Auswahl des Brünner Stadtarchivs

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Erster Aufzug
Ein Arbeitszimmer, dessen Wände mit Bildern behängt sind. In der
Hinterwand befindet sich rechts [Fußnote] die Tür zum Vorplatz und links die
Tür zu einem Wartezimmer. In der rechten Seitenwand vorn führt eine Tür ins
Wohnzimmer. An der linken Seitenwand vorn steht der Schreibtisch, auf dem
aufgerollte Pläne liegen; neben dem Schreibtisch an der Wand ein Telephon.
Rechts vorn ein Diwan, davor ein kleinerer Tisch; in der Mitte, etwas nach
hinten, ein größerer Tisch. Büchergestelle mit Büchern; Musikinstrumente,
Aktenbündel und Noten.
Der Marquis von Keith sitzt am Schreibtisch, in einen der Pläne vertieft. Er ist
ein Mann von ca. 27 Jahren: mittelgroß, schlank und knochig, hätte er eine
musterhafte Figur, wenn er nicht auf dem linken Beine hinkte. Seine markigen
Gesichtszüge sind nervös und haben zugleich etwas Hartes; stechende graue
Augen, kleiner blonder Schnurrbart, das widerborstige, kurze, strohblonde
Haar sorgfältig in der Mitte gescheitelt. Er ist in ausgesuchte gesellschaftliche
Eleganz gekleidet, aber nicht geckenhaft. Er hat die groben roten Hände eines
Clown.
Molly Griesinger kommt aus dem Wohnzimmer und setzt ein gedecktes
Tablett auf das Tischchen vor dem Diwan. Sie ist ein unscheinbares brünettes
Wesen, etwas scheu und verhetzt, in unscheinbarer häuslicher Kleidung, hat
aber große, schwarze, seelenvolle Augen.
Molly So, mein Schatz, hier hast du Tee und Kaviar und kalten Aufschnitt. Du bist ja
heute schon um neun Uhr aufgestanden.
v. Keith ohne sich zu rühren Ich danke dir, mein liebes Kind.
Molly Du mußt gewaltig hungrig sein. Hast du denn jetzt Nachricht darüber, ob der
Feenpalast auch zustande kommt?
v. Keith Du siehst, ich bin mitten in der Arbeit.
Molly Das bist du ja immer, wenn ich komme. Dann muß ich alles, was dich und
deine Unternehmungen betrifft, von deinen Freundinnen erfahren.
v. Keith sich im Sessel umwendend Ich kannte eine Frau, die sich beide Ohren zuhielt,
wenn ich von Plänen sprach. Sie sagte: Komm und erzähl mir, wenn du etwas
getan hast!
Molly Das ist ja mein Elend, daß du schon alle Arten von Frauen gekannt hast. Da es
klingelt Du barmherziger Gott, wer das wieder sein mag! Sie geht auf den Vorplatz
hinaus, um zu öffnen.
v. Keith für sich Das Unglückswurm!
Molly kommt mit einer Karte zurück Ein junger Herr, der dich sprechen möchte. Ich
sagte, du seist mitten in der Arbeit.
v. Keith nachdem er die Karte gelesen Der kommt mir wie gerufen!
Molly läßt Hermann Casimir eintreten und geht ins Wohnzimmer ab.
Hermann Casimir ein fünfzehnjähriger Gymnasiast in sehr elegantem Radfahrkostüm
Guten Morgen, Herr Baron.
v. Keith Was bringen Sie mir?
Hermann Es ist wohl am besten, wenn ich mit der Tür ins Haus falle. Ich war gestern
abend mit Saranieff und Zamrjaki im Café Luitpold zusammen. Ich erzählte, daß
ich durchaus hundert Mark nötig hätte. Darauf meinte Saranieff, ich möchte mich
an Sie wenden.
v. Keith Ganz München hält mich für einen amerikanischen Eisenbahnkönig!
Hermann Zamrjaki sagte, Sie hätten immer Geld.
v. Keith Zamrjaki unterstützte ich, weil er das größte musikalische Genie ist, das seit
Richard Wagner lebt. Aber diese Straßenräuber sind doch wohl kein schicklicher
Umgang für Sie!
Hermann Ich finde diese Straßenräuber interessant. Ich kenne die Herren von einer
Versammlung der Anarchisten her.
v. Keith Ihrem Vater muß es eine erfreuliche Überraschung sein, daß Sie Ihren
Lebensweg damit beginnen, sich in revolutionären Versammlungen
herumzutreiben.
Hermann Warum läßt mich mein Vater nicht von München fort!
v. Keith Weil Sie für die große Welt noch zu jung sind!
Hermann Ich finde aber, daß man in meinem Alter unendlich mehr lernen kann,
wenn man wirklich etwas erlebt, als wenn man bis zur Großjährigkeit auf der
Schulbank herumrutscht.
v. Keith Durch das wirkliche Erleben verlieren Sie nur die Fähigkeiten, die Sie in
Ihrem Fleisch und Blut mit auf die Welt gebracht haben. Das gilt ganz speziell
von Ihnen, dem Sohn und einstigen Erben unseres größten deutschen
Finanzgenies. – Was sagt denn Ihr Vater über mich?
Hermann Mein Vater spricht überhaupt nicht mit mir.
v. Keith Aber mit andern spricht er.
Hermann Möglich! Ich bin die wenigste Zeit zu Hause.
v. Keith Daran tun Sie unrecht. Ich habe die finanziellen Operationen Ihres Vaters
von Amerika aus verfolgt. Ihr Vater hält es nur für gänzlich ausgeschlossen, daß
irgend jemand anders auch noch so klug ist wie er. Deshalb weigert er sich auch
bis jetzt noch so starrköpfig, meinem Unternehmen beizutreten.
Hermann Ich kann es mir mit dem besten Willen nicht denken, wie ich einmal an
einem Leben, wie es mein Vater führt, Gefallen finden könnte.
v. Keith Ihrem Vater fehlt einfach die Fähigkeit, Sie für seinen Beruf zu interessieren.
Hermann Es handelt sich in dieser Welt aber doch nicht darum, daß man lebt,
sondern es handelt sich doch wohl darum, daß man das Leben und die Welt
kennenlernt.
v. Keith Der Vorsatz, die Welt kennenzulernen, führt Sie dazu, hinterm Zaun zu
verenden. Prägen Sie sich vor allen Dingen die allergrößte Hochschätzung für
die Verhältnisse ein, in denen Sie geboren sind! Das schützt Sie davor, sich so
leichten Herzens zu erniedrigen.
Hermann Durch meinen Pumpversuch, meinen Sie? Es gibt doch wohl aber höhere
Güter als Reichtum!
v. Keith Das ist Schulweisheit. Diese Güter heißen nur deshalb höhere, weil sie aus
dem Besitz hervorwachsen und nur durch den Besitz ermöglicht werden. Ihnen
steht es ja frei, nachdem Ihr Vater ein Vermögen gemacht hat, sich einer
künstlerischen oder wissenschaftlichen Lebensaufgabe zu widmen. Wenn Sie
sich dabei aber über das erste Weltprinzip hinwegsetzen, dann jagen Sie Ihr
Erbe Hochstaplern in den Rachen.
Hermann Wenn Jesus Christus nach diesem Weltprinzip hätte handeln wollen...!
v. Keith Vergessen Sie bitte nicht, daß das Christentum zwei Drittel der Menschheit
aus der Sklaverei befreit hat! Es gibt keine Ideen, seien sie sozialer,
wissenschaftlicher oder künstlerischer Art, die irgend etwas anderes als Hab und
Gut zum Gegenstand hätten. Die Anarchisten sind deshalb ihre geschworenen
Feinde. Und glauben Sie ja nicht, daß sich die Welt hierin jemals ändert. Der
Mensch wird abgerichtet, oder er wird hingerichtet. Hat sich an den Schreibtisch
gesetzt Ich will Ihnen die hundert Mark geben. Zeigen Sie sich doch auch mal bei
mir, wenn Sie gerade kein Geld nötig haben. Wie lange ist es jetzt her, daß ihre
Mutter starb?
Hermann Drei Jahre werden es im Frühling.
v. Keith gibt ihm ein verschlossenes Billet Sie müssen damit zur Gräfin Werdenfels
gehen, Brienner Straße Nr. 23. Sagen Sie einen schönen Gruß von mir. Ich
habe heute zufällig nichts in der Tasche.
Hermann Ich danke Ihnen, Herr Baron.
v. Keith geleitet ihn hinaus; indem er die Tür hinter ihm schließt Bitte, war mir sehr
angenehm. – Darauf kehrt er zum Schreibtisch zurück; in den Plänen kramend Sein
Alter traktiert mich wie ein Hundefänger. – – Ich muß möglichst bald ein Konzert
veranstalten. – Dann zwingt ihn die öffentliche Meinung, sich meinem
Unternehmen anzuschließen. Im schlimmsten Fall muß es auch ohne ihn gehen.
– – Da es klopft Herein!
Anna verwitwete Gräfin Werdenfels tritt ein. Sie ist eine üppige Schönheit von 30 Jahren.
Weiße Haut, Stumpfnase, helle Augen, kastanienbraunes, üppiges Haar.
v. Keith geht ihr entgegen Da bist du, meine Königin! – Ich schickte eben den jungen
Casimir mit einem kleinen Anliegen zu dir.
Anna Das war der junge Herr Casimir?
v. Keith nachdem er ihr flüchtig die dargereichten Lippen geküßt Er kommt schon wieder,
wenn er dich nicht zu Hause trifft.
Anna Der sieht seinem Vater aber gar nicht ähnlich.
v. Keith Lassen wir den Vater Vater sein. Ich habe mich jetzt an Leute gewandt, von
deren gesellschaftlichem Ehrgeiz ich mir eine flammende Begeisterung für mein
Unternehmen verspreche.
