Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg 9. Nachfrage nach medizinischen Leistungen Marco Heisel, Jan Heistrüvers, Rüdiger Jacob, Thomas Lenz, Harald Michels, Ulrike Pause, Rilana Schwill Die sogenannte Kostenexplosion im Gesundheitswesen wird im wesentlichen durch die Nachfrage nach medizinischen Leistungen durch die Patienten gesteuert, wobei man aber dazu sagen muss, dass diese auf die Preisgestaltung und -entwicklung keinen Einfluss haben und von Transparenz der Kosten und Preise bislang keine Rede sein kann.1 Die Nachfrage nach medizinischen Gütern und Dienstleistungen wiederum ist in erster Linie von den jeweiligen Morbiditätstrukturen abhängig. Die meisten Menschen gehen normalerweise nur bei akuten Beschwerden zum Arzt. Die weitaus meisten Kosten werden denn auch für kurative Maßnahmen aufgewendet. Da sich aber einige chronisch-degenerative Erkrankungen – insbesondere Krebserkrankungen – in einem fortgeschrittenen Stadium kaum noch erfolgreich therapieren lassen, haben alle Frauen ab 20 Jahre und alle Männer ab 45 Jahre außerdem Anspruch auf eine jährliche Früherkennungsuntersuchung. Der umgangssprachlich verwendete Begriff der „Vorsorgeuntersuchung“ ist sachlich falsch. Diese Untersuchungen stellen keine primärpräventive Maßnahme dar, die zur Verhinderung einer Krebserkrankung beiträgt, vielmehr soll Krebs frühzeitig diagnostiziert werden, um so die Heilungschancen zu maximieren. Da der im Vergleich eindeutig positiver besetzte Begriff der „Vorsorgeuntersuchung“ aber offenbar dazu beiträgt, mentale Schwellenängste abzubauen, wird er in der Praxis gleichwohl häufig verwendet. Entsprechend dieser Differenzierung in jährliche Routineuntersuchungen und Untersuchungen und Behandlungen aus konkretem Anlass ist das Kapitel gegliedert. Früherkennungsuntersuchungen Trotz der für die individuelle Gesundheit großen Bedeutung von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen ist die Beteiligung an diesen Untersuchungen nicht allzu ausgeprägt. „Nur 14% der berechtigten Männer und 48% der Frauen nahmen 1995 an einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung teil.“2 In Trier ist bei Männern wie bei Frauen der Anteil von Personen, die solche Untersuchungen nachfragen, deutlich höher. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die bundesweiten Zahlen insofern objektiver sind, als sie auf Abrechnungsdaten (also tatsächlich 1 vgl. dazu den 1. Gesundheitsbericht für Trier und Trier-Saarburg. 2 Statistisches Bundesamt (Hrsg.) 1998, S. 394. 98 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg erbrachten Leistungen) basieren. Die Daten für die Region stammen aus einer Befragung und sind – wie eine Reihe anderer Fragen – anfällig für sozial (und individuell) wünschenswertes Antwortverhalten. Die weitaus meisten Befragten (90,5%) halten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen grundsätzlich für wichtig (Frage 16). Dies mag in dem einen oder anderen Fall dazu geführt haben, bei der Anschlussfrage nach der persönlichen Teilnahme an solchen Untersuchungen das wünschenswerte, aber nicht das tatsächliche Teilnahmeverhalten wiedergegeben zu haben. Tab. 9.1: Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nach Geschlecht (nur anspruchsberechtigte Personen, Angaben in Prozent) Teilnahme: Frauen Männer regelmässig 71,8 48,5 unregelmässig 13,8 25,8 gar nicht 14,4 25,8 N = 395, Sig. = .000, Cramer´s V = .212 Aber auch wenn man das Problem sozial wünschenswerten Antwortverhaltens nicht berücksichtigt, sind die Beteiligungsraten suboptimal und zwar vor allem bei den Männern. Aufgrund der ungünstigeren Morbiditäts- und Mortalitätsraten bei Hoden-, Prostata- und Dickdarmkrebs im Kreis Trier-Saarburg haben wir vermutet, dass Männer aus dem Kreis in noch geringerem Maß als