Islamischer Fundamentalismus und Scharia

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ISLAMISCHER FUNDAMENTALISMUS
UND
SCHARIA
VORWÄRTS INS 7. JAHRHUNDERT!?
von
HANS-UWE SCHARNWEBER
(Stand 15.01.07)
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT ................................................................................................................................................................... 3
I. GRUNDLAGEN DES ISLAM, INSBESONDERE DIE SCHARIA........................................................................................ 25
1. Entstehung des Islam ....................................................................................................................................... 26
2. Grundzüge des Islam ........................................................................................................................................ 29
3. Grundpflichten ................................................................................................................................................. 33
4. Heiliger Krieg .................................................................................................................................................. 34
II. DAS RELIGIÖSE GESETZ DER SCHARIA ALS GRUNDLAGE DES RELIGIÖSEN RECHTS UND DER POLITISCHEN
ORDNUNG IN EINER ISLAMISCHEN GESELLSCHAFT UND DER KAMPF DER FUNDAMENTALISTEN UM DIESE
ORDNUNG IN EINIGEN AUSGEWÄHLTEN LÄNDERN .................................................................................................... 38
1. Das Gesetz der Scharia .................................................................................................................................... 38
2. Algerien ............................................................................................................................................................ 43
3. Tunesien ........................................................................................................................................................... 53
4. Sudan ............................................................................................................................................................... 54
5. Jordanien ......................................................................................................................................................... 54
6. Kuwait .............................................................................................................................................................. 55
7. Pakistan............................................................................................................................................................ 56
8. Islamische Staaten der GUS ............................................................................................................................. 59
9. Afghanistan ...................................................................................................................................................... 66
10. Türkei ............................................................................................................................................................. 77
11. Irak ................................................................................................................................................................. 85
12. Iran ................................................................................................................................................................. 89
13. Umma, panislamischer Staat ......................................................................................................................... 90
14. Das Verhältnis zwischen dem Islam und dem Westen .................................................................................... 91
III. SUNNITEN UND SCHIITEN ALS HAUPTKONFESSIONEN DES ISLAM ........................................................................ 94
1. Sunniten............................................................................................................................................................ 94
2. Schiiten ............................................................................................................................................................. 98
2.1 Zwölferschiiten ........................................................................................................................................................... 100
2.2 Ismailiten..................................................................................................................................................................... 107
2.3 Zaiditen / Saiditen ....................................................................................................................................................... 107
2.4 Charidschiten .............................................................................................................................................................. 107
2.5 Drusen ......................................................................................................................................................................... 107
2.6 Nusairier / Alawiten .................................................................................................................................................... 108
2.7 Ibadhisten .................................................................................................................................................................... 108
2.8 Lage der Schiiten im Irak ............................................................................................................................................ 109
2.9 Lage der Schiiten in Saudi-Arabien ............................................................................................................................ 109
2.10 Die Rivalität zwischen arabischen Sunniten, insbesondere den Wahhabiten, und persischen Schiiten .................... 111
3. Abgrenzung der Sunniten von den Schiiten .................................................................................................... 119
IV. DAS STRAFRECHT DER SCHARIA ....................................................................................................................... 121
1.) Straftaten gegen Leib und Leben/ "Quisas-Delikte" ..................................................................................... 122
2.) Straftaten mit absoluter Strafdrohung/ "Hudud-Delikte" ............................................................................. 123
a) Abfall vom islamischen Glauben ("ridda") ................................................................................................................... 124
b) Genuss berauschender Getränke (Schurb al-Khamr) .................................................................................................... 130
c) Illegitimer Geschlechtsverkehr (Zina)/ Unzucht ........................................................................................................... 130
