteiltes Einkommen und Preisstabilität. Die soziale und die humane Dimension werden häufig zusammen abgebildet, da sie häufig sich überschneidende Themengebiete beinhalten, welche nicht exakt voneinander abzutrennen sind. Die soziale Dimensionen bzw. das Sozialkapital beinhaltet v.a. soziale Werte und Normen und wirkt auf verschiedenen 107 Vgl. Glimm-Lükewille, D. (2002), S.1. Vgl. Held, M. et al. (2001), S.15. 109 Vgl. Held, M. et al. (2001), S.15. 108 35 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren gesellschaftlichen Ebenen als „bonding-, bridging- oder linking social capital“110. Es umfasst beispielsweise die Bereiche soziale Sicherheit und gerechte Verteilung der Lebenschancen, wohingegen im Humankapital, über das Becker sagt: „activities that influence future monetary and psychic income by increasing the resources in people“111, im Wesentlichen davon ausgegangen wird, dass Bildungsstand, Arbeitsvermögen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Qualifikationen der Bevölkerung als nachhaltig angesehen werden.112 5.1.3 Welche Anwendungsmöglichkeit ergeben sich für das Vier-Kapital-Modell? In dieser Forschungsarbeit wird das Vier-Kapital-Modell, welches sich, wie in Kapitel 3.3 dargestellt, aus den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ableitet, als methodische Grundlage für eine nachhaltige Regionalentwicklung verwendet. Das Modell lässt sich sehr gut mit statistischen Daten verbinden. Ein System von Nachhaltigkeitsindikatoren kann abgeleitet werden, mit dem die Bestände der vier Kapitalarten erfasst und angezeigt werden sollen. Ein Vergleich dieser Bestandsdaten erlaubt eine Aussage, ob sich die Region im Sinne der Nachhaltigkeit entwickelt hat. Eine Situation wird als nachhaltig beschrieben, wenn der Kapitalbestand insgesamt über die Zeit konstant geblieben ist oder sich verbessert/vergrößert hat (Vorsorgeprinzip- siehe Kapitel 3.3). Eine Abnahme der Kapitalmenge kann unter Umständen, aber nur bis zu einem bestimmten Minimalniveau (critical threshold), durch die Bestandszunahme eines anderen Kapitals ausgeglichen werden. Ein integraler Aspekt der Nachhaltigkeit ist die Gerechtigkeit zwischen heutigen und zukünftigen Generationen. Um spätere Generationen nicht schlechter zu stellen, ist es Ziel einer nachhaltigen Entwicklung den Kapitalbestand zu erhalten. Im Humankapital ist Nachhaltigkeit als Bewertungskriterium und Anforderungsstrategie für die Förderung von Forschung -und Bildungsprogrammen zu sehen. Deshalb spielte dies in den letzten 10 Jahren zunehmend eine Rolle in den Forschungsbereichen der Akademien. Bildung und Ausbildung, ständiges Lernen, geistige Produktivität, Innovationsmentalität und Know-How-Transfer sind ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen produktiven Potenzials und zu einer der Hauptquellen des gesellschaftlichen Reichtums zu zählen. Deshalb sind diese Bereiche forciert zu entwickeln.113 Heutzutage erhebt und sammelt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in jenen Bereichen vergleichbare Statistiken (PISA oder curriculum-cased tests). 110 Vgl. OECD (2001 a), S.42. Vgl. Becker (1964 ), S.1. 112 Vgl. Gausgruber-Berner, R. et al. (1990), S.9ff. 113 Vgl. Banse, G. (2003); S.63ff. 111 36 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren Der Aufbau von Sozialkapital sichert nachhaltige Strukturen und Prozesse. Hierzu zählen vor allem die Zufriedenheit und Sicherheit der Bevölkerung. Die Messung des Naturkapitals präsentiert sich in folgenden Bereichen: Naturressourcen-, Land-, und Ökosystem. Trotzdem ist es nicht einfach ein Ökosystem zu messen, denn „In theory, the correct approach is to observe the services that are provided by ecosystems to the economy and to estimate the value that these services represent as contribution to production. In practice, even if we can define what this service are, we cannot observe them directly, just as we cannot observe the transportation service that an automobile provides us.”114 Dennoch können gewisse nachhaltige Tendenzen des Naturkapitals aus der Realität abgeleitet werden. Im Prinzip bedeutet die Messung der natürlichen Ressourcen in diesem Bereich eine Evaluierung der Ressourcenquantitäten und/oder -qualitäten. Schon am Anfang der modernen ökonomischen Theorie zeigte sich, dass die Produktion von der Effektivität des Sachkapitals abhängt. Aufgrund dieser Schlichtheit war eine Messung schon seit langer Zeit sehr unproblematisch. Nach der Definition ist Kapital im intergenerativen Gesamtzusammenhang genau das, was heute aufgrund von Effizienzerweiterung eingespart werden kann, damit sich die Wirtschaft weiterentwickelt. Dieses Konzept der Zukunftsinvestition stimmt in hervorragender Weise mit dem zeitlichen Aspekt der nachhaltigen Entwicklung überein. Ökonomische Produktion wird zwar gewünscht, nicht aber weil die Produktion an sich gut ist, sondern weil sie zum Wohlstand beiträgt. An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Beitrag zur Nachhaltigkeit sich auf die direkte Nutzung ökonomischen Aktivitäten und die indirekte Nutzung von Ökosystemen bezieht. Nachhaltigkeit ist und bleibt eine regulative Idee zum langfristigen Umgang mit natürlichem Kapital sowie den anderen Kapitalen. Die Unterschiede zwischen schwacher Nachhaltigkeit und starker Nachhaltigkeit beruhen insbesondere auf unterschiedlichen Annahmen über die Substituierbarkeit zwischen Natur- und Sachkapital, die Kompensation von Schäden und die Diskontierung zukünftiger Ereignisse (siehe Kapitel 3.2). Bevor im sechsten Kapitel die einzelnen Kapitale sowie die jeweiligen Indikatoren beschrieben werden, werden im nächsten Abschnitt konzeptionelle Grundlagen und Anforderungen für ein System von Nachhaltigkeitsindikatoren gelegt. 114 Smith, R. et al. (2001), S.10, vom 11.12.2003. 37 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren 5.2 Konzeptionelle Grundlagen für eine indikatorengestützte Operationalisierung nachhaltiger Entwicklung Es müssen Indikatoren für eine nachhaltige Entwicklung entwickelt werden, um eine solide Grundlage für Entscheidungen auf allen Ebenen zu schaffen und zu einer selbstregulierenden Nachhaltigkeit integrierter Umwelt- und Entwicklungssysteme beizutragen. Agenda 21 (Kapitel 40.4) Ziel dieser Arbeit ist die Beurteilung, ob sich die Region Saar-Lor-Lux im Sinne der oben beschriebenen Nachhaltigkeit entwickelt. Dazu wurden Indikatoren zu den vier Kapitalen formuliert, welche die Entwicklung in der Region seit dem Jahr 1990 abbilden sollen. Ein indikatorgestütztes System zur Operationalisierung und Bewertung von Nachhaltigkeit hat verschiedene Merkmale sowie Anforderungen von Seiten der Wissenschaft und Praxis, die im Folgenden dargestellt werden. Des Weiteren wird gefordert, die Werthaltung, die in wissenschaftlicher Arbeit vertreten wird deutlich zu machen. Bevor auf das System von Nachhaltigkeitsindikatoren dieser Arbeit eingegangen wird, wird die mögliche Aggregation von Indikatoren vorgestellt, für diese Arbeit aber abgelehnt. Dieses Kapitel stellt die Grundlagen für die Kapitel 6 und 7 und kann somit als Bindeglied zwischen Theorie und empirischen Ergebnissen gesehen werden. 5.2.1 Operationalisierung nachhaltiger Entwicklung über Indikatoren Viele theoretische und abstrakte Konzepte sind nicht direkt beobachtbar oder messbar. Trotzdem sollen diese Konzepte empirisch untersucht und überprüft werden. In dieser Arbeit sollen Aussagen über die regionale Entwicklung im Sinne der Nachhaltigkeit getroffen werden. Wie aber lässt sich Nachhaltigkeit beobachten und messen? Die Zuordnung von beobachtbaren Sachverhalten zu dem theoretischen Konzept oder Begriff wird als Operationalisierung bezeichnet. Das heißt, es muss Messanweisungen geben, die sich auf direkt beobachtbare Sachverhalte beziehen. Diese beobachtbaren Sachverhalte stellen (manifeste) Variablen oder Indikatoren dar.115 Indikatoren sind somit Hilfsgrößen und eine Vereinfachung für die Messung eines komplexen Sachverhalts. Szerenyi beschreibt Indikatoren ferner als Variablen, „die über den reinen Zahlenwert hinaus eine eigene Bedeutung“116 besitzen, welche abhängig von der Interpretation des Indikators ist. Indikatoren dienen zum einen der Beschreibung, der Prognose und dem Vergleich und zum anderen dienen sie der Bewertung, Zielformulierung und Erfolgskontrolle.117 Das eigentliche Interesse gilt aber nicht 115 Vgl. Schnell, R. et al. (1999), S.125. Szerenyi, T. (1999), S.30. 117 Vgl. Szerenyi, T. (1999), S.33. 116 38 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren primär dem Indikator, sondern dem Indikandum (zu beobachtender Sachverhalt) und dessen Veränderung im Zeitablauf.118 Durch die intergenerative Gerechtigkeit erhält der Nachhaltigkeitsgedanke eine dynamische Komponente. Im Laufe der Zeit müssen die Prioritäten und Ziele der Gesellschaft und Politik fortwährend begutachtet und an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden. Deswegen „wird eine Operationalisierung der Nachhaltigkeit durch Indikatoren gefordert“119. Ein System von Nachhaltigkeitsindikatoren ist keine reine Auflistung oder Zusammenstellung von Wirtschafts-, Sozial- und Umweltindikatoren. Die Herausforderung liegt in der Entwicklung spezieller Indikatoren, die eine adäquate Aussage über die drei Dimensionen (Ökologie, Ökonomie und Soziales) der nachhaltigen Entwicklung machen können. Da es zwischen den Dimensionen zu Wechselwirkungen kommt, müssen Konflikte zwischen den Indikatoren (Trade-Off-Situationen) und Harmonien zwischen den Indikatoren (Win-Win-Situationen) abgebildet werden. Die Nachhaltigkeitsindikatoren beschreiben zentrale Problemfelder und sollen eine Antwort geben, ob sich eine Region dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung nähert oder eher entfernt. Zudem haben sie die Aufgabe, die Politikmaßnahmen eines Landes oder einer Region zur Erreichung von Nachhaltigkeit zu bewerten sowie bei deren Auswahl zu unterstützen. Die Indikatoren identifizieren prioritäre Problemfelder und Defizite in der Entwicklung. Für eine einfache Anwendung des Indikatorsystems muss eine Auswahl an Indikatoren getroffen werden, damit das System an das jeweilige Ziel angepasst werden kann. Mit Hilfe eines guten Indikatorsystems lassen sich eine Ist- sowie eine Soll-Analyse erstellen und eine Trendprognose abgeben. Am Ende steht die Erfolgskontrolle, die Informationen für eine Anpassung des Indikatorsystems und der Politikmaßnahmen liefert. Damit Nachhaltigkeit kein Konzept der Wissenschaft und der Politik bleibt, üben Nachhaltigkeitsindikatoren eine Kommunikationsfunktion aus. Die Gesellschaft wird informiert und gleichzeitig angehalten, an dem Prozess der Indikatorentwicklung teilzunehmen. Die Adressaten sind verschiedene gesellschaftliche Gruppen (Wissenschaftler, Entscheidungsträger, Öffentlichkeit etc.), die unterschiedliche Ansprüche an die Informationen haben (zum zielgruppenspezifischen Aggregationsniveau siehe unten).120 5.2.2 Anforderungen und Merkmale von Nachhaltigkeitsindikatoren Damit Nachhaltigkeitsindikatoren die beschriebenen Aufgaben erfüllen können, werden von wissenschaftlicher und politischer Seite verschiedene Anforderungen gestellt. Die gewählten Indikatoren sollen die Zusammenhänge zwischen und innerhalb der Dimensionen der Nachhaltigkeit repräsentativ und treffsicher 118 119 Vgl. Birkmann, J. et al. (1999), S.17. Szerenyi, T. (1999), S.29. 39 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren abbilden. Die Relevanz (Wichtigkeit) und Validität (Zuverlässigkeit) der Indikatoren sind von entscheidender Bedeutung. „Die Relevanz von Indikatoren betrifft was untersucht bzw. kommuniziert werden soll. Die Validität von Indikatoren besagt wie etwas untersucht bzw. kommuniziert wird.“121 Die Auswahl der Indikatoren soll transparent und nachvollziehbar für die Gesellschaft erfolgen. Nur unter dieser Bedingung kann das Konzept der Nachhaltigkeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. An den Umgang mit Nachhaltigkeitsindikatoren werden funktionale Anforderungen gestellt. Indikatoren müssen reliabel sein, d.h. ein Indikator, der eine bestimmte Situation oder Entwicklung misst muss bei mehrmaliger Messung immer das gleiche Ergebnis liefern. Da eine nachhaltige Entwicklung gemessen werden soll, müssen die entsprechenden Indikatoren Veränderungen im Zeitablauf abbilden können sowie eine Frühwarnfunktion übernehmen. Die Indikatoren müssen in der Lage sein, die oben beschriebenen Wechselwirkungen der Dimensionen abzubilden. Sie sollen außerdem einen räumlichen sowie zeitlichen Vergleich zwischen und innerhalb von Regionen erlauben. Die politischen Anforderungen sind Zielfähigkeit, die Möglichkeit zur adressatengerechten Aggregation, Verständlichkeit sowie eine gesellschaftliche Akzeptanz des Indikators. In Bezug auf die Datengrundlage werden weitere Anforderungen gestellt. Es muss eine qualitativ hochwertige und regelmäßig aktualisierte Datengrundlage geben. Andernfalls müssen Daten mit vertretbarem Aufwand selber erhoben werden. Fehlen Daten oder besteht Unsicherheit über deren Qualität können entsprechende Indikatoren trotzdem vorgeschlagen und verwendet werden. Es ist jedoch notwendig, die Einschränkungen und Problemfelder zu dokumentieren, um der Anforderung der Nachvollziehbarkeit zu entsprechen.122 Es lässt sich abschließend zu den Anforderungen sagen, dass der Offenlegung, Dokumentation und Transparenz eine wichtige Stellung zukommt. Die Systeme von Nachhaltigkeitsindikatoren werden regionsund zielspezifisch mit unterschiedlichen Auswahlkriterien sowie Werturteilen entwickelt. Diese wie auch Methode und Modelle müssen offen gelegt werden. Weil das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung mehrdimensional ist und einen intertemporalen bzw. langfristigen Ansatz verfolgt, haben die Indikatoren zur Abbildung dieses Leitbildes einige besondere Merkmale. Da die drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales integrativ berücksichtigt werden, sind Nachhaltigkeitsindikatoren interdisziplinär. Aufgrund der Mehrdimensionalität, bildet ein Nachhaltigkeitsindikator mindestens zwei der drei Dimensionen ab. Ein Nachhaltigkeitsindikator ist demnach sozial-ökologisch, sozial-ökonomisch, ökologisch-ökonomisch oder sogar sozial-ökologisch120 Vgl. Szerenyi, T. (1999), S.29ff., sowie Kopfmüller, J. (2001), S.318f., sowie Günther, E. et al. (2000), S.46ff. 121 Morosini, M. et al. (2002), S.21. 40 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren ökonomisch.123 Eng verbunden mit der Mehrdimensionalität sind die Wechselwirkungen, die sich zwischen den Dimensionen ergeben. Nachhaltigkeitsindikatoren müssen solche Wechselwirkungen identifizieren, die Politik muss Entscheidungen für eine Abwägung treffen. Die Konflikt- und Harmonie-Situationen zwischen den Indikatoren bedürfen einer ausführlichen Analyse. Bei der Bewertung von Harmonie-Konstellationen treten keine Schwierigkeiten auf, da es für beide Dimensionen bzw. Kapitale positive Entwicklungen gibt. Bei der Beurteilung eines Konfliktes ist dies schon schwieriger, da entschieden werden muss wie stark sich die Einflüsse gegenseitig aufheben und welcher dominiert. Wegen des intergenerativen Ansatzes, ist der Zeitaspekt grundlegend für Nachhaltigkeitsindikatoren. Daraus leiten sich drei Indikatorentypen ab: Der Trendindikator, der Prognoseindikator sowie der Bedingungsindikator für Szenarien. Der intragenerative Ansatz führt zu Distributionsindikatoren, welche die Verteilung zwischen Bevölkerung sowie verschiedenen Regionen abbilden. Solche Verteilungsindikatoren sind nach verschiedenen Merkmalen wie Alter oder Geschlecht disaggregiert. Nachhaltigkeit ist ein Leitbild, das die Partizipation aller Gesellschaftsgruppen vorsieht. Partizipation ist bei der Indikatorentwicklung und -auswahl wichtig, weil die Werturteile, die in das Indikatorsystem einfließen von der Gesellschaft abhängen. Da es in sämtlichen gesellschaftlichen sowie ökologischen Prozessen Veränderungen gibt, muss das System von Nachhaltigkeitsindikatoren über Evaluationen und Rückkopplungen regelmäßig an neue Bedingungen, Bedürfnisse oder Werte angepasst werden.124 5.2.3 Nachhaltigkeitsindikatoren und Werturteile Show me your indicator list, and I will tell you what your ethics are!125 Wie bereits an verschiedenen Stellen betont, werden bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren Werturteile gefällt werden. Da Nachhaltigkeit ein normatives Leitbild ist, sind ebenso die Nachhaltigkeitsindikatoren normativ. Das bedeutet, sie sind so genannte Soll-Ist-Indikatoren, welche die Differenz zwischen dem aktuellen Entwicklungszustand und dem wünschenswerten Referenzzustand messen. Notwendig dazu ist eine konsensorientierte Indikatorwahl, die auf einem partizipativen Prozess basiert. Zuvor muss dafür geklärt werden, „welche Entwicklung in Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft als relevant für eine nachhaltige Entwicklung anzusehen ist.“126 Neben den Werturteilen einer 122 Vgl. Kopfmüller, J. (2001), S.320, sowie Günther, E. et al. (2000), S.49ff. Vgl. Szerenyi, T. (1999), S.36. 124 Vgl. Szerenyi, T. (1999), S.36ff. 125 Bossel, H. (1996), S.193ff. 126 Kopfmüller, J. (2001), S.318. 123 41 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren Gesellschaft müssen ebenso die verdeckten Werturteile berücksichtigt werden, die das Indikatorsystem von Seiten der Wissenschaft beeinflussen. Die Auswahl der Methode, der Experten (falls welche befragt werden) sowie letztendlich der Indikatoren bedeutet unvermeidlich die Hinzufügung eigener Wertung. Dies ist unumgänglich und keinesfalls wissenschaftlich falsch. Notwendig ist eine deutliche Offenlegung der Werthaltung, damit diese nicht in der Arbeit unerkenntlich verankert ist.127 5.2.4 Möglichkeiten und Grenzen einer Aggregation von Indikatoren Es gibt Indikatorsysteme mit über hundert Indikatoren (z.B. Indikatorsystem der Commission on Sustainable Development) und Systeme, in denen die Indikatoren zu einem Index verdichtet sind (z.B. ISEW). Der Aggregationsgrad hängt eng mit der Kommunikationsfähigkeit sowie mit dem Informationsgehalt eines Indikatorsystems zusammen. Bei der Entwicklung der Indikatoren muss zielgruppenorientiert zwischen einem hohen und einem niedrigen Aggregationsniveau abgewogen werden. Ersteres erfordert eine präzise mathematisch-statistische Methode zur Verrechnung, die ggf. die Indikatoren unterschiedlich stark gewichtet. Methode, Gewichte und Annahmen müssen dabei offen gelegt und nachvollziehbar gemacht werden, d.h. die Werthaltung muss dargelegt werden. Der Vorteil liegt in einer einfachen Kommunizierbarkeit und Beurteilung über die Nachhaltigkeit einer Region. Nachteilig muss gesehen werden, dass der Informationsgehalt sinkt und es keine perfekte und problemlose Methode zur Aggregation gibt. Bei einem niedrigen Aggregationsniveau stehen die Indikatoren ohne Verrechnung nebeneinander. Es ist schwieriger zu einer klaren Aussage über die Nachhaltigkeit einer Region zu kommen, dafür ist der Informationsgehalt hoch. Die Wahl des Aggregationsniveaus ist abhängig von der Zielgruppe. Die Aggregation zu einem oder mehreren synthetischen Indikatoren bedeutet eine Informationsverdichtung und macht die Gesamtaussage für die breite Öffentlichkeit vermittelbar. Für Wissenschaftler ist dagegen die Verwendung von Primärdaten ohne Verdichtung geeignet, weil die Daten mit statistischen Methoden analysiert werden. Ein wichtiges Kriterium ist hier die Validität und Begründetheit der Indikatoren. Das geeignete Aggregationsniveau für Entscheidungsträger liegt dazwischen und bietet Daten, mit denen politische Maßnahmen unterstützt werden können.128 Zu betonen ist, dass jede Aggregation von Indikatoren einen wertenden Eingriff bedeutet, der entsprechend dokumentiert werden muss. Das Gleiche gilt für eine unterschiedliche Gewichtung der Indikatoren. Wenn die Meinung vertreten wird, dass ein bestimmter Indikator wichtiger als ein anderer ist, kann man Ersterem mit einem 127 Vgl. Abaza, H. et al. (2002), S.26f. Vgl. Szerenyi, T. (1999), S.34f., sowie Kopfmüller, J. (2001), S.319, sowie Günther, E. et al. (2000), S.47f. 128 42 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren höheren Gewicht versehen. Auch in diesem Fall müssen Annahmen und Methoden der Gewichtung deutlich gemacht werden. Wenn eine Aggregation von Indikatoren vorgenommen werden soll, muss zuvor eine grundlegende Entscheidung über die Substituierbarkeit der Nachhaltigkeitsdimensionen bzw. der Kapitalarten getroffen werden. Die beiden Extreme der Aggregation – Verwendung von Primärdaten oder Verdichtung zu einer Kennzahl – entstammen einer unterschiedlichen Deutung des Leitbildes Nachhaltigkeit. In der Auffassung einer starken Nachhaltigkeit gibt es keine Substitutionsmöglichkeiten zwischen den Dimensionen, sondern es besteht eine Komplementarität zwischen ihnen. Beim Konzept der schwachen Nachhaltigkeit besteht dagegen ein substitutives Verhältnis, so kann z.B. Naturkapital durch Sachkapital ersetzt werden. Bei der funktionalen Substituierbarkeit sind die Kapitalien gegenseitig ersetzbar, allerdings nur in bestimmten Grenzen (siehe Kapitel 3.2.3). 5.2.5 Das System von Nachhaltigkeitsindikatoren dieser Arbeit Nachdem allgemeine Merkmale und Anforderungen an Nachhaltigkeitsindikatoren dargestellt wurden, sollen im Folgenden die Besonderheiten des Indikatorsystems dieser Arbeit erläutert werden. Es gibt kein allgemeingültiges System von Nachhaltigkeitsindikatoren, das für alle Regionen Anwendung finden kann. Die Regionen, Bedürfnisse und Werte der Gesellschaft sowie die politischen und wissenschaftlichen Ziele können sich unterscheiden und ziehen unterschiedliche Indikatorsysteme nach sich. Deswegen wurde in diesem Projekt ein eigenes System basierend auf dem Vier-Kapital-Modell für die Region SaarLor-Lux entwickelt. Die eigene Entwicklung von Nachhaltigkeitsindikatoren soll unabhängig von der Datenverfügbarkeit geschehen. Die Autoren haben in einem ersten Schritt versucht, ideale Indikatoren zu entwickeln, die den Bestand an Sach-, Natur-, Sozial- und Humankapital abbilden. Die Anzahl dieser Idealindikatoren sollte zwischen fünf und zehn liegen und ihre Relevanz sollte möglichst hoch sein. Erst in einem zweiten Schritt wurden die Idealindikatoren auf Datenverfügbarkeit geprüft. Falls keine Daten erhältlich waren, wurden die Indikatoren dahingehend verändert, dass sie aussagekräftig und relevant bleiben, Daten aber vorhanden sind. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Begründung, warum bestimmte Idealindikatoren ausgewählt wurden und die Dokumentation des Prozesses, in dem die Idealindikatoren modifiziert wurden. Neben Relevanz und Datenverfügbarkeit sind die wichtigsten Anforderungen an die Nachhaltigkeitsindikatoren dieser Arbeit Validität, Nachvollziehbarkeit, Abbildung der Wechselwirkungen sowie die Möglichkeit räumlicher und zeitlicher Vergleiche. Die Auswahl der Indikatoren soll begründet und transparent geschehen. Eine Aggregation der Indikatoren wird in dieser Arbeit aus verschiedenen Gründen nicht vorgenommen. Die Verrechnung von Indikatoren ist 43 5. Das Vier-Kapital-Modell – Nachhaltigkeitsmessung über Indikatoren nur unter stringenten Annahmen über die Substituierbarkeit der Kapitalarten durchzuführen, darüber hinaus gibt es keine Methode zur Aggregation, die vollkommen problemlos ist. In dieser Arbeit geht es vorrangig um die begründete Auswahl und Entwicklung von Idealindikatoren und die Überprüfung der Datenverfügbarkeit. Für diesen Zweck ist es nicht sinnvoll, die Indikatoren miteinander zu verrechnen, denn die Aussagekraft eines jeden Indikators steht im Mittelpunkt der Arbeit. Bereits oben wurde bemerkt, dass die Aggregation abhängig von der Zielgruppe zu geschehen hat. Die Zielgruppen dieser Arbeit sind zum einen die Wissenschaft, für die keine Aggregation vorgenommen werden muss und zum anderen Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung, für die die Methodik der Indikatorenbegründung im Vordergrund stehen soll. Grundsätzlich wird hier eine Aggregation nicht abgelehnt. In zukünftigen Projekten kann das entwickelte System von Nachhaltigkeitsindikatoren modifiziert und zu synthetischen Indikatoren verdichtet werden. Darüber hinaus kann eine Gewichtung von Indikatoren basierend auf Expertengesprächen erarbeitet werden. In der zweiten Arbeitsphase des Projektes wurden Vorschläge für eine Methode präsentiert.129 Die Anwendung von Indikatoren als Werkzeug führt noch nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung. Sie ermöglicht nur die Messung hinsichtlich dieser.130 Ein Indikatorensystem für sich bedeutet noch keine Entwicklung im Sinne der Nachhaltigkeit. Es ist vielmehr ein Instrument, welches die Erreichung oder Abweichung vom Leitbild messen kann. Spangenberg et al. wollen die Menschen mit zwei Instrumenten versehen, zum einen einer Vision (Leitbild) als Kompass und einem System von Nachhaltigkeitsindikatoren zur Messung.131 Die Akteure, welche eine nachhaltige Entwicklung erreichen können sind die Adressaten von Indikatorsystemen, also Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit, wozu natürlich auch Unternehmen gezählt werden. Im Folgenden werden die Indikatoren für die vier Kapitalbereiche vorgestellt. Darauf wird eine Analyse der Beziehungen innerhalb und zwischen den Kapitalbereichen durchgeführt. 129 Vgl. Meißner, M. et al. (2003) Günter, E. et al. (2000), S.46. 131 Vgl. Spangenberg, J.H. et al. (1998), S.12. 130 44 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.1 Humankapital Der Begriff des Humankapitals bezeichnet in seiner engen Begriffsfassung zunächst den akkumulierten Wissens- und Bildungsstand eines Individuums oder einer Gruppe von Individuen.132 Die entscheidende Besonderheit des Humankapitals besteht darin, dass es sich um ein immaterielles, personengebundenes Kapital handelt. Dies bedeutet, dass es im Gegensatz zu anderen Kapitalarten in den Trägern bzw. Besitzern inkorporiert ist und damit nicht ohne weiteres gehandelt oder übertragen werden kann.133 6.1.1 Theoretischer Hintergrund Zur Messung der Nachhaltigkeit der Humankapitalentwicklung werden drei Bereiche herausgegriffen. Zum einen handelt es sich um die formelle schulische Ausbildung bis hin zum tertiären Bildungsweg an Universitäten und Fachhochschulen. Um daneben auch die Humankapitalbildung bzw. -erhaltung im späteren Verlauf des Lebens zu erfassen, wird zum anderen die Dimension der Weiterbildung untersucht. Zusätzlich wird infolge der ökonomischen Orientierung dieser Arbeit als dritter Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) betrachtet, da hier unter Einsatz des Humankapitals die entscheidenden Weichen für die Führungsposition einer Region im Hochtechnologiebereich gelegt werden, und somit wieder der Bogen zum Wirtschaftsbereich geschlagen wird. Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive findet Humankapital zunehmend Berücksichtigung im Zuge der Untersuchung nachhaltiger Entwicklung, da der Beitrag menschlicher Fähigkeiten am Beginn des Übergangs zur Informationsgesellschaft stark an Bedeutung für Wachstum und Einkommen gewonnen hat.134 Während lange Zeit ein Großteil des wirtschaftlichen Produktivitätszuwachses durch den gestiegenen Kapitaleinsatz erklärt werden konnte, erfordern die neuen wissensbasierten Technologien keine hohen Sachinvestitionen mehr, sondern Investitionen in einen immateriellen Humankapitalstock. Dabei ist weniger die Quantität als vielmehr die Qualität dieses Humankapitals von Bedeutung, da neue Wirtschaftszweige, wie die Informationstechnologie, die Verschiebung der Arbeitsnachfrage hin zu Höherqualifizierten verstärken. Der Übergang zu eher wissensbasierten Produktionsstrukturen kann also nur durch relativ mehr Investitionen in Bildung und somit eine Verschiebung zwischen Human- und Sachkapital erfolgen.135 132 Vgl. Pfeiffer, F. et al. (1999), S.30. Vgl. Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung (Hrsg.) (2003), S.3. 134 Vgl. Pfeiffer, F. et al. (1999), S.5. 135 Vgl. Bosch, G. (2000), S.10f. vom 26.12.2003. 133 45 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Auch in der Großregion Saar-Lor-Lux stellen Bildung und Qualifikation der Bevölkerung in besonderem Maße einen Schlüsselfaktor für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts und die internationale Wettbewerbsfähigkeit dar. Dennoch ist der direkte Einfluss dieser beiden Faktoren auf Wachstum, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit nur schwer zu erfassen oder gar zu quantifizieren.136 Der Humankapitalstock als wichtiger Produktionsfaktor im Übergang zu einer wissensbasierten Gesellschaft soll auch das Leitbild bei der Erarbeitung der Indikatoren sein und die ökonomisch geprägte und damit gesamtgesellschaftliche Perspektive bei der Indikatorenwahl begründen. 6.1.2 Operationalisierung von Humankapital Betrachtet man das Humankapital von der Definition ausgehend als Kapitalstock bestehend aus dem in Personen akkumulierten Wissen, ergibt sich als Idealindikator eine Messgröße, die genau diesen Bestand abbildet. Im Gegensatz zu anderen stärker materiellen Kapitalarten stellt sich dabei zunächst weniger das Problem der Datenverfügbarkeit, als vielmehr das der schwierigen Operationalisierbarkeit. Das Humankapital ist in seiner Abstraktheit und Komplexität nicht mit Hilfe eines einzigen Indikators abbildbar. Selbst beim Versuch, den Humankapitalbestand auf verschiedene Dimensionen herunterzubrechen, finden sich keine Teilbereiche, die ein umfassendes Bild dieses Kapitals liefern könnten. Dennoch soll in den folgenden Abschnitten versucht werden, in Abstimmung mit den methodischen Möglichkeiten und den vorhandenen Daten ein möglichst optimales Indikatorenset abzuleiten, ohne dabei allerdings Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen. Ausgehend vom Kern der Definition, nämlich dem Humankapital als dem angehäuften Wissen, wird dieses auch in der folgenden Analyse zumeist in einem engeren Sinne anhand der formellen Qualifikationen betrachtet. Dies ist zum einen auf methodischer Seite bedingt durch die Verfügbarkeit entsprechender Daten. Zum anderen lässt sich diese Entscheidung aus ökonomischer Sicht durch die hauptsächliche Relevanz der Bildungsabschlüsse für die Leistungsfähigkeit, sowohl des Einzelnen als auch der Volkswirtschaft begründen. Hier zeigt sich, dass bei der Untersuchung von Humankapital im Bezug auf seinen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung zwischen individuellen und gesamtgesellschaftlichen Effekten unterschieden werden muss, wobei eine starke Interdependenz zwischen beiden Sichtweisen besteht. Stets bilden formelle Qualifikationen die Grundlage für den Ausbau und die Erweiterung von Fertigkeiten und Fähigkeiten bspw. durch Lernen am Arbeitsplatz oder Weiterbildung im Unternehmen137 und sind Voraussetzung dafür, dass das Humankapital ökonomisch einsetzbar ist. Insbesondere aus wirtschaftlicher Sicht 136 137 Vgl. Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung (Hrsg.) (2003), S.3. Vgl. Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung (Hrsg.) (2003), S.3f. 46 6. Analyse der vier Kapitalbereiche wird Humankapital nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck, d.h. zum Zweck einer erhöhten Arbeitsproduktivität betrachtet. Aufgrund des entscheidenden Einflusses der Wirtschaft auf alle anderen Lebensbereiche wird Nachhaltigkeit in den folgenden Ausführungen verstärkt aus einem ökonomischen Blickwinkel betrachtet. 6.1.2.1 Die Humankapitaltheorie von Becker Becker betrachtet in seiner sog. Humankapital-Theorie die Kosten für die Humankapitalbildung analog den Investitionen in Sachkapital als Aufwendungen, deren Erträge zum Teil erst in der Zukunft anfallen, insbesondere in Form einer erhöhten Arbeitsproduktivität und eines entsprechend höheren Einkommens.138 Die Grundidee dieses Modells ist, dass individuelle Fähigkeiten durch zeitlich vorgelagerten Aufwand in Form von Zeit und / oder Lernmitteln erweiter- und entwickelbar sind. Basierend auf der neoklassischen Investitionstheorie, nach der im Gleichgewicht die Kosten eines Investitionsprojekts dem Barwert der erwarteten Erträge entsprechen, investiert jedes Individuum gemäß einer individuellen Investitionsrechnung nur so lange in sein Humankapital, wie die erwarteten Erträge die Kosten übersteigen.139 Der Theorie von Becker liegt das Menschenbild des homo oeconomicus zugrunde, das für individuelle Entscheidungen bezüglich der Investitionen in Humankapital nur bedingt tauglich ist, da nicht von einem vollkommen rationalen Entscheidungsverhalten ausgegangen werden kann. Dennoch kann dieses Modell zumindest für die Weiterbildungsangebote in Unternehmen hilfreiche Erklärungsgrundlage sein, da hier aufgrund der Profitorientierung und des formalisierten Entscheidungssystems durchaus von einem rationalen, kosten- und nutzenoptimierenden Verhalten ausgegangen werden kann. Aber auch für individuelle Entscheidungen bzgl. der Investitionen in Humankapital ist es insbesondere im Zusammenhang mit dem Sozialkapital zumindest insoweit von Bedeutung, als Investitionen umso eher getätigt werden, je größer die soziale Sicherheit und je sicherer damit die künftigen Erträge sind. 6.1.2.2 Input- vs. Outputorientierte Betrachtung Aufgrund des abstrakten, immateriellen Charakters des Humankapitals gestaltet sich eine direkte Messung schwierig. Es ist deshalb notwendig, auf Ersatzindikatoren zurückzugreifen, aus denen sich unter bestimmten Annahmen ebenfalls Aussagen über die Höhe des Humankapitalstocks ableiten lassen. Eine solche Messung kann sowohl auf der Input- als auch auf der Outputseite ansetzen. Ersteres kann anhand der monetären und zeitlichen Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung und F&E erfolgen. Aus einer output- bzw. ertragsbasierten 138 139 Vgl. Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung (Hrsg.) (2003), S.3. Vgl. Pfeiffer, F. et al. (1999), S.21. 47 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Perspektive wird der Humankapitalbestand dagegen über eine Verdienstanalyse bzw. eine Untersuchung der beruflichen Stellung erfasst werden. Dazu wird der Wert des Bildungsvermögens dem Gegenwartswert der zukünftigen zusätzlichen Arbeitseinkünfte gleichgesetzt, die im Vergleich zu einer weniger ausgebildeten Referenzgruppe berechnet werden. Unterstellt man einen funktionalen Zusammenhang zwischen beiden Betrachtungsweisen, erübrigt sich eine Unterscheidung, da unter dieser Annahme ein höherer Bildungsabschluss gleichbedeutend mit einem höheren individuellen Humankapitalstock und einem höheren Verdienst ist. Es handelt sich folglich um komplementäre Konzepte, so dass der Input stellvertretend für den Humankapitalbestand und den Output und selbstverständlich auch umgekehrt betrachtet werden kann.140 Ergänzend zu einer direkten Erfassung des Bestandes anhand der Bildungsabschlüsse soll deshalb versucht werden, den Humankapitalstock zusätzlich anhand des Input näher zu beschreiben. Gegen eine Betrachtung von der Outputseite kommend spricht, dass sich die Großregion SaarLor-Lux über vier Nationalstaaten mit jeweils unterschiedlichen Lohn- und Gehaltssystemen erstreckt. Eine outputorientierte Betrachtung anhand der Gehälter wäre deshalb zwischen den einzelnen Teilregionen nicht vergleichbar. 6.1.2.3 Bildung In Abgrenzung zu dem oft weiter reichenden Verständnis des Begriffs „Bildung“ in der Alltagssprache soll im Folgenden mit dem Begriff „Bildungsvermögen“ nur der Teil des Humankapitals bezeichnet werden, der auf die allgemeine Bildung und die berufliche Ausbildung im Rahmen des formellen Bildungssystems zurückgeht. Darin enthalten sind sowohl die schulische und evtl. universitäre Grundausbildung als auch formelle Weiterbildung im Zusammenhang mit dem Berufsleben. Folgt man dem Rat für Nachhaltige Entwicklung, verfolgt Bildung drei wesentliche Ziele: Sie soll der Entwicklung der Persönlichkeit dienen, die Teilhabe an der Gesellschaft fördern und die Wahrnehmung von Beschäftigungschancen ermöglichen.141 Aspekte wie die Persönlichkeitsbildung werden bei der Operationalisierung von Humankapital normalerweise ausgeklammert. Dieser Schritt lässt sich rechtfertigen, da für das sehr abstrakte Konstrukt der „Persönlichkeit“ bisher keine befriedigende Messmethode mit ausreichender Datenverfügbarkeit existiert. Auch lässt sich keine eindeutige Aussage über den Beitrag der Persönlichkeitsbildung zur nachhaltigen Entwicklung machen. Der zweite Zielaspekt, die Teilhabe an der Gesellschaft, soll hier ebenfalls nicht berücksichtigt werden, da er im Rahmen des Sozialkapitals unter dem Oberbegriff der „Partizipation“ behandelt werden wird/wurde. Die Wahrnehmung von 140 141 Vgl. Pfeiffer, F. et al. (1999), S.27. Vgl. Rat für Nachhaltige Entwicklung (Hrsg.), S.44. 48 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Beschäftigungschancen als dritte Zielsetzung ist der am häufigsten untersuchte Aspekt im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Bildung, der oft auch unter den synonym verwendeten Begriffen „Employability“ oder „Beschäftigungsfähigkeit“ zu finden ist. Da heute die Teilnahme am Arbeitsleben (von zumindest einem Haushaltsmitglied) und der damit verbundene ökonomische Status Voraussetzung sind für eine aktive und erfolgreiche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und es sich damit in gewisser Weise um eine Vorsteuergröße der anderen beiden Zielsetzungen handelt, wird auch in den folgenden Ausführungen der Fokus verstärkt auf Bildung als „Eintrittskarte“ ins Erwerbsleben gerichtet. In Bezug auf die Nachhaltigkeit eines Landes oder einer Region interessieren aber auch die gesamtgesellschaftlichen Effekte der Bildung. In diesem Zusammenhang ist Bildung als Produktionsfaktor im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsstandorten zunehmend von elementarer Bedeutung. Im internationalen Wettbewerb ist sie häufig sogar der einzige Faktor, der Regionen noch unterscheidet.142 Der Bildung kommen damit aus standortpolitischer Sicht ähnliche Aufgaben zu wie dem Humankapital im Allgemeinen. Bei der Standortwahl dürfte die Bildung allerdings von höherer Relevanz sein, da sie aufgrund ihrer besseren statistischen Erfassbarkeit häufig stellvertretend für den Humankapitalbestand in die Investitionsentscheidungen mit einbezogen wird. Im Gegensatz zu den anderen Kapitalien kann eine Beurteilung der Nachhaltigkeit der Humankapitalentwicklung für den Bildungsbereich nicht isoliert erfolgen. Sie gewinnt erst Aussagekraft im Vergleich mit anderen Regionen, die als Wirtschaftsstandorte in Konkurrenz zur Großregion Saar-Lor-Lux stehen. 6.1.2.3.1 Schul- und Hochschulbildung Mit dem Begriff der Schul- und Hochschulbildung werden alle formellen Bildungswege vom Primär- bis zum Tertiärbereich bezeichnet. Um im Rahmen der Untersuchung die unterschiedlichen nationalen Bildungssysteme vergleichbar zu machen, bietet es sich an, auf die von der UNESCO ausgearbeiteten ISCEDKlassifikation zurückzugreifen. Die 1976 entwickelte International Standard Classification of Education – kurz ISCED – macht Bildungsstatistiken verschiedener Länder vergleichbar. Sie wurde 1997 aufgrund verschiedener Unzulänglichkeiten überarbeitet. Der ISCED 1997Schlüssel für den Tertiärbereich unterscheidet seitdem auch zwischen theoretischen (ISCED 5A bspw. Hochschul- und Fachhochschulausbildung) und eher beruflichen bzw. unmittelbar berufsorientierten Ausbildungen wie Ausbildungen an Verwaltungsfachhochschulen, an Berufs- oder Fachakademien etc. (ISCED 5B). Die Überarbeitung ist aus methodischer Sicht problematisch zu 142 Vgl. Bosch, G, S.1. 49 6. Analyse der vier Kapitalbereiche bewerten, da Vergleiche zwischen altem und neuem Standard nur bedingt möglich sind. Dies spiegelt sich vor allem in der Darstellung von Zeitreihen wider.143 Abbildung 6. ISCED- Klassifikation (falsch nur platzhalter) 30 25 20 15 10 5 1999 2000 2001 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien 2002 Luxemburg Quelle: Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften (2003). Höchster erreichter Bildungsstand Zur Messung des Bildungsstandes bietet sich der Indikator für die höchste abgeschlossene Bildungsstufe an. Dieser misst das über die Schulpflicht hinausgehende Bildungsniveau, d.h. den Anteil der Personen, die als höchstes Bildungsniveau ein Level von ISCED 0-2 (Primarbereich und Sekundarbereich I), ISCED 3-4 (Sekundarstufe II) oder ISCED 5-6 (Tertiärbereich) erreicht haben. Er gibt folglich Auskunft über die Zahl der Personen, die im jeweiligen Jahr einen entsprechenden Abschluss aufweisen können. Es handelt sich damit um den einzigen Indikator, der eine direkte Bestandsaufnahme der formellen schulischen Qualifikationen ermöglicht. Investitionen in Bildung sind sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesamtgesellschaft lohnenswert. Der über die Schulpflicht hinausgehende Bildungsstand hat entscheidenden Einfluss auf das Qualifikationsniveau und die damit verbundene Beschäftigungsfähigkeit und spiegelt sich aus Sicht des Einzelnen insbesondere in einem höheren Einkommen und einem geringeren Arbeitslosigkeitsrisiko wider. Zudem stellt er die wesentliche Basis für lebensbegleitendes Lernen, Anpassungsfähigkeit und Chancengleichheit dar. Eine 143 Vgl. UNESCO (1997), vom 09.12.2003, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW) (2003), vom 27.01.2004. 50 6. Analyse der vier Kapitalbereiche gute Qualifikation ermöglicht aber nicht nur dem Einzelnen die Teilnahme am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben, sondern bildet auch die Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft die Herausforderungen der Zukunft bewältigen kann. Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung zeigt sich eindrucksvoll in dem Zusammenhang zwischen Steigerungsraten beim Humankapital durch Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus und den Wachstumsraten einer Volkswirtschaft.144 Im Primar- und Sekundarbereich I(ISCED 0-2) werden normalerweise die Grundlagen entweder für den Eintritt ins Erwerbsleben oder häufiger für eine weitere schulische Laufbahn gelegt. Der Abschluss des Sekundarbereiches (ISCED 3-4) ist insofern von besonderer Bedeutung, als er zu einem Hochschulstudium berechtigt und deshalb auch als Potenzialgröße für eine hoch qualifizierte Ausbildung im Rahmen des tertiären Bildungsweges gesehen werden kann.145 Die Absolventen, die von der Möglichkeit einer Hochschulausbildung Gebrauch gemacht haben, werden im Rahmen des ISCED 5-6-Niveaus erfasst. Seit 1999 werden jährlich zwischen 78 und 85 Prozent der Bevölkerung in den Teilregionen zu ihrem höchsten erreichten Bildungsstand befragt. Da in den verschiedenen Teilregionen jeweils ein unterschiedlich großer Anteil der Gesamtbevölkerung befragt wurde, können die Ergebnisse nicht im Vergleich zur Gesamtbevölkerung betrachtet werden, sondern müssen ins Verhältnis zu den befragten Personen gesetzt werden. Ein Vergleich zwischen den Teilregionen ist dann anhand der Anteile von Personen mit dem jeweiligen Abschluss an der Gesamtstichprobe möglich. Unter der Voraussetzung, dass es sich um eine repräsentative Auswahl handelt, stimmt die Struktur der Abschlüsse in der Stichprobe mit der Verteilung in der Gesamtbevölkerung überein. Um anhand der intertemporal unterschiedlichen Verteilung der Bildungsabschlüsse auch Aussagen über die qualitative Entwicklung machen zu können, muss unterstellt werden, dass die Qualität des einzelnen Abschlusses im Zeitverlauf gleich geblieben ist.146 Unter dieser Annahme ist eine Verschiebung der Verteilung hin zu einem höheren ISCED-Niveau gleichbedeutend mit einer Qualitätsverbesserung des Humankapitals und damit aus Sicht der Nachhaltigkeit positiv zu bewerten. Anzahl der Studierenden ISCED 5-6 (1997) In einer hoch entwickelten Dienstleistungsgesellschaft hängt das Wirtschaftswachstum zunehmend von der Ressource Wissen und somit von einem steigenden Anteil hoch qualifizierter Fachkräfte ab. Ein hohes Bildungsniveau ist 144 Vgl. BMBF (Hrsg.) (2003), vom 26.12.2003. Vgl. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW) (2003), vom 27.01.2004, Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) (2003). 146 Vgl. Ewerhart, G. 145 51 6. Analyse der vier Kapitalbereiche insbesondere Voraussetzung für das Entstehen technologie- und wissensintensiver Branchen. Die Aufgabe, diesen Bedarf zu decken, fällt in besonderem Maße den Hochschulen zu. Der Indikator misst den Bestand an Studierenden in den jeweiligen Teilregionen. Obwohl diese aufgrund der zahlreichen Studienabbrecher nicht mit den Absolventen gleichgesetzt werden kann, wird bei einer Erhöhung der Studierendenzahl von einem positiven Einfluss auf den Humankapitalbestand ausgegangen, weil dadurch die Zahl der potenziellen Absolventen steigt. Der Indikator lässt zudem indirekt auch qualitative Aussagen bzgl. des Humankapitals zu, da mit steigendem Anteil höherwertiger Abschlüsse die Qualität des Humankapitalstocks steigt. Dies darf allerdings nicht verwechselt werden mit der Qualität der Lehre an sich. Um zu verhindern, dass die demographischen Unterschiede die Aussagekraft des Indikators beeinträchtigen, empfiehlt es sich, die Zahl der Studierenden auf die Größe der Bevölkerung in der typischen Altersgruppe zu beziehen. Da die Bevölkerungszahlen jedoch nicht nach Altersgruppen gegliedert vorliegen, muss auf die Gesamtbevölkerung als gemeinsame Bezugsbasis ausgewichen werden. Bildungsausgaben als Anteil am BIP Mangels weiterer Bestandsindikatoren zur Messung der Höhe des durch schulische Bildung angehäuften Humankapitals muss dieses zusätzlich stellvertretend durch Stromgrößen approximiert werden. Einen geeigneten Indikator stellen die Bildungsausgaben als Anteil am BIP dar. Dabei ist zu beachten, dass Investitionsentscheidungen erst mit zeitlicher Verzögerung ihre Wirkung zeigen, so dass Erfolge oder Misserfolge häufig erst nach Jahren festgestellt werden können.147 Voraussetzung für die wirkungsvolle Gestaltung von Bildungssystemen ist die ausreichende Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen. Da das Bildungswesen aus den Ressourcen der Gesellschaft, in welche es eingebettet ist, unterhalten werden muss, lassen sich Bildungsinvestitionen einerseits in dem unterschiedlichen Wohlstand begründen und spiegeln andererseits die unterschiedliche Bedeutung wider, die der Bildung beigemessen wird.148 Wie in den meisten Industrieländern wirken auch in der Großregion zum Teil gegenläufige Einflussfaktoren auf die Mittelanforderungen im Bildungssystem. Zum einen erfordern die neuen Herausforderungen, wie die Tendenz zur Höherqualifizierung, höhere Bildungsausgaben, andererseits verringern die demographischen Verschiebungen und die damit einhergehende Verringerung der Schülerzahl die Mittelanforderungen. Um sowohl unterschiedliche Wohlstandsniveaus als auch demographische Entwicklungen zu berücksichtigen, ist es sinnvoll, die 147 Vgl. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW) (2003), vom 27.01.2004, Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) (2003). 148 Vgl. Bundesamt für Statistik, Neuchâtel Schweiz (2003), vom 24.11.2003. 52 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Bildungsausgaben pro Schüler / Studierenden im Verhältnis zum BIP pro Kopf auszudrücken. Weitere Aussagen über den Beitrag der Bildungsausgaben zur Abbildung der Nachhaltigkeit des Humankapitalstocks lassen sich nur unter Zugrundelegung besonderer Annahmen machen. Höhere Bildungsausgaben sind bspw. dann nachhaltig, wenn man davon ausgeht, dass dadurch einer größeren Zahl von Jugendlichen Zugang zu einer kostenlosen Ausbildung gewährt und damit die Chancengleichheit innerhalb der Gesellschaft gefördert wird. Um die Bildungsausgaben international vergleichen zu können, muss vorausgesetzt werden, dass es keine nationalen Unterschiede hinsichtlich der Kosten für Bildungsressourcen vergleichbarer Qualität gibt. Diese Annahme ist insbesondere durch die Einbeziehung Luxemburgs problematisch, wo das Niveau der Lehrergehälter deutlich über dem der anderen Länder liegt, obwohl die Qualität der Bildung nicht unbedingt besser ist.149 Die Höhe der Mittelaufwendungen für den Bildungsbereich lässt also nur bedingt Aussagen über die Qualität der Bildung zu. Weitere Verzerrungen könnten auch durch die unterschiedliche Größe der Volkswirtschaften entstehen, wenn man davon ausgeht, dass auch im Bildungssystem Kostendegressionseffekte zum Tragen kommen.150 Fraglich ist zudem, ob die ausgebildeten Humanressourcen später auch in der Region als Arbeitskräftepotenzial zur Verfügung stehen, in der die Kosten für ihre Ausbildung angefallen sind. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die große Zahl luxemburgischer Studenten an ausländischen Universitäten relevant. Es kann lediglich angenommen werden, dass sich zumindest ein Teil der Humankapitalfluktuation durch gleich große Zu- und Abwanderungsströme gegenseitig ausgleicht. Schüler-Lehrer-Relation Voraussetzung für einen nachhaltigen Lernerfolg ist eine möglichst individuelle Betreuung der Schüler, die sich anhand des Schüler-Lehrer-Verhältnisses darstellen lässt. Obwohl dieser Indikator keine direkte Aussage über die Qualität des Unterrichts macht, ist die Größe der Klassen oder Lerngruppen zumindest eine der Rahmenbedingungen, die die Unterrichtsqualität beeinflussen.151 Besonders im Primarbereich ist es wichtig, dass der Lehrer sich intensiv um die einzelnen Schüler kümmern kann. 149 Vgl. Europäische Kommission - Generaldirektion Bildung und Kultur (Hrsg.) (2000), vom 27.01.2004. 150 Vgl. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW) (2003), vom 27.01.2004,und Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) (2003). 151 Vgl. BMBF (Hrsg.) (2003), S.19. 53 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.1.2.3.2 Weiterbildung „Weiterbildung umfasst die Gesamtheit der Lernprozesse, in denen Erwachsene ihre Fähigkeiten entfalten, ihr Wissen erweitern und ihre fachlichen und beruflichen Qualifikationen verbessern oder sie neu ausrichten, um ihren eigenen Bedürfnissen und denjenigen ihres gesellschaftlichen Umfeldes zu entsprechen. Die Begriffe Erwachsenenbildung und Weiterbildung werden heute in der Bildungspraxis und in der Theorie synonym verwendet.“152 Im traditionellen Bildungsverständnis wurde bisher nur von drei Bildungsbereichen gesprochen. Es setzt sich aber immer mehr ein umfassender Bildungsbegriff durch, der die Weiterbildung als vierten Bereich, den Quartärbereich, einschließt. Der Begriff Quartärbereich bezeichnet aber nicht ein höheres Bildungsniveau als das Tertiäre, sondern vielmehr die Weiterbildung für Erwachsene und umfasst auch außerschulische Inhaltsfelder, wie Lebens- und Berufserfahrung, die in Verbindung mit einer Weiterbildung nutzbar gemacht werden können.153 Lernen hört nach der Ausbildung nicht auf. Zum einen unterliegt Humankapital ähnlich dem Sachkapital einer gewissen Abnutzung (z.B. durch Verlernen), die durch Investitionen, d.h. Lernen, ausgeglichen werden kann. Es gibt keine Gewähr dafür, dass eine einmal erlernte Tätigkeit ein Erwerbsleben ausfüllt. Berufe und Tätigkeiten können obsolet werden, während gleichzeitig neue Berufsbilder und Anforderungen infolge wirtschaftlichen Wettbewerbs und Strukturwandels entstehen. Zudem gewinnt Weiterbildung insbesondere angesichts der demographischen Verschiebungen zunehmend an Bedeutung. Der Strukturwandel kann bei sinkender Zahl junger und zunehmender Zahl älterer Erwerbstätiger sowie der exponentiellen Wissensvermehrung nicht allein durch „natürliche“ Zu- und Abgänge (Berufseintritt und Verrentung) bewältigt werden. Vielmehr müssen auch Erwerbstätige bereit sein, in Form formeller oder informeller Weiterbildung weitere oder gegebenenfalls andere Qualifikationen zu erwerben.154 Weiterbildung wird in diesem Sinne gleichgesetzt mit formellen betrieblichen Qualifizierungsmaßnahmen. In ihrer ursprünglichen Definition umfasst sie aber sowohl formelle als auch informelle Weiterbildungsmaßnahmen, die nicht notwendigerweise mit dem ausgeübten Beruf in Verbindung stehen müssen. Es kann sich demzufolge auch um freiwillige Weiterbildung aus Interesse an einem bestimmten Thema oder um eine Umschulung in Folge von Arbeitslosigkeit handeln. Die verfügbaren Daten sind allerdings häufig auf das Berufsleben und hier insbesondere auf die Teilnahme an formeller Weiterbildung beschränkt. Die Relevanz formeller betrieblicher Weiterbildung lässt sich dadurch begründen, 152 Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektion (2003), vom 10.12.2003. Vgl. Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektion (2003), vom 10.12.2003. 154 Vgl. Pfeiffer, F. et al. (1999), S.119. 153 54 6. Analyse der vier Kapitalbereiche dass der Anteil der am Arbeitsplatz erworbenen Fähigkeiten am gesamten erforderlichen Wissen der Arbeitstätigkeit tendenziell eher abnimmt. Ursache dafür ist zum einen, dass die durch die Technisierung immer abstrakteren Arbeitsprozesse mehr Hintergrundwissen erfordern. Zudem sind aufgrund der Komplexität der Prozesse die Kosten infolge von Lernfehlern drastisch gestiegen. Infolgedessen muss der innerbetriebliche Anlernvorgang zum Teil durch eine formalisierte Berufsaus- und Weiterbildung abgelöst werden.155 Eine Operationalisierung der formellen betrieblichen Weiterbildung bereitet dennoch methodische Probleme, da es national und international kaum vergleichbare anerkannte Weiterbildungsabschlüsse gibt und somit eine Bestandsaufnahme des durch Weiterbildung akkumulierten Humankapitals nicht möglich ist. Alternativ muss deshalb auch hier eine inputorientierte Betrachtung der Investitionen in Weiterbildung herangezogen werden. Kosten der Unternehmen für Weiterbildung Betrachtet man die Gesamtkosten für Weiterbildung, stellt man fest, dass diese neben den Betrieben auch vom Staat und den Individuen selbst finanziert werden. Die Unternehmen mit ihrer betrieblichen Weiterbildung stellen dabei allerdings den wichtigsten Träger dar, insbesondere, weil ihre Aktivitäten unter dem Aspekt der technologischen Leistungsfähigkeit von besonderer Bedeutung sind. Die Höhe der privatwirtschaftlichen Weiterbildungsinvestitionen ist im Normalfall nicht am Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung, sondern an einer individuellen Investitionsrechnung orientiert, so dass unter Umständen aus volkswirtschaftlicher Sicht lohnenswerte Investitionen in Weiterbildung privatwirtschaftlich unterbleiben können.156 Wie bereits im Rahmen der Humankapitaltheorie Beckers angedeutet, investieren Betriebe, ähnlich wie beim Sachkapital, genau so viel in Weiterbildung, wie sie dafür an gesteigerter Arbeitsproduktivität erhalten, so dass diese Kosten als Abbildung des Humankapitalwachstums in monetären Größen gesehen werden können. Unterstellt man des Weiteren, dass betriebliche Qualifikationsmaßnahmen der Anpassung des Humankapitals an veränderte Anforderungen dienen, dann können die Weiterbildungskosten auch als Indikator der Innovationsneigung, also der Bereitschaft, mit einem zunehmend dynamischen Wettbewerbsumfeld Schritt zu halten, angesehen werden. Teilnahmequoten an Weiterbildung Zusätzlich zur Betrachtung der Weiterbildung aus Unternehmenssicht, sollte auch die Frage einbezogen werden, inwiefern die Angestellten dieser Betriebe von den Weiterbildungsangeboten Gebrauch machen. Dies lässt sich anhand der Teilnahmequoten an Weiterbildung untersuchen. Unterstellt man, dass zumindest 155 156 Vgl. Bosch, G. (2000), S.17. Vgl. Pfeiffer, F. et al. (1999), S.119. 55 6. Analyse der vier Kapitalbereiche ein Teil der betrieblichen Qualifizierungsmaßnahmen auf freiwilliger Basis angeboten wird, spiegelt dieser Indikator die Motivation des Einzelnen wider, sein Humankapital zu erweitern und anzupassen. Gesamtgesellschaftlich kann die Teilnahmequote als Indikator für die Haltung einer Gesellschaft zum lebenslangen Lernen betrachtet werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „lernenden Gesellschaft“. Ein Benchmark bzgl. der Teilnahmequoten an Weiterbildung wurde von der Europäischen Kommission herausgegeben. Darin wird als Zielwert festgelegt, dass sich bis 2010 im EU-Durchschnitt mindestens 15% der Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter (Altersgruppe 25 bis 64 Jahre) am lebenslangen Lernen beteiligen.157 Auf eine Analyse der Nachhaltigkeit für die Großregion Saar-Lor-Lux im Bereich Weiterbildung muss verzichtet werden, da weder über die statistischen Landesämter, noch über die Großregion Saar-Lor-Lux oder Eurostat Daten zum Thema Weiterbildung verfügbar waren. 6.1.2.3.3 Zukünftiger Forschungsbedarf für den Bereich Bildung Eine Untersuchung der Bildung aus Sicht einer nachhaltigen Entwicklung beschränkt sich meist aus methodischen Gründen auf eine bloße Betrachtung der Bildungsinvestitionen in monetären Größen und eine Analyse der Verteilung der unterschiedlichen Bildungsabschlüsse in der Bevölkerung. Damit finden aber gleichzeitig viele Aspekte der Nachhaltigkeit aufgrund von Schwierigkeiten bei der Operationalisierung und mangelnder Datenverfügbarkeit keine Berücksichtigung, obwohl sie mit Blick auf eine möglichst umfassende Abbildung der Nachhaltigkeit des Humankapitals mit einbezogen werden müssten. Es handelt sich damit um Themengebiete, in denen für die Zukunft noch erheblicher Forschungsbedarf besteht. Die gewählten Indikatoren erlauben zwar Aussagen über die generellen Zugangschancen zu den verschiedenen Ausbildungswegen und die dafür aufgewandten finanziellen Mittel, nicht aber über die Nachhaltigkeit der Bildungsinhalte. Laut BMBF ist ein Bildungssystem dann zukunftsfähig und damit nachhaltig, wenn es dazu beiträgt, individuelle Leistungen zu verbessern und dem Einzelnen das Wissen und die Kompetenzen vermittelt, die zur Partizipation und aktiven Gestaltung eines nachhaltigen, zukunftsfähigen Lebens und Wirtschaftens befähigen.158 Der Einzelne muss lernen, was Nachhaltigkeit bedeutet und welche Maßnahmen bzw. Verhaltensregeln für eine nachhaltige Entwicklung erforderlich sind bzw. wie er aktiv durch sein Verhalten beitragen kann.159 Neben den persönlichkeitsformenden Inhalten der Bildung sollte Nachhaltigkeit also auch direkt Inhalt der Bildung sein. Bisher mangelt es 157 Vgl. Europäische Kommission (Hrsg.) (2003), vom 26.12.2003. Vgl. BMBF (Hrsg.) (2003), S.14 vom 26.12.2003. 159 Vgl. BMU (Hrsg.), S.111, vom 26.12.2003. 158 56 6. Analyse der vier Kapitalbereiche allerdings an geeigneten Indikatoren zur Erfassung dieser sehr komplexen „weichen“ Faktoren. Neben den Schwierigkeiten bei der Operationalisierung sind diese Aspekte für einen solch großen räumlichen Rahmen auch erhebungstechnisch nicht erfassbar. 6.1.2.4 Die wirtschaftliche Nutzbarkeit des Humankapitals Humankapital umfasst in seiner weiter gefassten Definition auch Aspekte wie Gesundheit und Alter des Individuums, die Voraussetzung dafür sind, dass das angehäufte Humankapital im Wirtschaftsprozess auch einsetzbar ist. Wie wichtig dieser Bereich für die Untersuchung der Nachhaltigkeit der Humankapitalentwicklung in einer Region ist, zeigen die Ergebnisse einer Untersuchung von Ewerhart. In dem Versuch, den Humankapitalstock für die VGR erfassbar zu machen, entwickelte er Messgrößen sowohl für den Bestand an als auch für die Investitionen in Humankapital und kam zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Netto-Investitionen an den Brutto-Investitionen lediglich 5% betrage. Dies bedeutet, dass nur ein Bruchteil der eigentlichen Investitionen den Humankapitalbestand effektiv erhöht, da infolge der demographischen Verschiebungen fast genauso viel Humankapital ausscheidet wie in Form von jüngeren Kohorten nachrückt.160 Während der Messansatz selbst für die Zwecke der Forschungsarbeit nicht brauchbar ist, unterstreichen die Ergebnisse der Berechnungen die Bedeutung der demographischen Struktur für die Bewertung des Humankapitalbestandes und sprechen damit für die Aufnahme eines entsprechenden Indikators bei der Operationalisierung des Humankapitals. Verhältnis der Erwerbspersonen zwischen 55 und 64 Jahren zu denen zwischen 25 und 34 Jahren Während die Bildungsinvestitionen und -abschüsse auch die Qualität des Humankapitals abbilden, misst die Zahl der Erwerbspersonen alleine die Quantitäten, d.h. das für den Produktionsprozess verfügbare Mengengerüst an Arbeitskräften. Sie setzen sich zusammen aus Erwerbstätigen und Erwerbslosen und bilden so das Arbeitskräfteangebot einer Region ab. Da die Erwerbspersonen eingegrenzt werden durch die gesetzliche Lebensarbeitszeit (15 bis 64 Jahre), erlauben sie gleichzeitig Aussagen über den arbeitsmarktrelevanten Teil der demographischen Struktur, also den Teil des Humankapitals, der aufgrund seines Alters theoretisch wirtschaftlich „nutzbar“ ist. Vor dem Hintergrund demographischer Verschiebungen in Richtung einer überalternden Bevölkerung gewinnt zunehmend auch die gesamte Alterstruktur an Bedeutung. Um diese darzustellen, wird die Zahl der Erwerbspersonen einerseits ins Verhältnis zu den jüngeren, demnächst nachrückenden Kohorten gesetzt (0-14 Jahre); zum anderen wird sie mit den älteren, bereits verrenteten Jahrgängen verglichen (65 Jahre und 160 Vgl. Ewerhart, G., S.3ff. 57 6. Analyse der vier Kapitalbereiche älter). Da uns aber weder Datenmaterial zu den Bevölkerungszahlen nach Altersgruppen vorliegt, noch die Gesamtzahl aller Erwerbspersonen zwischen 15 und 64, wird alternativ die Altersstruktur innerhalb der Erwerbspersonen gemessen. Um diese abzubilden, wurden aus allen Erwerbspersonen zwei Zehn-JahresKohorten gewählt und ihre jeweilige Größe zueinander in Beziehung gesetzt. Es handelt sich dabei zum einen um die Gruppe der 55- bis 64-jährigen Erwerbspersonen, also den Teil des Humankapitals, der voraussichtlich innerhalb der nächsten zehn Jahre aus dem Arbeitsangebot ausscheiden wird. Setzt man sie ins Verhältnis zur Kohorte der 25- bis 34-Jährigen, die junge, potenzielle Arbeitskräfte beinhaltet, die dem Wirtschaftsprozess noch über mehrere Jahrzehnte erhalten bleiben werden, lassen sich anhand des gebildeten Quotienten Aussagen über die zukünftige Entwicklung des Humankapitalstocks machen. Die 25- bis 34-Jährigen haben gegenüber der Kohorte der 15- bis 24-Jährigen den Vorteil, dass sie auch den größten Teil derer mit einschließen, die eine weiterführende sekundäre oder tertiäre Bildung gewählt haben. Die Zahl der Erwerbspersonen weist im Vergleich zu der der Erwerbstätigen den Vorteil auf, dass sie auch die Arbeitslosen einschließt, die ein Arbeitskräfte- und damit Humankapitalpotenzial darstellen, das theoretisch einsetzbar ist. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „stillen Reserve“. Dabei ist zu beachten, dass der Indikator lediglich das quantitative Arbeitsangebot misst, nicht aber dessen Qualifizierung. Zudem bleibt unklar, welcher Teil der Erwerbspersonen effektiv am Erwerbsleben teilnimmt. Genauere Aussagen darüber sind erst in Verbindung mit der Zahl der Erwerbstätigen und der Arbeitslosenquote möglich. 6.1.2.5 Forschung und Entwicklung Definiert man F&E nach international gebräuchlichen Definitionen als „systematische, schöpferische Arbeit zur Erweiterung des vorhandenen Wissens“161, so zeigt sich bereits in der Definition die enge Beziehung zum Humankapital, obwohl der F&E-Bereich eigentlich dem Sachkapital zugeordnet wird. F&E soll deshalb an dieser Stelle noch einmal aus der Sicht des Humankapitals betrachtet werden, da ihm eine Art Brückenkopffunktion bei der Verbindung von Humankapital und dem Wirtschaftsbereich zukommt. Zudem nimmt F&E auch eine Schlüsselposition im Abhängigkeitsgefüge innerhalb des Humankapitalbereichs ein, da starke Verflechtungen zwischen Forschung, Innovation, Bildung und industrieller Wettbewerbsfähigkeit existieren. Durch F&E werden neue Produkte und Verfahren entwickelt, indem technische Verbesserungen herbeigeführt werden, entweder durch Qualitätsverbesserungen oder dadurch, dass sie bei gleich bleibender Qualität Kostensenkungen 161 Grenzmann, C. (2003), S.6, vom 15.12.2003. 58 6. Analyse der vier Kapitalbereiche zulassen.162 Es handelt sich bei den F&E-Ergebnissen allerdings nur in ihrer Entstehung um personengebundenes Wissen. Im weiteren Verlauf verliert das Wissen seinen Personenbezug, indem es in Form von Plänen und Patenten festgehalten und transferierbar gemacht wird. F&E spielt damit ebenso wie Bildung eine zentrale Rolle beim Übergang zu einer wissensorientierten Wirtschaft. Die Relevanz des Indikators für die Nachhaltigkeit einer Region ergibt sich neben der Förderung des Wirtschaftswachstums auch aus dem Beitrag der Wissenschaft zur Förderung des nachhaltigen Umgangs mit der Umwelt und zur menschlichen Entwicklung. Dem F&E- Bereich fällt dabei die Aufgabe zu, in den Bereichen Klimaänderung, Ressourcenverbrauch (z.B. Ökoeffizienz), Bevölkerungstrends und Umweltverschlechterungen wichtige Informationen für die Erarbeitung langfristiger Strategien für eine nachhaltige Entwicklung zu liefern.163 Ein weiteres Mal stellt sich die Frage, wie dieser Humankapitalstock gemessen und bewertet werden kann. Auch hier muss zwischen Bestands- und Stromgrößen unterschieden werden. Unter Annahme eines funktionalen Zusammenhangs zwischen dem Input in F&E-Maßnahmen (eingesetzte finanzielle und personelle Ressourcen) und der Schaffung neuen Wissens würde eine Aufnahme des Humankapitalbestandes genügen, da sich aus ihm die Inputs anhand der Funktion rückläufig ableiten ließen. Von einer solchen Beziehung kann aber im F&EBereich nicht ausgegangen werden, da der Zusammenhang zwischen Investitionen und F&E-Leistungen sehr komplex ist und sich Investitionen im F&E-Bereich erst mit zeitlicher Verzögerung auswirken. Ideal wäre deshalb eine Erhebung sowohl der Input- als auch der Bestandsgrößen. Als möglicher Bestandsindikator kommt die Zahl der Patente in Frage, die aber dem Sachkapital zuzurechnen sind. Deshalb wird wiederum ersatzweise auf Input-Größen zurückgegriffen. Tertiärabschlüsse in naturwissenschaftlichen und technologischen Fachrichtungen Für die zukünftige wissenschaftlich-technologische Entwicklung werden insbesondere Absolventen auf den Gebieten Mathematik, sowie Natur- und Ingenieurswissenschaften benötigt. Dieser Indikator misst die Humanressourcen, die vom Bildungssystem frei werden und dann für F&E genutzt werden können und stellt somit ein Bindeglied zwischen dem Bildungs- und dem F&E-Bereich dar. Da die Ausübung erlernter Tätigkeiten zunehmend in den Hintergrund tritt, und Kreativität und die Generierung neuer Ideen sowie deren Umsetzung immer wichtiger werden, sind hoch qualifizierte Fachkräfte erforderlich.164 Eine Fokussierung auf Absolventen technologischer und naturwissenschaftlicher Fachrichtungen in Abgrenzung zu den Tertiärabschlüssen aller Fachrichtungen ist 162 Vgl. Grenzmann, C. (2003), S.6, vom 15.12.2003. Vgl. Europäische Gemeinschaften (2001), S.152. 164 Vgl. Pfeiffer, F. et al. (1999), S.87. 163 59 6. Analyse der vier Kapitalbereiche zur Ermittlung des in F&E einsetzbaren Humanressourcenpotenzials zweckmäßig, da sich die in F&E eingesetzten Humanressourcen in der Regel durch ein sehr spezifisches Einsatzfeld auszeichnen.165 Um Humankapital in diesem Sinne zu optimieren, müsste die Wahl von mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Fachrichtungen gefördert werden und die Attraktivität entsprechender Berufe gesteigert werden. Dies setzt voraus, dass bisher ein ungedeckter Bedarf an F&E-Personal besteht. In Hinblick auf das Humanressourcenpotenzial einer Region stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die so ausgebildeten Humanressourcen einer Region erhalten bleiben, da F&E-Tätigkeiten privater Unternehmen oft an bestimmten Standorten konzentriert sind. Daten zu Tertiärabschlüssen in naturwissenschaftlichen und technologischen Fachrichtungen sind für die Großregion Saar-Lor-Lux nicht verfügbar. Alternativ können auch die Studierenden naturwissenschaftlicher und technologischer Fachrichtungen herangezogen werden, wobei dieser Indikator keine Aussage über den Anteil derer macht, die ihr Studium erfolgreich abschließen. Diese Daten sind nur für das Saarland erhältlich, weshalb keine begründete Aussage für zur Trendentwicklung in der Großregion getroffen werden kann. F&E- Ausgaben pro Beschäftigtem im F&E- Bereich Die Bedeutung von F&E wird in der volkswirtschaftlichen Betrachtung häufig an den Aufwendungen für F&E, d.h. an den in einer Region für wissenschaftliche und technologische Produktion eingesetzten Finanzressourcen, abgelesen. F&EAusgaben dienen der Aktivierung des Innovationspotenzials der Wirtschaft und des Einzelnen und sind damit Investitionen in die Zukunft eines Unternehmens und der Volkswirtschaft. Indem sie ins Verhältnis zu dem im F&E-Sektor beschäftigtem Personal gesetzt werden, spiegeln sie die durchschnittliche finanzielle Ausstattung jedes Mitarbeiters wider. Diese enthält neben dem Gehalt und den Ausgaben für die jeweiligen technischen Arbeitsgeräte auch Gebäudemieten etc., die nicht direkt dem Forschungsprozess zugute kommen. Dennoch kann aufgrund der vergleichsweise hohen Gehälter und der meist extrem teuren technischen Ausstattung von Forschungseinrichtungen davon ausgegangen werden, dass ein großer Prozentsatz dieser Ausgaben direkt den Forschungsprozess unterstützt. Bei den Beschäftigten im F&E-Bereich handelt es sich um hoch qualifizierte Absolventen eines tertiären Bildungsgangs. Der Indikator kann deshalb auch als Messgröße für den Aufwand zur wirtschaftlichen Nutzbarmachung dieses Potenzials gesehen werden. F&E-Aufwendungen und -Personal sind Input-Faktoren, die keine Aussage über den Erfolg als Ergebnis des Einsatzes von F&E machen. Wie nachhaltig diese letztendlich sind, hängt davon ab, ob sie zu einer verbesserten F&E-Leistung und 165 Vgl. Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung (Hrsg.) (2003), S.15, vom 26.12.2003. 60 6. Analyse der vier Kapitalbereiche damit zu einer höheren Arbeitsproduktivität in einer Region führen. Kritisch zu sehen ist der Einfluss unterschiedlicher Gehaltsniveaus auf die Höhe der F&EAusgaben. Da laut Stiftsverband Statistik rund zwei Drittel der F&E Aufwendungen Personalkosten darstellen,166 hängt ihre Höhe stark von der der national üblichen Gehälter ab. Neue Technologien sind nur dann nachhaltig, wenn sie dem Menschen dienen und dazu beitragen, die Lebensqualität zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Die Aussagekraft der Indikatoren würde daher durch zusätzliche Informationen über das genauere Einsatzgebiet der finanziellen und personellen Ressourcen erhöht werden. Dadurch könnten beispielsweise F&E- Ausgaben im Rüstungsbereich herausgefiltert werden, die dem Ziel nachhaltiger Entwicklung entgegenstehen, statt es zu fördern. Wichtig für die Großregion Saar-Lor-Lux wird zukünftig insbesondere auch eine bessere Koordination der einzelnen Forschungsaktivitäten über die Ländergrenzen hinweg sein. Voraussetzung dafür ist der Auf- und Ausbau einer modernen Infrastruktur, wie regionaler und globaler wissenschaftlicher und technologischer Informationsnetze. Eine stärkere Verbindung zwischen Wissen, Innovation und industriellem Erfolg erfordert zudem eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Industrie und zwischen verschiedenen Unternehmen. Im Rahmen von F&E muss es daher ein zentrales Anliegen sein, den Transfer von Ergebnissen aus F&E-Vorhaben in die gesellschaftliche Praxis zu intensivieren und systematische Wege für deren Transfer in die verschiedenen Bildungsbereiche bereitzustellen, um Vorsorge für die Bereitstellung entsprechend qualifizierter Fachkräfte zu treffen.167 166 167 Vgl. Pfeiffer, F. et al. (1999), S.87. Vgl. BMBF (Hrsg.) (2003), S.24, vom 26.12.2003. 61 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.1.3 Analyse der Daten Abbildung 7: Bevölkerung mit höchstem abgeschlossenem Bildungsbereich ISCED 0-2 (1997) (Primarbereich und Sekundarbereich I) 60 50 40 30 20 1999 2000 2001 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien 2002 Luxemburg Quelle: Statistisches Bundesamt-Eurostat Data Shop Berlin, Eurostat Datenbank New Cronos, Stand: 05. Februar 2004. Bevölkerungszahlen für 2002 stammen von der Kooperation der Statistikämter zur Verfügung gestellt auf der Seite www.grossregion.lu] Bei der Interpretation der Daten ist zu beachten, dass jeweils der höchste erreichte Abschluss erhoben wurde. Dies bedeutet, dass ein abnehmender Anteil der Personen im Primär-, Sekundarbereich I positiv bewertet werden kann. Dagegen spiegeln Aufwärtstrend im Sekundarbereich II und im Tertiärbereich eine qualitative Erweiterung des Humankapitalstocks der Regionen wider und dienen damit der Nachhaltigkeit. Obwohl ein Abschluss des Sekundarbereiches I prinzipiell den direkten Einstieg ins Berufsleben ermöglicht, ist aus Sicht des Trends zur Höherqualifizierung und damit aus der Perspektive der Nachhaltigkeit eine Verringerung des Anteils von Personen mit einem höchsten Abschluss auf Sekundar I-Niveau wünschenswert. Anhand der Graphik ist allerdings ersichtlich, dass seit 1999 außer in Luxemburg in allen Teilregionen der Anteil der Personen mit höchstens ISCED 0-2-Niveau leicht angestiegen ist. Im Saarland und in Rheinland-Pfalz ist die Situation mit rund 50 Prozent am schlechtesten, wobei dies zum Teil auf die Besonderheit der dualen Ausbildung in Deutschland zurückzuführen ist, die auch jungen Menschen mit Haupt- und Realschulabschluss den Einstieg ins Berufsleben ermöglicht. In Wallonien verlassen dagegen weniger als 30 Prozent der Bevölkerung die Schule nach dem Sekundarbereich I. 62 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abbildung 8: Bevölkerung mit höchstem abgeschlossenem Bildungsbereich ISCED 3-4 (1997) (Sekundarbereich II) 60 50 40 30 20 1999 2000 2001 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien 2002 Luxemburg Quelle: Statistisches Bundesamt-Eurostat Data Shop Berlin, Eurostat Datenbank New Cronos, Stand: 05. Februar 2004. Bevölkerungszahlen für 2002 stammen von der Kooperation der Statistikämter zur Verfügung gestellt auf der Seite www.grossregion.lu Der Anteil der Personen, die nach Abschluss des Sekundar II-Niveaus das Bildungssystem verlassen, bleibt außer in Wallonien in allen Teilregionen im Zeitverlauf etwa stabil und liegt zwischen 12,5 Prozent im Saarland und rund 15 Prozent in Rheinland-Pfalz, Lothringen und Luxemburg. Lediglich in Wallonien steigen die Werte bis 2002 leicht an auf nahezu 20 Prozent. Die Tatsache, dass Wallonien einen größeren Anteil an Schülern mit Sekundar II-Abschluss hat, gleichzeitig aber weniger Personen mit Sekundar I-Abschluss, deutet darauf hin, dass das Gewicht im Vergleich zu den anderen Teilregionen stärker in Richtung einer höheren Ausbildung verschoben ist. Obwohl Wallonien Spitzenreiter im Vergleich zwischen den Teilregionen ist, ist die Entwicklung im Zeitverlauf nicht nachhaltig, da die Zunahme im Primar- und Sekundarbereich einhergeht mit einer Abnahme des Anteils von Personen mit Hochschulabschluss. Der gleiche negative Trend zeigt sich in Lothringen, wobei beide Regionen verglichen mit den anderen Teilregionen einen hohen Anteil von Personen mit dem höchsten Ausbildungsniveau haben. Insbesondere die beiden deutschen Bundesländer liegen mit einem Anteil von etwa 30 Prozent weit zurück, verzeichnen aber, ebenso wie Luxemburg einen positiv zu bewertenden leichten Anstieg im Zeitverlauf. Die Tatsache, dass der Anteil der Personen mit einem Abschluss im Tertiärbereich in allen Teilregionen über dem der Personen liegt, die nach dem Sekundar II-Abschluss aus dem Bildungssystem ausgeschieden sind, deutet darauf hin, dass beispielsweise das Abitur in Deutschland 63 6. Analyse der vier Kapitalbereiche meist nur Mittel zum Zweck einer tertiären Ausbildung ist und nicht als eigenständiger Abschluss angestrebt wird. Abbildung 9: Bevölkerung mit höchstem abgeschlossenem Bildungsbereich ISCED 5-6 (1997) (Tertiärbereich) 20 15 10 1999 2000 2001 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien 2002 Luxemburg Quelle: Statistisches Bundesamt-Eurostat Data Shop Berlin, Eurostat Datenbank New Cronos, Stand: 05. Februar 2004. Bevölkerungszahlen für 2002 stammen von der Kooperation der Statistikämter zur Verfügung gestellt auf der Seite www.grossregion.lu] Beim Gesamturteil über der Nachhaltigkeit der Großregion im Bezug auf die Struktur der Bildungsabschlüsse gleichen sich die gegensätzlichen Entwicklungen so aus, dass weder von einer nachhaltigen, noch von einer unnachhaltigen Entwicklung gesprochen werden kann. Unnachhaltig ist insbesondere der in allen Teilregionen zu beobachtende Anstieg der Personen mit dem niedrigsten Bildungsabschluss, wohingegen der steigende Prozentsatz von Personen mit Hochschulzugangsberechtigung positiv zu bewerten ist, da dies zukünftig auch zu steigender Beteiligung am Tertiärbereich führen wir, und da die wachsenden Qualifikationsanforderungen der Arbeitgeber immer häufiger zumindest einen Sekundarabschluss II (z.B. Abitur) erforderlich machen. Nachhaltig einzuschätzen ist auch der momentan schon in den deutschen Teilregionen zu beobachtende Anstieg der Personen mit Hochschulabschluss. 64 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abbildung 10: Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung 5 4 3 2 1 0 1998 1999 2000 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien 2001 Luxemburg Quelle: Statistisches Bundesamt-Eurostat Data Shop Berlin, Eurostat Datenbank New Cronos, Stand: 22. Dezember 2003 Die relative Zahl der Studierenden bleibt über den Zeitraum von 1998 bis 2001 in allen Teilregionen ungefähr konstant. Lediglich Wallonien verzeichnet einen geringfügigen Anstieg, während die Studierendenzahl im Saarland leicht zurückgeht. Im interregionalen Vergleich liegt Luxemburg weit hinter den anderen Teilregionen zurück. Ursache dafür ist zum einen die Tatsache, dass das Centre Universitaire derzeit nur für einige Fachbereiche das erste Studienjahr anbietet. Eine Ausweitung um weitere zwei Semester ist geplant. 168 Aus diesem Grund absolvieren momentan noch viele luxemburgische Studierende ihr Studium an einer ausländischen Universität. Zudem bietet das Bankenwesen für junge Menschen auch ohne Studium einen gut bezahlten Arbeitsplatz. Ebenso lässt sich für die beiden deutschen Teilregionen, die im Vergleich zu Wallonien und Lothringen niedrige Studierendenquote zum Teil auf länderspezifische Gegebenheiten zurückführen.169 Grund für diese unterschiedliche Entwicklung in Deutschland sind wahrscheinlich die Unterschiede in den Ausbildungssystemen der verschiedenen Länder. In Deutschland ist die duale, nichttertiäre Berufsausbildung mit entsprechend anerkanntem Abschluss weit verbreitet. Dagegen besteht in anderen Ländern nicht die Möglichkeit zu einer solchen Art der Berufsbildung. Dort werden die Jugendlichen sozusagen zu einer Ausbildung im tertiären Bereich gedrängt, da es sonst kaum anerkannte Berufsausbildungsformen gibt.170 168 Vgl. Auswärtiges Amt (2003), vom 27.01.2004. Vgl. BMBF (Hrsg.) (2003), S.5f, vom 26.12.2003. 170 Vgl. Europäische Kommission (Hrsg.) (2000), vom 26.12.2003. 169 65 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Der Indikator „Anzahl der Studierenden“ gibt zwar Auskunft darüber, wie viel Humankapital in den Regionen gebildet wird, es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die späteren Absolventen und somit das Humankapital der Region erhalten bleiben. Auch macht der Indikator keinerlei Aussagen darüber, ob die Studierenden ihr Studium auch beenden. Diese sog. Abbrecherquote wird hier nicht berücksichtigt, ist aber bei der Annahme über die potenziellen Absolventen durchaus zu beachten. Ein Gesamturteil für die Großregion bezüglich der Nachhaltigkeit der Humankapitalentwicklung fällt grundsätzlich positiv aus, da die Qualität des Humankapitalstocks im Zeitverlauf zumindest gleich geblieben ist. Eine Verbesserung ist insbesondere für Wallonien zu erwarten, wenn sich die höhere Zahl der Studierenden in den Absolventenzahlen niederschlägt. Dennoch wird aus einer Studie des BMBF ersichtlich, dass die Großregion Saar-Lor-Lux im Vergleich zu anderen europäischen Ländern im Bereich der Studierendenzahlen zurückliegt oder zumindest einen eventuellen Vorsprung einbüßt. 171 Dies lässt zukünftige Einbußen in der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts erwarten. Abbildung 11: Schüler-Lehrer-Verhältnis im Schuljahr 2001/2002 20 15 10 5 0 Primar Sekundar Gesamt Rheinland-Pfalz Saarland Luxemburg Lothringen Wallonien Quelle: Kooperation der Statistikämter, zur Verfügung gestellt auf der Seite www.grossregion.lu] 171 Vgl. BMBF (Hrsg.) (2003), S.4ff, vom 26.12.2003. 66 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abbildung 12: Schüler-Lehrer-Verhältnis in Rheinland-Pfalz und im Saarland 20,0 17,5 15,0 12,5 19 89 /9 0 19 90 /9 1 19 91 /9 2 19 92 /9 3 19 93 /9 4 19 94 /9 5 19 95 /9 6 19 96 /9 7 19 97 /9 8 19 98 /9 9 19 99 /2 00 0 10,0 Rheinland-Pfalz Saarland Quelle: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Bad Ems, Statistik der allgemein bildenden Schulen] Zeitreihen zur Schüler-Lehrer-Relation sind nur für Rheinland-Pfalz und das Saarland erhältlich. Zusätzlich stehen über die Kooperation der Statistikämter der Großregion für alle Teilregionen Daten für das Schuljahr 2001/2002 zur Verfügung, die aufgrund der unterschiedlichen methodischen Grundlagen allerdings nicht mit der Zeitreihe für Rheinland-Pfalz vergleichbar sind. Im statischen Vergleich der Teilregionen untereinander stellt sich die Betreuungssituation für das Jahr 2001/2002 für die beiden deutschen Bundesländer wesentlich schlechter dar als für die anderen Teilregionen. Im Saarland kommen im Schnitt etwa 19 Schüler auf einen Lehrer, in Rheinland-Pfalz sind es ungefähr 18. In Wallonien dagegen muss sich ein Lehrer durchschnittlich nur um ca. 8 Schüler kümmern und kann deshalb jeden Schüler intensiver betreuen. Grund dafür ist die eher ländliche Siedlungsstruktur in Wallonien. Eine geringe Klassengröße ist insbesondere im Primarbereich wichtig, da hier auf die Schüler, die zum Teil erhebliche Entwicklungsunterschiede aufweisen, individueller eingegangen werden muss, um so den Grundstein für späteres Lernverhalten zu legen. In Hinblick darauf überraschen die Ergebnisse für Luxemburg, Rheinland-Pfalz und Wallonien, wo die Klassen im Primarbereich größer sind als die im Sekundarbereich. Zieht man die Entwicklung des Indikators für Rheinland-Pfalz und das Saarland hinzu, zeigt sich eine leicht negative Tendenz, da ein Lehrer in Rheinland-Pfalz im Schuljahr 1999/2000 einen Schüler mehr betreuen muss als zehn Jahre zuvor. Im Saarland stieg die durchschnittliche Klassengröße sogar um drei Schüler. Diese Entwicklung ist mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Bildung 67 6. Analyse der vier Kapitalbereiche prinzipiell negativ zu beurteilen, wobei ein solch geringer Anstieg keine wesentlichen Auswirkungen auf die Unterrichts- und Betreuungsqualität haben dürfte. Die Schüler-Lehrer-Relation ist demzufolge trotz der interregionalen Unterschiede über alle Teilregionen als angemessen zu beurteilen und eröffnet damit die Möglichkeit für eine nachhaltige Bildung. Abbildung 13: Demographische Struktur innerhalb der Erwerbspersonen: Anteil der Erwerbspersonen zwischen 55 und 64 Jahren an den Erwerbspersonen zwischen 25 und 34 Jahren 60 50 40 30 20 10 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien Luxemburg Quelle: Statistisches Bundesamt-Eurostat Data Shop Berlin, Eurostat Datenbank New Cronos, Stand: 22. Dezember 2003 Das Verhältnis der älteren zur jüngeren Kohorte liegt in Wallonien und Luxemburg über den ganzen Zeitraum hinweg konstant bei etwa 20% und ist erst in den letzten beiden Jahren auf ca. 25% gestiegen. Auch Lothringen pendelt mit etwas größeren Schwankungen um diesen Wert. Für die beiden deutschen Bundesländer lagen bereits die Ausgangswerte 1990 mit rund 35% weit über denen der anderen Gebiete. Das konstant starke Wachstum der älteren Kohorten im Verhältnis zu den jüngeren hat dazu geführt, dass sich dieser Abstand bis 2002 noch vergrößert hat. Am stärksten war der Anstieg im Saarland. Hier kommen auf eine Erwerbsperson zwischen 55 und 64 zwei Erwerbspersonen zwischen 25 und 34, während es in Luxemburg fünf sind. Der Anstieg der Quotienten lässt sich mit Blick auf die zugrunde liegenden Einzelwerte sowohl auf die steigende Zahl älterer Erwerbspersonen als auch auf die sinkende Zahl jüngerer zurückführen. Während das Saarland und Rheinland-Pfalz momentan unter Umständen noch Vorteile aufgrund der größeren Berufserfahrung eines Großteils der Erwerbspersonen genießen, werden diese beiden Teilregionen in den kommenden zehn Jahren vor dem Problem stehen, dass eben dieses Arbeitskräftepotenzial dem 68 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Jedes Jahr werden größere Kohorten ausscheiden, deren Humankapital durch immer kleinere nachrückende Kohorten ersetzt werden muss. Hintergrund dieser Entwicklung sind insbesondere die demographischen Verschiebungen in der Großregion. Infolge der deutlichen Unterschiede in der Entwicklung der Teilregionen bezüglich dieses Indikators muss auch bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit regional differenziert werden. Für Luxemburg, Wallonien und Lothringen fällt das Urteil positiv aus. Aufgrund der vergleichsweise ausgeglichenen Altersstruktur werden hier auch in Zukunft genügend junge Menschen ins Erwerbsleben eintreten, um die ausscheidenden Erwerbspersonen zu ersetzen. In den beiden deutschen Teilregionen geht dagegen der momentane Trend weg von einer nachhaltigen Entwicklung, was in den nächsten Jahren zu einem Engpass im Bereich des Humankapitals führen könnte. Um dem entgegenzuwirken, wären einerseits Veränderungen in der demographischen Struktur notwendig, die sich vor allem in höheren Geburtenraten äußern müssten. Da sich entsprechende Entwicklungen aber erst mit einer zeitlichen Verzögerung von mindestens 15 Jahren auf die Zahl der Erwerbspersonen auswirken, ist zudem das Bildungswesen gefordert, das zahlenmäßige Missverhältnis durch eine relativ bessere Qualifikation der nachrückenden Kohorten auszugleichen. Abbildung 14: Studierende in naturwissenschaftlichen und technologischen Fachrichtungen an der Universität im Saarland in den Wintersemestern 4.000 3.000 2.000 1.000 0 1990 1991 Mathe & Naturw iss. 1992 Ingenieurw iss. Quelle: Jahrbuch 2003 Saarland Die Studierendenzahlen an den saarländischen Hochschulen in den naturwissenschaftlichen und technologischen Fachrichtungen sind im Laufe der letzten zehn Jahre zurückgegangen. Insbesondere bei den Ingenieurswissenschaften hat sich 69 6. Analyse der vier Kapitalbereiche die Anzahl der Studierenden fast halbiert. Diese Entwicklung ist aus Sicht der Nachhaltigkeit und vor dem Hintergrund des Trends zur Höherqualifizierung und dem notwendigen Strukturwandel hin zum Hochtechnologiebereich negativ zu bewerten. Da viele Branchen auf die kontinuierliche Entwicklung neuer Produkte und damit auf gut ausgebildetes F&E-Personal angewiesen sind, könnte dies zukünftig dazu führen, dass Standortentscheidungen zugunsten anderer Regionen gefällt werden. Eine weitergehende Analyse der Entwicklung der Großregion ist mangels längerer Zeitreihen und aufgrund fehlender Daten für die anderen Teilregionen nicht möglich. Abbildung 15: F&E-Ausgaben pro Beschäftigtem im F&E-Bereich im Unternehmenssektor 110.000 100.000 90.000 80.000 70.000 60.000 50.000 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien Luxemburg Quelle: Statistisches Bundesamt-Eurostat Data Shop Berlin, Eurostat Datenbank New Cronos, Stand: 22. Dezember 2003 Die Bruttoinlandsaufwendungen für F&E beinhalten alle Aufwendungen für Anlagegüter und laufende Ausgaben innerhalb der für F&E vorgesehenen statistischen Einheit. Die Ausgaben werden dabei aufgeschlüsselt nach Einrichtung/Sektor, in dem die F&E-Aktivitäten durchgeführt werden: Wirtschaftssektor, Staatssektor und Hochschulsektor sowie sonstige Institutionen ohne Erwerbszweck. Die F&E- und Innovationsstatistiken basieren derzeit weitestgehend auf dem von der OECD entwickelten methodischen Rahmen (Frascati Handbuch, Oslo-Handbuch etc.)172 Bisher liegen allerdings die Daten für den F&E-Bereich sowohl zum Personal als auch zu den Ausgaben für die gewünschten NUTS-Regionen nur lückenhaft vor. Insbesondere für Luxemburg existieren für den Staatssektor lediglich F&E-Daten für die Jahre 2000 und 2001; 172 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.) ( 2001), S.3ff. 70 6. Analyse der vier Kapitalbereiche für den Unternehmenssektor sind bisher keine Daten erhältlich. Allerdings stehen die Aussichten gut, dass sich die Datenlage infolge einer Ratsentscheidung vom 24. Januar 1994 in den kommenden Jahren verbessern wird. Langfristiges Ziel ist der Aufbau eines europäischen statistischen Informationssystems für Forschung, Entwicklung und Innovation. Abbildung 16: F&E-Ausgaben pro Beschäftigtem im F&E- Bereich im Staatssektor 100.000 87.500 75.000 62.500 50.000 37.500 25.000 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien 1998 1999 2000 2001 Luxemburg Quelle: Statistisches Bundesamt-Eurostat Data Shop Berlin, Eurostat Datenbank New Cronos, Stand: 22. Dezember 2003 Trotz der Unvollständigkeit der Zeitreihen lassen sich Trends bei den Ausgaben im F&E-Bereich ausmachen. Auffällig bei der Betrachtung des Unternehmenssektors ist zum einen der fast parallele Verlauf der Indikatorwerte für Wallonien und Lothringen, wobei die lothringischen F&E-Mittel durchgehend etwa 20.000 Euro unter denen des Spitzenreiters Wallonien liegen. Nach einem leichten Abfall zwischen 1995 und 1997 verzeichnen beide Teilregionen momentan einen mehrjährigen Aufwärtstrend. Noch stärker gestiegen sind die F&E-Ausgaben pro Beschäftigtem in den beiden deutschen Teilregionen, wobei auch hier der fast identische Verlauf auffällig ist. Während die Mittelaufwendungen im Saarland und in Rheinland-Pfalz zu Beginn der 90er Jahre noch auf dem Niveau von Lothringen lagen, näherten sie sich bis 1997 dem von Wallonien an. Ab diesem Zeitpunkt kann mangels Daten keine Aussage über die weitere Entwicklung im deutschen Teil der Großregion gemacht werden. 71 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abbildung 17: F&E-Ausgaben pro Beschäftigtem im F&E- Bereich im Hochschulsektor 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien 1998 1999 2000 2001 Luxemburg Quelle: Statistisches Bundesamt-Eurostat Data Shop Berlin, Eurostat Datenbank New Cronos, Stand: 22. Dezember 2003 Für den aus Sicht der Ausgabenbeträge weniger bedeutenden Staatssektor zeigt sich folgendes Bild: Die lothringischen und wallonischen Aufwendungen für F&E sind geringer als die in Rheinland-Pfalz und dem Saarland, wobei diesmal Wallonien mit seinen Ausgaben etwa 10.000 Euro pro Person hinter Lothringen liegt. Insgesamt ist für alle Regionen ein Aufwärtstrend bei den Staatsausgaben zu beobachten. Auch im Hochschulsektor ist ein Anstieg der Ausgaben zu verzeichnen, wobei Lothringen nach einem starken Rückgang der Mittel inzwischen wieder das Niveau der beiden deutschen Bundesländer erreicht hat. Für Wallonien lassen sich mangels Daten keine Aussagen machen. Die Werte für Luxemburg liegen, wie erwartet, weit unter denen der anderen Teilregionen, da sich der Hochschulsektor und die damit verbundenen Forschungseinrichtungen erst im Aufbau befinden. Steigende F&E-Ausgaben in der Region sind vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Entwicklung positiv zu bewerten, da sich mit den Mitteln auch die Chance erhöht, dass die F&E-Arbeit zu erfolgreichen Ergebnissen führt. Die Auswirkungen werden sich allerdings erst mit zeitlicher Verzögerung bemerkbar machen, wenn sich die Ausgaben in technischem Fortschritt und Innovationen niederschlagen. Die Untergliederung der Ausgaben nach Einrichtungen gibt Auskunft über die unterschiedliche Mittelherkunft in den Teilregionen. Die Gelder aus der Privatwirtschaft fließen fast immer in profitorientierte Forschungsprojekte, die nicht notwendigerweise am Leitbild der Nachhaltigkeit orientiert sein müssen. Dennoch ist der konstante Anstieg in allen Teilregionen 72 6. Analyse der vier Kapitalbereiche aus Sicht einer nachhaltigen Entwicklung positiv zu bewerten, da aufgrund der gewachsenen ökologischen und sozialen Verantwortung der Unternehmen die Ergebnisse des F&E-Prozesses auch der Gesamtgesellschaft zugute kommen dürften, wobei Lothringen das Schlusslicht im Vergleich der Teilregionen bildet. Die Mittel des Staats- und Hochschulsektors fließen dagegen meist in Grundlagenforschung, d.h. das hier generierte Wissen bildet die Grundlage für die angewandte F&E.173 Sie ist nicht an kommerziellen Aspekten orientiert und erhöht somit dem allgemein zugänglichen Wissenstand einer Gesellschaft. Auch hier ist die Entwicklung aufgrund des stetigen Anstiegs der Finanzierungsmittel in allen Teilregionen positiv zu bewerten. 