Fachausschuss für Internationale Politik, Frieden und Entwicklung c/o Karl-Heinz Niedermeyer, Bamberger Str. 58, 10777 Berlin, Tel. 2117892 e-mail: [email protected] Datum: 15.4.2002 Position des FA I zur jüngsten Entwicklung im Palästina-Konflikt (Vorlage für den GLV) I. Position zu den aktuellen Vorgängen in Palästina Die jüngste Zuspitzung des Konflikts um Palästina mit der auch von den UN als „beispiellos“ gekennzeichneten Ausweitung von Unrechts- und Gewaltaktionen auf beiden Seiten, insbesondere aber im Zuge und als Konsequenz der militärischen Offensive Israels gegen Einrichtungen der palästinensischen Autonomiebehörde, das Hauptquartier von Präsident Arafat sowie gegen öffentliche Einrichtungen, Wohngebiete, ja sogar gegen religiöse Stätten bilden eine außergewöhnliche Herausforderung für die Internationale Gemeinschaft, die politisch Verantwortlichen in allen Staaten, welche über Einflussmöglichkeiten auf das Geschehen im Nahen Osten verfügen, für die Zivilgesellschaft in den demokratischen Staaten. Von den ethischen Grundlagen ihrer Politik, den Grundwerten des Friedens und der Gerechtigkeit aber auch und gerade wegen ihrer besonderen Verbundenheit mit dem Staat Israel auf dem Hintergrund der deutschen Verantwortung für den Holocaust stellt die jüngste Zuspitzung des Palästina-Konflikts die deutsche Sozialdemokratie in eine besondere Verantwortung. Schweigen zu den besorgniserregenden Vorgängen bedeutet Mitschuld am Tod von unschuldigen Zivilisten, von Frauen und Kindern, an der Beeinträchtigung der Versorgung von Kranken, Gebärenden und Verletzten und der würdigen Bestattung von Toten. Das Vorgehen der israelischen Armee in Ramallah, Dschenin, Bethlehem und anderen Orten in den besetzten Gebieten beinhaltet nicht nur die Fortsetzung einer völkerrechtswidrigen Besetzung von Gebieten, aus denen sich Israel gemäß selbst eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen längst hätte zurückziehen müssen, sondern auch die Verletzung von internationalen Konventionen und Menschenrechtsnormen für die Behandlung von Menschen auch in rechtmäßig besetzten Gebieten. Dieses Vorgehen ist weder durch das Recht auf Selbstverteidigung zu rechtfertigen noch geeignet, die israelische Bevölkerung vor terroristischen Angriffen zu bewahren, sondern bildet vielmehr den Nährboden für die ebenfalls beispiellose Ausweitung palästinensischer Gewaltaktionen, die sich objektiv in der Form eines unberechenbaren und für die potentiellen Opfer wahllosen Terrors gegen unbeteiligte Zivilisten vollziehen. Die Ausweitung der palästinensischen Selbtmordattentate zu einem Ausmaß, das die israelische Gesellschaft in einen permanenten Kriegszustand versetzt, steigert in vergleichbarer Weise wie der Versuch Israels, die Ursachen der von Palästinensern ausgehenden Gewalt mit den Mitteln militärischer Repression zu beseitigen, Angst und Misstrauen gegenüber der jeweils anderen Konfliktpartei in einem Maße, welches das Vertrauen in die Möglichkeit einer friedlichen Konfliktlösung auf Dauer zusammenbrechen lassen kann. 1 Aufgabe aller politischen Akteure, welche in der Lage sind, Einfluss auf das Geschehen in Palästina zu nehmen, ist es daher, durch politischen Druck auf beide Konfliktparteien die derzeitige Gewalteskalation zu stoppen und eine nachhaltige Deeskalation der Gewalt auf beiden Seiten als Voraussetzung für die Einleitung eines neuen substanziellen Verhandlungsprozesses über die strittigen Grundfragen des Palästina-Konflikts zu erreichen. Für die Wiederaufnahme eines solchen Verhandlungsprozesses in der Sache sollten bereits spürbare Erfolgen in der Reduzierung der Gewalt auf beiden Seiten genutzt werden. Die angesichts der derzeitigen Zuspitzung des Konflikts und der negativen