Männer aus der Stadt zu Früherkennungsuntersuchungen gehen. Die vorliegenden Daten erlauben leider keine abschließende Klärung dieser These. Zwar ist der Prozentsatz von Befragten aus der Stadt, die nie zu Krebsfrüherkennungsuntersuchungen gehen mit 30,2% höher als im Kreisgebiet (22,2%), dafür gehen aus dem Landkreis aber vergleichsweise weniger Personen regelmäßig (46,3% versus 51,2%) und deutlich mehr Personen unregelmäßig (31,5% versus 18,6%) zu entsprechenden Untersuchungen. Zudem sind die Unterschiede nicht signifikant (wobei allerdings auch die niedrigen Fallzahlen eine Rolle spielen dürften). Sinnvoll wäre hier mithin eine wohnortbezogene Auswertung der Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung. Einfluss auf die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen haben außerdem das Alter der Befragten und der Bildungsstatus. Befragte mit niedriger Formalbildung nehmen deutlich häufiger nicht an Früherkennungsuntersuchungen teil als Personen mit höheren Bildungsabschlüssen. 99 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg Tab. 9.2: Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nach Bildungsstatus (nur anspruchsberechtigte Personen, Angaben in Prozent) Kein Abschluss/ Mittlere Reife Fachhochschulreife/ Teilnahme: Hauptschule regelmässig 58,6 76,9 66,4 unregelmässig 19,1 13,5 17,2 gar nicht 22,2 9,6 16,4 Abitur N = 382, Sig. = . 034, Cramer´s V = .116 Tab. 9.3: Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nach Altersklassen (nur anspruchsberechtigte Personen, Angaben in Prozent) Teilnahme: 18- u. 30 30- u. 40 40 – u. 50 50 – u. 60 60 oder älter regelmässig 66,7 78,2 69,6 71,4 52,5 unregelmä- 14,0 14,1 16,5 15,9 20,3 19,3 7,7 13,9 12,7 27,1 ssig gar nicht N = 395, Sig. = .000, Cramer´s V = .155 Eine wichtige Motivation zur Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen ist die Einstufung der Bedeutung dieser sekundärpräventiven Maßnahme (Frage 16) und daneben die Einschätzung des eigenen Krebsrisikos (Frage 69). Personen, die Früherkennungsuntersuchungen als wichtig einstufen und ihr persönliches Krebsrisiko hoch einschätzen, gehen signifikant häufiger regelmäßig zu Früherkennungsuntersuchungen als andere. 100 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg Tab. 9.4: Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nach Wichtigkeit der Untersuchung (nur anspruchsberechtigte Personen, Angaben in Prozent) Früherkennungsuntersuchungen sind: Teilnahme: wichtig weniger wichtig nicht wichtig regelmässig 71,9 12,5 7,1 unregelmässig 16,9 25,0 - gar nicht 11,2 62,5 92,9 N = 394, Sig. = . 000, Gamma = .881 Tab. 9.5: Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nach Einstufung des eigenen Krebsrisikos (nur anspruchsberechtigte Personen, Angaben in Prozent) Das eigene Krebsrisiko ist: Teilnahme: hoch mäßig gering regelmässig 76,7 72,5 55,3 unregelmässig 15,0 16,3 17,7 gar nicht 8,3 11,2 27,0 N = 379, Sig. = . 000, Gamma = . 331 Gründe für die suboptimale Teilnahme (Frage 18) sind primär fehlende Informationen und ein Mangel an Auseinandersetzung mit dem Thema. Dass in der anspruchsberechtigten Bevölkerung große Informationsdefizite bestehen, zeigt neben der Nennung der entsprechenden Kategorie der vergleichsweise große Prozentsatz von Personen, die glauben, aus Altersgründen nicht betroffen zu sein. Das Eingeständnis, sich bislang nicht mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben, wie auch die Begründung, man habe die im Regelfall nur einmal jährlich durchzuführende Untersuchung bislang aus Zeitmangel nicht oder nicht regelmäßig in Anspruch nehmen können, deuten auf eine massive Verdrängung eines unangenehmen und in Teilen immer noch tabuisierten Themas hin. Diese Reaktion ist in Anbetracht der verschiedenen Aspekte einer Früherkennungsuntersuchung – Termin beim Arzt, u. U. längerer Anfahrtsweg und Wartezeit, unangenehme Untersuchung, schließlich möglicherweise die Diagnose Krebs – durchaus verständlich und nachvollziehbar – für die eigene Gesundheit aber mit einer nicht zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit kontraproduktiv, da ein zu spät 101 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg erkannter Krebs kaum noch zu therapieren ist. Dass dabei auch Angst vor der Diagnose Krebs eine wichtige Rolle spielt, zeigt der vergleichsweise hohe Prozentsatz von Personen, die dies explizit genannt haben. Informationen über Früherkungsuntersuchungen sollten deshalb stärker als bisher auf die Heilungschancen von Krebs in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Diagnose eingehen und sich auch mit den offenbar verbreiteten Ängsten und Befürchtungen vor einer solchen Diagnose wie auch vor der Untersuchung als solcher auseinandersetzen. Signifikant mehr Frauen als Männer haben als Grund für die unzureichende Teilnahme Angst angegeben. Männer sind im Gegenzug schlechter informiert, denn von den anspruchsberechtigten Männern glauben deutlich mehr Personen, aus Altersgründen nicht betroffen zu sein. Abb. 9.1.: Gründe für suboptimale Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen (Angaben in Prozent) 40 35 30 25 20 15 10 5 0 36,4 30,8 18,6 14 ge t an In fo rm ati on sm gr ün An gs de l Al ter s Ze i tm an ge em a Th in ke l 9,2 N=216 102 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg Untersuchungen und Behandlungen aus aktuellem Anlass 57,4% der Befragten waren in den 12 Monaten vor der Befragung in ambulanter Behandlung (Frage 22). Der weit überwiegende Teil, nämlich rund 40%, hat wegen einer Erkrankung der Atemwege einen Arzt aufgesucht, 20,2% der ambulanten Behandlungen wurden wegen Rükkenleiden oder Gelenkerkrankungen in Anspruch genommen und 16% wegen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems (Frage 23).3 Stationär behandelt wurden in den letzten 12 Monaten vor der Befragung 19,5% der Befragten (= 97 Personen). Dieser Prozentsatz deckt sich exakt mit den Daten der Krankenhäuser aus dem Jahr 1997. In diesem Jahr wurden 45.842 Patienten aus der Stadt Trier und dem Landkreis Trier-Saarburg in den Krankenhäusern der Region behandelt, das sind 19,5% der Gesamteinwohnerzahl der Region. Die Befragungsdaten deuten also daraufhin, dass es einen relativ zeitstabilen Prozentsatz der Nachfrage nach stationärer Behandlung gibt, wobei diese Nachfrage altersabhängig ist: Mit fortschreitendem Alter steigt der Prozentsatz von Personen, die eine Krankenhausbehandlung in Anspruch genommen haben (eine fundiertere Aussage zu zeitlichen Trends ist hierbei natürlich von der Auswertung der Krankenhausstatistiken über einen längeren Zeitraum zu erwarten). Die weitaus meisten Patienten wurden im Brüderkrankenhaus, im Mutterhaus und im Elisabeth-Krankenhaus behandelt, deutlich weniger Patienten haben dagegen eine Behandlung in einem der beiden Krankenhäuser des Landkreises nachgefragt (Frage 25). Dies dürfte primär mit dem jeweiligen Angebot der Krankenhäuser zusammenhängen. Während die beiden kleineren Häuser in Hermeskeil und Saarburg insbesondere für die akute Schwerpunktversorgung zuständig sind, werden in Trier auch die problematischeren Fälle behandelt und spezielle Fachgebiete angeboten. Insgesamt waren 80,2% der Patienten in einem Trierer Krankenhaus in Behandlung, 8,3% in einem der beiden Kliniken des Kreises und 11,5% in einem Krankenhaus außerhalb der Region Trier-Saarburg. 90% der Befragten haben einen Hausarzt (Frage 10), davon jeweils die Hälfte in der Stadt Trier (51%) und im Landkreis (49%).4 Die Wahl des Hausarztes ist eindeutig vom Wohnort abhängig. 84% der Befragten aus der Stadt haben auch einen Hausarzt mit Sitz der Praxis in der Stadt. 