d) Fälschliche Bezichtigung des illegitimen Geschlechtsverkehrs, Rufmord (Qadhf) ...................................................... 131
e) Ehebruch ....................................................................................................................................................................... 131
f) Homosexualität .............................................................................................................................................................. 132
g) Diebstahl (Sariga) ......................................................................................................................................................... 132
h) Wegelagerei, Straßenraub (Qat‘ al-Tariq) und Raubmord ............................................................................................ 134
3.) Alle übrigen Straftaten/ "Tazir-Delikte" ....................................................................................................... 135
V. AUSWIRKUNGEN DER GELTUNG DER SCHARIA AUF EINE MULTIKULTURELLE GESELLSCHAFT ............................ 137
VI. ZUKUNFTSPROGNOSE ........................................................................................................................................ 140
INDEX ....................................................................................................................................................................... 150
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Vorwort
Der französiche Schriftsteller und ehemalige Kulturminister André Malraux hatte in den 70er Jahren die Prognose
gewagt, dass das 21. Jahrhundert ein religiöses Jahrhundert werde. Die Menschen sind, wie sie sind: Übermäßige
Toleranz gegenüber „den oder dem Anderen“ ist nicht ihre hervorstechendste Eigenschaft! So war als Konsequenz
abzusehen, dass – sollte die Prognose zutreffen – die religiösen Auseinandersetzungen zunehmen werden. Solche
Auseinandersetzungen werden aber nicht von den nominellen Mitgliedern einer Glaubensrichtung mit indifferenter
Verbundenheit zu der Kirche ihrer Vorfahren geführt, sondern von den sendungsbewussten, kämpferischen, indoktrinären, fundamentalistischen. Um es an einem der zentralen Punkte des christlichen Glaubens deutlich zu machen: Was berührt es mich, ob z.B. nach den unterschiedlichen christlichen Abendmahlslehren Gott, entweder a)
durch die Einsetzungsworte verwandelt(!), in Brot und Wein real(!) verkörpert ist (katholische Transsubstantiationslehre) – eine Vorstellung, die mir eher unangenehm ist, da ich gemeinhin nicht zum Kannibalismus neige -, oder ob
er b) in lutherischer Realpräsenzlehre ohne Verwandlung von Brot und Wein „in, mit und unter Brot und Wein“ wie
auch immer wirklich gegenwärtig ist – wie soll das möglich sein?; und das könnte auch immer noch den von den
Muslimen dem Christentum vorgeworfenen Kannibalismus bedeuten -, ob c) nach calvinistischer Lehre der Geist des
Glaubenden durch das Abendmahl zum Himmel erhoben werde, weil Gott durch Brot und Wein geistig gegenwärtig
sei, oder ob d) nach der Lehre von Zwingli Brot und Wein nur äußere Zeichen des Erinnerungsmahles sind. Die
beiden reformierten Ansichten könnte ich am ehesten nachvollziehen. Das hatte mich aber als noch nicht so recht
denkender Mensch nicht zu einem Glaubenswechsel gebracht. Man stand in der Tradition der elterlichen Gebräuche
und machte sich keine oder nur unzureichende, relativ indifferente Vorstellungen von diesem zentralen Glaubenspunkt. Das Problem existierte einfach nicht innerhalb der unwissend gelebten Glaubensgemeinschaft. Nie hätte es
um diese Fragen eine Glaubensauseinandersetzung gegeben! Aber wegen dieser Fragen sind allein unter den Glaubensverwandten, den Christen, zahlreiche blutige Kriege auf das Erbittertste geführt worden!
Und dann kamen durch kulturelle Berührungen die Auseinandersetzungen mit anderen, sehr bis völlig verschiedenen
Glaubensinhalten hinzu, die ein sehr toleranter Mensch wie Nathan der Weise in Achtung der Glaubensanschauung
des Anderen oder ein glaubensindifferenter Mensch mit einem Schulterzucken hinnimmt.
Nicht so Fundamentalisten jedweder Couleur mit ihrem moralischen Rigorismus gegenüber ihren eigenen Mitgliedern und anderen! Und jeder Glauben bildet an seinen ausfransenden Rändern Fundamentalisten aus! Die Menschen
sind halt so. Da ist abzusehen, dass, wenn Fragen des Glaubens wieder mehr in das Zentrum des Bewusstseins rücken sollten, Glaubensauseinandersetzungen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen zunehmen werden, insbesondere dann, wenn Menschen durch die angenehmsten Jenseitigkeitsversprechungen ihrer Glaubensverwalter
oder viellicht sogar -aufpasser dazu getrieben werden! So kommt es zu fundamentalistisch geprägten Auseinandersetzungen, die nicht von der Masse der Gläubigen einer Glaubensrichtung getragen werden, sondern von ihren Fundamentalisten. Das ist in allen Glaubensrichtungen so. Im Islam nehmen die islamistischen Extremisten die übrigen
Muslime als Geiseln ihrer kruden, teilweise menschenverachtenden Koranauslegungen.
Bezogen auf den Islam heißt das, dass es selbstverständlich einen toleranten Islam gibt. Wie Christentum nicht gleich
Christentum ist, so ist auch Islam nicht gleich Islam. Der Islam ist kein monolithischer Block, sondern eine Gesellschaft im Dissens, mit säkularen, orthodoxen, nationalistischen, linken, rechten und extremistischen Spielarten. So ist
»der Islam« nicht der Islam der »Mörder in Namen des Propheten«, der „Bomben-Muslime“ oder „DschihadMuslime/Dschihad-Terroristen“, die aus ihrer zuvor als zu unbedeutend empfundenen Existenz heraus nunmehr als
von der eigenen Wichtigkeit durchdrungene vorgebliche Speerspitze Allahs im durch z.B. die Suren 8/39: „Und
kämpft gegen sie, damit keine Verführung mehr stattfinden kann und (kämpft,) bis sämtliche Verehrung auf Allah
allein gerichtet ist. Stehen sie jedoch (vom Unglauben) ab, dann, wahrlich, sieht Allah sehr wohl, was sie tun.“ Und
9/41: „Zieht aus, leicht und schwer, und kämpft mit eurem Gut und mit eurem Blut für Allahs Sache! Das ist besser
für euch, wenn ihr es nur wüßtet!“ gedeckten Endkampf des wahren Glaubens gegen das Böse in der Welt in Form
einer „jüdischen Weltverschwörung der Kreuzritter, Freimaurer und Westler“ oder gegen „Kreuzfahrer, Juden und
Gottlose“ zu kämpfen vorgeben, die zur Abwehr einer von islamischen Demagogen behaupteten Unterwerfungsstrategie des Westens gegen die islamische Welt unter bewusster Vernichtung des in (nach unserem Verständnis)
»Selbstmord«attentaten1 als Waffe eingesetzten eigenen Lebens einen apokalyptischen Dschihad führen, an dessen
Ende - wie im siebten und achten Jahrhundert - das alte islamische Kalifat die Weltordnung bestimmen solle. Dann
wäre die neuzeitlich als Werk einer westlichen Verschwörung interpretierte Aufspaltung der islamischen Welt aufge1
Wir sprechen von „Selbstmordattentätern“. Da den Muslimen der Selbstmord verboten ist, unterscheiden sie zwischen denjenigen, die aus Verzweiflung aus dem Leben fliehen, weil sie mit ihren Lebensumständen nicht zurecht kommen, und denen, die
für das hohe Ziel der Ausbreitung des Islam in einer bewussten Entscheidung ihr Leben opfern!
