Wolfgang Wildgen Prägnanz als Grundbegriff einer dynamischen Semiotik 1. Einleitung Anlässlich einer philosophischen Tagung in Bremen zum Problem des Apriorismus (vgl. Pasternack, 1987) waren René Thom und seine Frau bei mir zu Gast, und Frau Thom stellte mir die etwas provokante Frage, weshalb ich kein Interesse an der Theorie der Prägnanz ihres Mannes zeige. Ich fühlte mich ertappt, antwortete aber, dass ich einerseits genug Probleme habe, seine Konzeption der semantischen Archetypen zu verstehen und in die linguistische Theorienlandschaft einzufügen (vgl. Wildgen, 1982), andererseits seit der Tagung in Cérisyla-Salle 1982 (vgl. Petitot, 1988) mit Laurent Mottron im Gespräch sei, dessen Dissertation eben diese Theorie der Prägnanz behandele. Im Jahre 1987 erschien dann eine komprimierte Fassung der Arbeit des Psychiaters (und Linguisten) Laurent Mottron in unserem gemeinsamen Buch (Wildgen und Mottron, 1987). Im Nachhinein wird mir klar, dass ich eine intuitive Vermeidungsstrategie verfolgt habe, denn die frühen Theorien Thoms (1970-1978) standen noch in Kontinuität zu jenen mathematischen Forschungen, die ihm die FieldsMedaille (1957) eingebracht hatten, d.h. sie konnten legitim als eine Erweiterung des Standards der mathematischen Linguistik angesehen werden (allerdings mit einem dramatischen Wechsel vom logizistischen Programm zum differentialtopologischen). Die Prägnanztheorie ist dagegen eine philosophische Entwicklung im Werdegang René Thoms, die von seinen mathematischen Arbeiten und Erfolgen nur indirekt gestützt wird, die somit in einem disziplinären Freiraum angesiedelt und damit Angriffen von allen Seiten ausgesetzt ist. Gleichzeitig ist dies, nach Peirce, der erste Versuch, eine Semiotik zu entwickeln, welche die Mathematik und die Wissenschaften der unbelebten Natur (Physik, Chemie) mit einbezieht. Die Begriffe der Prägnanz und Salienz leisten dabei die Verbindung. Es folgt daraus, dass diese Scharnier-Begriffe theoretisch sehr beladen sind und im Grunde ein Programm zur Entwicklung einer Gesamtsemiotik enthalten, das noch auszupacken, umzusetzen, zu realisieren ist. Ich will mit meiner Darstellung deshalb bei der intellektuellen Person René Thoms ansetzen und mir die Frage stellen, was ihn bewogen hat, die Fleischtöpfe der angewandten Mathematik zu verlassen und sich auf das Stoppelfeld (oder, um im Bild des Exodus aus Ägypten zu bleiben, in die Steinwüste) der Semiotik und Erkenntnistheorie zu begeben. 75885597 1/23 2. Motivationen der Prägnanztheorie René Thoms René Thom beschreibt selbst in seiner Einleitung zum Buch von Michèle Porte (Thom, 2003) die äußeren Umstände. Die Katastrophentheorie als Anwendung der Klassifikationstheoreme von Thom wurde 1968-1972 entwickelt und fand einen ersten Abschluss in seinem Buch „Stabilité Structurelle et Morphogenèse“ (erste frz. Ausgabe 1972, geschrieben 1968). Der Ansatz Thoms war im Prinzip ein naturwissenschaftlicher; die Grundlage bildete der euklidische Raum plus die Zeitdimension (also der Raum der reellen Zahlen: R4); die biologischen und linguistischen Anwendungen veränderten diese Grundvoraussetzung nicht. In der Schlussphase dieser Entwicklung (1970-1972) gesellte sich der englische Mathematiker Christopher Zeeman hinzu und stellte eine ganze Serie nicht physikalischer Anwendungen vor, die nicht auf den physikalischen Raum (+Zeit) bezogen waren, sondern in abstrakten, je nach Anwendung verschiedenen Parameter-Räumen definiert waren. Trotz des internationalen Erfolges (besonders 1972-1975) dieser Vorschläge, blieb René Thom als (aristotelischer) Realist skeptisch und die Katastrophen-Kontroverse, welche die schwierige Falsifikation und die Beliebigkeit der Parameter-Räume in Zeemans Modellen bloßstellte, konnte ihn nicht überraschen. Er zog allerdings nicht die negative Konsequenz vieler Naturwissenschaftler, sondern begab sich auf die Suche nach dem eigentlichen Raum (in Analogie zur Physik) für biologische und semiotische Prozesse1. Dieser Raum darf nicht ganz anders und ohne Bezug zum physikalischen Raum und den dort beobachteten Prozessen und Gesetzmäßigkeiten sein (er darf kein Ad-hoc-Konstrukt sein). Ein erster Schritt in die gewünschte Denkrichtung stellten physikalische Felder, d.h. translokale Wirkungen, etwa der Gravitation, des Magnetismus, des Lichtes, der chemischen Diffusion, dar. Physikalische und chemische Felder sind quasi die objektiv- naturwissenschaftlichen Bezugsgrößen für den zentralen Begriff der Prägnanz bzw. der Prägnanzdiffusion, d.h. der Wirkungsausbreitung in Raum und Zeit. Eine zweite objektiv messbare Größe stellen Salienz-Phänomene dar. Das menschliche Auge ist fähig, ein Teilspektrum magnetischer Wellen als Farbe bzw. Hell–Dunkel zu erkennen; chemische Prozesse in Rezeptorzellen der Retina wandeln unterschiedliche Frequenzbereiche in neuronale Aktivitäten um, die dann im Gehirn weiter kategorisiert werden. Im Falle der In der Einleitung (s.o.) sieht Thom Zeemans Modell-Entwürfe in der Tradition des Behaviorismus: Da die „black box“ der Kognition im Prinzip unerkennbar sei, darf man beliebige hypothetische Größen ansetzen, die sich per „trial-and-error“ bewähren müssen. Thom interessiert aber in erster Linie die Frage nach dem realen Wirkungsraum biologischer und semiotischer Prozesse. 1 75885597 2/23 Lichtquanten und –wellen, bzw. bei deren Absorption bzw. Reflexion, existiert eine Beziehung zwischen außenweltlichen (physikalischen) Prozessen und biologisch- artspezifischen Fenstern für die psychophysische Reaktion des Organismus; somit ist eine erste Verbindungsebene von Physik und Biologie gegeben. Die Expansion von Wellen entspricht der objektiven Prägnanz, die Reaktion des Organismus bestimmt die Salienz (saillance). Damit wird eine erste Überschreitung der Grenze zwischen unbelebter Natur und organischem Leben (in der Psychophysik) geleistet. Der zweite Schritt führt in die sogenannte „Semiophysik“ (vgl. Thom, 1988). Bezogen auf die Entwicklung von Thoms Ideenwelt gestaltet sich die Phase etwa ab 1978 (also dem Höhepunkt der „Katastrophen-Kontroverse“; vgl. Sussmann und Zahler, 1978). Ansatzpunkt ist Thoms Neuformulierung der ValenzHypothese Tesnières. Es ist charakteristisch, dass in der englischen Übersetzung seines