Gesunde Ernährung versus suboptimale Ernährung

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Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg
7.
Ernährung
Anna Gross, Rüdiger Jacob, Harald Michels, Andreas Schneider,
Uli Schuler, Roman Thénot, Florian Tröster
Ernährungsgewohnheiten bestimmen nicht nur das subjektive und psychische Wohlbefinden,
sondern auch den objektiven Gesundheitszustand. Leider sind diese beiden Aspekte nicht
immer problemlos miteinander vereinbar – ganz im Gegenteil: So manches liebgewonnene
Ernährungsverhalten, das Entlastungsfunktion hat und ganz wesentlich zur Steigerung der
psychischen Befindlichkeit beiträgt, kann ausgesprochen nachteilige somatische Wirkungen
entfalten. Ernährungsbedingte Krankheiten in der Bundesrepublik sind i. d. R. keine Mangelkrankheiten mehr, sondern auf Fehlernährung zurückzuführen (dies gilt auch für Vitaminmangelerkrankungen). Zu den ernährungsabhängigen Krankheiten zählen u. a. Diabetes mellitus, Gicht, Fettstoffwechselerkrankungen, Struma, Karies, Osteoporose, Hypertonie, ischämische Herzkrankheiten, Hirn- und Gefäßerkrankungen sowie bösartige Neubildungen der
Speiseröhre, der Leber, des Darms, des Magens und anderer Organe.1 Um Mißverständnisse
zu vermeiden: Die genannten Krankheiten weisen eine Vielzahl von anderen Ursachen auf, an
der jeweiligen Ätiologie können genetische Faktoren, Bewegungsmangel, Zigarettenrauch
und andere Schadstoffe beteiligt sein. „Die Definition einer Krankheit als ernährungsabhängig
setzt u. a. die Mitverursachung durch Ernährungsgewohnheiten, die Möglichkeit der Vorbeugung durch Vermeiden von Fehlernährung oder die Möglichkeit der Behandlung durch Ernährungsmaßnahmen voraus.“2
Ernährung impliziert mithin zwei Aspekte: Fehlernährung trägt zur Ausbildung bestimmter
Krankheiten bei, dem menschlichen Organismus angemessene Ernährung hat einen protektiven, gesundheitsfördernden Effekt. Dabei dient eine adäquate Ernährung nicht nur der individuellen Gesundheit, sondern ist auch volkswirtschaftlich sehr sinnvoll: „24,7% aller Kontakte
im Rahmen einer ambulanten Behandlung entfielen bei Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf ernährungsbedingte Erkrankungen. Bei der stationären Behandlung von Versicherten der GKV waren 1990/91 im Westen 23,5% aller Krankenhaustage
durch ernährungsbedingte Erkrankungen verursacht. ... 1990 führte die gesetzliche Rentenversicherung 169.594 medizinische Rehabilitationsmaßnahmen für ernährungsbedingte
Krankheiten durch. Dies waren 24,4% aller medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen.“3
1
vgl. dazu Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 1998, S. 86 ff.
2
Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 1998, S. 88.
3
Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 1998, S. 88.
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Bundesweit stellt falsche Ernährung mithin nach wie vor ein wichtiges Gesundheitsproblem
dar, wie auch erst kürzlich wieder die Auswertung von Daten des Ernährungssurveys 1998
(als Ergänzung zum Bundesgesundheitssurvey) gezeigt hat: „Die Ernährung in Deutschland
ist immer noch gekennzeichnet durch eine Überversorgung und einen zu hohen Anteil an Fett
und Alkohol. Dies führt zusammen mit einer zu geringen körperlichen Aktivität dazu, dass
Übergewicht immer noch ein großes gesundheitliches Problem darstellt. Über 50% der Frauen
und sogar fast 70% der Männer haben einen Body-Mass-Index (BMI) über 25.“4 Auf Alkoholkonsum und Übergewicht wurde schon in den Kapiteln x und xx eingegangen. Bevor im
folgenden Daten zur Ernährung aus dem Trierer Survey näher diskutiert werden, sind allerdings noch zwei Vorbemerkungen angebracht.