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hoben und der Islam könnte zum Ruhme Allahs wieder seine die Geschicke der Welt bestimmende Rolle einnehmen.
Ein sich auf den Islam berufender »Dschihad-Terrorimus«, der mit Hinweis auf Sure 61: „Gott liebt diejenigen, die
auf seinem Weg in Schlachtordnung kämpfen.“, den von ihm verübten „Terror als Gottesdienst“ begreift, dabei - wie
im Kampf um die Macht im Irak - auch Muslime tötet, obwohl der Koran das verbietet: "Kein Gläubiger darf einen
anderen Gläubigen töten, es sei denn aus Versehen", heißt es in Sure 4/92 -, ist eine Metastase des Islam, wie die
mittelalterlichen Kreuzzüge zur Befreiung des »Heiligen Grabes« ein Missbrauch des Christentums waren.
Von den islamischen Fundamentalisten wird die allerorten zu beobachtende Auseinandersetzung mit dem westlichen
Denken als Mittel der eigenen Identitätssuche und der kulturellen Selbstbehauptung geführt. Das Ziel der Fundamentalisten, die Glaubensauslegung und die Bevölkerung als Geiseln ihrer auf vermehrten politischen Einfluss abzielenden Politik nehmen: Nicht der Islam, wie sie ihn verstehen, solle modernisiert werden, sondern die moderne Welt
habe sich den von einer diffusen Erinnerung an ehemalige muslimische Größe getragenen politischen Wünschen
nach größerem Einfluss auf das Weltgeschehen und den religiösen Vorstellungen der Islamisten anzupassen. Dazu
bedürfe es einer Reislamisierung der Gesellschaft einer islamischen Renaissance.
[Ahmet Yaziki vom Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland: „Nirgendwo wird der Islam so missbraucht wie in der islamischen Welt“ (STERN 09.02.06). Diese Ansicht teilt Magdi Allam, Muslim und einer der
angesehensten Kommentatoren Italiens. Er schrieb, das Problem des Islamismus sei gänzlich das interne Problem
"eines Islam, der von Extremisten verwandelt wird von einem Glauben an Gott in eine Ideologie, die eine totalitäre
und theokratische Macht all jenen aufzwingen will, die nicht so sind, wie sie." Es mache ihm Angst, zu sehen, wie
selbst gemäßigte Muslime sich diesem "Heiligen Krieg" (gegen den Westen) anschließen, "dessen hauptsächliche
Opfer sie selbst sein werden. … "Wie kommt es, dass Muslime, besonders die sogenannten Gemäßigten unter ihnen,
sich nie mit ähnlichem Eifer gegen die wahren Verächter des Islam erheben, die islamischen Terroristen ?" (WELT
18.09.06)]
Ein ängstliches Anpassen des Westens an den Islam würde die Waagschale der globalen Machtverteilung zu Gunsten
des politischen Islam senken! In dieser Richtung wird von beiden Seiten nicht nur missioniert, sondern auch kämpferisch agiert – was zu einer gegenseitigen Dämonisierung führt.
Darin sind sie den christlichen Fundamentalisten gleich: Alle christlichen Kirchen missionieren entsprechend dem
ihnen von Christus übertragenen Auftrag: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker ...“, überall auf der Welt.
Aber am vehementesten bis militantesten geschieht das durch christliche Fundamentalisten.
Doch es wäre falsch, alle islamischen Fundamentalisten wegen ihrer religiösen Nähe zu den »Dschihad-Terroristen«
mit denen gleichzusetzen, auch wenn beide die Menschen anderer religiöser Überzeugungen als Ungläubige ansehen.
Aber islamische Fundamentalisten sprechen nicht gemeinhin Andersgläubigen deren Lebensrecht ab, wie es die
»Terroristen Allahs«, auf dessen Wort sie sich berufen, durch ihre Attentate zum Ausdruck bringen! Nur eine verschwindende Minderheit der Muslime sind Terroristen – aber fast alle einzeln oder in Gruppen auftretenden und auf
monströse Verbrechen abzielenden ideologischen Terroristen der heutigen Zeit in der westlichen Welt sind Muslime!
In vielen Teilen der Welt treffen nun die Fundamentalisten der einen Glaubensrichtung auf die einer anderen Richtung und kämpfen nicht nur um die Seelen der von ihnen bisher nicht Erlösten, sondern auch um Macht und Vorherrschaft. Der US-Politologe S. Huntington malt in seinem 1996 erschienenen, spaltend provozierenden Buch „Clash of
Civilization?“ („Zusammenprall/Kampf der Kulturen?“) einen weltumspannenden Kampf zwischen den acht großen
religiös-kulturellen Kulturkreisen der Welt aus, dem euro-atlantischen, dem islamischen, dem indisch-hinduistischen,
dem slawisch-orthodoxen, dem chinesisch-konfuzianischen, dem afrikanischen, dem lateinamerikanischen und dem
japanischen. Entlang der Bruchlinien zwischen diesen großen Kulturkreisen drohten die gefährlichsten Feindschaften
und damit die größten Konflikte. „Die Kultur als wesentlicher Konfliktfaktor wird die bisherigen Konfliktquellen –
Ideologie und Wirtschaft – ablösen.“ Das mag z.B. für den Kommunismus als überholte Ideologie zutreffend analysiert sein, aber Kultur und Ideologie fließen bei Fundamentalisten ineinander!