6.1.4 Wechselwirkungen innerhalb des Humankapitals Innerhalb des Bereichs Humankapital existieren zahlreiche Interdependenzen, wobei dem F&E-Bereich eine zentrale Position zukommt. Eine erfolgreiche Forschungsarbeit setzt qualifiziertes Personal voraus. Höhe und Umfang der privaten Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung hängen letztendlich von der Qualität des staatlichen Bildungsangebotes und den an den Universitäten vermittelten Fähigkeiten von Wissenschaftlern sowie einem adäquaten Fächerangebot ab.174 Daneben kann auch ein umgekehrter Zusammenhang festgestellt werden, denn Innovationen, d.h. neues Wissen und seine intelligente Anwendung, müssen verstärkt zurück in die Bildungsarbeit transferiert werden.175 Sie erhöhen damit den Bestand an gesellschaftlichem Wissen, der im Rahmen der Bildung weitergegeben werden kann. Gleichzeitig bewirken sie das Entstehen neuer Berufsbilder und machen eine Ausweitung der Ausbildungsangebote und Studiengänge erforderlich. In gleicher Weise beeinflussen die veränderten Anforderungen infolge von Innovationen auch den Bereich Weiterbildung. Die Beschäftigen im F&E-Bereich haben zwar selbst Weiterbildungsbedarf, erzeugen aber im Wesentlichen einen abgeleiteten Bedarf für andere Beschäftigtengruppen. Dazu gehören zum Beispiel die Facharbeiter, die neue Verfahren in der Produktion erlernen und umsetzen müssen.176 Die Weiterbildungsaktivitäten bauen wiederum auf dem im Rahmen der schulischen Ausbildung erworbenen Grundwissen auf. Dieses ist nicht nur Grundstein für betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen, sondern auch Voraussetzung für andere Arten der weiterführenden Qualifikation. So ist der Abschluss des ISCED-Niveaus 3-4 Bedingung für die Zulassung zu einem Hochschulstudium. Je mehr Studierende es wiederum zu einem Zeitpunkt gibt, desto mehr Fachkräfte wird es einige Jahre später geben. 173 Vgl. European Commission (2003), vom 15.12.2003. Vgl. Pfeiffer, F., et al. (1999), S.28. 175 Vgl. BMBF (Hrsg.) (2002), S. 11, vom 26.12.2003. 176 Vgl. Pfeiffer, F., et al. (1999), S.125. 174 73 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.2 Naturkapital 6.2.1. Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes 6.2.1.1. Definition des Naturkapitals Das Naturkapital stellt eine Erweiterung des klassischen Produktionsfaktors Boden dar. Als Synonym kann der Begriff des Naturvermögens 177 angesehen werden. In dieser Arbeit sollen unter Naturkapital in Anlehnung an die weite Abgrenzung im Rahmen der „Integrierten Volkswirtschaftlichen und Umweltgesamtrechung“ (System for Integrated Environmental and Economic Accounting, SEEA) der Vereinten Nationen die Bestandteile und Leistungen der natürlichen Umwelt verstanden werden, die Menschen tatsächlich ökonomisch nutzen oder potenziell nutzen können.178 Dabei wird unter natürlicher Umwelt ein System verstanden, das die Elemente Lebewesen, Luft, Gewässer und Boden sowie deren wechselseitigen Beziehungen untereinander umfasst.179 Der Mensch nutzt die natürliche Umwelt, indem er ihr Ressourcen entnimmt und den Boden als Standort für die Güterproduktion und als Lebensraum verwendet. Darüber hinaus dient die natürliche Umwelt als Senke, sie absorbiert stoffliche und energetische Rückstände von Produktion und Konsum.180 Senken stellen damit eine Dienstleistung der Natur dar, die als Input für den Produktionsprozess benötigt wird. Die SEEA unterscheidet in diesem Zusammenhang Ressourcenfunktionen, Senkenfunktionen und (Dienst-)Leistungsfunktionen, wobei die Nutzung der Natur als Standort damit der Ressourcenfunktion zugeordnet wird.181 Bei der Umweltnutzung durch den Menschen treten quantitative und qualitative Änderungen des Naturkapitals auf. Bestände und Qualitäten verringern oder vermehren bzw. verbessern oder verschlechtern sich. Hoffmann-Kroll et al. folgend, lassen sich drei Blickwinkel bei der Beschreibung des Umweltzustandes, also der Qualität des Naturkapitals unterscheiden: Funktionsfähigkeit bzw. Funktionalität, Struktur und Stoffe. Aus dem Blickwinkel der Funktionalität sollen Aussagen gemacht werden, inwieweit die Ökosysteme als Ganze funktionieren. Visuell erfassbare, äußerliche Merkmale und Kennzeichen von Landschaften und Ökosystemen, die auf menschliche Aktivitäten hindeuten, werden unter dem Blickwinkel der Struktur erfasst. Der dritte Blickwinkel 177 Vgl. Ritter, L. et al. (2002), S.271ff. Vgl. Ritter, L. et al. (2002), S.271. 179 Vgl. Gabler (2000), Eintrag: natürliche Umwelt, S.2206. 180 Vgl. Gabler (2000), Eintrag: natürliche Umwelt, S.2206. 181 Vgl. United Nations et al. (Hrsg.) (2003), S.5, vom 24.01.2004. 178 74 6. Analyse der vier Kapitalbereiche schließlich, der stoffliche, zielt auf eine Erfassung stofflicher Belastungen der Elemente der natürlichen Umwelt.182 Die im Rahmen dieser Arbeit verwendete weite Definition des Naturkapitals umfasst sowohl produzierte wie auch nichtproduzierte Bestandteile an Naturkapital. Sie geht damit über Definitionen hinaus, die unter Naturkapital nur jenes Vermögen verstehen, „das ohne menschliche Aktivität einfach vorhanden ist, aus dem Menschen Bedürfnisbefriedigung und Nutzen ziehen können“183. In vielen Fällen ist aufgrund der Tatsache, dass der Mensch massiv in die Natur eingegriffen hat und eingreift, eine Unterscheidung von produziertem und nichtproduziertem Naturkapital, also von einem solchen, das durch menschliche Aktivität geschaffen bzw. geformt wurde, und einem ohne menschliche Eingriffe einfach vorhandenen Naturkapital, nicht möglich oder wenigstens schwierig. Daher soll auf die weite Definition zurückgegriffen werden. 184 Im Rahmen der Land- und Forstwirtschaft v.a. hat der Mensch begonnen, Pflanzen und Tiere zu „kultivieren“ bzw. zu „bewirtschaften“. Diese Kapitalform, die aus Produktionsprozessen hervorgegangen ist und hervorgeht, kann als Kategorie zwischen Naturund Sachkapital angesehen werden. Es handelt sich also bei „Nutzwäldern, Nutzvieh, Nutzpflanzen, Fischbeständen in Fischteichen usw.“185 um produziertes bzw. „kultiviertes Naturkapital“186. Da auch das Sachkapital Ergebnis von Produktionsprozessen ist, ergibt sich an dieser Stelle ein Problem der Abgrenzung von Natur- und Sachkapital. Auch wenn angenommen wird, dass das kultivierte Naturkapital in seinen wesentlichen Charakteristika dem „echte[n] Naturkapital“187 entspricht, wohingegen das Sachkapital sich in seinen Eigenschaften deutlich vom ursprünglichen Ressourceninput unterscheidet, bleiben vermutlich Fälle bestehen, in denen eine eindeutige Abgrenzung schwierig ist. Insofern soll das kultivierte Naturkapital an den Stellen, an denen dies notwendig erscheint im Hinblick auf eine Beurteilung der Entwicklung in der Großregion bzw. den einzelnen Regionen, gesondert betrachtet werden. Die Abgrenzungen zum Human- und Sozialkapital gestalten sich sehr viel leichter. Human- und Sozialkapital bezeichnen Vermögensbestandteile, die allein Menschen und Beziehungen von Menschen untereinander umfassen. Der Begriff des Naturkapitals hingegen impliziert stets, dass wenigstens ein nicht menschliches Element im betrachteten System enthalten ist. 182 Vgl. Hoffmann-Kroll, R. et al. (1997), S.700. Szerenyi, T. (1999), S.11. 184 Darüber hinaus sei darauf verwiesen, dass der Mensch als Lebewesen zugleich auch Teil der natürlichen Umwelt ist und in das Beziehungsgeflecht eingebunden ist. Siehe die oben genannte Definition der natürlichen Umwelt. Zu den Abgrenzungsschwierigkeiten vgl. weiterhin die Definitionen von Natur und Umwelt in Morosini, M. et al. (2002), S.31ff. 185 Costanza, R. et al. (2001), S.126. 186 Costanza, R. et al. (2001), S.126. 187 Costanza, R. et al. (2001), S.126. 183 75 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Damit liegt dieser Arbeit eine Definition des Naturkapitals zugrunde, die sich vermutlich präziser mit dem Begriff des „Umweltkapitals“ umschreiben ließe.188 Da sich in anderen Arbeiten, in denen ebenfalls das Vier-Kapital-Modell gewählt wurde, und in der Literatur im Allgemeinen der Begriff des Naturkapitals durchgesetzt hat, soll dieser auch in der vorliegenden Arbeit verwendet werden. 6.2.1.2. Komponenten des Naturkapitals Typologie und Systematik Unterschiedlichen Umsetzungen des Kapitalmodells bzw. Sätzen von Umweltindikatoren liegen verschiedene Systematiken zugrunde. So lassen sich eine Betrachtung einzelner Elemente der natürlichen Umwelt und eine Betrachtung systemischer Zusammenhänge als zwei mögliche Blickwinkel unterscheiden.189 Werden einzelne Elemente betrachtet, so lassen sich als Hauptkomponenten des Naturkapitals Boden, Wasser, Luft, Tier- und Pflanzenwelt sowie Klima feststellen.190 Die einzelnen Elemente können den Umweltnutzungsarten – Ressourcen, Standort und Senken – bzw. den Naturfunktionen zugeordnet werden. Danach ergeben sich als Naturkapitalkomponenten natürliche Ressourcen (fossile und mineralische Bodenschätze; biotische Ressourcen: Holzvorräte, Fischbestände, Flora und Fauna in natürlichen Lebensräumen; Grund- und Oberflächenwasser), Bodenfläche sowie (aquatische und terrestrische) Ökosysteme inklusive Atmosphäre.191 Ballschmiter et al. klassifizieren die in der Literatur vorhandenen unterschiedlichen Systematiken anhand mehrerer Subsysteme. Dabei deckten die Subsysteme „Umweltmedien“, „Ökosysteme“, „Stoffströme“ und „Raum“ jeweils die gesamte Umwelt ab.192 Als Subsysteme wurden für die Beschreibung des Naturkapitals in dieser Arbeit die Ressourcen sowie die Umweltmedien Wasser, Boden und Luft ausgewählt.193 Diesen Komponenten werden in der folgenden Beschreibung einzelne Umweltnutzungsarten bzw. Funktionen zugerechnet. Hierauf folgen eine Beschreibung weiterer möglicher Komponenten und eine Erörterung, inwieweit diese Aspekte in die gewählte Darstellung integriert sind. Der ökologische Blickwinkel, d.h. eine Einbeziehung der systemischen Zusammenhänge, wird separat behandelt, wie auch andere weiterführende Überlegungen, die den gewählten Ansatz ergänzen könnten bzw. für die Analyse der Entwicklungen im Bereich des Naturkapitals von Relevanz sind. 188 Vgl. Morosini, M. et al. (2002), S.31ff. Vgl. Hoffmann-Kroll, R. et al. (1997), S.697. 190 Vgl. Bliefert, C. (1997), S.4. 191 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2002), S.45. 192 Vgl. Morosini, M. et al. (2002), S.65. 193 Vgl. Morosini, M. et al. (2002), S.33. 189 76 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Ressourcen Natürliche Ressourcen umfassen gemäß der SEEA-Vermögensklassifikation mineralische Ressourcen und Energieträger (fossile Brennstoffe, metallische und nicht-metallische Mineralien), Bodenressourcen, Wasserressourcen sowie biologische Ressourcen (Holzressourcen, pflanzliche Ressourcen außer Holz, aquatische Ressourcen und Tierbestände außer aquatische Ressourcen).194 Sie bilden die physische Grundlage sämtlicher Produktionsprozesse. Da Wasser wie Boden nicht nur als Ressourcen, sondern in ihrer Eigenschaft als Umweltmedien ebenfalls als Senke (und darüber hinaus als Standort) genutzt werden, sind sie als eigene Komponenten aufgeführt und werden daher unter den Ressourcen nicht ein weiteres Mal erfasst. Die biologischen Ressourcen umfassen sowohl kultivierte wie auch nicht-kultivierte Bestandteile, wobei sich beide Formen in der Empirie nicht immer klar trennen lassen. Neben den Ressourcenbeständen sollen auch die Ressourcenqualitäten erfasst werden. Hierunter sind nicht nur die chemisch-physikalischen Eigenschaften bzw. Zusammensetzungen im Hinblick auf mögliche Nutzungen in Produktionsprozessen oder die ernährungsphysiologischen Eigenschaften bei einigen biologischen Ressourcen zu verstehen, sondern bei den pflanzlichen und tierischen Ressourcen insgesamt auch die biologische Vielfalt. Da die Biodiversität unter dem Gesichtspunkt der Ressourcenqualität in den vorliegenden Ansatz integriert wird, soll hierunter lediglich die Variabilität bzw. Artenzahl gefasst werden und von der Abundanz der Arten abgesehen werden. 195 Ob eine höhere Biodiversität durch die Verteilung von Umweltrisiken zu einer erhöhten Stabilität von Ökosystemen beiträgt,196 ist zwar umstritten. Gleichwohl gilt die Biodiversität als ein Kriterium für das Funktionieren von Ökosystemen.197 Darüber hinaus gehen mit einer sinkenden biologischen Vielfalt auch potenziell nutzbare Ressourcen verloren. Zur Erfassung der Artenvielfalt können Maße der Lebensräume (Habitat), Schlüsselarten (keystone species) und bedrohten Arten herangezogen werden.198 Eine Nachhaltigkeit hinsichtlich der Ressourcennutzung allein, d.h. bei Abstraktion von der Frage der Substituierbarkeit natürlicher Ressourcen durch andere Kapitalformen, ist dann erreicht, wenn der Bestand199 an erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen erhalten bleibt und die Qualität der Bestände nicht abnimmt. Für erneuerbare Ressourcen bedeutet dies, dass die Nutzungsrate nicht über der Regenerationsrate einschließlich der Erhaltungsmaßnahmen der 194 Vgl. United Nations et al. (Hrsg.) (2003), S.511f, vom 24.01.2004. Vgl. Haeupler, H. (1995), S.101ff. 196 Vgl. Klötzli, F. (1995), S.291. 197 Vgl. Haeupler, H. (1995), S.99ff. 198 Vgl. Smith, R. et al. (2001), S.19, vom 11.12.2003. 199 Sofern nicht anders angegeben, bezeichnet der Begriff des Bestandes im Rahmen des Naturkapitals die Quantität im Gegensatz zur Qualität. 195 77 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Menschen liegen darf. Bei nicht erneuerbaren Ressourcen ist die Reichweite über die Zeit zu erhalten200 bzw. sind die aus dem Abbau derselben erzielten Erlöse in erneuerbare Ressourcen zu investieren.201 Können Bestände und Qualitäten nicht in einem Aggregat zusammengefasst werden, so ist bei gegenläufigen Trends das jeweilige Ausmaß der Veränderungen bei der Bewertung hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Entwicklung in die Entscheidung mit einzubeziehen. Wasser Die Komponente Wasser umfasst die Oberflächengewässer wie Seen und Flüsse sowie das Grundwasser.202 Genutzt wird Wasser sowohl als Ressource, als auch als Senke – als Trinkwasser, für die Bewässerung, für industrielle Prozesse, zu Erholungszwecken, zur Abfallbeseitigung und zur Energieproduktion – und dient zudem als Lebensraum aquatischer Organismen.203 Unter quantitativen Gesichtspunkten ist es von besonderem Interesse, ob der Wasserbestand ausreichend groß ist, um die verschiedenen Nutzungsansprüche decken zu können. Hierbei müsste allerdings der Verbrauch den einzelnen Nutzungsarten zugeordnet werden. Sollen „Grenzen für die Nutzung der Ressource Wasser“204 definiert werden, müssten zudem die Region überschreitende Wasserströme in die Analyse mit einbezogen werden. 205 Dies geht über den hier verfolgten Ansatz, der eine Beschreibung des Umweltzustandes und nicht eine Analyse der Pressure-Faktoren verfolgt, hinaus.206 Zudem ist es fraglich, ob eine Änderung des Wasserbestandes im betrachteten, relativ kurzen Zeitraum seit 1990 in der untersuchten Großregion in signifikantem Maße aufgetreten ist. Daher sollen im Bereich des Wassers ausschließlich qualitative Gesichtspunkte untersucht werden, die gerade dann, wenn nicht von dem Ansatz einer starken Nachhaltigkeit ausgegangen wird, in der Zustandsanalyse (in der Region Saar-Lor-Lux) eine größere Rolle spielen. Unter qualitativen Gesichtspunkten kann festgestellt werden, dass die unterschiedlichen Nutzungsarten des Wassers eng miteinander verknüpft sind. Wird Wasser z.B. als Senke genutzt, so nimmt die Qualität in der Funktion des Wassers als Trinkwasser ab. Damit erscheint es vertretbar, bei der Definition der Wasserqualität in der Hauptsache auf die Eignung als Trinkwasser und zur Bewässerung in der Landwirtschaft abzustellen und dies ggf. durch Indikatoren zur Eignung als Lebensraum aquatischer Organismen zu ergänzen. In aller Regel wird damit unter 200 Vgl. Morosini, M. et al. (2002), S.117, sowie Costanza, R. et al. (2001), S.129. Vgl. Da Silva Matos, I., et al. (1997), S.233. 202 Vgl. Da Silva Matos, I., et al. (1997), S.238, sowie United Nations et al. (Hrsg.) (2003), S.511. 203 Vgl. NRTEE (2003), S.24. 204 Da Silva Matos, I.;et al. (1997), S.239. 205 Vgl. Da Silva Matos, I., et al. (1997), S.239. 206 Auf die Frage der grenzüberschreitenden Beziehungen wird unter 6.2.1.3. näher eingegangen werden. 201 78 6. Analyse der vier Kapitalbereiche dem stofflichen Blickwinkel von Qualität der Gehalt an Schad- und/oder Nährstoffen im Grund- und Oberflächenwasser untersucht. Nachhaltig ist eine Entwicklung im Bereich der Wasserqualität dann, wenn sich die Wasserqualität verbessert, wenigstens aber gleich bleibt. Ein politisch definierter Grenzwert für den Stoffgehalt sollte nicht überschritten, sondern nach Möglichkeit im Jahresmittel deutlich unterschritten werden. Boden Der Boden wird zum einen als Standort genutzt, zum anderen aber auch als Senke. Bei seiner Funktion als Standort werden je nach Grad der Untergliederung mehr oder weniger Nutzungsarten unterschieden. Als Hauptkategorien gelten die Siedlungs- und Verkehrsfläche (Gebäude- und Freifläche, Betriebsfläche, Erholungsfläche, Verkehrsfläche und Friedhöfe), die Landwirtschaftsfläche, Wald- bzw. Forstfläche, Wasserfläche sowie sonstige Flächen.207 Erfasst werden können bei der Flächenerhebung die Nutzung oder die Bodenbedeckung. Eine diesbezügliche Unterscheidung ist insofern von Bedeutung, als dass einzelne Bodennutzungen durchaus unterschiedlich bedeckte Flächen enthalten können.208 Bei der Nutzungsart Forst- bzw. Waldfläche werden bspw. auch im Waldgebiet enthaltene Wiesen mitgerechnet. Da die Bodenfläche sich insgesamt in ihrer Größe in der Großregion Saar-LorLux nicht ändert, macht es wenig Sinn, die gesamte Bodenfläche als Indikator zu wählen, also eine aggregierte Bestandsmessung vorzunehmen. Damit wird auch bei dieser Komponente bei der Zustandsbeschreibung im Wesentlichen auf den Qualitätsaspekt abgestellt. Qualitativ betrachtet kann eine Bodenbelastung durch Erosion, Verdichtung, Schadstoffe oder Organismen verursacht werden. Einzelne Nutzungsarten bedürfen unterschiedlicher Beschaffenheiten des Bodens. Hier ist insbesondere im Bereich der Landwirtschaft bzw. bei der Erhebung der potenziell landwirtschaftlich nutzbaren Fläche auf den Nährstoff- wie Schadstoffgehalt im Boden zu verweisen. Unter Schadstoffen werden Schwermetalle und schwer abbaubare organische Verbindungen verstanden, die sich im Boden anreichern und ihn damit belasten. Der Boden kann als Puffer genutzt werden, weil er in unterschiedlichen Mengen Problemstoffe bindet und als Filter wirkt. Kann er nicht mehr als Puffer und Filter verwendet werden, weil seine Möglichkeiten aufgrund von Säureerträgen ausgeschöpft sind, mobilisieren sich Nähr- und Schadstoffe. Mobilisierung dieser Stoffe kann eine Grundwasserbelastung verursachen. Nähr- und Schadstoffe können aber auch aus dem Boden über die Pflanzen verstärkt in die Nahrungskette gelangen. Eine Überlastung des Bodens bringt daher nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Konsequenzen mit 207 Vgl. United Nations et al. (Hrsg.) (2003), S.512f, sowie Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2002), S.2 und S.16ff. 208 Vgl. Smith, R. et al. (2001), S.9. 79 6. Analyse der vier Kapitalbereiche sich.209 Krankheitserregende und genetisch veränderte Organismen können ebenfalls zu einer Gefährdung der Bodenfruchtbarkeit und damit zur Verschlechterung der Bodenqualität führen.210 In der Landwirtschaft oder während Bauarbeiten entstandene Verdichtungen vermindern ebenso die Bodenleistung. Außerdem führt auch fehlender Bewuchs des Bodens zu Erosion und Bodenverlust.211 Nachhaltig ist eine Entwicklung im Bereich des Bodens dann, wenn sich die Qualität verbessert bzw. sie wenigstens gleich bleibt. Anders formuliert besagt diese Regel, dass nicht mehr Stoffe in den Boden freigesetzt werden dürfen, als aufgenommen werden können, die zusätzliche Belastung also nicht höher sein darf als die Assimilationskapazität des Bodens.212 Luft Luft als Medium in der Atmosphäre wird im Wesentlichen als Senke genutzt, ist darüber hinaus bei allen Verbrennungsprozessen (d.h. der Sauerstoff in der Luft) und bei der Photosynthese (CO2) von zentraler Bedeutung. Dabei wird der bodennahe Teil der Atmosphäre (Troposphäre) und damit nur ein Teil des gesamten atmosphärischen Systems in dieser Arbeit betrachtet.213 Damit rücken für die Lebewesen in der Biosphäre (Biogeosphäre) wichtige Prozesse in den Blickwinkel der Betrachtung.214 Unter quantitativen Gesichtspunkten ist allenfalls eine Betrachtung der chemischen Zusammensetzung der Luft denkbar, wovon im Folgenden, zumal in einem Zeitraum von zehn Jahren keine signifikanten Änderungen der wichtigsten Luftbestandteile in der Troposphäre zu erwarten sind, abgesehen werden soll. Somit rückt bei der Luft ebenfalls der qualitative Gesichtspunkt ins Zentrum der Analyse. Hier ist insbesondere die Nutzung der Luft als Senke von Interesse. Unter Luftqualität soll dabei eine Belastung verstanden werden, „[which] does not negatively affect human health“215. Genereller lässt sich formulieren, dass weder Menschen noch andere Lebewesen negativ in ihrer Gesundheit beeinträchtigt werden sollten. Die Entwicklung in einer Region ist bzgl. der Luftqualität dann als nachhaltig anzusehen, wenn die Qualität der Luft wenigstens gleich bleibt, besser aber noch zunimmt. Hierbei ist zu beachten, dass Grenzwerte nicht überschritten werden dürfen. 209 Vgl. Landesamt für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2003), vom 08.12.2003. Vgl. Amt für Umweltschutz des Kantons St. Gallen (2001), vom 07.06.2001. 211 Vgl. Amt für Umweltschutz des Kantons St. Gallen (Hrsg.) (2003b), vom 28.07.2003. 212 Vgl. Morosini, M. et al. (2002), S.117. 213 Die in der Stratosphäre befindliche Ozonschicht wird damit beispielsweise aus der Betrachtung innerhalb dieser Komponente ausgeklammert. Siehe hierzu auch den folgenden Abschnitt zu Energie, Klima und Wald. 214 Vgl. Breckle, S.-W. (1995), S.75ff. 215 NRTEE (2003), S. 22. 210 80 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Energie, Klima und Wald Auch wenn mit den Komponenten Ressourcen, Wasser, Boden und Luft eine nach Ermessen der Autoren umfassende Beschreibung des Gegenstandes möglich ist, soll kurz auf weitere mögliche Komponenten eingegangen werden, die z.T. auch in vorherigen Arbeiten innerhalb des Projektes in Erwägung gezogen wurden. Es sind dies die Komponenten Energie (inkl. einiger Überlegungen zum Naturraumpotenzial), Klima (inkl. einiger anderer abiotischer Ökofaktoren) und Wald.216 Energie wird in aller Regel bei Stromrechnungen und in Indikatorenkatalogen unter den Pressure- bzw. bei alternativen und regenerativen Energiequellen unter Response-Indikatoren berücksichtigt. Es wird etwa auf Energieverbrauch (ggf. einzelner Sektoren) oder Energieeffizienz abgestellt.217 Die Energiegewinnung mittels unterschiedlicher Ressourcen kann als Produktionsprozess angesehen werden, die daraus entstandene Energie mithin als Output und der Verbrauch wiederum als Verteilung des Outputs. Diese Aspekte liegen damit außerhalb des gewählten Ansatzes dieser Arbeit. Energieträger sind allerdings unter den Ressourcen enthalten, so dass das mögliche Potenzial durchaus in die Überlegungen mit eingeht. Bei einigen Energieträgern, etwa Sonne und Wind, sind Änderungen allerdings nicht zu erwarten, jedenfalls nicht im betrachteten Zeitraum, so dass diese nicht als Ressourcen mit in Betracht gezogen wurden.218 Dass das Wasser unter dem Gesichtspunkt der Energiegewinnung nicht miteinbezogen wurde, liegt daran, dass neben möglicher Erfassungsschwierigkeiten und Problemen der Datenverfügbarkeit natürliche Änderungen des Potenzials ebenfalls in einem Zeitraum von zehn Jahren nicht zu erwarten sind und bei anthropogenen Veränderungen die Frage der Bewertung Komplikationen aufwirft. Hier wären ergänzende Indikatoren zu den Auswirkungen der anthropogenen Veränderungen notwendig, die sich möglicherweise nicht in Änderungen der bereits gewählten Indikatoren widerspiegeln. Ähnliche Überlegungen bzgl. des betrachteten Zeitraumes wie bei den Energieträgern Sonne und Wind lassen sich allgemein im Bereich des Klimas anführen. Dieser Faktor ist für einen Vergleich des Entwicklungspotenzials einzelner Regionen sicherlich von Relevanz. Dies impliziert allerdings eine andere als die dieser Arbeit zugrunde gelegte Fragestellung. Die Beurteilung von Schwankungen bedürfte zudem eines Vergleichs mit Daten aus früheren Perioden. Gleiches gilt für die Einbeziehung von (Natur-)Katastrophen wie Überflutungen 216 Vgl. Borsch, S. et al. (2003a), sowie Borsch, S. et al. (2003b). Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2001a), S.6f, vom 30.11.2003, United Nations et al. (Hrsg.) (2003), S.518, vom 24.01.2004, Morosini, M. et al. (2002), S.65ff. 218 Vgl. United Nations et al. (Hrsg.) (2003), S.518. 217 81 6. Analyse der vier Kapitalbereiche und Erosion,219 welche zudem eher dem Bereich von Pressure-Indikatoren zuzuordnen wären. Andere abiotische Ökofaktoren (z.B. regional-geologischer Aufbau, orographische Umweltfaktoren)220 dienen ebenfalls eher einer Beschreibung des Entwicklungspotenzials einer Region. Eine Betrachtung der Entwicklungen der Ozonschicht als klimarelevanter Faktor wäre durchaus wünschenswert, stößt aber zum momentanen Zeitpunkt bei der Operationalisierung auf Schwierigkeiten,221 weshalb hiervon abgesehen wurde. Soweit Wälder als Lieferant der Ressource Holz dienen, sind sie, wie an entsprechender Stelle dargestellt wurde, in der Komponente Ressourcen enthalten. Darüber hinaus übernehmen Wälder weitere Funktionen (z.B. Wasserschutz und Artenschutz)222, die allerdings, wie bei Ökosystemen insgesamt, nicht direkt gemessen werden können.223 Damit ist davon auszugehen, dass sich die Leistungen, die Wälder erbringen, in den betrachteten Umweltmedien bzw. in der Ressourcenqualität, genauer in der Qualität der Wälder, widerspiegeln. Eine separate Aufführung erscheint den Autoren daher als nicht notwendig. Allenfalls für eine detaillierte Ursachenanalyse wäre dies erforderlich, was im Rahmen der vorliegenden Arbeit allerdings nicht geleistet werden kann. 6.2.1.3. Weitergehende Überlegungen Ökosysteme als Bestandteil des Naturkapitals Aufgrund der Schwierigkeiten, die mit dem Versuch einer Erfassung ökosystemarer Zusammenhänge verbunden sind, und wegen des angestrebten möglichst hohen Aggregationsniveaus, wurde davon abgesehen, einzelne Ökosysteme und/oder Landschaften separat zu erfassen und damit ein weiteres Subsystem in den Indikatorensatz zu integrieren.224 Neben der „Überkomplexität“225 stellt sich zudem das Problem einer möglichen doppelten Berücksichtigung, sofern die Subsysteme Ressourcen und Umweltmedien beibehalten werden.226 Gleichwohl wäre eine Unterteilung in einzelne Ökosysteme und/oder Landschaftstypen und eine damit einhergehende separate Erfassung der Daten einzelner relevanter Indikatoren nicht nur aufgrund einer besseren Zuordnung und möglicherweise auch Wahl von Indikatoren sowie von Fragen der Verteilung, wie sie im folgenden Abschnitt erörtert werden, sondern beispielsweise auch deshalb 219 Vgl. United Nations et al. (Hrsg.) (2002), S.19. Vgl. Meyer, D. E. (1995), S.19. 221 Vgl. Smith, R. et al. (2001), S.20. 222 Vgl. Ministerium für Umwelt und Forsten Rheinland-Pfalz (o.J.), vom 28.01.2004. 223 Vgl. NRTEE (2003), S.20. 224 Vgl. Hoffmann-Kroll, R. et al. (1997), S.696ff. 225 Morosini, M. et al. (2002), S.26. 226 Vgl. Smith, R. et al. (2001), S.5. 220 82 6. Analyse der vier Kapitalbereiche wünschenswert, weil damit ein weiterer Aspekt der Biodiversität, die ökosystemare Vielfalt,227 abbildbar wäre.228 Soweit es möglich erschien, wurden ökosystemare Beziehungen, nicht zuletzt in der Analyse und der Betrachtung der Wechselwirkungen, miteinbezogen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass in dieser Hinsicht Weiterentwicklungen des Ansatz möglich und evtl. gar notwendig sind, um das Naturkapital und die Entwicklungen innerhalb desselben besser mit Hilfe von Indikatoren abbilden zu können. Relevanz von Verteilungsfragen Weniger bei der Verteilung der Ressourcen innerhalb einer Region, gleichwohl aber bei der Verteilung von Immissionen spielen Verteilungsfragen eine Rolle, auch innerhalb des gewählten Ansatzes. Diese lassen sich in lokale, temporale und soziale Verteilungsfragen unterteilen. Von Interesse ist dabei zum einen, wie Immissionen lokal innerhalb der Region verteilt sind, da dies auf eine besondere Schädigung an bestimmten Orten hinweist, die mit entsprechenden negativen Auswirkungen für Menschen wie für Flora und Fauna an diesen Orten einhergehen. Damit einher geht auch die Frage, welche Bevölkerungsgruppen (bspw. gestaffelt nach Einkommensgruppen) welcher Umweltbelastung in welcher Höhe ausgesetzt sind, ob etwa ärmere Bevölkerungsschichten stärkere Beeinträchtigungen aufgrund ungünstigerer Wohn- und / oder Arbeitsorte erleiden müssen (soziale Verteilungsfrage). Nicht zuletzt ist die zeitliche Verteilung von Immissionen wie auch Nährstoffen von Relevanz, da es zu temporären Überschreitungen von Grenzwerten bzw. massiven Schwankungen kommen kann. Die Schädlichkeit bzw. Nichtschädlichkeit einer Immission ist abhängig vom Belastungsgrad bzw. der Dosis.229 Aus zeitlichen Gründen sowie aufgrund fehlender Kompatibilität der für einzelne Regionen innerhalb der Großregion Saar-Lor-Lux erhaltenen Daten wurde von einer Einbeziehung dieser Verteilungsfragen, insbesondere der temporalen Verteilung der Immissionswerte, weitestgehend abgesehen. An dieser Stelle besteht daher der Bedarf einer Weiterentwicklung des Indikatorensatzes. Ebenfalls in räumlicher Dimension tauchen bei auf die gesamte Region bezogenen Daten insofern Probleme auf, als dass Ressourcenquantität und -qualität, Artenvielfalt und Qualität der einzelnen Umweltmedien sich auch in einzelnen Ökosystemen bzw. Landschaftstypen unterscheiden können. Verschiebungen zwischen den Ökosystemen und Landschaftstypen, die durch die aggregierten Werte nicht erfasst werden, können allerdings, etwa hinsichtlich der Belastbarkeit oder der Frage der Funktionsfähigkeit für die Beurteilung relevante Änderungen ergeben. Hier ist, 227 Vgl. Schmitz, A., et al. (1998), S.267. Vgl. Haeupler, H. (1995), S.103. 229 Vgl. Guderian, R., et al. (1995), S.59. 228 83 6. Analyse der vier Kapitalbereiche wie bereits oben dargelegt wurde, eine Weiterentwicklung des Ansatzes wünschenswert, aber auch mit Schwierigkeiten der Operationalisierung behaftet. Grenzwerte: Limits perspective vs. tapestry metaphor Bei den Komponenten Wasser, Boden und Luft ist im Rahmen der Nachhaltigkeitsregeln bereits darauf hingewiesen worden, dass bei der Beurteilung der Entwicklungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit Grenzwerte zu beachten sind. Bei einer Analyse der Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Naturkapitalkomponenten wie zwischen den Kapitalformen lässt sich dieser Sachverhalt auf alle Naturkapitalkomponenten ausdehnen. Es existiert demnach eine kritische Masse an Naturkapital, die es wenigstens zu erhalten gilt.230 Diese Grenzwerte sind allerdings in aller Regel nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden eindeutig und losgelöst von Werturteilen bestimmbar, sondern sie werden politisch festgesetzt.231 Aus naturwissenschaftlicher Sicht lassen sich im Bereich des Gesundheits- und Naturschutzes mehrere Arten von Schwellenwerten unterscheiden, wenngleich sich die Arten nicht scharf voneinander trennen lassen.232 Welcher Wert gewählt wird, welche Gewichtung vorgenommen wird, ist eine normative Entscheidung. Daher soll, so politisch festgelegte Grenzwerte existieren, bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit auf diese zurückgegriffen werden. Es darf dabei allerdings nicht übersehen werden, dass es klare Trennlinien, d.h. eindeutig definierte Schwellenwerte, in vielen Fällen eben nicht gibt. Vielmehr sind die festgelegten Grenzen abhängig von der Urteilskraft der Menschen, die hierüber entscheiden, sowie deren Präferenzen. Anthropogene Umweltschädigungen bewirken oft nur graduelle Änderungen in Bestand und / oder Qualität. Der Biologe Davidson hat dies mit der „tapestry metaphor“233 umschrieben, die er als Gegenbild zur „limits perspective“234 entwirft. Räumliche Weiterentwicklung: Außenbeziehungen / Grenzüberschreitungen In räumlicher Perspektive ist eine Weiterentwicklung des Ansatzes in zweierlei Hinsicht denkbar. Zum einen könnten bei Bestandsänderungen Im- und Exporte von Naturkapital in die Analyse integriert werden, um abzuschätzen zu versuchen, inwieweit das vorhandene Naturkapital für die Produktion und Bedürfnisbefriedigung innerhalb der jeweiligen Region ausreicht. Bei der Analyse von Qualitätsänderungen stellen sich insofern Schwierigkeiten der Operationalisierung, als dass nicht mit Sicherheit und nicht zu annehmbaren Kosten festgestellt werden kann, durch welche Aktivitäten welche Immissionen 230 Vgl. Da Silva Matos, I., et al. (1997), S.233. Vgl. Morosini, M. (2002), S.121ff. 232 Vgl. Morosini, M. (2002), S.122f. 233 Davidson, C. (2000), S.439. 234 Davidson, C. (2000), S.438. 231 84 6. Analyse der vier Kapitalbereiche verursacht wurden. In der Analyse sind diese grenzüberschreitenden Aktivitäten insofern zu berücksichtigen, als dass bei möglichen Empfehlungen auf die grenzüberschreitenden Verflechtungen hinzuweisen ist. Der überregionale Charakter der Umweltmedien Wasser und Luft bspw. verlangt auch überregionale Verhandlungen zur Lösung möglicher Umweltprobleme. Ein zweiter Aspekt, um den der Ansatz hinsichtlich der Außenbeziehungen erweitert werden könnte, ergibt sich aus einer globalen sozialen Perspektive, verbunden mit der Frage, welchen Anteil des weltweiten Naturkapitals eine Region verbrauchen bzw. gebrauchen dürfe.235 6.2.2. Indikatorenauswahl 6.2.2.1. Anmerkungen zu den Umweltökonomischen Gesamtrechnungen und zur Frage der Bewertung Die Umweltökonomischen Gesamtrechnungen (UGR) sind als Satellitensystem zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) für die vorliegende Arbeit und den gewählten Vier-Kapital-Ansatz insofern von Interesse, als im Rahmen der UGR auch über eine Erfassung des Bestandes an Naturkapital nachgedacht wird.236 Dabei haben allerdings einzelne Staaten unterschiedliche Elemente der SEEA, die sie für die jeweiligen Gegebenheiten als wichtig erachteten, herausgegriffen und weiterentwickelt, so dass eine staatenübergreifende Analyse hierdurch erschwert wird. Auch sind die Arbeiten insbesondere bei der Erfassung des Naturkapitalbestandes und der -qualität bislang noch am Anfang, so dass für den gewählten Zeitraum kaum auf Daten aus den UGR (bzw. SEEA) zurückgegriffen werden kann. Zudem liegen UGR für die einzelnen Bundesländer bspw. derzeit nicht vor, so dass auch die für einige Jahre vorhandene Materialflussrechnung nicht genutzt werden kann.237 Es ist daher zu hoffen, dass die Bemühungen um eine regionale Untergliederung der UGR fortgeführt werden und dass vergleichbare Arbeiten in Frankreich, Belgien und Luxemburg unternommen werden. Ebenfalls im Rahmen der Entwicklung des SEEA wurde, um zu den VGR vergleichbare Daten zu gewinnen und evtl. gar ein „Ökoinlandsprodukt“ bzw. „Ökosozialprodukt“238 errechnen zu können, erwogen, das Naturvermögen monetär zu erfassen. Teile des Vermögens nach den Systems of National Accounts (SNA) der Vereinten Nationen, die ohnedies monetär erfasst werden, lassen sich dem Naturkapital zuordnen.239 Dies gilt für produziertes Naturvermögen und 235 Vgl. Da Silva Matos, I., et al. (1997), S.240. Vgl. United Nations et al. (Hrsg.) (2003), S.4ff.; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2002), S.45. 237 Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2002), S.139ff. 238 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2002), S.35f. 239 Vgl. United Nations et al. (Hrsg.) (2003), S.553ff. 236 85 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Gegenstände mit Eigentumsrechten, für die folglich ein Marktwert existiert. Eine physische Messung ist, wenigstens in der Theorie, für alle Elemente des Naturkapitals möglich. Gleiches trifft auf die monetäre Bewertung nicht zu. Der Vorteil einer monetären Bewertung läge im einheitlichen Maßstab sowie in der Möglichkeit, relativ leicht aggregierte Größen zu bestimmen. Eine monetäre Erfassung nicht auf Märkten gehandelter Bestandteile des Naturkapitals stößt allerdings auf konzeptionelle und empirische Schwierigkeiten, 240 so dass hiervon auch in der vorliegenden Arbeit Abstand genommen wird. 6.2.2.2. Ressourcen Idealindikatoren Als Idealindikatoren wären bei der Komponente Ressourcen aggregierte Bestände an Ressourcen in physischen und bei auf Märkten gehandelten Ressourcen monetären Einheiten sowie die Anzahl der Arten anzusehen. Dabei wäre es wünschenswert, wenn bei den physischen wie monetären Aggregaten Qualitätsaspekte bereits berücksichtigt wären. Allerdings liegen weder Messungen für derartige Größen vor, noch bestehen anerkannte methodische Ansätze zur Aggregation in diesem Bereich.241 Realindikatoren Es muss daher eine Erfassung einzelner Ressourcen vorgenommen werden. Hierbei soll zunächst das kultivierte Naturkapital betrachtet werden. Ein möglicher Indikator in diesem Bereich ist der Bestand an Nutztieren und Nutzpflanzen in monetärer Einheit als Anteil des Bruttoanlagevermögens. Daten zu diesem Indikator liegen allerdings nicht vor. Darüber hinaus ist es möglich, die Anzahl an Nutztieren und -pflanzen getrennt zu erfassen. Die Zahlen für den Nutztierbestand liegen, aufgeschlüsselt nach einzelnen Tierarten, vor. Um mit Sicherheit eine Aussage hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Entwicklung der Großregion treffen zu können, muss dieser Indikator allerdings ergänzt werden um einen Indikator, der die Qualitätsänderungen anzeigt, da bspw. ein Anstieg der Nutztierzahlen mit einer intensiveren, möglicherweise auch weniger artgerechten Tierhaltung einhergehen könnte (und umgekehrt). Einteilungen der Betriebe in unterschiedliche Qualitätsklassen liegen nach Erkenntnis der Autoren allerdings nicht vor, ebenso wenig Daten zum Gesundheitsstand der Viehbestände. Bei den Nutzpflanzen sind im Wesentlichen Flächendaten verfügbar. Hier können bspw. Rebflächen zur Analyse herangezogen werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Pflanzendichte mit der Zeit nicht oder nur minimal verändert, so dass Änderungen der Flächendaten mit proportionalen Änderungen der Pflanzenanzahl 240 Vgl. Smith, R. et al. (2001), S.9. 86 6. Analyse der vier Kapitalbereiche einhergehen. Ein Indikator, der direkt auf die Qualität der Rebstöcke schließen lässt, liegt nicht vor. Gleichwohl wurde die Rebfläche aufgrund ihrer regionalen Bedeutung als Indikator ausgewählt, zumal zeitlich und räumlich vergleichbare und regelmäßig aktualisierte Daten vorliegen. Ebenfalls, wenigstens in Teilen, dem kultivierten Naturkapital zuzurechnen ist der Wald- bzw. Holzbestand. Als Bestandsgröße könnte hier das Holzvolumen (in Festmeter) als Indikator gewählt werden. Eine Inventur und damit Erfassung des Holzvolumens wurde in Deutschland allerdings zuletzt 1987 vorgenommen und wird derzeit vorbereitet bzw. durchgeführt.242 Alternativ könnten die Stromgrößen Holzeinschlag sowie Nachwuchs und Wiederaufforstungen (Regeneration) gegenübergestellt werden. Zur erstgenannten Größe sind auch Daten erhältlich. Zur Regenerationsrate konnten im Rahmen dieses Projektes aber keine Daten ausfindig gemacht werden, so dass von diesem Ansatz abgesehen werden musste. Daher wurde auch an dieser Stelle hilfsweise auf die Flächendaten zurückgegriffen, die zwar diese Teilkomponente weniger gut erfassen, aber ansonsten alle geforderten Indikatoreneigenschaften aufweisen. Um anhand der Forstfläche Aussagen zur Entwicklung des Holzbestandes (also des Gesamtvolumens an Holz) zu machen, wird davon ausgegangen, dass jede Flächeneinheit durchschnittlich eine ähnlich große Dichte und Masse der einzelnen Bäume aufweist. Der Bestand und die Struktur der Bäume der Forstfläche müssen also insgesamt recht homogen sein. Sind diese Annahmen erfüllt, entwickelt sich die Ressource Holz nachhaltig, wenn die Forstfläche gleich bleibt oder zunimmt. Die Wald- bzw. Holzqualität könnte aus dem stofflichen Blickwinkel durch Schadstoffbelastungen der Bäume (und möglicher anderer Waldpflanzen) bestimmt werden. Aus struktureller Perspektive bietet sich als Indikator der Grad der Schädigungen der Baumkronen, verteilt auf fünf Schadensklassen an, der in den Waldschadensberichten als Indikator verwendet wird. Aufgrund der Verfügbarkeit auch vergleichbarer Daten für die einzelnen Regionen innerhalb der Großregion Saar-Lor-Lux wird auf letztgenannten Indikator zurückgegriffen. Im Rahmen der Klassifizierung von Waldschäden werden die Bäume der Schadensstufen 2 bis 4 untersucht.243 Im Bereich der mineralischen und energetischen Ressourcen wäre eine Erfassung der Bestände einzelner Ressourcen denkbar, in der Großregion ob ihrer wirtschaftlichen Relevanz vor allem der Kohle- und der Eisenerzbestände, auch wenn diese Bedeutung in den letzten Jahren sicherlich abgenommen hat. Ein Problem hierbei liegt in der Schwierigkeit, diese Ressourcenvorkommen zuverlässig zu schätzen. Zudem konnten nur Daten zur Kohleförderung im 241 Siehe auch die Ausführungen über die UGR sowie die Literaturhinweise in den entsprechenden Fußnoten. 242 Vgl. Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft – Institut für Forstökologie und Walderfassung (o.A.), vom 30.01.2004. 87 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Saarland ausfindig gemacht werden. Hierbei stellt sich dann die Frage, welche Schlussfolgerungen aus abnehmenden Förderdaten gezogen werden können. Zudem wird es kaum gelingen, die Abnahme des Bestandes und mögliche Zunahmen bei den erneuerbaren Ressourcen gegeneinander aufzurechnen, wie es die Zinsregel nahe legt, derzufolge Erträge aus der Förderung nichterneuerbarer Ressourcen in erneuerbare Ressourcen investiert werden sollten. Eine monetäre Bewertung einzelner Ressourcenbestände, der erwiesenen Bestände, ist im Rahmen der SNA vorgesehen,244 Daten hierzu liegen allerdings für die einzelnen Regionen nicht vor. Die Qualität der wildlebenden Flora und Fauna könnte aus stofflicher Perspektive mittels Schadstoffbelastungen von Tieren und Pflanzen insgesamt oder einzelner Arten abgebildet werden. Hierzu liegen allerdings keine Daten vor. Ähnliches gilt für die Anzahl der Arten auf der Roten Liste, die sich aus strukturellem Blickwinkel als Biodiversitätsindikator anbietet. Für einzelne Gattungen scheinen Daten vorzuliegen.245 Hierzu wäre allerdings eine ausgiebigere Recherche notwendig, als sie im Rahmen dieses Projektes durchführbar war. Weitere mögliche Indikatoren zur Biodiversität wären die Entwicklung der Anzahl einzelner Schlüsselarten, wobei eine regionsspezifische Auswahl zu treffen wäre, möglicherweise gar eine Auswahl für jedes Ökosystem bzw. jeden Landschaftstyp. Dieser Ansatz wurde daher nicht weiter verfolgt. Die Naturschutzfläche, die wildlebenden Arten als Lebensraum dient und die damit zum Erhalt der Artenvielfalt beiträgt, wird stattdessen als Indikator für Biodiversität und wildlebende Flora und Fauna vorgeschlagen. Daten hierzu liegen für Rheinland-Pfalz vor und wurden für das Saarland angefragt. Aussagen über den Zustand der Naturschutzgebiete sind allerdings mit diesem Indikator nicht möglich. Neben einer Verständlichkeit und gesellschaftlichen Akzeptanz dürfte die Naturschutzfläche auch weitere geforderte Indikatoreneigenschaften aufweisen, da ein räumlicher und zeitlicher Vergleich möglich erscheint sowie eine Abbildung von Wechselwirkungen gegeben ist. Hinsichtlich der Relevanz wäre eine Erfassung der Arten auf der roten Liste vorzuziehen. Besser wäre auch eine Erfassung aller streng geschützten Gebiete, d.h. zusätzlich zu den Naturschutzgebieten gemäß § 23 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) auch der Nationalparke (§ 24 BNatSchG) und der Biosphärenreservate (§ 25 BNatSchG).246 Hierbei ergibt sich allerdings zum einen ein Problem im Auffinden vergleichbarer Definitionen für Frankreich, Luxemburg und Belgien, zum anderen 243 0= keine Schäden (<10%), 1= leicht geschädigt (10-25%), 2= mittelstark geschädigt (25-60%), 3 = stark geschädigt (60-99%) und 4= abgestorben (100%). Vgl. Ministère de l’Environnement Luxembourg (Hrsg.) (1998), S. 39, vom 05.12.2003. 244 Vgl. United Nations et al. (Hrsg.) (2003), S.511ff. 245 Vgl. Ministerium für Umwelt des Saarlandes (o.A.), vom 30.01.2004. 246 Vgl. BBR (Hrsg.) (2002), S.89f., sowie BNatSchG. 88 6. Analyse der vier Kapitalbereiche besteht aufgrund möglicher Überschneidungen die Schwierigkeit, mehrfach gezählte Flächen zu identifizieren und bei Doppelzählung wieder herauszurechnen.247 6.2.2.3. Wasserqualität Idealindikatoren Die Komponente Wasser soll vor allem in stofflicher Hinsicht analysiert werden, wobei zwischen Grundwasser und Oberflächengewässern unterschieden wird. Den Idealindikator, der die Wasserqualität in vollem Umfang anzeigt, gibt es nicht. Es gibt eine Vielzahl von Nähr- und Schadstoffen, die im Bereich des Wassers eine wichtige Rolle spielen und berücksichtigt werden können. Stellvertretend werden im Rahmen dieser Arbeit Indikatoren ausgewählt, die eine Beurteilung der Entwicklung der Qualität des Grundwassers und der Oberflächengewässer zulassen.248 Realindikatoren Prinzipiell können Indikatoren organischer oder anorganischer Stoffe im Wasser gewählt werden, sowohl für Oberflächengewässer als auch für Grundwasser. Viele Stoffe werden aufgrund anthropogener Aktivitäten in die Gewässer eingetragen. Stickstoffverbindungen wie Nitrat und Ammonium sowie Phosphate gelangen unter anderem durch die Verwendung von Düngemitteln in der Landwirtschaft sowie durch gewerbliche Abwässer in die Oberflächengewässer. Hohe Nitratkonzentrationen in Trinkwasser und Nahrung sind gesundheitsschädlich und können Blausucht bei Säuglingen und die Bildung von kanzerogenen Nitrosaminen249 verursachen.250 Unter gewissen chemischen Bedingungen wird Nitrat denitrifiziert. Bei diesen Abbauprozessen können giftige Nitrite auftreten.251 Nitrat trägt außerdem zur Eutrophierung der Gewässer bei, 252 d.h. aufgrund des Nährstoffüberschusses kommt es zu einer vermehrten Algen- und Planktonproduktion, was zu einer erheblichen Sauerstoffreduktion führt. Infolgedessen ist vor allem in stehenden Gewässern ein „Umkippen“ möglich, wenn der Sauerstoff vollständig verbraucht ist.253 Des Weiteren können Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer oder Nickel ins Wasser eingebracht werden. Diese werden meist von der chemischen Industrie im Bereich Farben und Lacke freigesetzt. Eine hohe schädigende, toxische Wirkung im Wasser haben 247 Siehe zum letztgenannten Problem im Zusammenhang mit Daten für Wallonien auch Abschnitt 6.2.3.1. 