81% der Personen aus dem Landkreis haben einen Hausarzt im Umland von Trier. Die Daten zeigen, dass zumindest im Raum Trier das in jüngster Zeit diskutierte Hausarztmo3 vgl. dazu auch Kapitel „Morbidität“. 4 Dieser Wert entspricht damit den bundesweiten Zahlen. Im Bundesgesundheitssurvey haben ebenfalls 90% angegeben, einen Hausarzt zu haben, vgl. Bergmann und Kamtsiuris 1999. 103 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg dell bereits gängige Praxis ist – zumindest insofern, als die meisten Patienten einen Hausarzt haben. Die Daten zeigen allerdings auch, dass die mit dem Hausarztmodell verbundene „Gate-Keeper-Vorstellung“, wonach der Hausarzt zuständig ist für Überweisungen an Fachärzte, nachdem er eine objektive Diagnose gestellt hat, kaum noch zeitgemäß ist. Denn 52,8% der Befragten haben wegen einer Krankheit von sich aus mehrere Ärzte konsultiert, sich also nicht bedingungslos auf die Diagnose genau eines Arztes verlassen (Frage 11). Dies ist in Anbetracht eines gestiegenen Bildungsniveaus und einer Fülle von medizinischen Informationen, die auch und gerade an medizinische Laien gerichtet sind, auch nicht verwunderlich. Dabei dürfte auch eine Rolle spielen, dass Patienten in letzter Zeit häufiger erleben mußten, dass Ärzte mit Hinweis auf die Einsparungserfordernisse im Gesundheitswesen bestimmte Behandlungen nicht durchgeführt haben. 18% der Befragten berichten über entsprechende Erfahrungen (Frage 7). Zweifellos gibt es immer auch gute Gründe, Behandlungen, die von Patienten gewünscht werden, nicht durchzuführen oder zu verordnen, weil sie medizinisch nicht oder nicht mehr notwendig sind. In Anbetracht der gehäuft auftretenden entsprechenden Erfahrungen wird man aber davon ausgehen müssen, dass vielfach in der Tat von den Ärzten perzipierte Budgetrestriktionen und die ja durchaus nicht unbegründete Befürchtung, bei Überschreitungen des Budgets Einkommenseinbußen hinnehmen zu müssen, zu einem zurückhaltenden Umgang mit medizinisch durchaus angezeigten Therapien und Medikamenten führt – mit der möglichen Konsequenz einer schlechten medizinischen Versorgung der Betroffenen.5 Für diese Interpretation spricht eine deutliche Differenzierung der Erfahrungen mit Behandlungsverweigerungen abhängig vom Versichertenstatus. Überdurchschnittlich viele AOK-Patienten berichten über entsprechende Erfahrungen, privat versicherte Patienten sind dagegen von solchen Maßnahmen kaum je betroffen. Zwar sind die Ergebnisse nur auf dem 10%-Niveau generalisierbar (und damit nach den üblichen Konventionen nicht signifikant), eine klare Tendenz ist aber erkennbar. 5 Fallbeispiele, welche z. T. extremen Konsequenzen die Verweigerung bestimmter medizinischer Leistungen haben kann, finden sich beispielsweise in: Der Spiegel, 48/2000. 104 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg Tab. 9.6: Erfahrungen mit Budgetrestriktionen nach Versichertenstatus (Angaben in Prozent) Verweigerung bestimmter lungsmethoden? ja Behand- AOK nein Ersatzkassen Private Krankenvers. 21,4 18,3 6,8 78,6 81,7 93,2 N = 500, Sig. = .098 Schon dies sollte mithin Anlass genug sein, über die derzeitige Handhabung von Budgets (insbesondere Arzneimittelbudgets) kritisch nachzudenken. Spätestens aber, wenn sich zeigt, dass Budgets in der derzeitigen Form nicht zu einer effizienteren Mittelverwendung beitragen, ist eine Revision dieses Konzeptes dringend geboten. Unsere Daten deuten daraufhin, dass eben dieses Ziel verfehlt wird und die von Patienten als suboptimal empfundene medizinische Leistung eines Arztes zu „Ärzte-Hopping“ und damit zwangsläufig zu Mehrkosten führt. Denn 65,9% der Patienten, bei denen bestimmte Behandlungen nicht durchgeführt worden sind, haben wegen einer Krankheit mehrere Ärzte