Position des FA I zur jüngsten Entwicklung im Palästina

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Fachausschuss für Internationale Politik, Frieden und Entwicklung
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e-mail: [email protected]
Datum: 15.4.2002
Position des FA I zur jüngsten Entwicklung im Palästina-Konflikt
(Vorlage für den GLV)
I. Position zu den aktuellen Vorgängen in Palästina
Die jüngste Zuspitzung des Konflikts um Palästina mit der auch von den UN als „beispiellos“
gekennzeichneten Ausweitung von Unrechts- und Gewaltaktionen auf beiden Seiten,
insbesondere aber im Zuge und als Konsequenz der militärischen Offensive Israels gegen
Einrichtungen der palästinensischen Autonomiebehörde, das Hauptquartier von Präsident
Arafat sowie gegen öffentliche Einrichtungen, Wohngebiete, ja sogar gegen religiöse Stätten
bilden eine außergewöhnliche Herausforderung für die Internationale Gemeinschaft, die
politisch Verantwortlichen in allen Staaten, welche über Einflussmöglichkeiten auf das
Geschehen im Nahen Osten verfügen, für die Zivilgesellschaft in den demokratischen Staaten.
Von den ethischen Grundlagen ihrer Politik, den Grundwerten des Friedens und der
Gerechtigkeit aber auch und gerade wegen ihrer besonderen Verbundenheit mit dem Staat
Israel auf dem Hintergrund der deutschen Verantwortung für den Holocaust stellt die jüngste
Zuspitzung des Palästina-Konflikts die deutsche Sozialdemokratie in eine besondere
Verantwortung. Schweigen zu den besorgniserregenden Vorgängen bedeutet Mitschuld am
Tod von unschuldigen Zivilisten, von Frauen und Kindern, an der Beeinträchtigung der
Versorgung von Kranken, Gebärenden und Verletzten und der würdigen Bestattung von
Toten.
Das Vorgehen der israelischen Armee in Ramallah, Dschenin, Bethlehem und anderen Orten
in den besetzten Gebieten beinhaltet nicht nur die Fortsetzung einer völkerrechtswidrigen
Besetzung von Gebieten, aus denen sich Israel gemäß selbst eingegangenen vertraglichen
Verpflichtungen längst hätte zurückziehen müssen, sondern auch die Verletzung von
internationalen Konventionen und Menschenrechtsnormen für die Behandlung von Menschen
auch in rechtmäßig besetzten Gebieten.
Dieses Vorgehen ist weder durch das Recht auf Selbstverteidigung zu rechtfertigen noch
geeignet, die israelische Bevölkerung vor terroristischen Angriffen zu bewahren, sondern
bildet vielmehr den Nährboden für die ebenfalls beispiellose Ausweitung palästinensischer
Gewaltaktionen, die sich objektiv in der Form eines unberechenbaren und für die potentiellen
Opfer wahllosen Terrors gegen unbeteiligte Zivilisten vollziehen.
Die Ausweitung der palästinensischen Selbtmordattentate zu einem Ausmaß, das die
israelische Gesellschaft in einen permanenten Kriegszustand versetzt, steigert in
vergleichbarer Weise wie der Versuch Israels, die Ursachen der von Palästinensern
ausgehenden Gewalt mit den Mitteln militärischer Repression zu beseitigen, Angst und
Misstrauen gegenüber der jeweils anderen Konfliktpartei in einem Maße, welches das
Vertrauen in die Möglichkeit einer friedlichen Konfliktlösung auf Dauer zusammenbrechen
lassen kann.
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Aufgabe aller politischen Akteure, welche in der Lage sind, Einfluss auf das Geschehen in
Palästina zu nehmen, ist es daher, durch politischen Druck auf beide Konfliktparteien die
derzeitige Gewalteskalation zu stoppen und eine nachhaltige Deeskalation der Gewalt auf
beiden Seiten als Voraussetzung für die Einleitung eines neuen substanziellen
Verhandlungsprozesses über die strittigen Grundfragen des Palästina-Konflikts zu
erreichen. Für die Wiederaufnahme eines solchen Verhandlungsprozesses in der Sache sollten
bereits spürbare Erfolgen in der Reduzierung der Gewalt auf beiden Seiten genutzt werden.