1. Was ist „gesunde Ernährung“?
Oder anders gefragt: Mit welchem Modell des Ernährungsverhaltens werden die Surveydaten
verglichen, um deren gesundheitliche Bedeutung einschätzen zu können? Wir orientieren uns
hier an den vergleichsweise einfachen und auch leicht zugänglichen Informationen der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE),
wie sie in Form von Broschüren z. B. von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz herausgeben werden und von den einschlägigen Institutionen des Gesundheitswesen verteilt werden.
Im Rahmen der bundesweiten Kampagne „5 am Tag – Obst und Gemüse“ liegen solche Broschüren seit dem 1. Juni 2000 auch in Lebensmittelabteilungen der Verbrauchermärkte aus.
Diese Kampagne soll dazu beitragen, den Obst- und Gemüsekonsum in Deutschland zu erhöhen und die Bundesbürger dazu zu animieren, fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag zu
essen. Zahlreiche Studien haben inzwischen gezeigt, dass regelmäßiger, täglicher Verzehr von
Gemüse- und Obst das Risiko, an verschiedenen Krebsarten, Herz-Kreislauferkrankungen,
Hypertonie, Diabetes Mellitus und Gicht zu erkranken, reduziert. Allerdings liegt der Konsum
von Obst und Gemüse in Deutschland im europäischen Vergleich zu niedrig. Während hierzulande umgerechnet 85 kg pro Person und Jahr verbraucht werden, sind es in südeuropäischen Ländern rund 170 kg.5 Generell gilt die (idealtypische) Ernährung in den südeuropäischen Ländern unter dem Kürzel „mediterrane Ernährung“ als Modell für gesundes Essverhalten.
4
Mensink, Thamm und Haas 1999, S. S205
5
vgl. dazu die Internet-Seite der Deutschen Gesellschaft für Ernährung:
http://193.174.240.225/Pages/navigation/verbraucher_infos/infos.html
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Dazu zählt der schon erwähnte Verzehr von Obst und Gemüse, nach Möglichkeit roh oder
schonend gegart. Die DGE empfiehlt, täglich ca. 200 g gekochtes, 100 g rohes Gemüse und
75 g Salat. Würde man dieser Empfehlung folgen, ergäbe dies einen Jahres-Pro-Kopf-Verbrauch an Gemüse von 140 kg. Fett sollte generell sparsam verwendet werden, pflanzliche
Öle mit einem hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren – etwa Olivenöl – sind tierischen Fetten vorzuziehen.
Darüber hinaus empfiehlt die DGE den täglichen Verzehr von Getreideprodukten, am besten
aus Vollkorn, und den häufigen Konsum von Kartoffeln. Milch und/oder Milchprodukte sollten ebenfalls täglich getrunken bzw. gegessen werden. Sparsamer sollte man dagegen mit
Fleisch und Wurst umgehen und dann fettarme Produkte (z. B. Geflügelfleisch) bevorzugen.
Außerdem sollte man auf einen niedrigen Zuckerverbrauch achten. In Jodmangelgebieten –
und die Region Trier zählt dazu – sollte man zur Prävention der Struma Jodsalz verwenden
und mindestens einmal pro Woche Fisch essen. Trinken sollte man pro Tag mindestens 1,5
Liter, am besten in Form von Mineralwasser.