aufgesucht, in der Vergleichsgruppe der Personen ohne solche Erfahrungen waren es dagegen nur 49,9%. Diese Differenz von 15 Prozentpunkten ist unserer Ansicht nach darauf zurückzuführen, dass man sich von anderen Ärzten die Behandlung erhofft, die man bei den zunächst konsultierten Kollegen nicht erhalten hat. Tab. 9.7: Konsultation mehrerer Ärzte nach Erfahrungen mit Budgetrestriktionen (Angaben in Prozent) Verweigerung bestimmter Behandlungsmethoden? Konsultation mehrerer Ärzte? ja nein ja 65,9 49,9 nein 34,1 50,1 N = 504, Sig. = .005, Cramer´s V = .123 Insgesamt befürchten Dreiviertel der Befragten (75%), dass Einsparungen im Gesundheitswesen dazu führen, dass man künftig mit Gesundheitsbeeinträchtigungen rechnen muss (Frage 8). Die Verunsicherung der Versicherten durch das Dauerthema „Gesundheitsreform“ und die Diskussion über Rationierungsmaßnahmen ist mithin sehr groß. 105 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg Auch dabei dominieren Versicherte der GKV, während privatversicherte Befragte solche Ängste seltener artikulieren. 37,1% der Befragten haben wegen einer Krankheit neben Ärzten auch schon andere Vertreter von Heilberufen konsultiert. Dabei dominieren mit jeweils rund 20% der Nennungen Homöopathen und Heilpraktiker, gefolgt von Psychotherapeuten, mit denen 14,2% Erfahrungen haben (Frage 72). Abb. 9.2: Konsultation von alternativen Anbietern medizinischer Leistungen und Psychotherapeuten 40 35 30 25 20 15 10 5 0 37,1 20,9 20,2 14,2 t m e es a er bs th ilf In sg ru p eg An d pe n p. ra ot he 3 Se l Ps y ch pa öo Ho m He i lp r ak tik th e er n 5,3 N = 506 Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen von Homöopathen oder Psychotherapeuten (im folgenden nicht ganz korrekt zusammenfassend als „alternative medizinische Leistungen“ bezeichnet) ist abhängig vom Geschlecht und vom Alter der Befragten, außerdem auch vom Versichertenstatus. Deutlich mehr Frauen als Männer haben Behandlungen bei Heilpraktikern oder Psychotherapeuten nachgefragt. Dabei dominieren Befragte zwischen 30 und 50 Jahren, in diesen Altersklassen ist der Anteil von Patienten mit entsprechenden Therapieerfahrungen mit Abstand am höchsten. Differenziert nach Versichertenstatus sind es nicht etwa Privatpati106 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg enten, die überdurchschnittlich häufig alternative medizinische Angebote in Anspruch nehmen, sondern Versicherte der Ersatzkassen. Auch sind es nicht etwa Befragte mit Fachhochschulreife oder Abitur, die anteilig am häufigsten alternative medizinische Leistungen in Anspruch genommen haben, sondern mit 43% Befragte mit Mittlerer Reife. Tab. 9.8: Inanspruchnahme alternativer medizinischer Leistungen nach Geschlecht (Angaben in Prozent) Alternative medizinische Leistungen? Frauen Männer ja 43,9 26,7 nein 56,1 73,3 N = .507, Sig. = .000, Phi = .174 Tab. 9.9: Inanspruchnahme alternativer medizinischer Leistungen nach Altersklassen (Angaben in Prozent) Alternative medizinische 18- u. 30 Leistungen? 21,9 ja 78,1 nein 30- u. 40 40 – u. 50 50 – u. 60 60 oder älter 46,7 53,4 27,0 32,2 53,3 46,6 73,0 67,8 N = 502, Sig. = .000, Cramer´s V = .244 Tab. 9.10: Inanspruchnahme alternativer medizinischer Leistungen nach Versichertenstatus (Angaben in Prozent) Alternative stungen? ja nein medizinische Lei- AOK Ersatzkassen Private Krankenvers. 29,9 41,6 26,7 70,1 58,4 73,3 N = 501, Sig. = .022, Cramer´s V = .122 Zusammenfassend lässt sich damit die dominante Klientel von Heilpraktikern, Homöopathen und Psychotherapeuten soziodemographisch gut abgrenzen: Es handelt sich um Frauen zwischen 30 und 50 Jahren aus der Mittelschicht. 