Buches von 1972 („Structural Stability and Morphogenesis“ von 1975) die linguistischen Anwendungen nicht aufgenommen wurden. Insgesamt ist die zweite Phase des semiotisch ausgerichteten theoretischen Denkens René Thoms in der anglo-amerikanischen (und indirekt auch in der deutschen und nordeuropäischen) Wissenschaft kaum wahrgenommen worden. Ich werde mich im Folgenden auf die systematische Frage konzentrieren, inwiefern die klassische Semiotik in der Tradition von Peirce und die Semiologie in der Tradition von Saussure (in der Folge derjenigen von Hjelmslev, Greimas, Eco) durch die Semiophysik René Thoms eine Bereicherung oder Korrektur erfahren kann. Für die Entwicklung des Denkens René Thoms stellten die Jahre nach 1972 eine Krise dar. Er löste sich zunehmend von dem mechanistisch-instrumentellen Weltbild, das die Angewandte Mathematik und die Technik prägt, und näherte sich einer hermeneutisch-verstehenden Perspektive, ohne aber dabei den Bezug zur Naturwissenschaft aufzugeben. In gewisser Hinsicht ging er einen intellektuellen Weg, den vor ihm auch Freud, Husserl und Cassirer gegangen waren. So wie Cassirer dennoch Epistemologe der Wissenschaften und Philosoph bleibt,2 so bleibt René Thom auch in seinen Schriften zur Semiotik und Linguistik Differential-Topologe und Mathematiker. Dies befruchtete zwar seine Arbeiten, machte deren Rezeption innerhalb der Geisteswissenschaften aber schwierig (teilweise verhinderte es sogar eine adäquate Rezeption). 1950 erscheint posthum der bis 1930 reichende vierte Band „The Problem of Knowledge. Philosophy, Science, and History since Hegel“. 2 75885597 3/23 In einem Nachwort zu Bruno Pinchards Buch „La raison dédoublée“ stellt Thom ein einfaches Modell intellektueller Innovationen auf, das auf einer (asymmetrischen) Welle beruht, die unter der Voraussetzung einer zyklischen Zeit die in Abbildung 1 gezeigte Schleife erzeugt. Abbildung 1: Beschreibung der Innovationsschleife (in historischer Zeit) durch Thom, 1992. Wendet man Thoms Innovationsschleife auf seinen Werdegang an, so würde die Phase der anfänglichen Ausbreitung mit dem Briefwechsel zwischen Thom und Waddington Mitte der 60er Jahre beginnen und hätte ihren Höhepunkt im Buch „Stabilité Structurelle et Morphogenèse“ von 1972. Der Widerstand beginnt schon mit der englischen Übersetzung von 1975 (wegen der Auslassung der linguistischen Abschnitte), und die Prägnanztheorie wäre danach (ab 1978) die Restaurationsphase, in der die semiotischen und linguistischen Thesen in eine Art Orthodoxie eingefügt werden, die sich aus einer Anzahl klassischer Hypothesen von Peirce, Pavlov, Uexküll, Konrad Lorenz und anderen Theoretikern des 20. Jahrhunderts ergibt. Im Nachhinein könnte dies meine Abneigung erklären, die Prägnanztheorie zu rezipieren, nachdem ich 1979 die Bearbeitung des innovativen Impulses in Thom (1972) in meiner Habilitationsschrift bearbeitet hatte (vgl. Wildgen, 1979; Teilfassung publiziert in Wildgen, 1985). 3. Von der objektiven Prägnanz zur subjektiven Prägnanz Der Begriff Prägnanz ist bei Thom eher ein Netz von Konzepten unterschiedlicher Herkunft, das zu einem Übergriff zusammengefasst ist, der annähernd alles umfasst, was für den Menschen und die von ihm wahrgenommene Umwelt von Bedeutung, relevant und somit auch mitteilenswert ist. Man könnte sagen, dass er auf der Basisachse des Peirce’schen Zeichendreiecks den Eckpunkt „Objekt“ des Zeichens, oder Referent/Bezeichnetes, insgesamt alles, was es wert ist, bezeichnet zu werden, umfasst. Nach der Herkunft der Konzepte, die zu einem Ganzen integriert wurden, kann man insgesamt fünf Aspekte unterscheiden: a) Die objektive Prägnanz. Das Standardbeispiel ist das Licht; man kann aber auch jedes wellenartige, ein Feld konstituierende physikalische oder chemische Phänomen als Beispiel nehmen. Typisch ist, dass es eine Quelle der objektiven Prägnanz, im Sonnensystem die zentrale Sonne, gibt. Jeder Gegenstand, der sich quasi dem Feld entgegenstellt, hinterlässt eine Spur, z.B. er absorbiert und reflektiert Licht. Da sich dieser Prozess vielfach wiederholt, gibt es zu einer Quelle (z.B. der Sonne) ein ganzes 75885597 4/23 Subuniversum von Gegenständen (bewegt oder unbewegt), die über die Modifikation des Feldes differentiell markiert sind. Die objektive Prägnanz verliert ihre Kraft, sie „degeneriert“ durch die Vielzahl der Brechungen, Absorptionen, Reflexionen und es bleibt eine auf die Quelle ausgerichtete Struktur der Objektwelt übrig; deren Formen bilden die objektive Prägnanz. Bereits beim Übergang von der Physik zur Chemie, insbesondere zur Molekularbiologie, werden die niedrig-dimensionalen Formen („formes substantielles“), welche von Newton, Maxwell and Dirac (in Gesetzen) beschrieben wurden, zu einer komplexen Vielfalt ausdifferenziert, die nur gelegentlich (z.B. in den Phasengleichungen oder den Makrogrößen, wie Druck, Temperatur) eine einfache Geometrie haben. Die Beschreibungsfähigkeit der erzeugten prägnanten Formen ändert sich somit bereits grundlegend innerhalb der Wissenschaften der unbelebten Natur. b) Die subjektive Prägnanz.3 Die lebenden Formen reagieren in sehr spezifischer Weise auf Felder, wie etwa das Licht (seit der Evolution der Photosynthese). Im Falle der höher organisierten Lebewesen, z.B. der Menschen, sind es die Sinnesorgane, die objektive Prägnanzen verarbeiten und dabei innere Prägnanzen, d.h. als relevant erkannte Formen der Umwelt, zu Repräsentationen formen. Grundlegend für die Sinnesorgane sind die jeweiligen Fenster für äußere Reize; Thom spricht von „saillance“ (Salienz). Sie sind die für ein Sinnesorgan, das auf spezifische Wellen bzw. Felder (des Lichtes, des Schalls, der Düfte), auf Geschmackskonzentrationen, taktile Stoßwellen reagiert, zentrale Bestimmungsgröße. Die subjektiven Prägnanzen sind die Basis der Wahrnehmung, des Gedächtnisses und der Kognition (indirekt der Motorik). Es gibt allerdings beim Lebewesen neben diesen artspezifischen Fenstern für die objektive Prägnanz auch selbst erzeugte, mit der Selbsterhaltung und Fortpflanzung zusammenhängende Prägnanzen, d.h. das Lebewesen wird selbst zu einer Quelle von Prägnanz (wobei diese indirekt über die Evolution natürlich mit den objektiven Prägnanzen verbunden, an diese aber nicht deterministisch gebunden ist). Jedes Lebewesen hat quasi seine eigenen Prägnanzquellen, die als überlebensrelevant evolutionär ausgewählt wurden, insgesamt aber eine Freiheit besitzen, die sie deutlich von den objektiven Prägnanzen unterscheidet. Für den Menschen (und alle sich sexuell fortpflanzenden Lebewesen) sind die beiden Grundtypen der subjektiven (auch „biologisch“ genannten) Prägnanz nach Thom: 3 Im Vorwort zum Buch von Bruno Pinchard (Thom, 1992) wird dargelegt, inwiefern die Wirkung einer transzendenten Prägnanz auf die die Erzeugung des Lebens insgesamt zurückgehen könnte. Dieser Aspekt wird im Folgenden nicht weiter verfolgt. 