Werner Müller Mein Ossiloop 3 Eine sehr persönliche Betrachtung des Ossiloop 2012 von ganz weit hinten. "Nach dem Ossiloop ist vor dem Ossiloop", so heißt es doch - und es ist was dran, an diesem Spruch. Kaum hat man die Laufschuhe nach der letzten Etappe von den Füßen gestreift, denkt man bereits darüber nach, was vielleicht in dem Jahr nicht so gut gelaufen ist und beim nächsten Ossiloop besser werden sollte und man läuft einfach weiter. Doch im Sommer ist es manchmal nicht so einfach, sich dieser Aufgabe zu stellen, denn es ist heiß! Zumindest warm ist es und bei Temperaturen jenseits der 20 Grad-Marke macht das Laufen nicht wirklich Spaß. Zu Mehreren hält man dieses Problem besser in Schach. Deshalb haben Frauke, Cordula, Gaby und ich beschlossen, jeweils dienstags gemeinsam zu laufen, keine Gewaltstrecken, jeweils eine gute Stunde auf der Piste soll genügen. Diesen Dienstagslauf haben wir auch konsequent durchgezogen, jedenfalls ein halbes Jahr lang. Das Jahr nach dem Ossiloop teilte sich ohnehin in lauftechnisch positive und weniger positive Abschnitte. Der Anfang war sehr positiv. Die Leeraner Polizei veranstaltet jedes Jahr im Sommer den City-Lauf in Leer. Zu diesem Lauf, bei dem die Strecken 5 km, 10 km und Halbmarathon angeboten werden, habe ich mich für die 5000 Meter angemeldet. Wen treffe ich am Start? Meinen Freund, den Seeräuber vom Ossiloop. Johnny hat sich ebenfalls angemeldet. Der gegenseitige Blick in die Augen verheißt ein spannendes Rennen, das jeder von uns beiden für sich entscheiden will. Wir versichern uns jedoch gegenseitig, dass es völlig egal ist, wer hier heute gewinnt - wer´s glaubt? Kurz nach dem Start zieht das Feld, wir kennen es ja vom Ossiloop, auf und davon. Von den Langsamsten sind wir jedoch die Schnellsten und gehen das Rennen natürlich wieder mit einer viel zu hohen Pace an. Zwei Runden von je 2.5 Kilometern sind rund um den Leeraner Hafen zu laufen. Dabei ist auch die Nessebrücke zu überqueren, die sich in einem eleganten Bogen über den Hafen spannt. Dieser "elegante" Bogen macht einen Höhenunterschied von ca. 8-10 Metern, der erst einmal überwunden werden muss und einem ordentlich in die Beine geht. Nachdem wir diese Brücke zum zweiten Mal passiert haben und wir in Richtung Rathaus laufen, höre ich Johnnys Dampfmaschine nicht mehr. Es sind noch gut zwei Kilometer zu laufen. Wie weit Johnny hinter mir läuft weiß ich nicht, aber die Beine werden schwer, das Anfangstempo war wieder einmal zu hoch. In der Brunnenstraße, etwa 800 Meter vor dem Ziel möchte ich am liebsten aufgeben, mir ist übel, das Herz rast und die Beine fühlen sich an wie Kaugummi - aber eventuell Johnny vorbei lassen? Nein, dann doch lieber weiter laufen! In der Mühlenstraße feuern mich die Zuschauer an, das gibt noch einmal einen Schub für die letzten Meter bis ins Ziel. Bei 33 Minuten und sechsundfünfzig Sekunden bleibt die Uhr stehen, was einer Pace von 6 Minuten 45 entspricht, eine Zeit, über die viele nur mitleidig lächeln können, für mich jedoch die schnellste 5000 Meter Zeit meines Läuferlebens ist. Was mich natürlich besonders stolz macht ist die Tatsache, dass ich meinen persönlichen Piraten Johnny geschlagen habe. Er kommt etwa zwei Minuten nach mir ins Ziel. Trotzdem haben wir uns alle noch "ganz lieb". Bereits während des Ossiloop haben wir "Spätstarter der Gruppe 10" vereinbart, uns doch einmal zwischen den Rennen zu treffen, denn einmal im Jahr beim Ossiloop ist ein bisschen wenig. Also sitzen an einem Freitagabend im November Johnny, Sören, Anja und ich mit unseren Partnern beim Italiener, lassen uns die Pizza schmecken und versichern uns schon mal gegenseitig unseres schlechten Trainingszustands, um in Ruhe weiter üben zu können und topfit zum Ossiloop auflaufen zu können. Um ein Optimum an Fitness zu erreichen haben wir, Cordula, Frauke und ich, uns bei einem von Edzard angebotenen Halbmarathonkurs angemeldet. Ziel des Kurses soll es sein, beim Logabirumer Winterlauf im Februar zumindest die Kurzstrecke mitlaufen zu können. Die Kurzstrecke beim Winterlauf beträgt 16.2Kilometer, die Langstrecke 26 Kilometer. Wir haben uns Edzards Trainingsplan unterworfen! Wir sind zum Teil am Sonntagmorgen um 9.00 Uhr zum Lauf angetreten und sind bis zu zweieinhalb Stunden durch die Prairie getrabt. Frauke und ich haben uns zudem freitags noch an der Evenburg getroffen, um zu trainieren. Wir haben das letzte Lüftchen aus der Lunge geholt und wir wären absolut fit gewesen...wenn nicht Krankheit und Gebrechlichkeit uns aus der Bahn geworfen hätten: Frauke hatte "Wade", ich hatte "grippalen Infekt" und Cordula hatte "Zuviel Wetter". Angetreten zum Probelauf auf der 16 Kilometer-Strecke sind dann Cordula und ich. Schlapp gemacht haben wir ca. 2 Kilometer vor dem Ziel. Cordula war am Ende ihrer Kräfte und ich bin in die psychologische Falle "Autobahnbrücke" getappt. Wenn einem der Kopf befiehlt, nicht mehr laufen zu können, weil ja gleich der "steile" Anstieg zur Autobahnbrücke kommt, geben auch die Beine nach und der innere Schweinehund tut sein Übriges. Nach einer kurzen GehPause sind wir allerdings beide noch laufend ins Ziel gekommen. Den Lauf am 12. Februar musste ich dann allein bestreiten. Hier erging es mir genauso, wie beim Probelauf, kurz vor dem Ziel die bekannte Brücke, Geh Pause und Ärger über den inneren Schweinehund, den ich nicht besiegen konnte. Nach guten zwei Stunden im Ziel war ich allerdings doch recht stolz darauf, diese Strecke hinter mich gebracht zu haben. Eine Woche später bin ich noch einmal gelaufen, nur so für mich, und konnte dank der stimmenden inneren Einstellung die Strecke in einem Stück absolvieren. Nach diesem Lauf hat sich Cordula aus unserer Gruppe verabschiedet um, zwecks Steigerung des eigenen Lauftempos, am Intervall -training mit Edzard teilzunehmen. Auch Gaby hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und konnte sich nicht, wie erforderlich, auf den Ossiloop vorbereiten, was sie frühzeitig zu der Entscheidung führte, in diesem Jahr nicht mitzulaufen. So haben dann Frauke, Thea und ich regelmäßig jeden Dienstag gemeinsam unsere Runden gedreht. Zusätzlich ist natürlich jeder für sich noch zweimal in der Woche gelaufen. Schon kommen wir zum, für mich, nachhaltigsten Negativ-Erlebnis des Jahres zwischen den Läufen. Die letzte größere Laufveranstaltung vor dem Ossiloop ist der City Lauf in Norden. Für Edzard der erste Termin für die Ausgabe der Startnummern für den Ossiloop und ansonsten ein Volkslauf, wie viele andere. In diesem Jahr allerdings ist der City Lauf verbunden mit den Niedersächsischen LangstreckenLandesmeisterschaften, ein Termin, den ich mir eigentlich nicht merken müsste, wenn nicht Edzard mir einen Floh ins Ohr gesetzt hätte. "Wir bekommen dort als Mannschaft Punkte und wenn in deiner hohen Altersklasse nur wenige Läufer antreten und du, egal in welcher Zeit, von drei Läufern der Dritte bist, dann gibt es für die Mannschaft noch Punkte". Nun gut, zehn Kilometer laufen kann ich, und wenn die Zeit keine Rolle spielt, dann lass mich doch laufen, so habe ich mir gedacht. Kurz nach dem Start unserer Gruppe, in der Frauen und ältere Herren liefen, waren alle weg und ich allein auf weiter Flur, trotz persönlicher Bestzeit von 6 Minuten fünfzehn auf den ersten Kilometer. Viermal wäre der Rundkurs durch die Altstadt von Norden zu absolvieren gewesen. Bereits in der zweiten Runde bekam ich müde Beine und, was ich bis dahin gar nicht kannte, Seitenstechen. Zur Aufgabe nach drei Kilometern veranlasste mich allerdings auch der Kommentar des Streckensprechers, der meinen Laufstil per Mikrofon als "sehr grazil" kommentierte. Hätte ich mehr Luft gehabt, ich hätte ihm das Mikro aus der Hand genommen... Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich auf dieser Veranstaltung nichts, aber auch gar nichts zu suchen hatte. Ich hätte es machen sollen wie Frauke, die zusammen mit ihrem Sohn am Volkslauf teilgenommen hat. So ganz nebenbei hat sie mit 64 Minuten auch noch eine persönliche Bestzeit über 10 Kilometer aufgestellt. Für uns, die wir nicht mehr so ganz jugendlich sind, eine beachtliche Zeit. So kamen wir mit ganz unterschiedlichen Eindrücken aus Norden zurück. In den nächsten Tagen sitze ich immer wieder vor dem Computer, um die Meldeliste für den Ossiloop auf Neueinträge durchzusehen. Man freut sich doch über jeden bekannten Namen aus Startgruppe 10. So nebenbei bekomme ich dann noch eine E-Mail von einer Helga von den EWE-Wattloopern. Sie hat wohl meine Berichte über die vergangenen beiden Ossiläufe gelesen und möchte mir auf diesem Wege dazu gratulieren und mir sagen, dass sie alles, was ich geschrieben habe persönlich nachvollziehen konnte. Von ihren Zeiten liegt sie in etwa auf meinem Niveau, uns trennen vielleicht dreißig Sekunden. Ich nehme mir vor, ihr in Bensersiel ein herzliches "Hallo" zu sagen und mich für die Mail zu bedanken. Es ist ein schönes Gefühl, wenn auch anderen gefällt, was man geschrieben hat. Für die restlichen Tage heißt es nun: Warten auf den Mai! Gelaufen wird am Wochenende noch ein lockeres halbes Stündchen, bis es am Dienstag heißt: Der Mai ist gekommen, der Ossiloop fängt an. Dienstag, 1. Mai 2012, der Ossiloop beginnt. 