82,5% der Personen mit alternativen Therapieerfahrungen haben aus dem gleichen Anlass vorher einen Facharzt oder Hausarzt aufgesucht (Frage 74). Dies deutet darauf hin, dass auch in der Region bei gesundheitlichen Problemen zunächst ein Vertreter der Schulmedizin aufge107 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg sucht wird. Erst wenn man mit dessen Behandlungsweise oder Behandlungserfolg unzufrieden ist, wendet man sich anderen Angeboten zu (näher untersucht wird dieser Zusammenhang von Patientenzufriedenheit und Konsultationsverhalten in Kapitel 10). Medikamentation In Frage 38 wurde danach gefragt, welche Medikamente die Befragten in den letzten 12 Monaten eingenommen haben. Mit großem Abstand dominieren dabei Schmerzmittel und Mittel gegen Erkältungskrankheiten, gefolgt von Mitteln gegen Magenbeschwerden und Sodbrennen. Alle drei Medikamentengruppen beinhalten Mittel, die frei verkäuflich und teilweise auf Kassenrezept gar nicht mehr verordnet werden dürfen. Der Bereich der Selbstmedikation nimmt mithin einen großen Raum ein. Tab. 9.11: Einnahme von Medikamenten in den letzten 12 Monaten (Angaben in Prozent) Schmerzmitel 64,2 Mittel gegen Erkältungskrankheiten 57,5 Mittel gegen Magenbeschwerden/Sodbrennen 22,8 Mittel gegen Bluthochdruck 15,0 Beruhigungsmittel 11,1 Herzmittel 10,9 Schlafmittel 8,3 Abführmittel 6,7 Zytostatika 1,2 Mittel gegen Leberbeschwerden 0,6 N = 504 Bei gewissermaßen selbstverordneten Medikamenten lassen sich Alters- und Geschlechtseffekte beobachten. Frauen greifen eher zu bestimmten Medikamenten als Männer, jüngere Befragte eher als ältere. So haben 72,7% der befragten Frauen Schmerzmittel genommen, dagegen nur 51,2% der Männer. 75% der Personen zwischen 18 und 30 haben Schmerzmittel eingenommen, von den über 60-Jährigen nur noch 47,9%. 108 Regionaler Gesundheitssurvey für Trier und Trier-Saarburg Der gleiche Trend zeigt sich auch bei Mitteln gegen Erkältungskrankheiten 67,7% der jüngsten Befragten greifen hier auf Mittel aus der Apotheke zurück, aber nur 41,5% der ältesten Personen aus der Stichprobe. Die Prävalenz von chronischer Bronchitis und Influenza ist in der Stichprobe unabhänig vom Alter der Befragten, annähernd gleich große Gruppen in allen Altersklassen sind hier betroffen. Dies deutet daraufhin, dass auch Erkältungskrankheiten ubiquitäre Phänomene sind, die ältere wie jüngere Personen in gleicher Weise betreffen, damit kann dieses unterschiedliche Medikamentationsverhalten kaum auf altersspezifisch unterschiedliche Prävalenzraten von grippalen Infekten zurückzuführen sein. Möglicherweise greifen Ältere in solchen Fällen eher zu traditionellen Hausmitteln oder folgen der Erfahrung, dass ein Schnupfen mit Behandlung 2 Wochen und ohne Behandlung 14 Tage dauert und unternehmen gar nichts. Der gleiche Trend zeigt sich im übrigen auch bei der Nachfrage nach ambulanter Behandlung wegen Atemwegserkrankungen. 48,5% der jüngsten, aber nur 21,6% der ältesten Befragten haben wegen Erkrankungen der Atemwege eine Arzt aufgesucht. Interessanterweise lässt sich bei der Verwendung von Mitteln gegen Erkältungskrankheiten auch ein signifikanter Unterschied zwischen Befragten aus der Stadt und dem Landkreis beobachten: 63% der Trierer, aber nur 52% der Kreisbewohner haben Erkältungsmittel verwendet. Ansonsten gilt auch hier: Die Prävalenz von Influenza und chronischer Bronchitis unterscheidet sich in Stadt und Kreis nicht, zudem haben anteilig gleich viele Befragte aus der Stadt und dem Kreis wegen Atemwegserkrankungen einen Arzt konsultiert. Vermutlich trifft deshalb im Kreis die gleiche Interpretation zu wie bei älteren Befragten: Im Fall einer Erkältungskrankheit greift man vergleichsweise häufiger auf Hausmittel zurück oder wartet einfach die Genesung ab. Ursächlich dafür könnte die im Kreis deutlich geringere Apothekendichte sein, allerdings verfügen wir nicht über Daten, die diese Hypothese stützen könnte. 109