Erfahrungen in der Vergangenheit unrealistische Forderung nach völliger Einstellung jeglicher Gewaltakte darf nicht zur Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen gemacht werden. Voraussetzung für eine Deeskalation der Gewalt auf dem israelischen Staatsgebiet und in den palästinensischen Autonomiegebieten ist die uneingeschränkte und zügige Umsetzung der Resolution 1402 des UN-Sicherheitsrats, also der Abschluss eines wirklichen Waffenstillstands, die Zusammenarbeit beider Seiten mit dem US-Gesandten Zinni in allen strittigen Fragen, vor allem aber der sofortige Rückzug der israelischen Truppen aus den in den letzten Wochen besetzten palästinensischen Städten einschließlich des Regierungssitzes von Präsident Arafat in Ramallah. Mit dieser Präzisierung identifiziert sich der FA I auch mit der Erklärung von US-Präsident Bush vom 5. 4. 2002 und bringt die Hoffnung zum Ausdruck, dass diesen klaren Worten auch entsprechende Taten insbesondere im Hinblick auf eine notwendige Veränderung der Haltung der israelischen Regierung folgen werden. Dies gilt insbesondere auch für zwei weitere zentrale Punkte der Erklärung Bushs, nämlich das Bekenntnis zur Errichtung eines palästinensischen Staates und zum Stopp des Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten. Zu den in der letzten Woche im Kreise der rot-grünen Regierungskoalition eingeleiteten und erörterten Initiativen zur Entspannung des Palästina-Konflikts nimmt der FA I wie folgt Stellung: 1. Entsendung einer internationalen Beobachter- oder Friedenstruppe mit deutscher Beteiligung: Eine Beobachtertruppe, die ja auch in der Vergangenheit verschiedentlich gefordert, von der israelischen Regierung aber immer abgelehnt wurde, könnte zur Objektivierung der Problemsicht beider Konfliktparteien und zur Verifizierung der Umsetzungsschritte der Resolution 1402 und der von der US- und EU-Vermittlung vorgegebenen Schritte zur Gewaltverminderung und Konfliktlösung beitragen. Eine Friedenstruppe mit deutscher Beteiligung ist auf dem Hintergrund der jüngsten deutschen Vergangeheit als problematisch anzusehen. Nach Äußerungen des israelischen Botschafters in Berlin, Stein, ist eine solche Friedenstruppe aber erst nach einem Ende des palästinensischen Terrors und einem Abkommen mit den Paläsinensern denkbar, also nicht als Mittel zur Wiederbelebung des Friedensprozesses, sondern als Mittel zur Absicherung eines bereits erfolgreichen Verhandlungs- und Friedensprozesses. Der FA I begrüßt die Anregung von Bundeskanzler Schröder aber gleichwohl als Signal für die Bereitschaft der Bundesregierung und der SPD-Führung, sich stärker für die Lösung des Nahost-Konflikts zu engagieren und zu einer schon im Vergleich zur Regierungserklärung vom November 1998 ausgewogeneren Position in der Nahost-Politik zu kommen, in der lediglich die deutsche Verpflichtung auf die Sicherung des Existenzrechts Israels festgeschrieben wird. 2 2. Sanktionen gegen Israel: Der FA I spricht sich ausdrücklich gegen Sanktionen im Wortsinne gegen Israel aus. Sie beeinträchtigen die Gesprächsfähigkeit der Bundesregierung gegenüber der israelischen Regierung als einem der wichtigsten Akteure im Nahost-Konflikt und führen nur zu einer zusätzlichen Solidarisierung von politischen Kräften in und außerhalb Israels mit der Gewaltpolitik der Regierung Sharon. Unberührt davon bleiben aber Entscheidungen des Bundessicherheitsrats, Waffenlieferungen in Spannungsgebiete zu verweigern und Israel in geeigneter Form auf die Einhaltung seiner Verpflichtungen aus dem AssoziierungsAbkommen mit der EU aufmerksam zu machen ohne dass solche kritischen Vorhaltungen zu einem formellen Handelsboykott führen sollten. 