Aus diesen Empfehlungen ergibt sich folgendes Profil für eine gesundheitsförderliche
Ernährung:
Tab. 7.1: Empfehlungen der DGE
täglich
mehrmals
in der Woche
seltener
Obst und Gemüse
X
Vollkornprodukte
X
Milch/ Milchprodukte
X
Mineralwasser oder zuckerfreie Säfte
X
Kartoffeln
X
Fettarme Fleischprodukte
X
Fisch
X
Süßwaren/zuckerhaltige Produkte
X
außerdem: sparsame Verwendung von pflanzlichen Ölen, Meidung tierischer
Fette, Verwendung von Jodsalz
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2. Die Messung des Ernährungsverhaltens
Die Messung des Ernährungsverhaltens in Befragungen krankt an zwei grundlegenden methodischen Problemen: Erstens wird hier ein kontinuierliches Verhalten gemessen, welches
aber in einzelnen Details (z. B. unregelmäßiger, aber zu bestimmten Zeiten höherer Konsum
stark zuckerhaltiger Produkte) größere Variationsbreiten aufweist. Die Messung erfolgt retrospektiv, d. h. Befragte müssen sich erinnern und diese, unter Umständen mental ganz anders
organisierten Erinnerungen vorgegebenen Antwortformaten anpassen. Erinnerungen sind vielfach ungenau, insbesondere kontinuierliches Verhalten wird vielfach in seiner Häufigkeit eher
geschätzt als tatsächlich gezählt, wobei zudem die Referenzperiode, an der man sich orientiert, individuell sehr unterschiedlich sein kann. Bei Ernährungsfragen wird dieses Problem
auch nicht dadurch gelöst, dass man generalisierende Begriffe wie „gewöhnlich“ oder „normalerweise“ verwendet, um deutlich zu machen, dass man an langfristigen Verhaltensmustern
interessiert ist, da für viele Befragte Zeiträume von einer bis vier Wochen die Basis für ihre
Einschätzungen darstellen. Die (bei quantitativen Befragungen aus Gründen der Vergleichbarkeit der Antworten zwingend) vorgegebenen Kategorien liefern Hinweise darauf, was als
„normal“ oder „üblich“ gilt und beeinflussen das Antwortverhalten ebenfalls.
Dies leitet über zu dem zweiten methodischen Problem, dass wir auch schon in Zusammenhang mit Alkohol- und Nikotinkonsum angesprochen haben: Gesunde Ernährung zählt zu den
sozial wünschenswerten Verhaltensweisen und dürfte auch individuell präferiert werden und
zwar wenigstens in dem ganz allgemeinen Sinn, dass sich jeder im Zweifel lieber gesund ernährt. Auch was zu gesunder Ernährung zählt, dürfte in Anbetracht einer breit gestreuten Ernährungsaufklärung in der Bundesrepublik zumindest als lexikalisches Wissen für die Mehrheit der Bevölkerung verfügbar sein. Dabei beschreibt der Terminus „lexikalisches Wissen“
Kognitionen, die bei Bedarf (etwa wenn man danach gefragt wird) abgerufen werden, aber
nicht handlungsrelevant sind. So wissen die meisten Raucher natürlich, dass Rauchen der Gesundheit abträglich ist und die meisten Menschen hierzulande wissen auch, dass der tägliche
Verzehr von Obst und Gemüse gesund, häufiger Zuckerkonsum dagegen (wenigstens für die
Zähne) ungesund ist. Wenn man nach dem Ernährungsverhalten fragt, hat man insofern immer einen gewissen, im Einzelfall aber kaum exakt zu quantifizierenden Prozentsatz von
Antworten, die an sozial wünschenswerten Normen orientiert sind.
Beide Probleme führen zu Verzerrungen bei der Messung von gesundem Ernährungsverhalten
durch Befragungen, der Anteil von Personen, der sich gesund (orientiert an oben erläutertem
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Profil) ernährt, wird durch Befragungsdaten überschätzt. Dies bedeutet umgekehrt, dass die
im folgenden vorgestellten Befunde zu ungesunden Ernährungsgewohnheiten mit hoher
Wahrscheinlichkeit das tatsächliche Ausmaß des Problems unterschätzen. In den Fragen 50
und 51 wurde nach der Häufigkeit des Verzehrs bestimmter Lebensmittel und Getränke gefragt.
Tab. 7.2: Verzehr ausgewählter Lebensmittel und Getränke (Angaben in Prozent)
62,8
38,0
60,0
34,7
75,4
25,5
27,9
mehrmals in
der Woche
29,1
30,9
27,3
25,3
12,9
28,9
58,0
27,5
44,6
25,3
2,6
0,4
19,4
4,4
1,2
2,0
0,2
44,6
29,5
63,8
8,5
10,3
4,2
25,3
42,2
30,9
47,3
48,7
47,1
2,6
8,9
1,0
43,0
39,0
48,5
täglich
Obst und Gemüse
Vollkornprodukte
Milchprodukte
Milch/ Milchgetränke
Mineralwasser
Obst-/Gemüsesaft
Kartoffeln
Fleisch/
Wurstwaren
Fisch
Süßwaren
Nudeln
Fertiggerichte
Chips o. ä.