Anna Aber vom alten Casimir heißt es allgemein, daß er junge Schauspielerinnen
und Sängerinnen unterstützt.
v. Keith Anna mit den Blicken verschlingend Anna, sobald ich dich vor mir sehe, bin ich
ein anderer Mensch, als wärst du meines Glückes lebendiges Unterpfand. –
Aber willst du nicht frühstücken? Hier ist Tee und Kaviar und kalter Aufschnitt.
Anna nimmt auf dem Diwan Platz und frühstückt Ich habe um elf Uhr Stunde. Ich
komme nur auf einen Moment. – Die Bianchi sagt mir, ich könne in einem Jahr
die erste Wagnersängerin Deutschlands sein.
v. Keith zündet sich eine Zigarette an Vielleicht bist du auch in einem Jahr schon
soweit, daß sich die ersten Wagnersängerinnen um deine Protektion bemühen.
Anna Mir soll's recht sein. Mit meinem beschränkten weiblichen Verstande sehe ich
allerdings nicht ein, auf welche Weise es mit mir gleich so hoch hinaus soll.
v. Keith Das kann ich dir im voraus auch nicht erklären. Ich lasse mich einfach
willenlos treiben, bis ich an ein Gestade gelange, auf dem ich mich heimisch
genug fühle, um mir zu sagen: Hier laßt uns Hütten bauen!
Anna Dabei hast du in mir jedenfalls den treuesten Spießgesellen. Ich habe seit
einiger Zeit vor lauter Lebenslust manchmal Selbstmordgedanken.
v. Keith Der eine raubt es sich, und der andere bekommt es geschenkt. Als ich in die
Welt hinauskam, war mein kühnstes Hoffen, irgendwo in Oberschlesien als
Dorfschulmeister zu sterben.
Anna Du hättest dir damals wohl schwerlich träumen lassen, daß dir München
einmal zu Füßen liegen werde.
v. Keith München war mir aus der Geographiestunde bekannt. Wenn ich mich
deshalb heute auch nicht gerade eines makellosen Rufes erfreue, so darf man
nicht vergessen, aus welchen Tiefen ich heraufkomme.
Anna Ich bete jeden Abend inbrünstig zu Gott, daß er etwas von deiner
bewundernswürdigen Energie auf mich übertragen möge.
v. Keith Unsinn, ich habe gar keine Energie.
Anna Dir ist es aber doch einfach Lebensbedürfnis, mit dem Kopf durch die Wände
zu rennen.
v. Keith Meine Begabung beschränkt sich auf die leidige Tatsache, daß ich in
bürgerlicher Atmosphäre nicht atmen kann. Mag ich deshalb auch erreichen,
was ich will, ich werde mir nie das Geringste darauf einbilden. Andere Menschen
werden in ein bestimmtes Niveau hineingepflanzt, auf dem sie ihr Leben lang
fortvegetieren, ohne mit der Welt in Konflikt zu geraten.
Anna Du bist dagegen als abgeschlossene Persönlichkeit vom Himmel gefallen.
v. Keith Ich bin Bastard. Mein Vater war ein geistig sehr hochstehender Mensch,
besonders was Mathematik und so exakte Dinge betrifft, und meine Mutter war
Zigeunerin.
Anna Wenn ich nur wenigstens deine Geschicklichkeit hätte, den Menschen ihre
Geheimnisse vom Gesicht abzulesen! Dann wollte ich ihnen mit der Fußspitze
die Nase in die Erde drücken.
v. Keith Solche Fertigkeiten erwecken mehr Mißtrauen, als sie einem nützen.
Deshalb hegt auch die bürgerliche Gesellschaft, seit ich auf dieser Welt bin, ein
geheimes Grauen vor mir. Aber diese bürgerliche Gesellschaft macht, ohne es
zu wollen, mein Glück durch ihre Zurückhaltung. Je höher ich gelange, desto
vertrauensvoller kommt man mir entgegen. Ich warte auch tatsächlich nur noch
auf diejenige Region, in der die Kreuzung von Philosoph und Pferdedieb ihrem
vollen Wert entsprechend gewürdigt wird.
Anna Man hört wirklich in der ganzen Stadt von nichts mehr sprechen als von
deinem Feenpalast.
v. Keith Der Feenpalast dient mir nur als Sammelplatz meiner Kräfte. Dazu kenne
ich mich viel zu gut, um etwa von mir vorauszusetzen, daß ich nun zeit meines
Lebens Kassenrapporte revidieren werde.
Anna Was soll denn dann aber aus mir werden? Glaubst du vielleicht, ich habe Lust,
bis in alle Ewigkeit Gesangsunterricht zu nehmen? Du sagtest gestern noch, daß
der Feenpalast speziell für mich gebaut werde.
v. Keith Aber doch gewiß nicht, damit du bis an dein Lebensende auf den
Hinterpfoten tanzt und dich von Preßbengeln kuranzen läßt. Du hast nur etwas
mehr Lichtpunkte in deiner Vergangenheit nötig.
Anna Einen Stammbaum kann ich allerdings nicht aufweisen, wie die Frauen von
Rosenkron und von Totleben.
v. Keith Deshalb brauchst du noch auf keine von beiden eifersüchtig zu sein.
Anna Das hoffe ich sehr! Welcher weiblichen Vorzüge wegen sollte ich denn auf
irgendeine Frau eifersüchtig sein?
v. Keith Ich mußte die beiden Damen als Vermächtnis meines Vorgängers mit der
Konzertagentur übernehmen. Sobald ich meine Stellung befestigt habe, mögen
sie mit Rettichen hausieren oder Novellen schreiben, wenn sie leben wollen.
Anna Ich bin um die Schnürstiefel, in denen ich spazierengehe, besorgter als um
deine Liebe zu mir. Weißt du auch, warum? Weil du der rücksichtsloseste
Mensch bist und weil du nach nichts anderem in dieser Welt als nur nach
deinem sinnlichen Vergnügen fragst! Deshalb würde ich auch, wenn du mich
verläßt, wirklich nichts anderes als Mitleid mit dir empfinden können. Aber sieh
dich vor, daß du nicht vorher selber verlassen wirst!
v. Keith Anna liebkosend Ich habe ein wechselvolles Leben hinter mir, aber jetzt
denke ich doch ernstlich daran, mir ein Haus zu bauen; ein Haus mit möglichst
hohen Gemächern, mit Park und Freitreppe. Die Bettler dürfen auch nicht fehlen,
die die Auffahrt garnieren. Mit der Vergangenheit habe ich abgeschlossen und
sehne mich nicht zurück. Dazu ging es zu oft um Leben und Tod. Ich möchte
keinem Freunde raten, sich meine Laufbahn zum Muster zu nehmen.
Anna Du bist allerdings nicht umzubringen.
v. Keith Dieser Eigenschaft verdanke ich in der Tat auch so ziemlich alles, was ich
bis jetzt erreicht habe. – Ich glaube, Anna, wenn wir beide in zwei verschiedenen
Welten geboren wären, wir hätten uns dennoch finden müssen.
Anna Ich bin allerdings auch nicht umzubringen.
v. Keith Wenn uns die Vorsehung auch nicht durch unsere märchenhaften
Geschmacksverwandtschaften füreinander bestimmt hätte, das eine haben wir
doch jedenfalls miteinander gemein...
Anna Eine unverwüstliche Gesundheit.
v. Keith setzt sich neben sie und liebkost sie Soweit es Frauen betrifft, sind mir nämlich
Klugheit, Gesundheit, Sinnlichkeit und Schönheit unzertrennliche Begriffe, aus
deren jedem sich die anderen drei von selbst ergeben. Wenn dieses Erbteil sich
in unsern Kindern potenziert...
Sascha ein dreizehnjähriger Laufbursche in galoniertem Jackett und Kniehosen, tritt vom
Vorplatz ein und legt einen Armvoll Zeitungen auf den Mitteltisch.
v. Keith Was sagt der Kommerzienrat Ostermeier?
Sascha Der Herr Kommerzienrat gaben mir einen Brief mit. Er liegt bei den
Zeitungen. Geht in das Wartezimmer ab.
v. Keith hat den Brief geöffnet Das danke ich dem Zufall, daß du bei mir bist! Liest »...
Ich habe mir von Ihrem Plane schon mehrfach erzählen lassen und bringe ihm
ein lebhaftes Interesse entgegen. Sie treffen mich heute mittag gegen zwölf Uhr
im Café Maximilian...« Das gibt mir die Welt in die Hände! Jetzt kann der alte
Casimir meine Rückseite besehen, wenn er noch mitkommen will. Mit diesen
Biedermännern im Bunde bleibt mir auch meine Alleinherrschaft unangetastet.
Anna hat sich erhoben Kannst du mir tausend Mark geben?
v. Keith Bist du denn schon wieder auf dem trocknen?
Anna Die Miete ist fällig.
v. Keith Das hat bis morgen Zeit. Mache dir deswegen nicht die geringste Sorge
darum.
Anna Wie du meinst. Graf Werdenfels prophezeite mir auf seinem Sterbebette, ich
werde das Leben noch einmal von der allerernstesten Seite kennenlernen.
v. Keith Hätte er dich etwas richtiger eingeschätzt, dann wäre er vielleicht sogar
selbst noch am Leben.
Anna Bis jetzt hat sich seine Prophezeiung noch nicht bewahrheitet.
v. Keith Ich schicke dir das Geld morgen mittag.
Anna während v. Keith sie hinausgeleitet Nein, bitte nicht; ich komme selber und hole
es.
Die Szene bleibt einen Augenblick leer. Dann kommt Molly Griesinger aus dem Wohnzimmer
und räumt das Teegeschirr zusammen.
v. Keith kommt vom Vorplatz zurück.
v. Keith ruft Sascha! – Nimmt eines der Bilder von der Wand Das muß mir über die
nächsten vierzehn Tage hinweghelfen!
