Das Sozialwort als Impulsgeber für eine zukunftsfähige Entwicklung Die moderne Wirtschaftsentwicklung hat eine kurze Perspektive: Erfolg bemisst sich in momentanen Ergebniszuwächsen und Wachstum ist zum Wert an sich geworden. Ohne Bedenken werden nicht erneuerbare Rohstoff- und Energiequellen ausgebeutet und man begnügt sich mit einer eigenartigen Form von Verantwortung: Energie, Rohstoffe, Biodiversität So versucht der jüngst von Exxon-Mobil veröffentlichte Bericht über die weltweiten Erdölreserven damit zu beruhigen, dass das Erdöl noch für mindestens 50 Jahre reichen wird. Als ob es selbstverständlich wäre, alle verfügbaren Ressourcen innerhalb von zwei Jahrhunderten zu verbrauchen, und als ob es beruhigte, wenn wir auf einem Weg, der als nicht zukunftstauglich erkannt wurde, länger als früher gedacht weitergehen können. Doch die akuteste Infragestellung des bisherigen Wirtschaftens kommt von einer ganz anderen Seite: Nicht die Vorräte gehen bald aus, sondern die Atmosphäre verkraftet nicht, wenn wir in zwei Jahrhunderten den gesamten Kohlenstoff als CO2 in die Luft blasen, der in mehreren Hundert Jahrmillionen als organische Substanz deponiert wurde. Was hier am Beispiel Energie expliziert wurde, wiederholt sich bei allen Rohstoffen: Was verfügbar ist, wird genutzt ohne einen Gedanken an künftige Generationen, an soziale oder Umweltfolgen. Was an Rohstoffen gefördert wird, landet über kurz oder lang auf den Müllbergen der reichen Länder (falls er nicht wieder in arme Länder exportiert wird) und wird dort abermals für Probleme sorgen. Ein ähnliches gravierendes, aber vom anthropozentrischen Standpunkt aus noch weniger beachtetes Phänomen ist der Verlust an Biodiversität. Noch sind erst 1,5 der schätzungsweise 15 Millionen Organismenarten beschrieben, die auf der Erde existieren. Gleichzeitig werden unabsehbar viele von ihnen durch den Menschen direkt oder indirekt ausgerottet – schätzungsweise mindestens hundertmal so viele als natürlicherweise aussterben würden. Das Artensterben ist beileibe nicht nur ein Phänomen der Regenwälder: Auch in Österreich sterben erschreckend viele Tier- und Pflanzenarten aus – unbemerkt von einer scheinbar desinteressierten Bevölkerung. In einer rein ökonomisch orientierten Weltsicht spielen Tieroder Pflanzenarten nur eine marginale Rolle. Nicht einmal der potentielle ökonomische Wert vieler Arten spielt eine Rolle. Zu diffus sind die Zusammenhänge und zu kurzfristig ist die Perspektive. Es sind in erster Linie der Verbrauch an Energie, die Stoffströme und der Verlust an Biodiversität, die das globale Wirtschaftssystem ökologisch unverträglich machen. Diese Faktoren werden im 8. Kapitel des Sozialworts der christlichen Kirchen benannt und es wird deutlich daraufhingewiesen, dass ein Bruchteil der Erdbevölkerung Hauptverursacher der Probleme sind, die alle betreffen. Die zweifelhafte Rolle wirtschaftsliberaler Handelsabkommen bleibt nicht unerwähnt. Nachhaltigkeit Langfristig erfolgreiches Wirtschaften muss die Grenzen der durch die Sonnenenergie betriebenen ökologischen Systeme akzeptieren. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ versucht das auf einen Punkt zu bringen. Er stammt aus der Forstwirtschaft des 19. Jahrhunderts und meint die Einsicht, dass Wälder auf Dauer nur ökonomischen Ertrag abwerfen, wenn nicht mehr geerntet wird, als nachwächst. Damit ist „Nachhaltigkeit“ der Gegenbegriff zu Raubbau. Übertragen auf die globale Umweltproblematik bedeutet Nachhaltigkeit „den Einsatz für gerechte Lebensbedingungen und einen schonenden Umgang mit der Natur auf Zukunft hin“. Die jetzt Lebenden müssen mit ihren Lebensgrundlagen so haushalten, dass den kommenden Generationen ihre Lebenschancen erhalten bleiben und es sind Wirtschafts- und Lebensweisen zu wählen, die von allen Menschen beansprucht werden können, ohne das globale Ökosystem zu zerstören. Zukunftsfähig sind nur Entwicklungen, die ökologisch nachhaltig, ökonomisch stabil und sozial verträglich sind. Ansätze beim Lebensstil und bei der Bewusstseinsbildung sind ebenso notwendig wie wesentlich couragiertere gesetzliche Vorgaben und Lenkungsmaßnahmen. Auch das formuliert das Sozialwort klar. Das Leitbild der Nachhaltigkeit wurde in letzter Zeit neben Personalität, Solidarität und Subsidiarität als neues Prinzip christlicher Sozialethik ins Spiel gebracht. Dabei meint Retinität (lat. reta = Netz), dass menschliches Handeln nur dann sozialethisch verantwortbar ist, wenn es in das Netzwerk der ökologischen Regelkreise eingebunden ist. Aufgabe und Chancen der Kirchen Soweit die Theorie. Nachhaltigkeit ist auch eine Herausforderung für die Kirchen selbst. Wie in allen Kapiteln des Sozialworts stehen Selbstverpflichtungen der Kirchen Forderungen an die Gesellschaft gegenüber. Die „Aufgaben für die Kirchen“ enthalten unter Anderem auch die klare Willenserklärung, Umweltarbeit zu finanzieren, Energiebilanzen zu veröffentlichen und auf nachhaltige Einkaufs- und Energiepolitik zu achten. An der Einhaltung dieser Vorgaben wird die Glaubwürdigkeit ihrer Forderungen gemessen werden. Darüber hinaus können die Kirchen einige wichtige Punkte in die gesellschaftliche Diskussion einbringen: Ihre lange Perspektive, die im demokratischen und auch wirtschaftlichen Alltag allzu leicht vergessen wird, prädestiniert sie, die Rechte zukünftiger Generationen einzumahnen. In ihrer transzendenten Grundorientierung können gerade sie die Ökonomisierung der gesamten Lebenswelt und die weltweite Neoliberalisierung hinterfragen. Vor allem aber können die Kirchen in Erinnerung rufen, dass die Schöpfung nicht bloßes Material ist, sondern ganzheitliche Heimat des Menschen, Quelle des Staunens, der Ästhetik und aller Symbole, mit denen Menschen ihr Leben deuten, Lebens- und Erfahrungsraum und auch der Horizont seines Fragens und Suchens, seines Feierns und seines Gottesglaubens. Daran profetisch zu erinnern und selbst einen konsequent nachhaltigen Lebensstil transparent vorzuleben wäre ein äußerst wichtiger Dienst an den kommenden Generationen.