1. Etappe: 11,2 Kilometer von Bensersiel nach Dunum. Seitdem ich am Ossiloop teilnehme, hat der 1. Mai eine völlig neue Qualität für mich. Vorbei ist es mit Tanz in den Mai, feuchtfröhlichem Maibaum aufstellen und derlei konditionsfeindlichen Veranstaltungen. Natürlich habe ich auch in diesem Jahr während der letzten vier Wochen vor dem Lauf keinen Tropfen Alkohol zu mir genommen. So stolziere ich dann am späten Nachmittag des 1. Mai 2012 in voller Montur unserem Treffpunkt auf dem Parkplatz der "Ostfriesenzeitung " entgegen. Vor der Brust meine spezielle Startnummer, die Heike, Edzards Frau, mir hat zukommen lassen. Ich durfte mir die Nummer selbst aussuchen und habe mich für die Nummer 2222 entschieden, obwohl gar nicht so viele männliche Läufer am Start sind, das macht aber nichts, ich fand es ganz lustig. Obwohl ich immer wieder die Teilnehmerliste studiert habe und somit eigentlich genau weiß, wer sich angemeldet hat und wessen Name fehlt, blicke ich mich vor dem ersten "Hallo" doch erst einmal um, um die Gesichter meiner Lieben zu finden und festzustellen, ob denn auch alle da sind. Sie sind da: Sören, der eigentlich gar nicht laufen wollte, wegen "Rücken", Sabine, seine Frau, Johnny, dessen Teilnahme wegen "Knie" auch auf des Messers Schneide stand, Cordula, die sich für dieses Jahr ordentlich was vorgenommen hat und Frauke, meine treue Mitläuferin. Gerold, unser Kassenwart, nebst Gemahlin Henny, H.-D., der Ultraläufer, Maggie, die Laufkatze aus Logabirum und viele andere bekannte Gesichter warten an diesem 1. Mai gespannt auf den Bus, der uns zum Start des Ossiloop nach Bensersiel bringen soll. Es ist kurz nach 17.00 Uhr, der Bus rollt auf der B 436 gen Nordseeküste. Da ist es auf einmal wieder, dieses Gefühl, dieses Kribbeln, das Ossiloop-Feeling: Hast du dich gut vorbereitet, war es überhaupt richtig, sich anzumelden, stehst du den Lauf durch...? Tausend Sachen gehen einem durch den Kopf. Doch diese gesamte Gedankenmacherei ist unsinnig, am Ende steht doch die Freude darüber, dass es jetzt endlich wieder losgeht. Ein ganzes Jahr haben wir darauf warten müssen. Unterwegs in Hesel, in Aurich und auch zwischendurch stehen an der Strecke Gruppen von Läufern, die auf ihre Busse oder Mitfahrgelegenheiten warten. Auch ihnen steht die Freude auf das, was kommt ins Gesicht geschrieben. Man winkt sich zu, man grüßt sich, die Ossiloopfamilie kommt wieder zusammen. Ein geiles Gefühl (dieses Wort durfte man früher nicht einmal in den Mund nehmen)! Während der gesamten Fahrt sehe ich Bilder des Laufes vor zwei Jahren wie einen Film vor mir ablaufen. Wir passieren Bagband, Holtrop, Plaggenburg, Etappenziele, die wir auch in den nächsten Tagen wieder erreichen wollen. Ich kann den Muskelschmerz und die keuchende Lunge von damals fast körperlich spüren. Wir fahren an Dunum vorbei. War die Strecke bis Esens eigentlich immer schon so lang? Es dauert Ewigkeiten, bis wir den Ort durchfahren. Auf der Reststrecke bis Bensersiel nur noch "die Augen links" auf den Deich gerichtet, der uns vor einem Jahr vom Ende unserer Strapazen kündete und uns heute, in der umgekehrten Richtung, auf den ersten 3 Kilometern begleiten wird. Es wird ernst, wir haben den Parkplatz in Bensersiel erreicht und müssen aus dem Bus aussteigen. Ein erster Blick auf den Graben sagt mir, dass das Freiluftklo in diesem Jahr längst nicht so stark frequentiert wird, wie vor zwei Jahren. Vermutlich haben die meisten zu Hause nochmal die Spülung betätigt. Da die Uhr erst kurz nach 18.00 Uhr zeigt, ist das Treiben am Start noch sehr übersichtlich, es treffen aber immer mehr Busse ein, über fünfzig sollen es in diesem Jahr sein, die immer neue Läufer in den zu diesem Zeitpunkt vor dem Verkehrsinfarkt stehenden Badeort bringen. Da ich immer noch der Vorsitzende des Ausrichters Fortuna Logabirum bin, obliegt es mir auch in diesem Jahr, die Läuferinnen und Läufer zu begrüßen. Natürlich habe ich mir wieder einige Worte zurechtgelegt, will etwas von einer Ü-30 Party erzählen, die der Leeraner Bürgermeister Kellner uns zum Abschluss des 31. Ossiloop in diesem Jahr in Aussicht gestellt hat. Und dass er die Getränke schon mal kalt stellen soll, wir sind auf dem Weg. Vermutlich wird’s wieder keinen interessieren und kaum einer hört zu, aber Programm ist Programm! Langsam füllt sich der Startplatz, neue altbekannte Gesichter tauchen auf. Thea, unsere Mitläuferin ist eingetroffen, Anton und Geda, ossiläuferisches Urgestein, sind dabei und auch Gebhard aus Maiburg, der bisher nur für sich allein gelaufen ist und nie im Leben eine Teilnahme am Ossiloop ins Auge gefasst hat, hat sich kurzfristig noch angemeldet. Heike aus meinem OssiloopKurs 2010 ist auch wieder dabei, allerdings ohne Ricardo, der erkrankt ist und in diesem Jahr nicht mitlaufen kann. Es ist eine tolle Sache, wie der Ossiloop Menschen verbindet. EWE Wattlooper sehe ich an diesem Abend jede Menge, jedoch keine Läuferin mit der Startnummer F110 und dem Namen Helga. Nach ja, dann bedanke ich mich eben bei der nächsten Gelegenheit für ihre Mail, wir werden uns schon noch über den Weg laufen. Stattdessen sehe ich eine Läuferin, die sich mit einem großen Hund in ihrer Start Box eingefunden hat. Ob dieser Hund mitläuft? Für unsere kleine Mischlingshündin "Nelly", die mich noch im vorigen Jahr bei all meinen Trainingsläufen begleitete, hatte ich auch schon einmal erwogen, Edzard zu fragen, ob ich sie mitlaufen lassen könne. Bei der Menge an Läufern und der Enge des Wanderweges habe ich diese Idee dann aber doch als nicht durchführbar wieder verworfen. Außerdem wären bis zu vierzehn Kilometer für meinen kleinen Hund doch des Guten zu viel gewesen. Wenn die Läuferin ihren Hund an der Leine führt, Edzard damit einverstanden war und der Hund andere Läufer mit behindert, dann soll es mir doch recht sein, dass sie ihren Vierbeiner mitnimmt. Sie läuft sowieso vor mir und ich werde den Hund vermutlich während des Laufes nie zu Gesicht bekommen. Es ist zehn vor Sieben, ich darf als erster ans Mikrofon, begrüße die Läuferinnen und Läufer, wünsche uns einen guten Lauf und vergesse völlig, die Ü-30 Party zu erwähnen, wie geplant, hat aber wie gesagt keinen gestört, oder interessiert. Nach mir noch der Bürgermeister von Bensersiel, der vermutlich auch seine Ansprache von vor zwei Jahren wiederholt (wenn sogar Silvesteransprachen von Bundeskanzlern wiederholt werden, sollte das kein Beinbruch sein) und den Startschuss geben soll. Die Startboxen sind mittlerweile alle gefüllt. Bis ich mit der letzten Startgruppe an der Reihe bin, vergeht erfahrungsgemäß noch eine Viertelstunde. Punk Sieben fällt der Startschuss. Mit lauter, hämmernder Musik und unter den Beifall der Zuschauer, die zahlreich den Deich und das Hafengebiet bevölkern, fliegen die ersten Läufer durch die Sieltore, dem Deich zu. Es ist wieder zu vermuten, dass sie bereits fast das Ziel erreicht haben, wenn wir Rennschnecken gerade mit dem Lauf begonnen haben. Aber - sei´s drum, wir wollen nicht siegen, wir wollen ankommen, das ist für uns Sieg genug. "Piep" - Auch wir sind durch! Jetzt gilt´s. Thea, Frauke, Cordula und ich haben uns vorgenommen, die Strecke gemeinsam zu laufen. Frauke läuft vor lauter Übermut die ersten Meter rückwärts, um zu sehen ob wir auch mitkommen. Auf dem Deich in Richtung Esens kann man kaum zu zweit nebeneinander laufen. So verlieren wir doch relativ schnell die Bindung aneinander und ich laufe wieder allein. Gut dass ich den Weg kenne! Mir ist es recht, wenn die Mädels das Tempo laufen, das für sie das Beste ist, ich möchte nicht ihr Bremsklotz sein. Zum anderen weiß ich, dass Johnny hinter mir läuft und auf ihn werde ich aufpassen. Anders, als bei meinem ersten Lauf versuche ich, mir meine Kräfte diesmal besser einzuteilen und es langsam angehen zu lassen. Der Blick auf meine unlängst erworbene Garmin (man muss bei den Kilometerlängen ja mitreden können) verheißt mir allerdings, dass ich mit siebenzehn doch recht flott unterwegs bin. Meine Damen sind mir kurz vor Esens weit enteilt und ich überlege, ob sie zwischenzeitlich vielleicht fliegen gelernt haben. Da sich das müde Gefühl in den Beinen noch nicht einstellt und wir den halben Weg bald hinter uns haben behalte ich mein Tempo bei. Es wird schon gut gehen. Ausgangs der Stadt wechseln wir wieder die Straßenseite und passieren die erste Wasserstelle. Ich schleudere mir einen Becher voll ins Gesicht und versuche möglichst viel von dem Nass in den Mund zu bekommen, denn im Laufen versuchen zu trinken, das geht nicht. Hier an der Wasserstelle treffe ich auch Gebhard, den Neuling aus Maiburg. Als Neuling ist er vorsichtig mit der Geschwindigkeit und lässt es langsam angehen. Ich werde einen ganzen Kopf größer, weil ich ihn überholen kann, allerdings ohne ihm weit enteilen zu können. So stolz