248 Vgl. Kap. 6.2.1.2. 249 Vgl. Wissenschaft Online (Hrsg.) (2003 a), vom 29.01.2004. 250 Vgl. Landesamt für Umweltschutz des Saarlandes (Hrsg.) (2001), S.2. 251 Vgl. Landesamt für Umweltschutz des Saarlandes (Hrsg.) (2001), S.3. 252 Vgl. IKSMS (Hrsg.) (1999), S.18. 253 Vgl. Wissenschaft Online (Hrsg.) (2003 b), vom 29.01.2004. 89 6. Analyse der vier Kapitalbereiche auch Pestizide, die in der Landwirtschaft zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden. Salze (z.B. Chloride und Sulfate) gelangen in die Gewässer in Form von Abwässern bei der Kalisalzaufbereitung. Das Grundwasser wird unter anderem auf die Bestandteile Nitrat, Sulfat und Alkalimetalle wie Natrium und Kalium hin untersucht.254 Erhöhte Konzentrationen dieser Stoffe sind meist infolge von Düngemitteleinsatz in der Landwirtschaft festzustellen. In der Region Saar-Lor-Lux hat dieser Sektor noch eine relativ große Bedeutung. Insofern wird vermutet, dass Stoffe, die vermehrt im Rahmen der Landwirtschaft sowohl in Oberflächengewässer als auch ins Grundwasser eingetragen werden, für die Großregion besonders relevant sind. Zur Beurteilung der Wasserqualität sowohl von Grund- als auch Oberflächenwasser wird als ein Realindikator die durchschnittliche Nitratkonzentration gewählt, da Nitrat in Düngemitteln in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Auch auf die gesundheitsschädigende Wirkung des Nitrats im Trinkwasser sei an dieser Stelle nochmals hingewiesen. Die Aufbereitung von nitratverunreinigtem Wasser ist zwar durch chemische Verfahren möglich, jedoch sehr teuer.255 Hinsichtlich der notwendigen Eigenschaften eines Indikators erfüllt der Indikator Nitratgehalt die Forderung nach Nachvollziehbarkeit in der Bevölkerung, er hat für die Region – wie oben beschrieben – eine gewisse Relevanz und ist reliabel. Für Teilregionen sind auch Zeitreihen des Indikators vorhanden, so dass eine Aussage über die Entwicklung im Zeitablauf getroffen werden kann. Interregionale Vergleiche sind schwierig, da den Autoren nicht bekannt ist, ob einheitliche technische Messverfahren benutzt werden. Zusätzlich schlagen die Autoren vor, stellvertretend für die große Anzahl von Pestiziden die Konzentration von Atrazin, Diuron und Isoproturon als Hilfsindikator zu wählen.256 Der Indikator hat eine hohe Relevanz im Hinblick auf die Bedeutung der Landwirtschaft in der Großregion. Die drei ausgewählten Pestizidarten gehören neben anderen im Rahmen der neuen EU-Wasserrahmenrichtlinie zu den „prioritär gefährlichen Stoffen zur Prüfung“257, deren Entwicklung zukünftig verstärkt kontrolliert werden soll. Da sich die Datenverfügbarkeit als mangelhaft herausgestellt hat und noch Messprobleme existieren, werden die Pestizide im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter beachtet, sollten aber in zukünftigen Indikatorenkatalogen zur Beurteilung der nachhaltigen Regionalentwicklung Saar-Lor-Lux enthalten sein. Des Weiteren wird der Chloridgehalt als Realindikator gewählt, da die Chloridbelastung insbesondere in der Mosel aufgrund von Produktions- 254 Vgl. Landesamt für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2001), S.34ff. Vgl. Landesamt für Umweltschutz des Saarlandes (Hrsg.) (2001), S.2. 256 Vgl. Landesamt für Umweltschutz des Saarlandes (Hrsg.) (2002), S.4. 257 Umweltbundesamt (Hrsg.) (2003), vom 29.01.2004. 255 90 6. Analyse der vier Kapitalbereiche rückständen der Sodafabriken im Raum Nancy ein großes Problem darstellt.258 Da die Mosel als typischer Fluss der Großregion bezeichnet werden kann, da alle Teilregionen mit Ausnahme von Wallonien zum Einzugsgebiet gehören, hat dieser Realindikator eine hinreichende Relevanz für diese Arbeit. 6.2.2.4. Bodenqualität Idealindikatoren Ideal wäre eine vollständige Erfassung aller vier, die Bodenqualität beeinträchtigender Faktoren – Schadstoffe oder Organismen, Verdichtung und Erosion. Ein Index auf dem angestrebten Aggregationsniveau ist nicht vorhanden. Auch innerhalb einzelner der genannten Problemfelder liegen keine Indikatoren vor, die eine vollständige Abbildung ermöglichen. Daher muss auf einzelne repräsentative Indikatoren zurückgegriffen werden. Realindikatoren Unter dem stofflichen Blickwinkel ließen sich einzelne Schadstoff- bzw. Nährstoffkonzentrationen im Boden untersuchen. Es gibt jedoch keine Zeitreihen zu diesen möglichen Indikatoren. Einzelne Regionen führten in den betrachteten Jahren zu unterschiedlichen Zeitpunkten Messungen durch. Zudem liegen vielfach keine flächendeckenden Untersuchungen vor. Um bspw. die Umweltrelevanz von Stickstoff beurteilen zu können, müsste der Anteil des mineralischen Stickstoffs im Boden bestimmt werden. Erfasst wird allerdings in Rheinland-Pfalz beim Stickstoff nur der Gesamtgehalt im Boden.259 Daher soll als Indikator die Siedlungs- und Verkehrsfläche vorgeschlagen werden, die aus struktureller Perspektive Aussagen zur Bodenqualität ermöglicht. Obwohl die Siedlungs- und Verkehrsfläche und die versiegelte Fläche nicht gleichgesetzt werden dürfen, weil die Siedlungs- und Verkehrsfläche einen großen Teil unbebauter und nicht versiegelter Fläche, wie z.B. Hofräume, Grünflächen, Seitenstreifen u. a. enthält, lässt sich doch vermuten, dass ein großer Teil der Zunahme bei dieser Flächennutzungsart auf zusätzliche versiegelte Flächen zurückgeht. Die wachsende Siedlungs- und Verkehrsfläche verursacht zudem Verluste der natürlichen Bodenfläche.260 Durch eine Abnahme der Siedlungsdichte infolge von Suburbanisierungsprozessen wird zusätzlich der Lebensraum für Flora und Fauna eingeschränkt.261 Eine damit einhergehende einseitigere Bodennutzung führt wiederum zu einer Abnahme der Bodenqualität. Der gewählte Indikator ist damit relevant und bildet auch die Wechselwirkungen der Dimensionen der Nachhaltigkeit ab. Er ist zudem verständlich. Auch werden 258 Vgl. IKSMS (Hrsg.) (1999), S.27. Auskunft des Landesamtes für Geologie und Bergbau Rheinland-Pfalz vom 22.12.2003. 260 Vgl. Amt für Umweltschutz des Kantons St. Gallen (Hrsg.) (2003a), vom 21.07.2003. 259 91 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Datenerhebungen regelmäßig durchgeführt. Auf die hinsichtlich der Begriffsabgrenzungen zwischen den einzelnen Regionen bestehenden Schwierigkeiten wird in der Analyse im Abschnitt 6.2.3. näher eingegangen. 6.2.2.5. Luftqualität Idealindikatoren Ideal wäre in diesem Bereich ein Indikator, der die Qualität der Luft direkt ausdrücken könnte. Es müssten Luftqualitätsindizes vorhanden sein, die sowohl über eine längere Periode, als auch für alle Regionen vorhanden wären. Zusätzlich müsste dieser Indikator auch alle relevanten Aspekte der Luftqualität umfassen. Den gewünschten direkten Indikator für Qualität gibt es nicht, da vielfältige Faktoren auf die Luft einwirken. Insbesondere sind diese negativer, die Luft verschmutzender Art, die die Qualität mindern. Deshalb zeigt diese Arbeit die Belastung der Luft durch einen ausgewählten Schadstoff an. Realindikatoren Mögliche Realindikatoren sind alle Arten von Schadstoffen, die negative Auswirkungen auf den Menschen und Ökosysteme haben. Es kann also u.a. die Ozon-, Stickstoffoxid-, Staub- und Schwefeldioxidbelastung der Luft untersucht werden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die zu beobachteten Schadstoffe in der Gegenwart noch signifikante gesundheitsschädigende Werte aufweisen. Teilweise sind in der Vergangenheit schon Maßnahmen ergriffen worden, die Belastung zu reduzieren und die Werte schwanken heute weit unterhalb der festgelegten Grenzwerte (gemäß BImSchV oder Richtlinien des Rates der Europäischen Union). Die meisten der oben beispielhaft genannten Schadstoffe haben inzwischen an Gewicht bei der Bewertung der Luftqualität verloren, da sie in den letzten Jahren massiv zurückgegangen sind.262 Heute liegen sie zumeist von einzelnen kurzfristigen Schwankungen (z.B. Ozon im Sommer 2003) abgesehen, unterhalb der festgelegten Grenzwerte. Der einzige Schadstoff, der noch als gängiger Verkehrsindikator eine Relevanz aufweist, ist Stickstoffdioxid (NO2) aus dem Bereich der Stickstoffoxide (NOx).263 Wichtiger zur Begutachtung der menschlichen Gesundheit wäre aktuell der Feinstaub PM10.264 Hierbei handelt es sich um feinste Partikel, die sowohl menschlichen (z.B. Getreideproduktion und lagerung) wie auch natürlichen (z.B. Blütenpollen) Quellen entstammen können. Das Gefährliche an diesen Feinstaubpartikeln ist, dass sie sich mit Luftschadstoffen verbinden können und durch ihre geringe Größe sogar in die 261 Vgl. BBR (Hrsg.) (2002), S.107ff., sowie zur Frage der Verteilung Abschnitt 6.2.1.3. Vgl. Müller-Jung, J. (2004), S.N1. 263 Auskunft von Herrn J. Junk, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Klimatologie des FB VI der Universität Trier, vom 16.12.2003. 264 Vgl. Müller-Jung, J. (2004), S.N1. 262 92 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Lunge eindringen und sich dort festsetzen können. Zeitreihen der PM10 oder PM2,5-Werte sind jedoch noch nicht vorhanden, da eine Messung aufgrund freiwilliger Selbstverpflichtungen in Deutschland erst seit 2001 betrieben wird. Auf europäischer Ebene müssen festgelegte Grenzwerte erst Anfang 2005 erreicht werden.265 Im Rahmen dieser Arbeit wird der NO2-Gehalt der Luft als Realindikator der Qualität herangezogen. Er besitzt zum einen als Verkehrsindikator noch immer eine gewisse Relevanz, vor allem in Ballungsgebieten, andererseits sind hier auch Daten über eine längere Spanne vorhanden, da der Indikator bereits seit mehreren Jahren gemessen wird. NO2 entsteht bei Verbrennungsprozessen (z.B. Autoverkehr, industrielle Produktion), in denen sich der vorhandene Luftstickstoff mit dem Luftsauerstoff zu Stickstoffmonoxid NO verbindet. NO reagiert in Folge sehr schnell mit dem Sauerstoff der Luft zu Stickstoffdioxid NO2.266 Die EURichtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22.04.1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft besagt, dass die Jahresmittelwerte für Stickstoffdioxid (NO2) nicht mehr als 40 µg/m³ betragen dürfen. Dieser Grenzwert ist bis zum 31.01.2010 flächendeckend zu erreichen.267 Hinsichtlich der Indikatoreneigenschaften und -anforderungen, die im Rahmen dieser Arbeit betrachtet werden, ist der NO2-Gehalt wie schon erwähnt relevant zur Bewertung der Luftqualität, die Datenverfügbarkeit ist in allen Teilregionen gewährleistet. Auch eine regelmäßig aktualisierte und hochwertige Datengrundlage ist vorhanden. Werte zur Luftqualität werden von den einzelnen Messstationen ständig erhoben und für unterschiedliche Interessenlagen differenziert aufgearbeitet (z.B. Berechnung von Monats- und Jahresmittelwerten, Maximalwerte in bestimmten Zeitperioden). Der Indikator dürfte für die Bevölkerung nachvollziehbar sein, denn die negative Wirkung auf die Gesundheit ist erwiesen, so dass einsichtig ist, dass eine steigende NO2-Konzentration belastend für die Gesundheit sein kann. Begrenzt aussagefähig ist der Indikator im Bereich der Wechselwirkungen, da eine gewisse NO2-Konzentration nicht nur an den Orten beobachtet wird, in denen sie auch entstanden ist. Sie ist also nicht vollständig regional beschränkt, wenn auch in Gegenden mit starkem Verursacheraufkommen höhere NO2-Konzentrationen beobachtet werden. Zeitliche Vergleiche sind aufgrund der Daten ohne weiteres möglich, räumliche Vergleiche z.B. zwischen den Teilregionen sollten möglichst unterlassen werden. Es werden unterschiedliche Messmethoden angewendet, die eine räumliche Vergleichbarkeit vereiteln. 265 Vgl. Helbig, A.; et al. (2003), S.43f. Vgl. Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (o.A. a), vom 15.01.2004. 267 Vgl. Luftqualitätsrichtlinie, Anhang II. 266 93 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.2.3. Graphische Darstellung und Analyse 6.2.3.1. Ressourcen Forstfläche und Waldschäden Abbildung 18: Anteil der Forstfläche in der Region Saar-Lor-Lux an der Gesamtfläche (in %) 45 40 35 30 25 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien Luxemburg Quelle: Eurostat Datenbank NewChronos, INSEE – Direction Régionale de Lorraine et al. (o.A.), eigene Berechnungen, vom 11.01.2004. Wie aus der obigen Abbildung ersichtlich wird, hat sich die Forstfläche nicht stark verändert. In Wallonien ist sie leicht zurückgegangen, dagegen ist in RheinlandPfalz ein Anstieg zu vermerken. Lothringen verzeichnet bis 1998 tendenziell einen Anstieg, ab 1999 jedoch einen leichten Rückgang der Forstfläche. Dennoch befinden sich die Zahlen zur Forstfläche im Jahr 2002 noch auf einem höheren Niveau als Anfang der 90er Jahre. Im Saarland stagnierte die Forstfläche. In Luxemburg ist sie kurzfristig zurückgegangen, im Jahr 2001 wieder auf den alten Wert gestiegen. In Rheinland-Pfalz und Luxemburg ist der Anteil der deutlich geschädigten Bäume (Stufe 2 bis 4) in der beobachteten Periode insgesamt stark angestiegen, wobei das Saarland nach einem anfänglichen Anstieg seit 1995 einen sinkenden Anteil von deutlich geschädigten Bäumen aufweist. Im Falle Walloniens wurden Laubbäume und Nadelhölzer getrennt voneinander untersucht. Beide Arten unterliegen im beobachteten Zeitraum starken Schwankungen, welche aber ungefähr gleichgerichtet sind (1989-91: steigende Tendenz, bis 1994 bzw. 1995 fallende Tendenz). 1996 liegen die Werte schließlich wieder annähernd auf dem Anfangsniveau der Beobachtung von 1989, für Laubbäume mit einer fallenden, 94 6. Analyse der vier Kapitalbereiche bei den Nadelhölzern mit einer steigenden Tendenz. Für Lothringen liegt nur ein Wert vor, so dass keine Aussage zur Entwicklung gemacht werden kann. Abbildung 19: Entwicklung der Waldschäden in Rheinland-Pfalz, Saarland, Luxemburg und Wallonien. Anteil der deutlich geschädigten Bäume (Stufen 2-4, bestehend aus mittelstark und stark geschädigten sowie abgestorbenen Bäumen) 40 30 20 10 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Rheinland-Pfalz 1) Saarland 2) Wallonien 4) (Laub) Wallonien (Nadel) Luxemburg 3) Quellen: Ministerium für Umwelt und Forsten Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2003), Statistisches Landesamt Saarland (1999), vom 10.01.2003, Ministère de l'Environnement Luxembourg (Hrsg.) (1998), vom 10.01.2004, Ministère de la Région wallonne (1996), vom 14.01.2003, Statistisches Landesamt Saarland et al. (2000). Probleme sind lediglich in der Datenbeschaffung für Lothringen aufgetreten. Ansonsten scheint die Beobachtung der Waldschäden mit Hilfe des Stufenschemas in den Teilregionen relativ einheitlich praktiziert zu werden. Da die Forstfläche stellvertretend für den Bestand an Holz steht, können keine Aussagen über die Qualität der jeweiligen Bestände gemacht werden. Dazu wird der Waldzustand gemessen an beobachteten schadhaften Bäumen herangezogen. Steigt der Bestand an Forstfläche, ist also noch nicht gesagt, dass der Holzbestand sich verbessert hat. Dies ist nur der Fall, wenn dabei die Qualität im Sinne einer Reduktion oder eines Gleichbleibens der Waldschäden konstant geblieben oder angestiegen ist. Nach den getroffenen Annahmen und Definitionen ist die Entwicklung der Forstfläche in Wallonien nicht nachhaltig, in den anderen Teilregionen schon, denn tendenziell ist sie dort angestiegen oder zumindest gleich geblieben. Allerdings ist die Abnahme in Wallonien marginal und damit zu vernachlässigen. Ist darüber hinaus auch in anderen Bereichen der Holzvorrat pro Hektar gestiegen, wie es im Wirtschaftswald in Rheinland-Pfalz in den vergangenen 30 Jahren der 95 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Fall war,268 so wird diese Beurteilung zusätzlich gestärkt. Gleichwohl liegen dazu Daten für die übrigen Regionen und für nicht zum Wirtschaftswald gehörige Waldgebiete in Rheinland-Pfalz nicht vor. Wenn die Anzahl der deutlich geschädigten Bäume ansteigt, ist die Entwicklung definitionsgemäß nicht nachhaltig. Somit kann in Rheinland-Pfalz und Luxemburg nicht von Nachhaltigkeit gesprochen werden, während das Waldschadensniveau im Saarland seit 1995 in Richtung Nachhaltigkeit geht. Bei Lothringen sind wegen Datenmangels keine Aussagen möglich. In Wallonien ist die Entwicklung der Schädigung von Nadelhölzern nachhaltig, denn über den beobachteten Zeitraum sind die Anzahl der geschädigten Bäume, wenn auch unter Schwankungen, stark zurückgegangen. Bei den Laubbäumen ist die Entwicklung bis 1993 nachhaltig, ab 1994 steigen die Werte der Bäume mit deutlicher Schädigung, so dass der Prozess nunmehr nicht mehr nachhaltig ist. Eine genaue Aussage über die nachhaltige Entwicklung der Teilregionen ist schwierig, da ein gewisser Anteil Waldschäden nicht ohne weiteres mit einer Zunahme der Forstfläche aufgerechnet werden kann. Definitionsprobleme dieser Art ergeben sich für Rheinland-Pfalz und Luxemburg (Forstfläche nachhaltig, Waldzustand nicht). Nachhaltig ist die Entwicklung im Saarland, da zumindest seit 1995 der Anteil der deutlich geschädigten Bäume kontinuierlich zurückgegangen ist, während die Forstfläche konstant blieb. Für Lothringen ist eine kombinierte Betrachtung der beiden Indikatoren nicht möglich, da für die Waldschäden nur ein einziger Wert vorliegt. In der Teilregion Wallonien ist die Entwicklung vermutlich nicht nachhaltig, da die Forstfläche zurückgegangen ist und der Zustand der Laubbäume eine Verschlechterung erfuhr. Nur wenn die Nadelhölzer, bei denen die Schädigung in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist, einen sehr hohen Anteil an den gesamten Bäumen einnimmt, kann die Entwicklung hier noch nachhaltig sein. Rebfläche Nach einem anfänglich leichten Anstieg der Rebfläche in Rheinland-Pfalz bis 1992 nimmt sie seitdem fortwährend ab (Ausreißer 1997-98: einmalig Gleichbleiben und Wiederzunahme). In Luxemburg, Lothringen und dem Saarland bleibt die Fläche konstant, abgesehen von den Jahren 1994/95, in denen in Lothringen ein etwas niedrigerer Wert (300 ha) als in den übrigen Jahren vorliegt, und 1992-94, wo in Luxemburg ein etwas höherer Wert vorliegt. Weinanbau scheint in der Teilregion Wallonien nicht betrieben zu werden, teilweise sind die Daten nicht verfügbar bzw. vertraulich. In Rheinland-Pfalz geht die Rebfläche zurück, der Bestand an Weinstöcken entwickelt sich gemäß der getroffenen Definition nicht nachhaltig. 268 Vgl. Ministerium für Umwelt und Forsten Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (1998), S.18. 96 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abbildung 20: Entwicklung der Rebfläche gemessen an der Gesamtfläche (in %) 4 3 2 1 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Rheinland-Pfalz Saarland Luxemburg Lothringen Quelle: Eurostat Datenbank NewChronos, INSEE – Direction Régionale de Lorraine et al. (o.A.), eigene Berechnungen, vom 11.01.2004. Für die übrigen Teilregionen kann von nachhaltiger Entwicklung gesprochen werden, denn die Fläche bleibt abgesehen von einer temporären Änderung in Luxemburg und Lothringen gleich. Der Indikator scheint sich jedoch am ehesten für Rheinland-Pfalz und Luxemburg zu eignen, denn in den anderen Teilregionen macht die Rebfläche gemessen an der Gesamtfläche nur einen verschwindend geringen Anteil aus (z.B. Saarland: 1 km²). Über die wirtschaftliche Bedeutung des Weines kann aufgrund dieser Flächendaten nicht immer eine treffsichere Aussage gemacht werden. Möglich ist ein Rückschluss im Falle des Saarlandes und Lothringens, denn bei einer derart geringen Rebfläche kann diese Ressource keine große Rolle spielen. Bei Rheinland-Pfalz ist der Wein eine bedeutende Sonderkultur. Dieses Bundesland ist innerhalb Deutschlands der größte Weinhersteller.269 Naturschutzfläche Daten liegen für die Naturschutzfläche nur für Rheinland-Pfalz vor. Im beobachteten Zeitraum seit 1994 hat diese dort stark und kontinuierlich zugenommen. Wallonien scheint ebenfalls die Naturschutzflächen zu erheben. Allerdings haben die Autoren Abgrenzungsschwierigkeiten bei den verschiedenen in Wallonien erhobenen Flächen und Daten. Es sei dennoch darauf hingewiesen, dass dort fünf verschiedene Lebensräume von besonderer Bedeutung für die Bewahrung 269 Vgl. Borsch, S. et al. (2003b), S.4. 97 6. Analyse der vier Kapitalbereiche natürlicher Schätze untersucht werden: Heimische natürliche Reserven, Forstreserven, aggregierte natürliche Reserven, Feuchtzonen von biologischem und unterirdische Höhlen von wissenschaftlichem Interesse.270 Unklar ist dabei, welche Abgrenzung der Begrifflichkeit in Deutschland entspricht. Abbildung 21: Entwicklung der Naturschutzfläche in Rheinland-Pfalz (mir fehlt Abbildung?, nur Platzhalter) 25.000 20.000 15.000 10.000 5.000 0 km2 1) Rheinland-Pfalz Saarland Luxemburg Lothringen Wallonien Quellen: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz (2003). Gemäß den getroffenen Definitionen ist die Flächenentwicklung der Naturschutzgebiete in Rheinland-Pfalz nachhaltig. Die entsprechende Fläche hat zugenommen und schafft daher mehr Raum für die Entfaltung der Arten. Ob es dazu in der Realität wirklich kommt, könnte nur ein Qualitätsindikator, der die Artenvielfalt bzw. die Abnahme oder Bedrohung derselben (z.B. Rote Liste) direkt misst, anzeigen. Zu einem solchen Indikator wurden im Rahmen dieser Arbeit allerdings keine in Zeitreihen vorhandenen Daten gefunden. 6.3.3.2. Wasserqualität Vorab sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich die Datenrecherche im Bereich Wasser als sehr problematisch dargestellt hat. In allen Teilregionen werden Daten hinsichtlich der Wasserqualität erhoben. Entsprechende Berichte werden auch bei den jeweiligen Umweltämtern bzw. verantwortlichen Institutionen veröffentlicht, meist sogar im Internet. Allerdings hat sich gezeigt, dass unterschiedliche Darstellungsformen angewandt werden, die nicht miteinander zu verknüpfen sind. Darüber hinaus werden bei der Wasseranalyse auch fachliche Grenzen der Autoren deutlich. Im Folgenden wird deswegen der 270 Vgl. Ministère de la Région wallonne–DGRNE (Hrsg.) (o.A. a), vom 14.01.2004. 98 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Versuch unternommen, Wasserqualität hinsichtlich der Komponenten Grundwasser und Oberflächenwasser für jede Teilregion einzeln zu analysieren. Der Leser sollte sein Augenmerk weniger auf absolute Messergebnisse als auf die relative Entwicklung innerhalb einzelner Regionen richten. Als Orientierung und zur Einordnung der Größenordnung der jeweiligen Konzentrationen sei auf entsprechende Grenzwerte im Trinkwasser hingewiesen. Der Nitratgehalt darf im Trinkwasser nicht größer als 50 mg/l sein.271 Durchschnittliche Nitratkonzentration im Grundwasser Abbildung 22: Nitratgehalt im Grundwasser in der Region Rheinland-Pfalz 350 300 250 200 150 100 50 0 1994 1995 1996 1997 Zahl Messstellen 1998 1999 Anzahl Proben 2000 2001 2002 2003 ØNitratgehalt (mg/l) Quelle: Landesamt für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz (2002), eigene Berechnungen. Wie aus der Grafik ersichtlich wird, hat sich die Nitratkonzentration unter Schwankungen im Beobachtungszeitraum erhöht, insofern kann die Entwicklung in Rheinland-Pfalz nicht als nachhaltig bezeichnet werden. Prinzipiell müssten allerdings weitere Eigenschaften hinsichtlich der Messdaten und deren Datengrundlage überprüft werden. So wird die Datenmenge vom Landesamt für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz selbst als inhomogen bezeichnet.272 Einerseits sind nicht alle Messstellen im ganzen Beobachtungszeitraum im Messprogramm enthalten, andererseits sind die Probeentnahmeintervalle im Zeitablauf auch nicht gleich groß. Gerade beim Grundwasser hat auch die Auswahl der Messstellen im Hinblick auf die jeweiligen geologischen Verhältnisse einen entscheidenden Einfluss auf die Messergebnisse. Standortbezogen sind natürliche Hintergrund- 271 Vgl. Nitratrichtlinie, Anhang I, A.2. Auskunft von Herrn. Plaul, Leiter der Abteilung Grundwasserbeschaffenheit beim Landesamt für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz, vom 28.01.04. 272 99 6. Analyse der vier Kapitalbereiche belastungen von etwa 15 mg/l zu erwarten.273 Auch Umweltbedingungen wie Niederschlag und Verdunstung wirken sich auf die Messergebnisse aus. Trotz der methodischen Probleme durch die Nutzung von Durchschnittswerten als Indikator sei aber darauf hingewiesen, dass auch das Landesamt für Wasserwirtschaft in Rheinland-Pfalz nach detaillierten Analysen zu dem Ergebnis kommt, dass der Nitrateintrag im Grundwasser gerade unter landwirtschaftlichen Nutzflächen „nach wie vor auf zu hohem Niveau stattfindet“274. Abbildung 23: Nitratgehalt im Grundwasser in der Region Saarland Quelle: Landesamt für Umweltschutz des Saarlandes (Hrsg.) (2001), S.5 Es ist den Autoren nicht gelungen Datentabellen mit einzelnen Messwerten für das Saarland zu bekommen. Stellvertretend wird hier auf den Bericht zur Nitratbelastung des Grundwassers im Saarland von 1980-2000 Bezug genommen. Danach ergibt sich eine Entwicklung auf nahezu gleichbleibendem Niveau im Saarland, was also im Rahmen dieser Arbeit als nachhaltig zu bezeichnen ist. Auch für das Saarland wird darauf hingewiesen, dass die Nitratkonzentration unter landwirtschaftlich genutzten Flächen deutlich höher ist.275 Des Weiteren sei auch an dieser Stelle auf die messtheoretischen Probleme hinsichtlich des gewählten Realindikators verwiesen. 273 Vgl. Landesamt für Wasserwirtschaft in Rheinland-Pfalz (2001), S.34. Landesamt für Wasserwirtschaft in Rheinland-Pfalz (2001), S.36. 275 Vgl. Landesamt für Umweltschutz des Saarlandes (Hrsg.) (2001), S.6. 274 100 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abbildung 24: Nitratgehalt im Grundwasser in der Region Wallonien 50 40 30 20 10 0 1996-99 2000-02 ØNitratgehalt (mg/l) Quelle: Ministère de la Région wallonne – DGRNE (o.A. c), eigene Berechnungen, vom 05.01.2004. Für Wallonien liegen die Daten bereits in aggregierter Form für die Zeiträume 1996-99 sowie 2000-02 vor. Wie aus der Grafik ersichtlich ist, hat sich die Nitratkonzentration erhöht, was als nicht nachhaltig bezeichnet werden kann. In Wallonien liegt die natürliche Nitratbelastung bei ca. 10 mg/l. Die Zunahme wird mit Hinweis auf gesteigerte landwirtschaftliche Aktivitäten und punktuelle Umweltverschmutzungen erklärt.276 Für Luxemburg und Lothringen konnten keine Daten hinsichtlich der Nitratkonzentration im Grundwasser gefunden werden. Die Autoren gehen aber dennoch davon aus, dass die Daten erhoben werden. Alleine schon aufgrund verschiedenster EU-Regelungen im Bereich Trinkwasser müssten Daten zur Grundwasserqualität erhoben werden. Durchschnittliche Nitratkonzentration in Oberflächengewässern Anfragen der Autoren z.B. bei der Internationalen Kommission zum Schutz der Mosel und der Saar waren bis Abgabe des Endberichtes nicht erfolgreich. Die Kommission ist als länderübergreifende Institution in der Großregion (mit Ausnahme von Wallonien) für die Wasserqualität von Mosel und Saar zuständig und kann prinzipiell die benötigten Daten zur Verfügung stellen. Leider ist dies bis zum Abschluss dieses Projektes nicht mehr möglich gewesen. 276 Vgl. Ministère de la Région wallonne–DGRNE (2003), S.41, vom 29.01.2004. 101 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abbildung 25: Nitratgehalt in Oberflächengewässern in der Region Rheinland-Pfalz (mg/l) (ist die richtig?) 6 5 4 3 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Palzem (Mosel) Detzem (Mosel) Fankel (Mosel) Koblenz (Mosel) Kanzem (Saar) Ø 2000 Quelle: Landesamt für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2002), S.41 Für Rheinland-Pfalz liegen keine flächendeckenden Messdaten für Gewässer vor. Exemplarisch wird die Entwicklung der Nitratkonzentration von Mosel und Saar in Rheinland-Pfalz dargestellt. Die Daten, die dem Bericht Gewässergüte der Mosel in Rheinland-Pfalz 1964-2000 vom Landesamt für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz entnommen wurden, liegen nicht als Durchschnittswerte sondern als 90-Perzentil-Werte vor.277 Der 90-Perzentil-Wert als ein Verteilungswert sagt aus, dass 90% der Beobachtungswerte unterhalb des angegebenen Wertes liegen. Insofern können die 90-Perzentil-Werte in diesem Fall als eine Art Maximalwert verstanden werden, wobei die höchsten Werte abgeschnitten und nicht betrachtet werden. Da es sich bei den Daten hinsichtlich des Skalenniveaus um metrische Daten handelt, ist es möglich, ein arithmetisches Mittel der 90-Perzentil-Werte einzelner Messstationen in einem Jahr zu berechnen, so dass eine Entwicklung im Zeitablauf deutlich wird. Es ist eine leicht schwankende Entwicklung zu erkennen, wobei gegen Ende der Dekade im Vergleich zu 1990 eine leichte Reduzierung der Nitratkonzentration festgestellt werden kann. Insofern kann von einer nachhaltigen Entwicklung gesprochen werden. 277 Vgl. Landesamt für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2002), S.41. 102 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abbildung 26: Nitratgehalt in Oberflächengewässern in der Region Saarland (welche Abbildung? Hier nur Platzhalter) 50 40 30 20 10 0 1996-99 2000-02 ØNitratgehalt (mg/l) Quelle: Umweltministerium des Saarlandes (2002), eigene Berechnungen. Die Nitratkonzentration der Oberflächengewässer im Saarland zeigt eine leicht schwankende Entwicklung mit sinkender Tendenz, allerdings auf hohem Niveau. Gemäß der in dieser Arbeit gewählten Regel ist diese Entwicklung als nachhaltig zu bezeichnen. Die absoluten Daten liegen allerdings innerhalb des von der Internationalen Kommission zum Schutz der Mosel und der Saar (IKSMS) vorgeschlagenen Güteklassesystems in der mittleren Kategorie, was einer beträchtlichen Belastung entspricht.278 Für Wallonien liegen nur Messdaten für die Jahre 1994 und 2000 vor. Es zeigt sich eine minimale Erhöhung der durchschnittlichen Nitratkonzentration. Die Erhöhung ist allerdings sehr gering und es liegen nur zwei Werte vor, so dass keine Aussage zur Nachhaltigkeit getroffen werden kann. Für Luxemburg und Lothringen wurden keine Daten hinsichtlich der Nitratkonzentration in den Oberflächengewässern gefunden. 278 Vgl. IKSMS (Hrsg.) (1999), S.8. 103 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abbildung 27: Nitratgehalt in Oberflächengewässern in der Region Wallonien 50 40 30 20 10 0 1996-99 2000-02 ØNitratgehalt (mg/l) Quelle: Ministère de la Région wallonne – DGRNE (o.A. d), eigene Berechnungen, vom 05.01.2004. Durchschnittliche Chloridkonzentration in Oberflächengewässern Abbildung 28: Chloridgehalt in Oberflächengewässern in der Region Rheinland-Pfalz (durchschnittliche Chloridkonzentration mg/l) 600 500 400 300 200 100 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Palzem (Mosel) Detzem (Mosel) Fankel (Mosel) Koblenz (Mosel) Kanzem (Saar) Ø 2000 Quelle: Landesamt für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2002), S.57 Wie die Grafik zeigt, hat sich die Chloridkonzentration bei Mosel und Saar in Rheinland-Pfalz verringert. Bzgl. der Verwendung der 90-Perzentile sei nochmals 104 6. Analyse der vier Kapitalbereiche auf die Anmerkungen bei der Analyse der Messdaten zur Nitratkonzentration verwiesen. Allerdings basiert die Reduktion wohl lediglich auf einer Verdünnung durch die Zuflüsse von Saar und Sauer.279 Daten zum Chloridgehalt wurden lediglich für Rheinland-Pfalz gefunden und ausgewertet. Zur Wasserqualität in der Großregion Für Rheinland-Pfalz ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Die Wasserqualität des Grundwassers hat sich verschlechtert, wohingegen bei der Qualität der Oberflächengewässer eine Verbesserung zu erkennen ist. Im Saarland kann beim Grundwasser von einer Entwicklung auf ähnlichem Niveau gesprochen werden. Bei den Oberflächengewässern ist eine leicht sinkende Tendenz zu erkennen. In Wallonien hat sich die Grundwasserqualität verschlechtert, für die Oberflächengewässer kann aufgrund der Datenlage keine Aussage getroffen werden. Luxemburg und Lothringen sind aus der Betrachtung herausgefallen, da es den Autoren nicht gelungen ist, Messergebnisse aufzufinden bzw. von den Institutionen zu erhalten. 6.2.3.3. Bodenqualität Abbildung 29: Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsfläche in RheinlandPfalz, Saarland, Luxemburg und Wallonien (ha) 300000 250000 200000 150000 100000 50000 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Rheinland-Pfalz 1) 4) Saarland 2) 4) Luxemburg 3) Wallonien 5) Quellen: Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz (2003), Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2001b), vom 25.01.2004, STATEC (Hrsg.) (2003), vom 25.01.2004, Statistisches Bundesamt 279 Vgl. Landesamt für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2002), S.58. 105 6. Analyse der vier Kapitalbereiche (Hrsg.) (2003), vom 30.11.2003, Ministère de la Région wallone – DGRNE (Hrsg.) (o.A. e), eigene Berechnungen, vom 14.12.2003. Wie aus der Grafik entnommen werden kann, nimmt die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Rheinland-Pfalz, Saarland, Luxemburg und Wallonien im beobachteten Zeitraum stark und beständig zu. Die Entwicklung ist daher nicht nachhaltig. In den einzelnen Teilregionen werden die Flächennutzungsarten unterschiedlich klassifiziert. Daraus resultieren abweichende Begriffe des zu messenden Sachverhaltes. Welcher französische Begriff jeweils mit der Siedlungs- und Verkehrsfläche gleichzusetzen ist, konnte aufgrund fehlender oder unklarer Erläuterungen im Falle Walloniens und Luxemburgs nicht eindeutig festgestellt werden. Für Wallonien sind in der Tabelle die Werte der terres bâties ausgewiesen, welche offenbar zusätzlich die Wasserflächen enthalten.280 Da jedoch eine Zunahme derselbigen zu vernachlässigen sein dürfte und weil Daten im zweijährigen Turnus ausgewiesen sind, wurde auf diese Quelle zurückgegriffen. Die im statistischen Jahrbuch der Großregion als Surface bâtie ausgewiesene Fläche ist mit 1.110 km² deutlich kleiner, ein Wert liegt allerdings nur für 1997 vor.281 Unterschiedliche Werte aufgrund differierender Termini wurden auch für Luxemburg gefunden. Neben „sols bâtis et voies de communication“282 werden Werte für die „Surfaces bâtie“283 ausgewiesen. Aufgrund der Verfügbarkeit zweier Daten, die sich über den gesamten Untersuchungszeitraum erstrecken, und der Nähe zur Definition im statistischen Jahrbuch der Großregion, wurden für die Analyse Werte aus STATEC entnommen. Die Daten aus der zuerst genannten Abgrenzung weisen allerdings auf den gleichen Trend, eine Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche, hin. Bei Lothringen ist es soweit nicht möglich eine Aussage zu treffen, weil keine Daten vorhanden sind bzw. gefunden werden konnten. Liegt auch in dieser Teilregion eine steigende Siedlungs- und Verkehrsfläche vor, so lässt sich schließen, dass in der Großregion Saar-Lor-Lux eine steigende Bodenbelastung und damit in diesem Bereich nicht nachhaltige Entwicklung zu verzeichnen ist. 280 Vgl. Ministère de la Région wallonne–DGRNE (o.A. b), vom 05.12.2003. Vgl. Statistisches Landesamt Saarland et al. (2000), S.121. 282 Ministère de l’Environnement Luxembourg (Hrsg.) (2002), S.26, vom 05.12.2003. 283 STATEC (Hrsg.) (2003), sowie Statistisches Landesamt Saarland et al. (2000), S.121, vom 05.12.2003. 281 106 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.2.3.4. Luftqualität Abbildung 30: Entwicklung der NO2-Konzentration in der Luft in der Großregion 50 40 30 20 10 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Rheinland-Pfalz 2) Saarland 1) Lothringen 5) Wallonien 4) Luxemburg 3) Quellen: Statistisches Landesamt Saarland (2003), vom 30.11.2003, Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz (o.A. b), vom 10.12.2003, Ministère de l’Environnement Luxembourg (Hrsg.) (2003), S. 40, vom 05.12.2003, Ministère de la Région wallone – DGRNE (Hrsg.) (o.A. f), vom 05.12.2003, Ministère de l’Ecologie et du Développement durable; ADEME (Hrsg.) (o.A.), vom 10.01.2004. Wie in der obigen Abbildung ersichtlich, ist die NO2-Konzentration in RheinlandPfalz, dem Saarland und Lothringen über den beobachteten Zeitraum zurückgegangen. Heutige NO2-Werte sind wesentlich niedriger als noch vor einigen Jahren, so dass die Entwicklung nachhaltig ist. In Luxemburg ist der Anteil an Schadstoffen nach anfänglichem Rückgang seit 1994 wieder leicht angestiegen, liegt aber noch unter dem von der EU festgelegten Grenzwert. In Wallonien blieb das Niveau der Schadstoffkonzentration unter Berücksichtigung einzelner Schwankungen relativ konstant. Generell ist eine vorsichtige Interpretation der Daten empfehlenswert. Was die in der Grafik vorgestellten Werte nicht sagen: 1. In Ballungsgebieten ist die NO2-Konzentration meistens noch weit über den von der EU festgelegten 40 µg/m³ 2. Die Verteilung der Messstationen ist entscheidend für den jeweiligen Gesamtdurchschnitt der Werte einer Region, d.h.: das generell höhere Schadensniveau in Rheinland-Pfalz gegenüber den anderen Regionen kann z.B. auch von einem höheren Anteil der städtischen Messstationen an den gesamten Stationen in Rheinland-Pfalz determiniert sein. 107 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 3. Die Jahresmittelwerte lassen keine Aussagen über eventuell erreichte kurzfristige Maximalwerte der NO2-Konzentration zu, die vielleicht sehr negative Auswirkungen auf z.B. die Gesundheit hat. Abgesehen von Luxemburg ist die Entwicklung der Luftschadstoffkonzentration nachhaltig, da sie abgenommen hat, bzw. konstant geblieben ist. Doch auch in Luxemburg sind die Anstiege marginal und die Werte befinden sich zudem noch unter der EU-Richtlinie. 6.2.4. Wechselwirkungen innerhalb des Naturkapitals NO2-Konzentration Siedlungs- und Verkehrsfläche Nitrat - Oberflächengewässer Nitrat - Grundwasser Rebfläche Forstfläche Waldschäden Tabelle x: Übersicht über die Wechselwirkungen innerhalb des Naturkapitals + Forstfläche - Waldschäden -/+ -/- -/+ -/0 -/+ -/- -/+ + Rebfläche +/+ +/- +/+ +/0 +/+ +/- +/+ 0 Nitrat - Grundwasser 0/+ 0/- 0/+ 0/0 0/+ 0/- 0/+ + Nitrat - Oberflächengewässer +/+ +/- +/+ +/0 +/+ +/- +/+ - Siedlungs- und Verkehrsfläche -/+ -/- -/+ -/0 -/+ -/- -/+ + NO2-Konzentration +/+ +/- +/+ +/0 +/+ +/- +/+ Anmerkung: +/+ +/- +/+ +/0 +/+ +/- +/+ + = positive Entwicklung - = negative Entwicklung 0 = Konstanz Quelle: eigene Erstellung Im Folgenden werden die vermuteten Wechselwirkungen innerhalb des Naturkapitals dargestellt und anhand der Daten überprüft, ob bei Zielkonflikten tatsächlich eine gegenläufige und bei Zielharmonien eine gleichgerichtete Entwicklung zu beobachten ist. Dabei werden jedoch diejenigen Indikatoren ausgeklammert, bei denen Daten nur für eine Region oder in zu geringem Umfang vorliegen. Die in die Untersuchung einbezogenen Indikatoren und deren Entwicklung sind in der Tabelle x (ist die hier oben) zusammengestellt worden, wobei im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Großregion positive Entwicklungen mit einem Plus, negative mit einem Minus und neutrale Entwicklungen mit einer Null gekennzeichnet wurden. Nicht bei allen gegenläufigen oder gleichgerichteten 108 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Entwicklungstendenzen bestehen allerdings kausale Zusammenhänge, so dass im Folgenden nur auf vermutete Wechselwirkungen eingegangen wird. Es wird ein Zusammenhang zwischen der Forstfläche und der Siedlungs- und Verkehrsfläche angenommen. Möglich ist, dass die Forstfläche zunimmt, wenn die Siedlungs- und Verkehrsfläche abnimmt und umgekehrt. Die gemessenen Daten bestätigen diese Harmoniebeziehung nicht, da in der Großregion sowohl die Siedlungs- und Verkehrs- wie auch die Forstfläche entweder zugenommen hat oder annähernd gleich geblieben ist. Dies lässt darauf schließen, dass es weitere flächenmäßige Nutzungsarten gibt, die zugunsten der betrachteten Flächen abgenommen haben, z.B. die Rebfläche. Eine Betrachtung der Daten zeigt, dass jene für Rheinland-Pfalz minimal abgenommen hat, während sie für die anderen Teilregionen – von einmaligen Veränderungen abgesehen – weitgehend konstant geblieben ist. Allerdings kann die leichte Abnahme dieser Bodennutzungsart in Rheinland-Pfalz nicht allein den Raum für die stärkere Ausweitung der Siedlungsund Verkehrsfläche gestellt haben. Deshalb muss es noch immer Flächennutzungsarten geben, die zugunsten der Siedlungs- und Verkehrsfläche abgenommen haben. Eine mögliche Harmoniebeziehung besteht zwischen der Forstfläche und einer verbesserten Luftqualität unter der Voraussetzung, dass die NO2-Belastung abnimmt, wenn die Forstfläche ansteigt. Bei Betrachtung der vorhandenen Daten wird deutlich, dass in Rheinland-Pfalz und Lothringen von 1990-2003 die Forstfläche tendenziell leicht gestiegen ist und dabei die NO2Konzentration der Luft zurückgegangen ist. Diese Ergebnisse bestätigen die vermuteten Zusammenhänge. Es kann eine Harmoniebeziehung hinsichtlich der notierten Waldschäden und der Nitratkonzentration des Grundwassers existieren. Da die Bäume ihre Nährstoffe aus dem Boden beziehen, ist eine Vergiftung durch nitratbelastetes Grundwasser nicht auszuschließen. Die Daten bestätigen diesen Zusammenhang für RheinlandPfalz und das Saarland. In den 90er Jahren ist der Anteil deutlich geschädigter Bäume in Rheinland-Pfalz gewachsen, während eine gleichgerichtete Entwicklung der Nitratbelastung des Grundwassers vorliegt. Im Saarland ist die Nitratbelastung zwar gleich geblieben, jedoch sind seit 1995 deutlich weniger Bäume geschädigt worden als zuvor. Dies kann auf die ausbleibende Mehrbelastung durch Nitrat zurückzuführen sein. Für Luxemburg, Wallonien und Lothringen kann aufgrund des herrschenden Datenmangels keine Aussage gemacht werden. Zwischen Luft und Waldschäden wird seitens der Autoren ebenfalls eine Harmoniebeziehung vermutet, diese bestätigt sich bei Betrachtung der Daten jedoch nur teilweise im Saarland. Dort ist die NO2-Konzentration im betrachteten Zeitraum stark zurückgegangen, während der Anteil deutlich geschädigter Bäume seit 1995 auch zurückgegangen ist. Allerdings ist ein Rückschluss von der NO2Konzentration auf Waldschäden nicht unproblematisch, da sich der 109 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Zusammenhang in den anderen Teilregionen nicht auf diese Weise bestätigt hat, außerdem gibt es eine große Anzahl weiterer Faktoren, die einen Einfluss haben können. Zusätzlich wird vermutet, dass die Nitratkonzentration der Oberflächengewässer und des Grundwassers in einer Harmoniebeziehung stehen. Bei Untersuchung der Daten zeigt sich, dass in Rheinland-Pfalz die Nitratbelastung des Grundwassers angestiegen ist, während die Oberflächengewässer (hier: Saar und Mosel) konstante Werte bzw. einen leichten Rückgang verzeichnen. Dies spricht gegen den vermuteten Zusammenhang. Für das Saarland ist die Beziehung eher gültig, denn hier ist der Nitratgehalt des Grundwassers in der beobachteten Periode relativ gleich geblieben, während er für die Oberflächengewässer eine leichte Abwärtstendenz aufweist. Letztendlich vermuten die Autoren eine Zielharmonie zwischen der NO2-Konzentration der Luft und der Siedlungs- und Verkehrsfläche. Geht letztere zurück, sinkt demnach die NO2-Konzentration und umgekehrt. Für die vier Teilregionen (RheinlandPfalz, Saarland, Wallonien und Luxemburg), für welche Daten zur Siedlungs- und Verkehrsfläche vorhanden sind, ist der vermutete Zusammenhang nicht gültig, denn die NO2-Konzentration ist zurückgegangen oder zumindest gleich geblieben, während die Siedlungs- und Verkehrsfläche zugenommen hat. Insgesamt zeigt sich, dass eine Betrachtung nur zweier Faktoren bei der Analyse der Wechselbeziehungen nicht ausreicht und zudem hierfür eine bessere Abbildung ökosystemarer Zusammenhänge notwendig wäre. 6.2.5. Fazit: Die Entwicklung im Bereich des Naturkapitals Die Entwicklung der einzelnen Komponenten des Naturkapitals ist nicht einheitlich. Verbesserungen oder wenigstens einer Konstanz der Luftqualität in allen Teilregionen stehen Zunahmen der Siedlungs- und Verkehrsfläche und damit Abnahmen der Bodenqualität gegenüber. Bei den Ressourcen steht einer tendenziell eher nicht nachhaltigen Entwicklung im Bereich der Wälder aufgrund der zunehmenden Waldschäden bei annähernder Konstanz der Forstflächen eine Zunahme der Naturschutzfläche in Rheinland-Pfalz sowie eine Konstanz der Rebflächen in allen Teilregionen außer Rheinland-Pfalz gegenüber. Dort ist ein Rückgang der Rebflächen zu verzeichnen. Insgesamt ist damit innerhalb dieser Komponente eine leicht negative Tendenz erkennbar. Die Wasserqualität ist im Bereich des Grundwassers im Durchschnitt konstant geblieben. Bei den Oberflächengewässern ist eine positive Entwicklung zu konstatieren. Insofern ist hier insgesamt eine leicht positive Entwicklung zu verzeichnen. An Wechselwirkungen sind vor allem Harmoniebeziehungen vermutet worden, die sich in Teilen bestätigt haben. Die Zielkonflikte im Bereich der Bodennutzung fanden keine Bestätigung. Werden alle vier Komponenten gleich gewichtet, so ist insgesamt eine neutrale Entwicklung festzustellen. 110 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Allerdings ist eine solche generelle Aussage zur Nachhaltigkeit im Bereich des Naturkapitals vor allem aufgrund des Datenmangels bzw. der eher geringen Vergleichbarkeit der Indikatorenwerte zwischen den Teilregionen in einigen Teilkomponenten mit Unsicherheiten behaftet. Gerade bei den Komponenten Ressourcen und Wasser erscheinen konzeptionelle Überarbeitungen und Erweiterungen möglich und ist zudem eine Verbesserung der Datenlage notwendig, um mit hinreichender Sicherheit Aussagen zur Nachhaltigkeit treffen zu können. Wünschenswert wäre insgesamt eine noch stärkere Integration ökosystemarer Zusammenhänge in die Überlegungen, die jedoch Fortschritte in der Erforschung der Wechselbeziehungen sowie Weiterentwicklungen von methodischen Konzepten zur Aggregation voraussetzen, um eine Ausdehnung der Anzahl der Indikatoren auf eine unübersichtliche und einem breiteren Publikum schwer vermittelbare Fülle zu verhindern. 