Molly Du hoffst also immer noch, daß die Wirtschaft so fortgehen kann?
Sascha kommt aus dem Wartezimmer Herr Baron?
v. Keith gibt ihm das Bild Geh hinüber zu Tannhäuser. Er soll den Saranieff ins
Fenster stellen. Ich gebe ihn für dreitausend Mark.
Sascha Sehr wohl, Herr Baron.
v. Keith In fünf Minuten komme ich selber. Warte! Er nimmt vom Schreibtisch eine
Karte, auf der »3000 M.« steht, und befestigt sie unter dem Rahmen des Bildes
Dreitausend Mark! – Geht zum Schreibtisch Ich muß nur vorher rasch noch einen
Zeitungsartikel darüber schreiben.
Sascha mit dem Bilde ab.
Molly Wenn sich bei der Großtuerei nur auch einmal eine Spur von reellem Erfolg
sehen ließe!
v. Keith schreibend »Das Schönheitsideal der modernen Landschaft.«
Molly Wenn dieser Saranieff malen könnte, dann brauchte man nicht erst
Zeitungsartikel über ihn zu schreiben.
v. Keith sich umwendend Wie beliebt?
Molly Ich weiß, du bist wieder mitten in der Arbeit.
v. Keith Wovon wolltest du reden?
Molly Ich habe einen Brief aus Bückeburg.
v. Keith Von deiner Mama?
Molly sucht den Brief aus der Tasche und liest »Ihr seid uns jeden Tag willkommen. Ihr
könnt die beiden Vorderzimmer im dritten Stock beziehen. Ihr könnt dann in
Ruhe abwarten, bis eure Verhandlungen in München zum Abschluß gelangen.«
v. Keith Siehst du denn aber nicht ein, mein liebes Kind, daß du durch solche
Schreibereien meinen Kredit untergräbst?
Molly Wir haben morgen kein Brot auf dem Tisch.
v. Keith Dann speisen wir im Hotel Continental.
Molly Da bringe ich nicht einen Happen hinunter vor Angst, daß uns der
Gerichtsvollzieher derweil unsere Betten versiegelt.
v. Keith Der überlegt sich das noch. Warum lebt in deinem Köpfchen kein anderer
Gedanke als Essen und Trinken! Du könntest dich deines Daseins so unendlich
mehr erfreuen, wenn du etwas mehr Würdigung für seine Lichtseiten hättest. Du
hegst eine unbezähmbare Liebhaberei für das Unglück.
Molly Ich finde, du hegst diese Liebhaberei für das Unglück! Anderen Menschen fällt
ihr Lebensberuf zu leicht, sie brauchen mit keinem Gedanken daran zu denken.
Dafür existieren sie eins fürs andere in ihrem behaglichen Heim, wo ihrem Glück
nichts in die Quere kommt. Und du, bei all deinen Geistesgaben, wirtschaftest
wie ein Rasender auf deine Gesundheit ein, und dabei ist tagelang nicht ein
Pfennig im Haus.
v. Keith Aber du hast doch noch jeden Tag satt zu essen gehabt! Daß du nichts für
Toiletten ausgibst, ist wahrhaftig nicht meine Schuld. Sobald dieser
Zeitungsartikel geschrieben ist, habe ich dreitausend Mark in der Hand. Dann
nimm eine Droschke und kauf alles zusammen, worauf du dich im Augenblick
besinnen kannst.
Molly Der bezahlt dir für das Bild so gewiß dreitausend Mark, wie ich mir
deinetwegen seidene Strümpfe anziehe.
v. Keith erhebt sich unwillig Du bist ein Juwel!
Molly fliegt ihm an den Hals Habe ich dir weh getan, mein Herz? Verzeih mir, bitte!
Was ich dir eben sagte, das ist meine heiligste Überzeugung.
v. Keith Wenn das Geld auch nur bis morgen abend reicht, dann werde ich das
Opfer schon nicht zu bedauern haben!
Molly heulend Ich wußte, wie häßlich es von mir war. Schlag mich doch nur!
v. Keith Der Feenpalast ist nämlich so gut wie gesichert.
Molly Dann laß mich wenigstens deine Hand küssen. Ich beschwöre dich, laß mich
deine Hand küssen.
v. Keith Wenn ich nur noch einige Tage meine Haltung bewahren kann.
Molly Auch das nicht! Wie kannst du so unmenschlich sein!
v. Keith zieht die Hand aus der Tasche Es wäre doch vielleicht nachgerade Zeit, daß
du mit dir zu Rate gehst, sonst kommt die Erleuchtung plötzlich von selbst.
Molly seine Hand mit Küssen bedeckend Warum willst du mich denn nicht schlagen?
Ich habe es mir doch so redlich verdient!
v. Keith Du betrügst dich um dein Lebensglück mit allen Mitteln, die eine Frau zu
ihrer Verfügung hat.
Molly springt empört auf Bilde dir doch nicht ein, daß ich mich durch deine
Courmachereien in Schrecken jagen lasse! Uns beide umschlingt ein zu festes
Band. Wenn das einmal reißt, dann halte ich dich nicht mehr; aber solange du im
Elend bist, gehörst du mir.
v. Keith Das wird dir zum Verhängnis, Molly, daß du mein Glück mehr fürchtest als
den Tod. Wenn ich morgen die Arme frei habe, dann hältst du es nicht eine
Minute mehr bei mir aus.
Molly Dann ist ja alles gut, wenn du das weißt.
v. Keith Ich bin aber in keinem Elend!
Molly Erlaube mir nur so lange, bis du die Arme frei hast, noch für dich zu arbeiten.
v. Keith setzt sich wieder an den Schreibtisch Tue, was du nicht lassen kannst! Du
weißt, daß mir an einer Frau nichts unsympathischer ist, als wenn sie arbeitet.
Molly Um deinetwillen mache ich noch keinen Affen und keinen Papagei aus mir.
Wenn ich mich an den Waschtrog stelle, statt halbnackt mit dir auf Redouten zu
fahren, so werde ich dich damit wohl nicht zugrunde richten.
v. Keith Dein Starrsinn hat etwas überirdisches.
Molly Das glaube ich, daß das deine Kapazität übersteigt!
v. Keith Wenn ich dich auch begriffe, damit wäre dir leider noch nicht geholfen.
Molly triumphierend Ich brauche es dir auch nicht auf die Nase zu binden, aber ich
gebe es dir schwarz auf weiß, wenn du willst! Ich verdiente ja mein Lebensglück
nicht, wenn ich mir dir gegenüber den geringsten Zwang antäte und mich besser
geben wollte, als ich von Gott geschaffen worden bin – weil du mich liebst!
v. Keith Das ist doch selbstverständlich.
Molly triumphierend Weil du ohne meine Liebe nicht leben kannst! Hab darum auch
nur die Arme frei, soviel du willst! Ob ich bei dir bleibe, das hängt davon ab, ob
ich dir von deiner Liebe für andere Weiber etwas übriglasse! Die Weiber sollen
sich aufdonnern und dich vergöttern, soviel es ihnen Vergnügen macht; das
spart mir die Komödien. Du hängtest dich lieber heute als morgen an deine
Ideale; das weiß ich recht gut. Käme es je dazu – aber das hat noch gute Wege!
–, dann will ich mich lebendig begraben lassen.
v. Keith Wenn du dich nur wenigstens des Glückes erfreuen wolltest, das sich dir
bietet!
Molly zärtlich Aber was bietet sich mir denn, mein süßer Schatz? Das war doch in
Amerika auch immer dieser Schrecken ohne Ende. Alles scheiterte immer an
den letzten drei Tagen. In Sankt Jago wurdest du nicht zum Präsidenten gewählt
und wärst um ein Haar erschossen worden, weil wir an dem entscheidenden
Abend keinen Brandy auf dem Tische hatten. Weißt du noch, wie du riefst:
»Einen Dollar, einen Dollar, eine Republik für einen Dollar!«
v. Keith springt wütend auf und geht zum Diwan Ich bin als Krüppel zur Welt
gekommen. Sowenig wie ich mich deshalb zum Sklaven verdammt fühle,
sowenig wird mich der Zufall, daß ich als Bettler geboren bin, je daran hindern,
den allerergiebigsten Lebensgenuß als mein rechtmäßiges Erbe zu betrachten.
Molly Betrachten dürfen wirst du den Lebensgenuß, solange du lebst.
v. Keith An dem, was ich dir hier sage, ändert nur mein Tod etwas. Und der Tod
traut sich aus Furcht, er könnte sich blamieren, nicht an mich heran. Wenn ich
sterbe, ohne gelebt zu haben, dann werde ich als Geist umgehen.
Molly Du leidest eben einfach an Größenwahn.
v. Keith Ich kenne aber noch meine Verantwortung! Du bist als fünfzehnjähriges
unzurechnungsfähiges Kind, von der Schulbank weg, mit mir nach Amerika
durchgebrannt. Wenn wir uns heute trennen und du bleibst dir selbst überlassen,
dann nimmt es das denkbar schlimmste Ende mit dir.
Molly fällt ihm um den Hals Dann komm doch nach Bückeburg! Meine Eltern haben
ihre Molly seit drei Jahren nicht gesehen. In ihrer Freude werfen sie dir ihr
halbes Vermögen an den Kopf. Und wie könnten wir zwei zusammen leben!
v. Keith In Bückeburg?
Molly Alle Not hätte ein Ende!
v. Keith sich losmachend Lieber suche ich Zigarrenstummel in den Cafés zusammen.
Sascha kommt mit dem Bild zurück Der Herr Tannhäuser sagt, er kann das Bild nicht
ins Fenster stellen. Der Herr Tannhäuser haben selbst noch ein Dutzend Bilder
von dem Herrn Saranieff.