3. Gestaltung der deutschen Hilfe für die Palästinensische Autonomiebehörde: Die Bundesregierung sollte ihre maßgebliche finanzielle und politische Unterstützung im Rahmen der EU-Programme fortsetzen und die Arbeitsfähigkeit der Autonomiebehörde auch unter den derzeitigen Extrembedingungen so weit wie möglich sicher stellen. Die humanitären Hilfsprogramme sollten verstärkt und eventuell durch demonstrative Hilfsaktionen wie die schon einmal erfolgte Versorgung von palästinensischen Verletzten in Deutschland ergänzt werden. Die Möglichkeiten in der Gestaltung der für das Überleben des palästinensischen Entität in den Autonomiegebieten maßgeblichen deutschen Hilfe sollten aber in Gestalt positiver Anreize dazu genutzt werden, die Bereitschaft der palästinensischen Autonomiebehörde zur Eindämmung des Terrors und zur Stärkung von Demokratie und Menschenrechten in den palästinensischen Autonomiegebieten zu fördern. 4. Fischer-Plan: Der FA I begrüßt den Sieben-Punkte-auf Plan von Bundesaußenminister Fischer, auf der Basis einer engen Kooperation zwischen den UN, den USA, der EU und Russlands zu einer Implementierung der für die bisherigen Vermittlungsbemühungen der USA und der EU maßgeblichen Pläne (Tenet-Plan, Mitchell-Plan etc.) in einen von einem verifizierbaren Zeitplan bestimmten Deeskalations- und Verhandlungsprozess die derzeitige Eskalation der Gewalt in Nahen Osten zu beenden und die politische Initiative zurückzugewinnen. Bei einem Erfolg dieser Initiative könnte die Bundesregierung sich wie bei ihrer Initiative zur Beendigung der militärischen Auseinandersetzung im Kosovo die Leistung zuschreiben, der verhängnisvollen Dominanz militärisch gestützter Machtpolitik bei den Versuchen zur Lösung zentraler Konflikt der internationalen Politik seit dem zweiten Golfkrieg erneut mit Erfolg ein zivilpolitisches und strukturpolitisches Konzept entgegengesetzt zu haben, das den friedlichen Aufbau/Wiederaufbau einer von jahrzehntelanger kriegerischer Feindschaft zerstörten Region in den Mittelpunkt stellt. II. Grundsätzliche Position des FA I zum Palästina-Konflikt 1. Verhältnis zu Israel: Die in diesem Papier vorgenommenen Einzelbewertungen ändern nichts an dem besonderen Verhältnis der deutschen Politik zu Israel und der besonderen Verantwortung Deutschlands für die Sicherung der Existenz des Staates Israel und die politische Verteidigung seines Existenzrechts. Diese Position gilt unabhängig von der politischen Ausrichtung der jeweiligen israelischen Regierung. Die grundsätzliche Solidarität mit dem Staat und dem Volk Israels schließt aber die Möglichkeit ein, eine – auch gemessen an den Interessen und Bedürfnissen der Menschen in Israel selbst – für falsch gehaltene Politik der jeweiligen israelischen Regierung zu kritisieren. 3 Es kann auch keine Verpflichtung zur Unterstützung einer bestimmten ideologisch begründeten Ausgestaltung eines jüdischen Staates auf der Basis einer strukturellen Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen unter seinen Staatsbürgern geben. In Übereinstimmung mit der mehrfach öffentlich gemachten Position des Nahost-Experten der SPD-Bundestagsfraktion, Christoph Moosbauer, sieht der FA I die Existenz Israels nachhaltig nur durch die Verwirklichung eines gerechten Friedens zwischen dem Staat Israel und einem souveränen und lebensfähigen Palästinenserstaat mit anerkannten Grenzen gesichert. Als brauchbare Grundlage für eine solche Friedensregelung sieht der FA I die im Vertrag von Oslo zugrundegelegten Grenzen von 1967 an, weiterhin eine Teilung der Verantwortung für die heiligen Stätten in Jerusalem, die es beiden Seiten ermöglicht ihre religiösen Bedürfnisse zu erfüllen, die Bestimmung Ost-Jerusalems als Hauptstadt eines Palästinenserstaates und die Anerkennung des Vertreibungsschicksals der palästinensischen