Word-Datei - beim Niederösterreichischen Landtag

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Landtag von NÖ, X. Gesetzgebungsperiode
II. Session
Festsitzung aus Anlaß der 30. Wiederkehr der Gründung der 2. Republik
am 25. April 1975
INHALT:
1. Eröffnung durch Präsident Dipl. Ing. Robl (Seite 609).
2. Festansprache Präsident Dipl. Ing. Robl (Seite 609).
(Der Sitzungssaal ist mit Blattpflanzen und Fahnentüchern in den Staats- und Landesfarben
geschmückt. An der Festsitzung nehmen der Bundesminister für Inneres Rösch, Landeshauptmann
ÖR Maurer, Landeshauptmannstellvertreter Ludwig, Landeshauptmannstellvertreter Czettel,
Landesrat ÖR Bierbaum, Landesrat Schneider, Landesrat Anna Körner, Landesrat Grünzweig,
Klubobmann Dr. Koren, Nationalräte und Bundesräte von Niederösterreich, Vertreter der
Religionsgemeinschaften, an ihrer Spitze als persönlicher Vertreter des Kardinals Dr. König Prälat
Steiner, Diözesanbischof Dr. Zak und Bischof Sakrausky, die ehemaligen Präsidenten des
Niederösterreichischen Landtages Weiß, Tesar, Sigmund und Wondrak, die ehemaligen Mitglieder der
Landesregierung Hilgarth, Kuntner und Waltner, der Sicherheitsdirektor und der
Landesgendarmeriekommandant, der Militärkommandant von Niederösterreich, die Präsidenten der
Kreisgerichte Korneuburg, St. Pölten und Wr. Neustadt, die Witwen der verstorbenen
Landeshauptleute Figl und Hartmann sowie prominente Vertreter der Kammern und andere
hervorragende Persönlichkeiten aus dem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben
Niederösterreichs teil).
PRÄSIDENT DIPL.-ING. ROBL (um 10,00 Uhr): Ich eröffne die Festsitzung.
(Die Abgeordneten und Ehrengäste haben sich von ihren Sitzen erhoben. Das NÖ.
Tonkünstlerorchester intoniert die niederösterreichische Landeshymne. Nachdem die Anwesenden
ihre Plätze wieder eingenommen haben, bringt das NÖ. Tonkünstlerorchester unter der Leitung von
Professor Franz Bauer-Theussl die Ouverture zu „Egmont", op. 84 von Ludwig van Beethoven, zum
Vortrag.)
PRÄSIDENT DIPL.-ING. ROBL: Hohes Haus! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Im Namen
des Landtages von Niederösterreich habe ich zu der heutigen Festsitzung eingeladen, mit welcher der
Landtag der vor 30 Jahren erfolgten Gründung der Zweiten Republik feierlich gedenken will. Ich
glaube, daß gerade das Bundesland Niederösterreich die größte Berechtigung hat, diesen Tag,
zugleich auch im Gedenken an den vor zwanzig Jahren abgeschlossenen Staatsvertrag, festlich zu
begehen, denn unser Bundesland hat in den Jahren des Krieges und der Besatzungszeit die
schwersten Schäden erlitten und die größten Opfer für den Gesamtstaat auf sich genommen.
Ich darf Sie, meine sehr verehrten Ehrenund Festgäste, die Sie durch Ihre Anwesenheit die
Bedeutung des Festaktes dokumentieren, auf das herzlichste willkommen heißen.
Zuerst enbiete ich meinen Gruß dem Herrn Bundesminister für Inneres, Otto Rösch. (Beifall.)
Es ist mir eine Ehre, an der Spitze der geistlichen Würdenträger den persönlichen Vertreter des Herrn
Kardinals Dr. König, Herrn Prälat Steiner sowie die Bischöfe Dr. Zak und Sakrausky zu begrüßen.
(Beifall.)
Ich begrüße sehr herzlich die Mitglieder der Niederösterreichischen Landesregierung, an ihrer Spitze
Herrn Landeshauptmann Maurer. (Beifall.)
Es ist mir eine besondere Freude, in unserer Mitte die Witwen der verewigten Landeshauptleute, Frau
Hilde Figl und Frau Hela Hartmann, willkommen heißen zu dürfen. (Beifall.)
Ich darf um Ihr Verständnis bitten, wenn ich damit die namentliche Begrüßung von Ehrengästen
beende und allen Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes und des Landes, den
Präsidenten und Amtsdirektoren der gesetzlichen Interessenvertretungen, dem Herrn
Sicherheitsdirektor, dem Herrn Landesgendarmeriekommandanten, den Präsidenten der
Kreisgerichte, den Präsidenten der Freiwilligen Feuerwehr und des Zivilschutzverbandes, der hohen
Beamtenschaft des Landes und Ihnen allen, meine sehr geschätzten Damen und Herren, meinen
herzlichsten Gruß entbiete. Last not least gilt mein bester Gruß den Vertretern der Presse und des
Österreichischen Rundfunks.