Molly Das wußte ich ja im voraus!
v. Keith Dafür bist du ja bei mir! – Geht zum Schreibtisch und zerreißt das Schreibpapier
Dann brauche ich doch wenigstens den Zeitungsartikel nicht mehr darüber zu
schreiben!
Sascha geht, nachdem er das Bild auf den Tisch gelegt, ins Wartezimmer.
Molly Diese Saranieffs, siehst du, und diese Zamrjakis, das sind Menschen von
einem ganz anderen Schlag als wir. Die wissen, wie man den Leuten die
Taschen umkehrt. Wir beide sind eben nun einmal zu einfältig für die große
Welt!
v. Keith Dein Reich ist noch nicht gekommen. Laß mich allein. – Bückeburg muß
sich noch gedulden.
Molly da es auf dem Korridor läutet, klatscht schadenfroh in die Hände Der Herr
Gerichtsvollzieher!
Sie eilt, um zu öffnen.
v. Keith sieht nach der Uhr Was läßt sich dem Glück noch opfern...?
Molly geleitet Ernst Scholz herein Der Herr will mir seinen Namen nicht nennen.
Ernst Scholz ist eine schmächtige, äußerst aristokratische Erscheinung von etwa
siebenundzwanzig Jahren; schwarzes Lockenhaar, spitzgeschnittener Vollbart, unter starken
langgezogenen Brauen große wasserblaue Augen, in denen der Ausdruck der Hilflosigkeit
liegt.
v. Keith Gaston! – Wo kommst du her?
Scholz Dein Willkomm ist mir eine gute Vorbedeutung. Ich bin so verändert, daß ich
voraussetzte, du werdest mich überhaupt kaum wiedererkennen.
Molly will das Frühstücksgeschirr mit hinausnehmen, fürchtet aber, nach einem Blick auf
Scholz, dadurch zu stören und geht ohne das Geschirr ins Wohnzimmer ab.
v. Keith Du siehst etwas verlebt aus; aber das Dasein ist wirklich auch keine
Spielerei!
Scholz Für mich am allerwenigsten; deshalb bin ich nämlich hier. Und ich komme
nur deinetwegen nach München.
v. Keith Dafür danke ich dir; was die Geschäfte von mir übriglassen, gehört dir.
Scholz Ich weiß, daß du schwer mit dem Leben zu kämpfen hast. Nun ist es mir aber
ganz speziell um deinen persönlichen Verkehr zu tun. Ich möchte mich gern auf
einige Zeit deiner geistigen Führung überlassen, aber nur unter der einen
Bedingung, daß du mir dafür erlaubst, dir mit meinen Geldmitteln zu Hilfe zu
kommen, soweit du es brauchen kannst.
v. Keith Aber wozu denn das? Ich bin eben im Begriff, Direktor eines ungeheuren
Aktienunternehmens zu werden. Und dir geht es also auch ganz gut? Wir haben
uns, wenn mir recht ist, vor vier Jahren zum letztenmal gesehen.
Scholz Auf dem Juristenkongreß in Brüssel.
v. Keith Du hattest kurz vorher dein Staatsexamen absolviert.
Scholz Du schriebst damals schon für alle erdenklichen Tagesblätter. Erinnerst du
dich vielleicht zufällig noch der Vorwürfe, die ich dir deines Zynismus wegen auf
dem Balle im Justizpalais in Brüssel machte?
v. Keith Du hattest dich in die Tochter des dänischen Gesandten verliebt und gerietst
in Wut über meine Behauptung, daß die Frauen von Natur aus viel materieller
veranlagt sind, als wir Männer es durch den reichlichsten Genuß jemals werden
können.
Scholz Du bist mir auch heute noch, wie während unserer ganzen Jugendzeit,
geradezu ein Ungeheuer an Gewissenlosigkeit; aber – du hattest vollkommen
recht.
v. Keith Ein schmeichelhafteres Kompliment hat man mir in diesem Leben noch nicht
gemacht.
Scholz Ich bin mürbe. Obschon ich deine ganze Lebensauffassung aus tiefster
Seele verabscheue, vertraue ich dir heute das für mich unlösbare Rätsel meines
Daseins an.
v. Keith Gott sei gelobt, daß du dich aus deinem Trübsinn endlich der Sonne
zuwendest!
Scholz Ich schließe damit nicht etwa eine feige Kapitulation. Das letzte Mittel, das
einem selbst zur Lösung des Rätsels freistellt, habe ich umsonst versucht.
v. Keith Um so besser für dich, wenn du das hinter dir hast. Ich sollte während der
Kubanischen Revolution mit zwölf Verschwörern erschossen werden. Ich falle
natürlich auf den ersten Schuß und bleibe tot, bis man mich beerdigen will. Seit
jenem Tage fühle ich mich erst wirklich als den Herrn meines Lebens.
Aufspringend Verpflichtungen gehen wir bei unserer Geburt nicht ein, und mehr
als dieses Leben wegwerfen kann man nicht. Wer nach seinem Tode noch
weiterlebt, der steht über den Gesetzen. – Du trugst dich damals in Brüssel mit
der Absicht, dich dem Staatsdienst zu widmen?
Scholz Ich trat bei uns ins Eisenbahnministerium ein.
v. Keith Ich wunderte mich noch, daß du es bei deinem enormen Vermögen nicht
vorzogst, als Grandseigneur deinen Neigungen zu leben.
Scholz Ich hatte den Vorsatz gefaßt, vor allem erst ein nützliches Mitglied der
menschlichen Gesellschaft zu werden. Wäre ich als der Sohn eines Tagelöhners
geboren, dann ergäbe sich das ja auch als etwas ganz Selbstverständliches.
v. Keith Man kann seinen Mitmenschen nicht mehr in dieser Welt nützen, als wenn
man in der umfassendsten Weise auf seinen eigenen Vorteil ausgeht. Je weiter
meine Interessen reichen, einer desto größeren Anzahl von Menschen biete ich
den nötigen Lebensunterhalt. Wer sich aber darauf, daß er seinen Posten
ausfüllt und seine Kinder ernährt, etwas einbildet, der macht sich blauen Dunst
vor. Die Kinder danken ihrem Schöpfer, wenn man sie nicht in die Welt setzt,
und nach dem Posten recken hundert arme Teufel die Hälse!
Scholz Ich konnte aber in der Tatsache, daß ich ein reicher Mann bin, keinen
zwingenden Grund sehen, als Tagedieb in der Welt herumzuschlendern.
Künstlerische Veranlagungen besitze ich nicht, und um meine einzige
Lebensbestimmung im Heiraten und Kinderzeugen zu erblicken, dazu schien ich
mir nicht unbedeutend genug.
v. Keith Du hast aber den Staatsdienst quittiert?
Scholz läßt den Kopf sinken Weil ich in meinem Amt ein entsetzliches Unglück
verschuldet habe.
v. Keith – Als ich von Amerika zurückkam, erzählte mir jemand, der dich ein Jahr
vorher in Konstantinopel getroffen hatte, du habest zwei Jahre auf Reisen
zugebracht, lebest jetzt aber wieder zu Haus und stehest eben im Begriff, dich
zu verheiraten.
Scholz Meine Verlobung habe ich vor drei Tagen aufgelöst. Ich war bis jetzt nur ein
halber Mensch. Seit dem Tage, an dem ich mein eigner Herr wurde, ließ ich
mich lediglich von der Überzeugung leiten, ich könne mich meines Daseins nicht
eher erfreuen, als bis ich meine Existenz durch ehrliche Arbeit gerechtfertigt
hätte. Diese einseitige Anschauung hat mich dahin geführt, daß ich heute aus
reinem Pflichtgefühl, nicht anders, als gälte es eine Strafe abzubüßen, den rein
materiellen Genuß aufsuche. Sobald ich aber dem Leben die Arme öffnen will,
dann lähmt mich die Erinnerung an jene unglücklichen Menschen, die nur durch
meine übertriebene Gewissenhaftigkeit in der entsetzlichsten Weise ums Leben
gekommen sind.
v. Keith Was war denn das für eine Geschichte?
Scholz Ich hatte ein Bahnreglement geändert. Es lag eine beständige Gefahr darin,
daß dieses Bahnreglement unmöglich genau respektiert werden konnte. Meine
Befürchtungen waren natürlich übertrieben, aber mit jedem Tage sah ich das
Unglück näherkommen. Mir fehlte eben das seelische Gleichgewicht, das dem
Menschen aus einem menschenwürdigen Familienheim erwächst. – Am ersten
Tage nach Einführung meines neuen Reglements erfolgte ein Zusammenstoß
von zwei Schnellzügen, der neun Männern, drei Frauen und zwei Kindern das
Leben kostete. Ich inspizierte die Unglücksstätte noch. Es ist nicht meine
Schuld, daß ich den Anblick überlebte.
v. Keith Dann gingst du auf Reisen?
Scholz Ich ging nach England, nach Italien, fühle mich nun aber erst recht von allem
lebendigen Treiben ausgeschlossen. In lachender, scherzender Umgebung, bei
ohrbetäubender Musik, entringt sich mir plötzlich ein geller Schrei, weil ich mir
unversehens wieder jenes Unglücks bewußt worden bin. Ich habe auch im
Orient nur wie eine verscheuchte Eule gelebt. Aufrichtig gesagt, bin ich auch seit
jenem Unglückstag erst recht davon überzeugt, daß ich mir meine Lebensfreude
nur durch Selbstaufopferung zurückkaufen kann. Aber dazu brauche ich Zutritt
zum Leben. Diesen Zutritt zum Leben hoffte ich vor einem Jahr dadurch zu
finden, daß ich mich mit dem ersten besten Mädchen allerniedrigster Herkunft
verlobte, um mit ihr in den Ehestand zu treten.
v. Keith Wolltest du das Geschöpf wirklich zur Gräfin Trautenau machen?