Flüchtlinge sowie eine pragmatische Regelung ihres Rückkehrrechts. Die wichtigste Gegenleistung der arabischen Staaten für die Akzeptanz eines selbständigen Staates Palästina durch Israel besteht in der uneingeschränkten Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten. 2. Frage der „Ausgewogenheit“ bzw. „Gleichgewichtigkeit“ der deutschen Nahost-Politik Aufgrund der Verantwortung vor der Geschichte kann es in Bezug auf das deutsche Verhältnis zu Israel keine Neutralität geben. Selbstverständlich hat die deutsche Politik auch Interessen, welche nur auf der Grundlage guter Beziehungen zu den arabischen Staaten und Völkern einschließlich des palästinensischen Volkes zu realisieren sind. Sie können aber nicht im Sinne eines ökonomisch-politischen Kalküls gegen die grundlegenden Verpflichtungen gegenüber Israel abgewogen werden. Die deutsche Politik orientiert sich grundsätzlich an ihrem Interesse an einer Befriedung der Konfliktregion des Nahen Ostens, nicht nur aufgrund einer grundsätzlichen Präferenz für den Frieden, sondern auch aus der Erkenntnis heraus, dass ein Fortbestehen der Explosionsgefahren in dem „Pulverfass“ Nahost auch die Sicherheit der deutschen Bevölkerung und die Chancen einer friedlichen Weiterentwicklung Deutschlands und Europas in elementarer Weise berührt. Diese Bewertung gewinnt noch an Bedeutung angesichts der weltweiten Bedrohung durch den Terrorismus nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Es besteht kein Zweifel daran, dass das unverminderte Fortschwelen des Palästina-Konflikts und die steigende Frustration nicht nur in der Bevölkerung Palästinas, sondern der Bevölkerung in vielen arabischen und islamischen Staaten über den Umgang Israels und der westlichen Welt mit diesem Konflikt den wichtigsten Nährboden für den islamischen Fundamentalismus und den von ihm gespeisten internationalen Terrorismus bildet. Alle Beiträge der deutschen Politik zu einem nachhaltigen Friedensprozess in Palästina müssen sich an der grundlegenden Einsicht orientieren, dass der Kern dieses Konflikts darin besteht, dass zwei Völker mit gleichem Recht und vergleichbarer Begründung Ansprüche auf dasselbe Territorium erheben und dieses Territorium für beide in gleicher Weise existenznotwendig ist. Eine Lösung des Konflikts kann also nur in der wechselseitigen Anerkennung dieses Existenzrechts durch beide Völker und durch die internationale Gemeinschaft bestehen. Die Berechtigung für die inzwischen ja auch immer breiter werdende Kritik an der Politik der Regierung Sharon ist in dem Eindruck begründet, dass die derzeitige israelische Regierung nicht bereit ist, dieses existenzsichernde Recht auf Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes zu respektieren. 4 3. Frage der Verantwortung für den Friedensprozess „Frieden können“, auch hierin ist Christoph Moosbauer zuzustimmen, „nur die Konfliktparteien machen.“ Aber diese bedürfen Anstößen von außen, um sich aus der Verstrickung in die derzeitige Gewaltspirale und der einen substanziellen Friedensprozess blockierenden Angst vor dem Konfliktpartner und dem aus den negativen Erfahrungen der Vergangenheit genährten Misstrauen gegenüber den Möglichkeiten einer friedlichen Konfliktlösung zu befreien. Die besten Voraussetzungen für Hilfestellungen zur Wiedergewinnung der Fähigkeit zum friedlichen Ausgleich durch die Konflitkparteien selbst sind dann gegeben, wenn die gegenwärtigen Hauptakteure der internationalen Politik bei den Maßnahmen zum Stopp der Gewalt, bei der Ingangsetzung eines neuen Verhandlungsprozesses und bei der Überprüfung und Absicherung der einzelnen Friedensschritte, vor allem aber beim Wiederaufbau der Region an einem Strang ziehen. Darin liegen die Chancen des Fischer-Plans. 5