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BULLETIN
DER
BUNDESREGIERUNG
Nr. 02-1 vom 6. Januar 2000
Besuch des nigerianischen Staatspräsidenten
am 16. Dezember 1999 in Berlin
Rede von Bundespräsident Johannes Rau
beim Abendessen zu Ehren des Staatspräsidenten der Bundesrepublik Nigeria,
Herrn Olusegun Obasanjo, am 16. Dezember 1999 im Schloss Bellevue in Berlin:
Herr Präsident,
verehrte Frau Obasanjo,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,
ich heiße Sie herzlich willkommen in Berlin.
Mit dieser Einladung möchte die Bundesrepublik Deutschland ausdrücken, wie hoch
sie die Rückkehr Ihres Landes in den Kreis der Demokratien einschätzt. Ihr
persönlicher Anteil an dieser vielversprechenden Entwicklung ist unübersehbar. Sie
haben alle denkbaren Höhen und Tiefen eines politischen Lebens durchlaufen und
durchlitten – und sind doch immer wieder unbeirrt auf den Weg zu Demokratie und
Rechtsstaat zurückgekehrt. Sie haben sich als Staatsmann weltweit Anerkennung und
als Mensch den Respekt Ihrer Freunde erworben, auch bei uns in Deutschland. Darum
ist es uns eine Ehre, Sie heute bei uns zu haben.
Die Demokratie hat in allen Teilen der Welt eine wechselvolle und oft dramatische
Geschichte. Das ist in Nigeria nicht anders. Sie haben ein seltenes Beispiel gegeben,
als Sie das Amt des Staatschefs, das Ihnen im Alter von kaum mehr als vierzig Jahren
übertragen wurde, nach drei Jahren einer demokratisch legitimierten Zivilregierung
übergeben haben. Mit diesem Schritt haben Sie Ihrem Land einen großen Dienst
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erwiesen. Dass die später folgende Diktatur sich durch Sie bedroht gefühlt hat und Sie
dafür mit Haft belegt wurden, kann da nicht überraschen. Unbeirrt haben Sie aber
selbst aus dem Gefängnis heraus Ihre Überzeugung verbreitet: Sie haben gesprochen
von Ihrem festen Glauben an die Ideale von Frieden, Demokratie, „Good Governance“,
Partizipation, Transparenz und Armutsbekämpfung.
Sie sagten, dass diese Ideale jede Regierung und jedes Individuum überleben werden.
Sie haben Recht behalten. Sie mussten Recht behalten. Denn Demokratie ist die
einzige Form politischer Ordnung, die für das Neue offen ist, die die Gesellschaft
atmen lässt und die sich selbst als Entdeckungsprozess für die Lösung von
Problemen, nicht als endgültige Antwort auf alle Fragen versteht. Nur ein Staat, der
der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet ist, kann die Vielfalt in seinem
Inneren respektieren und dennoch die Einheit wahren.
Freilich ist Demokratie zunächst einmal ein Versprechen. In der schwierigen Lage, in
der Sie die Führung Ihres Landes übernommen haben, ist es eine ungeheuer große
Aufgabe, die Erwartungen zu erfüllen, die sich auf Sie richten. Es wird nicht leicht sein,
in den Menschen Vertrauen zu wecken, die nach Jahren der Misswirtschaft darauf
hoffen, dass ihr Leben sich bessert. Immer wieder muss für die Einsicht geworben
werden:
– dass die Ergebnisse der demokratischen Umgestaltung nicht von heute auf morgen
auf dem Tisch liegen, sondern
– dass Geduld,
– dass am langfristigen Gemeinwohl orientierte Arbeit,
– dass geordnete Verwaltung und Solidarität in der Gesellschaft erforderlich sind.
Wenn ich das sage, dann weiß ich, wovon ich spreche: Auch bei uns in Deutschland –
wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen – war es nicht leicht, nach der
Wiedervereinigung die hochgesteckten Erwartungen derer zu erfüllen, die sich der
Demokratie zugewandt haben. Für Ihr Land wie für Deutschland gilt sinngemäß, was
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der tschechische Präsident Havel über die Hinterlassenschaft des Kommunismus
gesagt hat: dass nämlich nicht nur Wirtschaftsruinen und Umweltsünden das Erbe
einer diktatorischen Vergangenheit sind, sondern auch die Verwüstungen in den
Köpfen der Menschen. Solidarität heißt Lastenverteilung zwischen Bessergestellten
und Schwachen. Wer die Lasten einer unumgänglichen Reform tragen soll, muss
wissen, dass es fair zugeht in der Gesellschaft. Das ist in Europa nicht anders als in
Afrika. Ihr Programm zur Bekämpfung der Korruption ist darum für den Erfolg der
Demokratie ganz wesentlich.
Das deutsche Interesse an Nigeria ist nicht neu: Seit der Unabhängigkeit Ihres Landes
hat nie ein Zweifel daran bestanden, dass es mit seiner Größe und mit seiner
Bevölkerung auf dem afrikanischen Kontinent eine besondere Rolle zu spielen hat.
Nigeria verfügt aber auch über hervorragende Botschafter – und da meine ich nicht nur
die Diplomaten –, die das Interesse wachzuhalten verstehen:
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Ich denke an den nigerianischen Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka.
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Auch die Tatsache, dass der künstlerische Leiter der vielleicht bedeutendsten deutschen Ausstellung moderner Kunst, der „Documenta“, aus Ihrem Lande kommt,
zeigt, welche Tiefe unsere Beziehungen erreicht haben.
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Ich denke aber auch an den nigerianischen Einfluss, den wir seit einigen Jahren
auf einer ungeahnt menschlichen Ebene erfahren: Wenn Sie einen Deutschen
fragen würden, welche nigerianischen Namen er kennt, wird er Ihnen sofort zwei
oder drei brillante Fußballspieler nennen, die in unserem Land zu den ganz Großen
gehören und die es an Beliebtheit mit jedem ihrer deutschen Kollegen aufnehmen
können. Was sie und ihre Landsleute für das Verständnis unter Völkern tun, ist in
mancher Hinsicht mehr, als Politik erreichen kann.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Nigeria waren politisch immer von großer
Bedeutung – nicht zuletzt durch Ihre Zusammenarbeit, Herr Präsident, mit Ihren
politischen Freunden in Deutschland. Mit der Wende Ihres Landes zur Demokratie
werden sie weiter an Gewicht zunehmen. Auch die wirtschaftlichen Beziehungen
haben Chancen zu einem Aufschwung, wenn die Rückkehr zu Rechtsstaat,
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Demokratie und Stabilität erfolgreich ist. Ich appelliere hier auch an die deutschen
Unternehmen: Demokratie braucht wirtschaftlichen Erfolg, wenn sie auf Dauer stabil
sein soll. Prüfen Sie Ihr Engagement und nutzen Sie die Chancen, die Ihnen ein neues
Nigeria bietet.
Sie werden Deutschland im Bemühen um die Bewältigung Ihrer schwierigen Aufgabe
immer an Ihrer Seite finden. Die Chance, die von Ihrem Land für ganz Afrika ausgeht,
darf nicht vergeben werden. Ein erfolgreiches Modell Nigeria wird sich auswirken auf
den gesamten afrikanischen Kontinent.
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