75885597 5/23 - Appetenz bzw. Abstoßung bezüglich Umweltgrößen, die dem Selbsterhalt dienen (Essbares, Beute). Im Falle der Tiere, die gleichzeitig Beute anderer Tiere sind, gehört zur Appetenz nach Beute als Gegenkraft die Vermeidung des Jägers; zur Verfolgung der Beute, die Flucht vor dem Jäger. - Davon quasi abgeleitet gilt in der sexuellen Reproduktion die Suche nach dem Geschlechtspartner und der Konflikt mit dem Geschlechtskonkurrenten als subjektive Prägnanzquelle. Die durch die Sinnesorgane registrierten Salienzen (wahrgenommenen Formen) werden durch die subjektive Prägnanz in einen Werteraum eingebettet. Wie im Fall der objektiven Prägnanz (z.B. dem Licht), erhalten alle Formen eine wertende Kontur; man kann demnach auch sagen, die subjektive Prägnanz färbt, beleuchtet alle Salienzen und ordnet ihnen Werte in einem Prägnanzraum zu. Dieser kann z.B. folgende Dimensionen haben: attraktiv (wird aufgesucht) – nützlich – repulsiv (wird gemieden) nutzlos Als Beispiel einer Anwendung führt Thom (1992: 9) die folgende Klassifikation an: Das Nahrungsmittel : anziehend – nützlich Die Kunst : anziehend – nutzlos Das Instrument : abstoßend – nützlich Das Exkrement : abstoßend – nutzlos c) Thoms Konzeption einer subjektiven Prägnanz nähert sich dem Bedeutungsbegriff Jacob von Uexkülls (zwischen 1920 und 1930 entwickelt). Dessen klassisches Beispiel ist die Zecke. Diese klettert nach der Reifung auf ein unteres Blatt im Buschwerk und wartet auf das für sie entscheidende Signal: eine gewisse Konzentration von Buttersäure, die Warmblütler absondern. Nur dieses eine Phänomen hat für die Zecke Bedeutung und ist als subjektiv prägnante Form für ihr Überleben ausreichend. Da die Zecke sich nicht sexuell fortpflanzt, entfällt die sexuelle Prägnanzquelle4. Man sieht an diesem Beispiel, dass das Begriffspaar: „prégnance – saillance“ besonders gut auf die Erfassung sehr grundlegender Erscheinungen der Semiose abgestellt ist. 4 Es wäre eine Frage an die Evolutionstheorie, wie diese zweite Quelle der Prägnanz aus der ersten (Selbsterhaltung, Nahrungssuche) entstanden ist. Thom verweist (in Thom, 1991: 4) explizit auf von Uexküll. 75885597 6/23 d) Das Phänomen der Prägung, wie sie von Konrad Lorenz in vielen Arbeiten für Vögel nachgewiesen wurde, zeigt, wie angeborene, sehr einfache Formtypen in der ersten Erfahrung (z.B. bei der Graugans nach dem Schlüpfen aus dem Ei) ausgefüllt werden, d.h. sich anbietende Erfahrungsformen füllen eine primitive angeborene Form, die man als „Mutter-Bild“ charakterisieren könnte, aus und schaffen ein hoch-komplexes Reaktionsfeld, das genetisch nicht reproduzierbar wäre, aber in der komplexen und angepassten Form ein reiches Verhaltensrepertoire ermöglicht. Die angeborenen (fast leeren) Muster bilden artspezifische Ausprägungen der subjektiven Prägnanz, welche angebotene saliente Formen (z.B. Lorenz, der sich als Mutter-Gans anbietet) „investieren“. e) Der Reiz-Konditionierung und das Lernverhalten von Tieren (Pavlov’sches Phänomen) kann ebenfalls als Diffusion subjektiver Prägungen verstanden werden. Das Fleisch, auf dessen Erscheinen der Hund durch Speichelfluss reagiert, hat eine Grundprägnanz (s.o.). Die Assoziation mit einem Glockenton führt zu einer Übertragung der Quell-Prägnanz auf das saliente Ereignis (den Glockenton). Durch eine verstärkte Bindung kann der Glockenton die Reaktionen (z.B. Speichelfluss, Bildung von Magensekreten usw.) auslösen, die ursprünglich von der Quell-Prägnanz ausgelöst wurden. Alle beschriebenen Phänomene der subjektiven Prägnanzdiffusion hängen bereits mit der sich entwickelnden Semiose zusammen. Die subjektive Salienz betrifft sowohl die Zeichenformen als auch die Objekte, die sie bezeichnen, d.h. diese müssen als Formen von einem Hintergrund der Indifferenz abgehoben werden. Die Bindung von Zeichenform und (bezeichnetem) Objekt setzt aber die subjektive Prägnanz des Letzteren voraus; das Objekt muss für das Lebewesen bedeutsam, relevant sein. Der entscheidende Sprung zur Sprache bzw. allgemeiner zur symbolischen Form (nach Cassirer; vgl. Wildgen, 2003) betrifft die Stabilität und die Komplexität iterierter Prägnanzübertragungen. Die Zeichenform ist losgelöst von den salienten Objekten, die es bezeichnet; sie ist ein Gedächtnisanker der Prägnanzdiffusion und friert quasi das Ergebnis einer wiederholten „Zellteilung“ der QuellPrägnanz ein. Dies hat zweierlei Konsequenzen: a) Dasjenige, was Appetenz oder Vermeidung beinhaltet, kann in viele Unterarten aufgespaltet werden, worin auch die Arten der Nützlichkeit oder Überlebensrelevanz differieren. So kann die gesamte Flora und Fauna der Umwelt nach Kriterien der Essbarkeit, der medizinischen Wirkung, der instrumentellen Nützlichkeit kategorisiert 75885597 7/23 werden. Die reichen Lexika für Flora und Fauna in vielen Sammler- und JägerGesellschaften zeigen den Effekt dieser Diffraktion des Bedeutsamen auf. b) Das Handeln (in Bezug auf die Umwelt) und die soziale Interaktion können selbst einen Überlebenswert erhalten (subjektiv prägnant werden), wenn die Population als gesellschaftliche Organisation bedroht ist oder nur durch gute Organisation überleben kann. Die subjektive Prägnanz wird in einem noch relativ schlecht verstandenen Sinn zur sozialen Prägnanz. Der Kommunikationsvorgang als Zentrum der sozialen Organisation erzeugt einen sozialen Typ der Prägnanzdiffusion, insofern der Sprecher eine Prägnanz (Bedeutung) äußert, die beim Hörer wiedererzeugt werden muss. Wie schon bei der subjektiven Prägnanzdiffusion, gibt es spezielle Rezeptor-Bedingungen für die Prägnanzdiffusion. Diese sind z.B. bei der Sprache durch die gemeinsamen Sprachkenntnisse von Sprecher und Hörer gegeben. Da diese Fähigkeit durch Lernen weiter gegeben wird, spricht man von Kultur. Ich will die ganze Prägnanzthematik, die René Thom besonders seit dem Buch „Esquisse d’une Sémiophysique“ (1988) und „Apologie du Logos“ (1990) beschäftigt hat, nicht weiter ausführen. Für die Semiotik ist wichtig, dass Thom eine Bedeutungs- und Zeichentheorie skizziert hat, welche von der Physik bis zur Linguistik reicht. Seine eigene Kartierung der vielfältigen Bezüge zwischen objektiver und subjektiver Prägnanz wird in Abbildung 2 deutlich. 