ich auf mein Überholmanöver auch bin, die Beine und der ISH, der innere Schweinehund, melden sich, nachdem wir ein gutes Stück auf dem Wanderweg gelaufen sind. Ich hadere mit mir, weil ich eigentlich so gut vorbereitet bin, dass ich die 11,2 Kilometer ohne Probleme durchstehen müsste, Garmin erzählt mir aber, dass ich die bisherigen Kilometer in einer für mich ungewöhnlich schnellen Zeit gelaufen bin. Also, sagt mir mein ISH, wenn du bisher so schnell gelaufen bist, dann hast du dir jetzt auch eine Geh Pause verdient. Manchmal ist der Kopf stärker als die Beine und ich höre auf zu laufen und lege die nächsten Meter im flotten Gang zurück. Dabei ärgere ich mich über mich selbst und schimpfe mich "Weichei". Also nehme ich den Trab wieder auf. Auf dem elften Kilometer erwischt mich der ISH noch einmal in einer Weicheiphase. Nun schließt Gebhard zu mir auf, fragt mich was los ist und schickt sich an, mich wieder zu überholen. Scheiß auf den ISH, das will ich nicht! So trotte ich den nächsten Kilometer mit lahmen Beinen aber ausreichend Luft neben Gebhard her, bis wir den letzten Bogen vor dem Ziel in Dunum erreichen. Es sind noch etwa dreihundert Meter, Gebhard wird schneller - ich auch. Noch einhundertfünfzig Meter, ich werde schneller - Gebhard auch. Noch hundert Meter bis ins Ziel, beide laufen wir so schnell wir können, jeder will der Erste sein, der ISH ist vergessen, die Beine laufen von allein, die letzten Meter.....Schulter an Schulter erreichen wir das Ziel und hören auch nur ein einziges "Piep" beim Überqueren der Matte für die Zeitnahme. "Das ist nochmal gut gegangen", denke ich mir, völlig außer Atem. Da ereilt mich der nächste Schicksalsschlag. Heino, die Stimme des Ossiloop, hat sich mal wieder einen Spaß daraus gemacht, bei meinem Zieleinlauf lauthals zu verkünden, dass jetzt der Vorsitzende von Fortuna Logabirum...und hält mir auch schon das Mikrophon vor den Mund. Wie mir die erste Etappe und mein Lauf gefallen hätten, möchte er wissen. Leider bin ich noch nicht in der Lage, ihm auf seine Frage zu antworten. Das einzige was ich ihm sagen kann ist, dass er mir immer zur falschen Zeit die richtigen Fragen stellt. Wir müssen beide herzlich lachen. Nach den üblichen drei Minuten geht es mir wieder gut und ich suche als erstes den Stand mit den Getränken auf. Brunos warmer Früchtetee ist in diesem erbärmlichen, ausgelaugten Zustand das Köstlichste, was man sich überhaupt vorstellen kann und bringt einen augenblicklich wieder zu Kräften. Eine gute Alternative hier in Dunum wäre vielleicht auch der nur hier vom Bürgerverein angebotene "Krintstuut mit Botter und ‘n Köppke Tee", von dem ist aber erfahrungsgemäß, weil sehr schmackhaft, nach kurzer Zeit nichts mehr da. Auch meine Mitläufer finde ich im Getümmel. Frauke ist schon vor einer geraumen Weile durchs Ziel gelaufen, Cordula und Thea waren auch gute fünf Minuten schneller, als ich. Macht aber ja nichts, auch ich bin angekommen, und das in einer Zeit, die fünf Minuten unter der vor zwei Jahren liegt. Mein Piratenfreund Johnny ist zusammen mit Sabine und Sören mittlerweile auch eingetroffen. Natürlich nehme ich mit Freude zur Kenntnis, dass er hinter mir geblieben ist, was sicherlich Grund für neue Frozzeleien zwischen uns sein wird. Obwohl man erklärender Weise zu seiner Leistung sagen muss: Johnny hat "Knie"! Eigentlich ist mir jetzt nach einer Etappen-Bratwurst zumute. Doch Cordulas freundliche Bemerkung, dass ich mir die dann wohl gleich auf die Hüften tackern könne, lässt mich vom Genuss derselben absehen und so fahre ich mit meiner lieben Frau, die mich, wie gewohnt, am Etappenziel erwartet hat, müde, zugleich stolz auf das Geschaffte, aber auch etwas enttäuscht über die notwendigen Gehpausen nach Hause, um für die zweite Etappe am Freitag wieder Kräfte zu sammeln. Freitag, 4. Mai 2012 2. Etappe: 11.9 Kilometer von Dunum nach Plaggenburg. (Durch den grünen Tunnel) Es ist Freitag, der 4. Mai 2012, wir sitzen mit neuen Kräften wieder im Bus, um auf der Straße von Ogenbargen nach Esens in Dunum zunächst wieder das zweimal jährliche Verkehrschaos durch fünfzig Busse und ungezählte PrivatPKW zu veranstalten. Es ist recht kühl geworden und so bleiben wir so lange, wie möglich im warmen Bus sitzen. Irgendwann müssen wir dann doch raus in die Kälte. Viele erfahrene Läuferinnen und Läufer haben vorgesorgt und Müllsäcke mitgebracht, in die sie für Kopf und Arme Löcher geschnitten haben. Unter diesen Hüllen kühlt man nicht so schnell aus. Ich frage mich allerdings, wohin mit dem ganzen Müll nach dem Start, denn mit Müllsack wird ja wohl keiner rennen. Nach den obligatorischen Ansprachen wichtiger Menschen und den Ansagen von Edzard erfolgt, wie immer pünktlich um Sieben der Startschuss für die zweite Etappe, übrigens wieder mit Frauchen und Hund. Dieses Thema hat sich im Forum auf der Ossiloop-Homepage als ein Quell unerschöpflichen geistigen Dünnpfiffs etabliert. Ohne im Einzelnen auf die meisten der Schreiberlinge einzugehen, nimmt es einen schon wunder, weshalb immer gerade diejenigen, die grundsätzlich am wenigsten zu einem Thema zu sagen haben, sich als erste zu Wort melden, um ihr krudes Gedankengut öffentlich zu machen. Bei manch einem dieser anonymen Deutschverderber möchte man meinen, das Angebot für eine kostenlose Patenschaft zur Erlangung des Hauptschul-Abschlusses würde sich als sehr hilfreich erweisen. Soviel, und kein Wort mehr zu diesem Thema. Als sich die vorletzte Gruppe, also die Gruppe vor uns, auf den Weg macht, sehe ich was mit den vielen Müllsäcken passiert. sie werden nicht einfach achtlos in die Landschaft geworfen, sondern locker an den Draht eines Zaunes gebunden, der den Weg im Startgelände begrenzt. Auf über hundert Meter Müllsack an Müllsack am Zaun, ein auch nicht gerade alltäglicher Anblick. So trabe ich denn an diesem Freitagabend zusammen mit den anderen Rennschnecken aus dem zehnten Startblock los, um den von Klaus Beyer so benannten "Grünen Tunnel", der in diesem Jahr zu dieser Jahreszeit tatsächlich schon grün leuchtet, in Angriff zu nehmen. Allerdings auch heute, ohne eine EWE-Helga gesehen zu haben. Mich verwundert das, denn unsere Zeiten liegen sehr nahe beieinander, bei der ersten Etappe trennten uns gerade mal 21 Sekunden, die ich vor ihr im Ziel war. Frauke und Cordula sehe ich nach dem Start bis Plaggenburg nicht wieder, da sie aus dem Block vor uns gestartet sind, was auch ihrer Leistungsfähigkeit entspricht. Heike läuft einige Meter vor mir, Thea ist auch noch in Sicht, allerdings vergrößert sich ihr Abstand zu mir mit jedem Kilometer, bis ich auch sie nicht mehr sehe. Auch Gebhard ist wieder aus Block Neun gestartet und auch ihn sehe ich nicht. Trotzdem habe ich ein gutes Gefühl, da mein Strandräuber aus Norderney noch hinter mir läuft. Mal sehen, wie lange ich ihm heute Paroli bieten kann. So geht es die ersten sechs Kilometer fast schnurgerade bis Ogenbargen, wo die Bundesstraße nach Wilhelmshaven gekreuzt wird. Zwischendurch immer wieder den Blick auf Garmin. Man wird abhängig von der Uhr. Im Grunde will ich die Geschwindigkeit laufen die ich zu laufen vermag und nicht die Zeit, die ich, angestachelt durch die Uhr, glaube, laufen zu müssen. Meine Vorbereitung auf den Ossiloop kann wohl doch nicht so schlecht gewesen sein, denn bisher laufe ich das Tempo von sieben Minuten ohne große Probleme, kann sogar unterwegs Heike und Gebhard noch ein – und überholen und behalte den Piraten hinter mir. Nach dem Passieren der Bundesstraße, das wieder hervorragend durch unsere Freunde und Helfer von der Polizei gesichert wird, heißt es: „Westwärts zieht der Wind“ (war mal der Titel eines Western mit Lee Marwin). Weitere sechs lange Kilometer sind, bis auf wenige Zickzacks des Weges, auf einer schnurgeraden Strecke Richtung Westen, vorbei an dem Dörfchen Middels zu absolvieren. Auch bei diesem Lauf ist mir der Schornstein der ehemaligen Molkerei wieder die Markierung für die Hälfte der Reststrecke. Spätestens an diesem Punkt, an dem ich, bedingt durch den Westwind, schon wieder Fetzen der Lautsprecherdurchsagen und Musik vom Ziel vernehmen kann, erwischt mich wieder der ISH. Mit süßen Worten säuselt er mir ins Ohr: „Du bist fertig, Du kannst nicht mehr, hör auf zu rennen, was treibt Dich an?