Bei dieser befürchteten weltweiten kulturellen Auseinandersetzung stehe „the west against the rest“, vor allem aber
gegen den Islam als nicht nur eine Religion, sondern eine originäre Antwort der Dritten Welt auf ihre eigenen Probleme. Aktuelles Beispiel aus 2006:
„Ein neutraler Diplomat, der neulich während einer Konferenz militanter Muslime in Teheran
zugegen war, erzählte, daß Präsident Ahmadinedschad in einem Sondergespräch mit ausländischen Sympathisanten die Idee äußerte, daß die islamische Welt sich das Recht erwerben müßte, "Einwanderungsquoten" in Europa festlegen zu dürfen. So sollen Millionen von arbeitslosen jungen Muslimen aus Afrika gezielt in bestimmte europäische Länder einwandern.
Das wäre, so kommentierte ein Zeuge, ein logischer Schritt auf dem Wege zum Weltkalifat.
Und der wäre, als Folge des iranischen Einstiegs in den Klub der Atommächte, viel leichter
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umzusetzen.“
DIE WELT 18.06.06
Wie sich das in der mörderisch geführten Auseinandersetzung einerseits zwischen Moslems untereinander, ja sogar
innerhalb derselben Glaubensrichtung, und andererseits zwischen Moslems und Christen außerhalb Europas auswirkt, ist Gegenstand dieser Untersuchung. Der Noch-Schwelbrand der sich gegenseitig zu Tausenden abgeschlachtet habenden oder gerade einmal wieder abschlachtenden Albaner und Serben ist also ausgeklammert. Den vielschichtigen Ursachen der dortigen Massaker, die z.B. zum Abschlachten von 8.000 unbewaffneten Muslimen in
Srebrenica durch die orthodoxen Serben unter den fest zusammengepressten Augen der NATO geführt hatten – bis
die USA zu Gunsten der Muslime einschritten -, kann im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht nachgegangen werden.
Um zunächst noch einmal an das eingangs Gesagte anzuknüpfen: Selbstverständlich gibt es - wie sollte es auch anders sein - in der großen gedanklichen Bandbreite des Islam, der (gegenüber ca. 1,6 Mrd. Christen) rund 1,2 Mrd.
Menschen und damit gut 24 % der Weltbevölkerung zu seinen Gläubigen rechnet, nicht nur „fundamentalistische“, sondern daneben auch liberale, säkularistische Strömungen bis hin nach Indonesien mit seiner Geisteshaltung des Adat, einer auf Harmonie hin angelegten Geisteshaltung, die das Leben der Bewohner länger geprägt hat als
der Islam. Solche Strömungen wie der Adat-Islam werden allerdings in Europa kaum wahrgenommen, weil sie nicht
schlagzeilenträchtig sind.
(Auch mir sind sie fremd, da ich mich nicht mit dieser Fragestellung in die Archive begeben habe, um das Material
für die vorliegende Ausarbeitung zu sammeln. Ich habe Hinweise auf solche Strömungen deshalb nur sehr am Rande
wahrgenommen, so z.B. auf den iranischen Philosophen Abdul Karim Sorush, der die These vertritt, dass zwar Religion göttlich, aber ihre Interpretation durch und durch menschlich und weltlich sei. Die koranische Offenbarung sei
also zeitlos und unwandelbar, nicht jedoch die von den Menschen vorgenommene Deutung dieser Offenbarungen.
Solche unkonventionellen Gedanken konnten in der von den Mullahs beherrschten Theokratie des Iran, dessen religiöse Führungselite ihren politischen Führungsanspruch gegenüber allen anderen Schichten und gesellschaftlichen
Kräften ja gerade aus ihrer mit einem Unfehlbarkeitsdogma vorgetragenen religiösen Interpretationshoheit ableitet,
nicht gut gehen! Sorushs Thesen durften seit 1991 nicht mehr in den staatlichen Medien verbreitet werden, er selbst
wurde mehrfach von Schlägertrupps verprügelt und mit dem Tode bedroht. Der iranische Reformtheologe Hassan
Jussefi-Eschkewari, für den nicht der Islam an sich, sondern nur die Islaminterpretation der herrschenden Konservativen undemokratisch ist, vertrat in der SZ vom 27.04.00 die weitergehende These: „Regierung und Religion sind
zwei vollkommen unterschiedliche Dinge, sie miteinander zu verweben schadet sowohl der Religion als auch der
Politik.“ Solche Ansichten sind ein zentraler Angriff auf die von den Mullahs im Iran auf Grund ihrer theologischen
Studien beanspruchte, die dortige Theokratie führende Stellung, an der „Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten“.
Alle iranischen Teilnehmer der im April 2000 in Berlin von der Heinrich-Böll-Stiftung abgehaltenen Iran-Konferenz
sind nach ihrer Rückkehr in den Iran wegen solcher Ansichten zu unverhältnismäßig langjährigen Gefängnisstrafen
verurteilt worden. 2005 ist der Oppositionelle Akbar Ganji, der die vom verstorbenen Ayatholla Khomeini begründete Theorie von der „Regentschaft des göttlichen Rechtsgelehrten“ als undemokratisch brandmarkte, wegen „Beleidigung des Ansehens des Revolutionsführers Khomeini“ angeklagt und verurteilt worden. Auf der von Khomeini für
seine Person entwickelten „Regentschaft des göttlichen Rechtsgelehrten“ fußt die nach Khomeinis Tod 1989 nun für
seinen Nachfolger Ali Chamenei geltende „Regentschaft des Obersten Rechtsgelehrten“, der alle anderen staatlichen
Organe kontrolliert.