75885597 8/23 Abbildung 2 Objektive und subjektive Prägnanz (x) und Typen der Pränanzpropagation (y) in Thom 1983/2003: 6 Die objektiven Prägnanzen reichen von der Wärme, dem Licht, den physikalischen Felder, über die physikalischen Kräfte (kinetisches Moment) bis zu den geometrischen Formen. Sie werden auf der y-Achse durch die Art ihrer Ausbreitung in vier Bereiche unterteilt: freie Ausbreitung, kontrollierte Ausbreitung, beschränkte Ausbreitung, keine Ausbreitung. Auf der anderen Seite (rechts) stehen die subjektiven Prägnanzen: die biologisch grundlegenden, sog. Quell-Prägnanzen: Hunger, Angst, (geschlechtliche) Liebe, …, die sich frei ausbreiten können, die beschränkte Ausbreitung der Deixis und darunter die durch spezifische Codes beschränkten begrifflichen und sprachlichen Prägnanzen (Bedeutungen). Die begrifflichen Prägnanzen werden über die materiellen Qualitäten und die abstrakten Phasenräume der Physik und Chemie (siehe die Aggregatzustände von Substanzen; die globalen Parameter wie: Temperatur und Druck) an die physikalischen Prägnanzen angebunden. Die für eine dynamische Semantik wichtige Anbindung an die Naturwissenschaften wird in einem Beitrag von 1982/2003 noch deutlicher. Die Wirkung de Zeit auf die Welt, wie sie von einem Subjekt wahrgenommen wird, wird in drei Grundkategorien unterschieden: 75885597 9/23 1. Die „natürliche“ Effekte, bei denen der Beobachter weitgehend passiv bleibt (d.h. sein eigener konstruktiver Beitrag ist minimal). Sie münden in die objektive Beschreibung physikalischer Prozesse und deren technische Beherrschung. 2. Der Beobachter bewegt sich bewusst und willentlich, um das Objekt der Wahrnehmung vollständig zu erfassen. Dies führt im Endeffekt zur Konstruktion eines Wahrnehmungsraumes, wie er durch die Euklidische Geometrie exemplarisch vorgestellt wird. In diesem Raum sind dann Objekte extensional situierbar und erhalten ihre objektive Identität für den Beobachter. 3. Veränderungen in der Zeit, die sich dem Beobachter nicht natürlich anbieten, die er vielmehr als möglich oder vorstellbar konzipiert. In dieser Kategorie ist die Zeit auch reversibel, d.h. man kann sich eine Rückkehr in der Zeit vorstellen. Die vorgestellten Prozesse sind den physikalischen Gesetzen nicht streng unterworfen (ignorieren sie aber nicht vollständig). Die semantischen Felder der Begriffs- und Sprachwelt fallen in diese Kategorie; Beispiele sind Begriffe für Farben, taktile Eigenschaften, Temperatur und Gerüche. Im Prinzip gelten diese kategorialen Ebenen und Felder nur für Einzelindividuen; die evolutionär bedingten organischen und psychischen Ähnlichkeiten zwischen Menschen aber auch zwischen Menschen und anderen Säugetieren führen dazu, dass zumindest die Raumkonstruktionen (b) für Menschen und auch für höhere Tiere ähnlich ausfallen und damit eine Basis für die Handlungskoordination und die Verständigung bilden. Im Bereich (c) kann diese Ähnlichkeit nur bedingt angenommen werden; dies zeigt z.B. die große Diversität der sprachlichen Kategorisierungen. Gleichzeitig motiviert die angeführte Hierarchie von Kategorisierungs-Ebenen die Verankerung der intersubjektiv weniger zuverlässigen Kategorisierungen im Bereich (c) im Bereich (b). Dieser Effekt liegt sowohl den klassischen Ansätzen lokalistischer Semantiken (vgl. Wildgen, 1985: Kap. 1) als auch der Metapherntheorie von Lakoff und Johnson (1980) zu Grunde. Generell versucht die dynamische Semantik, die Motivationslinien von (c) nach (b) und sogar nach (a) herauszuarbeiten (vgl. Wildgen und Mottron, 1987 und Wildgen, 1999). Mit der Prägnanztheorie wird das erste Mal nach Charles Sanders Peirce, aber ohne dessen Bindung an die philosophischen Systeme von Kant und Hegel, eine wirklich allgemeine Semiotik vorgestellt. Sie teilt mit Peirce den Vorteil, dass eine mathematische, vom Autor 75885597 10/23 selbst mitgestaltete Basis zur Verfügung steht. Die Rolle, die Peirce der Relationen-Logik zumaß, erfüllt bei Thom die Differentialtopologie (im engeren Sinne die Katastrophentheorie). In Folgenden will ich speziellere Aspekte der Semiotik René Thoms erörtern, die mit seiner Prägnanztheorie zusammenhängen. 4. Ikon, Index und Symbol in der Prägnanztheorie Thom fasst das Ikon nicht absolut (d.h. ohne Relationalität) auf wie Peirce in seiner Kategorie der Erstheit; er stellt sich vielmehr die Frage, was die Ähnlichkeit, z.B. von zwei Dreiecken, ausmacht.5 Mathematisch liegt eine mögliche kontinuierliche Transformation zwischen beliebigen Dreiecken zugrunde. Das naive Urteil der Ähnlichkeit im Allgemeinen, ist allerdings weniger klar zu definieren, da z.B. beim Beobachter eine Tendenz besteht, senkrechte und waagerechte Richtungen bevorzugt (als invariant) zu behandeln (Thom, 1990: 1). Thom erklärt dies mit der besonderen Bedeutung dieser Achsen für den Beobachter, d.h. (subjektive) Prägnanzaspekte spielen bereits auf der Ebene der einfachen Formerkennung eine Rolle. Wegen der häufig feststellbaren Intransitivität der Ähnlichkeitsrelation (ä = ähnlich, AäB und BäC, aber nicht AäC) ist die mathematische Äquivalenzrelation durch eine Toleranzrelation zu ersetzen. Wegen weiterer Eigenheiten scheint eine mathematische Definition der (visuellen) Form (als Invariante) quasi ausgeschlossen. Es gibt allerdings orientierende einfache Fälle. So werden alle Formvarianten, die auf die Bewegung des Bobachters zurückführbar sind, leicht als äquivalent angesehen und diese Konstanz der Objekte unter der Prämisse der Pupillenbewegung, der Kopfbewegung und der Fortbewegung des Beobachters ist der Kern des Begriffs der Objekt-Invarianz und somit auch der