Scholz Ich bin kein Graf Trautenau mehr. Das entzieht sich deinem Verständnis. Die
Presse hatte meinen Rang und Namen zu dem Unglück, das ich
heraufbeschworen, in wirkungsvollen Kontrast gesetzt. Ich hielt mich deshalb
meiner Familie gegenüber für verpflichtet, einen anderen Namen anzunehmen.
Ich heiße seit zwei Jahren Ernst Scholz. Daher konnte auch meine Verlobung
niemanden mehr überraschen; aber es wäre auch daraus nur wieder Unglück
erwachsen. In ihrem Herzen keinen Funken Liebe, in meinem nur das Bedürfnis,
mich aufzuopfern, der Verkehr eine endlose Kette der trivialsten
Mißverständnisse... Ich habe das Mädchen jetzt derart dotiert, daß sie für jeden
ihres Standes eine begehrenswerte Partie ist. Sie konnte sich vor Freude über
ihre wiedergewonnene Freiheit gar nicht fassen. Und ich muß nun endlich die
schwere Kunst erlernen, mich selbst zu vergessen. Dem Tod sieht man mit
klarem Bewußtsein ins Auge; aber niemand lebt, der sich nicht selbst vergessen
kann.
v. Keith wirft sich in einen Sessel – Mein Vater würde sich vor Schreck im Grabe
umkehren bei dem Gedanken, daß du – mich um meinen Rat bittest.
Scholz So schlägt das Leben die Schulweisheit auf den Mund. Dein Vater hat redlich
sein Teil zu meiner einseitigen geistigen Entwicklung beigetragen.
v. Keith Mein Vater war so selbstlos und gewissenhaft, wie es der Hauslehrer und
Erzieher eines Grafen Trautenau nun einmal sein muß. Du warst sein
Musterknabe, und ich war sein Prügeljunge.
Scholz Erinnerst du dich nicht mehr, wie zärtlich du bei uns auf dem Schloß von
unseren Kammerjungfrauen abgeküßt wurdest, und zwar mit Vorliebe dann,
wenn ich zufällig gerade daneben stand?! – Sich erhebend Ich werde die
nächsten zwei bis drei Jahre einzig und allein darauf verwenden, unter Tränen
um mich zu einem Genußmenschen auszubilden.
v. Keith aufspringend Gehen wir heute abend erst einmal nach Nymphenburg auf den
Tanzboden! Das ist unser so unwürdig, wie nur irgendwie möglich. Aber bei all
dem Regenwetter und Gletscherwasser, das sich über meinen Kopf ergießt, reizt
es mich selbst, wieder einmal im Schlamm zu baden.
Scholz Mich dürstet nicht nach Marktgeschrei.
v. Keith Du hörst kein lautes Wort, nur das dumpfe Brausen des aus seinen Tiefen
aufgewühlten Ozeans. München ist ein Arkadien zugleich und ein Babylon. Der
stumme saturnalische Taumel, der sich hier bei jeder Gelegenheit der Seelen
bemächtigt, behält auch für den Verwöhntesten seinen Reiz.
Scholz Woher sollte ich denn verwöhnt sein! Ich habe von meinem Leben bis heute
buchstäblich noch nichts genossen.
v. Keith Der Gesellschaft werden wir uns auf dem Tanzboden erwehren müssen! An
solchen Orten wirkt mein Erscheinen wie das Aas auf die Fliegen. Aber dafür,
daß du dich selbst vergißt, stehe ich dir gut. Du wirst dich noch in drei Monaten
selbst vergessen, wenn du an unseren heutigen Abend zurückdenkst.
Scholz Ich habe mich schon allen Ernstes gefragt, ob nicht mein ungeheurer
Reichtum vielleicht der einzige Grund meines Unglücks ist.
v. Keith empört Das ist Gotteslästerung!
Scholz Ich habe tatsächlich schon erwogen, ob ich nicht wie auf meinen Adel auch
auf mein Vermögen verzichten soll. Solang ich lebe, wäre mir dieser Verzicht
aber nur zugunsten meiner Familie möglich. Eine nützliche Verfügung über mein
Eigentum kann ich allenfalls, nachdem mein Leben an ihm zuschanden
geworden, auf dem Sterbebette treffen. Hätte ich von Jugend auf um meinen
Unterhalt kämpfen müssen, dann stände ich bei meinem sittlichen Ernst und
meinem Fleiß, statt ein Ausgestoßener zu sein, heute wahrscheinlich mitten in
der glänzendsten Karriere.
v. Keith Oder du schwelgtest mit deinem Mädchen aus niedrigstem Stande im
allergewöhnlichsten Liebesquark und putztest dabei deiner Mitwelt die Stiefel.
Scholz Das nehme ich jeden Augenblick mit Freuden gegen mein Los in Tausch.
v. Keith Bilde dir doch nicht ein, daß dieses Eisenbahnunglück zwischen dir und dem
Leben steht. Du sättigst dich nur deshalb an diesen scheußlichen Erinnerungen,
weil du zu schwerfällig bist, um dir irgendwelche delikatere Nahrung zu
verschaffen.
Scholz Darin magst du recht haben. Deswegen möchte ich mich deiner geistigen
Führung anvertrauen.
v. Keith Wir finden heute abend schon was zu beißen. – Ich kann dich jetzt leider
nicht bitten, mit mir zu frühstücken. Ich habe um zwölf Uhr ein geschäftliches
Rendezvous mit einer hiesigen Finanzgröße. Aber ich gebe dir ein paar Zeilen
mit an meinen Freund Raspe. Verbring den Nachmittag mit ihm; um sechs Uhr
treffen wir uns im Hofgarten-Café. Er ist an den Schreibtisch gegangen und schreibt
ein Billett.
Scholz Womit beschäftigst du dich denn?
v. Keith Ich treibe Kunsthandel, ich habe eine Zeitungskorrespondenz, eine
Konzertagentur – alles nicht der Rede wert. Du kommst eben recht, um das
Entstehen eines großangelegten Konzerthauses zu erleben, das ausschließlich
für meine Künstler gebaut wird.
Scholz nimmt das Bild vom Tisch und betrachtet es Du hast eine hübsche Bildergalerie.
v. Keith aufspringend Das gebe ich nicht um zehntausend Mark. Ein Saranieff. – Dreht
es ihm in den Händen um. Du mußt es anders herum nehmen.
Scholz Ich verstehe nichts von Kunst. Ich bin auf meinen Reisen nicht in einem
einzigen Museum gewesen.
v. Keith gibt ihm das Billett Der Mann ist internationaler Kriminalbeamter; sei deshalb
nicht gleich zu offenherzig. Ein entzückender Mensch. Aber die Leute wissen
nie, ob sie mich beobachten sollen oder ob ich da bin, um sie zu beobachten.
Scholz Ich danke dir für dein liebenswürdiges Entgegenkommen. Also heute abend
um sechs im Hofgarten-Café.
v. Keith Dann fahren wir nach Nymphenburg. Ich danke dir, daß auch du schließlich
Vertrauen zu mir gewonnen hast.
v. Keith geleitet Scholz hinaus. Die Szene bleibt einen Moment leer. Dann kommt Molly
Griesinger aus dem Wohnzimmer und nimmt das Teegeschirr vom Tisch. Gleich darauf
kommt v. Keith zurück.
v. Keith ruft Sascha! – Geht ans Telefon und läutet Siebzehn, fünfunddreißig –
Kommissär Raspe!
Sascha kommt aus dem Wartezimmer Herr Baron!
v. Keith Meinen Hut! Meinen Paletot!
Sascha eilt nach dem Vorplatz.
Molly Ich beschwöre dich, laß dich doch mit diesem Patron nicht ein! Der käme doch
nicht zu uns, wenn er uns nicht ausbeuten wollte.
v. Keith spricht ins Telefon Gott sei Dank sind Sie da! Warten Sie zehn Minuten. – –
Das werden Sie merken. – Zu Molly, während ihm Sascha in den Paletot hilft Ich
fahre rasch auf die Redaktionen.
Molly Was soll ich Mama antworten?
v. Keith zu Sascha Einen Wagen!
Sascha Jawohl, Herr Baron. Ab.
v. Keith Leg ihr meine Ehrerbietung zu Füßen. Geht zum Schreibtisch Die Pläne – der
Brief von Ostermeier – morgen früh muß München wissen, daß der Feenpalast
gebaut wird!
Molly Dann kommst du nicht nach Bückeburg?
v. Keith nimmt, die zusammengerollten Pläne unter dem Arm, seinen Hut vom Mitteltisch
und stülpt ihn auf Nimmt mich wunder, wie sich der zum Genußmenschen
ausbildet! Rasch ab.
Fünfter Aufzug
Im Arbeitszimmer des Marquis v. Keith stehen sämtliche Türen angelweit offen. Wahrend
sich Hermann Casimir auf den Mitteltisch setzt, ruft v. Keith ins Wohnzimmer hinein.
v. Keith Sascha! Da er keine Antwort erhält, geht er nach dem Wartezimmer; zu Hermann
Entschuldigen Sie. Ruft ins Wartezimmer Sascha! – Kommt nach vorn; zu Hermann
Also, Sie gehen mit Einwilligung Ihres Vaters nach London. Ich kann Ihnen nach
London die besten Empfehlungen mitgeben. Wirft sich auf den Diwan In erster
Linie empfehle ich Ihnen, Ihre deutsche Sentimentalität zu Hause zu lassen. Mit
Sozialdemokratie und Anarchismus macht man in London keinen Effekt mehr.