Als weitere Namen reformistischer Denker seien hier ehrenhalber u.a. genannt: Der 1992 von Islamisten auf offener
Straße in Kairo ermordete Ägypter Farag Foda, der syrische Philosoph Sadiq al-Azm, die Ägypter Ali Abd ar-Raziq,
Nagib Machfuz (auf den auch schon ein Messerattentat verübt worden ist), Said al-Ashmawi, Fuad Zakariya und
Nassr Hamid Abu Zayd/Zeid, der Algerier Mohammed Arkoun. Ebenfalls erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang der iranische Gelehrte Abdolkarim Soroush, der auch als der "Martin Luther des schiitischen Islam" bezeichnet wird.
Größere Beachtung fand dann als international bekannt gewordener Vertreter eines gemäßigten Islam ohne Hegemonieansprüche der ägyptische Autor Nagib Machfus nach seiner Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis, der bisher
einzige Literaturnobelpreisträger der arabischen Welt. Er schrieb mit seiner 86-jährigen Altersweisheit in einem
Artikel: „Heute bewegen wir uns in Ägypten, wie mir scheint, in die richtige Richtung, befinden uns mitten in
einem Prozeß der liberalen Öffnung, das demokratische Experiment geht weiter. Aber es droht auch Gefahr. Es
ist eine Gefahr, die wir zu meiner Zeit nicht kannten, die aber unsere Zukunft überschatten könnte, wenn wir sie
nicht mit Vernunft bekämpfen: der physische und geistige Terror, den irregeleitete religiöse Hitzköpfe im Namen
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des Islam zu verbreiten trachten. Das sind unduldsame Gruppen, die mit dem friedlichen Islam nichts anfangen
können, die Intoleranz und Haß predigen. Diese Instrumente einer machtversessenen, sich religiös gebenden
Mafia bringen den Islam in Verruf – schlimmer noch, sie entstellen ihn. Wir haben es mit Feinden des offenen
Wortes und demokratischer Freiheiten zu tun. Sie verdrehen die Geschichte, indem sie diese uns heiligen
Grundwerte als Importe aus dem ketzerischen Abendland darstellen und verdammen. Sie faseln von einer ‘kulturellen Invasion‘ des Westens. Welch ein Wahnsinn! Den Begriff ‘kulturelle Invasion‘ weise ich zurück, weil es
doch auf der Hand liegt, dass niemand gezwungen ist, Gedanken, welcher Art und Herkunft auch immer, blind
zu übernehmen. ... Der wahre Islam gebietet Weltoffenheit. ... Ich hoffe, dass der Staat seine Verantwortung
wahrnimmt, dass er nicht nur Gewalt verhindert, sondern die geistige Auseinandersetzung mit den Protagonisten
einer verfälschten und unmenschlichen Islam-Variante sucht. Niemand soll sagen dürfen, dass der Islam eine
Religion sei, die Terror sät und Rückständigkeit fördert.“
Solche wohltuenden Töne sind vielleicht zu leise. Sie gehen in der Diskussion um die vom islamischen Fundamentalismus sowohl für Muslime wie für Nicht-Muslime ausgehende Bedrohung unter. Darum wurden sie hier an den
Anfang der Ausarbeitung gestellt.
Solche für uns abendländisch geprägte Westler »problemlosen« Strömungen sind nicht Gegenstand der vorliegenden
Untersuchung, denn sie bereiten hier niemandem Kopfzerbrechen. Probleme haben nur die Fundamentalisten
und/oder Islamisten mit solchen freien Denkern wie z.B. dem syrischen Philosophen Sadik J. Al-Azm, über den der
spirituell-religiöse Führer der 1982 von ihm mitgegründeten irangesteuerten fundamentalistischen Hisbollah im Libanon, Großayatollah Scheich Fadlallah, 1995 zu Salman Rushdie befragt, gesagt hat: „Wir haben jemanden viel
Schlimmeren, wir haben [den einer Säkularisierung des Islam das Wort redenden] Saldiq al-Azm und seine „Kritik
des religiösen Denkens‘“.