Aus Anlaß der 25-Jahr-Feier des Bestehens der Zweiten Republik habe ich in meiner Rede
eindringlich darauf hingewiesen, wie bedeutungsvoll es ist, jener Generation, welche die Entwicklung
der Kriegs- und Nachkriegszeit noch nicht bewußt erlebt hat, die geschichtlichen Tatsachen immer
wieder vor Augen zu führen. Ist doch gerade die Zeit vor dreißig Jahren, in der die Zweite Republik
gegründet wurde, ein leuchtendes Beispiel dafür, was das österreichische Volk in größter Not zu
leisten imstande ist. Ich möchte sagen, daß damals alle Kreise der Bevölkerung und die führenden
Männer unseres Landes über sich hinausgewachsen sind bei der Bewältigung der ungeheuren
Aufgaben, die ihnen gestellt waren.
Diese Leistungen konnten zweifellos nur erbracht werden infolge der Einigkeit, mit der alle
bestehenden politischen Gruppen zusammenarbeiteten.
Es erschien mir daher auch sinnvoll, des Jahrestages der Gründung der Zweiten Republik in einer
gemeinsamen Feierstunde zu gedenken. Und welcher Ort könnte für diese Feier besser geeignet sein,
als der Sitzungssaal des Niederösterreichischen Landtages. Hat doch hier in diesem Saal nicht nur die
Geburtsstunde der Ersten Republik geschlagen, sondern es haben auch an diesem Ort die
entscheidenden Länderkonferenzen des Jahres 1945 stattgefunden, durch die der ungeteilte Bestand
der Republik gesichert und eine funktionsfähige Staatsregierung geschaffen wurde.
Niederösterreich, das in den vergangenen Jahrhunderten schon so oft Schauplatz schwerster
kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen war und immer wieder schwerste Schäden erlitten
hatte, mußte auch im Frühjahr 1945 die letzten und fürchterlichsten Auswirkungen des Zweiten
Weltkrieges erdulden. Ich will hier keine Zahlen über die Opfer an Menschen, die Verluste an
persönlichem Eigentum, an Arbeits- und Betriebsstätten, an öffentlichen Einrichtungen und an
Verkehrsverbindungen nennen.
In diesen Tagen und Wochen sind in der Presse, im Rundfunk und im Fernsehen so viele
Veröffentlichungen und Berichte gebracht worden, daß sich eine Schilderung in dieser Festsitzung
erübrigt. Berufene Frauen und Männer, die damals die Verantwortung übernahmen, haben die Lage
Niederösterreichs in jener Zeit mit der Bezeichnung „Chaos“ eindeutig charakterisiert.
Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, hat in unserem Heimatland die Wiederbegründung der
Republik im wahrsten Sinne ihren Anfang genommen. In Gloggnitz fiel am 3. April 1945 den Offizieren
der russischen Befehlsstelle bei einer Vorsprache der ehemalige Staatskanzler Dr. Renner auf und sie
brachten den damals 74 Jahre alten Staatsmann in das Hauptquartier Marschall Tolbuchin's nach
Hochwolkersdorf. Dort wurde Dr. Renner aufgefordert, eine Österreichische Regierung zu bilden und
dieser Aufgabe widmete er sich sogleich mit aller Energie. Er verfaßte zunächst in Gloggnitz und dann
in Eichbichl bei Wr. Neustadt Aufrufe und Erklärungen und nahm mit Parteifreunden und mit christlichsozialen Politikern, zum Beispiel mit dem früheren Bürgermeister von Baden, Josef Kollmann,
Verbindung auf. Er beabsichtigte schon damals, an das Jahr 1933 anzuknüpfen, während in den
Proklamationen Tolbuchin's noch vom Wiederaufbau Österreichs des Jahres 1938 die Rede war, wie
es auch der Ansicht der Alliierten im Jahre 1944 entsprach.
Es ist also sicher nicht vermessen, zu behaupten, daß im jahrhunderte alten Kernland Österreichs
auch die Grundlage für die Wiedererrichtung der Republik geschaffen wurde, und zwar zu einem
Zeitpunkt, als Wien von den russischen Truppen noch nicht erobert war.