“ Und wieder erliege ich den Verlockungen, die mir dieser innere Schweinehund flüstert. Ich mache eine Geh Pause! Aus der einen Pause werden am Ende drei und ich ärgere mich wieder mal über mich selbst, dass ich nicht die Willensstärke besessen und dem ISH widerstanden habe Die letzte Pause mache ich etwa einen Kilometer vor dem Zieleinlauf. Danach beiße ich die Zähne zusammen, denke nicht mehr an müde Beine oder kurzen Atem, ich richte meinen Blick nur noch stur auf das Ziel, das ich aus einigen hundert Metern Entfernung bereits ausmachen kann und laufe einfach einen Schritt nach dem nächsten. Auf den letzten Metern gelingt es mir sogar noch einige Läuferinnen überholen. Als ich, wieder einmal, völlig fertig über die Matte und durch den Zielturm hechele, Heinos freundliche Begrüßung ignoriere und mich nur noch freue, endlich angekommen zu sein, sehe ich in das mitleidige Antlitz meiner Eheliebsten, die mich erwartet und es wieder einmal nicht fassen kann, wie man sich freiwillig und auch noch gegen die Zahlung einer Summe Geldes solch einer Strapaze unterwerfen kann. Nun, nach wenigen Minuten bin ich wieder bei mir, kann sprechen und auch sonst am Leben teilnehmen. In ein trockenes T-Shirt geschlüpft, die Stirn vom Schweiß befreit, schon ist man ein neuer Mensch. Jetzt sehe ich auch Cordula und Frauke, die schon seit geraumer Zeit auf mich warten. Gegenseitig beglückwünschen wir uns zur geschafften zweiten Etappe und verabreden, dass wir den heutigen Rückweg gemeinsam antreten. Wir fahren alle mit Margret, da das Verkehrschaos hier in Plaggenburg erfahrungsgemäß eine Weile andauert und wir mit dem PrivatPKW schneller zuhause sind, als mit dem Bus. Aber bis dahin muss ich mich noch etwas im Zielbereich umgucken. Heino steht immer noch am Zielturm und begrüßt ankommende Läufer. So schlecht kann meine Zeit ja dann doch nicht gewesen sein, wenn immer noch Läufer kommen. Ich geselle mich zu ihm, um zu sehen, ob noch bekannte Gesichter unter den „Nachzüglern“ sind. Sofort hält er mir wieder das Mikrofon unter die Nase, um mich nach meinen bisherigen Eindrücken des diesjährigen Ossiloop zu fragen. Als ob die so wichtig wären. Ich sage ihm, dass ich mich am meisten auf die Ü-30 Party von Bürgermeister Kellner beim Einlauf in Leer freue. Heino nimmt diesen Ball auf, und so entspinnt sich ein nicht ganz ernst zu nehmender kurzweiliger Dialog zwischen uns, bis er die nächsten Läufer empfangen muss. Unter den jetzt eintreffenden ist auch Gebhard aus Logabirum, dem die Anstrengungen des Laufes wohl anzusehen sind. Aber auch er ist glücklich, diese Etappe geschafft zu haben. Dabei fällt mir ein: Wo ist Johnny? Nach kurzer Suche im Zielbereich finde ich die gesamte Truppe, Johnny, Sabine und Sören. Sabine hat sich von den beiden noch etwas absetzen können und kam zwei Minuten nach mir ins Ziel, Johnny und Sören brauchten noch weitere zwei Minuten, um die Zielmatte zu überlaufen. Ich kann mich eines klammheimlichen Freudengefühles nicht erwehren und zähle genüsslich die bisherigen Minuten zusammen, die der Pirat nun hinter mir liegt. Aber – sechs Etappen hat der Ossiloop und man soll bekanntlich den Tag nicht vor dem Abend loben. Es fängt langsam an zu dämmern und wird kühl. Es ist Zeit, um nach Hause zu fahren und sich unter einer heißen Dusche zu entspannen und schlafen zu gehen, schließlich müssen wir am Dienstag zur Königsetappe wieder fit sein. So geschieht es dann auch, wir sammeln Frauke und Cordula ein und fahren los. Die Busse quälen sich immer noch ganz langsam, einer nach dem anderen, auf die auch um diese Zeit noch hoffnungslos verstopfte Hauptstraße. Freitag, 8. Mai 2012 3. Etappe: 14 Kilometer von Plaggenburg nach Holtrop ( Die Königsetappe) Dienstag, 8. Mai 2012, heute ist der Tag der Königsetappe. 13,6 Kilometer von Plaggenburg über Aurich, bis Holtrop sind heute zu bewältigen. Gut kann ich mich noch an das letzte Jahr erinnern, als Edzard uns heimlich, still und leise noch 600 zusätzliche Meter auf die offizielle Distanz von damals 14 Kilometern zugemutet hat. In diesem Jahr, wo wir die Strecke in umgekehrter Richtung laufen, hat man das Ziel von Aurich aus an den Ortsanfang verlegt, da sonst die im Zeitraum von über einer Stunde eintreffenden Läufer den Durchgangsverkehr in Holtrop zum Erliegen bringen würden. Analog zum letzten Jahr wird auch heute wieder nach der Hälfte der Starter eine längere Pause eingelegt, um den Verkehrsfluss auf der Auricher FockenBollwerk-Straße, einer stark frequentierten Ausfallstraße in Richtung Osten zu gewährleisten. Aus dem Schaden vor zwei Jahren klug geworden, setzt Edzard auch in diesem Jahr ein Führungsfahrrad vor diesem zweiten Startblock ein, das genau die Geschwindigkeit einhält, das die Läufer der folgenden Start Box haben müssten und nicht überholt werden darf. So kann die gewollte Lücke nicht zugelaufen und damit Sinn und Zweck des ganzen Unterfangens ad absurdum geführt werden. Noch stehen wir allerdings auf dem Parkplatz der OZ und warten auf den „Tour Bus“ der Firma Kok, der uns, samt Fahrer, schon ans Herz gewachsen ist. Die einzige, die nach dem Eintreffen des Busses noch fehlt ist Frauke. Sie wird doch wohl nicht kneifen – jetzt, wo sie so gut im Rennen liegt? Wir haben schon alle Platz genommen und der Fahrer lässt den Bus anrollen, da kommt Frauke um die Ecke gefegt. Termine, Termine, Termine haben sie aufgehalten erzählt sie atemlos aber zufrieden, es doch noch vor Abfahrt des Busses geschafft zu haben. Jetzt kann´s losgehen. Auf nach Plaggenburg. Auf dem Weg in den Auricher Vorort herrscht gute Stimmung im Bus. Im Grunde wissen wir alle, dass wir die vor uns liegenden 13.6 Kilometer laufen können und wie wir unsere Kräfte einteilen müssen. Eine ähnlich unliebsame Überraschung wie im letzten Jahr, wo wir statt der erwarteten vierzehn Kilometer glatte sechshundert Meter mehr laufen mussten, werden wir in diesem Jahr nicht erleben, da sich das Ziel, aus Auricher Sicht, bereits im Ortseingangsbereich von Holtrop befindet. Im vergangenen Jahr mussten wir noch das ganze Dorf durchqueren. Den Kopf voller solch schöner Gedanken kann ich mich gerade noch bremsen, bevor ich Johnny frage, ob er denn den Ossiloop auch mitläuft, ich hätte ihn bisher noch gar nicht gesehen. Er scheint zu ahnen, was in meinem Hirn vorgeht. Wissendes Grinsen ist die Antwort. Er scheint mir damit sagen zu wollen: „Es ist noch ist nicht aller Tage Abend, mein Freund, ich hol` dich noch“. Das große Verkehrschaos beim gleichzeitigen Eintreffen der Busse in Plaggenburg kennen wir ja bereits, daher bleiben wir auch alle ruhig, es ist noch genügend Zeit bis zum Start und im Bus ist die Temperatur angenehmer, als draußen. Außerdem bittet uns der Fahrer, alle im Bus sitzen zu bleiben, bis die endgültige Parkposition erreicht ist. Dank des Eingreifens der Freiwilligen Feuerwehr Plaggenburg klappt das Parkleitsystem heute sogar. Da wir noch fast zwanzig Minuten Zeit haben, zieht es Frauke und mich noch nicht zum Startplatz, wir verweilen noch zusammen mit H.-D., dem Ultraläufer, hier an der Turnhalle, vor der unser Bus Position bezogen hat. Geredet wird über Gott und die Welt und das Laufen im Besonderen. Da die Halle zu dieser Zeit genutzt wird, also offen ist, sind auch die Toiletten zugänglich, was von mehreren Ossiläufern dankend angenommen wird, denn die vorhandenen Möglichkeiten am Startplatz sind hoffnungslos überlaufen und es haben sich lange Schlangen gebildet. Behält derweil Die Freundlichkeit der Plaggenburger Sportler findet jedoch ein jähes Ende, als sie der Nutzung der WC-Anlagen durch, für sie fremde Personen gegenwärtig werden. Sofort wird die Halle abgeschlossen und der Zutritt zur Toilettenanlage unterbunden. Vor was man hier wohl Angst hat, und ist es nicht ein sportlich faires Unterfangen, anderen Sportlern in der Vorbereitung auf ihren Wettkampf zu helfen, zumal wenn es sich um das für Plaggenburg größte Sportevent des Jahres handelt? Bei zweitausend Startern kann das Organisationsteam kurz vor dem Start nun mal nicht für jeden ein Töpfchen bereithalten. Kopfschüttelnd verlassen wir das Areal und begeben uns auf die andere Seite der Bundesstraße zum Startplatz. Hier herrscht großes Volksgemurmel. Viele Starter stehen schon in ihren Startboxen und harren der Dinge, die da kommen sollen. Edzard erklärt über den Lautsprecher noch einmal den Startmodus mit der großen Pause und dem Radfahrer in der Mitte. Um Punkt Sieben fällt der Startschuss und die Überflieger um Stefan Immega machen sich zu den hämmernden Beats aus den Lautsprecherboxen auf ihren Weg nach Holtrop. Unser Schneckengeschwader bewahrt derweil noch die Ruhe, denn wir haben noch gute zwanzig Minuten Zeit, bis auch für uns die Uhr zu laufen beginnt. Kurz vor halb acht dürfen dann auch wir die Startmatten überlaufen „Piep“. Jetzt gilt es! Ich laufe für mich allein. Cordula startet aus einer früheren Start Box, Frauke entfernt sich mit jedem Schritt weiter von mir, Thea läuft zusammen mit Bekannten aus ihrem Dorf und ward auch nicht mehr gesehen. Johnny, Sören und Sabine starten gewohnheitsmäßig ganz hinten, einzig Henning in Ich seinem grasgrünen Ganzkörperkondom von Werder Bremen läuft noch eine Weile neben mir her. Mir ist diese Laufordnung jedoch ganz recht, so kann ich das Lauftempo so wählen, wie es für mich am angenehmsten ist. Kurz nach dem Start passiere ich die Stelle, am die ich vom Ossiloop des vergangenen Jahres noch die unangenehmsten Erinnerungen habe. Hier stand vor einem Jahr das nette kleine Schildchen mit der verträumten „14“, wo eigentlich das Ziel sein sollte. Nun ja, im letzten Jahr hatte ich beim Passieren dieses Punktes noch 600 Meter vor mir, heute sind es 13400! Ich lasse mich nicht beirren und laufe mein Tempo, das so etwa bei