Fast Food
seltener
nie
7,5
23,6
10,1
24,2
8,5
32,9
12,7
0,6
7,5
2,6
15,8
3,2
12,7
1,4
62,6% der Befragten achten bei ihrer Ernährung auf fettarme Nahrungsmittel, 74,1% verwenden Jodsalz.
Wenn man aus diesen Angaben entsprechend des oben dargestellten Tableaus ein dichotomes
Ernährungsprofil erstellt, ergibt sich folgende Verteilung. (Dabei ist zu berücksichtigen, dass
in die Kategorie „suboptimale Ernährung“ alle Fälle, eingruppiert worden sind, die in irgendeiner Form von dem Idealtypus vollwertiger gesunder Ernährung abweichen.)
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Tab. 7.3: Ernährungsprofil 1: Vollwertige gesunde Ernährung versus suboptimale
Ernährung
°
Vollwertige, gesunde Ernährung
Obst und Gemüse
Vollkornprodukte
Milch/ Milchprodukte
Mineralwasser
oder
zuckerfreie Säfte
Kartoffeln
Fettarme Fleischprodukte
Fisch
Jodsalz
Fettarme Ernährung
Süßwaren/ zuckerhaltige Produkte
N
täglich
täglich
täglich
täglich
täglich oder mehrmals in der Woche
mehrmals in der Woche oder seltener
täglich oder mehrmals in der Woche
ja
ja
suboptimale
rung
Ernäh-
vom Typ vollwertiger gesunder
Ernährung
in mindestens
einem Punkt abweichend
selten oder nie
15 = 3,0%
492 = 97%
Lediglich 3% der Befragten weisen ein nach eigenen Angaben optimales Ernährungsverhalten
auf, dass den Empfehlungen der DGE entspricht. Wir haben deshalb ein zweites, weniger
strenges Profil erstellt, dass wir in Abgrenzung zum vorhergehenden Idealtypus als „gesunde
Ernährung“ bezeichnet haben.
Tab. 7.4: Ernährungsprofil 2: Gesunde Ernährung versus suboptimale Ernährung
°
Obst und Gemüse
Vollkornprodukte
Milch/ Milchprodukte
Mineralwasser oder
Zuckerfreie Säfte
Kartoffeln
Jodsalz
Fettarme Ernährung
N
Gesunde Ernährung
suboptimale Ernährung
Täglich
Täglich oder mehrmals in der Woche
Täglich
vom Typ gesunder Ernährung
Täglich
in mindestens einem Punkt
abweichend
Täglich oder mehrmals in der Woche
Ja
Ja
102 = 20,1
405 = 79,9%
Wenn man die Daten, die dem zuerst vorgestellten strengen Ernährungsprofil zugrunde liegen, dichotomisiert6, lässt sich auch ein Ernährungsindex erstellen, der darüber informiert,
6
Der tägliche Konsum von Obst und Gemüse wird mit 1 codiert, ein weniger häufiger mit 0, ebenso wird bei
Vollkornprodukten verfahren. Verzehr von Süßigkeiten täglich oder mehrmals in der Woche erhält eine
Null, seltenerer Konsum eine 1, usw.
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wie viele der insgesamt 10 Aspekte vollwertiger gesunder Ernährung umgesetzt werden. Danach ergibt sich folgende Verteilung:
Tab. 7.5: Ernährungsindex
Aspekte vollwertiger,
gesunder Ernährung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
N
7
9
24
64
76
74
103
77
56
15
505
Mittelwert: 6,3
%
1,4
1,8
4,8
12,7
15,0
14,7
20,4
15,2
11,
3,0
100
Abhängig ist das Ernährungsverhalten eindeutig vom Geschlecht. 25,9% der Frauen, aber nur
11,4% der Männer ernähren sich entsprechend den Vorgaben des Ernährungsprofils 2 in Tabelle 7.6 gesund.
Tab. 7.6: Gesunde Ernährung (Ernährungsprofil 2) nach Geschlecht (Angaben in
Prozent)
Gesunde Ernährung?