Ähnlichkeit. Andere Deformationen betreffen z.B. die Veränderung von Individuen in der Zeit (das Altern). Die Ähnlichkeitskategorisierung ist von diesen prototypischen Fällen abhängig und nur im jeweiligen Bereich stabil und kognitiv zuverlässig. Der Begriff des Ikons, der auf die Ähnlichkeit aufbaut, ist demnach ebenfalls spezies-typisch und kontextabhängig. Man kann daraus schließen, dass das Ikonische keine allgemeine und sehr stabile Basis der Zeichenrelation sein kann; es hängt streng genommen vom Interpretanten und vom Typus der Objekte, die bezeichnet werden, ab. Dies stellt die hierarchische Konstruktion: Erstheit, Zweitheit, Drittheit von Peirce in Frage. Es ist aber gerade die Stärke der Thom’schen Semiotik, dass sie eine sehr fortgeschrittene Theorie der Formerkennung und 5 Peirce benützt auch das Beispiel des Dreiecks für die Erstheit; deren Gemeinsamkeit ist nicht primär eine Relation zwischen gegebenen Dreiecken, sondern eine unmittelbar gegebene Qualität: das Dreieck-Sein. 75885597 11/23 Formentstehung (Morphogenese) bereitstellt. Die Bezüge zur Computer-Modellen des Sehens hat Petitot (1992; siehe die cut-locus-Theorie) weitergeführt. Ein Teilproblem des Ikons betrifft die Trennung von Form (statisch) und Fluxus (dynamisch). Wie die Prägnanzdiskussion gezeigt hat (s.o.) erhalten die Formen ihre Salienz erst dadurch, dass sie einem (objektiven) Prägnanzfluss (z.B. dem Licht) ausgesetzt sind. Insofern erzeugt der Fluss die Form und ist ihr vorgeordnet. Ein Jäger kann seine Beute nicht nur (bei geeigneter Beleuchtung) als visuell salient erkennen6, er kann sie auch an ihren Exkrementen (oder an einer Schweiß- bzw. einer Blutspur) erkennen und verfolgen. Der Unterschied liegt in der Zeitverzögerung. Diese leitet von der ikonischen Formerkennung zur indiziellen über. Der Rauch ist ein Index des Feuers, weil er die verursachte Wirkung des Feuers ist. Die implizierte Kausalität enthält eine Zeitdifferenz, d.h. die Wirkung kann nicht vor der Ursache sein, sie ist bezüglich dieser zeitverzögert, enthält quasi ein „Gedächtnis“ der Ursache. Bei einer punktuellen Ursache, z.B. dem Blitz und dessen Wirkung, dem Donner, ist die Ursache bereits Vergangenheit, wenn die Wirkung auf einen Beobachter einsetzt. Im Sinne der Prägnanzdiffusion sind Ursachen (meist lokale) Quellen der Prägnanz; ihre Wirkung schwindet dabei mit der Distanz zur Ursache. Da Ursache und Wirkung meistens auch räumlich getrennt wahrgenommen werden, entsteht eine Lücke (ein Hiatus). Es gibt eine unsichtbare, nicht einsehbare Verbindung. Ein Index, z.B. die Spur, die ein (menschlicher) Jäger liest, ist meist nur insofern interessant als die Ursache anhält. Das gejagte Tier existiert noch zur Zeit der Spuren-Interpretation und verursacht kontinuierlich weitere Spuren. Der Mörder, dem Sherlock Holmes auf der Spur ist, produziert weitere Spuren (oder lässt sich bestenfalls vom Detektiv zur Produktion einer weiteren Spur provozieren). Die Wege, die der Gejagte in Raum und Zeit durchläuft, können deshalb anhand der Spuren rekonstruiert werden, so dass schließlich der Jäger seine Beute findet. Abbildung 3 zeigt die prototypische Index-Trajektorie. Abbildung 3: Index-Trajektorie beim Jagen einer Beute. Die Situation entspricht in etwa derjenigen, mit der im Zweiten Weltkrieg Norbert Wiener, der Gründer der Kybernetik, konfrontiert war. Obwohl zwischen der Ortung eines Flugzeuges und der Ausrichtung des Flugabwehrgeschützes wenig Zeit vergeht, muss der Schütze die Trajektorie des Zielobjektes anhand der beobachteten Flugbewegung berechnen und das 6 Das Beutetier kann sich dieser Salienz durch Tarnung entziehen. Da die Beute auch den Jäger erkennt und flieht, muss auch dieser seine Salienz reduzieren. Daraus resultiert ein Wettlauf der minimalen Salienz. 75885597 12/23 Projektil an den berechneten zukünftigen Ort schicken. Wesentlich einfacher und effektiver lässt sich aber die Aufgabe lösen, wenn das Projektil eine Spur (z.B. die Abgasfahne oder die thermische Strahlung) des Flugzeuges verfolgt, dieses einholt und auf Kontakt explodiert. Der Index hängt somit ganz eng mit der raumzeitlichen Steuerung von Bewegungen zusammen. Sobald eine Gesellschaft von Lebewesen gemeinsam im Raum (Zeit) nach Nahrung (Beute) sucht oder vor dem Jäger flieht, hat die Kommunikation die Aufgabe, die indizielle SpurenAusbeute in einen sozialen Code umzusetzen. Diese Aufgabe erfüllt nicht nur die Sprache (z.B. bei einer Wegbeschreibung), sondern auch der Tanz der Honigbiene (vgl. Wildgen, 2004: Kap. 3). Der Index erweist sich somit gerade wegen seiner technik-ähnlichen Organisation und seiner Bedeutung für die soziale Handlungskoordination als ein Angelpunkt der Semiose. Der Index hat in Bezug auf die Prägnanzdiffusion häufig einen negativen Charakter. So mag sich ein Flüchtender bemühen, seine Spur zu vermischen oder einen Weg (durch das Bachbett) zu gehen, wo die Spur nicht lange bleibt; der Mörder benützt Handschuhe um Fingerabdrücke zu vermeiden. Indizielle Zeichen sind somit die nicht vermeidbaren, gerade nicht als Botschaft gedachten Zeichen. Dass Peirce auch die Zeigegeste als Index bezeichnet, ist im Hinblick auf das Gesagte eher befremdlich, da hier ja eine Zeichenintention vorliegt. Man könnte am ehesten die Zeigegesten mit anderen unvollständigen, abgebrochenen Handlungsansätzen als einen Teil der Geste des Greifens und somit als die Spur eines nichtvollzogenen (zurückgenommenen, vermiedenen) Handelns begreifen. Die eigentliche Sinnzuweisung wäre dann aber eine symbolische. In einem Text von 1981 nimmt Thom die folgende Unterscheidung zwischen Ikon, Index und Symbol vor (Thom, 1981/2003: Mathématique et Sémiotique): - Wenn die zeitliche Komponente des symbolischen Verweises null ist (d.h. der Verweis geschieht im Augenblick der Kopräsenz von Zeichen und Objekt), liegt ein Ikon im strikten Sinne vor. - Wenn die zeitliche Komponente negativ ist und der Verweisvektor des Zeichens in Richtung Vergangenheit zeigt, liegt ein Index vor. - Wenn die zeitliche Komponente positiv ist, das Zeichen im Prinzip auf ein zukünftiges (bezeichnetes) Objekt verweist, liegt ein Symbol vor. 75885597 13/23 Das Symbol (im Gebrauch bei Thom, der sich an Peirce orientiert) beinhaltet also eine