Die angesichts der derzeitigen Zuspitzung des Konflikts und der negativen Erfahrungen in der
Vergangenheit unrealistische Forderung nach völliger Einstellung jeglicher Gewaltakte darf
nicht zur Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen gemacht werden.
Voraussetzung für eine Deeskalation der Gewalt auf dem israelischen Staatsgebiet und in den
palästinensischen Autonomiegebieten ist die uneingeschränkte und zügige Umsetzung der
Resolution 1402 des UN-Sicherheitsrats, also der Abschluss eines wirklichen
Waffenstillstands, die Zusammenarbeit beider Seiten mit dem US-Gesandten Zinni in allen
strittigen Fragen, vor allem aber der sofortige Rückzug der israelischen Truppen aus den in
den letzten Wochen besetzten palästinensischen Städten einschließlich des Regierungssitzes
von Präsident Arafat in Ramallah. Mit dieser Präzisierung identifiziert sich der FA I auch mit
der Erklärung von US-Präsident Bush vom 5. 4. 2002 und bringt die Hoffnung zum
Ausdruck, dass diesen klaren Worten auch entsprechende Taten insbesondere im Hinblick auf
eine notwendige Veränderung der Haltung der israelischen Regierung folgen werden. Dies
gilt insbesondere auch für zwei weitere zentrale Punkte der Erklärung Bushs, nämlich das
Bekenntnis zur Errichtung eines palästinensischen Staates und zum Stopp des Siedlungsbaus
in den besetzten Gebieten.
Zu den in der letzten Woche im Kreise der rot-grünen Regierungskoalition eingeleiteten und
erörterten Initiativen zur Entspannung des Palästina-Konflikts nimmt der FA I wie folgt
Stellung:
1. Entsendung einer internationalen Beobachter- oder Friedenstruppe mit deutscher
Beteiligung:
Eine Beobachtertruppe, die ja auch in der Vergangenheit verschiedentlich gefordert, von
der israelischen Regierung aber immer abgelehnt wurde, könnte zur Objektivierung der
Problemsicht beider Konfliktparteien und zur Verifizierung der Umsetzungsschritte der
Resolution 1402 und der von der US- und EU-Vermittlung vorgegebenen Schritte zur
Gewaltverminderung und Konfliktlösung beitragen.
Eine Friedenstruppe mit deutscher Beteiligung ist auf dem Hintergrund der jüngsten
deutschen Vergangeheit als problematisch anzusehen. Nach Äußerungen des israelischen
Botschafters in Berlin, Stein, ist eine solche Friedenstruppe aber erst nach einem Ende des
palästinensischen Terrors und einem Abkommen mit den Paläsinensern denkbar, also
nicht als Mittel zur Wiederbelebung des Friedensprozesses, sondern als Mittel zur
Absicherung eines bereits erfolgreichen Verhandlungs- und Friedensprozesses. Der FA I
begrüßt die Anregung von Bundeskanzler Schröder aber gleichwohl als Signal für die
Bereitschaft der Bundesregierung und der SPD-Führung, sich stärker für die Lösung des
Nahost-Konflikts zu engagieren und zu einer schon im Vergleich zur Regierungserklärung
vom November 1998 ausgewogeneren Position in der Nahost-Politik zu kommen, in der
lediglich die deutsche Verpflichtung auf die Sicherung des Existenzrechts Israels
festgeschrieben wird.
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2. Sanktionen gegen Israel:
Der FA I spricht sich ausdrücklich gegen Sanktionen im Wortsinne gegen Israel aus. Sie
beeinträchtigen die Gesprächsfähigkeit der Bundesregierung gegenüber der israelischen
Regierung als einem der wichtigsten Akteure im Nahost-Konflikt und führen nur zu einer
zusätzlichen Solidarisierung von politischen Kräften in und außerhalb Israels mit der
Gewaltpolitik der Regierung Sharon. Unberührt davon bleiben aber Entscheidungen des
Bundessicherheitsrats, Waffenlieferungen in Spannungsgebiete zu verweigern und Israel
in geeigneter Form auf die Einhaltung seiner Verpflichtungen aus dem AssoziierungsAbkommen mit der EU aufmerksam zu machen ohne dass solche kritischen Vorhaltungen
zu einem formellen Handelsboykott führen sollten.