sechsfünfzehn liegt, gleichgültig, ob ich jemanden überhole oder selber überholt werde. Erstes Highlight auf der Strecke ist das Passieren des „Ostfriesland-Äquators“ kurz vor Aurich. Weiter geht es, immer im leichten Linksbogen, auf die Ostfriesische Hauptstadt zu. Bald erreichen wir Sandhorst, wo wir wieder den Wanderweg verlassen um die berüchtigte „Schewi-Meile“ zu laufen. Ich habe es Stefan Schewiola immer noch nicht verziehen, dass wir dank seiner Erfindung einen zusätzlichen Kilometer laufen müssen, obwohl, das muss man sagen, die Strecke durch die baumbestandene Allee wesentlich schöner ist, als der Weg entlang der Hauptstraße. Auf diesem Streckenabschnitt hole ich auch, die von meinem ersten Ossiloop schon bekannte Heike ein und lasse sie ganz langsam hinter mir. Das ist auch ein Erfolgserlebnis der besonderen Art, denn bei meinen ersten beiden Läufen kam sie noch jeweils früher, als ich ins Ziel. Nach Umrundung der Kaserne und Beendigung der „Schewi-Meile“ gelangen wir wieder auf die ehemalige Kleinbahn-Trasse und laufen auf dem Wanderweg weiter. Viele Zuschauer säumen hier im Auricher Stadtbereich die Strecke. Jeder Läufer wird, da unsere Vornamen auf die Startnummern gedruckt sind, namentlich angefeuert und beklatscht. Ich quittiere diese Anfeuerung, solange es geht, mit einem Lächeln und dem leichten Heben der „Grußhand“ (siehe auch: Mein Ossiloop 1). Ich wundere mich, dass wir bereits an der Focken-Bollwerk-Straße angekommen sind, welche die Hälfte der Laufstrecke markiert, wo Polizei und Feuerwehr auch für uns letzte Läufer noch freundlich den Verkehr stoppen und uns freien Lauf verschaffen. Am Ostbahnhof vorbei geht es jetzt bereits in Richtung Ems-Jade-Kanal. Langsam spüre ich meine Beine und die Strecke bis zu der berüchtigten Bogenbrücke über den Kanal ist doch wieder länger, als meine Erinnerung mir vorgaukelt. Statt mich darüber zu freuen, dass ich bereits mehr als die Hälfte der Strecke hinter mir habe, male ich mir nun aus, wie steil der „Anstieg“ zur Kanalbrücke ist, dass noch das gesamte Schirumer Gewerbegebiet vor mir liegt und dann nochmals eineinhalb Kilometer bis zum Ziel in Holtrop zu laufen sind. Diese Kopfsache macht mir das Laufen nicht leichter. Für den Rest der Strecke heißt es nun wieder: Zähne zusammen beißen! Durch das unablässige voreinander setzen der Füße mache ich auch Strecke, überliste durch einfache Nichtbeachtung meinen ISH und laufe mit einem Mal auf die Brücke über den Ems-Jade-Kanal zu. Merkwürdig, heute ist der Anstieg zur Brücke lange nicht so steil, wie in den vergangenen Jahren. Vermutlich haben irgendwelche Heinzelmännchen den Bogen heimlich, still und leise abgeflacht. Wenn ich jetzt noch das Gewerbegebiet in Schirum hinter mich bringe, dann habe ich es fast geschafft. Obwohl ich mit Tunnelblick laufe und nicht viel mehr, als den Wanderweg wahrnehme, bemerke ich doch, wie das Gewerbegebiet immer weiter expandiert. Es gibt immer weniger freie, unbebaute Flächen, überall entstehen neue Hallen und Lagerflächen für immer neue Firmen, von denen die meisten auf irgendeine Art und Weise mit Windenergie zu tun haben. Aloys Wobben lässt grüßen. Endlich liegt Schirum hinter mir, der Wanderweg verlässt nun die parallel verlaufende Bundesstraße in südöstlicher Richtung, nächste Station: Holtrop! Es wird Zeit, dass das Ziel näher kommt, ich kann nicht mehr. Bisher habe ich allen ISH-Attacken widerstehen können und bin gelaufen, doch nun eineinhalb Kilometer vor dem Ziel kann ich nicht mehr, glaube ich jedenfalls, und lege eine erste Geh Pause ein. Ein paar Atemzüge Luft schöpfen, der Beinmuskulatur eine kleine Ruhepause gönnen, nach wenigen Augenblicken geht es weiter, es naht die letzte lange Gerade bis Holtrop. Wenige Minuten später muss ich noch eine Pause einlegen, der ISH ist bei mir jetzt allgegenwärtig. Während dieser Erholungsphase zieht Gebhard an mir vorbei. Eigentlich wollte ich das nicht zulassen, doch mein momentaner Zustand lässt es nicht zu, ihm Paroli zu bieten. So what? Soll er doch vor mir ins Ziel kommen, wird schon sehen, was er davon hat! Die letzte Kurve ist genommen, es geht geradewegs auf Holtrop zu, ein guter Kilometer ist noch zu laufen. In der Ferne sehe ich etwas großes, weißes, das kann eigentlich nur der Zielturm sein. Den Zieleinlauf vor Augen werden die letzten Reserven mobilisiert. Gebhard läuft etwa hundert Meter vor mir, ich kann ihn jedoch nicht einholen und finde mich damit ab, dass er heute besser ist, als ich. Das weiße Etwas, das ich für den Zielturm gehalten habe, kommt immer näher und hat immer weniger Ähnlichkeit mit dem vermaledeiten Turm. Es ist, soviel kann ich jetzt erkennen, lediglich ein weißes Banner, auf dem geschrieben steht: „Holtrop begrüßt seine Ossiläufer“. So ein Scheiß, da läufst du auf das Ziel zu und dann ist es gar keins! Ich würdige das Banner keines Blickes und laufe weiter, wundere mich aber, weshalb die Zuschauer einige Meter weiter die Strecke so eng machen, es ist kaum ein Durchkommen. Unmutig trabe ich weiter, habe den Engpass fast erreicht, als ich von hinten auf Plattdeutsch angerufen werde: Hey, doar büst du verkehrt, du musst hier langs lopen, hier is dat Ziel! In meinem ganzen Ärger hatte ich gar nicht bemerkt, dass sich der Zieleinlauf zirka zehn Meter rechts von dem ominösen Banner befindet. Durch diesen überflüssigen Schlenker habe ich natürlich sehr viel Zeit verloren, mindestens fünf Sekunden. Überglücklich nehme ich die letzten Meter und überquere mal wieder fix und fertig die Ziellinie. „Piep“ - da bin ich! ...Und da ist auch schon Heino der Moderator mit seinem Mikrofon bei mir. Nachdem er seinen unverzichtbaren Spruch vom nun auch endlich eingetroffenen Vorsitzenden von Fortuna Logabirum verkündet hat, erkundigt er sich bei mir, wie mir die Königsetappe gefallen hat. Kaum wieder bei Luft erzähle ich ihm, dass ich mich gewundert hätte, dass die Etappe hier bereits zu Ende ist und dass ich bereits halbwegs in Bagband war, weil ich mich verlaufen hätte. Ansonsten wäre ich ja schon längst im Ziel gewesen, vermutlich zusammen mit Stefan Immega, oder kurz danach. Heino nimmt diesen Ball auf und es folgen noch ein paar gegenseitige Frozzeleien, bevor er weitere Neuankömmlinge begrüßen muss und ich mich auf die Suche nach Brunos phantastischem, bekömmlichem und durstlöschendem Tee, sowie meinen Mitläuferinnen mache. So ganz nebenbei bekomme ich auch das Eintreffen meines schärfsten Konkurrenten, des Piraten von Norderney mit. „Johnny der Freibeuter des Ossiloop“ überläuft die Zielmatte zusammen mit Sören und Sabine etwa vier Minuten nach mir. So langsam sehe ich für mich eine Chance, am Ende vor Jack Sparrow in der Ergebnisliste zu stehen. An Brunos Tee Stand lasse ich mich, zusammen mit selbigem noch von Jürgen, unserem vereinseigenen Pressefotografen für die Nachwelt ablichten und finde alsbald auch Thea, Frauke und Cordula. Die drei waren auch heute wieder deutlich schneller, als ich. Wir lassen die Etappe Revue passieren. Jeder schildert die Highlights des Laufes noch einmal aus seiner Sicht. Zu Apfelspalten und Bananenstückchen, die auch hier wieder kostenlos für die Läufer bereit gehalten werden und uns verbrauchte Energie sofort zurück geben, suchen wir Herrn Steffens, der eigentlich Lüken heißt und uns heute nach Hause fahren möchte, da meine Margret heute verhindert ist und wir zeitig wieder in Leer sein möchten. Wenn wir schon mitgenommen aussehen, dann möchten wir auch gerne mitgenommen werden. Die EWE-Helga bleibt allerdings nach wie vor für mich unsichtbar, dabei hätte ich ihr doch gern gesagt, dass sie eine tolle Homepage mit vielen interessanten Fotos vom Ossiloop hat. Nun ja, es wird schon noch eine Gelegenheit geben, ihr „Guten Tag“ zu sagen. Wir suchen nun dem Gatten von Cordula sein Auto, finden es auch irgendwann, warten dann noch auf den Fahrer, steigen ein und stellen das Gebläse auf Maximum damit es unseren Ausdünstungen Herr wird und die Windschutzscheibe nicht vollends beschlägt und machen uns auf den Weg zurück in unsere Heimat nach Leer, wohl wissend, dass wir zwar die sogenannte „Königsetappe“ geschafft haben, das härteste Stück Arbeit, nämlich die Schlussetappe, aber noch vor uns liegt. Aber diese Etappe ist noch weit weg. Zunächst heißt es: Regenerieren und Kräfte sammeln für Freitag, wenn es über zwölf Kilometer auf die Mühlenetappe von Holtrop nach Bagband geht. Freitag, 11. Mai 2012 4. Etappe: 12,1 Kilometer von Holtrop nach Bagband ( Die Mühlenetappe) Es ist Freitag, der 11. Mai, heute gehen wir mit der vierten Etappe die zweite Hälfte des Ossiloop an. Im Grunde wiederholt sich auch das Procedere bis zum Start zum vierten Mal. Mittags zeitig essen, damit einem die Mahlzeit während des Laufes nicht im Magen liegt, ausruhen und mental auf die Etappe vorbereiten, in aller Ruhe umziehen und gegen 18.00 Uhr langsam zum Parkplatz der „Ostfriesen-Zeitung“ laufen, mit den Mitläufern die bisherigen Erlebnisse noch einmal durchgehen, über die heutige Etappe reden und noch