Pompeius Magnus und George W - Lise-Meitner

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Pompeius Magnus und George W. Bush
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Wir schreiben das Jahr 67 v. Chr. Das ganze Mittelmeergebiet, nach damaligem Verständnis
orbis terrarum, also der ganze Erdkreis, steht unter römischem Einfluss, der pax romana,
nachdem die Supermacht Karthago 149 v. Chr. endgültig zusammengebrochen ist. Der Roman
way of life beginnt sich in den Anrainerstaaten langsam durchzusetzen, die römische
Zivilisation mit ihrer Mischung aus griechischer Kultur und römisch-republikanischem
Machtbewusstsein entfaltet ihre Attraktivität bis in die entfernten Winkel der Barbarei.
Probleme bereitet nur noch der ewige „Schurkenstaat“ des pontischen Königs Mithradates VI.,
der 88 v.Chr., auftretend als sozialer und politischer Befreier der Griechen, die Provinz Asia
(Kleinasien) überfallen und in einem blutigen Massaker Tausende von Römern umgebracht
hatte. Zwar war er vom römischen Feldherrn Licinius Lucullus bereits vernichtend geschlagen,
aber noch nicht gefangen worden. Daneben versetzten die Seeräuber des Mittelmeeres die
Bevölkerung in Angst und Schrecken. Diese waren wahrlich unzivilisierte Gesellen, die von
ihren versteckten Basen in Kreta und der Südküste Kleinasiens durch Mord, Plünderung,
Brandschatzung nicht nur den römischen Handelsschiffen und damit der Rohstoffversorgung
Roms schadeten, sondern auch andere Hafenstädte überfielen, somit eine Bedrohung der
ganzen zivilisierten Welt darstellten. Eine direkte Verbindung zwischen ihnen und Mithradates
konnte trotz räumlicher Nähe nicht nachgewiesen werden, dafür aber zeitweise Bündnisse mit
den aufständischen Sklaven unter Spartacus.
Die republikanischen Institutionen Roms konnten auf althergebrachte Weise dieses Problems
kaum Herr werden. Die Republik hatte Kontrollinstrumente der politischen und militärischen
Befehlsgewalt (imperium) entwickelt, die verhindern sollten, dass sich die kontrollierte,
begrenzte, an Mandate gebundene Herrschaftsausübung nicht in die kontinuierliche Herrschaft
eines Tyrannen verwandelt. Dazu gehörten u.a. das Prinzip der Kollegialität
(Mehrfachbesetzung der Ämter), der Annuität (zeitliche Begrenzung der Amtsausübung auf ein
Jahr), der räumlichen Begrenzung der Befehlsgewalt auf eine Provinz, d.h. kein Einsatz „out of
area“. Damit ließ sich das Problem der antiken Terroristen, die global im Mittelmeerraum
operierten nicht bewältigen.
In dieser Situation schlug die Stunde des Pompeius. Außerhalb der demokratischen Spielregeln
ließ er sich auf Antrag eines Volkstribunen durch Plebiszite der aufgebrachten Menge nicht nur
die zeitlich und räumlich unbegrenzte, das ganze Mittelmeergebiet umfassende, damit
„globale“ Kommandogewalt, sondern auch „außerordentliche Vollmachten“ wie freie
Verfügung über die Staatskasse und eigenständiger Vertragsabschluss mit ausländischen
Mächten übertragen (lex Gabinia). Mit 20 Legionen und 500 Schiffen vernichtete Pompeius
binnen 40 Tagen die Flotten der Piraten, erst damit wurde das Mittelmeer zum „mare nostrum“
der Römer. Die römische Öffentlichkeit war begeistert und ein Jahr später nur allzu bereit
durch ein zweites Plebiszit (lex Manilia) Pompeius weitere außerordentliche Vollmachten zum
Kampf gegen Mithradates auszustellen. Auch diese Aufgabe erledigte er mit Bravour und
konnte nun eigenständig eine neue „Weltordnung“ im klein- und vorderasiatischen Raum
errichten.
Die römischen Sicherheitsinteressen und die Erfordernisse „globalen“ Handelns mussten, wie
es schien, zeitweilig Vorrang haben vor den republikanischen Spielregeln und den
verfassungsrechtlichen Bedenken einiger Mahner. Der Erfolg und die Effektivität des
„außerordentlichen Handelns“, frei von demokratischer Kontrolle und rechtlicher
Einschränkung gaben ihm eine nachträgliche Legitimation.