3. Gestaltung der deutschen Hilfe für die Palästinensische Autonomiebehörde:
Die Bundesregierung sollte ihre maßgebliche finanzielle und politische Unterstützung im
Rahmen der EU-Programme fortsetzen und die Arbeitsfähigkeit der Autonomiebehörde
auch unter den derzeitigen Extrembedingungen so weit wie möglich sicher stellen. Die
humanitären Hilfsprogramme sollten verstärkt und eventuell durch demonstrative
Hilfsaktionen wie die schon einmal erfolgte Versorgung von palästinensischen Verletzten
in Deutschland ergänzt werden. Die Möglichkeiten in der Gestaltung der für das
Überleben des palästinensischen Entität in den Autonomiegebieten maßgeblichen
deutschen Hilfe sollten aber in Gestalt positiver Anreize dazu genutzt werden, die
Bereitschaft der palästinensischen Autonomiebehörde zur Eindämmung des Terrors und
zur Stärkung von Demokratie und Menschenrechten in den palästinensischen
Autonomiegebieten zu fördern.
4. Fischer-Plan:
Der FA I begrüßt den Sieben-Punkte-auf Plan von Bundesaußenminister Fischer, auf der
Basis einer engen Kooperation zwischen den UN, den USA, der EU und Russlands zu
einer Implementierung der für die bisherigen Vermittlungsbemühungen der USA und der
EU maßgeblichen Pläne (Tenet-Plan, Mitchell-Plan etc.) in einen von einem
verifizierbaren Zeitplan bestimmten Deeskalations- und Verhandlungsprozess die
derzeitige Eskalation der Gewalt in Nahen Osten zu beenden und die politische Initiative
zurückzugewinnen. Bei einem Erfolg dieser Initiative könnte die Bundesregierung sich
wie bei ihrer Initiative zur Beendigung der militärischen Auseinandersetzung im Kosovo
die Leistung zuschreiben, der verhängnisvollen Dominanz militärisch gestützter
Machtpolitik bei den Versuchen zur Lösung zentraler Konflikt der internationalen Politik
seit dem zweiten Golfkrieg erneut mit Erfolg ein zivilpolitisches und strukturpolitisches
Konzept entgegengesetzt zu haben, das den friedlichen Aufbau/Wiederaufbau einer von
jahrzehntelanger kriegerischer Feindschaft zerstörten Region in den Mittelpunkt stellt.
II. Grundsätzliche Position des FA I zum Palästina-Konflikt
1. Verhältnis zu Israel:
Die in diesem Papier vorgenommenen Einzelbewertungen ändern nichts an dem
besonderen Verhältnis der deutschen Politik zu Israel und der besonderen Verantwortung
Deutschlands für die Sicherung der Existenz des Staates Israel und die politische
Verteidigung seines Existenzrechts. Diese Position gilt unabhängig von der politischen
Ausrichtung der jeweiligen israelischen Regierung. Die grundsätzliche Solidarität mit dem
Staat und dem Volk Israels schließt aber die Möglichkeit ein, eine – auch gemessen an
den Interessen und Bedürfnissen der Menschen in Israel selbst – für falsch gehaltene
Politik der jeweiligen israelischen Regierung zu kritisieren.
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Es kann auch keine Verpflichtung zur Unterstützung einer bestimmten ideologisch
begründeten Ausgestaltung eines jüdischen Staates auf der Basis einer strukturellen
Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen unter seinen Staatsbürgern geben.
In Übereinstimmung mit der mehrfach öffentlich gemachten Position des Nahost-Experten
der SPD-Bundestagsfraktion, Christoph Moosbauer, sieht der FA I die Existenz Israels
nachhaltig nur durch die Verwirklichung eines gerechten Friedens zwischen dem Staat
Israel und einem souveränen und lebensfähigen Palästinenserstaat mit anerkannten
Grenzen gesichert. Als brauchbare Grundlage für eine solche Friedensregelung sieht der
FA I die im Vertrag von Oslo zugrundegelegten Grenzen von 1967 an, weiterhin eine
Teilung der Verantwortung für die heiligen Stätten in Jerusalem, die es beiden Seiten
ermöglicht ihre religiösen Bedürfnisse zu erfüllen, die Bestimmung Ost-Jerusalems als
Hauptstadt eines Palästinenserstaates und die Anerkennung des Vertreibungsschicksals
der palästinensischen Flüchtlinge sowie eine pragmatische Regelung ihres
Rückkehrrechts. Die wichtigste Gegenleistung der arabischen Staaten für die Akzeptanz
eines selbständigen Staates Palästina durch Israel besteht in der uneingeschränkten
Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten.
