Pompeius Magnus und George W. Bush 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Wir schreiben das Jahr 67 v. Chr. Das ganze Mittelmeergebiet, nach damaligem Verständnis orbis terrarum, also der ganze Erdkreis, steht unter römischem Einfluss, der pax romana, nachdem die Supermacht Karthago 149 v. Chr. endgültig zusammengebrochen ist. Der Roman way of life beginnt sich in den Anrainerstaaten langsam durchzusetzen, die römische Zivilisation mit ihrer Mischung aus griechischer Kultur und römisch-republikanischem Machtbewusstsein entfaltet ihre Attraktivität bis in die entfernten Winkel der Barbarei. Probleme bereitet nur noch der ewige „Schurkenstaat“ des pontischen Königs Mithradates VI., der 88 v.Chr., auftretend als sozialer und politischer Befreier der Griechen, die Provinz Asia (Kleinasien) überfallen und in einem blutigen Massaker Tausende von Römern umgebracht hatte. Zwar war er vom römischen Feldherrn Licinius Lucullus bereits vernichtend geschlagen, aber noch nicht gefangen worden. Daneben versetzten die Seeräuber des Mittelmeeres die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Diese waren wahrlich unzivilisierte Gesellen, die von ihren versteckten Basen in Kreta und der Südküste Kleinasiens durch Mord, Plünderung, Brandschatzung nicht nur den römischen Handelsschiffen und damit der Rohstoffversorgung Roms schadeten, sondern auch andere Hafenstädte überfielen, somit eine Bedrohung der ganzen zivilisierten Welt darstellten. Eine direkte Verbindung zwischen ihnen und Mithradates konnte trotz räumlicher Nähe nicht nachgewiesen werden, dafür aber zeitweise Bündnisse mit den aufständischen Sklaven unter Spartacus. Die republikanischen Institutionen Roms konnten auf althergebrachte Weise dieses Problems kaum Herr werden. Die Republik hatte Kontrollinstrumente der politischen und militärischen Befehlsgewalt (imperium) entwickelt, die verhindern sollten, dass sich die kontrollierte, begrenzte, an Mandate gebundene Herrschaftsausübung nicht in die kontinuierliche Herrschaft eines Tyrannen verwandelt. Dazu gehörten u.a. das Prinzip der Kollegialität (Mehrfachbesetzung der Ämter), der Annuität (zeitliche Begrenzung der Amtsausübung auf ein Jahr), der räumlichen Begrenzung der Befehlsgewalt auf eine Provinz, d.h. kein Einsatz „out of area“. Damit ließ sich das Problem der antiken Terroristen, die global im Mittelmeerraum operierten nicht bewältigen. In dieser Situation schlug die Stunde des Pompeius. Außerhalb der demokratischen Spielregeln ließ er sich auf Antrag eines Volkstribunen durch Plebiszite der aufgebrachten Menge nicht nur die zeitlich und räumlich unbegrenzte, das ganze Mittelmeergebiet umfassende, damit „globale“ Kommandogewalt, sondern auch „außerordentliche Vollmachten“ wie freie Verfügung über die Staatskasse und eigenständiger Vertragsabschluss mit ausländischen Mächten übertragen (lex Gabinia). Mit 20 Legionen und 500 Schiffen vernichtete Pompeius binnen 40 Tagen die Flotten der Piraten, erst damit wurde das Mittelmeer zum „mare nostrum“ der Römer. Die römische Öffentlichkeit war begeistert und ein Jahr später nur allzu bereit durch ein zweites Plebiszit (lex Manilia) Pompeius weitere außerordentliche Vollmachten zum Kampf gegen Mithradates auszustellen. Auch diese Aufgabe erledigte er mit Bravour und konnte nun eigenständig eine neue „Weltordnung“ im klein- und vorderasiatischen Raum errichten. Die römischen Sicherheitsinteressen und die Erfordernisse „globalen“ Handelns mussten, wie es schien, zeitweilig Vorrang haben vor den republikanischen Spielregeln und den verfassungsrechtlichen Bedenken einiger Mahner. Der Erfolg und die Effektivität des „außerordentlichen Handelns“, frei von demokratischer Kontrolle und rechtlicher Einschränkung gaben ihm eine nachträgliche Legitimation. Nach Erledigung der Aufgaben gab Pompeius sein außerordentliches