Lassen Sie sich noch eines sagen. Das einzig richtige Mittel, seine Mitmenschen
auszunutzen, besteht darin, daß man sie bei ihren guten Seiten nimmt. Darin
liegt die Kunst, geliebt zu werden, die Kunst, redet zu behalten. Je ergiebiger Sie
Ihre Mitmenschen übervorteilen, um so gewissenhafter müssen Sie darauf
achten, daß Sie das Recht auf Ihrer Seite haben. Suchen Sie Ihren Nutzen
niemals im Nachteil eines tüchtigen Menschen, sondern immer nur im Nachteil
von Schurken und Dummköpfen. Und nun übermittle ich Ihnen den Stein der
Weisen; das glänzendste Geschäft in dieser Welt ist die Moral. Ich bin noch nicht
soweit, das Geschäft zu machen, aber ich müßte nicht der Marquis von Keith
sein, wenn ich es mir entgehen ließe. Es läutet auf dem Korridor.
v. Keith ruft Sascha! – Sich erhebend Der Bengel kriegt Ohrfeigen.
Er geht auf den Vorplatz und kommt mit dem Kommerzienrat Ostermeier zurück.
v. Keith Sie könnten unmöglich gelegener kommen, mein bester Herr Ostermeier...
Ostermeier Meine Kollegen im Aufsichtsrat, verehrter Freund, beauftragen mich...
v. Keith Ich habe einen Plan mit Ihnen zu besprechen, der unsere Einnahmen
verhundertfacht.
Ostermeier Wünschen Sie eine von mir in der Generalversammlung abgegebene
Erklärung, daß es mir heute wieder nicht gelungen ist, Ihre Geschäftsbücher zur
Einsichtnahme zu erhalten?
v. Keith Sie phantasieren, lieber Herr Ostermeier! – Wollen Sie mir nicht ruhig und
sachlich auseinandersetzen, um was es sich handelt?
Ostermeier Um Ihre Geschäftsbücher, verehrter Freund.
v. Keith aufbrausend Ich rackre mich für diese triefäugigen Dickschädel ab...
Ostermeier Hat er also doch recht! Sich zum Gehen wendend Gehorsamer Diener!
v. Keith reißt die Schreibtisch-Schubladen auf Hier, bitte, schwelgen Sie in
Geschäftsbüchern! Sich nach Ostermeier umwendend Wer hat also doch recht?
Ostermeier Ein gewisser Herr Raspe, Kriminalkommissär, der gestern abend in der
»American Bar« fünf Flaschen Pommery darauf gewettet hat, daß Sie keine
Geschäftsbücher führen.
v. Keith sich in die Brust werfend Ich führe auch keine Geschäftsbücher.
Ostermeier Dann zeigen Sie Ihr Kopierbuch.
v. Keith Wo hätte ich seit der Gründung der Gesellschaft die nötige Zeit hernehmen
sollen, um ein Büro einzurichten!
Ostermeier Dann zeigen Sie mir Ihr Kopierbuch.
v. Keith sich in die Brust werfend Ich habe kein Kopierbuch.
Ostermeier Dann zeigen Sie den Depositenschein, den Ihnen die Bank ausgestellt
hat.
v. Keith Habe ich Ihre Einzahlungen erhalten, um sie auf Zinsen zu legen?!
Ostermeier Regen Sie sich nicht auf, verehrter Freund. Wenn Sie keine Bücher
besitzen, dann notieren Sie sich Ihre Ausgaben doch irgendwo. Das tut doch
jeder Laufbursche.
v. Keith wirft sein Notizbuch auf den Tisch Da haben Sie mein Notizbuch.
Ostermeier schlägt es auf und liest »Eine Silberflut von hellvioletter Seide und
Pailletten von den Schultern bis auf die Knöchel –« Das ist der ganze Mensch!
v. Keith Wenn Sie mir jetzt, nachdem ich Erfolg auf Erfolg erzielt habe, Knüppel in
den Weg werfen, dann können Sie mit aller Bestimmtheit darauf rechnen, daß
Sie von Ihrem Gelde weder in dieser noch in jener Welt etwas wiedersehen!
Ostermeier So schlecht stehen die Feenpalastaktien nicht, verehrter Freund. Wir
sehen unser Geld schon wieder. – Gehorsamer Diener! Will geben.
v. Keith ihn aufhaltend Sie untergraben das Unternehmen durch Ihre Wühlereien!
Verzeihen Sie, verehrter Herr; ich rege mich auf, weil ich mit dem Feenpalast
empfinde wie ein Vater mit seinem Kind.
Ostermeier Dann machen Sie sich Ihres Kindes wegen nur gar keine Sorgen mehr.
Der Feenpalast ist gesichert und wird gebaut.
v. Keith Ohne mich?
Ostermeier Wann's sein muß, ohne Sie, verehrter Freund!
v. Keith Das können Sie nicht!
Ostermeier Sie sind jedenfalls der letzte, der uns daran hindern wird!
v. Keith Das wäre ein infamer Schurkenstreich!
Ostermeier Das wär' noch schöner! Weil wir uns von Ihnen nicht länger betrügen
lassen wollen, schimpfen Sie uns Betrüger!
v. Keith Wenn Sie sich betrogen glauben, dann verklagen Sie mich doch auf
Auszahlung Ihres Geldes!
Ostermeier Sehr schön, verehrter Freund, wenn wir nicht dem Aufsichtsrat
angehörten!
v. Keith Was Sie sich einbilden! Sie sitzen im Aufsichtsrat, um mich bei meiner
Arbeit zu unterstützen.
Ostermeier Dafür komme ich auch zu Ihnen; aber bei Ihnen gibt's eben nichts zu
arbeiten.
v. Keith Mein lieber Herr Ostermeier, Sie können mir als Mann von Ehre nicht
zumuten, eine solche Niederträchtigkeit über mich ergehen zu lassen.
Übernehmen Sie doch den geschäftlichen Teil; lassen Sie mich artistischer
Leiter des Unternehmens sein. Ich gebe Inkorrektheiten in meiner
Geschäftsführung zu, die ich mir aber nur in dem Bewußtsein verzieh, daß es
zum allerletztenmal geschieht und daß ich mir nach Konsolidierung meiner
Verhältnisse nicht das geringste mehr zuschulden kommen lassen würde.
Ostermeier Darüber hätten wir gestern, als ich mit den anderen Herren hier war, ein
Wort reden können; aber da haben Sie uns ein Loch in den Bauch geschwatzt.
Ich würde Ihnen auch heute noch sagen: Versuchen wir's noch einmal – wann
Sie sich uns wenigstens als einen aufrichtigen Menschen gezeigt hätten. Hört
man aber immer und immer wieder nur Unwahrheiten, dann...
v. Keith sich in die Brust werfend Dann sagen Sie den Herren: Ich baue den
Feenpalast, so gewiß, wie die Idee dazu aus meinem Hirn entsprungen ist.
Bauen Sie ihn aber – sagen Sie das Ihren Herren! –, dann sprenge ich den
Feenpalast samt Aufsichtstat und Aktionärversammlung – in die Luft!
Ostermeier Werde ich pünktlich ausrichten, Herr Nachbar! Wissen Sie, ich möcht'
beileibe niemanden vor den Kopf stoßen, geschweige denn vor den...
Gehorsamer Diener! Ab.
v. Keith ihm nachstarrend ... Hintern! Ich spüre so was. – Zu Hermann Lassen Sie mich
jetzt nicht allein, sonst schrumpfe ich so zusammen, daß mich die Angst
anpackt, es könnte nichts mehr von mir übrigbleiben. – – – Sollte das möglich
sein? – – Mit Tränen in den Augen Nach so viel Feuerwerk! – – Ich soll wieder wie
ein Geächteter von Land zu Land gepeitscht werden?! – – Nein! Nein! – Ich darf
mich nicht an die Wand drücken lassen!! – Es ist das letztemal in diesem Leben,
daß die Welt mit all ihrer Herrlichkeit vor mir liegt! Sich hoch aufrichtend Nein! –
Ich wackle nicht nur noch nicht, ich werde ganz München durch meinen Sprung
in Erstaunen setzen: Er schüttelt noch, da fall' ich schon, unter Pauken und
Trompeten, ihm direkt auf den Kopf, daß alles rings auseinanderstiebt, und
schlage alles kurz und klein. Dann wird sich's zeigen, wer zuerst wieder auf die
Beine kommt!
Die Gräfin Werdenfels tritt ein.
v. Keith ihr entgegeneilend Meine Königin...
Anna zu Hermann Würden Sie uns einen Moment allein lassen.
v. Keith läßt Hermann ins Wohnzimmer eintreten.
v. Keith die Tür hinter ihm schließend Du siehst so unternehmend aus?
Anna Das ist schon möglich. Ich erhalte seit unserem Feenpalastkonzert Tag für Tag
ein halbes Dutzend Heiratsanträge.
v. Keith Das ist mir verdammt gleichgültig!
Anna Aber mir nicht.
v. Keith höhnisch Hast du dich denn in ihn verliebt?
Anna Von wem sprichst du denn?
v. Keith Von dem Genußmenschen!
Anna Du machst dich über mich lustig!
v. Keith Von wem sprichst du denn?!
Anna nach dem Wohnzimmer deutend Von seinem Vater.
v. Keith Und darüber willst du dich mit mir unterhalten?
Anna Nein, ich wollte dich nur fragen, ob du jetzt endlich ein Lebenszeichen von
Molly hast.
v. Keith Nein, aber was ist mit Casimir?