Nach Erledigung der Aufgaben gab Pompeius sein außerordentliches Imperium zurück, entließ
sein Heer und unterstellte sich damit wieder den republikanischen Gesetzen. Für die
Zeitgenossen noch nicht erkennbar, hatte er aber eine Methode entwickelt, die seine
cäsarischen Nachfolger zur Umwandlung der republikanischen Staatsform in eine
monarchisch-autoritäre nutzen konnten: gestützt auf Volksstimmungen, begründet mit
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„Allgemeinwohl- oder Sicherheitsargumenten“, legitimiert durch Plebiszite eine autoritäre
Lösung anzustreben.
Wir schreiben das Jahr 2001 n. Chr. Die Globalisierung bedeutet auch die Durchsetzung des
American way of life bis in die letzten Erdwinkel, nachdem die kommunistische Supermacht
zusammengebrochen ist. Die pax americana könnte eine „neue zivilisierte Weltordnung“
bedeuten, gäbe es da nicht einige Schurkenstaaten wie den Irak des Saddam Hussein und die
Terroristen, die als soziale und politische Befreier der arabisch-islamischen Welt auftreten und
von ihren Basen in den zerklüfteten Bergen Afghanistans die Sicherheits- und
Rohstoffinteressen unserer zivilisierten Welt bedrohen etc.
Um unsere Sicherheit und Zivilisation zu retten, sind „außerordentliche“ Maßnahmen nötig.
Wir müssen offenbar sowohl die rechtstaatlichen Prinzipien des Strafrechts samt
Unschuldsvermutung und Schuldnachweis wie des Kriegsrechts zeitweise suspendieren, „out of
area“-Einsätze zulassen und die Kampfzone auf die ganze Welt ausdehnen. Gerade die
Ausweitung und Nicht-Abgrenzung des Aktionsradius der neuen NATO z.B. birgt die Gefahr
der Unkontrollierbarkeit. Die nationalen Kontrollinstrumente der Machtausübung wie
Parlamente und Verfassungen werden tendenziell ausgehöhlt, weil sie den supranationalen
Notwendigkeiten kaum ein kleinliches Bezweifeln und Pochen auf das Zustimmungsprocedere
entgegenstellen können. Man sieht es an den derzeitigen Bemühungen der Regierungen die
Gewissens- und Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten wie die Kontrollfunktion der
Legislative insgesamt dem Altar internationaler Pflichten und uneingeschränkter Solidaritäten
zu opfern.
Auf der anderen Seite sind internationale kooperative Kontrollinstrumente wie UNO,
anerkannte Gerichtshöfe, nicht zuletzt aufgrund des Widerstandes der USA, noch weitgehend
unentwickelt bzw. machtlos.
Ulrich Beck (Spiegel 42/2001) sieht in dieser Transnationalisierung der Probleme und in den
Ansätzen der US-Politik die optimistische Chance einer neuen internationalen Kooperation, ja
der Entwicklung eines „kosmopolitischen Staates“. Abgesehen davon, dass die augenblickliche
internationale Kooperation so unterschiedlicher Staaten wie der Diktaturen Chinas und
Arabiens, der Demokratien Europas und Amerikas, der autoritären Transformationstaaten der
GUS gegen die Terroristen jeweils aus nationalen Stabilisierungsgründen erfolgt (wie jede
Regierung eben auch ihre Haus- und Hofterroristen wie die „Tschetschenen“ etc. damit
bekämpft), kann eine solche globale Krise ohne die gewollte Errichtung neuer internationaler,
demokratisch legitimierter und kontrollierter Institutionen auch zu autoritären, rechtsstaatliche
Standards vernachlässigenden Lösungen führen.
Die Geschichte wiederholt sich nicht und Bush ist nicht Pompeius. Sie zeigt aber am Beispiel
Roms: Wenn nicht bewusst nach einer demokratischen Lösung der neuen Probleme gesucht
wird, schält sich eine autoritäre heraus. Für die Zeitgenossen ist dieser schleichende Wandel
kaum erkennbar. Der römische Bürger um 27 v. Chr. hatte wenig Grund dem Cäsar Octavianus
als Princeps zu mißtrauen, der versprach, die Republik nach den Bürgerkriegen
wiederherzustellen (res publica restituta). Erst spätere Historiker konnten rückblickend
erkennen: Die Republik und ihre rechtlichen Kontrollen und Garantien waren verloren (res
publica amissa).
Georg Uehlein, StR
Fachbereichsleiter Geschichte und Politische Bildung
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