Ruhr-Universität Bochum Grundkurs Theaterwissenschaft Dr. Eric A. Hoffmann WS 2002/03 Protokollantin: Kristina Schmidt Stundenprotokoll vom 20.01.2003 In dieser Stunde sprachen wir noch einmal über den Text vom letzten Mal „Ueber den Gebrauch des Chors in der Tragödie“ von Schiller und wir fingen mit dem Text „Die Kunst und die Revolution“ (1849) von Richard Wagner an. Schiller: Ueber den Gebrauch des Chors in der Tragödie (1803) Schiller vergleicht den Chor der Moderne mit dem Chor der Antike. Laut Schiller war der Chor in der Antike ein natürliches Organ, während er in der Moderne ein Kunstorgan ist. In der Antike war der Chor so in das Stück integriert, dass er nicht als ein Fremdkörper wirkte. Es gab eine Einheit von Tanz, Musik und Text (→ mousiké). Der antike Chor war Repräsentant der Öffentlichkeit und basiert auf Interaktion. Es wurden öffentliche Fragen mittels des Chors diskutiert. Warum war der Chor so integriert? Das Leben in der Antike war öffentlich und „schön“. Es gab eine Einheit von Mensch, Natur und Gott. Der Mensch war ein Individuum und Repräsentant seiner Gattung. Die Kunst konnte nachahmen. Alles war schön und die Dichter konnten Mimesis betreiben. In der Moderne ist die Welt prosaisch, die Dichter sind Naturalisten. Die familiäre und berufliche Situation ist anders, der Begriff des „Menschen“ ist verloren. In der Antike war der Mensch ein ganzer Mensch, war sinnlich und sittlich, also emotional und rational. In der Moderne ist der Mensch entweder ein Wilder oder ein Barbar. Die einheitliche Ausbildung seiner Veranlagung funktioniert nicht (mehr). „Der Pallast der Könige ist jetzt geschlossen, die Gerichte haben sich von den Thoren der Städte in das Innere der Häuser zurückgezogen […]“. Das bedeutet, die Könige sind keine öffentlichen Figuren mehr, sie sind nicht mehr sichtbar für die Menschen. Die Herrlichkeit verschwindet. Wenn man jetzt etwas prunkvoll darstellt, wirkt es als Fremdkörper. Die Welt ist nicht mehr schön. Der König als Repräsentant der Macht fällt weg. Das Recht ist keine öffentliche Entscheidung mehr, sondern wird jetzt in Gerichten beschlossen, also von der Öffentlichkeit in eine Institution verlegt. „[…] die Schrift hat das lebendige Wort verdrängt […]“. In der Antike wurden viele große Reden gehalten, das galt als „Kunst“. Die mündlichen Reden gaben Anlaß zur Interaktion. Durch die Erfindung des Buchdrucks kann man das geschriebene Wort jedoch auch alleine für sich lesen. Mittels des Chors muß der Dichter die Antike wieder herstellen. Der Chor stellt die Öffentlichkeit dar. Der moderne Chor ist ein Kunstorgan. Er hat die Aufgabe, Ruhe in die Handlung und Leben in die Sprache zu bringen. Er steht außerhalb der Handlung. Der Chor ist übergeordnet, kann über alles reflektieren (Reflexionsinstanz). Er muß mit etwas Sinnlichem verbunden sein, nicht nur mit etwas Geistigem → Tanz, Ton und Dichtung = Gesamtkunstwerk. Der Chor soll Ruhe in die Handlung bringen, man hat Zeit zum nachdenken. Man steht nicht unter den Zwängen der Sinnlichkeit. Der Chor ist eine Unterbrechung und macht die Einfühlung unmöglich → Entfremdungseffekt. Man kann wählen zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit. R. Wagner: Die Kunst und die Revolution (1849) Über diesen Text sprachen wir nur kurz und begannen mit einer Tabelle. Im Text meint Wagner, dass sich die Nationen gegenseitig bereichern können. Er zeigt eine Entwicklungsgeschichte der Kunst und nimmt die griechische Antike als Vorbild. → Abstieg, Zerfall → Modernisierung → Differenzierung Vormoderne Epoche Moderne Kontext Anthropologie (Menschenbild) Politik gr. Antike „ganzer Mensch“ schön, frei, froh, stark → Elite Sklaven (-) öffentlich demokratisch lokal, national (-) Kunst „l`art pour l`art“ Gesamtkunstwerk Jeder ist Künstler Religion Götter (Meer, …) Sagen, Mythos Verkehrsform mündlich („oral“) röm. Antike MA Ren. Sklaven des Geldes „Monarchie“ „l`art pour l`argent“ Kunst als Ware; Ton, Tanz, Dichtung getrennt nach Genres Christentum; Differenz zw. Immanenz und Transzendenz Schrift; „geoffenbartes Wort“ (Bibel) Nachmoderne