Finalität, Zielgerichtetheit; es verweist auf ein geplantes, gewünschtes, mögliches Tun. Thom veranschaulicht diese Sicht, indem er sagt, das Kind sei Symbol des Erwachsenen, der aus ihm wird, der Erwachsene dagegen sei Index des Kindes, das er war. Das Merkmal der Arbitrarität, das Saussure (teils auch Peirce) in den Mittelpunkt rückt, hängt mit der Vielzahl der Wege (kausalen Linien), die zwei Ereignisse zu unterschiedlichen Zeiten verbinden, zusammen. Gerade im Falle der Projektion in eine mögliche Zukunft ist das Wegebündel besonders dicht und damit von geringer Wahrscheinlichkeit (einzeln somit von großer Information). Die scheinbare Arbitrarität ist nur eine Folge dieser geringen Wahrscheinlichkeit (und hohen Information). Das Symbolische ist außerdem etwas, das charakteristisch zum Leben (nicht zur unbelebten Natur) gehört. Vorraussetzung ist der geschlossene Kreis des Organischen (abgegrenzt vom unendlichen Feld des Materiellen). Die biologische Prägnanz des Lebendigen wird ihrerseits als Quelle für die Bedeutungszuweisung der materiellen Zeichenformen genützt; diese werden damit zu sekundären Quellen der subjektiven Prägnanz. Die materielle Welt wird zum Ort lokaler (subjektiver) Prägnanzen, die dort „objektiv“ wiederfindbar sind, d.h. die Subjektivität wird durch die mit Prägnanz infizierte materielle Welt stabil organisiert. - Die objektive Prägnanz (vgl. das Licht) ist der Ausgangspunkt sowohl der Objektkonturen und -grenzen als auch der Salienz in der Wahrnehmung (die allerdings bereits in ihrer Selektivität und ihrem Profil von der subjektiven Prägnanz geprägt ist). - Die subjektive Prägnanz (siehe Appetenzen, Prägung, Lernen) wird in der Semiose auf die materielle Welt projiziert, durch deren Wahrnehmung und durch die objektgebundene Gedächtnisleistung subjektiv und kollektiv stabilisiert, d.h. die Semiose prägt der materiellen Welt die subjektive Prägnanz auf und nutzt sie als externen Speicher und als kollektiven Bezug des Subjektiven. 5. Testfall: Sprache und Kunst Der Prägnanztheorie Thoms könnte man eine Übergeneralisierung etablierter Theorie-Module (perzeptuelle Prägnanz, Prägung, konditioniertes Reizverhalten) und damit eine Art Entgrenzung (unkontrollierte Prägnanzdiffusion) vorwerfen. Darauf könnte Thom erwidern, dass gerade dies die Aufgabe des Theoretikers über Disziplingrenzen hinweg, ja des Philosophen sei, und er könnte auf Aristoteles als den Vater des erfolgreichen Sammelns und 75885597 14/23 Generalisierens von Wissen in einer Phase des rapiden Wissenszuwachses verweisen.7 Dennoch muss der Nachweis der Fruchtbarkeit solchen Generalisierens erbracht werden (wenn nicht von ihm selbst, so doch von denjenigen, die seine Vorschläge aufgreifen). Dieser Nachweis kann kaum ein Jahrzehnt nach der Ausarbeitung und Vollendung der Gedankenwelt Thoms noch nicht vollständig erbracht werden.8 Es liegen allerdings eine große Anzahl von Anwendungen vor. Ich werde zwei Felder, die sprachliche Semiotik (Sprachtheorie) und die ästhetische Semiotik (Kunstsemiotik), knapp kommentieren. 5.1 Die Sprach-Semiotik Die Sprach- und Grammatiktheorie, die sich aus den innovativen Ansätzen René Thoms ergibt, wurde in Wildgen (1999: in Französisch) ausführlich dargestellt. Ich werde deshalb nur einige zentrale Aspekte hervorheben und dabei besonders die erst in Thom (2003) zugänglichen Manuskripte als Bezugspunkt nehmen. Die linguistischen Fragen Thoms beziehen sich auf zwei Grundprobleme: a) Die Beschränkungen der Valenz des Verbs, d.h. die maximale Komplexität der sogenannten Kernsätze (einfachster Aussagesätze mit einem Hauptverb). Linguistisch baut Thom auf Einsichten von Lucien Tesnière auf und bringt sie in Verbindung mit physikalisch-mathematischen Grundgesetzen (der Phasenregel von Gibbs bzw. den Parkettierungs-Theorem von Lebesgue). In diesem Bereich liegt der Einsatz des Klassifikationstheorems von Thom, der das Rückgrat der Katastrophentheorie ausmacht. Diese Theorie ist in Wildgen (1982 und 1985) ausführlich behandelt und weiter differenziert worden. Der Bezug zu Eulers Polyeder-Formel und zu Gibbs’ Phasengesetz wurde in Wildgen (1994) dargestellt. b) Die zweite Linie betrifft die Hierarchie der Spezies und Arten. Anknüpfend an die aristotelische Logik und Metaphysik, entwickelt Thom ein Modell der Grenzentstehung und der Spezies-Bildung, das er 1988 in dem Buch: „Esquisse d’une Semiophysique“ detailliert ausführt. Die darauf aufbauende Theorie der Salienz und Prägnanz wurde Seit Thom (1988) versteht er sich manchmal als ein „Aristoteles redevives“. Vgl. als Arbeiten der Fortführung der Ideen Thoms, Wildgen (1982, 1985, 1994, 1999), Wildgen und Mottron (1987) sowie Publikationen von Per Aage Brandt und Jean Petitot. 7 8 75885597 15/23 bereits dargestellt. Linguistisch führt dieser Ansatz zu einer Prototypentheorie in der lexikalischen Semantik.9 Da die einzelnen Modellbildungen hier nicht detailliert beschrieben und bewertet werden können, bleibt festzuhalten, dass für ein zentrales Problem der Lexikologie (und lexikalischen Semantik) ein origineller, mit zeitgenössischen Theorieentwicklungen in der Linguistik kompatibler Modellentwurf entstanden ist, der allerdings eindeutig semantik-orientiert ist und deshalb für syntax- oder pragmatik-orientierte Modelle vorerst wenig attraktiv erscheint. 5.2 Die Kunst-Semiotik Eine Ästhetik nach morphodynamischen Prinzipien hat Thom in verschiedenen Beiträgen seit etwa 1981 (La danse comme sémiurgie) und 1984 (L’art, lieu du conflit des formes et des forces) entwickelt. Jean Petitot hat seine eigenen Anwendungen zur Ästhetik in einem Buch: Morphologie et esthétique (Petitot, 2004) zusammengefasst. Ich will kurz die Anwendung des Prägnanzbegriffes in diesen drei Werken kommentieren. In seiner Untersuchung des Tanzes als ästhetischer Form macht Thom klar, dass das Zeichen (der Tanzfigur) nicht in zwei Aspekte (nach Saussure): signifiant und signifié geteilt werden kann. Das Zeichen ist selbstbezüglich, signifiant und signifié fallen zusammen. Das eigentlich Repräsentierte ist vielmehr jene Dynamik, welche das Objekt des Zeichens (das gleichzeitig das Subjekt der Zeichenerzeugung ist) im Kunstwerk „komprimiert“; d.h. das generative Feld des ästhetischen Zeichens ist, das was