Frauen
Männer
nein
74,1
88,6
ja
25,9
11,4
N = 507, Sig. = .000, Cramer´s V = .177
Der Mittelwert des Ernährungsindex liegt bei Frauen mit 6,7 signifikant höher als der der
Männer (5,7). Zudem ist das Ernährungsverhalten altersabhängig, allerdings ist die Beziehung
nicht linear. Besonders sorglos gehen die 18- bis unter 30-Jährigen mit ihrer Ernährung um,
nur 8,3% ernähren sich hier gesund. Am höchsten (und weit überdurchschnittlich) ist dieser
Anteil mit 33,3% dagegen bei den 50- bis unter 60-Jährigen (vgl. Abb. 7.1).
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Dass die jüngsten Befragten sehr sorglos mit ihrer Ernährung umgehen, zeigt auch ein Vergleich der Mittelwerte des Ernährungsindex. Bei den 18- bis unter 30-Jährigen beträgt der
Mittelwert 5,2 und liegt damit signifikant unter den Mittelwerten aller anderen Altersgruppen
(Mittelwerte zwischen 6,1 und 6,9). Ursächlich für diese Diskrepanzen sind unserer Ansicht
nach im wesentlichen zwei Gründe: Ernährungs- und Nahrungszubeitungsverhalten ist ein der
primären und frühen sekundären Sozialisation, also in der Kinder- und Jugendphase erlerntes
und habitualisiertes Verhalten und gehört zu den im späteren Leben nur schwer änderbaren
Verhaltensmustern. Dabei spielt bei der Ausbildung solcher Verhaltensmuster nicht nur das
Elternhaus eine Rolle, sondern in zunehmendem Maß auch Gruppen von Gleichaltrigen (sog.
„Peer-Groups“) und entsprechende Gelegenheits- und Angebotsstrukturen. Für die Generation
der jetzt 18- bis unter 30-Jährigen ist die (zumindest zeitweise) Berufstätigkeit beider Elternteile eine vergleichsweise häufige Erfahrung gewesen, unter anderem mit der Konsequenz,
dass es ein regelmäßiges, täglich frisch zubereitetes Mittagessen schon aus zeitökonomischen
Gründen nicht gab.
Abb. 7.1: Gesunde Ernährung (Ernährungsprofil 2) nach Altersklassen (Angaben in
Prozent)
35
33,3
30
23,3
25
22,9
18
20
15
10
8,3
5
0
18-u.30
30-u.40
40-u.50
50-u.60
60 +
N = 502, Sig. = .000 , Cramer´s V = .182
Statt dessen ist speziell diese Kohorte aber mit einem breiten Angebot von Ernährungsalternativen aufgewachsen, welches von Tiefkühl- und Fertiggerichten bis zu einer Vielzahl von
Fast-Food-Restaurants reicht. Zugespitzt formuliert: Die Generation der 18- bis unter 30-Jäh90
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rigen wurde von „Mama Miracoli“ oder „Ronald McDonald“ versorgt – und hat ihre Ernährungsgewohnheiten beibehalten, wobei die spätere eigene Berufstätigkeit und die damit verbundene subjektive Zeitknappheit zu einer weiteren Verfestigung solcher Gewohnheiten beigetragen haben dürfte. Sehr deutlich wird dies, wenn man sich die altersabhängige Verteilung
des Konsums von Fertiggerichten und von Fast-Food ansieht.
Tab. 7.7: Konsum von Fertiggerichten nach Altersklassen (Angaben in Prozent)
Fertiggerichte
täglich/ mehrmals wöch.
seltener
nie
Tab. 7.8:
18- u. 30
30- u. 40
40 – u. 50
25,0
10,0
8,8
51,0
59,0
49,5
24,0
32,0
41,7
N = 501, Sig. = .000, Gamma = .439
50 – u. 60
1,6
47,6
50,8
60 oder älter
2,6
29,9
67,5
Konsum von Fast Food nach Altersklassen (Angaben in Prozent)
30- u. 40
40 – u. 50 50 – u. 60
Fast Food
18- u. 30
täglich/mehrmals wöch.