Zum gleichen Zeitpunkt begannen auch bereits in verschiedenen Orten Niederösterreichs
Bürgermeister, die zunächst von den Besatzungstruppen eingesetzt wurden oder aus der Situation
heraus sich selbst ernannten, ihre verantwortungsvolle Tätigkeit. Was diese Männer in den folgenden
Jahren der Besetzung und des Wiederaufbaues geleistet haben, das zu schildern ist mir in diesem
Rahmen nicht möglich, denn eine solche Darstellung würde Bände umfassen. Für ihren selbstlosen
und mutigen Einsatz, ohne Rücksicht auf die eigene Person, soll ihnen aber in dieser Feierstunde
nochmals aufrichtig gedankt werden.
In Wien wurde am 14. April 1945 von der Widerstandsbewegung 05, die sich im Palais Auersperg
zusammengefunden hatte, Theodor Körner als Bürgermeister ausgewählt und als solcher auch von
den Russen anerkannt. Am gleichen Tage trafen sich die Vertreter der Sozialdemokratie unter Dr.
Adolf Schärf im Wiener Rathaus und gründeten die Sozialistische Partei, wobei die Vertreter aus
Niederösterreich, wie Oskar Helmer und Heinrich Schneidmadl, maßgeblich beteiligt waren.
Die Österreichische Volkspartei wurde am 17. April 1945 im Schottenhof ins Leben gerufen, woran
Politiker wie Leopold Kunschak, Dr. Felix Hurdes und Lois Weinberger, entscheidenden Anteil hatten.
Allerdings hatten sich die Vertreter der Bünde der Österreichischen Volkspartei schon am Tage vorher
zusammengefunden, wobei Ing. Leopold Figl als Führer der Bauern und Ing. Julius Raab als jener der
Wirtschaftstreibenden hervortraten.
So hatte Ing. Figl als ehemaliger Bauernbunddirektor seine Tätigkeit in der Schenkenstraße 2 schon
am 12. April 1945 aufgenommen und seine Getreuen dort versammelt. Noch am selben Tage wurde
ihm von Marschall Tolbuchin die Aufgabe übertragen, die Versorgung Wiens und Niederösterreichs
mit Lebensmitteln aus Niederösterreich zu organisieren, die Beseitung der Tierkadaver zur
Vermeidung von Seuchen zu veranlassen und für den Frühjahrsanbau in der Landwirtschaft zu
sorgen. Gemeinsam mit Oskar Helmer und Ing. Otto Mödlagl hat Ing. Figl wenige Tage später vom
Landhaus Besitz ergriffen, mußte es aber dann für kurze Zeit, auf Eingreifen russischer
Kommandostellen, wieder räumen. Trotz mancherlei Schwierigkeiten gelang es diesen drei Männern,
in unermüdlichem Einsatz bei zahlreichen Bürgermeisterversammlungen die Verbindung zwischen der
neu eingerichteten Landesverwaltung und den örtlichen Stellen aufzunehmen und die
Bezirkshauptmannschaften wieder einzurichten. In der Landeszentrale sorgte der zum
Landesamtsdirektor bestellte Dr. Vanura für die Neubildung der Personalstände und den Aufbau des
Amtes. Schneller als in anderen vom Krieg betroffenen Staaten zeigten sich in Österreich, besonders
aber in unserem Heimatlande, die Erfolge im Verwaltungsaufbau und der Wiederherstellung
einigermaßen geordneter Verhältnisse.
Am 21. April 1945 wurde Dr. Karl Renner nach Wien gebracht, wo sich die drei politischen Parteien
sehr schnell mit ihm über die Bildung einer provisorischen Staatsregierung einigten. Als Mitglieder des
neu geschaffenen Kabinettsrates fungierten der Landeshauptmann von Niederösterreich, Ing. Figl, für
die ÖVP, Dr. Adolf Schärf für die SPÖ und Johann Koplenig für die KPÖ.
Diese Vertreter der politischen Parteien unterfertigten dann auch jene denkwürdige Proklamation vom
27. April 1945, mit der die Wiedererstehung des Staates Österreich öffentlich verkündet wurde. Darin
wurde der am 15. März 1938 vollzogene Anschluß an das Deutsche Reich für nichtig erklärt und die
demokratische Republik nach der Bundesverfassung von 1929 wiederhergestellt.
Mit der nachfolgenden Konstituierung der Regierung am 29. April 1945 war jedoch noch keineswegs
der entscheidende Schritt getan, denn die Regierung war nur für die russische Besatzungszone
anerkannt. Die Bemühungen der österreichischen Politiker konzentrierten sich daher nunmehr darauf,
durch Fühlungnahmen mit den maßgeblichen Männern in den westlichen und südlichen
Bundesländern die Anerkennung der Regierung Renner durch die westlichen Alliierten vorzubereiten.