dargestellt wird, nicht ein äußeres Objekt, ein externer Sachverhalt. In seiner Abgeschlossenheit, Autonomie gegenüber der äußeren Welt ist das Kunstwerk in gewisser Hinsicht mit dem biologischen Organismus vergleichbar. Die in der Wahrnehmung saliente Gestalt einer Tanzfigur, einer Melodie, eines Bildes wird von der individuellen Prägnanz des schöpferischen Individuums „ausgefüllt“. Dazu scheinen zwei Bedingungen notwendig zu sein. Zum einen muss die künstlerische Form einen klaren Rahmen haben: die Bühne für den Tanz, der Bild-Rahmen (oder gar der Raum, in dem es hängt) für das Gemälde. Zum anderen sollen die verschiedenen Teilformen des Kunstwerkes in eine dynamische Interaktion treten, die eine extrem komplexe Singularität darstellt und damit nicht einfach (z.B. mit Worten) zu bezeichnen ist (in der Poesie ergibt sich daraus ein Konflikt zwischen der ästhetischen Aussage des Textes und der kodifizierten Grammatik). Thom schreibt: 9 Vgl. zur Anwendung in der lexikalischen Semantik meine frühen Arbeiten (Wildgen, 1981 und 1983). 75885597 16/23 « Je serais tenté de croire que c’est précisément le caractère indicible, ineffable de cette structure dynamique mentalement entrevue qui est à l’origine du sentiment de la beauté. » (Thom, 1981 : 11) In Thom (1984) wird die Hypothese einer evolutionären Regression oder Aufhebung der semiotischen Fixierung in der Sprache aufgestellt (vgl. dazu Wildgen, 2004: Kap. 6). Die sprachliche Begriffsbildung erfordert eine strikte Kanalisierung und Fixierung von Prägnanzen (als Ergebnis der Prägnanzaufspaltung). In der Kunst versucht der Mensch gegen den Fluss dieser Fixierung zu den eigentlichen Quellen der Bedeutungen (Prägnanzfeldern) zurückzufinden; die Kunst entschleiert quasi die ursprüngliche Semiosis und ist somit das Instrument einer die symbolischen Fixierungen transzendierenden Erkenntnis. Die jeweiligen Materialien der Kunst (Farben, plastische, musikalische Formen, Tanzfiguren) sind, wie das menschliche Gedächtnis, geeignete, stabile Bedeutungsträger. Sie erlauben es dem Menschen, sich von der primitiven Faszination der Dinge zu befreien. Während René Thom nur kurz Beispiele gibt, bemüht sich sein Schüler Jean Petitot in einer Serie von Teilstudien (zu Goethe, Lessing, Lévi-Strauss, Kant, Valéry, Husserl, Eco, Proust, Stendhal; siehe den Untertitel des Werkes) um eine detaillierte Anwendung der morphologischen Methode. Er geht wieder auf die gestalt-theoretischen Grundlagen des Prägnanzbegriffes zurück und führt dazu den Begriff der Nicht-Generizität (oder Instabilität unter Variation) ein. Diese liefert unserem Wahrnehmungssystem ein immanentes Kriterium für künstlerische Kompositionen. Er spricht (ibidem: 57) von signifikativen und pertinenten (räumlichen, zeitlichen) Strukturen, die durch die Nicht-Generizität markiert sind. Diese morphologische Information dient als Basis für interpretative Prozesse und konstituiert damit eine Morphologie des Sinnes („morphologie du sens“; vgl. auch Petitot, 2003). Insgesamt spielt allerdings Thom’s Prägnanztheorie im Gegensatz zu früheren Arbeiten Petitots (z.B. Petitot, 1985) keine große Rolle.10 Es hat den Anschein, als sei für Petitot der Beitrag René Thoms hinter denen von Kant, Goethe, Lessing, Husserl zurückgetreten. Es bleibt immerhin ein mathematisch formulierbarer Rest des Gestalt-Kriteriums erhalten, der an Thom anknüpft. Die konkreten Analysen zur Ästhetik aktualisieren dagegen eher die rhetorische Tradition bei Greimas (das semiotische Quadrat) und sind für unser Thema nicht relevant. 10 Da kein Stichwortverzeichnis existiert, konnte ich die Frequenz der Verweise nicht exakt prüfen; ich fand aber keine auffällige, zentrale Verwendung der Begriffe „prégnance“, „saillance“ bei meiner Lektüre. Es werden auch keine Arbeiten Thoms zur Kunst zitiert (nur drei Standardwerke). 75885597 17/23 6. Erweiterung und Bewertung der morphodynamischen Prägnanztheorie Ein Schwachpunkt der Prägnanztheorie ist die Beschränktheit der Prägnanzquellen; sie gehören insgesamt in den Bereich, den man traditionell mit dem problematischen Begriff Instinkt, hauptsächlich bezogen auf Selbsterhaltung und Fortpflanzung, bezeichnet hat. Die Anreicherung geschieht bei Thom eher negativ durch den Verlust klarer Kanalisierungen und Grenzen, durch „Prägnanzdiffusion“. In Anbetracht der Stabilität und Effizienz menschlicher Darstellungs- und Verstehensmuster bleibt eine solche Erklärung ex negativo unbefriedigend. Außerdem ist auffallend, dass religiöse Systeme der letzten Jahrtausende (seit Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam) ganz charakteristisch auf eine Beherrschung, Begrenzung, ja manchmal gar eine Aufhebung dieser Prägnanzen in der Askese, den Verzicht drängen.11 Auch die sinnliche Salienz, das Angebot an Reizen wird häufig reduziert, eingegrenzt. Es scheint also, als läge ein Konflikt vor zwischen dem was höhere (spätere) Kulturen für relevant, der menschlichen Kultur zuträglich ansehen, und den Prägnanzquellen, die Thom anführt. Welche andere Quelle wird aber in der Negation von Nahrungs-Appetenz und sexueller Begierde sichtbar? Gibt es eine zusätzliche neue Quelle der Prägnanz, die konträr zu diesen Quellen ist und liegt sie der Evolution menschlicher Kulturen zu Grunde? Meine Überlegungen sind ganz vorläufig, aber das Ungenügen der quasi-behavioristischen Basis der Prägnanztheorie Thoms ist dennoch deutlich. Die Thom’schen Prägnanzen sind in erster Linie auf den anderen Körper (Mensch, Tier, Pflanze) gerichtet, der gesucht oder gemieden wird (Beute oder Jäger, Sexualpartner oder Rivale). Das sich ab den höheren Primaten entwickelnde Selbstbild (vgl. die sogenannte „theory of mind“), die sich etablierende Relation von Ego und Alter, die Austauschprozesse und Gleichgewichte, haben jedoch die Konstitution von Medialität als Zwischenebene verändern den Wahrnehmungs- und Handlungsraum beim Menschen grundlegend verändert. Erinnerung und Imagination schaffen eine zeitliche Multiplizität nicht nur des Anderen (gestern, heute, morgen), sondern auch des Selbst (der eigenen Entwicklung, der Vorfahren, der Nachkommen). Die zeitliche und räumliche Anreicherung führt zu einer natürlichen Neubestimmung der Quellprägnanzen, d.h. nicht nur Ernährung