Bundesverband - ISL e.V. Krantorweg 1 D 13503 Berlin Tel.: 030 4057-1409 Fax: 030 4057-3685 E-Mail: [email protected], [email protected] Stellungnahme Mitglied bei „Disabled Peoples´ International” - DPI - Bankverbindung: Sparkasse Kassel BLZ: 520 503 53 Kto.: 1 187 333 Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. - ISL der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. – ISL zu dem Referentenentwurf des Bundesministeriums Mitglied bei „Disabled Peoples´ International” - DPI - Bankverbindung: Sparkasse Kassel BLZ: 520 503 53 Kto.: 1 187 333 für Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz) (Stand vom 16.01.2012) Wir bedanken uns für das Schreiben vom 16. Januar 2012 und für die Gelegenheit, zu dem oben bezeichneten Papier sowohl schriftlich als auch bei der Erörterung am 15. März persönlich Stellung nehmen zu können. Beides nehmen wir gerne wahr. 1. Würdigung Als Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. - ISL begrüßen wir die Erstellung eines Patientenrechtegesetzes, das die Vorschriften und Rechte erstmals zusammenfasst, die derzeit wenig durchschaubar auf viele Gesetzesbücher verteilt sind, und so die Rechte von Patientinnen und Patienten nun gesetzlich verankert. 1 Wir befürworten die Verankerung des Behandlungsvertrages im BGB sowie die Änderungen des SGB V. Generell begrüßen wir die Aufnahme der Regelungen zur Einsichtnahme in die Patientenakte, die ausdrücklichen Regelungen zur Patientenaufklärung- und Information sowie die Einführung von Mindeststandards zur medizinischen Fehlervermeidung in Praxen und Krankenhäusern und die Einführung eines patientenorientierten Beschwerdemanagements in Krankenhäusern, welches zu einer Steigerung der Patientensicherheit in medizinischen Einrichtungen führen mag. 2.) Kritische Beurteilung Gleichzeitig müssen wir einen Hauptkritikpunkt benennen, der die eben genannten möglichen Potenziale des Patientenrechtegesetzes leider in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt: Obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) seit März 2009 geltendes Recht in Deutschland ist und obwohl diese gesetzliche Norm auch zum Disability Mainstreaming verpflichtet, wird die BRK erschreckender Weise im gesamten Referentenentwurf nicht einmal erwähnt. Gleichwohl ist das Patientenrechtegesetz als Maßnahme zur Umsetzung der BRK Artikel 25 (Gesundheit) und Artikel 26 (Habilitation und Rehabilitation) im Nationale Aktionsplan der Bundesregierung verbrieft. Dem Referentenentwurf fehlt es merklich an einer durchgängigen menschenrechtlichen Perspektive, die einer Umsetzung der BRK entspräche. Deutschland selbst hat sich mit Ratifizierung der BRK verpflichtet, Menschen mit Behinderungen eine selbstbestimmte und gleichberechtige Teilhabe in allen Bereichen zu ermöglichen. Dieser Geist der BRK findet in den vorgeschlagenen gesetzlichen Normierungen kaum eine Entsprechung: Beispielsweise wird insbesondere im Bezug auf die Kommunikation zwischen Behandelnden und Patientin oder Patient weder auf umfassende Barrierefreiheit noch auf angemessene Vorkehrungen im Einzelfall Bezug genommen. Daher können wir der Aussage des Referentenentwurfes „Die Regelung steht mit dem Recht der Europäischen Union (EU) und mit völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, im Einklang“ (siehe Begründung des Referentenentwurfes, S.18) zum jetzigen Zeitpunkt in keiner Weise zustimmen. Weitere Regelungen im Detail, die wir kritisch anmerken: Zwar ist die ausdrückliche Informations- und Aufklärungspflicht des Behandelnden gegenüber der Patientin oder des Patienten von Ansatz her zu begrüßen, da sie insbesondere für eine gute Beziehung zwischen Behandelnden und Patienten wichtig 2 ist und auch über den Verlauf der Behandlung entscheidet (wird angemessen kommuniziert, kann eine optimale Behandlung erreicht werden, eine zuverlässige Planung der Arbeitsabläufe sichergestellt werden). Genau aus diesem Grund ist es untragbar, dass der Referentenentwurf weder angemessene Vorkehrungen im Einzelfall noch