Anna Was ist mit Molly?? – – Du hältst ihr Verschwinden geheim?
v. Keith beklommen Ich fürchte, offen gesagt, weniger, daß ihr ein Unglück
zugestoßen ist, als daß mir ihr Verschwinden den Boden unter den Füßen
wegzieht. Wenn das nicht von Menschlichkeit zeugt, dann sitze ich dafür seit
drei Tagen Nacht für Nacht auf dem Telegraphenamt. – Mein Verbrechen an ihr
besteht darin, daß sie, seit wir uns kennen, nie ein böses Wort von mir gehört
hat. Sie verzehrt sich vor Sehnsucht nach ihrer kleinbürgerlichen Welt, in der
man, Stirn gegen Stirn geschmiedet, sich duckt und schuftet und sich liebt! Kein
freier Blick, kein freier Atemzug! Nichts als Liebe! Möglichst viel und von der
gewöhnlichsten Sorte!
Anna Wenn man Molly nun nicht findet, was dann?
v. Keith Ich kann getrost darauf bauen, daß sie, wenn mir das Haus über dem Kopf
zusammengekracht ist, reumütig lächelnd zurückkommt und sagt: »Ich will es
nicht wieder tun.« – Ihr Zweck ist erreicht; ich kann mein Bündel schnüren.
Anna Und was wird dann aus mir?
v. Keith Du hast bei unserem Unternehmen bis jetzt am meisten gewonnen und
wirst, so hoffe ich, noch mehr bei unserem Unternehmen gewinnen. Verlieren
kannst du nichts, weil du mit keinem Einsatz dabei beteiligt bist.
Anna Wenn das sicher ist?!
v. Keith Ach so... ?!
Anna Ja, ja!
v. Keith Was hast du ihm denn geantwortet?
Anna Ich schrieb ihm, ich könne ihm noch keine Antwort geben.
v. Keith Das hast du ihm geschrieben?!
Anna Ich wollte erst mit dir darüber sprechen.
v. Keith packt sie am Handgelenk und schleudert sie von sich Wenn es nicht anders bei
dir steht, als daß du mit mir darüber sprechen mußt, dann – heirate ihn!!
Anna Wer von Gefühlen so verächtlich denkt wie du, müßte doch über rein
praktische Fragen ruhig mit sich reden lassen!
v. Keith Laß meine Gefühle hier aus dem Spiel! Mich empört, daß du nicht mehr
Rassestolz in dir hast, um deine Erstgeburt für ein Linsengericht zu verkaufen!
Anna Was nicht du bist, das ist dir Linsengericht!
v. Keith Ich kenne meine Schwächen; aber das sind Haustiere! Dem einen fehlt es im
Hirn und dem andern im Rückenmark! Willst du Wechselbälge zur Welt bringen,
die vor dem achten Tage nicht sehen können?! – Ich gebe dir mit Freuden, wenn
es mit mir vorbei sein soll, was ich von meiner Seelenglut in dich hineingelebt,
auf deine Karriere mit. Aber wenn du dich vor deinem Künstlerlos hinter einen
Geldsack verschanzest, dann bist du heute schon nicht mehr wert als das Gras,
das dereinst aus dem Grabe wächst!
Anna Hättest du wenigstens den geringsten Anhaltspunkt darüber, was aus Molly
geworden ist!
v. Keith Beschimpf mich nicht noch! – Ruft Sascha!
Anna Wenn du denn durchaus darauf bestehst, daß wir uns trennen sollen...
v. Keith Gewiß, ich bestehe darauf.
Anna Dann gib mir meine Briefe zurück!
v. Keith höhnisch Willst du deine Memoiren schreiben?
Anna Nein, aber sie könnten in falsche Hände geraten.
v. Keith aufspringend Sascha!!
Anna Was willst du von Sascha? – Ich habe Sascha einen Auftrag gegeben.
v. Keith Wie kommst du dazu?!
Anna Weil er zu mir kam. Ich habe das doch schon öfter getan. Im schlimmsten Fall
weiß der Junge, wo er etwas zu verdienen findet.
v. Keith sinkt in den Sessel am Schreibtisch Mein Sascha! Wischt sich eine Träne aus
dem Auge Daß du auch ihn nicht vergessen hast! – – Wenn du jetzt das Zimmer
verläßt, Anna, dann breche ich zusammen wie ein Ochse im Schlachthaus. –
Gib mir noch eine Galgenfrist!
Anna Ich habe keine Zeit zu verlieren.
v. Keith Nur so lange, bis ich mich deiner entwöhnt habe, Anna! – Ich bedarf meiner
geistigen Klarheit jetzt mehr denn je...
Anna Gibst du mir dann meine Briefe zurück?
v. Keith Du bist grauenhaft! – Aber das ist ja das helle Mitleid von dir! Ich soll dich
wenigstens verfluchen dürfen, wenn du nicht mehr meine Geliebte bist.
Anna Du lernst deiner Lebtag keine Frau richtig beurteilen!
v. Keith sich stolz emporreckend Ich widerrufe meinen Glauben nicht auf der Folter!
Du gehst mit dem Glück; das ist menschlich. Was du mir warst, bleibst du darum
doch.
Anna Dann gib mir meine Briefe zurück.
v. Keith Nein, mein Kind! Deine Briefe behalte ich für mich. Sonst zweifle ich dereinst
auf meinem Sterbebett, ob du nicht vielleicht nur ein Hirngespinst von mir
gewesen bist. Ihr die Hand küssend Viel Glück!
Anna Auch ohne dich! Ab.
v. Keith allein, sich unter Herzkrämpfen windend – Ah! – Ah! Das ist der Tod! – Er stürzt
zum Schreibtisch, entnimmt einem Schubfach eine Handvoll Briefe und eilt zur Tür
Anna! Anna!
In der offenen Tür tritt ihm Ernst Scholz entgegen. Scholz geht unbehindert, ohne daß man
ihm noch eine Spur von seiner Verletzung anmerkt.
v. Keith zurückprallend ... Ich wollte eben zu dir ins Hotel fahren.
Scholz Das hat keinen Zweck mehr. Ich reise ab.
v. Keith Dann gib mir aber noch die zwanzigtausend Mark, die du mir gestern
versprochen hast!
Scholz Ich gebe dir kein Geld mehr.
v. Keith Die Karyatiden zerschmettern mich! Man will mir meinen Direktionsposten
nehmen!
Scholz Das bestärkt mich in meinem Entschluß.
v. Keith Es handelt sich nur darum, eine momentane Krisis zu überwinden!
Scholz Mein Vermögen ist mehr wert als du! Mein Vermögen sichert den
Angehörigen meiner Familie noch auf unendliche Zeiten eine hohe, freie
Machtstellung! Währenddem du nie dahin gelangst, einem Menschen irgend
etwas zu nützen!
v. Keith Wo nimmst du Schmarotzer die Stirne her, mir Nutzlosigkeit vorzuwerfen?!
Scholz Lassen wir den Wettstreit! – Ich leiste endlich den großen Verzicht, zu dem
sich so mancher einmal in diesem Leben verstehen muß.
v. Keith Was heißt das?
Scholz Ich habe mich von meinen Illusionen losgerissen.
v. Keith höhnisch Schwelgst du wieder mal in der Liebe eines Mädchens aus
niedrigstem Stande?
Scholz Ich habe mich von allem losgerissen. – Ich gehe in eine Privatheilanstalt.
v. Keith aufschreiend Du kannst keine nichtswürdigere Schandtat begehen als den
Verrat an deiner eigenen Person!
Scholz Deine Entrüstung ist mir sehr begreiflich. – Ich habe in den letzten drei Tagen
den grauenvollsten Kampf durchgekämpft, der einem Erdenwurm beschieden
sein kann.
v. Keith Um dich feige zu verkriechen?! – Um als Sieger auf deine Menschenwürde
zu verzichten?!
Scholz aufbrausend Ich verzichte nicht auf meine Menschenwürde! Du hast weder
Ursache, mich zu beschimpfen, noch meiner zu spotten! – Wenn jemand die
Beschränkung, in die ich mich finde, gegen seinen Willen über sich verhängen
lassen muß, dann mag er seiner Menschenwürde verlustig gehen. Dafür bleibt
er relativ glücklich; er wahrt sich seine Illusionen. – Wer kalten Blickes wie ich
mit der Wirklichkeit abrechnet, der kann sich dadurch weder die Achtung noch
die Teilnahme seiner Mitmenschen verscherzen.
v. Keith zuckt die Achseln Ich würde mir diesen Schritt doch noch ein wenig
überlegen.
Scholz Ich habe ihn reiflich überlegt. Es ist die letzte Pflicht, die mein Geschick mir
zu erfüllen übrigläßt.
v. Keith Wer einmal drin ist, kommt so leicht nicht wieder heraus.
Scholz Hätte ich noch die geringste Hoffnung, jemals herauszukommen, dann ginge
ich nicht hinein. Was ich mir an Entsagung aufbürden, was ich meiner Seele an
Selbstüberwindung und Hoffnungsfreudigkeit entringen konnte, habe ich
aufgewandt, um mein Los zu ändern. Mir bleibt, Gott sei's geklagt, keinerlei
Zweifel mehr darüber, daß ich anders geartet als andre Menschen bin!
v. Keith im höchsten Stolz Gott sei Dank habe ich nie daran gezweifelt, daß ich
anders geartet als andere Menschen bin!
Scholz sehr ruhig Sei es nun Gott geklagt oder Gott gedankt – dich hielt ich bis jetzt
für den abgefeimtesten Spitzbuben! – Ich habe auch diese Illusion aufgegeben.
Ein Spitzbube hat Glück, so wahr wie dem ehrlichen Menschen auch im
unabänderlichen Mißgeschick noch sein gutes Gewissen bleibt. Du hast nicht
mehr Glück als ich, und du weißt es nicht. Darin liegt die entsetzliche Gefahr, die
über dir schwebt!
v. Keith Über mir schwebt keine andere Gefahr, als daß ich morgen kein Geld habe!