Eher wahrgenommen wird in der westlichen Welt, und das ist nur allzu menschlich, was als gegenwärtige oder künftige Bedrohung aus einem großen Teil der 57 unter weitgehendem saudi-arabischen Einfluss stehenden „Organisation der Islamischen Länder“ locker zusammengefassten Ländern der Welt mit mehrheitlich islamischem Bevölkerungsanteil kommend empfunden wird: Die Ummünzung der islamischen Theologie in eine rigoros vorgetragene
politische Ideologie der „Barbaren Allahs“, der „islamische Fundamentalismus2“ - oder das Bild, das man sich von
ihm macht, nachdem sie schon über mindestens 120 Millionen Menschen im Iran, Sudan und in Afghanistan herrschen und über weitere rund 150 Millionen in Algerien, Ägypten und der Türkei mindestens einige Zeit die Herrschaft zu erlangen drohten. Der damalige NATO-Generalsekretär Claes verstieg sich 1995 dazu, ganz undifferenziert
»den Islam« als mögliche neue Bedrohung der westlichen Sicherheit zu bezeichnen. Er differenzierte nicht zwischen
»dem Islam«, wie unterschiedlich seine Ausprägungen auch sind, als Offenbarungsreligion und »dem Islamismus«,
einer auf der Basis islamischer Glaubensinhalte geschaffenen politischen Ideologie zur Erringung von mehr oder gar
überragendem politischen Einfluss in der Welt. Der NATO-Generalsekretär setzte die sicher bevorstehende politisch-ideologische Herausforderung mit einer Bedrohung der westlichen Sicherheit gleich. Vermutlich hatte er dabei
den Blick auf die islamischen Fundamentalisten, oder besser: Islamisten, gerichtet. [Manche bezeichnen die islamischen Fundamentalisten/Islamisten auch als „Salafis“ - aus der arabischen Bezeichnung "as-salaf as-salih" ("fromme
Vorfahren") entstanden oder „Reduktionisten“, weil sie den islamischen Glauben auf seine islamische Frühausprägung reduzieren. Es handelt sich dabei um eine ägyptische, später allgemein arabische islamische Reformbewegung
des 19. und 20. Jahrhunderts, die eine Rückkehr zum einfachen Glauben der frommen Muslime des noch einheitlich
errechneten 1. Jahrhunderts der islamischen Zeitrechnung fordert. (Osama bin Laden, eigentlich Usama ibn
2
Der Begriff „Fundamentalismus“ stammt aus der nordamerikanischen Kirchengeschichte und wurde auf die Protestanten gemünzt, die besonders seit 1910 in ihrem Glauben an den in der Schöpfungsgeschichte geschilderten göttlichen Kreationismus
mit der Bibel in der Hand die Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift – auch in naturwissenschaftlichen Fragen und insbesondere
gegenüber der darwinschen Evolutiontheorie - behaupteten. Die Lehre von der allein gültigen Schöpfungsgeschichte der Bibel
sei nicht nur als religiöses Dokument zu verstehen, sondern darüber hinaus auch als wissenschaftliches Dokument: Gott habe
die Welt in sechs Tagen so geschaffen, wie sie dann von Anfang an war. Neuerdings verwenden die Bibelfundamentalisten den
Begriff des „intelligent design“ und wollen mit dieser als Wissenschaft verbrämten religiösen Theorie ausdrücken, dass die
Welt viel zu kompliziert sei, als dass sie sich durch Evolution in einem Millionen Jahre umfassenden Prozess zu dieser »Höhe«
und Differenziertheit mit Versuch und Irrtum schrittweise tastend habe entwicklen können – was zu dem zwingenden Schluss
führe, dass eine höhere Macht diese überwältigende Vielfalt in ihrem wohlgeordneten Zusammenspiel von Anfang an so geschaffen haben müsse.
Nach der Sprachprägung westlicher Intellektueller wurde der um 1900 gefundene Begriff des Fundamentalismus in den siebziger Jahren auf rigoros korangläubige Muslime übertragen, weil auch sie eine historisch-kritische Exegese ihrer Heiligen
Schrift, des Korans, als völlig undenkbar ablehnen.
7
Muhammad ibn Awad ibn Ladin, ist der zurzeit wohl prominenteste Anhänger dieser fundamentalistischen Richtung.)]
Das Minimalprogramm der kämpferischen Islamisten besteht nach der Analyse des antizionistischen »linken« Israeli
Morris, der mit seinen Publikationen u.a. auf das Unrecht der massenhaften Vertreibung der Palästinenser im israelischen Unabhängigkeitskampf hingewiesen hat, darin, „jede westliche Anwesenheit und jeden westlichen Einfluß aus
der islamischen Welt auszurotten, jeden Ausdruck und jede Spur westlicher Gedanken und Werte zu entfernen und
die Herrschaft der Muslime in jenen einstmals islamischen Gebieten wiederherzustellen, die unter die Dominanz des
Westens gerieten: Spanien (im Jargon der Islamisten „Andalus“), dem Libanon, dem Balkan. (Das Maximalprogramm der Islamisten, so glauben einige, sei es, die ganze Welt für den Islam zu erobern.) Israel wird von den arabischen Islamisten als der provozierendste und demütigendste aller (erfolgreichen) westlichen Übergriffe auf die islamischen Gebiete und den Islam selbst gesehen. Anders als die Westler haben die Islamisten eine lange historische
Perspektive – sie denken in Generationen und Jahrhunderten. Und sie erachten die Zerstörung von Israel als Auftrag
und Projekt, das die islamische Welt Jahrhunderte des stückweisen, kumulativen Kampfes kosten mag, so wie die
graduelle Beseitigung des Kreuzfahrerstaates im Mittelalter“ (Die WELT 22.07.06).