2. Frage der „Ausgewogenheit“ bzw. „Gleichgewichtigkeit“ der deutschen Nahost-Politik
Aufgrund der Verantwortung vor der Geschichte kann es in Bezug auf das deutsche
Verhältnis zu Israel keine Neutralität geben. Selbstverständlich hat die deutsche Politik
auch Interessen, welche nur auf der Grundlage guter Beziehungen zu den arabischen
Staaten und Völkern einschließlich des palästinensischen Volkes zu realisieren sind. Sie
können aber nicht im Sinne eines ökonomisch-politischen Kalküls gegen die
grundlegenden Verpflichtungen gegenüber Israel abgewogen werden. Die deutsche Politik
orientiert sich grundsätzlich an ihrem Interesse an einer Befriedung der Konfliktregion des
Nahen Ostens, nicht nur aufgrund einer grundsätzlichen Präferenz für den Frieden,
sondern auch aus der Erkenntnis heraus, dass ein Fortbestehen der Explosionsgefahren in
dem „Pulverfass“ Nahost auch die Sicherheit der deutschen Bevölkerung und die Chancen
einer friedlichen Weiterentwicklung Deutschlands und Europas in elementarer Weise
berührt.
Diese Bewertung gewinnt noch an Bedeutung angesichts der weltweiten Bedrohung durch
den Terrorismus nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Es besteht kein Zweifel
daran, dass das unverminderte Fortschwelen des Palästina-Konflikts und die steigende
Frustration nicht nur in der Bevölkerung Palästinas, sondern der Bevölkerung in vielen
arabischen und islamischen Staaten über den Umgang Israels und der westlichen Welt mit
diesem Konflikt den wichtigsten Nährboden für den islamischen Fundamentalismus und
den von ihm gespeisten internationalen Terrorismus bildet. Alle Beiträge der deutschen
Politik zu einem nachhaltigen Friedensprozess in Palästina müssen sich an der
grundlegenden Einsicht orientieren, dass der Kern dieses Konflikts darin besteht, dass
zwei Völker mit gleichem Recht und vergleichbarer Begründung Ansprüche auf dasselbe
Territorium erheben und dieses Territorium für beide in gleicher Weise existenznotwendig
ist. Eine Lösung des Konflikts kann also nur in der wechselseitigen Anerkennung dieses
Existenzrechts durch beide Völker und durch die internationale Gemeinschaft bestehen.
Die Berechtigung für die inzwischen ja auch immer breiter werdende Kritik an der Politik
der Regierung Sharon ist in dem Eindruck begründet, dass die derzeitige israelische
Regierung nicht bereit ist, dieses existenzsichernde Recht auf Selbstbestimmung des
palästinensischen Volkes zu respektieren.
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3. Frage der Verantwortung für den Friedensprozess
„Frieden können“, auch hierin ist Christoph Moosbauer zuzustimmen, „nur die
Konfliktparteien machen.“ Aber diese bedürfen Anstößen von außen, um sich aus der
Verstrickung in die derzeitige Gewaltspirale und der einen substanziellen Friedensprozess
blockierenden Angst vor dem Konfliktpartner und dem aus den negativen Erfahrungen der
Vergangenheit genährten Misstrauen gegenüber den Möglichkeiten einer friedlichen
Konfliktlösung zu befreien. Die besten Voraussetzungen für Hilfestellungen zur
Wiedergewinnung der Fähigkeit zum friedlichen Ausgleich durch die Konflitkparteien
selbst sind dann gegeben, wenn die gegenwärtigen Hauptakteure der internationalen
Politik bei den Maßnahmen zum Stopp der Gewalt, bei der Ingangsetzung eines neuen
Verhandlungsprozesses und bei der Überprüfung und Absicherung der einzelnen
Friedensschritte, vor allem aber beim Wiederaufbau der Region an einem Strang ziehen.
Darin liegen die Chancen des Fischer-Plans.
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