Kunst zur Klimakatastrophe? 1 Raimar Stange Die Anzahl der ergebnislosen Klimakonferenzen2 lässt sich kaum noch zählen, die Automobilindustrie in Europa verzeichnet seit Jahren Rekordumsätze und nicht nur in Österreich steigt, entgegen der vertraglichen Zusagen im Kyoto-Protokoll, der CO2-Ausstoss derweil scheinbar unaufhaltsam. Zwar wird derzeit über die Klimakatastrophe viel geredet, gehandelt aber wird nach wie vor leider kaum. Und auch jetzt noch gibt es Leute, die gar die Existenz eines vom Menschen gemachten Klimawandels leugnen. Kunst zur Klimakatastrophe kommt da eine wichtige Funktion zu: Als Betriebssystem, das immer noch vergleichsweise gering vom globalisierten Neoliberalismus beherrscht wird, kann es künstlerische Narrative entwickeln, die vor den Folgen der längst eingetroffenen Katastrophe warnen – seriöse Schätzungen gehen bereits von weltweit jährlich über 500.000 Toten auf Grund von Klimawandel aus.3 Außerdem kann Kunst anklagend und analysierend Schuldzusammenhänge aufzeigen und zudem sensibilisieren für ein neues, nicht auf Beherrschung und Ausbeutung konzentriertes Verhältnis zu eben nicht „unserer“ Umwelt und Natur. Eine nachhumanistische Weltsicht gilt es an die Stelle von anthropozentrischer Hybris zu setzen.4 Gerade die Kunst kann hier alternative Dispositive entwickeln. So stellte der Philosoph und Aktivist Günther Anders über „das Gebiet der Kunst“ fest: „... nur dort: im Bereich der Phantasie, hat man uns Freiheit gelassen; während man uns im Bereich der Freiheit, also der Moral, die Phantasie beschnitten hat.“5 Treffend beschrieb Anders so die perfide List der Herrschenden uns unter dem Banner der scheinbar unabdingbaren, pragmatischen „Sachzwänge“ die Möglichkeit grundlegender Veränderungen nicht einmal mehr denken zu lassen. Beispiele für solche künstlerische Narrative stehen im Zentrum der Ausstellungen „Erhöhte Temperatur“ im Salzburger Kunstverein sowie in „Weather Report“ in der Landesgalerie Linz. Die voneinander unabhängigen Ausstellungen ergänzen sich, warum es sinnvoll war, einen gemeinsamen Katalog zu erarbeiten. Präsentationen lokaler Ökologie-Aktivisten in den Ausstellungen versuchen zudem das (autonome) Feld der Kunst engagiert zu öffnen. Diese Öffnung ist keine Entscheidung gegen die Kunst – im Gegenteil: Schon die Kunsthistorikerin und Kuratorin Lucy R. Lippard schrieb: „Perhaps most important, conceptualists indicated that the most exciting ‚art‛ might still be buried in social energies not yet recognized as art.“6 Dennoch will Kunst mit dem Rekurrieren auf diese „sozialen Energien, die noch nicht als Kunst erkannt werden“ keinesfalls der Politik die Verantwortung abnehmen – im Gegenteil: Sie will der Politik klar machen, dass endlich ein schnelles, konsequentes und auch unbequemes Handeln gefordert ist, um halbwegs adäquat auf die Klimakatastrophe reagieren zu können. Und sie will, wie gesagt, helfen, an einem dazu nötigen allgemeinen Bewusstseinswandel zu arbeiten. 1 2 3 4 5 6 Den Begriff „Klimakatastrophe“ benutzte das Magazin „Der Spiegel“ bereits am 11. August 1986 (!) auf seinem Titelblatt, wo zu lesen war: „Ozon-Loch, Pol-Schmelze, Treibhaus-Effekt. Forscher warnen: Die Klimakatastrophe“ Das Ergebnis des Klimagipfel in Durban 2011, also 25 Jahre nach besagtem Spiegel-Cover, konnte enttäuschender kaum sein: Bis zum Jahre 2015 soll ein Klimaschutz-Abkommen ausgearbeitet werden, das dann 2020 in Kraft treten soll – wenn die USA und China es entgegen aller bisherigen Erfahrungen dann tatsächlich endlich unterzeichnen würden. Lese dazu: Harald Welzer, Klimakriege, Frankfurt am Main 2008. Lese dazu: Michel Serres, Der Naturvertrag, Frankfurt am Main 1994; Bruno Latour, Das Parlament der Dinge, Frankfurt am Main 2001. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, München 1988, S. 316. Lucy R. Lippard, Six Years: The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972, Berkeley, Los Angeles, London 1997, S. XXXII.