seltener
nie
16,6
2,5
1,9
71,9
76,2
48,5
15,9
11,5
21,3
49,5
84,1
N = 501, Sig. = .000, Gamma = .776
60 oder älter
12,8
87,2
Gegenüber diesem Alterseffekt ist der Einfluss des Bildungsstatus nicht signifikant und in der
Richtung auch nicht eindeutig, wie die Ergebnisse einer zweifaktoriellen Varianzanalyse zeigen. Dabei wurde geprüft, welchen Einfluss Alter und Bildungsstatus auf den Mittelwert des
Ernährungsindex haben. Tabelle 7.9 zeigt die Mittelwerte der jeweiligen kombinierten Altersund Bildungsgruppen. Unabhängig vom Bildungsgrad ist das Ernährungsverhalten in der
jüngsten Altersgruppe - wie schon dargestellt - problematisch. Uneinheitlich ist die Situation
in den anderen Altersklassen: Bei den 50- bis unter 60-Jährigen weisen die formal am höchsten gebildeten Personen das beste, in der nächsthöheren Altersklasse dagegen das schlechteste Ernährungsverhalten auf. Bildungseffekte spielen bei dem Ernährungsverhalten in der Region mithin keine Rolle. Das Gleiche gilt für die Herkunft. Bewohner aus dem Landkreis ernähren sich nicht signifikant gesünder als Befragte aus der Stadt.
Tab. 7.9: Mittelwertvariationen des Ernährungsindex in Abhängigkeit von Altersklassen und Bildungsstatus
18 - u. 30
Kein Abschluss/
Hauptschule
5,5
Mittlere Reife
5,0
91
Fachhochschulreife/
Abitur
5,1
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30 – u. 40
40 – u. 50
50 – u. 60
60 oder älter
6,5
6,3
6,8
7,2
6,3
6,4
6,7
6,9
Sig. von F: Alter. 000, Bildung: .492
5,8
6,9
7,2
6,0
Ebenfalls nicht signifikant sind die nur geringen Unterschiede des Ernährungsverhaltens bei
übergewichtigen und nicht-übergewichtigen Personen. 65% der Befragten, die sich gesund
ernähren, sind normalgewichtig, 35% übergewichtig. In der Vergleichsgruppe der Personen
mit suboptimaler Ernährung haben 40% Übergewicht. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass
die Daten zum Ernährungsverhalten den aktuellen Status Quo widerspiegeln, während Übergewicht, sofern es auf Fehlernährung zurückzuführen ist, das Resultat eines längeren Prozesses ist. Es ist daher auch gut möglich, dass übergewichtige Personen als Reaktion auf diesen
gesundheitlichen Risikofaktor ihre Ernährung umgestellt haben. Für diese Vermutung spricht
der Umstand, das 67% der übergewichtigen Personen auf fettarme Nahrungsmittel achten,
während dies bei den Personen mit Normalgewicht nur 59% tun.
Wünschenswert wäre gerade bei den übergewichtigen Personen natürlich ein deutlich höherer
Prozentsatz von Personen, die auf fettarme Ernährung achten und sich auch ansonsten gesund
ernähren. Auch bei anderen ernährungsabhängigen Erkrankungen ist die Situation ausgesprochen unbefriedigend: Personen, die an Gicht, Diabetes oder einer Erkrankung oder Schädigung von Organen des kardiovaskulären Systems leiden (Folgen von Herzinfarkt oder
Schlaganfall, arterielle Durchblutungsstörungen der Beine, Angina Pectoris) folgen mit großer Mehrheit nicht den Empfehlungen der DGE zu gesunder Ernährung.
Tab. 7.10: Gesunde Ernährung (Ernährungsprofil 2) nach bestimmten Krankheiten
(Angaben in Prozent)
Gesunde Ernährung
nein
ja
N
Schädigungen Herz-Kreislaufsystem
82,7
17,3
110
Diabetes
73,1
26,9
26
Gicht
73,1
26,9
26
Schlussbemerkungen
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass das Ernährungsverhalten der Bevölkerung noch optimierungsbedürftig ist – und zwar auch und gerade bei Risikopatienten mit entsprechenden
Vorschädigungen. Zwar essen, wie oben dargestellt, rund 63% der Befragten nach eigener
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Angabe täglich frisches Obst und Gemüse, dies bedeutet aber umgekehrt auch, das nahezu
40% einer der zentralen Empfehlungen der DGE nicht nachkommen und mit den protektiven
Nährstoffen pflanzlicher Ernährung unterversorgt sind. Eine ausgewogene gesunde Ernährung, durch die der Körper kontinuierlich mit allen notwendigen Nährstoffen versorgt wird,
kann darüber hinaus nur einer Minderheit von höchstens 20% bescheinigt werden. Das Ernährungsverhalten wird im wesentlichen beeinflusst durch das Geschlecht und das Alter.