Scholz Du wirst zeit deines Lebens morgen kein Geld haben! – Ich wüßte dich vor
den heillosen Folgen deiner Verblendung gerne in Sicherheit. Deswegen komme
ich noch einmal zu dir. Ich habe die heilige Überzeugung, daß es für dich das
beste ist, wenn du mich begleitest.
v. Keith lauernd Wohin?
Scholz In die Anstalt.
v. Keith Gib mir die dreißigtausend Mark, dann komme ich mit!
Scholz Wenn du mich begleitest, brauchst du kein Geld mehr. Du findest ein
behaglicheres Heim, als du es vielleicht jemals gekannt hast. Wir halten uns
Wagen und Pferde, wir spielen Billard...
v. Keith ihn umklammernd Gib mir die dreißigtausend Mark!! Willst du, daß ich hier vor
dir einen Fußfall tue? Ich kann hier vom Platz weg verhaftet werden!
Scholz Dann bist du schon so weit?! – Ihn zurückstoßend Ich gebe solche Summen
keinem Wahnsinnigen!
v. Keith schreit Du bist der Wahnsinnige!
Scholz ruhig Ich bin zu Verstand gekommen.
v. Keith höhnisch – Wenn du dich in die Irrenanstalt aufnehmen lassen willst, weil du
zu Verstand gekommen bist, dann geh hinein!
Scholz Du gehörst zu denen, die man mit Gewalt hineinbringen muß!
v. Keith Dann wirst du in der Irrenanstalt wohl auch deinen Adelstitel wieder
aufnehmen?
Scholz Hast du nicht in zwei Weltteilen jeden erdenklichen Bankrott gemacht, der im
bürgerlichen Leben überhaupt möglich ist?!
v. Keith giftig Wenn du es für deine moralische Pflicht hältst, die Welt von deiner
überflüssigen Existenz zu befreien, dann findest du radikalere Mittel als
Spazierenfahren und Billardspielen!
Scholz Das habe ich längst versucht.
v. Keith schreit ihn an Was tust du denn dann noch hier?!
Scholz finster Es ist mir mißlungen wie alles andere.
v. Keith Du hast natürlich aus Versehen jemand anders erschossen!
Scholz Man hat mir damals die Kugeln zwischen den Schultern, dicht neben dem
Rückgrat, wieder herausgeschnitten. – Es ist heute wohl das letztemal in deinem
Leben, daß sich dir eine rettende Hand bietet. Welch eine Art von Erlebnissen
noch vor dir liegt, das weißt du jetzt.
v. Keith wirft sich vor ihm auf die Knie und umklammert seine Hände Gib mir die
vierzigtausend Mark, dann bin ich gerettet!
Scholz Die retten dich nicht vor dem Zuchthaus!
v. Keith entsetzt emporfahrend Schweig!!
Scholz bittend Komm mit mir, dann bist du geborgen. Wir sind zusammen
aufgewachsen; ich sehe nicht ein, warum wir nicht auch das Ende gemeinsam
erwarten sollen. Die bürgerliche Gesellschaft urteilt dich als Verbrecher ab und
unterwirft dich allen unmenschlichen mittelalterlichen Martern...
v. Keith jammernd Wenn du mir nicht helfen willst, dann geh, ich bitte dich darum!
Scholz Tränen in den Augen Wende deiner einzigen Zuflucht nicht den Rücken! Ich
weiß doch, daß du dir dein jammervolles Los ebensowenig selber gewählt hast
wie ich mir das meinige.
v. Keith Geh! Geh!
Scholz Komm, komm. – Du hast einen lammfrommen Gesellschafter an mir. Es wäre
ein matter Lichtschimmer in meiner Lebensnacht, wenn ich meinen
Jugendgespielen seinem grauenvollen Verhängnis entrissen wüßte.
v. Keith Geh! Ich bitte dich!
Scholz – – Vertrau' dich von heute ab meiner Führung an, wie ich mich dir
anvertrauen wollte...
v. Keith schreit verzweifelt Sascha! Sascha!
Scholz – – – Dann vergiß nicht, wo du einen Freund hast, dem du jederzeit
willkommen bist.
Ab.
v. Keith kriecht suchend umher – – Molly! Molly! Es ist das erstemal in meinem Leben,
daß ich vor einem Weib auf den Knien wimmere! – – Plötzlich nach dem
Wohnzimmer aufhorchend Da...! Da...! Nachdem er die Wohnzimmertür geöffnet...
Ach, das sind Sie?
Hermann Casimir tritt aus dem Wohnzimmer.
v. Keith Ich kann Sie nicht bitten, länger hierzubleiben. Mir ist – nicht ganz wohl. Ich
muß erst – eine Nacht – darüber schlafen, um der Situation wieder Herr zu sein.
– Reisen Sie mit... mit...
Schwere Schritte und viele Stimmen tönen vom Treppenhaus herauf.
v. Keith Hören Sie Der Lärm! Das Getöse! – Das bedeutet nichts Gutes
Hermann Verschließen Sie doch die Tür.
v. Keith Ich kann es nicht! – Ich kann es nicht! – Das ist sie...!
Eine Anzahl Hofbräuhausgäste schleppen Mollys entseelten Körper herein. Sie trieft von
Wasser, die Kleider hängen in Fetzen. Das aufgelöste Haar bedeckt ihr Gesicht.
Ein Metzgerknecht Da hammer den Stritzi! – Zurücksprechend Hammer's? – Eini! Zu
v. Keith Schau her, was mer g'fischt hamm! Schau her, was mer der bringen!
Schau her, wann d'a Schneid hast!
Ein Packträger Aus'm Stadtbach hammer's zogen! Unter die eisernen Gitterstangen
vor! An die acht Täg' mag's drin g'legen sein im Wasser!
Ein Bäckerweib Und da derweil treibt sich der Lump, der dreckichte, mit seine
ausg'schamte Menscher umanand! Sechs Wuchen lang hat er's Brot net zahlt!
Das arme Weib laßt er bei alle Krämersleut' betteln gehn, as was z' essen kriagt!
A Stoan hat's derbarmt, as wia die auf d' Letzt ausg'schaut hat!
v. Keith retiriert sich, während ihn die Menge mit der Leiche umdrängt, nach seinem
Schreibtisch Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich doch nur!
Der Metzgerknecht Halt dei Fressen, du Hochstapler, du! Sunst kriagst vo mir a
Watschen ins G'sicht, as nimma stehn kannst! – Schau da her! – Is sie's oder is
sie's net?! – Schau her, sag i!
v. Keith hat hinter sich auf dem Schreibtisch Hermanns Revolver erfaßt, den die Gräfin
Werdenfels früher dort hatte liegenlassen Rühren Sie mich nicht an, wenn Sie nicht
wollen, daß ich von der Waffe Gebrauch mache!
Der Metzgerknecht Was sagt der Knickebein?! – Was sagt er?! – Gibst den
Revolver her?! Hast net gnua an dera da, du Hund?! – Gibst ihn her, sag' i...
Der Metzgerknecht ringt mit v. Keith, dem es gelingt, sich dem Ausgang zu nähern, durch
den eben der Konsul Casimir eintritt. Hermann Casimir hat sich derweil an die Leiche
gedrängt; er und das Bäckerweib tragen die Leiche auf den Diwan.
v. Keith sich wie ein Verzweifelter wehrend, ruft Polizei! Polizei! Bemerkt Casimir und
klammert sich an ihn an Retten Sie mich, um Gottes willen! Ich werde gelyncht!
Der Konsul Casimir zu den Leuten Jetzt schaut's aber, daß weiter kummt, sunst
lernt's mi anders kenna! – Laßt's die Frau auf dem Diwan! – Marsch, sag' i! – da
hat der Zimmermann 's Loch g'macht! Seinen Sohn, der sich mit der Menge
entfernen will, am Arm nach vorn ziehend Halt, Freunderl! Du nimmst auf deine
Londoner Reise noch eine schöne Lehre mit!
Die Hofbräuhausleute haben das Zimmer verlassen.
Casimir zu v. Keith Ich wollte Sie auffordern, München binnen vierundzwanzig
Stunden zu verlassen; jetzt glaube ich aber, es ist wirklich am besten für Sie,
wenn Sie mit dem nächsten Zug reisen.
v. Keith immer noch den Revolver in der Linken haltend Ich – ich habe dieses Unglück –
nicht zu verantworten...
Casimir Das machen Sie mit sich selbst ab! Aber Sie haben die Fälschung meiner
Namensunterschrift zu verantworten, die Sie an Ihrem Gründungsfest in der
Brienner Straße in einem Glückwunschtelegramm vorgenommen haben.
v. Keith Ich kann nicht reisen...
Casimir gibt ihm ein Papier Wollen Sie diese Quittung unterzeichnen. Sie
bescheinigen darin, eine Summe von zehntausend Mark, die Ihnen die Frau
Gräfin Werdenfels schuldete, durch mich zurückerhalten zu haben.
v. Keith geht zum Schreibtisch und unterzeichnet.
Casimir das Geld aus seiner Brieftasche abzählend Als Ihr Nachfolger in der Direktion
der Feenpalastgesellschaft möchte ich Sie im Interesse einer gedeihlichen
Entwicklung unseres Unternehmens darum ersuchen, sich so bald nicht wieder
in München blicken zu lassen!
v. Keith am Schreibtisch stehend, gibt Casimir den Schein und nimmt mechanisch das Geld
in Empfang.
Casimir den Schein einsteckend Vergnügte Reise! – Zu Hermann Marsch mit dir!
Hermann drückt sich scheu hinaus. Casimir folgt ihm.
v. Keith in der Linken den Revolver, in der Rechten das Geld, tut einige Schritte nach dem
Diwan, bebt aber entsetzt zurück. Darauf betrachtet er unschlüssig abwechselnd den
Revolver und das Geld. – Indem er den Revolver grinsend hinter sich auf den Mitteltisch
legt Das Leben ist eine Rutschbahn...
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