Hier galt es vor allem, das nicht unberechtigte Mißtrauen der westlichen Bundesländer gegenüber
einer unter russischer Kontrolle stehenden Regierung zu beseitigen. Die intensiven Bemühungen
führten schließlich zu den denkwürdigen Länderkonferenzen, welche im September und Oktober 1945
in diesem Saal stattfanden. Unter dem Vorsitz von Staatskanzler Dr. Renner gelang es dem
Gastgeber, Landeshauptmann Ing. Figl, eine einheitliche Linie durchzusetzen, wodurch, nach einer
Umbildung der Regierung, deren Anerkennung auch durch die westlichen Alliierten sehr schnell
erfolgte. Die Bundesländer hatten damit einen entscheidenden Beitrag für die Errichtung der Zweiten
Republik und dafür geleistet, daß Österreich als geschlossener Staat bestehen blieb.
Von allen nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten Ländern wurden mit Abstand in Österreich die ersten
freien Wahlen im November 1945 abgehalten. Wir hatten somit eine Regierung, die erste in den von
den Alliierten besetzten Ländern, die sich auf eine demokratische Entscheidung durch geheime
Wahlen stützen konnte.
Vieler Mühe, zäher Arbeit, großen Einsatzes und des unbeirrbaren Glaubens an Österreich bedurfte
es aber auch nach den entscheidenden Wahlen des Jahres 1945, um gerade in dem von den
russischen Truppen besetzten Niederösterreich schrittweise die Voraussetzungen für den Abschluß
des Staatsvertrages vor nunmehr zwanzig Jahren zu schaffen. Außer den bereits erwähnten
Staatsmännern haben sich hier die Landeshauptmänner Reither und Steinböck, die
Landeshauptmannstellvertreter Popp und Ing. Kargl unvergängliche Dienste um unser Heimatland
erworben. In der Bundesregierung haben für den Wiederaufbau bedeutende Niederösterreicher
gewirkt, wobei ich besonders des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft und späteren
Landeshauptmannes Ing. Eduard Hartmann und des Bundesministers für Justiz und späteren
Landeshauptmann-Stellvertreters Dr. Otto Tschadek gedenken möchte. Durch dieses
Zusammenhalten aller staatstreuen Österreicher konnte dann die am 15. April 1955 aus Moskau
zurückkehrende Delegation unter dem Bundeskanzler Ing. Raab, dem Vizekanzler Dr. Schärf, dem
Außenminister Ing. Figl und dem damaligen Staatssekretär Dr. Kreisky dem österreichischen Volk von
dem niederösterreichischen Flugplatz Vöslau aus verkünden, daß die Freiheit für Österreich errungen
ist.
Die kluge Ausnützung der im Jahre 1955 entstandenen weltpolitischen Situation durch diese
österreichischen Staatsmänner brachte aber nicht nur unserem Lande den Staatsvertrag auf der
Grundlage der immerwährenden Neutralität, sondern war gleichsam ein Signal für die in den nächsten
Jahren folgende Entspannung zwischen Ost und West.
Wer wußte und weiß diese historischen Daten besser zu würdigen als die Bevölkerung
Niederösterreichs, die wohl die härtesten Entbehrungen, die schwersten Verfolgungen und größten
Opfer in der Kriegs- und Nachkriegszeit unverzagt auf sich genommen hat.
Galt es doch, zahlreiche Industriebetriebe, die unter fremder Verwaltung gestanden waren, im
Rahmen der verstaatlichten Industrie und der Privatwirtschaft wieder leistungsfähig zu machen und in
andere Bundesländer abgewanderte Betriebe nach Möglichkeit zurückzuholen, um den
Niederösterreichern Arbeitsplätze zu erhalten oder neu zu schaffen. Auch große Schäden in der
Landwirtschaft waren zu beseitigen und die Strukturänderungen zu meistern.
Jene Generation, die diesen Wiederaufbau ohne großen Aufhebens geleistet hat, möge der Jugend
zum Vorbild dienen, und, so hoffe ich, die Dankbarkeit und Anerkennung künftiger Generationen
finden.
Unser geliebtes Heimatland Niederösterreich aber möge nach den Jahren der Opfer und des
Wiederaufbaues einer glücklichen Zukunft entgegengehen. (Lebhafter Beifall.)
(Das NÖ. Tonkünstlerorchester bringt den 1. Satz der Symphonie Nr. 101, D-Dur, von Joseph Haydn
zum Vortrag.)
PRÄSIDENT DIPL.-ING. ROBL: Die Festsitzung ist geschlossen.
(Schluß der Sitzung um 10,25 Uhr.)
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