Eine solche undifferenzierte Gleichsetzung von Islam mit islamischem Fundamentalismus, wie sie der damalige
NATO-Generalsekretär Claes 1995 vorgenommen hatte, bestärkt selbst gemäßigte Muslime in ihrer Empfindung,
dass „der Westen“ seine beherrschende Position in den Weltmedien dazu gebrauche, ideologische Zerrbilder über
den Islam zu verbreiten, nur weil die Muslime der Welt ihr Recht auf Eigenständigkeit beanspruchen und eine
Gleichberechtigung mit der westlichen Zivilisation einfordern. Die Eigenständigkeit bestehe darin, dass islamische
Werte weiterhin die Grundpfeiler ihres Weltbildes darstellen. Gemäßigte Muslime weisen außerdem darauf hin, dass
normale Muslime nichts mit „Allahs Anarchisten“ zu tun haben. Die hätten außerhalb ihrer - meist in Gegenden
ökonomischer Hoffnungslosigkeit angesiedelten - Gruppe keinen großen Rückhalt in der muslimischen Bevölkerung
ihres jeweiligen Landes. Aber „... so zu tun, als habe der Islam gar nichts zu tun mit dem Fundamentalismus, ist so
absurd, als würde man sagen: Die Inquisition habe nicht das Geringste mit dem Katholizismus zu tun oder die Unterstützung des Mords an Yitzhak Rabin durch einige Rabbis nichts mit dem Judentum“ (STERN 04.10.01). Es wird
von gemäßigten Muslimen darauf hingewiesen, dass der Islamismus in keinem Land eine Massenbewegung sei. In
mehrheitlich muslimischen Ländern gehören die Islamisten meist einer die staatlichen Autoritäten ihres jeweiligen
Landes in Frage stellenden mehr oder minder radikalen Opposition an, da ihrer Meinung nach die Herrschenden den
göttlichen Willen nicht sehen wollen und durch willkürliche Entscheidungen („Hawa“) verfälschen. Die Herrschaft
mit der dazugehörigen Entscheidungsbefugnis komme aber allein Allah zu. Obwohl ihre Parteien dank der finanziellen Zuwendungen aus den reichen Golf-Staaten, insbesondere aus Saudi-Arabien, in der Regel die reichsten des
Landes sind, hätten sie bisher in den islamischen Ländern, in denen – teilweise nur relativ – freie Wahlen abgehalten
worden sind, meist schlecht abgeschnitten. In Pakistan, wo sie ein Jahrzehnt an der Macht beteiligt gewesen waren,
konnten sie ihre Anhängerschaft kaum vergrößern, in Bangladesh verschwanden sie 1996 vollends von der Bildfläche. (2001 wurden in Bangladesh vom höchsten Gericht in Dhakar sogar alle Fatwas und alle Zwangsscheidungen
für illegal erklärt!) Nur in Algerien hatten die Islamisten bei den Kommunalwahlen 1990 die Mehrheit errungen, und
das wäre ihnen ein Jahr später bei den abgewürgten Wahlen zum Landesparlament auch gelungen – deswegen wurden die Wahlen ja abgewürgt. Aber dieser Zulauf aus der Bevölkerung zu den Islamisten wird aus der Verelendung
des Landes erklärt. Und der weitere Ausnahmefall mit Zulauf aus der Bevölkerung ist die Türkei, wo die Islamisten
1996 als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgingen. Dieser Wahlerfolg wird damit erklärt, dass sich darin die
Enttäuschung vieler Türken über die damalige abwartende Haltung der EU gegenüber einem Beitritt der Türkei niedergeschlagen habe: Die Verweigerung der Mitgliedschaft hatte den Stolz vieler Türken gekränkt, was vielleicht
noch hingenommen worden wäre, wenn die Ablehnung ausschließlich mit dem Hinweis auf die Folterpraxis und die
anderen Menschenrechtsverletzungen des Staates erfolgt wäre, aber als besonders kränkend war von vielen bewussten Moslems empfunden worden, dass die Ablehnung der Mitgliedschaft in der EU mit dem Hinweis auf die christliche Grundlage der EU-Staaten erfolgt war. Darin sahen sie eine kränkende Abwertung ihrer eigenständigen islamischen Zivilisation – und wählten aus Protest verstärkt die Wohlfahrtspartei des Islamfanatikers Erbakan3.
Größere Zustimmung erhielten die Islamisten in der muslimischen Welt durch ihre engagierte Unterstützung der von
den Serben verfolgten muslimischen Albaner, denen die christlichen Europäer zunächst nicht entschieden halfen, was
bei vielen den Hass auf die westliche Welt weiter anschwellen ließ.
3
Ein Schlaglicht auf seine Denkkategorien wirft die Meldung vom 09.04.97: Der türkische Ministerpräsident Erbakan hat in
Ankara auf einer Feier beim Absingen der Nationalhymne die Frauenstimmen in einem Jugendchor verbieten und stattdessen
eine Casette mit reinen Männerstimmen abspielen lassen.
8
Eine eigenständige, nicht den Werten des Westens verpflichtete Zivilisation nach Väterart wollen sowohl „Fundamentalisten“ wie „Islamisten“. Die Begriffe sind nicht eindeutig festgelegt:
Als "Fundamentalisten" können diejenigen bezeichnet werden, die – auch unter Einbeziehung westlicher Technologie und Wissenschaft - (nur) zu einem Islamverständnis des 7. Jahrhunderts als Glaubens- und Lebensrichtschnur
zurückkehren wollen. Tonangebend in dieser Gruppe sind die islamischen Orthodoxen, denen z.B. die nach dem
Gründer dieser Glaubensrichtung Mohammed Ibn Abdel Wahhab vom Westen so bezeichneten Wahhabiten – sie
selbst bezeichnen sich als „muwahhidun“ (Unitarier) oder „ahl at-tauhiid“ (Volk oder Anhänger der Lehre von der
Einheit Gottes) - Saudi-Arabiens und deren das jeweilige Regime gefährdenden extremen Ableger in anderen arabischen Staaten, wie z.B. der Gewalt gegen Nicht-Wahhabisten, aber insbesondere gegen den Westen verherrlichende
"Salafistische Dschihad" in Marokko, zugerechnet werden können, die auf einer starken Bindung der Politik an die
Religion bestehen, aber – auch wenn sie missionarisch tätig werden - keine islamische Weltherrschaft anstreben. Der
Wahhabismus kann als die Grundform aller modernen islamischen Fundamentalismen angesehen werden. Er vertritt
eine extrem konservative Islamvariante. Deswegen wundert es nicht, dass die saudischen Extremisten, Kinder der
explosiven saudischen Gesellschaft4, mit an vorderster Stelle der islamischen Extremisten stehen: Von den 19 Attentätern auf das World-Trade-Center waren 15 Saudis; 2 stammten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten VAE!