jetzt, sondern auch in der planbaren Zukunft; sexuelle Partnerschaft nicht nur im Augenblick, sondern in einer 11 Vgl. Strauss, 1924: 94 ff. 75885597 18/23 investierbaren Zukunft. Diese Vertiefung in Zeit und Raum ist aber nur das erste Stadium. Die zuerst auf einen äußeren Stimulus, der als prägnant auserwählt wird, gerichtete Reaktion kann sich von diesem Gegebenen ablösen (z.B. durch das Bewusstsein der Beständigkeit der Ressource in der Zeit) und auf das Selbst (Ego), eventuell ein ideelles (vorgestelltes) Alter Bezug nehmen. In Begriffen der Chaos-Theorie tritt ein selbstbezüglicher Zyklus auf,12 der dazu tendiert den äußeren Stimulus zu bleichen oder gar auszulöschen und dafür die im Selbst latent vorhandene Prägnanzen (Eigen-Attraktoren) in den Mittelpunkt zu stellen. Die in sehr alten Kulturschichten Indiens (vor der Migration der indoeuropäischen Beölkerungen) begründeten Yoga-Techniken und die späteren buddhistischen Lehren der Aufhebung von Durst und Begierde, der Indifferenz der Überschreitung aller Grenzen könnte als Indiz für das Vorhandensein dieser selbstreferentiellen Dynamik gelten. Dieser Aspekt ist in unserem Zusammenhang nur insofern wichtig, als er zeigt, dass eine den behavioristischen Prägnanzen konträre Aufhebung konstitutiv für viele höhere Kulturformen ist und deshalb eine Kraft, eine Formbildungsmacht darstellt, das zur Erklärung der Bedeutungswelten in menschlichen Kulturen und der zu ihnen gehörenden Sprachen und anderen symbolischen Formen notwendig ist. Die Entfaltung eines Lexikons für die Fauna und Flora kann man sich noch als eine kontrollierte Entfaltung der Nahrungs-Prägnanz vorstellen. Sie ist instrumentell für das sichere und komplexe Erlernen der Ausbeutung von Umweltressourcen nützlich, macht aber selbst noch keine Sprache aus.13 Offensichtlich muss der Mensch sich zusätzlich noch von dieser kategorialen Differenzierung lösen können, um eine soziale (zwischen Ego und Alter in vielfachen Differenzierungen vermittelnde) Intelligenz und Kompetenz zu erwerben, die über die tierischen Instinkte (die weiterhin relevant bleiben) hinausweist. Zwei Richtungen lassen sich unterscheiden: - Der Bezug auf sich selbst, das eigene Leben (als erinnerte Instanz), das eigene Denken und Fühlen; damit wird das eigene Innenleben zur Prägnanzquelle. - Der Bezug auf eine Vielfalt von Anderen, die man als zu sich selbst analog begreift, wobei dieser „Andere“ Tiere, Pflanzen, ja selbst Naturkräfte (Geister) mit umfassen kann. 12 Die Entwicklung der sogenannten Spiegel-Neuronen ab den Primaten könnte der Auslöser oder aber die Vermittlungsinstanz des selbstbezüglichen Prozesses gewesen sein (vgl. Rizzolatti und Arbib, 1998, und Wildgen, 2004). 13 Auch Bären und andere Allesfresser müssen ihren Jungtieren eine große Vielfalt von Kategorien der verwertbaren und zu vermeidenden Umweltaspekte in gedrängter Zeit vermitteln und tun dies ohne Sprache. 75885597 19/23 Ich kann an dieser Stelle die strukturelle Lücke der Prägnanztheorie Thoms nicht ausfüllen; mit Cassirer könnte man diese Lücke als Desiderat einer Kulturtheorie der symbolischen Formen bezeichnen. Cassirer entwickelt jedoch noch keine klare Vorstellung der Gesetze einer solchen Kulturdynamik, ihrer Morphogenese im Sinne Thoms. Ich werde deshalb im Folgenden eine Bewertung der Prägnanztheorie vornehmen, welche von der kulturtheoretischen Lücke absieht. Für Ansätze zu einer Kulturdynamik siehe auch Bax, Heusden und Wildgen (2004). Die Semiotik der „saillance“ und „prégnance’’ stellt einen mutigen Integrationsversuch dar, bei dem Aspekte der Thermodynamik (Prägnanzdiffusion), der physikalischen Feldtheorie, der Wahrnehmungspsychologie (und -physiologie), der biologischen Bedeutungstheorie (von Uexküll), der Prägnanztheorie (Lorenz) und der Reflex- bzw. Lerntheorie (Pavlov) in einer abstrakten, mathematisch fundierten Konzeption zusammengeführt werden. Dass dabei sowohl begriffliche Kohärenzprobleme als auch Probleme der Konkretisierung in Anwendungen auftreten, ist für jeden interdisziplinär Arbeitenden nicht erstaunlich. Meine Reserviertheit bezüglich dieser Theorie in den 80er Jahren hatte mit den vorhersehbaren Schwierigkeiten ihrer Umsetzung in ein konkrete empirisches Forschungprogramm zu tun. Allerdings teile ich nicht die (implizite) Ablehnung dieser Theorie in Petitot (2004) und die Rückkehr zu Goethe und Lévi-Strauss. Petitots Versuch einer Reintegration der mathematischen Aspekte in die laufende Naturalisierungs-Debatte der Neurowissenschaften ist allerdings verdienstvoll. Ganz im Sinne von Thoms Bemerkungen zur Ästhetik mag man bedauern, wenn zur begrifflich-instrumentellen Konkretisierung der Theorie auf viele innovative, gegen den Strom gedachte Elemente verzichtet wird. Die Faszination der oft spekulativen Beiträge René Thoms ergibt sich gerade aus deren Ungebundenheit, Freiheit. Man könnte sogar weitergehen und eine Ästhetik der Wissenschaft fordern, in der in Freiheit Innovationspotentiale getestet werden können. Die Semiotik als institutionell nicht fest verankerte Disziplin sollte es sich leisten, der wissenschaftlichen Kreativität einen besonders großen Spielraum einzuräumen14 und wäre somit eine geeignete Vorstufe zu einer Ästhetik der Wissenschaften. Richtig fruchtbar kann Thoms Prägnanztheorie dennoch erst werden, wenn die obengenannten Teil-Ansätze nicht nur in einer losen Begriffsbildung, sondern in einem Forschungsdesign mit praktikablen Methoden und operationalen Begrifflichkeiten 14 Man kann auf die relative Freiheit aufgrund der disziplinären Offenheit der Semiotik auch dadurch reagieren, dass man sich in doktrinäre Schulen spaltet, die einen der semiotischen Ahnherren (Peirce, Saussure, Morris, Hjelmslev, Greimas) als Leitfigur und damit als Rahmen vorgeben. Diese Strategie hat die letzten Jahrzehnte der Semiotik beherrscht. 75885597 20/23 zusammengeführt werden. Diese Aufgabe muss erst noch bewältigt werden, damit Thoms Denkansätze wissenschaftliche Realität gewinnen. 75885597 21/23 Bibliographie Bax, Marcel, Barend van Heusden and Wolfgang Wildgen (Eds.), 2004. Semiotic Evolution and the Dynamics of Culture, Lang, Bern. Brandt, Peer Aage, 1992. La charpente modale du sens. 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