Imperium zurück, entließ sein Heer und unterstellte sich damit wieder den republikanischen Gesetzen. Für die Zeitgenossen noch nicht erkennbar, hatte er aber eine Methode entwickelt, die seine cäsarischen Nachfolger zur Umwandlung der republikanischen Staatsform in eine monarchisch-autoritäre nutzen konnten: gestützt auf Volksstimmungen, begründet mit 50 55 60 65 70 75 80 85 90 „Allgemeinwohl- oder Sicherheitsargumenten“, legitimiert durch Plebiszite eine autoritäre Lösung anzustreben. Wir schreiben das Jahr 2001 n. Chr. Die Globalisierung bedeutet auch die Durchsetzung des American way of life bis in die letzten Erdwinkel, nachdem die kommunistische Supermacht zusammengebrochen ist. Die pax americana könnte eine „neue zivilisierte Weltordnung“ bedeuten, gäbe es da nicht einige Schurkenstaaten wie den Irak des Saddam Hussein und die Terroristen, die als soziale und politische Befreier der arabisch-islamischen Welt auftreten und von ihren Basen in den zerklüfteten Bergen Afghanistans die Sicherheits- und Rohstoffinteressen unserer zivilisierten Welt bedrohen etc. Um unsere Sicherheit und Zivilisation zu retten, sind „außerordentliche“ Maßnahmen nötig. Wir müssen offenbar sowohl die rechtstaatlichen Prinzipien des Strafrechts samt Unschuldsvermutung und Schuldnachweis wie des Kriegsrechts zeitweise suspendieren, „out of area“-Einsätze zulassen und die Kampfzone auf die ganze Welt ausdehnen. Gerade die Ausweitung und Nicht-Abgrenzung des Aktionsradius der neuen NATO z.B. birgt die Gefahr der Unkontrollierbarkeit. Die nationalen Kontrollinstrumente der Machtausübung wie Parlamente und Verfassungen werden tendenziell ausgehöhlt, weil sie den supranationalen Notwendigkeiten kaum ein kleinliches Bezweifeln und Pochen auf das Zustimmungsprocedere entgegenstellen können. Man sieht es an den derzeitigen Bemühungen der Regierungen die Gewissens- und Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten wie die Kontrollfunktion der Legislative insgesamt dem Altar internationaler Pflichten und uneingeschränkter Solidaritäten zu opfern. Auf der anderen Seite sind internationale kooperative Kontrollinstrumente wie UNO, anerkannte Gerichtshöfe, nicht zuletzt aufgrund des Widerstandes der USA, noch weitgehend unentwickelt bzw. machtlos. Ulrich Beck (Spiegel 42/2001) sieht in dieser Transnationalisierung der Probleme und in den Ansätzen der US-Politik die optimistische Chance einer neuen internationalen Kooperation, ja der Entwicklung eines „kosmopolitischen Staates“. Abgesehen davon, dass die augenblickliche internationale Kooperation so unterschiedlicher Staaten wie der Diktaturen Chinas und Arabiens, der Demokratien Europas und Amerikas, der autoritären Transformationstaaten der GUS gegen die Terroristen jeweils aus nationalen Stabilisierungsgründen erfolgt (wie jede Regierung eben auch ihre Haus- und Hofterroristen wie die „Tschetschenen“ etc. damit bekämpft), kann eine solche globale Krise ohne die gewollte Errichtung neuer internationaler, demokratisch legitimierter und kontrollierter Institutionen auch zu autoritären, rechtsstaatliche Standards vernachlässigenden Lösungen führen. Die Geschichte wiederholt sich nicht und Bush ist nicht Pompeius. Sie zeigt aber am Beispiel Roms: Wenn nicht bewusst nach einer demokratischen Lösung der neuen Probleme gesucht wird, schält sich eine autoritäre heraus. Für die Zeitgenossen ist dieser schleichende Wandel kaum erkennbar. Der römische Bürger um 27 v. Chr. hatte wenig Grund dem Cäsar Octavianus als Princeps zu mißtrauen, der versprach, die Republik nach den Bürgerkriegen wiederherzustellen (res publica restituta). Erst spätere Historiker konnten rückblickend erkennen: Die Republik und ihre rechtlichen Kontrollen und Garantien waren verloren (res publica amissa). Georg Uehlein, StR Fachbereichsleiter Geschichte und Politische Bildung