einmal gegenseitig sticheln (Johnny, läufst du noch mit?). Kurzer rundum Blick, ob auch alle da sind, dann aufsatteln, in den Bus einsteigen und ab geht’s nach Holtrop. Unterwegs im Bus der übliche Smalltalk über Gott und die Welt im Allgemeinen und den Ossiloop im Besonderen. Dabei kommt natürlich auch die Streckenführung der heutigen Etappe zur Sprache. In dieser Richtung laufen wir sie heute zum ersten Mal. Um den ersten Kilometer nicht auf der Landstraße laufen zu müssen, geht es von Holtrop aus durch den Hammrich zum Ostfriesland Wanderweg. Das macht die Strecke zwar um einen Kilometer länger, aber zum einen sind wir Kummer gewöhnt und zum anderen hat sich diese Streckenführung im vergangenen Jahr sehr bewährt. Hier hätten wir sonst den letzten Kilometer bis zum Ziel auf der Straße gegen die Fahrtrichtung laufen müssen, was doch recht unfallträchtig gewesen wäre. Unsere Fahrzeit mit dem Bus wird immer kürzer und durch die Unterhaltung bekommen wir kaum mit, dass wir, kaum dass wir eingestiegen sind, auch schon wieder aussteigen müssen, weil wir unseren heutigen Etappenort Holtrop erreicht haben. Gestartet wird wieder vom Dorfplatz am östlichen Dorfrand, der uns aus den letzten Jahren bereits wohl vertraut ist. In der verbleibenden Zeit bis zum Start gehe ich etwas umher, halte die Augen offen und versuche die „unsichtbare“ Helga zu orten. Aber, diese geheimnisvolle Frau bleibt für mich, trotz unmittelbarer Nachbarschaft in der Ergebnisliste weiterhin unsichtbar. Nun gut, vor dem Startschuss werden noch die Sieger der dritten Etappe geehrt, die gelben Trikots verteilt und freundliche Reden gehalten. Dann ist es soweit, die erste Gruppe wird zum Start gerufen. Wie wir es gewohnt sind, fällt pünktlich um 19.00 Uhr der Startschuss zur vierten Ossiloop - Etappe, der sogenannten „Mühlen – Etappe“. Unter den dröhnenden, rhythmischen Klängen aus sich überschreienden, viel zu kleinen Lautsprechern wird angetrabt. Das heißt, bei den ersten Startgruppen kann von Traben wohl eher keine Rede sein, sondern von der Aufnahme des Tieffluges. Unter dem wohlwollenden Beifall der Zuschauer in Holtrop begibt sich nun Start Box für Start Box auf die 12,1 Kilometer lange Strecke über OstGroßefehn, Spetzerfehn, Strackholt bis nach Bagband. Nachdem die ersten Läufer sicherlich bereits Ostgroßefehn passiert haben, dürfen auch wir aus der zehnten Startgruppe die Startmatten überqueren. „Auf neuen Wegen dem Ziel entgegen“ so lautet mein heutiges Motto und ich hoffe sehr, dass ich mir mein Rennen so vernünftig einteile, dass ich keine Gehpausen einlegen muss. Der fast minütliche Blick auf mein linkes Handgelenk verheißt mir allerdings diesbezüglich nichts Gutes. Ich laufe eine Zeit von siebenfünfzehn, Für viele Läufer ist das ein Tempo kurz vorm Spazierengehen, für mich jedoch am Rande dessen, was ich laufen kann. Wider besseres Wissen behalte ich dieses Tempo bei, habe allerdings auch immer noch meinen Kumpel Johnny im Hinterkopf, den ich auch auf dieser Etappe gerne hinter mir lassen würde. So laufe ich in der Gemeinschaft der Läuferinnen und Läufer, die mich auch die vergangenen drei Etappen begleitet haben durch den Hammrich zwischen Holtrop und Ostgroßefehn. Es ist mir aus dem vergangenen Jahr kaum noch gegenwärtig, wie lang die Strecke bis zum Erreichen des Wanderweges war. Immer wieder denke ich: An der nächsten Kreuzung müssen wir doch den Wanderweg erreicht haben, soweit kann er doch nicht entfernt sein. Die Probleme des Laufens spielen sich doch immer wieder zwischen den Ohren ab. Anstatt einfach nur zu laufen, gute zwölf Kilometer sollten nach unserem Training kein Problem sein, mache ich mir permanent Gedanken darüber, wie lang die noch zu absolvierende Strecke noch ist und wie kaputt ich doch nach wenigen Metern bereits bin. Schuld an dieser Denkweise ist natürlich der ISH. Ich frage mich, warum ich den überhaupt mitgenommen habe, bereitet einem nichts wie Schwierigkeiten, dieser Schweinehund. Auf der nächsten Etappe lasse ich ihn besser zu Hause! Noch gut bei Kondition und mit ausreichender Luft für die nächsten Kilometer erreichen wir nach etwa 3,5 Kilometern den Ostfriesland-Wanderweg. Auch hier, in the middle of nowhere, stehen verhältnismäßig viele Zuschauer am Wegesrand und feuern uns an. Das motiviert und man möchte sich natürlich auch keine Schwachheiten anmerken lassen. So laufen wir denn auf der ehemaligen Kleinbahn-Trasse, bis wir das Seniorenheim in Ostgroßefehn umrunden, das genau in den Verlauf des damaligen Schienenweges gebaut worden ist und passieren das frühere Bahnhofsgebäude. Hier, wo es mit einem kleinen Schlenker auch über den Fehnkanal geht, ist immer was los. Es sind sicherlich mehrere hundert Zuschauer, die sich hier bei Musik, Bratwurst und Bier den Vorbeilauf der 2000 Ossiläufer ansehen. Wie nicht anders zu erwarten, werden wir von einigen bierseligen, adipösen Jungmännern aufgefordert, doch etwas schneller zu laufen, die ersten Läufer wären bereits in Bagband . Wie gut, dass uns das nicht anficht! Weiter geht es durch die Vorgärten des Ortes, die unmittelbar an der Bahnstrecke liegen, nach Spetzerfehn und zur nächsten Versorgungsstelle. Ein Schluck Wasser wäre jetzt wahrlich nicht schlecht. In Spetzerfehn, geht es, vorbei an großem Publikum, über die Brücke des Spetzerfehn-Kanals, die mit der dahinter liegenden Windmühle immer wieder als fotografisches Highlight herhalten muss. Die folgenden Kilometer gehören zu meinen Lieblingsstrecken, laufen wir doch auf den von mir schon sooft erwähnten Bahnhof Strackholt mit seinem herrlichen Biergarten zu, in dem man wunderbar sitzen kann, um die Explosion der Geschmacksknospen beim Genuss eines herrlich gekühlten, frisch gezapften Glases Jever zu erleben...ABER NICHT HEUTE! ISH hätte es zu gerne, hier abzudrehen und eine Gerstenkaltschale zu bestellen. Neidisch blicke ich auf die Zuschauer, die uns, natürlich jeweils mit einem kühlen Bier in der Hand, teils aufmunternd und anfeuernd, teils aber auch spöttisch einen guten restlichen Weg wünschen. Ja, restlicher Weg, wenn der nur nicht wäre. Auf der Straße nach Bagband, die parallel zum Wanderweg verläuft, ereilt mich abermals das Schicksal in Form meines ISH. Gegen meinen Willen erfolgreich suggeriert er mir, dass ich nun wirklich nicht mehr laufen könne, da mir meine Beine schmerzen, die Lunge pfeift und ich auch ansonsten fix und fertig bin. Es ärgert mich kolossal, dass ich auch während dieser Etappe eine Geh Pause einlegen muss, es fällt mir aber tatsächlich wahnsinnig schwer, meinen Trab beizubehalten. Die Pause ist nicht von langer Dauer, denn in einigen hundert Metern Entfernung sehe ich die Feuerwehr, die mit ihrem Einsatzwagen die Straße absperrt. Hier verlassen wir die Straße, um den letzten Kilometer der Strecke bis nach Bagband hinein auf einem landwirtschaftlichen Weg anzugehen. Auf den letzten Metern muss ich abermals eine kurze Pause einlegen. Natürlich werde ich bei solchen Pausen von einigen Läuferinnen und Läufern überholt. Das ist zwar schade, aber nicht wichtig! Wichtig ist nur: Wo ist Johnny? So eine kleine, freundliche Privatfehde hält einen ja trotz ISH und anderer Unpässlichkeiten so weit, wie möglich in Trab. Endlich ist das Ziel nur noch wenige hundert Meter entfernt, ich mobilisiere noch einmal alle Kräfte meines geschundenen Körpers und laufe die letzten Meter so schnell, wie es eben geht. - Aber nicht schnell genug, Sörens Frau Sabine überholt mich leichtfüßig, freundlich grüßend, und erreicht knapp vor mir das Ziel. Ich finde meinen Frieden wieder, wie ich sehe, dass sie Sören und Johnny voraus gelaufen ist und alleine vor mir ankommt. Völlig aus der Puste muss ich nach dem Zieldurchlauf erst einmal zu Kräften kommen. Heino kann es natürlich wieder einmal nicht lassen und möchte den Kommentar zu meinen Eindrücken dieser Etappe. Auch heute kann ich ihm nur sagen, dass er immer zur falschen Zeit die richtigen Fragen stellt und ich noch nicht in der Lage bin, ihm eine vernünftige Antwort zu geben. Lachend gibt er sich mit diesem Kommentar zufrieden und interviewt die nächsten Ankömmlinge. Für mich geht es nun erst einmal in den Marketender-Bereich um einen oder zwei bis drei Becher des köstlichen Tees bei Bruno zu mir zu nehmen. Noch ein paar Apfelspalten und Bananenstückchen bei Edeka und schon geht es mir wieder gut. Da ich heute etwas auf meinen Abtransport warten muss, Margret hat noch Tochterpflichten, denen sie nachgehen muss, habe ich noch genügend Zeit, um mich um meine Mitläufer zu kümmern und Smalltalk zu halten. Gute zehn Minuten später sind immer noch nicht alle Läufer eingetroffen. Ein Triumvirat von Läuferinnen, die so ziemlich den Abschluss der Tabelle bilden, kommt gut gelaunt unter dem Beifall der Zuschauer ins Ziel. Hier zeigt sich wieder einmal die Wahrheit des olympischen Gedanken: Dabei sein ist alles. Die drei Damen sind sichtlich stolz auf ihre vollbrachte Leistung. Recht haben sie! So einen Ossiloop mitzulaufen, egal in welcher Zeit, das ist schon aller