111 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Anhang: Datenlage und Erfahrungen der Datenrecherche Im folgenden Abschnitt sollen die Erfahrungen bei der Datenrecherche dargestellt werden. Grundsätzlich als problematisch hat es sich im Rahmen des Forschungsprojektes erwiesen, dass es gerade im Bereich Natur und Umwelt keine zentrale Institution in Saar-Lor-Lux gibt, die Daten aller Teilregionen bündelt und veröffentlicht. So wurde zur Datenrecherche auf die Umweltbehörden und zuständigen Ministerien, die einzelnen statistischen Ämter sowie Verbände der einzelnen Teilregionen zurückgegriffen. Mit der Kooperation der statistischen Ämter der Großregion und der entsprechenden Internetpräsenz wurde ein Anfang gemacht. Allerdings sind die zur Verfügung gestellten Daten im Bereich Natur und Umwelt rudimentär. Darüber hinaus werden dort auch keine Zeitreihen veröffentlicht.284 Die gesuchten Umweltdaten konnten auch von Eurostat nicht zur Verfügung gestellt werden. Also wurde seitens der Autoren z.B. für die Komponente Boden auf Struktur- bzw. Flächendaten hilfsweise zurückgegriffen. Die Verfügbarkeit von Flächendaten wie z.B. Siedlungs- und Verkehrsfläche und Naturschutzfläche ist relativ gut. Allerdings hat sich gerade bei der Siedlungs- und Verkehrsfläche das Problem divergierender Begriffsabgrenzungen und Definitionen gezeigt, als versucht wurde, Daten verschiedener Quellen miteinander zu vergleichen.285 Definitionen und Methodenerläuterungen werden meist auch nicht bereitgestellt, was wiederum gewisse Interpretationsschwierigkeiten geschaffen hat. Kaum Probleme gab es im Bereich Luftschadstoffe. Für den Indikator Stickstoffgehalt konnten vergleichbare Daten in allen Teilregionen gefunden werden. Problematisch war insbesondere die Datensuche für die Komponenten Ressourcen und Wasser. Hinsichtlich der Ressourcen liegen die Probleme vor allem in der Tatsache begründet, dass hierzu kaum Bestands- oder Qualitätsdaten erfasst werden. So wurden in Teilen hilfsweise wiederum Flächendaten zur Analyse herangezogen. Hoffnung setzen die Autoren hier auf Bestrebungen hinsichtlich der Entwicklung einer umweltökonmischen Gesamtrechnung, die auch Materialströme und Input-/ Outputrechnungen beinhalten wird. Allerdings liegen die Daten noch nicht regional vor, und es gibt auch Unterschiede in den Ansätzen der einzelnen europäischen Länder. Im Bereich Wasser zeigt sich wieder das grundsätzliche Problem, dass die Daten nicht in einer zentralen Institution gebündelt werden. Bei der Recherche in den Teilregionen konnten zumeist nur entsprechende Wassergüteberichte gefunden werden. Diese Berichte enthalten allerdings ausgewertete und aufbereitete Daten in Form von Grafiken. Datentabellen werden i.d.R. nicht mitgeliefert. Einzelne 284 285 Vgl. Die statistischen Ämter der Großregion (2004) Vgl. Kapitel Boden 112 6. Analyse der vier Kapitalbereiche explizite Anfragen, z.B. hinsichtlich des Nitratgehaltes des Grundwassers in Rheinland-Pfalz und der Oberflächengewässer im Saarland, führten bei den entsprechenden Wasserwirtschaftsbehörden zum Erfolg, so dass uns Datentabellen, d.h. Messergebnisse zur Verfügung gestellt wurden, die dann ausgewertet werden konnten. Die Anfrage bei der IKSMS, die Daten zur Wasserqualität von Mosel und Saar zu allen Teilregionen mit Ausnahme von Wallonien erfassen, führte leider bis zum Abschluss der Arbeit nicht zum Erfolg. Hier kann aus Sicht der Autoren ein Anknüpfungspunkt für weitere Forschungsprojekte sein. In den französischsprachigen Teilregionen konnte die in Rheinland-Pfalz und Saarland erfolgreich eingesetzte Strategie der konkreten telefonischen Ansprache bei den verschiedenen Umweltämtern aufgrund sprachlicher Barrieren nicht umgesetzt werden. Einzelne Anfragen per E-Mail z.B. an das französische Umweltamt IFEN blieben ohne Reaktion. Gerade in Frankreich führte die Vielzahl möglicher teils regionaler, teils überregionaler Institutionen zu Verwirrungen. Abschließend kann festgestellt werden, dass aus Sicht der Autoren eine Ausweitung der Kooperation der Statistischen Landesämter der Großregion wünschenswert wäre. Die Autoren empfehlen die Aufnahme mehrerer Umweltindikatoren in den Katalog der bereitgestellten Daten. Damit einher geht die Fortführung der bereits angefangenen Vereinheitlichung von Begriffsabgrenzungen und Messverfahren. Außerdem würde die zukünftige Forschung erleichtert, wenn wie im Falle Walloniens zusätzlich zu den entsprechenden Entwicklungsund Qualitätsberichten für einzelne Umweltbereiche auch die zugrunde liegenden Datentabellen separat als Dateien im Excel-Format von der Internetseite heruntergeladen werden könnten. 113 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Tabelle X: Datenrecherche zur Ermittlung der Indikatoren im Naturkapital Bereiche & Indikatoren Allgemeines Quellen Großregion Lothringen Luxemburg - Internetauftritt der Großregion Saar-Lor Lux, http://www.grossregion.lu - Institut Français de l'Environnement, http://www.ifen.fr mehrere Anfragen blieben unbeantwortet - Statec, http://statec.gouvernement.lu - Ministère de l’environnement Luxembourg, http://www.environnement.publ ic.lu - IFEN: Ensemble Intégré des Descripteurs de l’Environnement Régional (EIDER) – CD ROM 2002 konnte leider nicht eingesehen werden Ressourcen Forstfläche Waldschäden Rheinland-Pfalz Saarland Wallonie - Statistisches Landesamt, http://www.statistik.rlp.de -Statistisches Landesamt, - L’état de l’environnement Wallon, http://environnement.wallonie. be/eew -Ministerium für Umwelt und Forsten, http://www.muf.rlp.de http://www.statistik.saarland .de -Umweltministerium, http://www.umwelt.saarland. de Großregion Lothringen - Eurostat: Datenbank New - Direction régionale de Chronos - Bodennutzung in l’environnement ha aus der Agrarstatistik der http://www.lorraine.environn Regionalstatistiken ement.gouv.fr/ (theme1/regio/agri-r/a2land) keine Daten veröffentlicht Rheinland-Pfalz Saarland - Statistisches Landesamt: - Statistisches Landesamt: Statistisches Taschenbuch, Statistisches Jahrbuch, diverse Jahrgänge diverse Jahrgänge Großregion Lothringen - Statistische Landesämter - L’Office nationale de forêts für Saarland und Rheinland- http://www.onf.fr/actu/index. Pfalz, Statec, INSEEhtm Direction régionale de keine Daten veröffentlicht Lorraine, Ministère de la Région wallonne (2000): Luxemburg Wallonie Luxemburg - Ministère de l'environnement Luxembourg (Hrsg.): L'environnement en chiffres 1998, http://www.environnement.publ ic.lu/functions/apropos_du_site /mev/publications_MEV/Public ations_transversales_MEV/En vironnement_en_Chiffres_199 8/Environnement_en_Chiffres _1998_PDF.pdf - Statistisches Jahrbuch "Saar-Lor-Lux-RheinlandPfalz-Wallonie 2000" Rheinland-Pfalz - Ministerium für Umwelt und Forsten RheinlandPfalz (Hrsg.): Waldzustandsbericht für 2003, Mainz, http://www.waldrlp.de/download/wzb03vol.p df - Direction régionale de l’environnement http://www.lorraine.environn ement.gouv.fr/ keine Daten veröffentlicht Saarland - Statistisches Landesamt Saarland: Waldschadenbericht Saarland 1999, http://www.umweltserver.sa arland.de/wse/wse1.html 114 Wallonie - Ministère de la Région wallone: Rapport sur l’état sanitaire des forêts en région wallone en 1996, http://mrw.wallonie.be/dgrne/d nf/dagf/C3f_ra96.htm 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Bereiche & Indikatoren Holzbestände Naturschutzfläche Rebfläche Kohle, Erze, Rohstoffe Quellen Großregion Rheinland-Pfalz - Bundesforschungs-anstalt für Holz- und Forstwirtschaft / Institut für Forstökologie und Walderfassung Fachgebiet Forstliche Inventuren, Hr. Polley, Tel.: 03334/65-306, email: [email protected] http://www.bfafh.de, http://www.bundeswaldinve ntur.de Letzte Bundeswaldinventur wurde 1987 durchgeführt. Die Daten der Inventur 2002 werden erst in diesem Jahr veröffentlicht Großregion Lothringen Saarland - siehe Rheinland-Pfalz Luxemburg Wallonie Lothringen - Direction régionale de l’environnement http://www.lorraine.environn ement.gouv.fr/ keine Daten veröffentlicht - Réserves Naturelles, http://www.reservesnaturelles.org Daten nur für 2002 - Zone Naturelle d'Intérêt Écologique Faunistique et Floristique (ZNIEFF): IFEN, Indikatorenkatalog EIDER (FF05) keine Daten im Internet veröffentlicht Saarland Luxemburg Rheinland-Pfalz - Statistisches Landesamt, Statistisches Taschenbuch Rheinland-Pfalz 1995 – 2003 Daten den Taschenbüchern entnommen Großregion - Eurostat: Datenbank New Chronos - Bodennutzung in ha aus der Agrarstatistik der Regionalstatistiken (theme1/regio/agri-r/a2land) Großregion Lothringen - Ministère de l’industrie, http://www.industrie.gouv.fr/ statistiques-mp.htm - Drire, http://www.lorraine.drire.gou v.fr - Centre scientifique et technique, http://www.brgm.fr nicht weiterverfolgt wegen Zeitmangels 115 Wallonie Luxemburg 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Bereiche & Indikatoren Quellen Rheinland-Pfalz - Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Der Bergbau in der Bundesrepublik Deutschland, http://www.bmwa.bund.de/N avigation/Service/bestellser vice,did=28076.html Allgemein Rote Liste bedrohter Arten - International Union for / Flora und Conservation of Nature and Fauna Natural Resources, http://www.redlist.org nicht weiter verfolgt, da nur Nationaldaten Rheinland-Pfalz Saarland - siehe Rheinland-Pfalz Wallonie Lothringen - Diren, http://www.lorraine.diren.go uv.fr keine Zeitreihen vorhanden Luxemburg Saarland Wallonie - Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht, Ludwig Simon, 06133/933717, [email protected] keine Zeitreihen vorhanden Wasser Großregion (außer Wallonien) Nitrat_Grundwa - Internationale Kommission sser zum Schutz der Mosel und Nitrat_Oberfläc der Saar (IKSMS), Güterstr. hen-wasser 29a, Trier, 0651-73147, Hr. Chlorid Assfeld, [email protected], http://www.iksms-cipms.org - Umweltministerium des Saarlandes, Hr. Gerstner, 0681/501-4746 keine Zeitreihen vorhanden Lothringen Luxemburg - Direction régionale de l’environnement www.lorraine.environnemen t.gouv.fr/ Eau_qualite/RNB99/rnb99.p df keine Datentabellen vorhanden - Ministre de l’Intérieur, www.gouvernement.lu/publicat ions/rapportsactivite/ rapports2002/2002ra_int/Int__r ieur_2002.pdf - Ministre de l’Intérieur, http://www.gouvernement.lu/p ublications/rapportsactivite/rap ports2001/2001ra_int/interieur. pdf weder Nitrat- noch Chloridgehalt veröffentlicht gewünschte Daten sind vorhanden, konnten aber vor Abgabe des Endberichtes nicht zur Verfügung gestellt werden - Umweltministerium, Hr. Köppen, 0681/501-4773, http://www.umwelt.saarland. de Rheinland-Pfalz - Landesamt für Wasserwirtschaft Mainz, Hr. Wolfgang Plaul, 06131/630123 http://www.wasser.rlp.de Boden Großregion Siedlungs- und - Statistische Landesämter Verkehrs-fläche für Saarland und RheinlandPfalz, Statec, INSEEDirection régionale de Lorraine, Ministère de la Région wallonne (2000): Statistisches Jahrbuch "Saar-Lor-Lux-RheinlandPfalz-Wallonie 2000" Saarland - Landesamt für Umweltschutz, Dr. Ludwig Becker, 0681/8500219 www.lfu.saarland.de Lothringen - Institut Français de l'Environnement, http://www.ifen.fr/cahiers/pa ge9et10.htm keine Zeitreihen vorhanden 116 - STATEC [Service central de la statistique et des études économiques] http://www.statec.lu/html_de/st atistiques/luxembourg_en_chif fres/qualite_eau.html Definiton des Index unklar Wallonie - Ministère de la Région wallonne – DGRNE [Direction générale des Ressources naturelles et de l'Environnement] (Hrsg.) (2003) : Rapport sur l’état de l’environnement wallon – Tableau de bord de l’environnement wallon 2003 – l’eau, http://environnement.wallonie. be/eew/files/tbe2003_EAU.pdf Luxemburg -Ministère de l’environnement Luxembourg, l’environnement en chiffres 1998, 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Bereiche & Indikatoren Quellen - Internetauftritt der Großregion Saar-Lor-Lux Rheinland-Pfalz und Wallonien, http://www.grossregion.lu/ht ml_de/grande_region/autres _donnees_structurelles.html Rheinland-Pfalz - Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz Schad-/ Nährstoffe Luft NO2 - Statistisches Bundesamt (2003): Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, "Siedlungs- und Verkehrsfläche nach art der tatsächlichen Nutzung 2003", http://www.destatis.de/down load/d/ugr/suv2003.pdf - Landwirtschafts-kammer, http://www.lwk-rlp.de Großregion Allgemein: keine flächendeckendes Messsystem, keine Zeitreihen vorhanden Rheinland-Pfalz Saarland - Statistisches Bundesamt (2003): Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, "Siedlungs- und Verkehrsfläche nach art der tatsächlichen Nutzung 2003", http://www.destatis.de/down load/d/ugr/suv2003.pdf Lothringen Luxemburg - L’Institute National de la Recherche Agronomique, http://www.inra.fr/ Saarland Großregion Lothringen - Die statistischen Ämter der - Web des Réseaux de Großregion Mesure de la Qualité de I’Air en Lorraine, http://www.atmolor.org Rheinland-Pfalz - Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht, Rheinland-Pfalz, http://luftrlp.de/aktuell/jahresmittelwe rte/5/messwertverlauf.php?k id=5&getGraenze=2 http://www.environnement.publ ic.lu/functions/apropos_du_site /mev/publications_MEV/Public ations_transversales_MEV/En vironnement_en_Chiffres_199 8/Environnement_en_Chiffres _1998_PDF.pdf - STATEC [Service central de la statistique et des études économiques] (Hrsg.) 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Analyse der vier Kapitalbereiche 6.3 Sachkapital 6.3.1 Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes Im Rahmen des Vier-Kapital-Modells zur Bewertung zur Bewertung der nachhaltigen Entwicklung kommt dem Sachkapital die Aufgabe zu, die rein ökonomische Komponente der Nachhaltigkeitsbewertung abzubilden. Das Sachkapital, das sich aus der Summe aller nichtfinanziellen Vermögensgegenstände einer regionalen Volkswirtschaft zusammensetzt, ist die Grundlage für materiellen Wohlstand. Der Sachkapitalbestand wird als Basis für verschiedenste Produktionsprozesse, von denen die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz einer Region abhängt, gesehen. Auch Möglichkeiten zu wirtschaftlicher Entwicklung hängen von den Potenzialen, die durch Struktur, Größe und Qualität des Sachkapitalbestandes gegeben sind, ab. Szerenyi stellt in diesem Zusammenhang heraus: „Soll die Ökonomie langfristig handlungs- und wettbewerbsfähig bleiben, so stellt die Akkumulation von Sachkapital Bedingungen für weiteren technologischen Fortschritt und für einen langfristigen Wachstumspfad dar“.286 Als nachhaltig lässt sich ein Sachkapitalbestand dann beurteilen, wenn die Beschaffenheit des Sachkapitals auch für die zukünftigen Generationen die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz und die Erhaltung eines verglichen mit den heutigen Verhältnissen mindestens geringfügig erhöhten Lebensstandards erlaubt. 6.3.2 Nachhaltigkeit Es ergibt sich jedoch gerade für den Bereich des Sachkapitals folgende Besonderheit bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit: Anders als beispielsweise. beim Naturkapital, ist nicht nur die Erhaltung des Kapitalbestands wünschenswert und notwendig, sondern auch eine möglichst weitgehende Erhöhung des für kommende Generationen zur Verfügung stehenden Bestands. Es geht bei Nachhaltigkeit im Sachkapital eben nicht um die Begrenzung eines Abbauprozesses, sondern um die Beurteilung der Vermögensentwicklung einer Volkswirtschaft, die grundsätzlich als ein Aufbauprozess verstanden werden kann. Prinzipiell denkbar ist die Plünderung der Sachkapitalressourcen daher nur in extremen wirtschaftlichen Katastrophensituationen. Keinesfalls dürfte unter Normalbedingungen die heutige Generation ihre Produktion aus dem Substanzverzehr des aktuellen Bestands bestreiten. Unter solchen Normalbedingungen kann von einer gut (d.h. nachhaltig) wirtschaftenden Volkswirtschaft erwartet werden, dass sie durch ausreichende Investitionstätigkeit einen Aufbau des Kapitalstocks erreicht. Die Forderung der Nachhaltigkeit bedeutet aus Sicht des Sachkapitals also, so mit den Potenzialen das vorhandenen Sachkapital286 vgl. Szerenyi, T. (2001) S.141. 118 6. Analyse der vier Kapitalbereiche bestands umzugehen, dass zukünftige Generationen einen mindestens geringfügig erhöhten Kapitalbestand als Set von Inputfaktoren für ihre Produktionsprozesse und damit ihre wirtschaftliche Existenz zur Verfügung haben. Wie schon an diesen Überlegungen zu erkennen ist, wird hier ausschließlich auf intergenerationale Gerechtigkeit abgestellt. Für die Einbeziehung intragenerationaler Gerechtigkeit in die Nachhaltigkeitsbewertung müsste eine verteilungstheoretische Fundierung möglich sein. Selbst wenn man sich in Erweiterung des weiter unten entwickelten Potentialwachstumskonzepts auch verteilungstheoretisch an Kaldor anlehnen würde, käme man zu keinem brauchbaren Kriterium, denn Kaldors Verteilungstheorie kann nur Aussagen über die funktionale Einkommensverteilung machen. Mit der funktionalen Einkommensverteilung lassen sich aber keine Rückschlüsse darauf ziehen, ob die für intragenerationale Gerechtigkeit interessierende personelle Einkommensverteilung verteilungstheoretisch fundiert und damit wirklich gerecht ist. Die hier vorgenommene Nachhaltigkeitsbetrachtung bleibt also auf intergenerationale Gerechtigkeit beschränkt. 6.3.3 Deduktion der Nachhaltigkeitsindikatoren Zur Deduktion der verwendeten Indikatoren soll der folgende gedankliche Bogen geschlagen werden. Ausgehend von dem Vier- Kapital-Modell wird zunächst die Ausrichtung der Betrachtung auf das Wachstum des Produktionspotenzials begründet. Davon ausgehend wird genauer untersucht, wie sich das Produktionspotenzial und dessen Wachstum in einer regionalen Produktionsfunktion abbilden. Für die drei Komponenten der Produktionsfunktion die Produktionsinputkomponente, die Produktionsprozesskomponente und die Komponenten des technischen Fortschritts werden dann Ideal -und Realindikatoren gesucht. Zur theoretischen Untermauerung werden Teile der Theorien von Kaldor und Keynes zugrunde gelegt. Ergänzend hinzugenommen wird noch ein Indikator zur Branchenstruktur. 6.3.3.1Verankerung im Vier- Kapital -Modell Die Nachhaltigkeitsbewertung nach dem Vier-Kapital-Modell knüpft nicht an Größen wie Wohlstand, Konsum und gutes Leben an. Das Nachhaltigkeitsverständnis, welches durch das Vier- Kapital- Modell impliziert wird, knüpft vielmehr grundsätzlich an das Vorhandensein und die Veränderungen von Potenzialen für die heutige und künftige Existenz des Menschen an. Grundsätzlich gibt also das Vier- Kapital -Modell in der Nachhaltigkeitsbeurteilung eine Beschränkung auf die Inputs vor, die für wirtschaftliche Aktivität zur Verfügung stehen. Beim Sachkapital ist dementsprechend auf Bestand und Entwicklung des regionalen Produktionspotenzials abzustellen. Als Nachhaltigkeitsziel formuliert, 119 6. Analyse der vier Kapitalbereiche ist beim Sachkapital die dauerhafte Sicherung der ökonomischen Existenz durch nachhaltiges Wachstum anzustreben. 6.3.3.2 Wachstumsbegriff Unter Wachstum wird hier ausdrücklich nicht die Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts verstanden. Vielmehr wird dem heute in der theoretischen Diskussion üblichen Verständnis des Wachstumsbegriffs gefolgt, der sich auf die Ausweitung des Produktionspotenzials bezieht. Dementsprechend ist Wachstum (des Produktionspotenzials) eine eindeutig inputseitige Größe287. Das Wachstum des Produktionspotenzials ist möglich durch Vergrößerung der Produktionsinputs bei gegebenen Produktionsprozessen. Wachstum ist auch möglich durch Verbesserungen/Veränderungen im Produktionsprozess, die als Realisation des technischen Fortschritts angesehen werden. Eine gemeinsame Beschreibung der Komponenten des Produktionspotentialwachstums ist am einfachsten möglich, wenn eine Vorstellung über eine regionale Produktionsfunktion zugrunde gelegt wird. 6.3.3.3 Die regionale Produktionsfunktion Es soll hier keine konkrete Produktionsfunktion spezifiziert werden, sondern lediglich konkretisiert werden, durch welche prinzipiellen Eigenschaften die zugrunde liegende Produktionsfunktion gekennzeichnet sein sollte. Grundsätzlich gilt, dass die Produktionsfunktion immer Aussagen über drei Komponenten abbilden wird. Zunächst ist dies die Produktionsinputkomponente, die die Einsatzmenge des Inputs zeigt. Durch die Konstellation von Koeffizienten und Exponenten im Funktionsterm wird der Produktionsprozess in seinem aktuellen Stand beschrieben und schließlich wird durch Veränderungen des Funktionsterms der technische Fortschritt abgebildet. Im Folgenden wird nun im Einzelnen auf Eigenschaften der gedachten Produktionsfunktion eingegangen: Aus Sicht des Sachkapitals wird eine Produktionsfunktion mit nur einem Produktionsfaktor, nämlich dem Faktor Kapital zugrunde gelegt. Einfaktorielle Produktionsfunktionen werden meist mit der Begründung auf den Faktor Kapital beschränkt, dass Kapital in entwickelten Volkswirtschaften der einzige begrenzende Faktor für Wachstum ist. Bedingt durch ihre Einbindung in das VierKapital-Modell, soll die Produktionsfunktion ohnehin nur die Entwicklung innerhalb des Sachkapitalbestandes wiedergeben, so dass diese sonst übliche, problematische Annahme hier modellbedingt nicht notwendig ist. Hierbei wird lediglich für die Zwecke der Indikatordeduktion von einer einfaktoriellen Produktionsfunktion ausgegangen. Für die spätere Interpretation der Indikatoren 287 Vgl. Kromphard, J. et.al. (1997) S.4262. 120 6. Analyse der vier Kapitalbereiche im Kontext der regionalen Nachhaltigkeit wird realistischerweise anerkannt, dass für den Produktionsprozess auch Arbeit eingesetzt wird. Die Produktionsfunktion sollte zudem durch einen variablen Kapitalkoeffizienten und variable Kapitalproduktivität gekennzeichnet sein. Hierin kann eine implizite Berücksichtigung der möglichen Veränderlichkeit der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals gesehen werden. Die Grenzeleistungsfähigkeit des Kapitals verändert sich zunächst deshalb, da für die regionale Produktionsfunktion ein ertragsgesetzlicher Verlauf unterstellt wird, es also zu sinkender Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals mit steigender Ausbringungsmenge kommt. Eine steigende Ausbringungsmenge ist bei einer auf die Veränderungen der Produktionsinputkomponente begrenzten Betrachtung nur durch Mehreinsatz des Produktionsfaktors Sachkapital zu erreichen. Nimmt man jedoch die Veränderungen der Produktionsprozesskomponente in Form von technischem Fortschritt mit in die Betrachtung auf, so erreicht man eine neue Produktionsfunktion und mit ihr einen höheren Wachstumspfad. Die neue Produktionsfunktion hat auch wieder einen ertragsgesetzlichen Verlauf, weist jedoch bei gleicher Ausbringungsmenge eine höhere Produktivität auf. Die Forderung einer variablen Kapitalproduktivität ist also auch deshalb notwendig, um technischen Fortschritt integrieren zu können288. 6.3.3.4 Technischer Fortschritt Technischer Fortschritt wird nicht als eine Residualgröße neben dem Produktionsfaktor Kapital aufgefasst, die alles erklären soll was nicht durch Bewegung auf einer gegebenen Produktionsfunktionen erklärbar ist, sondern technischer Fortschritt wird als ein Attribut des Produktionsfaktors Kapital aktiv analytisch eingebunden. Kaldor folgend wird hier ein dem Produktionsprozess vorgeschalteter Innovationsprozess angenommen, dessen Ergebnisse ganz entscheidend Stärke und Intensität des Wachstums im Produktionsprozess bestimmen. Autonomer technischer Fortschritt wird per Annahme nur in begrenztem Ausmaß zugelassen, da es nicht für denkbar gehalten wird, dass Invention und Innovation nur durch die Inspiration aus dem Nichts entstandener Ideen entstehen können. Dennoch spielt Inspiration eine Rolle im Innovationsprozess und soll hier nicht ganz vernachlässigt werden. Grundsätzlich sind aber zielgerichtete Investitionen die notwendige Voraussetzung für technischen Fortschritt.289 Es wird ebenfalls in Anlehnung an Kaldor angenommen, dass erreichter technischer Fortschritt insofern einen Kapazitätseffekt auf die Entstehung weiteren Fortschritts aufweist, als durch die Kapitalsintensivierung der Produktion weiterer technischer Fortschritt induziert wird. Der technische Fortschritt zieht aber nicht das 288 Vgl. Zimmermann, H. et. al. (1994) S.388. 121 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Produktionspotenzial immer schneller von einem Wachstumspfad auf einen noch höheren. Dies ist ein Prozess, der wie angenommen wird, sich von selbst abschwächt. Diese Abschwächung ist zum einen darin begründet, dass die profitabelsten Innovation immer zuerst durchgeführt werden, und zum anderen darin, dass Lerneffekte im Umgang mit neuen Maschinen mit der Zeit immer mehr abnehmen290. Es soll, im Sinne Kaldors, angenommen werden, dass der Effekt des Abschwächungsprozess stärker ist und den Selbstverstärkungseffekt mit zunehmenden Fortschritt immer mehr dominiert und deshalb aktive Innovationsanstrengung weiterhin nötig bleibt, um Innovationen zu erreichen(technische Fortschrittsfunktion mit abnehmendem Grenzertrag). Die Entscheidung für Investitionen im technischen Fortschritt in Form von F&EAusgaben liegt jedoch weiter bei den einzelnen Wirtschaftssubjekten. Entscheidend dafür ist „die technischer Dynamik einer Volkswirtschaft d. h. ihre Bereitschaft neue Techniken anzuwenden und deren Folgen zu akzeptieren“ 291. Hier ergibt sich eine Öffnung in Richtung Human- und Sozialkapital. Den Kaldor`schen Theorievorstellungen von der Bindung und Rückführung des Wachstums auf ein Gleichgewichtswachstum wird nicht gefolgt, da solche volkswirtschaftlichen Gleichgewichtskonzepte für ein regionalwirtschaftliches Bewertungsprojekt nicht erforderlich sind. Technischer Fortschritt wird weiterhin immer in der Form von faktorgebundenem technischem Fortschritt angenommen. Hier wirkt sich der Fortschrittseffekt nur auf die neu geschaffenen Produktionsfaktoren aus. Die Produktivität schon im Einsatz befindlicher Kapitalgüter wird davon nicht berührt.292 Um die Produktivitätseffekte des technischen Fortschritts in den Sachkapitalbestand einzubinden, müssen daher die Produktionsfaktoren in schneller Folge immer wieder durch Investitionen erneuert werden. Erreicht man bereits einen hohes Produktionspotenzial aus dem vorhandenen Kapital, kann man eher die Investitionen tätigen, die notwenig sind, um den technischen Fortschrittseffekt in den Bestand zu integrieren, was wiederum weitere, zusätzliche Investitionen noch einfacher macht. Der hier beschriebene Kapazitätseffekt von Anlageinvestitionen wirkt sich also in einem Selbstverstärkungseffekt des Wachstums aus. Diese Aussage bezieht sich hier auf den Kreislaufzusammenhang von Investition und Produktionsergebnis und nicht auf den Innovationsprozess, für den eben ein Selbstverstärkungseffekt zumindest langfristig negiert wurde. 6.3.4 Idealindikatoren - abgeleitet auf Grundlage der Produktionsfunktion Wenn die regionale Produktionsfunktion genau bekannt wäre, man also den Funktionsterm en detail angeben könnte, wäre durch die Struktur des Funktionsterms direkt die Struktur des Produktionsprozesses vollständig offen 289 Vgl. Kromphard, J. et.al. (1997) S.4267. Vgl. Kromphard, J. et.al. (1997) S.4268. 291 Kromphard, J. et.al. (1997) S.4268. 292 Vgl. Kromphard, J. et.al. (1997) S.4272. 290 122 6. Analyse der vier Kapitalbereiche gelegt. Kennzahlen der Produktionsprozesskomponente, wie Kapitalproduktivität, Kapitalkoeffizient aber auch Modernitätsgrad ließen sich dann direkt aus dem Funktionsterm errechnen. Die Idealindikatoren wären dann also die direkt aus der regionalen Produktionsfunktionen abgelesenen oder errechneten Kennzahlen des Kapitalkoeffizienten, der Kapitalproduktivität oder des Modernitätsgrads. Für die Komponente des Produktionsinputs ergibt sich der Idealindikator in ganz ähnlicher Weise: aus der regionalen Produktionsfunktion könnte die dort offenliegende mengenmäßige Größe des Produktionsinputs Sachkapital direkt abgelesen werden. Idealindikator wäre hier der direkt aus den Produktionsfunktionen erhaltene Wert für den Bestand an Sachkapital. Die Auswirkungen des technischen Fortschritts liegen in einer deutlichen Verbesserung der Produktivität der letzten eingesetzten Inputeinheit (Grenzproduktivität) und einer etwas geringeren Verbesserung der Durchschnittsproduktivität. Diese beiden Kennzahlen könnten Idealindikatoren des technischen Fortschritts sein. Bei bekannter Produktionsfunktion ließen sich diese Wirkungen des technischen Fortschritts unmittelbar an Veränderungen des Funktionsterms ablesen. Die Werte für die Idealindikatoren ließen sich dann unmittelbar errechnen. Sonderfall Branchenstruktur Zusätzlich wird durch die Einbeziehung der Branchenstruktur einer langfristigen, wettbewerbsorientierten Perspektive Rechung getragen, da der Kapitalstock nicht erkennen lässt, in welchem Mischungsverhältnis die Branchen in der regionalen Wirtschaft vertreten sind. Der Kapitalstock lässt nicht erkennen, ob eine bestimmte Menge an Kapital in Beständen aus einer Altindustrie am Ende des Produktlebenszyklus zusammengesetzt wird, oder ob es sich um zukunftsfähige High-Tech-Industrie handelt, was für die Nachhaltigkeitsbewertung des Sachkapitalbestandes ein wesentlicher Unterschied ist. Ein Idealindikator für die Branchenstruktur lässt sich nicht aus der Produktionsfunktion deduzieren. Daher wird diese Bewertungskategorie erst jetzt in die Ableitung des Indikatorensystems hineingenommen. Branchenstruktur ist grundsätzlich nicht in eine regionale Produktionsfunktion integrierbar, da alle hier vorkommenden Größen volkswirtschaftliche Aggregate sind, die über alle Branchen hinweg aufsummierte Zahlenwerte annehmen. Ein Idealindikator der Branchenstruktur müsste einerseits die reine Zusammensetzung der Branchen in der Region kennzeichnen und andererseits eine Aussage darüber machen können, wie wettbewerbsfähig eine solche Branchenzusammensetzung künftig sein kann. Dabei geht es um die Frage, ob ein hinreichend großer Anteil des Produktionspotentials einer Region von hochproduktiven, wissens- und kapitalintensiver Produktion bestritten wird, was auch unter den Hochlohnbedingungen der entwickelten Industrieländer dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit erhoffen lässt. 123 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.3.5 Realindikatoren Es müssen nun im Folgenden Realindikatoren gefunden werden, die trotz der unbekannten regionalen Produktionsfunktion eine Beurteilung erlauben, ob und inwieweit bezüglich der Produktionsinputkomponente, der Produktionsprozesskomponente, des technischen Fortschritts und der Branchenstruktur zu einer Entwicklung hin zu wirtschaftlicher Existenzverbesserung durch nachhaltiges Produktionspotenzialwachstum beigetragen worden ist. Im Folgenden werden nacheinander Realindikatoren für die drei Komponenten der Produktionsfunktion sowie für die Branchenstruktur gesucht und ausführlich besprochen. 6.3.5.1 Realindikator für die Produktionsinputkomponente Hier liegt der Realindikator sehr nahe am Idealindikator. Es wird nur ein einzelner Realindikator benötigt, da es in der Produktionsfunktion auch nur einen Produktionsfaktor als Input gibt. Es handelt sich bei dem zur Verfügung stehenden Realindikator um das Anlagevermögen. Dieses ist als Wert aller Vermögensgegenstände einer Volkswirtschaft, die dauerhaft für den Produktionsprozess eingesetzt werden, (inkl. immaterielle Vermögensgegenstände und Infrastruktur) praktisch genauso definiert wie das Sachkapital. Es erscheint also berechtigt, die beiden Begriffe Sachkapital und Anlagevermögen synonym zu verwenden. Rein definitorisch hat man hier quasi den Idealindikator zur Verfügung. Jedoch werden die Daten des Anlagevermögensbestands statistisch errechnet und lassen sich nicht, wie es die Vorstellung des Idealindikators „Sachkapital“ ist, explizit aus einer Produktionsfunktion ermitteln. 6.3.5.1.1 Anlagevermögensbestand durch regionale Inventur Für eine methodisch und sachlich einwandfreie Bewertung des Anlagevermögensbestandes einer Region müsste zunächst eine Gesamtinventur der Region durchgeführt werden, um somit die tatsächlich vorliegende Bestandsgröße zu ermitteln. Die Gebäude, Anlagen und Infrastrukturteile müssten gezählt und danach in Geldeinheiten bewertet werden, um eine Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Regionen sicherzustellen. Diese Vorgehensweise ist aus verschiedenen Gründen real nicht durchführbar. Zunächst ist eine Inventur einer regionalen Volkswirtschaft zwar nicht theoretisch unmöglich, aber mit enormen Kosten verbunden. Der zweite Schritt, die Bewertung in Geldeinheiten ist, obwohl auch prinzipiell durchführbar, mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da eine solche Bewertung notwendigerweise willkürlich sein müsste. Da aus den geschilderten Gründen eine solche Herangehensweise nicht realistisch ist, muss folglich ein möglichst gutes, näherungsweises Erfassungsverfahren gefunden werden. Vorgeschlagen wird an dieser Stelle das Kumulationsverfahren. 124 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.3.5.1.2 Anlagevermögensbestand durch Kumulationsverfahren Man versucht sich hier über die aufsummierten Anlageinvestitionen dem Problem der Vermögensermittlung zu nähern. Eine Ermittelung des Bruttoanlagevermögens aus langen Reihen über viele Jahre aufsummierter Anlageinvestitionsdaten würde die Zugänge an neuem Sachkapital erfassen, und gleichzeitig die Abgänge für nach Ende ihrer Lebensdauer verschrottete Vermögensgegenstände periodengerecht berücksichtigen. Dies wird im Kumulationsverfahren in einer Abgangsfunktion abgebildet. Da in dem hier zugrunde gelegten Fall ein Bruttoanlagevermögen ermittelt werden soll, kommen Abschreibungen nicht zum Ansatz. Wird dagegen ein Nettoanlagevermögen ermittelt, findet statt einer Abgangsfunktion eine Abschreibungsfunktion Verwendung, die die alten Vermögensgegenstände in Anlagevermögen langsam bis auf Null abschreibt293. 6.3.5.1.3 Brutto- und Nettokonzept Die Erfassung des Anlagevermögens ist nach dem Brutto oder dem Nettokonzept294 möglich. Hier soll das Bruttoanlagevermögen Anwendung finden, dass nach allgemein üblicher Konvention als Kapitalstock bezeichnet wird295. Bei der Ermittelung des Bruttoanlagevermögens werden Abschreibungen nicht berücksichtigt. Dies erscheint zunächst extrem kontrafaktisch, da Wertminderungen im Anlagevermögen immer real vorhanden sind, hier aber nicht abgebildet werden. Auf den ersten Blick scheint hier das Nettoanlagevermögen als Maß für den „Kapitalstock“ - also die Menge tatsächlich vorhandenen Kapitals- besser geeignet, denn hier wird von den Kapitalbeständen eine permanente Abschreibung abgezogen. Dieser Abbildungsbias durch das Fehlen der Abschreibung wird jedoch beim Bruttoanlagevermögen dadurch abgemildert, dass sog. Erhaltungsinvestitionen, die dazu dienen, eine einmal geschaffene Substanz an Kapitalbestand mittels Reparaturen in ihrem Wert und Funktion zu erhalten, ebenfalls nicht erfasst werden. Es läuft also quasi ein nicht sichtbarer Erhaltungsmechanismus im Hintergrund ab, angesichts dessen es nicht mehr ganz unberechtigt erscheint, Anlageinvestitionen über ihre gesamte Lebensdauer mit dem Anschaffungspreis zu bewerten. Weiterhin spricht für das Zugrundelegen eines Anlagevermögenskonzeptes ohne Abschreibungen, dass es zahlreiche bilanziell und steuerliche Abschreibungsmodelle gibt und nicht gesagt werden kann welches realistisch den Werteverzehr abbildet. Auch findet sich real häufig der Fall, dass bereits vollständig abgeschriebene Vermögensgegenstände noch immer vorhanden und zur Leistungsabgabe in der Lage sind. Offensichtlich gehen 293 Vgl. Brümmerhoff, D. et. al. (1994) S.288ff. Vgl. Brümmerhoff, D. et. al. (2002) S.17. 295 Vgl. Brümmerhoff, D. et. al. (1994) S.216. 294 125 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Abschreibungszeiträume grundsätzlich an den tatsächlichen Nutzungsdauern vorbei. Die Auswirkungen einer solchen grundsätzlich nicht werteverzehrsgerechten Abschreibung werden in der betriebswirtschaftlichen Literatur auch als Lohmann-Ruchti-Effekt beschrieben. Da sich die gesamtwirtschaftlichen Abschreibungen als Summe der betriebswirtschaftlichen Abschreibungen ergeben, scheint es durchaus berechtigt von überhöhten Abschreibungen auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene auszugehen. 6.3.5.1.4 Einbezogene Vermögenskomponenten296 Grundsätzlich erfolgt die Erfassung des Anlagevermögens nach ESVG. (Europäisches System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung).Auch die Abgrenzung der einbezogenen Vermögenskomponenten erfolgt nach den Vorgaben des ESVG. Das Anlagevermögen ergibt sich, wie gesagt, aus den Anlageinvestitionen der Vergangenheit. Strukturmerkmale, die die Anlageinvestitionen kennzeichnen, wirken auch unmittelbar auf das Anlagevermögen durch. Deshalb scheint es berechtigt, die beiden Größen bezüglich der Frage, welche Vermögenskomponenten einbezogen werden, gemeinsam abzuhandeln. Der Bestand an Anlagevermögen umfasst den Wert aller Vermögensgegenstände, die von der inländischen Wirtschaft, gebraucht oder neu, erworben werden oder selbst erstellt wurden. Verkäufe von gebrauchten Anlagen an das Ausland werden abgezogen. Eine grundsätzliche Aufgliederung des Anlagevermögens in der volkswirtschaftlichen Vermögensrechnung ergibt sich durch die Unterscheidung in Ausrüstungsvermögen und Bauvermögen. Die hier berücksichtigten Vermögensgegenstände müssen dauerhaft oder wiederholt zum Produktionsprozess eingesetzt werden. Öffentliche Infrastrukturinvestitionen, die selbstverständlich auch eine Komponente des gesamtwirtschaftlichen Produktionsprozesses sind, werden ebenfalls berücksichtigt. Es werden auch nur solche Anlagen berücksichtigt, die länger als ein Jahr im Produktionsprozess eingesetzt werden. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben langlebige Wirtschaftsgüter, die ausschließlich dem Konsum dienen und die somit keine investive Bedeutung haben. Jedoch wird hier nicht davon ausgegangen, dass die privaten Haushalte per se nur konsumieren und nicht investieren. Wohnbauten zählen zum Anlagevermögen, da diese, wenn sie vermietet werden, kein Konsumgut mehr sind, sondern als Produktionsfaktor in der quasi unternehmerischen Tätigkeit „Vermietung“ eingesetzt werden. Allerdings werden Wohnbauten auch ohne tatsächliche Vermietung im Anlagevermögen zugerechnet. Unberücksichtigt bleiben auch geringwertige Wirtschaftsgüter bis zu einer Grenze von 500 Euro bei 296 Vgl. Brümmerhoff, D. et.al. (2002) S.15f. 126 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Einzelanschaffung. Wird jedoch bei Erstausstattungen eine größere Menge geringwertige Wirtschaftsgüter wirtschaftlich zusammengehörig beschafft, so gelten diese als Anlageinvestitionen. Militärisch genutzte Güter gelten nicht als Investition, da hier keine Aussicht einer künftigen, produzierenden Leistungsabgabe besteht. Militärkrankenhäuser, Flugplätze, Transportflugzeuge und LKWs, die auch zivil nutzbar sind, werden allerdings zum Anlagevermögen gerechnet, da diese durch Konversionsprozesse einen zivilen Produktionsprozess zugänglich gemacht werden können. Erfasst werden als Teil des Anlagevermögens auch landwirtschaftliche Werte wie Nutztiere und Pflanzen. Es sind also auch Teile des Naturvermögens im Anlagevermögen enthalten. Auch immateriellen Vermögensgegenstände wie Computerprogramme und Datenbanken sind im Anlagevermögen enthalten. Dies ist auch sinnvoll, denn beispielsweise Computerprogramme bestimmen im allerhöchsten Maße wie gut Informationen für grundsätzliche, planerische Entscheidungen zur Verfügung stehen und wie effizient Organisationsprozesse gemacht werden können. Gut zur Definition des Sachkapital im Konzept der vier Kapitalien, dass auf die Erfassung realer Bestände abstellt, passt, dass bei der Berechnung des Anlagevermögens das finanzielle Anlagevermögen einer Volkswirtschaft nicht einbezogen wird. 6.3.5.1.5 Falsches, nicht wünschbares Anlagevermögen Die verschieden Anlagevermögensgegenstände werden keiner wertenden Differenzierung unterworfen. Es wird also angenommen, dass es kein „nicht wünschbares Anlagevermögen“ gibt, das aussortiert oder gegengerechnet werden müsste. Darüber hinaus wird auch die Existenz von „wirtschaftlich falschem Sachkapital“ annahmegemäß ausgeschlossen: Die Tatsache, dass es konjunkturelle Schwächephasen mit unausgelasteten Produktionspotentialen, hohen Lagerinvestitionen aufgrund eines plötzlichen Auseinanderfallen zwischen Angebot und Nachfrage gibt, legt ja die Vermutung nahe, dass es nicht nur auf mengenmäßige Aspekte bei der Beurteilung des Anlagevermögens ankommt, sondern dass es auch das „falsche Anlagevermögen“ geben könnte. Dass über lange Zeiträume in volkswirtschaftlich nennenswertem Umfang Fehlinvestitionen getätigt werden, ist in marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftssystemen aufgrund des Anreiz-und Sanktionsmechanismus des Marktes kaum denkbar. Ein extremes „am Markt Vorbeiplanen“ ist eher für Zentralverwaltungswirtschaften typisch. Zusätzlich lässt sich der These vom „falschen Sachkapital“ die Auffassung entgegensetzen, dass selbst das schon bestehende Anlagevermögen häufig vielfältig einsetzbar ist und es deshalb nicht das „falsche Anlagevermögen“ sondern nur „falsche Produktionspläne“ gibt. 127 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.3.5.1.6 Einzubeziehende Kostenkomponenten297 Bezogen auf die kostenmäßige Abgrenzung werden beim Anlagevermögen die Herstellungskosten berücksichtigt und nicht die Marktpreise, da in diesen Beträgen spezielle Verbrauchssteuern enthalten sind. Zudem werden bei mehrstufigen Produktionsprozessen (bei vorsteuerabzugsfähigen Wirtschaftseinheiten) die Umsatzsteueranteile unberücksichtigt gelassen, um nur den tatsächlichen Wertzuwachs bei der Ermittelung der Herstellungskosten zu berücksichtigen. Dies entspricht dem grundsätzlichen Prinzip steuerliche Einflüsse, die nichts mit der physischen Erstellung des eigentlichen Vermögensgegenstandes zu tun haben, aus der Wertermittlung herauszuhalten. Sinnvollerweise werden zu den Herstellungskosten auch die für den Produktionsprozess notwendigen Dienstleistungen (z.B. Kosten für Architekten, Rechtsanwälte usw.) mit einbezogen, denn diese sind ebenso essenziell wie Ausgaben für Erstellung des Produktes. 6.3.5.1.7 Preisliche Basis298 Hinzu kommt neben der Frage der einzubeziehenden Kosten auch noch die Problematik der Bewertung auf einer einheitlichen preislichen Basis, die aufgrund des Phänomens der Inflation notwendig wird Bei Bewertung zu Wiederbeschaffungspreisen wird der Wert abgebildet, den der entsprechende Anlagevermögensbestand hätte, wenn er erst heute aus dem Nichts geschaffen worden wäre. Hier zeigt sich deutlich, welchen Wert an das Anlagevermögen heute hat. Bei Bewertung in jeweiligen Preisen werden, entsprechend der Preisentwicklung, die ältesten Vermögensgegenstände am geringsten gewichtet eingehen, während die neusten Zugänge, ohne relativ im Vergleich mit Zugängen späterer Perioden preislich „zurückgestuft“ zu werden, eingehen können. Hierin kann man eine Berücksichtigung der schlechteren technischen Qualität alten Sachkapitals sehen. Jedoch ist nicht erkennbar, warum gerade die Preissteigerung eine gute Näherungsgröße für das technische Zurückbleiben alten Sachkapitals sein soll. Durch konstante Preise auf der Basis des Preisniveaus eines Jahres lassen sich Effekte der Inflation ausschalten. Durch die Preisbewertung auf Grundlage eines Basisjahres wird versucht, den Preissteigerungseffekt vom Mengensteigerungseffekt zu trennen. Die auf ein Basisjahr bezogene Datenwerte werden auch als Realwerte bezeichnet, da hier die nominalen – also rein zahlenmäßigen – Effekte der Preisänderungen nicht enthalten sind, und allein auf Veränderungen der Substanz der betrachteten Größe abgestellt wird299. Jedoch ergibt sich hier das Problem, dass Preissteigerungen nicht immer in vollem Umfang Inflation 297 Vgl. Brümmerhoff, D. et.al. (2002) S.16f. Vgl. Brümmerhoff, D. et.al. (2002) S.18 u. S.83f. 299 Vgl. Mankiw, N.G. (1999) S.527. 298 128 6. Analyse der vier Kapitalbereiche darstellen. Teile der Preissteigerungsraten sind durch Produktverbesserungen in der Haltbarkeit, dem Funktionsumfang oder der Sicherheit substanziell gerechtfertigt und stellen keinen Preisauftrieb im eigentlichen Sinne dar.300 Beachtet man dies nicht, so würden nach dem Basisjahr geschaffene Komponenten des Anlagevermögens wertmäßig zu sehr abgewertet. Das neuere Anlagevermögen wird also in seinem Wert unterschätzt. Gleichzeitig wird das alte Anlagevermögen preislich zu stark aufgewertet und dadurch zu hoch angesetzt. Welcher Anteil der Preissteigerungen substanziell gerechtfertigt ist, lässt sich nicht genau sagen und somit die damit verbundene Problematik nie ganz ausschalten. Ist man sich jedoch dieser Zusammenhänge grundsätzlich bewusst, dann lässt sich eine Schätzung über eine um Produktverbesserungen bereinigte Inflationsrate heranziehen und so das Problem reduzieren. Daten hierzu liegen dem PbSf-Projekt allerdings nicht vor, so dass eine Produktverbesserungsbereinigung nicht vorgenommen werden kann. Dennoch ist die Bewertung in konstanten Preisen noch immer die geeignete Preisbasis bei der Berechung des Bruttoanlagevermögens, welche als einzige willkürliche Inflationsverzerrungen (weitgehend) aus der Erfassung heraushalten kann. Daher entscheidet man sich im Rahmen des PbSf-Projektes für das Arbeiten mit konstanten Preisen eines Basisjahres. Das Bruttoanlagevermögen wird als inflationsbereinigter Wert, also als Realwert betrachtet und behandelt. 6.3.5.1.8 Richtwert für Anlagevermögen und Anlageinvestition Bezüglich des Anlagevermögens gilt als Richtwert und Zielwert, dass mehr Anlagevermögen immer besser ist. Dies ist kohärent mit der oben genannten Annahme, dass für ein als nachhaltig bezeichnetes Wirtschaften eine mindestens geringfügige Steigerung des Anlagevermögens erforderlich ist. Dies erscheint auch insofern sinnvoll, als dass aus mehr Kapitalbestand oder Anlagevermögen als Input auch mehr Output in Form des Bruttoinlandsproduktes gemacht werden kann. Diese Vorstellung ist aber nur solange konsistent, wie man davon abstrahiert, dass für zusätzliche Einheiten an Anlagevermögen, wegen der abnehmenden Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, immer höhere Anlageinvestitionen getätigt werden müssen, um noch gleiche jährliche Kapazitätsausweitungen zu erreichen. Deshalb kann nur für das Anlagevermögen „per se“ die Zielgröße „mehr ist besser“ gelten. Für die Anlageinvestitionen gilt dies so nicht. Wenn dies so ist, und wenn die Bedürfnisse der einzelnen Generation und auch jeder folgenden Generation gleichwertig sind, dann muss es eine Untergrenze für die Anlageinvestitionen geben, um die Qualität des Kapitalstocks zu erhalten. Aber es muss auch eine Obergrenze für das Investitionsvolumen geben, denn wenn eine Generation extrem investiert, muss dies nicht unmittelbar zu einem 300 Vgl. Brümmerhoff, D. et.al. (2002) S.86. 