den Anspruch einer barrierefreien Kommunikation als ganzheitlichen Ansatz in den formellen Anforderungen an die Informations- und Aufklärungspflicht verankert: - Artikel 9, 1a) der BRK räumt Menschen mit Behinderungen ausdrücklich gleichberechtigt mit anderen das Recht auf Information und Kommunikation auch in medizinischen Einrichtungen ein. Informationspflichten des §630 c) dieses Referentenentwurfes besagen lediglich, dass Erläuterungen sämtlicher für die durchzuführende Behandlung wesentlichen Umstände durch den Behandelnden „in verständlicher Weise“ erfolgen müssen: Hier bedarf es einer Definition, die eine barrierefreie, auf individuelle Bedarfe der Patientinnen und Patienten abgestimmte Kommunikation meint. Hierzu gehören alle denkbaren Formen der Kommunikation, wie die Verschriftlichung, Gebärdendolmetschung, Lormen, Brailleschrift, oder die Ausführung in Leichte Sprache. Generell bedarf es für die Sicherstellung der Kommunikation einer Sensibilisierung der Mitarbeitenden und der Behandelnden, um auch offen gegenüber individueller von Patientinnen und Patienten mitgeführten Hilfsmitteln (wie beispielsweise Sprachcomputern oder Zeichentafeln) zu sein. - Die vorangegangene Ausführung trifft gleichermaßen auf die Aufklärungspflichten des §630 e) zu, denen ebenso nur dann in vollem Umfang nachgekommen werden kann, wenn der Behandelnde seine Kommunikation auf individuelle Bedarfe der zu behandelnden Person abstimmt. Der ISL ist nicht klar, warum diese Aufklärungspflicht allein „mündlich“ erfolgen muss und nur „bei geringfügigen Eingriffen auch in Textform erfolgen kann“ (§630 e) 3). So ist nicht sichergestellt, dass behinderte Patientinnen und Patienten gleichberechtigt mit nicht-behinderten Patientinnen und Patienten über Art, Umfang, oder mögliche Folgen der Behandlung rechtens informiert werden. Werden die Grundsätze des gleichberechtigten Zugangs zu Informationen nicht gewahrt, liegt eine Pflichtverletzung durch den Behandelnden vor. Leider regelt der Referentenentwurf bislang nicht, was bei Verstößen gegen die Informations- und Aufklärungspflicht geschieht. Unserer Ansicht nach sollten Verstöße der Behandelnden gegen die Aufklärungs- sowie Informationspflicht zu einer Umkehr der Beweislast führen. Gleiches müsse für den Verstoß gegen die Dokumentationspflicht gelten. 3 - Wie bereits eingangs erwähnt, regelt die UN-BRK in Artikel 9 unmissverständlich, dass gleichberechtigt mit anderen Zugang zu Information und Kommunikation gewährleistet sein muss, was unter anderem für medizinische Einrichtungen gilt. So möchten wir auf eine Publikation des Deutschen Gehörlosen Bundes (DGB) „Der gehörlose Patient“ hinweisen, die einen umfassenden Einblick in die Anforderungen an den Umgang Behandelnder mit einem gehörlosen Patienten gewährt (s. Online unter: http://www.gehoerlosenbund.de/dgb/images/stories/pdfs/dgb_flyer_dgp_dina5_final_web.pdf ) Ausgeführt wird hier unter anderem, dass der Anspruch von Menschen mit Hörbehinderung auf Gebärdensprachdolmetschung im §17 Abs. 2 SGB I geregelt ist und die ärztliche Behandlung explizit miteinschließt „Ein Dolmetscher ermöglicht durch seine Leistung auch, dass Sie als Arzt z.B. Ihre Pflicht zur Aufklärung und Information ausüben können.“ Die Kosten für den Dolmetscheinsatz übernehmen laut Gesetz die Sozialleistungsträger. Kommt es zu einer ambulanten Behandlung, übernimmt die betreffende Krankenkasse in der Regel die Kosten des Einsatzes. Bei einem stationären Krankenhausaufenthalt sind sie bereits in der Fallpauschale enthalten, die an das Krankenhaus gezahlt wird. Die Gebärdensprachdolmetscher rechnen die Kosten in diesem Fall direkt mit dem Krankenhaus ab. Auch wird in dieser Publikation klargestellt, dass es sehr wohl Aufgabe des Behandelnden sein kann, einen Dolmetscher zu bestellen, falls die Patientin oder der Patient selbst keinen zum Termin mitbringt. Daher empfiehlt es sich für den Behandelnden für entsprechende Situationen gewappnet zu sein und eine Liste mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern bereit zu halten. Wir betonen nochmals, dass eine NichtGewährleistung von Gebärdensprachdolmetschung während einer ärztlichen Behandlung gegen geltendes Recht verstieße. - in dem Zusammenhang mit Informations- und Aufklärungspflichten vermisst die ISL die Einführung eines Patientenbriefes, der die umfassenden Behandlungsinformationen sowohl in verständlicher Form als auch bei Bedarf in weiteren barrierefreien Formaten enthält und zum Ziel hätte, die Patientin bzw. den Patienten tatsächlich auf Augenhöhe mit dem Behandelnden zu begegnen. Wir kritisieren, dass eine Beweislastumkehr nur bei groben Behandlungsfehlern erfolgt und nur dann davon abgesehen wird, dass die Patientin oder der Patient einen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden beweisen muss. Es fehlt eine genaue Definition eines „groben Behandlungsfehlers“. Es müssen weitere Beweislasterleichterungen festgeschrieben werden und weitere Regelungen zur Beweislastumkehr platziert werden, da es für viele Menschen unzumutbar ist, sowohl Pflichtverletzung, als auch Schaden und, dass Pflichtverletzung des Behandelnden 4 Ursache für Schaden ist, darlegen zu müssen! Eine Regelung zur Umkehr der Beweislast liegt insbesondere bei Verstoß des Behandelnden gegen Informationsund Aufklärungspflicht sowie bei Verstoß gegen die Dokumentationspflicht nahe. Wir bedauern, dass die Idee eines Entschädigungsfonds (nach österreichischem Vorbild) im vorliegenden Entwurf bislang nicht aufgegriffen wurde: Über diesen würden Patientinnen und Patienten, die von Behandlungsfehlern betroffen sind, schnelle Hilfe oder Unterstützungen erhalten können. Wir geben zu bedenken, dass angesetzte Fristen zur Entscheidungsfindung von Leistungsträgern über Sachverhalte des eingegangenen Antrages zu kurz sind. Wir befürchten, dass es dadurch in der Entscheidungspraxis zu negativen Auswirkungen kommen wird: Zu Lasten der Patientinnen und Patienten würde vermehrt negativ über Beantragungen befunden werden, und auch für Mitarbeitende der Leistungsträger könnte diese kurze Fristsetzung Konsequenzen haben. Wir schlagen deshalb vor, über dringlichste Anträge in der vorgeschlagenen Zeitspanne von drei bzw. fünf Wochen zu befinden. Wir appellieren an den Bundesbeauftragten für die Belange von PatientInnen, dass die angekündigte Übersicht über Patientenrechte für Patientinnen und Patienten unbedingt in unterschiedlichen barrierefreien Formaten für Menschen mit Behinderung verfügbar gemacht werden muss, denn nur so kann die Bundesregierung ihrem hier benannten Anspruch der Transparenz und der Rechtssicherheit für Patientinnen und Patienten gerecht werden. Wir möchten betonen, dass die Etablierung von Fehlervermeidungssystemen sowie die Einführung eines Beschwerdemanagements in Krankenhäusern den Anforderungen der UN-BRK genügen muss (dazu gehören ein barrierefreies Beschwerdemanagement sowie eine behindertenbeauftragte Person in medizinischen Einrichtungen). Wir begrüßen den Ansatz zur Förderung einer Fehlermeidungskultur, da genauer in den Blick zu nehmen ist, wieso es in erster Linie zu Problemen während eines Behandlungsverlaufes kommt, um diese Probleme so direkt an der Wurzel anzupacken. 3. Fazit: Der Referentenentwurf greift in vielerlei Hinsicht zu kurz, da er über die Kodifizierung von bereits bestehendem Recht kaum hinausgeht. Es besteht großer Nachbesserungsbedarf um das Patientenrechtegesetz mit der UN-BRK in Einklang zu bringen. 5 Beim derzeitigen Stand der Dinge, und falls keine einschlägigen Verbesserungen am Entwurf vorgenommen werden sollten, wird aller Voraussicht nach auch zum Wahlkampf 2013 nicht von einer Errungenschaft für Patientinnen und Patienten gesprochen werden dürfen. Das Ziel einer selbstbewussten und selbstbestimmten Wahrnehmung der Rechte durch „mündige“ Patientinnen und Patienten, wie der Entwurf es selbst benennt, wird mit dem vorgelegten Text nicht erreicht. Deshalb empfiehlt die ISL, den vorgelegten Entwurf anhand der genannten Kritikpunkte grundlegend neu zu fassen. 6