Offen bleibt aber die Frage, ob es sich bei den Korrelationen des Ernährungsverhaltens und
dem Alter der Befragten um einen Alters- oder um einen Kohorteneffekt handelt. Von Alterseffekten spricht man, wenn sich bestimmte Einstellungen oder Verhaltensweisen in Abhängigkeit vom Lebensalter ändern, salopp formuliert also „auswachsen“. Hinter vermuteten Alterseffekten stehen Lebensphasenmodelle, bei denen man davon ausgeht, dass Mitglieder aufeinanderfolgender Generationen in gleichen Lebensphasen auch gleiche oder vergleichbare
Entwicklungen durchmachen. Im vorliegenden Fall würde dies bedeuten, dass suboptimales
Ernährungsverhalten ein Phänomen der Jugend und des frühen Erwachsenenalters ist und mit
fortschreitendem Alter modifiziert wird. Für diese These spricht, dass Gesundheit und alle
damit zusammenhängenden Fragen dann individuell relevanter werden, wenn Gesundheit zu
einem knappen und bedrohten Gut wird.
Ein Kohorten- oder Generationseffekt liegt dann vor, wenn eine Generation z. B. in der Phase
der primären und frühen sekundären Sozialisation Faktoren ausgesetzt ist, die die Persönlichkeit in hohem Maß prägen und zu dauerhaften Einstellungen und Verhaltensweisen führen.
Ein solcher Effekt lässt sich z. B. bei Angehörigen von Kriegsgenerationen beobachten, die
aufgrund oft jahrelanger Knappheitserfahrungen eine dezidierte Sammlermentalität entwickelt
haben und Dinge nur sehr schwer wegwerfen können. Wenn das suboptimale Ernährungsverhalten der 18- bis unter 30-Jährigen auf einen Kohorteneffekt zurückzuführen ist – was in
Anbetracht der Habitualisierung von Ernährungsgewohnheiten gut möglich ist – impliziert
dies zwei Probleme: 1. Mit fortschreitendem Alter nehmen in dieser Generation ernährungsbedingte Krankheiten mit großer Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich zu. 2. Suboptimales
Ernährungsverhalten wird an die nächsten Generationen weitergegeben und zum „Normalfall“
gesellschaftlicher Ernährungsgewohnheiten, wobei mit „Normalfall“ gemeint ist, dass dieses
Modell weit verbreitet ist. Die Chance, im täglichen Leben mit anderen Ernährungstypen konfrontiert zu werden und das eigene Verhalten im Sinn eines Modellernens zu reflektieren und
gegebenenfalls zu modifizieren, werden damit sukzessive geringer.
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Diese Risiken sind unserer Ansicht nach groß genug, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, auch wenn die vorliegenden Daten eine abschließende Klärung der Frage, ob es sich
um einen Kohorten- oder einen Alterseffekt handelt, nicht erlauben. Zu solchen Maßnahmen
gehört eine gezielte und dauerhafte Ernährungsberatung und –schulung, die möglichst früh
einsetzt. Sinnvoll wäre die Etablierung eines Faches zum allgemeinen Thema „Gesundheitserziehung“ schon in der Grundschule, in dem auch Ernährungsfragen – übrigens in Form der
gemeinsamen Zubereitung von Mahlzeiten durchaus auch praktisch - behandelt werden können. Dies leitet unmittelbar zu einer zweiten Forderung über: Sinnvoll scheint uns ein flächendeckendes Angebot eines gesunden Essens in Kindergärten, Schulen und Horten zu sein.
Hier bestehen bislang noch sehr große Lücken.
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