129 6. Analyse der vier Kapitalbereiche hervorragenden Kapitalstock künftiger Generationen führen. Es kann durch eine über den Optimalpunkt hinausgehende Investitionstätigkeit zu Verschwendung von Ressourcen aus dem aktuellen Produktionspotential kommen und so ein effizienter Kapitalakkumulationsprozess verfehlt werden. 6.3.5.1.9 Optimale Investition für optimalen Kapitalstock Besonders günstig wäre in diesem Zusammenhang, wenn es ein Kriterium für die Bestimmung des optimalen Kapitalstocks sowie des dafür notwendigen optimalen Investitionsvolumens gäbe. Auf Basis einer keynesianischen Konzeption ist die Investitionen einerseits vom Zins andererseits von den zu erwartenden Absatzmöglichkeiten bzw. Erträgen der Investitionsentscheidung abhängig. Ein Kriterium für die optimalen Investition ist dann in Grenzertrag / Grenzkosten ≥ 1 gegeben. Man könnte auch formulieren, dass die zum optimalen Kapitalstock noch fehlenden Investitionsausgaben immer die Differenz von erwünschtem und vorhandenem Kapitalstock sind. Dementsprechend ergibt sich als Kriterium, dass so lange weiter investiert werden sollte, wie Grenzproduktivität des Kapitals (als Ertrag der letzten Einheit im Kapital) und Grenzkosten der Investition nicht genau gleich groß sind. Ein optimaler Kapitalstock ist, da er auf erwartete Erträge bezogen wird, immer nur relativ zu erwarteten Outputniveau optimal301. Eine absolute Optimalbestimmung scheint nicht möglich. Da Grenzbegrifflichkeiten im allgemeinen theoretisch-ökonomische Kriterien für die Grenzen der Vorteilhaftigkeit wirtschaftlicher Aktivitäten liefern, aber operativ nicht zu berechnen sind, kann diese Optimierungsüberlegung nicht als tatsächliches Kriterium im PbSf-Projekt angewendet werden. Die wachstumstheoretischen Vorstellungen von Keynes und Kaldor, die bei der Analyse des Sachkapitals zugrunde gelegt wurden, gehen, anders als neoklassische Konzeptionen, davon aus, dass die freie Investitionsentscheidung des Unternehmers eine wichtige Rolle bei der Steuerung des Agglomerationsprozesses zum Kapitalstockaufbau hat. Im neoklassischen Modell sind solche „Entscheidungen“ endogen durch die Faktorpreisverhältnisse vorherbestimmt. Die freie Entscheidung schlägt sich bei Keynes und Kaldor in der Erwartungsbildung über künftige Erträge im obigen Optimierungskalkül nieder302. Solche Entscheidungen erfordern entsprechendes Wissen und Fähigkeiten, sowie unternehmerischen Mut, was durch die Wertschätzung leistungsorientierter Werte unterstützt wird. Diese Annahme bedeutet auch hier eine Öffnung hin zum Humankapital und Sozialkapital. 301 302 Vgl. Woll, A. (2000) S.383f. Vgl. Kromphard, D. et.al. (1997) S.4269. 130 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.3.5.1.10 Modernitätsgrad Die rein mengenmäßige Betrachtung von Kapitalstockbestand -und Aufbau lässt jedoch die unterschiedliche Alterszusammensetzung des Kapitalstocks außer Acht. Dies erfordert den zusätzlichen Indikator Modernitätsgrad. Dieser bietet eine wichtige Zusatzinformation, da in den Annahmen technischer Fortschritt als faktorgebunden, also auf die neuen Vermögensgegenstände beschränkt, betrachtet wurde. Beim Modernitätsgrad handelt sich um das Verhältnis von Netto zu Bruttoanlagevermögen und misst also, welcher Anteil des gesamten, vorhandenen Bruttoanlagevermögens bei Nettobetrachtung schon abgeschrieben worden ist. Der Modernitätsgrad gibt damit Auskunft über die Alterung des erfassten Bruttoanlagevermögens. Bei einem Wertebereich von „theoretisch nahe Null“ bis „1“ erreicht also ein insgesamt relativ junger Vermögensbestand die höchsten Werte (nahe 1). Je höher der Modernitätsgrad, desto jünger also der Kapitalbestand und desto mehr Produktivitätsfortschritt aus technischem Fortschritt ist schon eingeflossen. Häufig stehen Brutto -und Nettoanlagevermögensdaten nicht im gewünschten Ausmaß zur Verfügung. Da dieses Problem auch dieses PbSf- Projekt trifft, hat man sich von Seiten der Bearbeiter eine Möglichkeit überlegt, eine Modernitätsbewertung auf Grundlage der eher verfügbaren Netto- und Bruttoinvestitionsdaten vornehmen zu können. Der Indikator Modernitätstendenz ist das Verhältnis von Netto zu Bruttoanlageinvestitionen. Die Bruttoinvestitionen sind Ausdruck für Alles, was durch Investition neu zum Anlagevermögen hinzugekommen ist. Mit den Nettoinvestitionen, die sich von den Bruttoinvestitionen um die Abschreibungen der Periode auf das gesamte Vermögen unterscheiden, enthält die Modernitätstendenz dann alle Entwicklungen am aktuellen Rand. Insbesondere die Veränderungsraten der Modernitätstendenz lassen interessante Interpretationen zu. Sinkt beispielsweise der Quotient von Netto- und Bruttoinvestition, dann zeigt dies, dass die Abschreibungen relativ stärker zugenommen haben als die Neuinvestitionen, was den Rückschluss auf sinkende Modernität im Anlagevermögen zulässt. Da leider auch festgestellt werden musste, dass keine Daten für Nettoanlageinvestitionen zur Verfügung stehen, kann auch dieser Ersatzindikator nicht verwendet werden. Allerdings für künftige Projekte könnte die hier dargestellte Aussagekraft von „Modernitätstendenz“ ein Hinweis sein. Es muss allerdings als Kritikpunkt an Modernitätsgrad- und Tendenz festgestellt werden, dass hier wiederum der Abschreibungsverlauf als Näherungsgröße für die tatsächliche Alterung benutzt wird, was schon bei der Argumentation für das Bruttoanlagevermögen als etwas problematisch erkannt worden ist. 131 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.3.5.2 Realindikatoren für die Produktionsprozesskomponente Es handelt sich auch hier um Größen der amtlichen Statistik, die alle nach der Systematik des ESVG erfasst sind. 6.3.5.2.1 Kapitalproduktivität303 Die Kapitalproduktivität ist das Verhältnis aus BIP zum Kapitalstock. Es gibt also an, wie viele in dem Jahr erwirtschaftete Einheiten BIP als Output des gesamtwirtschaftlichen Produktionsprozesses auf eine Geldeinheit Kapitalstock kommen. Es zeigt also als Ergiebigkeitsmaß, was outputbezogen an Produktionsergebnis aus dem gegebenen Kapitalbestand gemacht wurde- dies aber insgesamt und in Durchschnittsbetrachtung, was diese Kennzahl von der Grenzproduktivität unterscheidet. Die Kapitalproduktivität macht keine Aussage darüber, wie stark der Faktor Kapital zum Gesamtergebnis beigetragen hat sondern, setzt nur unabhängig vom Beitrag anderer Faktoren den Kapitaleinsatz zum Ergebnis ins Verhältnis.304 Eine steigende Kapitalproduktivität bedeutet ergiebigere Produktion eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit, somit bessere künftige Investitionsfähigkeit und damit eine größere Nachhaltigkeit. 6.3.5.2.2 Kapitalkoeffizient305 Der Kapitalkoeffizient ist das Verhältnis aus Kapitalstock zu BIP. Es handelt sich hier um den reziproken Wert der Kapitalproduktivität, was bedeutet, dass hier sinkende Werte auf mehr Nachhaltigkeit hindeuten. Der Kapitalkoeffizient zeigt in seiner Berechnung, wie viele Einheiten des Produktionsinputs Kapitalstock notwendig sind um eine Einheit BIP als Output zu erzielen. Vor allem an der Veränderung dieser Kennzahl lässt sich erkennen, wie auf Grundlage eines alten Kapitalstocks ein BIP erwirtschaftet wurde, das (hoffentlich) investiv verwendet wurde und dadurch zusätzlicher Kapitalbestand im Kapitalstock hervorgebracht wurde. 6.3.5.2.3 Kapitalintensität306 Die Kapitalintensität ist das Verhältnis von Kapitalstock zu Erwerbtätigen in der Region. Es handelt sich um eine Angabe wie groß der Wert der vorhandenen Produktionsanlagen durchschnittlich pro Erwerbstätigen ist. Es gibt an, wie viel Kapital pro Arbeitsplatz eingesetzt wird. Die Kapitalintensität zu Wiederbeschaffungspreisen ermöglicht zusätzlich eine Aussage darüber, wie viel Kapital heute aufgewendet werden müsste um einen genau durchschnittlichen Arbeitsplatz neu einzurichten. Die entsprechenden Werte stehen allerdings nicht zur Verfügung. In der hier vorgenommenen Bewertung in konstanten Preisen, 303 Vgl. Brümmerhoff, D. et.al. (2002) S.215. Vgl. Brümmerhoff, D. et.al. (2002) S.306. 305 Vgl. Brümmerhoff, D. et.al. (2002) S.215. 304 132 6. Analyse der vier Kapitalbereiche lässt sich bei zum Beispiel steigender Kapitalintensität ableiten, dass der Einsatz des Faktors Kapital relativ zum Faktor Arbeit an Bedeutung gewonnen hat, Arbeit also durch Kapital substituiert wurde. Geringfügig abweichend von der Norm, wird die Kapitalintensität hier nicht mit den Erwerbstätigen berechnet, sondern mit den Beschäftigten. Es wird sich vermutlich hieraus kein großer Fehler ergeben, denn es kann unterstellt werden dass nur wenige Erwerbstätige zwei Beschäftigungen nachgehen. Die alternative Berechnung mit den Daten der Erwerbspersonen hätte aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit einen noch wesentlich stärkeren Bias verursacht. Bei der Kapitalintensität kann in einer Steigerung des Indikatorwertes ein positiver Beitrag zur Nachhaltigkeit gesehen werden, denn wenn im Produktionsprozess eine höhere Kapitalausstattung je Beschäftigtem vorliegt, bedeutet auch dies höhere Wettbewerbsfähigkeit, bessere Investitionsfähigkeit und damit eine größere Nachhaltigkeit. Enger Interpretationszusammenhang Kapitalintensität -Produktivität Vor der grundsätzlichen Interpretation der Kapitalproduktivität als Ergiebigkeitsmaß macht es sicher zunächst Schwierigkeiten die Tatsache der in modernen Industrieländern häufig sinkenden Kapitalproduktivitäten sinnvoll einzuordnen. Ist in so einem Fall gleichzeitig die Kapitalintensität gestiegen, kann davon ausgegangen werden, dass Hier ist Produktion nicht im Durchschnitt unwirtschaftlicher geworden ist, sondern durch die Substitution von Arbeit durch Kapital, also starkes investieren in Kapitalanlagevermögen der Kapitalstock stärker gestiegen ist als die entsprechende Outputgröße (BIP). Verzerrungseffekt bei Kapitalproduktivität --Das Phänomen der Konjunktur Die Konjunktur stört die bisher verwendete Vorstellung von den volkswirtschaftlichen Produktionszusammenhängen auch insofern, als dass implizit immer eine Normalauslastung des Produktionspotenzials (SVR 96,5%) unterstellt wurde. Konjunkturelle Schwankungen im Auslastungsgrad wirken sich sowohl auf das BIP als auch auf die Bruttowertschöpfung aus. Bei der Berechnung der Kapitalproduktivität mit einer dieser beiden Größen ergibt sich nun das Problem, dass man in der Kapitalproduktivität eine konjunkturzyklische Komponente hat307. Dies ist nachteilig, da man mit der Kapitalproduktivität eine grundsätzliche Aussage über den Produktionsprozess machen wollte und nun zyklische Verzerrungseffekte beobachtet. Bei langen Zeitreihen stehen folgende Bereinigungsmöglichkeiten des Kapitalkoeffizienten und Kapitalproduktivität um Konjunktureffekte zur Verfügung. Man könnte die peaks der Hochkonjunktur in einer peak-to-peak-Methode verbinden, um so den BIP- Verlauf der vollen Produktionspotenzialauslastung zu erhalten. Jedoch ist nicht sichergestellt, ob 306 307 Vgl. Brümmerhoff, D. et.al. (2002) S.214. Vgl. Clement, R. et.al. (2002) S.95. 133 6. Analyse der vier Kapitalbereiche nicht manche peaks „weak- peaks“ sind und ob nicht andere peaks nur durch extreme Beanspruchung aller Faktoren an der äußersten Leistungsgrenze realisiert werden, was eine langfristige Überlastung des Produktionspotenzials bedeutet308. Sinnvoller wäre es eine Ausgleichsgerade durch den ganzen Konjunkturzyklus zu legen und dann diese Gerade bis knapp unterhalb der peaks parallel nach oben zu verschieben, um der angesprochenen Normalauslastungsvorstellung zu entsprechen. In diesem PbSf-Projekt werden die Kapitalproduktivität, der Kapitalkoeffizient und die Kapitalintensität nur in einer kurzen Zeitreihe von sechs Jahren betrachtet, so dass eine explizite Konjunkturbereinigung hier nicht möglich ist. Es können nur im Einzelfall Mutmaßungen über konjunkturelle Einflüsse auf den Verlauf der oben genannten Größen angestellt werden. 6.3.5.2.4 Bruttowertschöpfung Die Bruttowertschöpfung ist die Differenz zwischen dem Wert sämtlicher eingesetzter Vorleistungen und dem Verkaufswert der entstandenen Fertigprodukte. Die Bruttowertschöpfung kann also als Maß für die im Produktionsprozess geschaffenen Werte angesehen werden. Die Bruttowertschöpfung wird unter Verwendung einer doppelten Deflationierung berechnet, wobei sowohl die Vorleistungen als auch die Fertigprodukte dabei auf ein gleiches Basisjahr bezogen werden. Sowohl bei der Kapitalproduktivität als auch beim Kapitalkoeffizienten kann die Bruttowertschöpfung als Ersatz für das BIP eingesetzt werden. Die Bruttowertschöpfung ist kein eigenständiger Indikator(der wäre auch nicht inputseitig), sondern nur Hilfsgröße bei der Bestimmung weiterer, errechneter Kennzahlen. 6.3.5.3 Realindikator für den technischen Fortschritt Die Realindikatoren für den Technischen Fortschritt sind relativ weit von ihrem Idealindikator, der Veränderung der Produktionsfunktion für einen höheren Wachstumspfad, entfernt. Die Indikatoren entstammen der Überlegung, den Innovationsprozess als ein dem Produktionsprozess vorgelagerten Vorgang zu betrachten. Der Indikator F&EAusgaben stellt den Input, Patente den Output des Innovationsprozesses dar. Beide sind jedoch Inputs für den Produktionsprozess, an dem sich die Nachhaltigkeitsbewertung festmacht. Patente werden hier nicht nach Produkt- und Prozessinnovationen unterschieden, denn es wird angenommen, dass beides gleichermaßen zur Erweiterung des Produktionspotentials beitragen kann. Man muss sowohl Input als auch Output im Innovationsprozess betrachten, denn nicht jede F&E- Ausgabe führt zu marktfähigen Produkten und umgekehrt wird nicht 308 Vgl. Brümmerhoff, D. et.al. (2002) S.306. 134 6. Analyse der vier Kapitalbereiche jede marktfähige Innovation zum Patent angemeldet309. Bei schnellen Innovationszyklen unterlassen Unternehmen häufig die Patentanmeldung, da das Anmeldeverfahren zu lange dauert und Geheimhaltungsrisiken ungern eingegangen werden. Bei den angemeldeten Patenten kann aufgrund der hohen Kosten der Patentanmeldung allerdings davon ausgegangen werden, dass es sich um relativ marktnahe Entwicklungen handelt. Bezogen auf den Nachhaltigkeitsbeitrag von Patenten wird darauf verzichtet, einzelne Patente als „nicht wünschbar“ negativ abzuqualifizieren. Es besteht allerdings die Möglichkeit über den Indikator High-Tech Patentanmeldungen die Patente mit besonders positivem Nachhaltigkeitsbeitrag weitergehend zu qualifizieren. Gleichermaßen gilt für Patente wie auch für die F&E- Ausgaben, dass ein „Mehr“ im Zahlenwert des Indikators als stärker nachhaltig angesehen wird. Bezüglich der Patente wird ein positiver Nachhaltigkeitsbeitrag angenommen, obwohl die hier festgeschriebene, vorübergehende Monopolposition zu suboptimaler Auslastung des Produktionspotentials führen kann. Dies wird aber überkompensiert durch die Tatsache, dass ohne explizite Zuordnung von property-rights viel weniger Innovationen entstünden und Patente zusätzlich die Funktion der kontrollierten Weiterverbreitung von Innovation erfüllen.310 In wechselseitiger Ergänzung ermöglichen die beiden Indikatoren F&E- Ausgaben und Patente letztlich eine näherungsweise zutreffende Beschreibung des Innovationsprozesses. 6.3.5.4 Realindikator Branchenstruktur Einen einzigen Realindikator für die Beurteilung der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit einer Region durch die geeignete Zusammensetzung der regionalen Branchenstruktur gibt es nicht. Als Realindikatoren müssen deshalb die Beschäftigten in Hochtechnologiebereich herangezogen werden. Betrachtet werden hier als Realindikator für die Branchenstruktur die Anteile der Beschäftigung in den folgenden Branchen als Anteil an der Gesamtbeschäftigung. Chemische Industrie, Spitzentechnologie im Verarbeitenden Gewerbe inklusive High-Tech-Dienstleistungen im Verarbeitenden Gewerbe, Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektrotechnologie, Information und Kommunikation, Meß- Steuerund Regelungstechnik, medizinische High-Tech, Optikindustrie sowie Dienstleistungen mit umfassenden Kenntnissen als Voraussetzung. Bei diesen Branchen handelt es sich um die nach der internationalen Branchenklassifikation NACE als High-Tech-Branchen bezeichneten Wirtschaftsbereiche. Diese haben, wie vom Idealindikator gefordert, eine hohe Produktivität und Kapitalintensität und lassen so auch unter den Kostenbedingungen entwickelter Industrieländer erhöhte Wettbewerbsfähigkeit erwarten. Zusätzlich sind diese High-Tech-Branchen durch einen technologischen Wissensvorsprung gekennzeichnet, der einen gewissen 309 310 Vgl. Oppenländer, K.H. (1988) S.265f. Vgl. Oppenländer, K.H. (1988) S.265f. 135 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Schutz vor Konkurrenz durch Nachahmerprodukte aus Schwellenländern sichert. Die Messung des Anteils dieser Branchen an der Volkswirtschaft ist deshalb nur über die Anteile an der Beschäftigung möglich, da Angaben über die Umsatzanteile fehlen. 6.3.6 Analyse der Realindikatoren 6.3.6.1 Analyse des Kapitalstockes Abbildung X: An dieser Stelle: Darstellung aus Tabelle_Kapitalstock.xls Platzhalter 120 115 110 105 100 95 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Rheinland-Pfalz Saarland Luxemburg Lothringen Wallonien Saar-Lor-Lux Quelle: Großregion Saar-Lor-Lux: Im Zeitraum zwischen 1995 bis 1997 liegt die Steigerung des Kapitalstocks in der Großregion bei 1,5 %. Zwischen 1997 und 1999 steigert sich der jährliche Zuwachs des Kapitalstocks auf bis zu 2,02 % pro Jahr. Ab 1999 beträgt die Steigerung des Kapitalstockes 2.06 %. Die Zunahme der Steigerung ist zwar rückläufig, aber es existieren dennoch jährliche Zuwächse des Kapitalstockes, welche die Entwicklung der Großregion als nachhaltig kennzeichnen. Datenlage: Es stehen auf NUTS 2 - Ebene nur Daten für das Bruttoanlagevermögen in Rheinland-Pfalz und Saarland zur Verfügung. Die Daten für die übrigen Teilregionen sowie für die Großregion wurden durch Hochrechnung produziert. (Methode siehe Anhang) 136 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Teilregionen: Wallonie: Im Zeitraum von 1995 bis 1999 steigert sich der jährliche Zuwachs des Bruttoanlagevermögens von 1,21 % auf 2,06 % pro Jahr. 1998 liegt die jährliche Steigerung erstmals über der durchschnittlichen Steigerung der Großregion. Ab 1999 verringert sich die Zunahme der Steigerung, so dass sie im Jahr 2000 bei 2,11 % liegt. Diese Steigerungsrate, die höher ist als der Durchschnittliche Wert der Großregion zeigt, dass die Wallonie sich nachhaltig entwickelt. Rheinland-Pfalz: Von 1995 bis 1997 verringert sich die Steigerung des Bruttoanlagevermögens von 1,81 % auf 1,67 %. Ab 1997 zeigt sich eine konstante Steigerung der jährlichen Zunahme, so dass dies im Jahr 2000 1,97 % beträgt. Ab 1997 liegen die Steigerungsraten aller Teilregionen über der von Rheinland-Pfalz. Dies zeigt, dass sich Rheinland-Pfalz zwar nachhaltig entwickelt, aber dies vergleichsweise gering. Saarland: Die Zuwachsraten des Bruttoanlagevermögens im Saarland verringern sich zwischen 1995 und 1997 von 1,55 5 auf 1,50 % pro Jahr. Im Zeitraum von 1997 bis 1999 steigert sich die Zunahme des jährlichen Wachstums, so dass im Jahr 1999 2,02 % Wachstum zu verzeichnen ist. Ab 1999 verringert sich die jährliche Zunahme jedoch auf 1,97 % pro Jahr im Jahr 2000. Auch die Entwicklung des Saarlandes ist als nachhaltig zu bezeichnen. Lothringen: Lothringen verzeichnet im Zeitraum von 1995 bis 1998 die geringsten Wachstumsraten, jedoch steigen diese seit 1997 stark an. Das Wachstum reduziert sich jedoch zwischen 1999 und 2000, so dass im Jahr 2000 nur noch eine jährliche Steigerung des Bruttoanlagevermögens von 1,94 % zu verzeichnen ist. Die Steigerungsraten Lothringens haben sich im Zeitverlauf an die der anderen Teilregionen angeglichen, so dass nun von nachhaltigem Wachstum gesprochen werden kann. Luxemburg: Die jährliche Steigerung des Bruttoanlagevermögens liegt im Luxemburg während des gesamten Betrachtungszeitraumes über dem der anderen Teilregionen. Seit 1997 wachsen diese jährlichen Steigerungsraten zudem noch sehr stark an, so dass im Jahr 2000 ein Wachstum von 3,44 % im 137 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Bruttoanlagevermögen erreicht wurde. Luxemburg entwickelt sich im Bereich des Bruttoanlagevermögens also in hervorragender Weise. 6.3.6.2 Analyse des Modernitätsgrades: Abbildung x: Modernitätsgrad (%) 80 70 60 50 40 1995 1996 1997 Rheinland-Pfalz 1998 1999 2000 Saarland Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen für Rheinland-Pfalz und das Saarland: Datenlieferung des Statistischen Landesamtes des Saarlands. Errechnet aus Brutto- und Nettoanlagevermögen. Großregion Saar-Lor-Lux : Für die Großregion Saar-Lor-Lux kann keine Aussage getroffen werden, da die benötigten Nettoanlagevermögen nur in Rheinland-Pfalz und dem Saarland verfügbar sind. Teilregionen: Rheinland-Pfalz: Der Modernitätsgrad des Anlagevermögens in Rheinland-Pfalz beträgt 1995 63,09 % und verringert sich stetig auf 61,86 % im Jahre 2000. Obwohl diese Entwicklung nicht richtungsweisend ist für eine Nachhaltige Entwicklung, so lässt sich Rheinland-Pfalz dennoch als nachhaltig beschreiben, da der Rückgang des Modernitätsgrades nicht stark ausgeprägt ist und der Wert mit über 61 % noch relativ hoch ist. 138 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Saarland: Der Modernitätsgrad des Saarlandes ist ebenfalls rückläufig, allerdings zeigt sich der Abwärtstrend ab dem Jahr 1999 verlangsamt, so dass auch dass Saarland aufgrund des noch sehr hohen Modernitätsgrades als nachhaltig beschrieben werden kann. 6.3.6.3 Analyse der Kapitalproduktivität / Kapitalkoeffizienten An dieser Stelle: die entsprechend nebeneinander gestellten Viererpäckchen von Abbildungen aus Tab_kapitalintensität_kapitalprod.xls Es sei als Vorbemerkung sei vorausgeschickt mit welchem Beitrag zur Nachhaltigkeit die entsprechenden Veränderungen des Verlaufs der Kapitalproduktivität bewertet werden: eine steigende Kapitalproduktivität bedeutet ergiebigere Produktion, eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit, somit bessere künftige Investitionsfähigkeit und damit auch eine größere Nachhaltigkeit. Hier soll im Wesentlichen der Verlauf der Kapitalproduktivität betrachtet werden, denn der Verlauf des Kapitalkoeffizienten würde jeweils nur spiegelbildlichen Verlaufsveränderungen aufweisen. Saar-Lor-Lux in der Gesamtregion ergibt sich insgesamt eine zunächst leicht unter das Ausgangsniveau von 1997 fallende Kapitalproduktivität feststellen, die nach einer Trendumkehr in den beiden letzten Jahren des Betrachtungszeitraums noch geringfügig über das Ausgangsniveau steigen kann. Rheinland-Pfalz Hier ergibt sich ein relativ zu den anderen Regionen vergleichsweise deutlich fallender Verlauf der Kapitalproduktivität, der sich den letzten beiden Jahren des Betrachtungszeitraums in einen steigenden Trend umgekehrt. Jedoch wird das Ausgangsniveau des Jahres 1995 nicht wieder erreicht. Saarland Es ergibt sich hier ähnlich wie in Rheinland-Pfalz ein unter das Ausgangsniveau fallender Verlauf, jedoch ist dieser Trend noch etwas stärker als der deutschen Nachbarregion und das Aufholen in den Jahren 1999 und 2000 fällt noch etwas schwächer aus. Luxemburg Luxemburg zeigt einen kontinuierlichen und sich über die Zeit verstärkenden Aufwärtstrend in der Entwicklung der Kapitalproduktivität und erreicht insgesamt 139 6. Analyse der vier Kapitalbereiche den enormen Zuwachs auf etwa 130 Prozent des Ursprungsniveaus über den gesamten Zeitraum hinweg. Offensichtlich lassen sich bei der Wirtschaftsstruktur Luxemburgs (hoher Anteil finanzieller Dienstleistungen und allgemein erhöhter Dienstleistungsanteil) mit dem ohnehin schon relativ starken, investitionsbedingten Aufbau des Kapitalstocks noch wesentlich stärkere relative Steigerungen des BIP erreichen. Nur so lässt sich angesichts der entsprechenden Definitionsgleichung die dramatisch-positive Entwicklung der Kapitalproduktivität in Luxemburg erklären. Luxemburg erreicht mit der höchsten Kapitalproduktivität die ergiebigste Produktion. So wird wiederum die stärkste Wettbewerbsfähigkeit erreicht, die beste künftige Investitionsfähigkeit und damit die größte Nachhaltigkeit. Lothringen und Wallonien Lothringen und Wallonien zeigen in Niveau und Trendverlauf eine nahezu gleichlaufende Entwicklung der Kapitalproduktivität, der zudem mit dem durchschnittlichen Trendverlauf der Gesamtregion nahezu übereinstimmt. Dieser Trendverlauf ist gekennzeichnet durch eine zunächst leicht unter das Ausgangsniveau von 1997 fallende Kapitalproduktivität und ein Aufholen in den letzten beiden Jahren, dass ein geringfügiges Übersteigen des Ursprungsniveaus ermöglicht. Bei diesen beiden Regionen zeigt sich mit geringeren Schwankungen und vor Allem einem höheren erreichten Niveau, das das Ursprungsniveau übertrifft, zum Ende des Betrachtungszeitraums eine positivere Entwicklung als beim Saarland und Rheinland-Pfalz. Insgesamt fällt auf, dass sich deutliche Verlaufsunterschiede in Abhängigkeit von der nationalstaatlichen Zugehörigkeit der Teilregion feststellen lassen. Dies mag sich durch teilweise deutliche Unterschiede in den Steuersystemen und bei der angenommenen zinsabhängigen Investitionstätigkeit sich auch durch unterschiedliche Zinssätze erklären. Nivellierende Einflüsse auf den Zins durch die Euroeinführung dürften im Betrachtungszeitraum kaum eine Rolle spielen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Kapitalproduktivität mit Ausnahme von Luxemburg in allen anderen Teilregionen und in der Großregion zunächst fällt und dann seinen Trend nach oben zu einem leichten Steigen umkehrt. Niveaufragen, also ob ein Ausgangsniveau wieder erreicht wird, spielen hier momentan keine Rolle. Erklären lässt sich dies so, dass die kontinuierliche Kapitalstocksteigerung nicht zu einer entsprechend starken Steigerung beim BIP geführt hat. Dieser Effekt mag in geringerem Umfang dadurch erklärbar sein, dass im Rahmen von Rationalisierungsinvestitionen Arbeit durch Kapital substituiert worden ist und ein gering gestiegenes BIP nun mit viel mehr Kapitaleinsatz hergestellt wird. In der Großregion insgesamt ist allerdings kein deutlicher Beschäftigungsrückgang zu verzeichnen- eher und besonders ab 1997- werden 140 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Beschäftigungszuwächse sichtbar. Es ist also zu vermuten, dass konjunkturelle Einflüsse hier eine stärkere Rolle spielen. Diese haben es zunächst nicht erlaubt ein hohes BIP aus dem eingesetzten Kapitalstock heraus zu erreichen. Erst die anziehende Konjunktur hat die zu verzeichnende Trendumkehr durch ein schneller als der Kapitalstock steigendes BIP ermöglicht. 6.3.6.4 Analyse mit Erweiterung um die Kapitalintensität An dieser Stelle: die entsprechend nebeneinander gestellten Viererpäckchen von Abbildungen aus Tab_kapitalintensität_kapitalprod.xls Bei der Kapitalintensität kann wiederum in einer Steigerung des Indikatorwertes ein positiver Beitrag zur Nachhaltigkeit gesehen werden. Denn wenn im Produktionsprozess eine höhere Kapitalausstattung je Beschäftigtem vorliegt, bedeutet auch dies höhere Wettbewerbsfähigkeit, bessere Investitionsfähigkeit und damit eine größere Nachhaltigkeit. Es lassen sich auch bei der Kapitalintensität deutliche Verlaufsunterschiede in Abhängigkeit von der nationalstaatlichen Zugehörigkeit der Teilregion feststellen. Luxemburg In Luxemburg zeigt sich eine nur geringfügig steigende Kapitalintensität bei extrem steigender Produktivität und auch deutlich steigendem Kapitalstock. Offensichtlich ist mit der hochproduktiven Kapitalstockerweiterung eine überdurchschnittlich deutliche Steigerung der Beschäftigung einhergegangen. Dies ist angesichts der dienstleistungsorientierten Wirtschaftsstruktur Luxemburgs gut erklärbar. Wallonie und Lothringen Für diese Regionen (und insbesondere Lothringen) ist ein zunächst steigender, dann aber schubartig fallender Verlauf der Kapitalintensität typisch. Die Kapitalintensität liegt in beiden Regionen am Ende des Betrachtungszeitraums unter dem Ursprungsniveau. Bei konstant steigendem Kapitalstock können die Veränderungen der Kapitalintensität nur durch Beschäftigungseffekte erklärt werden. Im Fall von Lothringen sinkt die Beschäftigung bis 1996 und steigt dann schubweise wieder an. Dies drückt sich auch in dem Verlauf des schubweisen Absinkens der Kapitalintensität aus. Die Erklärung des beschäftigungsgetriebenen Ansteigens und dann Absinkens gilt in abgeschwächter Form auch für die Wallonie. Es kommt in beiden Teilregionen zu einem Schnittpunkt von Kapitalproduktivitäts- und Kapitalintensitätskurve. Der Schnittpunkt wird möglich durch das, wie gesehen, konjunkturgetriebene Steigen der 141 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Kapitalproduktivität und das von der Beschäftigungsentwicklung abhängige Sinken der Kapitalintensität. Es ist interessant zu sehen, dass in der Wallonie und Lothringen (und insbesondere Lothringen) der Arbeitsmarkt auf anziehende Konjunktur mit einer Beschäftigungserhöhung, die relativ stärker ist als Wachstum des Kapitalstocks (daher ja das Sinken der Kapitalintensität), reagiert. Saarland und Rheinland-Pfalz Man stellt in beiden Regionen fest, dass es ein gabelzinkenförmiges Auseinanderlaufen von Kapitalintensität und Kapitalproduktivität gibt. Das Absinken der Kapitalproduktivität ist bereits oben ausführlich begründet worden. Das Ansteigen der Kapitalintensität ist auch hier beschäftigungsgetrieben, also auf absolutes (allerdings geringfügiges) Fallen der Beschäftigung, beziehungsweise einen relativ zum Wachstum des Kapitalstocks nur geringen Beschäftigungszuwachs, zurückzuführen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die beiden deutschen Regionen die in Belgien und Frankreich sichtbar werdenden Reaktionen auf eine konjunkturelle Erholung nur vergleichsweise rudimentär mitvollziehen können. Diese Unterschiede lassen sich erstaunlicherweise feststellen, obwohl es bei allen Regionen (außer Luxemburg) eine deutliche Übereinstimmung in der Entwicklung des Kapitalstocks, mit einem linearen Wachstum auf etwa 110% des Ursprungsniveaus, gibt. 6.3.6.5 Analyse der Forschungs-& Entwicklungsausgaben An dieser Stelle: (Darstellung aus) Tabelle_FuE_Ausgaben.xls Großregion Saar-Lor-Lux: Von 1991 bis 1999 zeichnet sich in der Großregion Saar-Lor-Lux ein sehr klarer und stetiger Aufwärtstrend der Forschungs-& Entwicklungsausgaben ab. Es kommt mit einem durchschnittlichen jährlichen Anstieg um 6% zu einer Gesamterhöhung in diesem Zeitraum um über 50%, was den Rückschluss auf eine nachhaltige Entwicklung zulässt. Teilregionen: Wallonie: Die Entwicklung der Wallone im Betrachtungszeitraum kennzeichnet sich durch einen zunächst starken und dann abflachenden Anstieg der F&E Ausgaben bis zum Jahr 1998; steigt dann aber wiederum stark an. Mit im Durchschnitt 9% jährlichem Wachstum ist die Wallonie die Region mit dem schnellsten Wachstum 142 6. Analyse der vier Kapitalbereiche in den F&E Ausgaben und rechtfertigt mit diesen höchsten Zuwachsraten eine stark positive Aussage hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung. Bezogen auf die pro Kopf Ausgaben liegt die Wallone allerdings unter dem Großregionsdurchschnitt; Im Jahr 1991liegen die pro Kopf Ausgaben der Wallonie noch um 28% niedriger als im Durchschnitt der Großregion 28% nähern sich diesem allerdings stark bis sie im Jahr 1999 nur noch um 4% unter Durchschnitt liegen. Rheinland- Pfalz: In Rheinland- Pfalz stagnieren die Ausgaben für F&E zunächst, steigen dann aber im zweiten Teil unseres Betrachtungszeitraums an. Mit durchschnittlichen jährlichen Zuwächsen von 4% bildet es jedoch mit dem Saarland im intraregionalen Vergleich das Schlusslicht. Dennoch sind die Tendenzen hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung gegeben, zumal die pro Kopf Ausgaben für F&E 1991 um 94% über dem Großregionsdurchschnitt liegen, 1999 immerhin noch 66% darüber, dies bedeutet den mit Abstand höchsten Wert im Saar-Lor-Lux Raum. Saarland: Nach einem zunächst relativ stark steigenden Verlauf der Ausgaben wird dieser dann schwächer. Obwohl das Saarland, genau wie Rheinland- Pfalz, mit „nur“ 4% jährlichem Wachstum im Großregionsdurchschnitt an letzter Stelle liegt, ist dieser Wert dennoch positiv zu bewerten, da wir als Nachhaltigkeitskriterium zumindest eine geringe Steigerung der F&E Ausgaben definiert haben. Allerdings liegen die pro Kopf Ausgaben unter dem Großregionsdurchschnitt und sinken (im Vergleich zu ihm) zudem noch leicht ( 1991: -21%; 1999: -27%). Lothringen: In Lothringen fällt ein sehr sprunghafter Verlauf der Ausgaben auf, bei dem besonders der auf eine Stagnation folgende steile Anstieg von 1996 auf 1997 ins Auge fällt. Das jährliche Wachstum von durchschnittlich 8% drückt eine nachhaltige Entwicklung aus. Dem gegenüber stehen aber die pro Kopf Ausgaben, die sich deutlich unter dem Großregionsdurchschnitt befinden (1991: -46%; 1999: -35%) und somit Lothringen trotz des Annäherns an den Durchschnitt im Vergleich die niedrigsten Ausgaben tätigt. Luxemburg: Leider stehen hier nur die Werte für das Jahr 2000 zur Verfügung, so dass keine Angabe zur Entwicklung gemacht werden kann. 143 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Dennoch lassen die pro Kopf Ausgaben, die mit ca. 250% über dem dem Großregionsdurchschnitt liegen, auf eine sehr solide Basis schließen, von der anzunehmen ist, dass sie dem Sachkapital hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung dienlich sein wird. Hinweis: Werte in Klammern bezeichnen Abweichungen um den jeweiligen Prozentwert vom Durchschnitt 6.3.6.6 Analyse der Patentneuanmeldungen An dieser Stelle: 2 Darstellungen aus Tabelle_Patentneuanmeldungen.xls Großregion Saar-Lor-Lux : Im Beobachtungszeitraum fällt die Anzahl der Patentanmeldungen zunächst, steigt dann aber konstant auf mittlerem Niveau an. Somit ergibt sich ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 4% was einen Nachhaltigkeitstrend impliziert. Hinzu kommt, dass sich der Anteil der High-Tech-Patente ständig vergrößert, was auch auf eine qualitative Entwicklung in nachhaltigem Sinn deutet. Teilregionen: Wallonie: Auch hier sinkt im Trend zunächst die Anzahl der Patenanmeldungen, wächst zunächst langsam, dann von 1996 bis 1998 sehr deutlich. Im anschließenden von uns betrachteten Entwicklungszeitraum ist kein klarer trendmäßiger Verlauf zu erkennen. Es ergibt sich ein jährliches durchschnittliches Wachstum von 10% und zeigt damit einen sehr positiven Wert hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung. Es ist jedoch anzumerken, dass der Wert der Patentanmeldungen pro 100.000 Einwohner 1990 nur 34% des Großregionsdurchschnitts erreicht, sich jedoch im Jahr 2000 auf 50% des Durchschnitts verbessern konnte. Die qualitative Analyse der Patentanmeldungen zeigt, dass der Anteil der HighTech Patente ca. 30 % über dem Durchschnittswert der von uns betrachteten Großregion liegt, somit ergibt sich auch hier ein Trend in Richtung Nachhaltigkeit. 144 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Rheinland- Pfalz: Die Anmeldungen sinken zunächst, steigen dann langsam, aber relativ konstant an. Im jährlichen Durchschnitt beläuft sich das Wachstum auf 2%. Das eher verhaltene Wachstum (im Gegensatz zu den anderen Regionen) muss hier mit dem bereits vorhandenem sehr hohem Niveau an jährlichen Neuanmeldungen relativiert werden, führt man sich vor Augen, dass der Wert pro 100.000 Einwohner 1990 um 160% über dem Großregionsdurchschnitt liegt. Im Jahr 2000 liegt die Anzahl an Neuanmeldungen pro 100000 Einwohner immerhin noch um 90% darüber. Die Anzahl der High-Tech-Anmeldungen liegt knapp unter dem entsprechenden Durchschnitt des Saar-Lor-Lux Raumes aber verdreifacht den Wert binnen drei Jahren. Man kann insgesamt eine positive nachhaltige Entwicklung ablesen. (Angemerkt seien hier die sehr ähnlichen Trend-Verläufe von Rheinland-Pfalz und der Großregion. Als ein wichtiges erklärendes Element sei hier die Masse an Anmeldungen in Rheinland- Pfalz angemerkt, die sich natürlich auf den Großregionstrend deutlich auswirkt). Saarland: Den anfänglichen Trend der meisten anderen Regionen der sich zu Beginn des Beobachtungszeitraums verringernden Anzahl an Neuanmeldungen, ist im Saarland besonders ausgeprägt. Dann folgt ein starkes Wachstum und somit eindeutiger Trend in Richtung nachhaltiger Entwicklung, so dass am Ende ein sehr hohes durchschnittliches Jahreswachstum von 10% zu verzeichnen ist. Der Wert pro100.000 Einwohner liegt zwar zunächst mit -36% noch deutlich unter dem Vergleichswert der Großregion, kann sich jedoch aufgrund des guten Wachstums auf nur -6% Abweichung vom Durchschnitt verbessern. Negativ seien die High-Tech Patente vermerkt, die 20% unter dem Durchschnitt des Raumes Saar-Lor-Lux liegen. Die Entwicklung des Anteiles der High-TechPatente entwickelte sich bis 1998 in günstiger Weise, ging dann jedoch leicht zurück. Lothringen: Lothringen ist die im regionalen Vergleich schwächste Region bei den Patentneuanmeldungen. Einem durchschnittlichen Jahreswachstum von 3% steht ein niedrigerer „Patente pro 100.000 Einwohner“-Wert der Neuanmeldungen gegenüber (1990: -40%; 2000: -50% des Großregionsdurchschnitts). Da das Wachstum aber dennoch positiv ist und zusätzlich Lothringen den höchsten Wert der High-Tech-Patente in den Regionen (+75% des Großregionsvergleichwertes) besitzt, kann der Gesamttrend dennoch als nachhaltig eingeordnet werden. 145 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Luxemburg: Hier sinkt die Anzahl der Patentanmeldungen nicht, wie bei allen anderen Regionen zu Beginn des Beobachtungszeitraums, sondern man kann hier eine direkt positive Entwicklung festzustellen, die sich zwar unregelmäßig, aber insgesamt, trendmäßig sehr steil nach oben bewegt und so am Ende den durchschnittlich höchsten Jahreswert im Vergleich der Einzelregionen von 11% aufweist. Bezogen auf die Anmeldungen pro 100.000 Einwohner folgt Luxemburg mit steigender Tendenz dem Großregionsdurchschnitt. Die High-Tech-Anmeldungen (+22%) können hier zusätzlich dem sehr hohen Wachstum positiv bewertet werden. Der Anteil der High-Tech-Patente zeigt in Luxemburg die beste Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit. 6.3.6.7 Analyse der Branchenstruktur An dieser Stelle: Darstellung aus Tabelle_Branchenstruktur.xls Großregion Saar-Lor-Lux : Als Branchenstruktur soll hier der Quotient von Beschäftigten in High-TechBranchen und den Beschäftigten aller Branchen bezeichnet werden. Im Zeitraum von 1994 bis 2002 zeigt die Großregion Saar-Lor-Lux einen leichten Trend in Richtung einer nachhaltigen Branchenstruktur, da der Anteil der HighTech-Branchen steigt. Bemerkenswert ist, dass in jedem zweiten Jahr der Anteil etwas zurückgeht, um dann im Folgenden wieder stärker zu steigen. Diese Entwicklung ist am ehesten durch sehr kurze Konjunkturzyklen zu erklären. Teilregionen: Wallonie: Die Branchenstruktur der Wallonie zeigt sich in Zeitverlauf relativ stabil. Der Verlauf zeigt jedoch leichte Zyklen, die sich durch ein leichtes Wachstum der High-Tech-Branchen und einen anschließenden Rückgang auszeichnen. Die Entwicklung ist zur Zeit leicht rückläufig, die beschriebenen Zyklen erschweren jedoch die Interpretation. Rheinland- Pfalz: Die Branchenstruktur in Rheinland-Pfalz zeigt sich fluktuierend aber leicht steigend. 146 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Saarland: Auch im Saarland zeigen sich zyklische Prozesse, die Einfluss auf die Entwicklung der Branchenstruktur nehmen. Im Saarland zeigt sich jedoch die nachhaltigste Entwicklung im Vergleich zwischen den Teilregionen, da hier der Anteil der Beschäftigten im High-Tech-Bereich über die gesamte Zeit betrachtet am stärksten steigt. Lothringen: Lothringen zeigt ebenso wie die anderen Teilregionen einen uneinheitlichen Verlauf der Branchenstruktur, lässt jedoch einen leichten Trend in Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung vermuten. Luxemburg: Luxemburg zeigt im Vergleich der Teilregionen einen eher gleichmäßigen Verlauf bezüglich seiner Branchenstruktur. Von 1994 bis 1998 schwankt der Wert kaum und hält sich bei etwa 4 %. Von 1998 bis 1999 steigt der Anteil der Beschäftigten im High-Tech-Bereich im Vergleich zu den übrigen Beschäftigten von 4,12 % auf 5,40 % stark an. Seit 1999 sinkt der Anteil jedoch stetig, so dass in 2002 nur noch 3,46 % der Beschäftigten im High-Tech-Bereich beschäftigt sind. 6.3.7 Wechselwirkungen innerhalb des Sachkapitals Innerhalb eines Kapitals können Wechselwirkungen zwischen den Indikatoren stattfinden. Denkbar sind grundsätzlich harmonische (win-win), neutrale und konfliktäre Entwicklungen (trade-off). Konfliktäre Entwicklungen kennzeichnen in diesem Zusammenhang eine Beziehung, in der sich die beiden Indikatoren in ihrer Entwicklung stören, harmonische Beziehungen sind solche, bei denen sie sich unterstützen und bei neutralen Beziehungen tangieren sich die Entwicklungen der Indikatoren nicht.. Zunächst sollen die vermuteten Zusammenhänge der Indikatoren innerhalb des Sachkapitals übersichtsartig zusammengestellt werden: Tabelle X: Wechselwirkungen der Indikatoren des Sachkapitals beeinflusst den Indikator an Patente Der Indikator FuEModernitätsAusgaben grad Kapitalintensität Branchen- Bruttoanstruktur lagevermögen Von Patente FuE-Ausgaben Harmonie Harmonie Harmonie Harmonie Harmonie Harmonie Modernitätsgrad 147 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Kapitalintensität Harmonie Branchenstruktur Harmonie Harmonie Bruttoanlagevermögen Quelle: eigene Erstellung Patente und Forschungs- und Entwicklungsausgaben (F&E) Ganz eindeutig lässt sich ein Zusammenhang zwischen den Indikatoren Patenten und Forschungs- und Entwicklungsausgaben herstellen. Sowohl Patente als auch FuE-Ausgaben gelten als Zeichen von Innovation und Fortschritt. Sie stehen in einem positiven Harmonie -Verhältnis zueinander. So lässt sich vermuten, dass bei einem Anstieg für FuE-Ausgaben auch bei der Anzahl der Patentanmeldungen ein Anstieg zu verzeichnen sein wird. Umgekehrt jedoch haben Patente keine eindeutig zuordenbaren Einflüsse auf die FuE-Ausgaben. Patente stellen in diesem Zusammenhang einerseits die Outputgröße des Innovationsprozesses, während FuE-Ausgaben der zugehörige Input sind, dar, andererseits bilden sie den Teil der Innovationen ab, der sonst nicht erfasst würde, nämlich solche Innovationen die sich als Zufalls- und Nebenprodukt anderer Aktivitäten ergeben haben. Patente und Modernitätsgrad Patente sind gleichsam Mittel zum Anstoß von Erneuerungsprozessen. Indirekt können Patente auf den Modernitätsgrad Einfluss nehmen, nämlich dann wenn aufgrund von Modernisierungsprozessen neue Erfindungen voran gegangen sind, und so eine Modernisierung überhaupt erst möglich gemacht wird. Patente und Wirtschaftsstruktur Eine günstige Branchenstruktur fördert die Patentanmeldungen im Hochtechnologiebereich, weil der Vorgang der Patentanmeldung eine Investition darstellt, die nur dann getätigt wird, wenn eine vernünftige Zukunftsperspektive gegeben ist. Patente und Bruttoanlagevermögen Patente stehen in einem indirekten Beeinflussungsverhältnis zu dem Bruttoanlagevermögen. So lässt sich annehmen, dass unter den neuen Patentanmeldungen sich auch jene befinden können, die marktfähige Produktionsinnovationen für einzelne Unternehmungen darstellen könnten. Somit können Unternehmen durch Patente zu neuen Investitionen angeregt werden, wenn die Innovationen eine günstigere Produktion ermöglicht. 148 6. Analyse der vier Kapitalbereiche F&E -Ausgaben und Modernitätsgrad Ähnlich wie die Patente wirken die F&E -Ausgaben gering auf den Modernitätsgrad. Das bedeutet also, wenn die Höhe der Ausgaben für F&E steigen, so kann angenommen werden, dass sich durch die Anwendung der Forschungsergebnisse auch der Modernitätsgrad erhöhen wird, weil der durch F&E -Ausgaben erhöhte Wissenstand in Maschinen umgesetzt wird. Deshalb werden in verstärktem Maße Anlagevermögensgüter angeschafft. F&E -Ausgaben und Bruttoanlagevermögen Die Forschungsergebnisse der F&E -Ausgaben können einen indirekten Einfluss auf das Bruttoanlagevermögen haben. Wenn demnach viel Geld in F&E investiert wird, so ist die Wahrscheinlichkeit der Erhöhung des Bruttoanlagevermögens umso höher, je mehr die Forschungsergebnisse in den einzelnen Unternehmungen neue Anlagen erfordern. Brachenstruktur und Modernitätsgrad Die Branchenstruktur hat Einfluss auf den Modernitätsgrad, da einzelne Brachen als vergleichsweise innovativer als andere betrachtet werden, und somit im Bruttoanlagevermögen neuere Maschinen erfordern. 