Ehren wert. Nachdem mein Ehegesponnst dann irgendwann doch noch kommt und mich vor dem Erfrieren rettet, geht es wieder zurück in ein warmes Zuhause, um die Wunden zu lecken und mit den Vorbereitung auf die vorletzte Etappe zu beginnen. Während der gesamten relativ kurzen Rückfahrt von Bagband nach Logabirum kann ich nicht umhin, meiner Frau in den Ohren zu liegen um ihr zu erzählen, wie unzufrieden ich mit der Tatsache bin, dass ich schon wieder Pausen machen musste, wie zufrieden ich allerdings damit bin, meinen Piraten ein weiteres Mal hinter mir gelassen zu haben. Dienstag, 15. Mai 2012 5. Etappe: 9,6 Kilometer vom Gut Stikelkamp nach Holtland ( Die Klaus-Beyer-Etappe) Ein neues Spiel, ein neues Glück! Heute, am Dienstag, den 15. Mai 2012 stellen wir uns dem vorletzten Teilstück des diesjährigen Ossiloop. Alles ist bereits Routine. Das Warten auf die Freunde und den Bus auf dem Parkplatz der Ostfriesen-Zeitung, die schon recht kurze Fahrt zum Gut Stikelkamp und die letzten Meter zu Fuß bis zum Startbereich. Die Routine wird heute allerdings vom Busfahrer unterbrochen. Er hat sich verfahren! Eigentlich ist es kein richtiges Verfahren, denn um von Logabirum bis zum Gut Stikelkamp zu fahren, braucht man nicht einmal ein „Navi“. Da keine fünfzig Busse, zahllose Privat-PKW und Fußgänger auf die Zuwegung zum Gut passen, wurde den Bussen ein extra Parkplatz zugewiesen. Diesen hat unser Fahrer elegant umfahren, findet ihn aber letztendlich doch, so dass wir noch in aller Ruhe aussteigen können und uns per pedes zum Startplatz begeben. Der Startplatz mitten im Wald hat, warum auch immer, ein besonderes Flair. Hier trifft man all die Bekannten, von denen man schon wusste, dass sie am Ossiloop teilnehmen, die man bisher aber nicht zu Gesicht gekriegt hat. Also, bis zum Start erst einmal großes Palaver mit allen und jedem, der einem irgendwie bekannt vorkommt, außer mit EWE-Frau Helga. Hauptthema heute ist natürlich die Streckenlänge. „Lediglich“ 9.6 Kilometer sind zu bewältigen. Dass man sich mit einer solchen „Sprintstrecke“ leicht vertun kann, haben wir im vergangenen Jahr gesehen, wo nach Kilometer Sieben fast nichts mehr ging. Für heute habe ich mir ein Konzept zurecht gelegt, das ich unbedingt befolgen will. Um auf dieser doch recht kurzen Etappen nicht wieder Pausen einlegen zu müssen, werde ich die ersten beiden Kilometer recht langsam angehen, das heißt für mich, in einer Zeit nicht unter siebendreißig. Danach will ich sehen, was geht. Stephan Immega ist sicherlich bereits in Holtland, als es auch für uns in der letzten Start Box auf die Reise geht. Die ersten Meter laufen wir in südlicher Richtung aus dem Wald heraus, um dann nach links, auf den Wanderweg in Richtung Bagband abzubiegen. Dem Wanderweg folgen wir allerdings nur einen guten Kilometer lang, um dann nach rechts in Richtung Heselhörn zu laufen. Die Heselhörntjer putzen ihren Ort zum Ossiloop immer ganz besonders heraus. Mit Transparenten und Fahnen grüßen sie uns Ossiloper und finden selbst für uns Letzten noch aufmunternde Worte und applaudieren uns. Auch ich werde gegrüßt, und zwar persönlich – von Sabine, Sörens Frau. Mit einem nicht zu übersehenden Grinsen holt sie mich ein, läuft an mir vorbei und bestellt mir schöne Grüße von hinten, von Sören und Johnny. Und tschüss. „Warte nur, Mädel! Wir sehen uns noch!“ Mit diesen Gedanken im Kopf beschließe ich, meine Taktik nicht aufzugeben und weiterhin langsam zu laufen. Vielleicht geht ja nachher noch was! Sabine entfernt sich bis Kilometer Zwei nicht allzu weit von mir, das heißt, wenn ich nun das Tempo etwas anziehe, müsste ich sie theoretisch bald wieder eingeholt haben. Und tatsächlich verringert sich der Abstand kontinuierlich. Als wir nach einem großen Rechtsbogen wieder den Ostfriesland Wanderweg erreichen, bin ich mit Sabine auf einer Höhe und überhole sie just in dem Moment, als wir auf den Wanderweg einbiegen, was sie allerdings nicht bemerkt. Mit klammheimlicher Freude laufe ich auf dem Wanderweg der Gemeinde Hesel entgegen. Hier irgendwo auf der Strecke steht dann auch wieder der einsame Trompeter, der alljährlich den Ossiläufern das letzte Halali bläst. Es ist manchmal rührend zu sehen, was manch einer sich für den Ossiloop einfallen lässt. Aber, diese Aktionen gehören zum Ossiloop dazu, sie sind Teil des Flairs, das den Lauf umgibt und ihn so besonders macht. Den Ort Hesel durchlaufen wir nicht auf direktem Wege, wir biegen vor Erreichen der Stikelkamper Straße nach rechts ab, durchkurven eine Siedlung und überqueren die Straße dann am westlichen Ortsrand. Der Ostfriesland Wanderweg nimmt zwischen Hesel und Holtland einen ganz eigenen Verlauf, der mit der früheren Kleinbahnstrecke nichts mehr zu tun hat. Diese verlief damals geradewegs durch Hesel hindurch, kreuzte die heutige Bundesstraße 436 in der Höhe, in der sich heutzutage das Aldi-Lager befindet, um sie an der östlichen Straßenseite, vorbei an der „Fabrik“ bis Holtland zu begleiten. Wir laufen westlich der Bundesstraße in Richtung Kleinhesel, vorbei am Pferdehof. Für die wunderbaren, stolzen Vierbeiner, die sich hier auf der Weide tummeln, haben wir heute kein Auge. Wir müssen weiter, durchlaufen den Tunnel des Autobahn-Zubringers nach Veenhusen, biegen dann scharf rechts ab und laufen auf einem Plattenweg weiter bis auf Höhe des Gewerbegebietes Wehrden. Von hieraus wäre es nicht einmal mehr ein Kilometer bis zum Sportplatz in Holtland. Aber, wenn der Weg das Ziel ist und Edzard der Wegbereiter, dann weiß man, dass das zu einfach gewesen wäre. Rechts abbiegen ist hier angesagt. In der Kurve steht auch mein Eheweib und feuert mich an. Gebhard wäre vor etwa einer Minute hier durchgelaufen, wenn ich mich beeilen würde, könnte ich ihn noch einholen. Das Problem ist, ich beeile mich schon, schneller kann ich nicht laufen. Immerhin sind noch mehr als zwei Kilometer zu absolvieren. Meine Laufeinteilung macht sich jetzt bezahlt, ich kann mein Tempo halten, ohne an Gehpausen zu denken. Es gelingt mir sogar, einige vor mir laufende Läuferinnen und Läufer und Heike zu überholen. Gebhard allerdings bleibt heute außer Reichweite für mich, ich allerdings auch für Sabine, Sören und Johnny. Bei dem Gedanken an Sabine kann ich mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, sie läuft immer noch hinter mir und hat meinen Überholvorgang nicht bemerkt. Das Grinsen ist aber nur sehr leicht, da auf dem letzten Kilometer die Kraftreserven doch zur Neige gehen und ich mich sehr anstrengen muss, um das Tempo halten zu können. Die letzten Meter, bevor man auf die Straße zum Sportplatz einbiegt fallen mir verdammt schwer. Die Strecke bis zum Abzweig scheint immer länger zu werden. Die Beine werden immer schwerer. Der Atem geht jetzt hechelnd. Endlich, der Weg zum Sportplatz ist erreicht, jetzt geht es auf die letzten Meter. War die Strecke bis zum Ziel auf dem Sportplatz im vergangenen Jahr auch so weit? Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich auf den Sportplatz einbiegen kann, noch einmal alle Kräfte zusammen nehme und einen ordentlichen Schlussspurt hinlege. Wie im vergangenen Jahr, so kommen mir auch heute viele Zuschauer, die die Veranstaltung als beendet ansehen, entgegen. Diese Menschen gilt es noch unfallfrei zu umkurven, bis endlich mein Freund Heino und der Zielturm erreicht sind und das lang ersehnte „Piep“ zu hören ist. Überraschender Weise hat Heino heute für mich keine Fragen zum Rennen und zur persönlichen Befindlichkeit. So finde ich Zeit, um langsam wieder zu Atem zu kommen, Bruno aufzusuchen und erst einmal einen Becher köstlichen Tees zu mir zu nehmen, danach einige Apfelspalten und Bananenstückchen. Danach bin ich wieder Mensch und ansprechbar. Frauke, Thea und Cordula erwarten mich schon zum Plausch. Aber es drängt mich doch, zu sehen wie viele Stunden später Johnny ankommt. Vier werden es – vier Minuten. Heute bin ich guter 1895ster geworden, mit einer Minute Vorsprung vor der nächst platzierten Heike. Der Pirat konnte heute den 1927sten Platz erringen. Als ich Sabine treffe und wir beide uns ein Lachen nicht verkneifen können, fragt sie mich, wo ich sie denn überholt hätte, sie hat es nicht bemerkt. Dass ich das wohl mitgekriegt habe sage ich ihr, und dass ich meinen Spaß daran hatte. Glücklich, heute mit einer guten Zeit durchgelaufen zu sein, geselle ich mich zu meiner lieben Frau, die schon darauf wartet, zusammen mit einem zufriedenen Ossiläufer nach Hause zu fahren. Freitag, 18. Mai 2012 6. Etappe: 13,6 Kilometer von Holtland nach Leer (Der Zieleinlauf) Wir schreiben Freitag, den 18. Mai 2012. Heute gilt es, das Werk zu vollenden. Die letzte, die sechste Etappe Ossiloop 2012 steht auf dem Programm. Mann, habe ich eine scheiß Angst vor dieser Strecke. Sie ist nicht länger, als die dritte Etappe von Plaggenburg nach Holtrop, aber sie ist ungleich schwieriger. Zwei Berge der ersten Kategorie sind zu nehmen. Da ist zum einen die Autobahnbrücke an der Zoostraße und zum Zweiten sind da die zweiunddreißig Stufen hinauf zur Umgehungsstraße, um die Emder Bahn schrankenfrei überqueren zu können. Nicht zu unterschätzen ist auch der psychologische Effekt der Strecke, sie gaukelt einem relative Kürze vor, denn von Holtland nach Leer kann es nicht allzu weit sein. Hat man dann den ersten Berg über die Autobahn in kleinen Tippelschritten überwunden und läuft die Zoostraße, bereits auf Leeraner Stadtgebiet, meint man, es schon fast geschafft zu haben, doch dann kommt noch der nicht enden wollende Wanderweg von „Onkel Heini“ bis zum Logaer Weg, wo er mit einem leichten Anstieg endet. Hinter „Mazda-Schröder“ beginnt dann das große Grauen: Zweiunddreißig steile Stufen hinauf zur Umgehungsstraße, die einem das letzte Quäntchen Kraft aus den Beinen saugen. Aber noch ist es nicht soweit, noch stehe ich mit all den anderen auf dem Parkplatz der Ostfriesen-Zeitung und warte auf den Bus der Firma Kok. Ein letztes Mal heißt es einsteigen, Platz nehmen und zum Startort gebracht werden. Heute ist es eigentlich nur ein kurzer Shuttle-Service, kaum sitzen wir, sind wir auch schon da. Bevor wir allerdings aussteigen können, gilt es noch durch die engen Straßen der Holtlander Siedlung zu kurven, was bei der Vielzahl an Bussen und wild geparkter privater PKWs gar nicht so einfach ist. Schließlich finden wir doch noch ein Fleckchen Erde, an dem wir halten können. Dem Fahrer danken wir seinen Einsatz und seinen allzeit sicheren Fahrstil mit einem kleinen Obolus, den wir vorher unter allen Mitfahrern eingesammelt hatten. Er hat sich wohl darüber gefreut. Durch das Straßengewirr der Holtlander Siedlung erreichen wir nach einer Weile den Sportplatz, auf dem schon Andrea Bunjes ihren Hammer geworfen hat. Es herrscht bereits ein reges Treiben, überall wird schnabuliert und geredet, alle freuen sich, dass es heute auf die letzte Etappe geht. Der Ossiloop ist ein Wahnsinns-Event, besonders, wenn er vom Meer nach Leer geht, aber irgendwann ist es gut gewesen und nach fast drei Wochen möchte man sich auch wieder um andere schöne Dinge des Lebens kümmern, zum Beispiel ein Bier zu trinken oder Freitagabend die Beine hoch zu legen und Müßiggang zu pflegen... Aber, vor das Bier hat der Herr den Schweiß gesetzt. „Peng“ - Es ist neunzehn Uhr, Herr Immega ist „on the road“ und wir folgen (natürlich in gebührendem Abstand) Es wird ernst, langsam antippeln, die Startmatten erreichen und: „Piep“ - die Zeit läuft. Frauke ist wieder aus Startgruppe neun gestartet, EWE-Helga bleibt unauffindbar, Thea läuft noch in meiner Nähe, genauso wie Henning, der grasgrüne Werderfrosch und Heike. Johnny und Sören starten wie immer nach mir (und das soll auch bis zum Ziel so bleiben, nehme ich mir vor). Auf diesem Weg zum Kilometer Null kenne ich jede Kurve und jeden Straßenbelag, wie oft bin ich die Strecke mit Margret mit dem Fahrrad bereits gefahren. Auf dem kurzen Stück von Logabirum bis Holtland wird man auf dem Drahtesel gar nicht richtig warm. Heute, zu Fuß gestaltet sich das ein wenig anders: die Kilometer sind länger die Entfernungen größer. Doch noch bin ich guten Mutes, wir laufen gegen Meerhausen und erreichen schon bald die erste Verpflegungsstelle. Ob es mir heute wieder gelingt, ohne Gehpausen...das wäre zu schön. Schon biegen wir ein auf die Straße „Siebenbergen“, wir sind schon halb zu Hause. Wie in jedem Jahr, so hat sich auch heute an der Abzweigung zur Zoostraße neben vielen, mir als „altem“ Logabirumer fast allen bekannten Zuschauern eine Rhythmusgruppe eingefunden, die uns auf den letzten Kilometern noch mal so richtig einheizen will. Das beflügelt auf dem Weg hinauf auf die Autobahnbrücke, die ich vor zwei Jahren nur im Schritttempo bewältigen konnte. Downhill geht es leichter, die Zoostraße liegt in ihrer ganzen Länge vor mir. Langsam bekomme ich Muffensausen, es liegt noch viel Strecke vor mir und die Beine werden müde. Hoffentlich geht das gut! Vorbei an Onkel Heini, hinein in den Logabirumer Wald: ISH meldet sich und sagt, ich kann nicht mehr. Ich könnte mich treten, denn ich schenke ihm Glauben und höre auf zu laufen. Noch vor dem Überqueren der Feldstraße fange ich wieder an zu traben. Nicht nur im Unterbewusstsein weiß ich, warum: an der Feldstraße stehen wieder viele bekannte Gesichter. Dem Gespött, wenn ich an denen vorbei gehe, statt zu laufen, möchte ich mich nicht aussetzen. Ich höre sie schon: „Na, Werner, kannst nicht mehr, soll ich dich tragen“ oder: „Du musst dich beeilen, die meisten sind schon im Ziel, wenn du noch lange brauchst, ist das Bier alle“ Also weiter traben, freundlich lächeln und grüßen. Weiter geht es. Noch fünfhundert Meter bis zur nächsten Verpflegung. Dort steht Hilke mit der gesamten Firma Hartema und reicht uns das Wasser. Ich nehme diese Gelegenheit wahr und bleibe einen Augenblick stehen, um wieder zu Luft zu kommen und die Beine, die doch jetzt gehörig schmerzen, auszuschütteln. Es nutzt nichts: Weiter! Meine Laufabschnitte werden immer kürzer, alle paar hundert Meter werde ich langsamer und ruhe mich aus. Rüber, über den Mittelweg, sich bis zum Weidenweg quälen, den Logaer Sportplatz rechts liegen lassen, abermals eine Pause einlegen, sich schämen, die Etappe so elendiglich zu Ende zu laufen, kaum noch die leichte Anhöhe zum Tor des Ostfriesland-Wanderweges am Logaer Weg hinauf kommen, die Straße überqueren, hinter „Mazda-Schröder“ links einbiegen, sich mit abermaligen Pausen keuchend und pustend mit schmerzenden Beinmuskeln mehr dahin schleppend als laufend, stehe ich vor der letzten großen Herausforderung des heutigen Tages. Vor mir die zweiunddreißig unüberwindlichen Stufen hinauf zur Straße. Ich warte auf den Aufzug. Nachdem kein Aufzug kommt, weil es keinen gibt und die Helfer vom Roten Kreuz mich auch nicht tragen wollen, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich die Stufen allein hinauf zu schleppen. Irgendwie habe ich es geschafft, aber es bedeutete eine gewaltige Anstrengung für mich. Warum ist die Etappe hier nicht zu Ende? Nach überqueren der Brücke fällt die Strecke in sanftem Bogen und alsbald hat mich die Erde wieder, allerdings auch die Schwerkraft. Den Berg herunter zu laufen ist gewiss einfacher, als auf der Ebene der Erdanziehung zu trotzen. Wir laufen heute nicht die Große Rossbergstraße hinunter, sondern biegen gleich nach Unterquerung der Brücke rechts in einen Fußweg ab, bis zur Großstraße. Die Großstraße ist neu gepflastert und lässt sich im Prinzip gut laufen, doch das interessiert mich im Augenblick nicht die Bohne. Christian, der vor zwei Jahren noch für die Gruppe des Leinerstiftes unterwegs war und dem ich seinerzeit Paroli bieten konnte, der im vergangenen Jahr deutlich schneller war, als ich und in diesem Jahr wieder um einiges hinter mir blieb, dieser Christian schickt sich an, mich zu überholen. Doch damit nicht genug, auch Sören geht an mir vorbei. Wo Sören ist, kann Johnny nicht weit sein. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, aber ich muss weiter. Noch einmal das Tempo, so gut wie es geht erhöhen, Christian wieder einfangen, Sören in Schach halten (der ist auch kaputt!) und weiter laufen bis Leffers, der Rest geht wie von selbst. Durch die applaudierenden Zuschauer laufen wir, als ginge es um unser Leben. Christian wehrt sich, auch er wird schneller, genau wie ich denkt er sicherlich an das Finale 2010, als wir die Etappe erst in einem Fotofinish entschieden haben. Auf den letzten Metern holt man, man weiß gar nicht wo sie die ganze Zeit gesteckt haben, noch Kräfte, die man nie für möglich gehalten hat, oder liegt es an den vielen Zuschauern, vor denen man sich nicht blamieren möchte, wenn man denn schon so spät ins Ziel kommt? Das Ziel hätte keine hundert Meter weiter sein dürfen, denn ich spüre schon Johnnys Atem in meinem Rücken. „Piep“ es ist vollbracht! Der Denkmalplatz in Leer ist erreicht, der Ossiloop 2012 ist Geschichte, Müller, du bist angekommen, du hast es geschafft. Aber das war eine verdammt knappe Kiste, das muss im nächsten Jahr besser werden. Irgendwie doch mal wieder stolz, wie Oskar geht es ans Freunde beglückwünschen, Dörloper-Shirt abholen und sich ein Bier gönnen (oder auch zwei...). Es ist zu Ende, doch im nächsten Jahr geht’s von vorne los, dann heißt es wieder: Es ist Ossiloop! P.S.: Ich bin den Ossiloop 2012 in 8:35:44 Stunden gelaufen und war somit deutlich schneller, als in den Vorjahren. Kein Wunder, dass ich mich dabei verausgabt habe und Pausen einlegen musste. Mein Johnny hat übrigens 8:53:37 Stunden benötigt und war damit viiiiiel langsamer, als ich. Gebhard konnte ich noch um 10 Sekunden hinter mir halten, lediglich Heike war um ganze 2 Sekunden schneller, als ich. Das kommt sicherlich daher, dass ich mich in Holtrop verlaufen habe. Mit der für mich bis zum heutigen Tag unsichtbar gebliebenen EWE-Helga hätte ich den Ossiloop im Prinzip Hand in Hand laufen können, gerade einmal 33 Sekunden trennten uns in der Endabrechnung voneinander. Natürlich kam sie vor mir ins Ziel. Also, bis zum nächsten Jahr und dann: Auf ein Neues!