149 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Anhang I: Diskussion und weiterführende Überlegung zu Anlagevermögen als Nachhaltigkeitsindikator Offenbar knüpft „Nachhaltigkeit“ sehr stark an intergenerationale Gerechtigkeit, im Sinne von Substanzerhaltung bei den künftig zur Verfügung stehenden Inputfaktoren an. Daher stellt sich die Frage, ob die nächsten Generationen tatsächlich den Kapitalstock oder das Bruttoanlagevermögen, so wie dieser erfasst wurde, ohne Abstriche erben können. Das Problem ist hier zu diskutieren, da die künftigen Generationen nicht nur die Bestände an Infrastruktur und Produktionsanlagen erben werden, sondern demgegenüber auch eine größere Menge öffentlicher Verschuldung weitergegeben wird. Die Frage ist, ob hier nicht eine Verrechnung des Anlagevermögensbestandes mit der öffentlichen Verschuldung erfolgen muss. Weiterhin stellt sich die Frage, ob alle Schuldenpositionen oder nur jene, die über das Maß an getätigten Investitionen hinausgehen gegengerechnet werden sollen. Auch Investitionen, die schuldenfinanziert sind, stehen bereits dem Produktionsprozess zur Verfügung und erweitern schon das vorhandene Produktionspotenzial. Ist es dann gerechtfertigt diese durch Gegenrechnung der Schulden so zu behandeln als gäbe es sie nicht? Dazu folgende Überlegung: Folgt man einem keynesianischen makroökonomischen Konzept, so entsteht aus einer bestimmten Menge an kreditfinanzierter öffentlicher Investitionen über den Multiplikatorprozess ein Vielfaches an Einkommen. Dies sollte es eigentlich ermöglichen, die öffentliche Verschuldung leicht wieder von selbst abzubauen. Da empirisch dies nicht erkennbar ist, sondern vielmehr sich der Schuldenstand immer weiter erhöht, kann davon ausgegangen werden, dass öffentliche Verschuldung nicht allein in Leistungsabgaben produzierende Investitionen verwendet werden, sondern häufig zur Finanzierung von Transfereinkommen (konsumtive Verwendung) gedient haben. Insofern müssten auf jeden Fall die Bestände an Schulden mit den Bruttoanlagevermögensbeständen verrechnet werden. Hinzu kommt auch, dass die jeweils arbeitende Generation während ihrer Erwerbsphase durch produktive Tätigkeit zum Aufbau des Kapitalstocks beigetragen hat, jedoch über diese Phase hinaus weiter vom künftigen Kapitalstock konsumieren wird. Der von einer Generation zur Nächsten weitergegebene Kapitalstock ist also mit den Rentenansprüchen der vorhergehenden Generation belastet. So müssten prinzipiell die Rentenansprüche auch vom Kapitalstock subtrahiert werden. Was aufgrund einer völlig unübersichtlichen und zusätzlich auch unzugänglichen Datenlage grundsätzlich nicht machbar erscheint. Dem kann entgegengehalten werden, dass einer Verschuldung immer auch entsprechende Ansprüche von Gläubigern gegenüberstehen. Was durch die 150 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Bedienung von enorm hohen öffentlichen Schulddiensten der öffentlichen Investitionsfähigkeit fehlt, kommt Gläubigern als zusätzliches Kapitaleinkommen zu gute und ermöglicht diesen einen um so höheren Konsum oder Investition. Die Verschuldung hat also keine Bedeutung als Lastübertragung in die Zukunft, sondern hat lediglich eine Umverteilungswirkung von den Schuldnern zu den Gläubigern. Argumentiert man jedoch nicht mehr bezogen auf die Last der Verschuldung selber, sondern stellt man darauf ab, welche Anreizwirkungen von einer Schuldenfinanzierung und andererseits von einer Steuerfinanzierung heute auf den privaten Sektor ausgehen, kann man möglicherweise die Berücksichtigung der öffentlichen Verschuldung trotz der oben genannten Einwende als berechtigt nachweisen. Die Argumentation besagt, dass bei Steuerfinanzierung insbesondere über spezielle Verbrauchssteuern der private Konsum zurückgedrängt wird, es zu mehr privaten Investitionen kommt, die dann an die nächste Generation weitergegeben werden. Bei Schuldenfinanzierung würden die Haushalte mit ihrem privaten Mitteln relativ mehr konsumieren, da der selektive Negativanreiz beim Konsum jetzt fehlt. Es käme also zu weniger privater Investitionstätigkeit und einem geringeren vererbten Kapitalstock. Der zum Investieren notwenige Konsumverzicht würde somit in die Zukunft verlagert werden311 311 Vgl. Zimmermann, H. et.al. (1994) S.407. 151 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Anhang II: Fehlerrechnung Bruttoanlagevermögen Die Datenlage im Bereich des Bruttoanlagevermögens ist lückenhaft. Da nur das Bruttoanlagevermögen für Rheinland-Pfalz und das Saarland bekannt sind, ist es notwendig, die Daten für die anderen Teilregionen zu berechnen, um so eine Aussage über den Verlauf der Großregion Saar-Lor-Lux treffen zu können. Für diese Berechnung ergeben sich verschiedene Möglichkeiten. Zunächst sind nur diejenigen Größen zur Berechnung geeignet, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der zu berechnenden Größe stehen. Weiterhin müssen die Daten, die zur Berechnung herangezogen werden sollen, in originärer Form vorliegen und nicht ihrerseits erst berechnet werden müssen, da eine sequenzielle Berechnung unberechenbare Auswirkungen auf den Schätzfehler hätte. Für eine solche Berechnung existieren im Wesentlichen zwei mögliche Schlüsselgrößen: Das regionale Bruttoinlandsprodukt sowie die regionale Bevölkerungszahl. Um die Qualität der Schätzer zu beurteilen, wird zunächst eine Schätzung vorgenommen, bei der ausgehend von den Daten für das Saarland das Bruttoanlagevermögen von Rheinland-Pfalz geschätzt wird. Dazu wird in jeder Periode das Bruttoanlagevermögen des Saarlandes durch die regionale Bevölkerung des Saarlandes zu diesem Zeitpunkt geteilt und mit der rheinlandpfälzischen Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt multipliziert. Durch diesen einfachen Dreisatz ist die Schätzung des Bruttoanlagevermögens in RheinlandPfalz möglich. Da das tatsächliche Bruttoanlagevermögen für Rheinland-Pfalz bekannt ist, kann so die Differenz zwischen tatsächlichem Wert und dem geschätzten Wert berechnet werden. Diese Abweichung wird relativiert als prozentuale Abweichung. Für die Schätzung mittels Bruttoinlandsprodukt ergibt sich bei dieser Schätzung ein durchschnittlicher Fehler von 3,50%. Benutzt man die regionale Bevölkerung als Kategorie für die Schätzung, so ergibt sich ein durchschnittlicher Fehler von 4,27%. Zwar ist der Fehler geringer, wenn das Bruttoinlandsprodukt benutzt wird, aber da diese Größe für die weitere Berechnung der Kapitalproduktivität und des Kapitalkoeffizienten benutzt werden soll, kann sie nicht für die Berechnung des Bruttoanlagevermögens herangezogen werden. Folglich wird mittels der regionalen Bevölkerung hochgerechnet. Da für Belgien auch die Daten für das Bruttoanlagevermögen verfügbar sind und auch die Bevölkerungszahlen für Gesamtbelgien und die Walloniens zur Verfügung stehen, kann so eine weitere Einschätzung des Fehlers ermöglicht werden. 152 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 6.4 Sozialkapital 6.4.1 Untersuchungsgegenstand: Sozialkapital Eine weitere Ausprägung des Vier-Kapital-Modells stellt das Sozialkapital dar. Im Folgenden soll nun dieses Kapital von den anderen bereits beschriebenen Kapitalarten abgegrenzt werden, um die Bedeutung des Sozialkapitals für die regionale Nachhaltigkeit herauszustellen. Nach der Definition der OECD bezieht sich Sozialkapital “to networks, shared normes, values and understandings that facilitate co-operation within and among groups. Communities or societies with high social capital are thought to be characterised by higher levels of mutual trust, reciprocity, unwritten and unspoken agreement about societal rules, and social cohesion. Such societies may also be more effective at achieving collective goal-including those of environmental protection.“312 Es handelt sich beim Sozialkapital somit um die Summe kollektiver Potenziale, die dazu beitragen können, Probleme der Gesellschaft zu lösen, soziale Kohäsion herzustellen und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Aus dieser Definition wird bereits ersichtlich, dass Sozialkapital auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu finden ist. D.h. sowohl zwischen nahen Verwandten, sowie Freunden, als auch unter dem Stichwort “Solidarität“ zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die in keiner engen Beziehung zueinander stehen. Überall dort tradieren sich Normen und Werte, die den gemeinsamen Umgang bestimmen, wobei auf jeder dieser verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen, genauer der Makro-, Meso- und Mikroebene, das Sozialkapital spezifische Aufgaben erfüllt. Auf der Makroebene bezieht sich das Sozialkapital auf Beziehungen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen und Schichten in einer Hierarchie, in der die verschiedenen Gruppen unterschiedlichen Zugang zu Macht, Status und Wohlstand haben. In modernen arbeitsteiligen Gesellschaften werden Sozialbeziehungen auf der Makroebene im Wesentlichen durch das offizielle staatliche Institutionsgefüge koordiniert. Daher sind die organisatorische Verfasstheit des Staates, seine institutionellen Rahmenbedingungen sowie der Anschluss von Individuen und Gruppen an den Staat ein wichtiger Bestandteil des Sozialkapitals. Diese Dimension des Sozialkapitals wird auch als “linking dimension“313 bezeichnet. Auf der Mesoebene bezeichnet das Sozialkapital Beziehungen zu entfernten Freunden, Verbänden und Kollegen. Auf dieser Ebene hat das Sozialkapital überbrückende Aufgaben. Es geht darum, Kontakte zwischen verschiedenen 312 313 OECD (2001b), S.18. Wallacher, J. (2001), S.7f. 153 6. Analyse der vier Kapitalbereiche gesellschaftlichen Gruppen zu gewährleisten und den Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft auch über bestehende gesellschaftliche Grenzen hinweg sicherzustellen. Sozialkapital wird hier durch die Herstellung von Rechtssicherheit garantiert. Darunter fällt der Schutz der Menschenrechte durch Verfassung, Verwaltung und Rechtsprechung sowie alle politischen Strukturen, die für die Entstehung von Normen und Vertrauen in einer Gesellschaft wichtig sind.314 Auf der Mikroebene bezieht sich das Sozialkapital auf Beziehungen in Familien und ethnischen Gruppen. Es hat eine gemeinschaftsbildende Funktion. Woolcock, der sich mit der historischen Entwicklung des Sozialkapitals befasst, bezieht das Sozialkapital auf dieser Ebene auf die Fähigkeit der Individuen und Gemeinschaften, Ressourcen, Ideen und Informationen mit direktem Bezug zur Gemeinschaft herauszubilden.315 Die Gruppen bringen ihre speziellen Interessen innerhalb des politischen und sozialen Systems ein und versuchen sie durchzusetzen. Es ist jedoch entscheidend, dass sich die Menschen einer Gesellschaft nicht nur ihren Primärgruppen, sondern auch der Gesellschaft als Ganzes zugehörig fühlen und aktiv in die gesamtgesellschaftlichen sozialen und politischen Prozesse integriert werden.316 Es lassen sich aus diesen drei Ebenen grundlegende Funktionen des Sozialkapitals ableiten, und zwar im politischen, sozialen und ökonomischen Bereich. Im politischen Bereich besitzt das Sozialkapital eine elementare Funktion, da die Integrationsfähigkeit eines politischen Systems, die Legitimität einer Regierung und eine gute Regierungsführung wesentlich auf dem Vertrauen der Menschen in die politischen Institutionen, sowie auf der Tragfähigkeit sozialer Beziehungen beruhen. Auch in sozialer Hinsicht hat das Sozialkapital fundierte Bedeutung, denn die gegenseitige Solidarität zwischen den gesellschaftlichen Gruppen nimmt eine wichtige stabilisierende Funktion ein. In modernen arbeitsteiligen Gesellschaften ist Sozialkapital demnach eine grundlegende Ressource. Gerade diese Gesellschaften sind darauf angewiesen, dass sich ihre Akteure auf die Einhaltung getroffener Vereinbarungen verlassen können. Aus ökonomischer Sicht werden dadurch Transaktionskosten gesenkt. Damit erweist sich das Sozialkapital immer mehr als ein Standort- und Wettbewerbsvorteil und als ein entscheidender Faktor für wirtschaftliche Entwicklung.317 Die bereits oben erläuterten Sach-, Natur- und Humankapitale betrachtend, lassen sich klar herausstellen, dass sich das Sozialkapital stark unterscheidet. 314 Vgl. Wallacher, J. (2001), S.8. Vgl. OECD (2001a), S.42. 316 Vgl. Wallacher, J. (2001), S.8. 317 Vgl. Wallacher, J. (2001), S.9f. 315 154 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Das Sozialkapital ist relational zu verstehen, es kann nur dann entstehen, wenn sich Menschen in Beziehungen zueinander befinden. Das bedeutet, dass sich geteilte Normen, Werte und Verständnisse ebenso auf die menschlichen Einstellungen und Verhaltensweisen von Gruppen und Individuen beziehen, wie auf geteilte Normen und Rollen, die das Verhalten determinieren. Darüber hinaus wird das Sozialkapital durch soziale Interaktionen mit großem zeitlichen Aufwand aufgebaut. Denn um bei Menschen ein Bewusstsein aus zu bilden, welches zur Herstellung des gemeinschaftlichen Zusammenhalts beiträgt, müssen zwischen ihnen über einen längeren Zeitraum Interaktionen bestehen. Ein weiterer grundlegender Unterschied, der das Sozialkapital von den anderen Kapitalarten abgrenzt, ist die Tatsache, dass sich Sozialkapital nicht durch Verbrauch aufzehrt. Vielmehr bedarf es ständiger Aktivierung und Pflege zu dessen Aufrechterhaltung, da sonst in relativ kurzer Zeit seine Auflösung die Folge wäre.318 Demzufolge kann Sozialkapital als Ziel und Mittel der Entwicklung verstanden werden.319 Als letzter Unterschied wird angeführt, dass Sozialkapital sowohl als privates Gut, als auch als öffentliches Gut begriffen werden muss.320 Es kann nicht als Alternative zu den anderen Kapitalen, sondern muss als Ergänzung zu ihnen betrachtet werden, sozusagen als “Kitt der Gesellschaft“, welcher das gesellschaftliche Zusammenleben nicht nur ermöglicht, sondern langfristig absichert.321 Zur Messmethode Bei Bearbeitung der Frage nach der Operationalisierung des Sozialkapitals hat sich immer deutlicher herausgestellt, dass es gerade in diesem Fall, aufgrund der genannten Besonderheiten des Sozialkapitals, nicht ausreicht, nur Indikatoren heranzuziehen, die die gesellschaftlichen Gegebenheiten formal abbilden. Es soll explizit darum gehen, herauszustellen, wie stark der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Großregion Saar-Lor-Lux ist, und wie sich jene gesellschaftlichen Gegebenheiten auf die Menschen auswirken. Das bedeutet, dass es zwar möglich ist, bspw. Arbeitslosigkeit zu messen, jedoch sagt dies nicht direkt etwas darüber aus, welche Wahrnehmungen in der Gesellschaft über Arbeitslosigkeit existieren und welche Konsequenzen dies für den sozialen Zusammenhalt tatsächlich hat. Nur wenn eine repräsentative Erhebung in der Region vorgenommen wird, zeigt sich deutlich, welche Relevanz und Gewichtung die einzelnen Komponenten des Sozialkapitals in der Region haben. Wird jedoch keine direkte Messung bei der Bewertung des Sozialkapitals durchgeführt, dann 318 Vgl. Wallacher, J. (2001), S.5. Vgl. OECD (2001a), S.43. 320 Vgl. OECD (2001a), S.39. 321 Vgl. Wallacher, J. (2001), S.5. 319 155 6. Analyse der vier Kapitalbereiche lassen sich nur Annahmen über den gesellschaftlichen Zusammenhalt anstellen und auch nur ersichtliche Zusammenhänge ableiten. Die für die Gesellschaft kritische Frage jedoch, wann Sozialkapital seine integrative Wirkung unter den spezifischen Bedingungen der Gesellschaft verlieren könnte, lässt sich nicht feststellen. Die Informationen darüber werden über die objektivierten Messgrößen nicht ausreichend abgebildet. Um dies herauszufinden, wäre es ratsam, neben der Abbildung des Sozialkapitals über bestimmte Realindikatoren, auch eine Rückkopplung an die Bevölkerung in der Region vorzunehmen. Auf diesem Wege wäre sichergestellt, dass das Sozialkapital sowohl über verschiedene allgemeine Indikatoren, sozusagen „von außen“, als auch durch direkte Befragung „von innen“ abgebildet wird. Im Rahmen dieser Forschungsarbeit ist aufgrund des geringen Zeitrahmens und mangelnder finanzieller Ausstattung eine repräsentative Befragung nicht möglich. Aus diesem Grunde beschränkt sich die Forschung auf Messungen über Realindikatoren „von außen“, um sich so dem Sozialkapital zu nähern. 6.4.2. Herleitung der Ideal- und Realindikatoren Christian Suter schreibt in seiner Publikation über “Nachhaltigkeit und Soziale Sicherheit“, dass unter dem Sozialkapital “im Wesentlichen bestimmte Grundwerte verstanden [werden], nämlich: Gesundheit, soziale Sicherheit, sozialer Zusammenhalt, Freiheit, Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Frieden.“322 Für diese Forschungsarbeit zur “Nachhaltigen Regionalentwicklung“ in der SaarLor-Lux Region wurden von der Arbeitsgruppe zwei Idealindikatoren herausgearbeitet, die in der Lage sind das Sozialkapital bestmöglich abzubilden. Diese sind “Vertrauen in soziale Sicherheit“ sowie “politische und gesellschaftliche Partizipation“. Sie sollen im Folgenden kurz beschrieben werden, um im Anschluss daran relevante Realindikatoren ableiten zu können. 6.4.2.1 Vertrauen in soziale Sicherheit Der Auswahl dieses Indikators liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen eher in eine soziale Gemeinschaft investieren, in der sie sich sicher fühlen und ihre Lebensbedingungen stabil sind. Ebenso ist es von Bedeutung, dass Vertrauen in die Mitmenschen, sowie in die Übereinkünfte der Gemeinschaft und deren Institutionen besteht. Menschen vertrauen gewöhnlich in soziale Sicherheit, sobald ihre materiellen und immateriellen Grundbedürfnisse abgedeckt sind und ein soziales Sicherungssystem vorhanden ist, dass sie in Notlagen aufzufangen vermag. Vertrauen stellt unter anderem deshalb einen entscheidenden Indikator 322 Suter, C. (2002), S.7. 156 6. Analyse der vier Kapitalbereiche für Sozialkapital dar, da es wie zuvor erwähnt, positive Einflüsse auf die ökonomischen Prozesse der Gesellschaft ausübt. 6.4.2.2 Politische und gesellschaftliche Partizipation Als zweiter Idealindikator wird die aktive Einbindung in politische und gesellschaftliche Prozesse gemessen. Denn nicht nur das Sicherheitsempfinden der Menschen lässt das Zusammengehörigkeitsgefühl zu den Mitmenschen, also innerhalb der Gesellschaft steigen, sondern auch die aktive politische und soziale Einbindung. Hierdurch kann das Solidaritätsgefühl zwischen den Menschen und die Identifikation mit Gesellschaft und Staat aufgezeigt werden. Die Wahrnehmung des Rechts auf Mitbestimmung an gesellschaftlichen und politischen Prozessen stabilisiert das politische System, legitimiert die Regierung und/oder politische Praktiken. Um das Vertrauen der Menschen in die soziale Sicherheit und die politische und gesellschaftliche Partizipation bestmöglich abzubilden, basiert die Überlegung der Forschungsgruppe darauf, das Leben jedes Menschen in verschiedene relevante Bereiche aufzugliedern. Der Mensch möchte gesund, in einem Arbeitsverhältnis stehend, sicher und aktiv tätig für sich oder für andere sein. Somit sind Gesundheitsversorgung, Eingliederung in Arbeitsprozesse, Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und gesellschaftliche sowie politische Partizipation die wichtigsten Bereiche, welche sichergestellt werden müssen, damit Vertrauen im gesellschaftlichen System bestehen kann. 6.4.2.2.1 Vertrauen in soziale Sicherheit Da dieser Idealindikator nicht direkt messbar ist, sollen folgende Realindikatoren herangezogen werden, die das Vertrauen in die soziale Sicherheit in drei entscheidenden Sektoren abbilden. Der Sektor „Öffentliche Sicherheit“ soll über die Kriminalitätsrate und den Polizeibesatz abgebildet werden. Die Arbeitslosen- und Erwerbstätigenquote sollen die Einbindung der Menschen in den Arbeitsprozess abbilden. Die Gesundheitsversorgung soll über die Anzahl von Krankenhausbetten und die Anzahl der Ärzte gemessen werden. 6.4.2.2.2 Politische und gesellschaftliche Partizipation Da auch dieser Idealindikator nicht direkt messbar ist, soll er über zwei Realindikatoren abgebildet werden, und zwar über die Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene und Landesebene und die Vereinstätigkeit. Damit soll einerseits die formale Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess, 157 6. Analyse der vier Kapitalbereiche andererseits die Integration der Menschen in zivilgesellschaftlichen Strukturen zum Ausdruck gebracht werden. Die Realindikatoren Kriminalitätsrate/Polizeibesatz Die Öffentliche Sicherheit soll anhand der Kriminalitätsrate und des Polizeibesatzes gemessen werden. Diese Realindikatoren wurden ausgewählt, da sie stellvertretend für das subjektive Sicherheitsgefühl innerhalb der betreffenden Region stehen. Die Kriminalitätsrate spiegelt das kriminelle Verhalten der Bewohner der Region wieder. Anhand der einzelnen Straftat - Arten können Rückschlüsse auf die Bevölkerungsstruktur und die besonderen Lebensumstände der dort lebenden Menschen gezogen werden. In dieser Forschungsarbeit sollen verschiedene Deliktarten, wie bspw. Eigentums-, Umwelt- oder Tötungsdelikte jedoch nicht gesondert untersucht werden, da eine diesbezügliche Analyse in diesem Rahmen zu tiefgreifend wäre und deren Messbarkeit stark schwankenden Einflüssen, wie z.B. der Anzeigebereitschaft der Mitbürger, unterlegen ist. Die polizeiliche Kriminalstatistik beinhaltet u.a. je nach Länge der Bearbeitungsdauer auch Straftaten zurückliegender Zeiträume. Delikte, zu denen die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, können dagegen fehlen. Zudem muss berücksichtigt werden, dass stets eine Dunkelziffer unerkannter Verbrechen existiert. Diese steht oft mit der Art des Deliktes im Zusammenhang, wird aber auch durch andere variable Faktoren, wie z.B. die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung oder die Intensität der Verbrechenskontrolle (besonders bei Ladendiebstahl), beeinflusst. „Es kann daher nicht von einer feststehenden Relation zwischen begangenen und statistisch erfassten Straftaten ausgegangen werden“.323 Insbesondere in einem Ländervergleich sind die jeweilige Gesetzeslage und gegebenenfalls deren Veränderungen entscheidend. Der Unterschied zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat, aber auch das Verhalten der Mitbürger im Anzeigeverhalten oder präventivem Eingreifen spielen eine entscheidende Rolle. Meist bildet eine Vielzahl von Ursachen den Nährboden für Kriminalität. Die einzelnen Polizeibehörden versuchen mit verschiedenen Präventionsmaßnahmen dagegen anzugehen. Direkte Rückschlüsse aus diesen einzelnen Aktionen zu ziehen ist jedoch schwierig. Hinzu kommt die Tatsache einer unterschiedlichen, sich stets verändernden Bevölkerungsstruktur, sowie agierende Banden unterschiedlicher Herkunft. Diese sind oft nur für kurze Zeit für 323 Landeskriminalamt Saarland (Hrsg.) (2003), S.4., vom 07.12.03. 158 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Verbrechensserien verantwortlich und können damit zu einer Veränderung der Statistik beitragen. Eine aussagekräftige Messung der „sozialen Sicherheit“ ist also durch die gewählten Realindikatoren nur unter der Annahme möglich, dass sämtliche Einflussfaktoren in den betreffenden Regionen nicht stark voneinander abweichen. Auch die aufgezeigte Tendenz unterliegt der Bedingung, dass sich gegebene Rahmenbedingungen nicht grundlegend verändern. Allgemein ist davon auszugehen, dass durch eine auf hohem Niveau stagnierende oder stetig steigende Kriminalitätsrate, das Sicherheitsgefühl und somit die Identifikation mit der Region nachhaltig geschädigt werden kann. In dessen Folge kann es zu Abwanderungen kommen, die wiederum negative soziale und wirtschaftliche Konsequenzen für die Region mit sich führen. Hohe Kriminalität kann somit indirekt die Wahl des Standorts zur Planung und Gestaltung des persönlichen Lebensmittelpunktes beeinflussen, da durch sie nicht nur materieller, sondern auch immaterieller Schaden befürchtet werden. Vertrauen in die eigene Sicherheit und die der Angehörigen und Freunde ist ein Grundbedürfnis der Menschen. Ein Leben in Angst vor Übergriffen jeglicher Art, insbesondere für Frauen, Familien und ältere Mitmenschen kann gegebenenfalls zur Isolation und zu psychischen Schäden führen. Ein hoher Polizeibesatz ist sicherlich nicht ausreichend, um Sicherheit allgemein gewährleisten zu können. Regelmäßige Streifen können vorbeugend wirken und zu einer Steigerung des Sicherheitsgefühls der Menschen beitragen. Es kann weiterhin zu einer effektiveren Verhinderung von Straftaten und zum schnelleren Ergreifen der Täter führen. Ein zu niedriger Besatz kann schnell zu mangelnder Präsenz und damit auch zu einer geringeren Vorbeugung von Straftaten führen. Fühlen sich Bürger zu wenig geschützt, kann es im Extremfall sogar zur Bildung von Bürgerwehren und zu Selbstjustiz kommen. Oder, es wird wie im aktuellen Fall von Trier, ein Ausweg durch die Einrichtung privater Sicherheitskräfte gesucht.324 Je höher die Anzahl der Beschäftigten der Polizei ist, desto eher kommt es zu einer Aufteilung in Spezialeinheiten, die besser für spezifische Aufgabengebiete ausgebildet sind. Arbeitslosenquote und Erwerbstätigenquote Arbeitslosenquote und Erwerbstätigenquote, stellen die Einbindung der Menschen in die Arbeitsprozesse dar. Der Bereich der Eingliederung in die Arbeitsprozesse wurde auf zwei sich ergänzende, allseits gebräuchliche und bekannte Indikatoren beschränkt. 324 Giarra, F. (2004), S.1. 159 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Die Erwerbsarbeit nimmt im Leben der Menschen eine essentielle Bedeutung ein. Sie ermöglicht es, Einkommen zu erwirtschaften und so die eigene Existenz und eventuell auch die der Familie zu sichern. Zumindest können durch sie in den meisten Fällen die Grundbedürfnisse, wie z.B. eine Wohnung und Nahrung, abgedeckt werden. Neben der rein finanziellen Seite, ist der soziale Aspekt der Arbeit für den Menschen sehr wichtig. Durch das Innehaben eines Arbeitsplatzes wird der soziale Status des Menschen und somit seine Integration in der Gesellschaft festgelegt. Das positive Image einer Arbeit und einer Arbeitsstelle kann dem Einzelnen im Hinblick auf andere Lebensbereiche Vorteile bringen z.B. bei der Wohnungssuche. Unabhängig von der Art der zu verrichtenden Arbeit jedoch, ist die Tatsache, dass der Einzelne durch sie an der Gesellschaft teilhaben kann. Abhängig wiederum von dem Rang der Arbeitsstelle in der Ansehens- und Bedeutungshierarchie ist, inwieweit eine direkte gesellschaftliche Mitwirkung erfolgen kann. Aufgrund dieser relevanten Stellung der Erwerbstätigkeit wurde die Erwerbstätigenquote als einer der Realindikatoren gewählt. Er bildet den Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung ab. In dieser Quote sind im Gegensatz zur Erwerbsquote die Arbeitslosen nicht erfasst. Dies erschien der Arbeitsgruppe sinnvoll, da die Arbeitslosigkeit Erhebungsprobleme mit sich birgt. Zudem wird durch die Wahl der ergänzenden Arbeitslosenquote dieser „Mangel“ wieder behoben. Die Arbeitslosenquote bildet den Anteil der Menschen, die arbeitslos sind, in Relation zur Gesamtbevölkerung gesetzt, ab. Es ist hierbei zu beachten, dass die Arbeitslosenquote die Wirklichkeit nur verzerrt abbilden kann, da unter Arbeitslosen Arbeitssuchende, die vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben, verstanden werden. Die Dunkelziffer derjenigen, die zwar über einen gewissen Zeitraum oder auch längerfristig keine Arbeit besitzen, durch andere oder durch eigen Erspartes finanziell „abgesichert“ leben, und somit die offizielle Registrierung aus vielfältigen Gründen umgehen, ist kaum abzuschätzen. Im Gegenzug dazu werden offiziell auch Fälle erfasst, die definitionsgetreu nicht in Frage kommen würden. Dort gehen Menschen einer Arbeit „schwarz“ nach, sind reell also nicht arbeitslos, aber als solche gemeldet und erhalten dafür die ihnen, die falsche Annahme zugrunde legend, zustehenden Sozialleistungen. Dies sind Fälle des Sozialbetruges, welche nicht vernachlässigt werden dürfen. Beide Konstellationen führen ökonomisch, den Wohlstand betreffend, und sozial zu großen Problemen und werden zu einer Belastung für Staat und Gesellschaft. Überdies ist zu überprüfen, welche Arbeiten als relevant für die Quote definiert werden und wie saisonale und politische Bedingungen einwirken. Allgemein kann festgestellt werden, dass wenn Menschen sich um ihr finanzielles Überleben sorgen müssen, ihr Vertrauen in die Politik und die Gesellschaft geschädigt ist und dies die Umsetzung der Nachhaltigkeit im Bereich des 160 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Sozialkapitals negativ beeinflusst. Im Gegenzug dazu kann die Erwerbstätigenquote aufzeigen, inwiefern sich diese Annahme bestätigt und das Vertrauen der Menschen in die soziale Sicherheit durch einen gesicherten Arbeitsplatz wächst. Es sollte ein Sinken der Arbeitslosenquote und ein Anstieg der Erwerbstätigenquote angestrebt werden. Anzahl der Ärzte und Anzahl der Krankenhausbetten Über die Indikatoren, Anzahl der Ärzte und Anzahl der Krankenhausbetten, soll die Gesundheitsversorgung messbar gemacht werden. Diese Realindikatoren wurden ausgewählt, da sie die Grundbedürfnisse der Menschen an medizinischer Versorgung abdecken. Die Gesundheitsversorgung ist ein Grundbedürfnis der Bevölkerung und stellt zudem eine wichtige soziale Komponente der Gesellschaft dar. Menschen setzen einen gewissen medizinischen und gesundheitlichen Schutz voraus. Zur Messung des Sozialkapitals ist daher die Gesundheitsversorgung eine wichtige Größe, denn nur mit einer entsprechend guten und medizinisch ausreichenden Behandlung bzw. Vorsorge kann das Vertrauen der Bürger in das Gesundheitswesen und somit in ihre eigene Zukunft gestärkt werden. Da die Gesundheitsversorgung sich in viele Bereiche untergliedert, lässt sie sich nicht pauschal messen. Um sie besser abbilden zu können, werden zwei wichtige Bereiche hervorgehoben. Ersterer ist die Anzahl der Ärzte, die direkten Kontakt zu den Menschen der Region und somit unmittelbaren Einfluss auf das Wohlbefinden jedes Einzelnen haben. Sie sind häufig der erste Berührungspunkt mit dem Gesundheitssystem. Ursprünglich wurde in der Arbeitsgruppe angedacht, anstelle des Indikators „Anzahl Ärzte“ den allgemeineren Indikator „Beschäftigte im Gesundheitswesen“ zu wählen. Jedoch würde aufgrund der Vielzahl der Berufe in diesem Bereich, die jeweils unterschiedlichen Einfluss aufweisen, die Übersichtlichkeit und Anschaulichkeit abhanden kommen. Daher fiel die Wahl auf den wichtigsten Beruf, den der Ärzte. Es muss darauf geachtet werden, dass ein ausgewogenes Verhältnis der Anzahl der Ärzte zur Bevölkerungszahl besteht. Eine zu große Anzahl würde die Kosten der Gesundheitsversorgung steigern und hätte somit höhere Beitragszahlungen für die Patienten zur Folge. Außerdem würde eine Schädigung des Images entstehen, da zu viele Ärzte bei der Bevölkerung den Eindruck der Überversorgung, die sich letztendlich zu ihren Lasten auswirkt, erwecken. In den Medien war Mitte der 90er Jahre daher vom Begriff der „Ärzteschwemme“ die Rede. Jedoch muss, um die Versorgung sicherzustellen, eine ausreichende Anzahl vorhanden sein. Denn zu wenig Kapazität führt zwangsläufig zu einer Überlastung der Ärzte. Dies erhöht die Gefahr der Fehldiagnosen bzw. der Fehlbehandlungen, welche einen Verlust des Vertrauens in die medizinische Betreuung bewirken können. Ärztemangel kann zudem z.B. an den Unikliniken eine reduzierende Wirkung auf 161 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Forschung und Entwicklung haben, da für das Vorantreiben medizinisch technologischer Entwicklung genügend Freiräume benötigt werden. Die Anzahl der Krankenhausbetten stellt den anderen Realindikator in diesem Bereich dar. Der Krankenhausbereich ist der kostenintensivste im Gesundheitswesen. Daher wurde zuerst der Realindikator „Ausgaben der Krankenhäuser“ in Betracht gezogen, allerdings gibt es hierfür keine ausreichende Datenbasis. So wurde der Bereich der Krankenhausbetten herausgegriffen, da durch ihn, neben der Abbildung der ambulanten Versorgung über die Anzahl der Ärzte, die stationäre Versorgung dargestellt wird. Ein ausgewogenes Verhältnis der Anzahl der Krankenhausbetten in der Region ist erforderlich. Zu wenige Betten führen zu einer Überlastung einzelner Krankenhäuser. Diese müssten Patienten auf andere Krankenhäuser verweisen bzw. Krankentransporte durchführen, was zusätzliche Kosten verursachen und negative psychologische Auswirkungen auf die Bevölkerung haben würde. Die Tatsache, im Notfall vielleicht medizinisch nicht ausreichend versorgt werden zu können, würde das Vertrauen der Bevölkerung nachhaltig schädigen. Übereilte und frühzeitige Entlassungen bzw. eine mangelnde Nachsorge könnten durch eine zu geringe Anzahl an Krankenhausbetten ebenfalls verursacht werden, da die Betten für dringendere medizinische Fälle benötigt werden würden. Zu viele Krankenhausbetten wiederum müssten von den Versicherten der Krankenkassen durch höhere Beiträge finanziert werden. Daher muss die Bettenanzahl ständig den Bedürfnissen der Bevölkerung und dem technischen Stand, z.B. neuen Operationsmethoden, angepasst werden. Insgesamt ist der Gesundheitsbereich ein sehr sensibler Bereich, da sich Veränderungen direkt bei den Menschen bemerkbar machen. Er ist somit ein geeigneter Realindikator zur Messung des sozialen Vertrauens. Wahlbeteiligung Die Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene und Landesebene drückt die formale Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess und somit die Legitimierung der Regierung aus. Sie ist eine Bestandsgröße und beschreibt, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der das Wahlrecht in Anspruch nimmt. Zur Messung des Sozialkapitals ist die Wahlbeteiligung relevant, da es der Bevölkerung über die Teilnahme an demokratischen Wahlen möglich ist, Einfluss auf die politische Ausgestaltung in ihrer Gesellschaft zu nehmen und somit am politischen Prozess zu partizipieren. Darüber hinaus wird durch den Urnengang die Regierung legitimiert. Beteiligen sich die Menschen nicht mehr, oder nur zu einem geringen Maße an den Wahlen, dann wird der demokratische Prozess an sich in Frage gestellt. Die Arbeitsgruppe hat sich dafür entschieden, dass im Rahmen dieser Arbeit die Wahlbeteiligungen auf kommunaler Ebene sowie auf Landesebene gemessen 162 6. Analyse der vier Kapitalbereiche werden sollen, da sich die auf diesen gesellschaftlichen Ebenen gewählten politischen Vertreter direkt mit regionalen und kommunalen Problemstellungen befassen müssen. Die These der Arbeitsgruppe lautet hierbei, dass die Wahlbeteiligung in einer Kommune dann steigt bzw. hoch ist, wenn sich die Bevölkerung in das politische System integriert fühlt. D.h. die Wahlbeteiligung entwickelt sich gleichgerichtet proportional zur politischen Integration. Es muss allerdings bedacht werden, dass die Wahlbeteiligung keinen ausreichenden Indikator darstellt, der in der Lage wäre, alleine die politische Integration der Bevölkerung abzubilden. Den Menschen stehen heutzutage vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung, um sich politisch zu äußern und in das System zu integrieren. Sie können in politische Gruppierungen eintreten, sich in Stadtteilbewegungen oder politischen Vereinen artikulieren oder sich in anderen nichtstaatlichen Organisationen einbringen. Des weiteren ist anzumerken, dass jede Wahl auch einen sozialen Aspekt aufweist. Menschen gehen zur Wahl nicht nur deshalb, weil sie rational eine Entscheidung für eine bestimmte Partei getroffen haben, sondern auch, weil sie häufig von außen suggeriert bekommen, dass sie wählen gehen müssen.325 Sie stehen unter einem bestimmten Außendruck, und je kleiner die Gemeinschaft ist, bzw. je enger die Verbindungen zu den Politikern, die zur Wahl antreten, ist, umso stärker werden sie sich verpflichtet fühlen, zur Wahl zu gehen. Mitglieder in Sportvereinen Durch den zweiten Realindikator in diesem Bereich, die Vereinstätigkeit soll versucht werden, den Bereich des sozialen und politischen Systems zu erfassen, den die Wahlbeteiligung nicht in der Lage zu messen ist, nämlich die Integration der Menschen in die Gesellschaft. Die Vereinstätigkeit bildet den Anteil der Bevölkerung ab, welcher sich in zivilgesellschaftlichen Strukturen integriert hat. Allgemein kann festgehalten werden, dass Vereinstätigkeit Engagement und Teilnahme an der Gesellschaft widerspiegelt. Die Begrenzung auf Mitglieder in Sportvereinen erfolgt deshalb, da die Aufzählung der Vielzahl aller Vereine der Region zu umfangreich und unübersichtlich wäre. Die Datenbeschaffung im Bereich aller politischen, gesellschaftlichen und sozialen Vereine, wie z.B. Amnesty International oder der Aidshilfe, war im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Daher fiel die Entscheidung zur Messung der Partizipation, vor allem der sozialen, auf den Realindikator „Vereine im Freizeit- und Sportbereich“. Jugendliche bspw. werden durch die Mitgliedschaft in einem Verein in die Gesellschaft eingebunden und gefördert. Sie können dort Toleranz gegenüber Anderen und Übernahme von Verantwortung erlernen. Dies ist ganz essentiell für 325 Vgl. Benz, M. (o.A.), S.6ff, vom 30.06.2003. 163 6. Analyse der vier Kapitalbereiche die Entwicklung der Persönlichkeit. Einzelne sowie eher ausgegrenzte Gruppen können dort integriert werden und der soziale Halt wird gefördert. Probleme entstehen, wenn zu wenige Vereine bestehen. Denn dadurch kann vor allem in ländlichen Gegenden ein ausreichendes Freizeitangebot nicht mehr sichergestellt werden. Weiterhin ist darauf zu achten, dass genügend Hallen und Plätze vorhanden sind, um die Möglichkeit zu schaffen, dass Sportvereine überhaupt tätig werden können. 6.4.3. Analyse Im Allgemeinen kann die Datensuche im Bereich des Sozialkapitals als nicht einfach bezeichnet werden. Das hat zum Teil damit zu tun, dass sich die Arbeitsgruppe nicht nur an den Statistischen Ämtern und Jahrbüchern orientieren konnte, sondern bzgl. der Wahlbeteiligung oder dem Polizeibesatz an spezifische Institutionen wenden musste. Dadurch verzögerte sich die Datensuche bzw. stellte sich in einigen Bereichen sogar als nicht umsetzbar dar. Weiterhin ergaben sich große Schwierigkeiten in den Regionen Wallonien und Lothringen. In diesen Regionen war es schwer, in manchen Fällen sogar unmöglich an Daten zu gelangen. Das liegt u.a. auch daran, dass das Statistische Jahrbuch von Frankreich nicht nach Regionen aufgeteilt ist und das Statistische Jahrbuch Belgiens der Arbeitsgruppe im Forschungszeitraum nicht zugänglich war. Auch die Internetpräsenz der Regionen Wallonien und Lothringen, sowie die von Luxemburg ist nur bruchstückhaft vorhanden, weshalb Daten auch nur begrenzt vorhanden sind. 164 6. Analyse der vier Kapitalbereiche An dieser Stelle soll kurz dargestellt werden, in welchen Bereichen noch Daten fehlen: Tabelle X: Fehlende Daten für das Sozialkapital Rheinland -Pfalz Erwerbstätigen1990, 2002 quote Arbeitslosen2002 quote Polizeibesatz 2001-2002 Kriminalitätsrate Anzahl der 1990Ärzte 1992, 2002 Anzahl der Krankenhaus2002 betten Wahlbeteiligung LTW Wahlbeteiligung KW Mitglieder in Sportvereinen Saarland Luxemburg Wallonien Lothringen 1990-92, 2002 2001-2002 komplett komplett 2002 2002 2002 2002 komplett 1990, 2000 komplett komplett komplett komplett 1990-1992, 2001-2002 1990-1992, 1994-1995, 1997, 1999, 2001-2002 1990-1992, 2001-2002 1990-1992 1990-1992, 2002 1990-1992, 2001-2002 2002 1990-1992, 2002 1994-1998 2002 2002 1990-1992, 1994-1998, 2002 1990-1994 1990-1992, 1999-2003 komplett komplett 2001-2002 komplett komplett Quelle: eigene Erstellung Analyse der Erwerbstätigenquote und der Arbeitslosenquote Über die Erwerbstätigenquote in der Großregion kann nur in Verbindung mit der Arbeitslosenquote eine sinnvolle Aussage formuliert werden. Für die Regionen Wallonien und Lothringen liegen bezüglich Erwerbstätigenquote im Rahmen dieses Projektes keine Daten vor. der Wallonien besitzt bezüglich statistischen Datenmaterials nicht genügend Internetpräsenz. Statistische Jahrbücher über Wallonien wiederum, sind weder Bestand der Bibliothek der Universität Trier noch waren diese über Fernleihe zu beziehen. Da die finanziellen Mittel dieses Projektes nicht ausreichen, war auch eine Bestellung dieser Daten über Datashop nicht möglich. Die Datenlage Lothringens weist kein anderes Bild auf. Hier besteht ebenso, trotz ausgebauter Internetpräsenz mit vielen Informationen, ein Datenloch. Eine Anfrage an Verantwortliche wurde ebenfalls nicht erwidert. Die Jahrbücher 165 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Frankreichs hingegen waren nicht genug aussagekräftig und die Daten von Datashop wiederum zu kostenspielig. Es ist schwierig, eine allgemeine Tendenz der Quote für die Großregion festzulegen, da zu wenige aussagefähige Daten zur Verfügung standen. Denn auch für die anderen drei Regionen liegen Daten nur bis 2000 bzw. 2001 vor, beim Saarland beginnen sie sogar erst im Jahre 1993. Die Daten für Rheinland - Pfalz und das Saarland stammen von den umfassenden Internetseiten der statistischen Landesämter. Für Luxemburg sind diese Daten den statistischen Jahrbüchern entnommen. Auf alle drei Regionen wurde die gleiche, allgemeingültige Formel zur Ermittlung der Erwerbstätigenquote angewandt. Hierbei wurde pro Jahr die Erwerbstätigenzahl durch die Bevölkerungszahl geteilt und dieser Wert mit 100 multipliziert. Es wird sich im Folgenden darauf beschränkt, die verbleibenden drei Regionen mit der jeweiligen Tendenz zu erläutern und erst mit Sicht auf die Arbeitslosenquote einen allgemeinen Trend auszumachen. TABELLE und GRAFIK Die Erwerbstätigenquote in Rheinland - Pfalz weist eine sinkende Tendenz mit geringen Schwankungen, maximal ein bis zwei Prozent, im Zeitverlauf auf. 1991 hatte sie mit 44,5% ihren Höchststand, möglicherweise ausgelöst durch die Wende 1989. Die Wirtschaft erfuhr zu dieser Zeit einen Aufschwung. Der niedrigste Wert 41,7% ist hier im Jahre 1997 vorzufinden und könnte möglicherweise auf die Weltwirtschaftskrise zu diesem Zeitpunkt zurückzuführen sein. Insgesamt ist sie, das Jahr 1991 mit 44,5% betrachtend, im Zeitverlauf um 0,9% geringfügig gefallen, da sie 2001 43,6% hoch war. Für das Saarland liegt nur Datenmaterial von 1993 bis 2001 vor. Daher kann keine Aussage getroffen werden, ob auch im Saarland die Quote 1991 ihren höchsten Wert hat. Aufgrund der Zahlenreihe ergibt sich hier das Bild, dass 2001 47,5% der Bevölkerung erwerbstätig waren, 1994 jedoch nur 43,6%. Es ist anzunehmen, dass diese Tendenz, 3,9% Steigerung, im Erwerbstätigenbereich auf den Wandel des Arbeitssektors zurückzuführen ist. Als Folge neu entstehender Dienstleistungen, im Bereich der Informations - und Kommunikationstechnologie. So werden bspw. im tertiären Bereich zunehmend Arbeitsplätze geschaffen, besonders relevant für die Großregion und daher auch für das Saarland. In Luxemburg, wie auch zuvor erwähnt in Rheinland - Pfalz, lässt sich 1991 mit 42,7% die höchste Quote verzeichnen und 1997 ebenfalls der niedrigste Prozentsatz von 40,7% finden. Allerdings ist hier weniger eine sinkende Tendenz festzustellen, sondern es kann eher von gleichbleibenden Werten gesprochen 166 6. Analyse der vier Kapitalbereiche werden, beginnend mit 42,7% 1990 und einen Wert von 42% im Jahre 2001 erreichend. Über die Erwerbstätigenquote kann für die Regionen Wallonien und Lothringen im Rahmen dieser Projektarbeit, aufgrund nicht zur Verfügung stehendem Datenmaterials, keine Aussage getroffen werden. Über die Arbeitslosenquote jener beiden Regionen im Vergleich mit den anderen kann jedoch gefolgert werden, dass die Erwerbstätigenquote wohl nur um einige wenige Prozente differieren kann und wahrscheinlich ungefähr das Niveau der anderen Regionen besitzt. Bevor eine genaue Schlussfolgerung aufgrund dieser Werte getroffen werden kann, ist es sinnvoll die Arbeitslosenquote der betreffenden Regionen ergänzend zu betrachten, um ein Gesamtbild zu erhalten. Die Arbeitslosenquote wird einheitlich erhoben und liegt für alle fünf Regionen jedes zweite Vierteljahr auf der NUTS 3 Ebene von 1990 bis 2001 vor. Allerdings existiert auch hier eine Datenlücke für die Erhebungsjahre 2002 und 2003. Die harmonisierten Daten stammen aus New Cronos Regio und waren über Datashop erhältlich. Die grenzüberschreitende Betrachtung der Erwerbstätigen - und der Arbeitslosenquote lässt zukunftsweisend, aufgrund nicht ausreichendem statistischen Materials, nur vage Prognosen zu. Denn Veränderungen und potenzielles Wachstum auf dem Arbeitsmarkt sind eng an die Bevölkerungsdynamik, die allgemeine Weltwirtschaftslage und politische Maßnahmen gebunden. Die Arbeitslosenquoten der Regionen Rheinland - Pfalz, dem Saarland, Luxemburg und von Wallonien steigen tendenziell, was eine verschlechterte Wirtschaftslage und fortschreitende Technologisierung vermuten lässt. Allein Lothringen weist eine positive Tendenz in der Arbeitsmarktentwicklung und daher eine gesunkene Quote auf. Somit kann in Bezug auf die Erwerbstätigkeit angenommen werden, dass diese größtenteils konstant bleibt bzw. nicht steigen wird. Rheinland - Pfalz besitzt 1991 mit 3,4% einen sehr geringen Prozentsatz an Arbeitslosen, was durchaus auf die deutsche Wiedervereinigung und den Aufschwung zu dieser Zeit zurückgeführt werden kann. 1997 gab es weltweit eine Wirtschaftskrise, welche sich mit dem höchsten Arbeitslosenwert von 7,1%, in Rheinland-Pfalz widerspiegelt. Generell ist die Steigungsrate der Arbeitslosigkeit, trotz zeitweilig größerer Schwankungen, aber durchaus nicht so hoch wie oft angenommen. Das Jahr 1990 betrachtend, liegt der Wert bei 4,2%, 2001 bei 5,8% angelangt, sozusagen geringfügige 1,6% Prozentpunkte Differenz im Laufe von 11 Jahren. Auch im Saarland sind 1991 „nur“ 5,9% der Menschen ohne feste Arbeitsstelle, 1997 mit dem höchsten Wert jedoch 10,1%. Die Hintergründe für diese Werte 167 6. Analyse der vier Kapitalbereiche dürften dieselben wie in Rheinland - Pfalz sein. Schwankungen der Quote in dieser Region variieren zwischen 7% und 10%, weichen aber jeweils auf das Vorjahr bezogen höchstens um einen Prozentpunkt nach oben bzw. unten ab. Diese Tendenz zeigen auch die Werte 1990 mit 7% und 2001 mit 7,9% auf. Luxemburg hat, beeinflusst durch die wirtschaftliche Entwicklung, ebenfalls im Jahre 1991 den tiefsten Stand mit 1,5%. Allerdings komplementiert es nicht die Reihe, da sein höchster Wert 3,5% auf 1994 fällt. Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht geklärt werden, wieso dies der Fall ist. Jedoch zeigt auch Luxemburg in der allgemeinen Tendenz keine größeren Schwankungen. Angefangen mit 1,6% 1990 und abschließend mit 2,4% in 2001 ergibt nur eine minimale Differenz von 0,8%. Wallonien besitzt auch im Jahre 1991 ihren geringsten Arbeitslosenquotenwert von 8,7%. Der Höchste ist, wahrscheinlich auch beeinflusst durch die wirtschaftliche Weltsituation, 1998 mit 13,8%. Im Verlauf gesehen pendelt sich der Wert, mit einigen Schwankungen von zwei bis drei Prozent, von 1990 9% auf 10,6% in 2001 ein und bleibt mit einer Steigungsrate von 1,6% im Rahmen des Üblichen. Lothringen weist einen sinkenden Trend der Arbeitslosenquote auf. Lag diese 1990 bei 7,9%, ist sie im Jahre 2001 bei 6,7% angelangt. Da keine vergleichbar erhobenen Daten für 2002 und 2003 vorliegen, ist nicht abzusehen, ob z.B. der elfte September spätere negative Auswirkungen auf die Quote dort hatte. Analyse der Kriminalitätsrate und des Polizeibesatzes Leider sind zu diesen Themen die Daten nicht in gewünschter Menge zugänglich. Sie stammen für Rheinland-Pfalz vom statistischen Landesamt und werden durch die Polizeistatistik des Landes ergänzt. Im Saarland und in Luxemburg bilden die statistischen Jahrbücher die Grundlage, ergänzt werden auch sie durch die jeweiligen polizeilichen Kriminalstatistiken. Die Daten vom Datashop wurden nicht herangezogen, da sie sich jeweils auf den Stand vom 1. Januar beziehen, wohingegen die anderen Quellen (Stand 31.12.) besser kompatibel sind. Für Lothringen und Wallonien war es leider, aufgrund zuvor erläuterter Probleme, nicht möglich Daten zu beschaffen. Insgesamt lassen sich keine großen Abweichungen der Kriminalitätsrate zwischen den betreffenden Regionen feststellen. Sie bewegten sich alle in einem engen Rahmen, innerhalb von 5% und 7%, wobei in Luxemburg die größten Schwankungen bestehen. Allgemein ist allerdings eher ein Anstieg zu erkennen. TABELLEN UND GRAFIKEN (welche hier genau hin soll, stand nicht im Original – Helge) 168 6. Analyse der vier Kapitalbereiche In der Region Rheinland-Pfalz sind keine besonderen Auffälligkeiten auszumachen. Die Bevölkerung nimmt ebenso wie die Kriminalitätsrate stetig zu. Ein Anstieg der Kriminalitätsrate von ca. 5,4% auf ca. 6,9% ist dort zu verzeichnen. Im Jahr 2002 erreicht die Rate somit ihren Höchststand, sie ist gegenüber dem Vorjahr um 17,1% gestiegen. Ein erheblicher Teil davon ist der Wirtschaftskriminalität (+ 66,9%), der Computerkriminalität (+26,9%) und der Straftaten gegen Bestimmungen zum Schutze der Jugend (+62,5%) zuzurechnen.326 Dies liegt zum Teil in der einfachen Tatsache begründet, dass die Erfassungen und Anzeigen in diesen Bereichen zugenommen haben. Zwar nimmt auch die Zahl der Angestellten der Polizei im gleichen Zeitraum zu, aber fast im selben Ausmaß wie die Bevölkerung, so dass der Besatz insgesamt fällt, er beträgt durchschnittlich 2,6% auf die Gesamtbevölkerung bezogen. Ursachen dafür liegen in der allgemeinen Finanzlage begründet. Aktuellen Zeitungsmeldungen zufolge, liegt der Besatz in Rheinland-Pfalz weit unter dem geforderten Mindestmaß, so dass die Beamten viele Überstunden leisten müssen und ihre Präsenz darunter leidet. Auch für die Zukunft wird aufgrund einer zunehmenden Anzahl weiblicher Beschäftigter mit höheren Dienstausfällen wegen Mutterschaftsurlauben gerechnet. Ein Anstieg des Besatzes ist allerdings für die nächsten Jahre in Planung.327 Im Saarland hingegen sinkt allgemein die Bevölkerungszahl stetig, wobei die Anzahl der Straftaten schwankt. Ein besonderer Sprung ist in den Jahren 2001 und 2002 zu erkennen. 2001 wurden mit großem Abstand die wenigsten Straftaten gemeldet (60.651, dies entspricht ca. 5,7%), hingegen 2002 die meisten (72.601). Dies spiegelt sich, wenn auch nicht so deutlich, in der Kriminalitätsrate mit einem Anstieg von 19,87% auf insgesamt 6,8% wider. In den übrigen Jahren belief sie sich auf ca. 6%. Ursächlich hierfür ist, ähnlich wie in Rheinland-Pfalz, ein Anstieg der Wirtschaftskriminalität (Vermögens- und Fälschungsdelikte +54,7%), Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (+48,4%), sowie Rauschgiftkriminalität (+28,1%). Anzumerken ist hierbei, dass in den genannten Bereichen die Aufklärungsquoten besonders hoch sind (Vermögens- und Fälschungsdelikte: 77,2%). Hierunter fallen auch Waren- / Warenkreditbetrug (+88,8%), Anlagebetrug und Betrug mittels rechtswidrig erlangten unbaren Zahlungsmitteln (+101,5%).328 In Luxemburg wächst die Bevölkerung stetig, aber im Vergleich zu RheinlandPfalz ist die Kriminalitätsrate eher schwankend. Nach einem Höchststand von 7,2% im Jahr 1994 ist sie im Jahr 2001 auf einen Wert von 5,1% gesunken. Dies bedeutet einen deutlichen Rückgang von 40,7%. Leider ist sie im folgenden Jahr jedoch wieder um 14.5% auf einen Wert von 5,8% gestiegen. Die 326 Vgl. Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz (Hrsg.) (2003), S.2., vom 03.12.03. Vgl. Winkler, J. (2004), S.6. 328 Vgl. Landeskriminalamt Saarland (Hrsg.) (2003), S.6ff., vom 07.12.03. 327 169 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Hauptdeliktarten sind hier, anders als in den deutschen Regionen, Diebstähle und Verkehrsdelikte. Zu bemerken ist auch hier der enge Zusammenhang mit den verstärkten Kontrollen in Geschäften sowie allgemeine Verkehrskontrollen. Der Polizeibesatz weist leichte Schwankungen von 0,2% auf und bewegt sich im Rahmen von 2,8%.329 Es kann auch hier davon ausgegangen werden, dass ein weiterer Anstieg des Besatzes wünschenswert wäre. Analyse der Anzahl der Ärztinnen und Ärzte und der Krankenhausbetten Datengrundlage für den Realindikator „Anzahl der Krankenhausbetten“ sind die Statistischen Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland, sowie der Länder Rheinland-Pfalz, Saarland und Luxemburg. Des weiteren werden Werte von Datashop verwendet. Da die Daten sich teilweise stark unterscheiden, so ist z.B. für das Jahr 2000 im Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland ein Wert von 27.236 Krankenhausbetten vermerkt, während Datashop eine Bettenanzahl von 35.693 angibt, hat sich die Forschungsgruppe für eine einheitliche Datengrundlage entschieden. Dies hat zur Folge, dass fehlende Zahlen nicht mit anderen Quellen ergänzt werden, da dies die Statistik falsch wiedergeben würde. So werden die Zahlen von Rheinland-Pfalz weder von Datashop verwendet, noch mit Daten aus den Statistischen Jahrbüchern kombiniert. Gründe für die großen Differenzen können mitunter unterschiedliche Zählweisen (z.B. eingelagerte Betten werden mit aufgeführt) sein oder die Erhebungen erfolgen als Stichtagswert bzw. als Jahresdurchschnitt. Daten über Wallonien und Lothringen liegen nur bei Datashop vor, die Werte für Rheinland-Pfalz und dem Saarland sind dem Statistischen Jahrbuch des Bundes entnommen und für Luxemburg ebenfalls dem entsprechenden Jahrbuch. Auf diese Weise ist garantiert, dass die Datenreihen die geringsten Lücken aufweisen. Insgesamt nimmt die Anzahl der Krankenhausbetten in der Saar-Lor-Lux-Region langsam, aber stetig ab. Abbildung X: Anzahl der Krankenhausbetten 329 Vgl Police Grand-Ducale–Luxembourg (Hrsg.) (2003), S.5ff., vom 08.12.2003. 170 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 30.000 25.000 20.000 15.000 10.000 5.000 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien Luxemburg Quelle: Wallonien hat einen Rückgang von 23.915 im Jahr 1993 (7,3 Betten pro 1000 Einwohner) auf 21.945 (6,6) im Jahr 2000 zu verzeichnen. Den stärksten Rückgang hat Luxemburg zu vermelden, so beträgt die Bettenzahl 1993 noch 4560 (11,5 pro 1000 Einwohner) und sinkt auf 3035 im Jahr 2001 (dies entspricht 6,8 Betten pro 1000 Einwohner). Etwas moderater fällt der Rückgang in den anderen Ländern aus. So sinkt der Durchschnittswert (immer auf 1000 Einwohner bezogen) in Rheinland-Pfalz von 7,8 (1990) auf 6,6 (2001), im Saarland von 8,8 (1990) auf 7,1 (2001) und in Lothringen von 9,8 (1993) auf 8,5 im Jahr 2001. Gründe hierfür können vor allem die Einsparungen im Gesundheitswesen und fortschreitende technische Entwicklungen sein. Der zweite Realindikator des Gesundheitswesens “Anzahl der Ärzte“ hat die Werte von Datashop als Datengrundlage. Für diese Messgröße sind in der SaarLor-Lux-Region die Daten ab 1993 einheitlich und lückenlos erfasst. Die Werte der Statistischen Jahrbücher weichen auch hier von diesen Daten ab. Gründe können eine differenzierte Zählweise sein (z.B. Zahnärzte werden hinzu gerechnet). Für die Jahre 1990 bis 1992 werden die Daten aufgrund dieser unterschiedlichen Erhebungsart nicht ergänzt. In der gesamten Region nimmt die Anzahl der Ärzte Jahr für Jahr zu. Vor allem die demographische Entwicklung, immer mehr ältere Menschen müssen versorgt werden, und die steigende Zahl an Medizinstudierenden kann hierfür verantwortlich sein. Abbildung X: Anzahl von Ärzten 171 6. Analyse der vier Kapitalbereiche 15.000 12.500 10.000 7.500 5.000 2.500 0 1993 1994 1995 1996 1997 Rheinland-Pfalz Saarland Lothringen Wallonien 1998 1999 2000 2001 Luxemburg Quelle: Den stärksten Anstieg verzeichnen Wallonien und Luxemburg. In Wallonien steigt die durchschnittliche Zahl (auf 1000 Einwohner bezogen) von 3,1 im Jahr 1993 auf 4,1 (2000), während in Luxemburg eine Zunahme von 2,1 (1993) auf 3,2 (2000) zu verzeichnen ist. In Lothringen steigt die Anzahl von 2,5 im Jahr 1993 auf 2,9 in 1994, danach stagniert der Durchschnittswert und ist mit 2,9 in 2000 weiterhin stabil. In den deutschen Ländern Rheinland-Pfalz und Saarland nimmt die Zahl der Ärzte langsamer zu. Dies könnte an der Selbstverwaltung der Kassenärztlichen Vereinigungen liegen, da diese darauf achten, dass keine Überversorgung stattfindet und Budgetrestriktionen eingehalten werden. Die deutsche Besonderheit, dass die Ärzte sich selbst organisieren und verwalten, könnte für den langsameren Anstieg verantwortlich sein. So steigt die Zahl von 2,8 (1993) auf 3,0 (2001) in Rheinland-Pfalz und von 3,1 (1993) auf 3,6 (2001) im Saarland. Analyse der Wahlbeteiligung Die Wahlbeteiligung soll wie bereits angesprochen auf zwei Ebenen gemessen werden, auf der regionalen und der kommunalen, da sich die politischen Akteure insbesondere dort mit Fragen der regionalen Entwicklung und der Nachhaltigkeit befassen müssen. Auf der kommunalen Ebene sind nur Zahlen aus RheinlandPfalz und dem Saarland durch die Publikationen der Wahlleiter, den Veröffentlichungen zu den Wahlen durch die Bundesländer vorhanden, des Weiteren von einer Wahlperiode aus Luxemburg,330, weshalb diese Wahlen lediglich ergänzend einbezogen werden können. Trotz des Versuches die fehlenden Daten durch direktes Anschreiben des statistischen Amtes von 330 Die Daten über die Wahlen auf kommunaler Ebene in Luxemburg wurden durch die Arbeitsgruppe selbst anhand der Wahlergebnisse der einzelnen Gemeinden berechnet. 172 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Lothringen, sowie der regionalen Regierung von Wallonien zu erhalten, konnten die Daten nicht beschafft werden.331 Bitte die Tabelle zur Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene nur in den Anhang setzen und in der Fußnote 20 bitte den genauen Ort angeben. Auf der Ebene der Landtags- und Regionalwahlen ist die Datenlage ergiebiger. Hier sind die Daten für Rheinland-Pfalz, Saarland und Lothringen komplett vorhanden. Sie wurden aus den Statistischen Jahrbüchern, sowie durch die Internetseiten der zuständigen Behörden in Lothringen, Wallonien und Luxemburg gewonnen. Für Wallonien fehlen die Daten bis 1994 und für Luxemburg sind nur Wahlergebnisse von 1990 bis 1993 und ab 1999 erhältlich. In beiden Fällen stammen die verfügbaren Daten aus dem Internet, insbesondere von den Seiten der regionalen Verwaltungseinrichtungen. Zu den verwendeten Daten ist folgendes zu sagen: Für Rheinland-Pfalz und das Saarland wurden Wahlergebnisse der Landtagswahlen herangezogen. In Luxemburg, da es sich hierbei nicht um eine Region, sondern um einen Staat handelt, der komplett abgebildet werden soll, wurden die Parlamentswahlen auf nationaler Ebene einbezogen. In Lothringen und Wallonien beziehen sich die Daten auf die Regionalwahlen, da diese über die Departement - Grenzen hinaus die gesamte Region abbilden. Allgemein lässt sich der Trend ablesen, dass im Zeitraum von 1990 bis 2003, in dem in allen fünf Regionen jeweils zwei bis drei Wahlen verzeichnet sind, die Wahlbeteiligung sinkt. In Rheinland-Pfalz sank die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen von 77,0 auf 62,1%, im Saarland von 83,2 auf 68,7%. In Lothringen sank die Wahlbeteiligung bei den Regionalwahlen von 72,1 auf 54,3% und in Luxemburg ging die Beteiligung an den Parlamentswahlen von 87,4 auf 86,5% zurück. Auch in Wallonien ist ein Rückgang zu verzeichnen. Da jedoch keine Daten über den Zeitraum 1990 bis 1994 zur Verfügung stehen, kann die Wahlbeteiligung nur von 1995 bis 2003 angegeben werden. In diesem Zeitraum sank die Wahlbeteiligung bei Regionalwahlen von 92,6 auf 90,4%. TABELLEN WAHLBETEILIGUNG, nur Landtagswahlen In Rheinland-Pfalz sinkt die Wahlbeteiligung im Zeitraum von 1990 bis 2003 auf Landtagsebene um 14,9% von 77,0 auf 62,1%, auf kommunaler Ebene von 81,4 auf 69,2% um 12,2%. Ähnliche Entwicklungen sind auch anhand der vorhandenen Wahlergebnisse des Saarlandes festzustellen. Dort sinkt die Wahlbeteiligung auf Landesebene von 83,2 auf 68,7% um 14,5%, auf kommunaler Ebene um 19,9% von 79,2 auf 59,3%. In Lothringen nimmt die 331 Die Tabelle zu der Wahlbeteiligung auf kommunaler Ebene ist im Anhang zu finden. 173 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Wahlbeteiligung auf der Landesebene um 17,8% ab, und zwar von 72,1 auf 54,3%. Allgemein lässt sich jedoch festhalten, dass sich die Abnahme der Wahlbeteiligung zwischen 1990 und 1999 bzw. 2000 eher langsam vollzogen hat, im Saarland stieg die Wahlbeteiligung von der Wahl 1989 zu der von 1994 um 0,3%. Erst mit den letzten Wahlen, die in den einzelnen Gebietskörperschaften zwischen 1998 und 2001 stattgefunden haben, hat sich die Beteiligung insbesondere in Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Lothringen drastisch reduziert. Auf Landtagsebene sank sie in Rheinland-Pfalz um 8,7%, im Saarland um 14,8%, in Lothringen um 11,2%. Über die Gründe für den massiven Rückgang der Wahlbeteiligung in den Regionen Saarland, Rheinland-Pfalz und Lothringen kann angenommen werden, dass die Unterschiede zwischen den wählbaren Parteien innerhalb des Parteienspektrums hinsichtlich der für die Menschen relevanten Themen nicht mehr klar ersichtlich ist, und deshalb die Wahl für sie keine tatsächliche Wahl mehr darstellt und an Bedeutung verliert. Über Luxemburg liegen keine Daten von 1990 und 2003 vor, im gesamten Zeitraum ist die Wahlbeteiligung jedoch nur um 0,9% gesunken. Auch in Wallonien besteht nur ein geringer Rückgang von 2,2%. Die Wahlbeteiligung in Luxemburg und Wallonien sinkt darüber hinaus nicht nur sehr viel langsamer, als in den anderen drei Regionen, sie ist auch noch signifikant höher und beläuft sich in Luxemburg auf nationaler Ebene 2003 auf 86,5% und liegt in Wallonien sogar bei 90,4% auf regionaler Ebene. D.h. die Wahlbeteiligung in Luxemburg und Wallonien liegt um mehr als 20% über der Beteiligung in den anderen drei Regionen. Dies erklärt sich durch die einfache Tatsache, dass sowohl in Luxemburg, als auch in Belgien die Wahlpflicht existiert. In Lothringen liegt die Wahlbeteiligung auf regionaler Ebene momentan bei 54,3%. Dieser niedrige Wert kann anhand der starken Zentralisierung des Landes begründet werden. Die allgemeine Wahlbeteiligung in Frankreich liegt um ca. 10% über diesem Ergebnis, bei 64,42%. Es ist anzunehmen, dass gerade in Frankreich die Relevanz der regionalen Instanzen von geringerem Stellenwert ist als die der nationalen politischen Institutionen und somit auch das Wahlrecht in kleineren Gebietskörperschaften weniger in Anspruch genommen wird. Ähnliches lässt sich auch, wenn jedoch nur in geringerem Maße in Deutschland verzeichnen. So liegt die Wahlbeteiligung bei den letzten Bundestagswahlen bei 79,1%, bei den letzten Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz bei 62,1%, im Saarland bei 68,7%. Auch hier haben die Bundestagswahlen einen höheren Stellenwert für die Menschen, als die Wahlen in kleineren Gebietskörperschaften. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wahlbeteiligung erst langsamer, dann ab 1998 bzw. 1999 und 2000 wesentlich schneller sinkt. Die Relevanz des Urnengangs für die Menschen ist rückläufig, weshalb es auch im politischen 174 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Bereich wahrscheinlich immer schwieriger wird, Menschen zur Partizipation zu bewegen. Auch für nachhaltige Entwicklung kann sich dieser Zustand negativ auswirken, da sich die Menschen aus dem politischen Prozess, zumindest auf dieser formalen Ebene, zu desintegrieren scheinen. Jedoch kann, so die Annahme der Arbeitsgruppe, keinesfalls bereits davon gesprochen werden, dass die Menschen nicht mehr am politischen Prozess beteiligt sind. Es wäre jedoch gerade in Hinblick auf die Wahlbeteiligung sinnvoll, die zivilgesellschaftlichen politischen Gruppierungen genauer zu betrachten, um die Konsequenzen der Entwicklung abschätzen zu können. Eine der relevanten Fragen in diesem Zusammenhang, ist, ob sich die Menschen vollständig aus dem politischen Bereich zurückziehen oder nur die Wahlen als weniger relevant für ihr alltägliches Leben betrachten. Allgemein lässt sich die Prognose aufstellen, dass eine relevante Steigung der Wahlbeteiligung bei den nächsten Wahlen nicht anzunehmen ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese stagniert oder noch weiter sinkt. Analyse der Mitglieder in Sportvereinen Die Statistischen Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland und Luxemburgs dienen als Datengrundlage dieses Realindikators. Hier sind die Daten vollständig für 1990 bis 2001 (Rheinland-Pfalz, Saarland) bzw. für 1990 bis 2000 (Luxemburg) erfasst. Für Wallonien und Lothringen liegen keine Daten vor. Die Werte werden auf die Gesamtbevölkerung der betreffenden Region umgerechnet. Für die Saar-Lor-Lux-Region, genauer für die drei betrachteten Regionen, ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Abbildung x: Anzahl der Mitglieder in Sportvereinen bezogen auf die Gesamtbevölkerung % 50 40 30 20 10 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Rheinland-Pfalz Saarland 175 Luxemburg 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Quelle: Ein Grund für diesen Anstieg könnte das steigende das steigende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung sein. So steigt die Zahl im Saarland von 38% der Bevölkerung, die in Sportvereinen organisiert sind, im Jahre 1990 auf 41% (absolut 447.446) in 2001. In Rheinland-Pfalz nimmt die Anzahl der Menschen, die auf diese Weise an der Gesellschaft partizipieren von 34% (absolut 1.285.256 in 1990) auf 37% (absolut 1.497.354 in 2001) zu. In beiden betrachteten deutschen Ländern ist demnach ein gleich großer Anstieg zu verzeichnen, während in Luxemburg, die Anzahl der Mitglieder von 22% (absolut 85.884) im Jahr 1990 auf 23% (101.126) in 2000 zunimmt. In Luxemburg ist nicht nur ein geringerer relativer Anstieg festzustellen, sondern auch, dass die Bevölkerung insgesamt in geringeren Umfang Mitglied eines Sportvereines ist. Unterschiedliche Erfassungsmethoden könnten für diese Diskrepanz verantwortlich sein, denn es ist nicht davon auszugehen, dass die luxemburgische Bevölkerung nicht so sportbegeistert ist. Genaue Erkenntnisse hat die Forschungsgruppe allerdings nicht für den Unterschied zwischen der geringeren Anzahl in Luxemburg und den Mitgliederzahlen in den deutschen Bundesländern. 6.4.4 Wechselwirkungen innerhalb des Sozialkapitals Die folgenden Konflikt - und Harmoniesituationen sind mögliche Folgen, keineswegs jedoch Zwingende. Arbeitslosenquote Zielharmonie innerhalb des Sozialkapitals Wenn die Arbeitslosenquote sinkt, kann sich die Kriminalitätsrate verringern. Denn arbeitslos gewordene Menschen sind in ihrem Grundbedürfnis nach finanzieller Absicherung, Tagesstrukturierung und sozialem Status in der Gesellschaft nicht mehr befriedigt und eher versucht andere Wege des Einkommens bzw. der Tagesausfüllung einzuschlagen. Anzunehmen ist jedoch, dass bei arbeitslos gewordenen Menschen vorwiegend Kleinkriminalität zunimmt. Polizeibesatz Zielharmonie innerhalb des Sozialkapitals Aufgrund eines hohen Besatzes können in jedem Bereich Straftaten schneller verfolgt und aufgedeckt werden. Des weiteren kann eine höhere Präsenz allgemein präventiv wirken und eine Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühles der Mitmenschen gewährleisten. Diese Tatsache könnte sich sogar positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken. 176 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Vereine im Freizeit- und Sportbereich Zielharmonie innerhalb des Sozialkapitals Eine gesteigerte Anzahl an Mitgliedern in Sportvereinen, kann eine Senkung der Kriminalitätsrate bewirken. Vor allem Jugendliche werden durch die Mitgliedschaft sinnvoll beschäftigt und widmen sich in dieser Zeit „sinnvollen“ Tätigkeiten. Durch das Engagement in Vereinen können sie von Straftaten abgehalten werden. In Ballungsgebieten können so Delikte, die häufig von jungen Menschen aus Langweile oder Desinteresse begangen werden, verhindert werden. 6.4.5 Fazit Insgesamt ist es schwer eindeutige Aussagen über die nachhaltige Entwicklung des Sozialkapitals zu tätigen. Die komplexe Definition mit ihren einzelnen Ebenen trägt einen großen Teil dazu bei. Die Relevanz der einzelnen Indikatoren, deren Gewichtung und demzufolge deren Aussagekraft sind ohne Rückkopplung, d.h. ohne empirische Befragungen, kaum festzumachen. Zudem existieren keine festgelegten Standard- oder Soll - Werte der EU, an denen die Orientierung des Trends erfolgen könnte. Somit muss eine diesbezügliche Interpretation selbst vorgenommen werden. Richtwerte wären vor allem bei den Polizeibeamten und den Ärzten sinnvoll. Hier kommt es auf ein ausgewogenes Verhältnis an. Steigende Zahlen können jedoch noch keine Unterbesetzung ausschließen. Daher müssten, um dies zu ermitteln, differenzierte Befragungen bei den einzelnen Ämtern und Kliniken durchgeführt werden. Insgesamt werden Anstiege hier aber positiv bewertet. Auch beim Indikator Krankenhausbetten wären Soll-Bestände hilfreich, da diese aber aufgrund genannter besserer Vorsorge und ambulanter Behandlungen rückläufig sind, könnte ein Sinken der Anzahl hier trotzdem auch als positiv bewertet werden. Die von der Arbeitsgruppe ausgewählten Indikatoren weisen zudem schon aufgrund der ihnen innewohnenden verschiedenen Messmethoden erhebliche Bewertungsprobleme auf. Ein Steigen der Kriminalitätsrate beispielsweise kann als allgemein negativ bewertet werden. Die Gründe dafür, welche in der Erfassung, wie z.B. höhere Aufklärungsquoten, verstärkte Kontrollen und die Mitarbeit der Bevölkerung, jedoch nicht im Vorkommen an sich liegen, werden eindeutig als positiv angesehen. Was sagt also in diesem Fall ein Anstieg der Rate aus? Bei näherer Betrachtung verlieren so die prozentualen Veränderungen in den einzelnen Jahren an Bedeutung. Es handelt sich aber trotzdem um gemessene Straftaten, lediglich ein Teil der Dunkelziffer erscheint nun in den erhobenen Daten. Ein Sinken der Kriminalitätsrate wird also positiv bewertet. 177 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Viele Gründe, dazu zählen allgemeine soziale Erwünschtheit, Beeinflussung durch nahestehende Personen oder mangelnde politische Kenntnisse, bringen Menschen dazu oder halten sie davon ab zur Wahl zu gehen. Diese können nicht für den Einzelfall erhoben werden. Es muss beachtet werden, dass ein Boykott der Wahlen nicht gleichzeitig politisches Engagement ausschließen muss. Ein Steigen der Wahlbeteiligung wird als positiv angesehen. Bei der Arbeitslosenquote ist zu berücksichtigen, dass eine Dunkelziffer existiert, in Form arbeitsloser, jedoch nicht in der Quote erfasster Menschen. Im Gegenzug zu diesen kann mit offiziell zwar arbeitslos gemeldeten, inoffiziell jedoch „schwarz“ einer Tätigkeit nachgehenden Menschen gerechnet werden. Dies sind Fälle des Sozialbetruges. Somit ist die Quote mit Vorsicht und nur in Verbindung mit weiteren das Metier beschreibenden Quoten zu sehen und zu bewerten. Es muss zudem genau darauf geachtet werden, ab wann jemand als arbeitslos angesehen wird und wie saisonale Arbeitsmarktbedingungen und politische Rahmenbedingungen einwirken. Werden diese Punkte vernachlässigt, ist eine zutreffende Aussage kaum möglich. Insgesamt ist hier ein Sinken als positiv zu bewerten. Die Erwerbstätigenquote klammert die Arbeitslosen und somit einen schwer unverzerrt darstellbaren Bereich aus. Sie zeigt den Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung auf und kann somit einen Hinweis auf Wohlstand und Nachhaltigkeit einer Region liefern. Insgesamt ist ein Steigen hier positiv zu bewerten. Bei der Vereinstätigkeit liegt das Problem insbesondere in der Vielzahl unterschiedlicher Vereine und damit in der unzulänglichen Bearbeitung der reinen „Sport- und Freizeitvereine“ begründet. Kosten der Vereinszugehörigkeit oder mangelnde Angebote, die in einzelnen Regionen sicher vorliegen und die Zahl der Mitglieder mindern, können leider nicht erhoben werden. Ein Anstieg der Vereinsmitglieder wird zweifelsfrei als positiv bewertet. Überblick über die gewählten Realindikatoren und deren Ergebnisse: Polizeibesatz: positiv Ärztedichte: positiv Krankenhausbetten: positiv Kriminalitätsrate: negativ Wahlbeteiligung: negativ Arbeitslosenquote: negativ Erwerbstätigenquote: negativ Vereinsmitgliedschaft: positiv 178 6. Analyse der vier Kapitalbereiche Aufgrund dieser sehr vereinfachten Darstellung lässt sich keine Richtung ablesen. Positive und negative Ergebnisse heben sich auf. Zudem würde das Ergebnis zu stark von der reinen Anzahl der Indikatoren abhängen. Da wie zuvor erwähnt eine Rückkopplung fehlt, kann keine Gewichtung vorgenommen werden. Subjektiv betrachtet, kommt die Gruppe zu dem Schluss, dass die Großregion Saar-Lor-Lux im Bereich des Sozialkapitals Defizite aufweist, welche es zu beheben gilt. 179 7. Analyse der Indikatorbeziehungen zwischen den Kapital 7. Analyse der Indikatorbeziehungen zwischen den Kapitalen 7.1 Vorgehensweise In der Tabelle X werden die verwendeten Indikatoren einander gegenüber gestellt. Nicht miteinbezogen werden Indikatoren, für die Daten nur hinsichtlich einer Teilregion vorhanden sind, sowie solche, die nicht mehr als zwei Werte in der Zeitreihenbetrachtung aufweisen. Anschließend wird den Indikatoren ein Symbol zugeordnet: Jenen Indikatoren, die sich betreffend ihres Beitrages zur Nachhaltigkeit überwiegend positiv entwickelt haben, wird ein „+“ zugeordnet. Ist ein negativer Beitrag zu erkennen, wird ein „-“ notiert. Entwickeln sich die Indikatoren weder positiv noch negativ wird eine „0“ gesetzt. Nach dieser Gegenüberstellung der Symbole können Zielharmonien und -konflikte identifiziert werden. Dabei muss nicht jeder verzeichnete Zielkonflikt in der Empirie einen kausalen Zusammenhang darstellen. Gleiches gilt für Zielharmonien. Bei der Analyse der Wechselwirkungen werden Vermutungen über die wichtigsten Ursache-Wirkungsbeziehungen zwischen den Indikatoren angestellt. Danach wird anhand der Tabelle untersucht, ob sich die vermuteten Zusammenhänge bestätigen. 180 7. Analyse der Indikatorbeziehungen zwischen den Kapital +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ +/0 +/0 +/0 +/0 0/0 0/0 +/0 +/0 +/0 +/0 -/0 +/0 0/0 +/0 -/0 +/0 +/0 0/0 -/0 +/0 -/0 -/0 -/0 +/0 +/0 +/0 +/0 +/0 +/0 0/0 0/0 +/0 +/0 +/0 +/0 -/0 +/0 0/0 +/0 -/0 +/0 +/0 0/0 -/0 +/0 -/0 -/0 -/0 +/0 +/0 +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ Quelle: eigene Erstellung 181 +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ +/+/+/+/0/0/+/+/+/+/-/+/0/+/-/+/+/0/-/+/-/-/-/+/+/- +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ +/0 +/0 +/0 +/0 0/0 0/0 +/0 +/0 +/0 +/0 -/0 +/0 0/0 +/0 -/0 +/0 +/0 0/0 -/0 +/0 -/0 -/0 -/0 +/0 +/0 +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ +/+/+/+/0/0/+/+/+/+/-/+/0/+/-/+/+/0/-/+/-/-/-/+/+/- +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ +/+/+/+/0/0/+/+/+/+/-/+/0/+/-/+/+/0/-/+/-/-/-/+/+/- +/+/+/+/0/0/+/+/+/+/-/+/0/+/-/+/+/0/-/+/-/-/-/+/+/- +/+/+/+/0/0/+/+/+/+/-/+/0/+/-/+/+/0/-/+/-/-/-/+/+/- +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ Bettenbelegung Ärzte Kriminalitätsrate +/+/+/+/0/0/+/+/+/+/-/+/0/+/-/+/+/0/-/+/-/-/-/+/+/- Arbeitslosenquote +/0 +/0 +/0 +/0 0/0 0/0 +/0 +/0 +/0 +/0 -/0 +/0 0/0 +/0 -/0 +/0 +/0 0/0 -/0 +/0 -/0 -/0 -/0 +/0 +/0 Wahlbeteiligung +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ F&E- Ausgaben pro Person NO2 Verkehrsfläche (Oberflächenwasser) (Grundwasser) Reb-Fläche Schäden Forst Branchenstruktur Modernitätsgrad Kapitalintensität Kapitalkoeffizient Kapitalproduktivität Hochtechnologiepatente Patente +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ Demografie der Erwerbspersonen +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung Bruttovermögen F&E-Ausgaben Patente Hochtechnologiepatente Kapitalproduktivität Kapitalkoeffizient Modernitätsgrad Kapitalintensität Branchenstruktur Forst Schäden Reb-Fläche (Grundwasser) (Oberflächenwasser) Verkehrsfläche NO2 Bevölkerung nach Bildungsstand Anteil d. Studierenden an d. Gesamtbev. Demografie der Erwerbspersonen F&E- Ausgaben pro Person Wahlbeteiligung Arbeitslosenquote Kriminalitätsrate Ärzte Bettenbelegung Bevölkerung nach Bildungsstand + + + + 0 0 ? + ? + + 0 + + + 0 + + + + 0/? + 0 F&E-Ausgaben Sachkapital Naturkapital Humankapital Sozialkapital Bruttovermögen Tabelle X: Gegenüberstellung der Wechselwirkungen zwischen den Indikatoren +/+ +/+ +/+ +/+ 0/+ 0/+ +/+ +/+ +/+ +/+ -/+ +/+ 0/+ +/+ -/+ +/+ +/+ 0/+ -/+ +/+ -/+ -/+ -/+ +/+ +/+ 7. Analyse der Indikatorbeziehungen zwischen den Kapital 7.2 Analysen 7.2.1 Sachkapital – Naturkapital Theoretisch werden Wechselbeziehungen zwischen Sach- und Naturkapital vermutet. Insbesondere liegt die Vermutung nahe, dass ein hoher Modernitätsgrad sich positiv auf die Schadstoffbelastung durch Maschinen und Anlagen auswirkt. Neuere Maschinen und neuere Technik verfügen meist über bessere Filter und erzeugen weniger Schadstoffe, so dass sich z.B. die Stickstoffbelastung der Luft reduzieren sollte. Da die Datenverfügbarkeit hinsichtlich des Modernitätsgrades nur für zwei Teilregionen gegeben ist, werden ersatzweise die Forschungs- und Entwicklungsausgaben herangezogen. Dahinter steckt wiederum die Vorstellung, dass eine positive Beziehung zwischen Modernitätsgrad und Forschungs- und Entwicklungsausgaben existiert. Ausgaben für Forschung und Entwicklung fördern die technologische Leistungsfähigkeit. Eine höhere technologische Leistungsfähigkeit kann zu effizienten, umweltverträglicheren Maschinen und Anlagen führen. So ist es denkbar, dass durch schadstoffärmere Maschinen und Anlagen sowie durch bessere Filtersysteme die Stickstoffbelastung der Luft reduziert werden kann. Diese vermutete Harmoniebeziehung wird durch die Datenanalyse gestützt. In allen Teilregionen kommt es zu einer trendmäßigen Erhöhung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Beobachtungszeitraum. Gleichzeitig kann auch eine deutliche Reduzierung des durchschnittlichen Stickstoffgehaltes in der Luft festgestellt werden. Ein möglicher Zielkonflikt besteht zwischen dem Bruttoanlagevermögen des Sachkapitals und der Siedlungs- und Verkehrsfläche des Naturkapitals. Ersteres enthält hinsichtlich des Bau- und Ausrüstungsvermögens u.a. Gebäude, Straßen, Wasserwege und Maschinen.332 Letztere umfasst u.a. die Gebäude-, Betriebs- und Verkehrsflächen, welche weitgehend die oben genannten Komponenten des Anlagevermögens mit einschließen. Darüber hinaus kommen bei der Siedlungsund Verkehrsfläche jedoch noch Frei- und Erholungsflächen sowie Friedhöfe dazu, die im Bruttoanlagevermögen nicht enthalten sind.333 Dennoch liegt die Vermutung nahe, dass eine Zunahme des Bruttoanlagevermögens mit einem Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche einhergeht. Die Daten bestätigen diese Annahme: Beide Komponenten sind im relevanten Zeitraum in allen Teilregionen deutlich und fortwährend gestiegen. Allein im Falle Lothringens ist eine endgültige Aussage nicht möglich, denn hier fehlen die Daten für die Siedlungsund Verkehrsfläche. 332 333 Vgl. Frenkel, M. et al. (1999), S.219. Vgl. Statistisches Bundesamt (2002), S.2, vom 30.11.2003. 182 7. Analyse der Indikatorbeziehungen zwischen den Kapital 7.2.2 Sachkapital – Humankapital Da der weltweite wirtschaftliche Strukturwandel mit einer fortschreitenden „Wissensintensivierung“ von Wirtschaft und Gesellschaft einhergeht und zugleich „Wissen als Produktionsfaktor“ zunehmende Bedeutung erfährt, ist offensichtlich, dass Produktion, Nutzung und Umsetzung von Wissen in einem engen Zusammenhang von sowohl Humankapital als auch dem Sachkapital steht. Es wird daher die Annahme getroffen, dass insbesondere zwischen dem Indikator F&E- Ausgaben des Humankapitals und dem Indikator Bruttoanlagevermögen des Sachkapitals eine Harmonie besteht, d.h. durch eine positive Trendentwicklung der F&E- Ausgaben im Zeitablauf auch eine in nachhaltiger Sichtweise positive Auswirkung auf das Bruttoanlagevermögen aufgezeigt werden kann. Denn sowohl die F&E- Ausgaben im Hochschulsektor als auch jene im staatlichen Sektor sind Ausgaben, die für die Grundlagenforschung aufgewendet werden und die die Basis für weitere, im Unternehmenssektor angesiedelte F&E- Ausgaben für speziellere und profitorientierte Forschungsprojekte darstellen. Durch die konkrete Umsetzung der entsprechenden Forschungsergebnisse in wirtschaftliche, gewinnbringende Handlungen wird genau dann das Bruttoanlagevermögen erhöht, wenn neue Maschinen, Anlagen etc. beschafft werden. Die Analyse der entsprechenden Daten stützt die Vermutung. Es kommt im betrachteten Zeitraum zu einer stetigen und dauerhaften Erhöhung der F&E Ausgaben in der Großregion und zugleich zu einem leichten Anstieg des Bruttoanlagevermögens. 7.2.3 Sachkapital – Sozialkapital Es liegt die Vermutung nahe, dass das Sachkapital in vielfältiger Weise Auswirkungen auf das Sozialkapital hat. Die heutige Problematik ist ganz stark fokussiert auf die Unvereinbarkeit zwischen einer billigeren Produktionsweise zur Erreichung eines höheren Wohlstandsniveaus einerseits, und der Rationalisierung von Arbeitskräften andererseits, um eben jene billigere Produktionsweise zu ermöglichen. Daher wird angenommen, dass zwischen dem Indikator Kapitalproduktivität des Sachkapitals und dem Indikator Arbeitslosigkeit des Humankapitals ein Zielkonflikt besteht. Dabei kommt es durch die in nachhaltiger Hinsicht positive Steigerung der Kapitalproduktivität zu einer negativen Auswirkung auf die Arbeitslosenquote. Erklärt werden kann dieser Konflikt durch die genaue Analyse der Aussage der Kapitalproduktivität. Sie stellt den Output aus Produktionsprozessen in Form des Quotienten von BIP zum Kapitalstock dar, ist also eine Art Ergiebigkeitsmaß. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Erhöhung der Kapitalproduktivität nicht durch schnellere oder effizientere Arbeit der Beschäftigten entsprechender 183 7. Analyse der Indikatorbeziehungen zwischen den Kapital Unternehmen zustande kommt, sondern durch bessere und in Anzahl gesteigerter Produktionsanlagen. Es kommt daher durch Substitution von Arbeit durch Kapital zu einer Erhöhung der freiwerdenden Arbeitsressourcen und somit zu einer Erhöhung der Arbeitslosenquote. Bei Betrachtung der entsprechenden Daten kann diese Annahme bestätigt werden. Bei entsprechender Erhöhung der Kapitalproduktivität kommt es zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit, mit Ausnahme von Lothringen, wo diese sinkt. 7.2.4 Humankapital – Sozialkapital Lange Zeit bot ein Studienabschluss hohe Sicherheit, eine Anstellung zu finden. Inzwischen schützt ein abgeschlossenes Studium aber nicht mehr vor der Arbeitslosigkeit.334 Dennoch verspricht es bessere Chancen als andere Ausbildungsformen. Akademikern stehen zwar nicht mehr zwangsläufig alle Türen "bis ganz oben" offen, aber sie sind wesentlich weniger von Beschäftigungsrisiken und Arbeitslosigkeit bedroht.335 Bei hohem Niveau der Arbeitslosigkeit zeigt sich, dass Hochschulabsolventen gegenüber anderen Qualifikationsgruppen auf dem Arbeitsmarkt klar im Vorteil sind. Studien belegen, dass in den 90-er Jahren die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland zurückging. Anders stellte sich die Situation speziell bei den Akademikerinnen und Akademikern dar. Sie bilden die einzige Qualifikationsgruppe, die Arbeitsplätze hinzugewonnen hat.336 Zwar verzeichnen die Statistiker mit 253.000 arbeitslosen Akademikern zum September 2003 auch hier einen leichten Anstieg. Jedoch liegt die Arbeitslosenquote der Akademiker in Deutschland mit 3,7% noch immer deutlich unter der allgemeinen Arbeitslosenquote von 10%.337 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Bildung der Schlüssel zum Arbeitsmarkt und noch immer die beste Prophylaxe gegen Arbeitslosigkeit ist.338 Bei der Betrachtung der Daten für die Großregion zeigt sich eine zunächst steigende Arbeitslosenquote, die in den Jahren 1997 oder 1998 ihren Höhepunkt erreicht und seitdem wieder kontinuierlich gefallen ist. Über den gesamten Zeitverlauf muss die Entwicklung als nicht nachhaltig bewertet werden, da die Quote 2001 höher ist als im Ausgangsjahr. Im Bezug zur Studierendenquote ist allerdings besonders der Trend der letzten Jahre relevant, da nur Daten zu den Studierendenzahlen von 1998 bis 2001 vorliegen. Dieser ist entgegen des Gesamttrends durchaus nachhaltig. Die Studierendenzahlen für die Großregion wurden dagegen als neutral bewertet, da ein Rückgang im Saarland durch einen Anstieg in Wallonien ausgeglichen wurde. Die theoretisch begründeten Wechselwirkungen zeigen sich für die Großregion also nur bedingt. Dies ist 334 Vgl. Zamorra, F. (2003), vom 07.02.2004. Vgl. Disterer, G. (2004), vom 07.02.2004. 336 Vgl. Young Industries (2004), vom 07.02.2004. 337 Vgl. DGB-Jugend (2004), vom 07.02.2004. 338 Vgl. Herzog, R. (1997), S.1001ff. 335 184 7. Analyse der Indikatorbeziehungen zwischen den Kapital darauf zurückzuführen, dass die Arbeitslosenquote von vielen komplexen Faktoren beeinflusst wird, insbesondere auch von der Wirtschaftslage und dem Konjunkturzyklus. Zudem werden die derzeitigen Studierenden erst in Zukunft, also nach ihrem Abschluss, Einfluss auf den Arbeitsmarkt nehmen. Es lässt sich generell ein Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand der Bevölkerung und der Anzahl der Ärzte feststellen. Je besser die Ausbildung/Bildung der Menschen einer Region, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Studium begonnen wird. Die daraus folgende Situation, dass mehr junge Menschen studieren, sorgt u.a. auch dafür, dass die Anzahl derer steigt, die ein Medizinstudium ergreifen. In der Saar-Lor-Lux-Region ist insgesamt ein leichter Anstieg des Bildungsniveaus zu verzeichnen. So stieg bspw. der Anteil der Absolventen des Tertiärbereiches (ISCED 5-6) in Lothringen von 9% in 1999 auf 10% im Jahre 2002 und in Wallonien von 13% (1999) der Gesamtbevölkerung, die den Abschluss ISCED 5-6 erlangt haben, auf 14% (2002). Die Anzahl der Ärzte nimmt im betrachteten Zeitraum für die gesamte Region ebenfalls kontinuierlich zu. Als Beispiel lässt sich Wallonien mit einer Steigerung von 4 auf 4,1 Ärzte je 1000 Einwohner und Luxemburg (von 3,1 auf 3,2 Ärzte je 1000 Einwohner) anführen. Es gibt sicherlich auch andere Anreize ein Medizinstudium zu absolvieren (z.B. Ansehen, späteres Einkommen), aber alleine die Tatsache, dass der Bildungsstand der Bevölkerung steigt, führt dazu, dass die Anzahl der Medizinstudenten steigt und somit auch die Anzahl der zukünftigen Ärzte. Investitionen in Bildung sollten demnach dafür sorgen, dass genügend junge Menschen eine Ausbildung zum Arzt ergreifen und somit eine ausreichende medizinische Versorgung der Gesellschaft sicherstellen. 185 8. Fazit 8. Fazit Ziel dieses Forschungsprojektes ist die Beurteilung der Region Saar-Lor-Lux im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung seit dem Jahr 1990. Die Frage, ob sich die Großregion insgesamt nachhaltig entwickelt sollte im Idealfall mit „Ja“ oder mit „Nein“ beantwortet werden können. Zur Abbildung der Nachhaltigkeit wurde ein transparentes und nachvollziehbares indikatorengestütztes System auf der Basis des Vier-Kapital-Modells erstellt. Im Verlaufe der Forschungsarbeit stellte sich jedoch heraus, dass es schwierig ist, eine solch ideale Aussage zu treffen. Es ergab sich ein uneinheitliches Bild. Zum Einen aufgrund unterschiedlicher Entwicklungstendenzen der Indikatoren innerhalb der verschiedenen Kapitalbereiche, zum Anderen wegen der uneinheitlichen Entwicklung der vier Kapitale an sich. Um klarere Aussagen zu ermöglichen bzw. um eine sinnvolle Aggregation aller Indikatoren vornehmen zu können, fehlten dem Forschungsprojekt sowohl die notwendige Zeit, also auch die finanziellen Mittel. Primärdatenerhebungen wurden daher nicht vorgenommen. Jedoch auch der Rückgriff auf Sekundärdatenquellen erwies sich als relativ teuer oder ungenau bzw. lückenhaft. Es mangelte im Bereich aller vier Kapitale an qualitativ hochwertigen und regelmäßig aktualisierten Daten. Um mit hinreichender Sicherheit Aussagen zur Nachhaltigkeit treffen zu können, wäre eine Verbesserung der Datenlage zwingend notwendig. Trotz der nicht ausreichenden Datenlage wurde versucht durch das Ausweichen von Ideal- auf Realindikatoren und durch das Schätzen von Daten zur Lückenausbesserung Entwicklungstendenzen innerhalb der Kapitale zu erkennen. Den gewählten Indikatoren liegen subjektive Werturteile der Projektgruppe zu Grunde. Eine empirische Evaluation von Indikatoren wäre an dieser Stelle hilfreich gewesen, um die Auswahl der Indikatoren besser rechtfertigen zu können, jedoch war dies nicht zu Finanzieren. Bei der Interpretation der Daten ergab sich ein weiteres Problem, welches vor allem die Bereiche Sozial- und Humankapital betraf. Es fehlten, bspw. seitens der EU SollRichtwerte, die Vorgaben über den wünschenswerten Referenzzustand liefern. Die Fragen, wie viele Ärzte, Polizeibeamte oder Lehrer ideal wären und ob mehr immer besser oder auch unökonomischer bedeutet, sind schwer zu beantworten. Eine Aggregation aller Daten zur Informationsverdichtung war nicht zu realisieren. Einerseits wegen der bereits erläuterten Probleme, andererseits aber auch wegen den fehlenden Gewichtungsfaktoren, die zu einer Aggregation benötigt würden. Um die Relevanz einzelner Indikatoren festzulegen wären aus Sicht der Projektgruppe umfassende Expertenbefragungen notwendig. Auch eine Weiterentwicklung des methodischen Konzeptes müsste vorgenommen werden, 186 8. Fazit um auch die vorhandenen Wechselbeziehungen und das Ausmaß der Substituierbarkeit zwischen den Kapitalen ausreichend zu berücksichtigen. Dennoch liefert der Forschungsbericht ein Bild der Entwicklung in der Region Saar-Lor-Lux sowie eine konzeptionelle Grundlage für weitere Forschungen. Bei der Erstellung der Indikatoren wurde besonderer Wert auf die Transparenz und Begründetheit der Herleitung gelegt, so dass eine Weiterentwicklung des Systems möglich ist. Außerdem sind, trotz der erläuterten Probleme, Entwicklungstendenzen zu erkennen, die bei der zukünftigen Weiterentwicklung nützlich sind: Besonders eindeutig entwickelt sich die Region im Bereich des Sachkapitals in Richtung Nachhaltigkeit. Keiner der gewählten Indikatoren weist eine negative Entwicklung auf. Durch das Wachstum des Bruttoanlagevermögens, die steigende Kapitalproduktivität und den zunehmenden Anteil an High-Tech-Branchen wird für die Zukunft eine Erweiterung des Produktionspotentials vor allem im Bereich zukunftsträchtiger Branchen erwartet. Dies fördert die Wettbewerbsfähigkeit der Region und sichert somit deren wirtschaftliche Existenz für die Zukunft ab. (+) Auch das Humankapital entwickelt sich insgesamt schwach nachhaltig, trotz der negativen Entwicklung der Demographie der Erwerbspersonen aufgrund der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft. Der nicht nachhaltigen Altersstruktur der Bevölkerung stehen jedoch ein hohes Bildungsniveau und hohe F&E-Ausgaben gegenüber. Die Region weist somit einen soliden aktuellen Humankapitalbestand auf, jedoch werden sich in diesem Bereich in Zukunft Problem ergeben, da durch die Überalterung Humankapital verschwinden wird und durch Einsparungen im Bildungssektor kein ausreichender Ersatz geschaffen wird . (+) Beim Naturkapital sind die Entwicklungstendenzen jedoch weniger deutlich. Einige Indikatoren weisen nachhaltige Entwicklung auf, andere nicht. Verbesserungen der Luftqualität steht eine Abnahme der Bodenqualität gegenüber. Es ergab sich bei der Analyse der Daten ein uneinheitliches Bild. Auch die Wechselwirkungen lassen keine genauere Aussage zu, denn einerseits werden zwar umweltfreundlicher Technologien entwickelt um die Luftqualität zu verbessern, andererseits nimmt jedoch die Bodenversiegelung zu. Insgesamt vertritt die Projektgruppe daher die Ansicht, dass in diesem Bereichen der Status quo gehalten wird. (0) Die Auswertung der Daten im Bereich des Sozialkapitals ergab ebenfalls keine eindeutig festzulegende Richtung. Eine gleiche Anzahl sich nachhaltig entwickelnder Bereiche stand einer sich unnachhaltig entwickelnden Indikatorenzahl gegenüber. Somit muss faktisch auf eine 187 8. Fazit stagnierende Entwicklung geschlossen werden, jedoch kam die Projektgruppe zu dem Schluss, dass dieser Bereich einige Defizite aufweist, die es in Zukunft zu beheben gilt. Bspw. ist es fraglich, ob bei einer stetig sinkende Anzahl von Krankenhausbetten in Zukunft auch noch eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet werden kann. Ebenfalls besonders kritisch müssen die steigende Arbeitslosenquote und die sinkende Wahlbeteiligung betrachtet werden, denn diese Entwicklungen deuten auf vielfältige Probleme in der Zukunft hin (Bpsw. Unzufriedenheit der Bevölkerung). (0) Zusammenfassend kann, trotz des Verzichtes auf eine Aggregation der Daten, eine schwach positive Entwicklung der Region Saar-Lor-Lux in Richtung Nachhaltigkeit festgestellt werden. Dennoch gibt es in allen Kapitalbereichen (Ausnahme: Sachkapital) Defizite. Es sollten daher von Politik, Wirtschaft und auch Öffentlichkeit frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um den negativen Entwicklungstrends entgegenzuwirken. Insgesamt liefert der Forschungsbericht eine gute Basis für zukünftige Aufbauprojekte. Das Indikatorensystem kann modifiziert und zu synthetischen Indikatoren verdichtet werden. Eine zukünftige Verbesserung der Datenlage würde sicherere Aussagen ermöglichen. Auch eine Expertenbefragung zur Gewichtung und Aggregation der Daten kann zusätzlich durchgeführt werden. Weiterentwicklungen des Projektes wären somit sowohl methodisch, als auch empirisch möglich und wünschenswert. 188 Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Abaza, H.; Baranzini, A. (Hrsg.) (2002): Implementing Sustainable Development, Integrated Assessment and Participatory Decision-making Processes, Cheltenham, UK. Amt für Umweltschutz des Kantons St. Gallen (Hrsg.) (2001): Rechtliche Grundlagen, http://w3.sg.ch/raumumwelt/umwelt/rechtvollzug/gemeinde/ umweltbereiche/bodenschutz/b3_rechtsgrundlagen.asp [Stand: 07.06.2001]. Amt für Umweltschutz des Kantons St. Gallen (Hrsg.) (2003a): Bodenzustand: Zugepflastert, http://w3.sg.ch/raumumwelt/umwelt/datenfakten/bereiche/ boden/boden_zugepflastert.asp [Stand: 21.07.2003]. Amt für Umweltschutz des Kantons St. Gallen (Hrsg.) 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