„Natürlich sind nicht alle Muslime Selbstmordattentäter. Aber praktisch alle muslimischen Selbstmordattentäter sind
Wahhabisten“, wird der Islam-Experte Schwartz vom SPIEGEL (04.03.02) zitiert.
Innerhalb der Wahhabisten sind die Salafisten („Salafen“ = „Gefährten“ Mohammeds) die konservativsten. Sie vertreten eine kompromisslos rückwärts gewandte Richtung des Islam. Sie wollen sich nicht in ihre jeweilige Gesellschaft integrieren, leben nach ihrem ganz eigenen Kodex und suchen Anhänger in der unterprivilegierten Unterschicht. Sie verstärken das Ausgeschlossensein ihrer Anhänger aus der Gesellschaft, indem sie das zur religiösen
Pflicht erklären. Auf jeden Fall die kämpfenden Salafisten müssen schon zu den „Islamisten“ gerechnet werden.
Als "Islamisten" können die angesehen werden, die neben einer Rückbesinnung auf den Islam diesen Glaubensansatz gemäß der Verheißung: „Oh, ihr Muslime, Allah hat euch zu Erben bestimmt über die Ungläubigen, über ihre
Äcker und Häuser und alle Länder, in denen ihr Fuß fassen werdet.“, zur Erringung weltpolitischer Macht, zur Errichtung von Gottesstaaten auf der Erde als Vorstufe eines „Dar el-islam“ („Haus des Islam“), einer von einem Imam
geführten islamischen Weltherrschaft, benutzen (wollen). Dafür münzen sie einerseits die islamische Theologie rigoros in eine politische Ideologie um, wie es vornehmlich von Islamisten in Algerien, Ägypten, im Iran, Libanon und
im Sudan geschieht, und andererseits bauen sie mit großem Aufwand „den Westen“ als Feindbild auf, um so die
Massen besser hinter sich bringen und hinter sich einigen zu können. Auf der brüchigen Basis einer idealisierten
Vergangenheit, in deren Betrachtung in einer Art Amnesie das ausgeblendet wird, was sie anderen angetan haben, als
sie die Macht über andere in Händen hielten, werden die verelendeten Massen hauptsächlich der Dritten Welt mit der
Hoffnung auf eine idyllische Zukunft narkotisiert. „Die fatale Sicht auf den Westen ist das Herzstück des arabischen
Problems. Sie verhindert wirtschaftlichen Aufschwung, gesellschaftspolitischen Fortschritt, im globalen Wettbewerb
konkurrenzfähige Bildung und Forschung. Die muslimischen Massen leben in einer glorifizierten Vergangenheit, in
der sie sehr wohl Träger einer großen Kultur waren. Doch ihre Welt ist zurückgefallen, sie verharren in Agonie und
Fatalismus und warten auf Erlösung, die nicht kommt, weil ihre intellektuellen und sozialen Eliten versagen. Ihre
zivilgesellschaftlichen Kräfte sind zu schwach, um notwendige politische, wirtschaftliche und religiöse Reformen
herbeizuführen und dem westlich orientierten Lebensmodell auf Augenhöhe entgegentreten zu können. … Der Islam
wird heute von einfallslosen Theokraten und fanatischen Religionskommissaren pervertiert. Er hat die Lebendigkeit,
die Frische, die Toleranz und den Pluralismus verloren, die ihn einmal stark gemacht haben.“ (Dietrich Alexander in:
DIE WELT 21.09.06)
Von diesen Islamisten kämpft ein Teil ausschließlich auf politischer Ebene, wie z.B. der ehemalige türkische Ministerpräsident Erbakan, ein anderer Teil wendet terroristische Gewalt an und verbreitet durch Terror Horror im Namen
Allahs. Auch die Ziele der islamistischen Gruppen liegen nicht genau in der gleichen Richtung. Sie sind untereinan4
„Besonders in Saudi-Arabien ist die Kluft zwischen der Herrscherfamilie und ihren Untertanen immer größer geworden. 25 %
der Saudis haben keine Arbeit. Dennoch leben 12 000 Prinzen aus dem Hause Saud weiterhin auf Staatskosten. Und das nicht
schlecht. So erhält ein Prinz niederen Ranges pro Monat 20 000 Dollar. Mit zwei Frauen und zehn Kindern kommt er auf
260.000 Dollar im Monat. Sollte er gar noch arbeiten, wird er zusätzlich belohnt. Ein Prinz, der dem Königshaus nahe steht,
kann sogar mit 100 Millionen Dollar im Jahr rechnen. Solcher Luxus ist nicht mehr finanzierbar, zumal ein Prinz im Laufe seines Lebens etwa 40 bis 70 Nachkommen zeugt. Das Volk hat die Hoffnung auf die Reform der Monarchie aufgegeben. Viele
setzen darum auf religiöse Erneuerung. Und darauf spekuliert auch al Qaeda.“ (STERN 22.05.03)
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der zerstritten: Die arabischen Radikalen wollen die Welt unter arabischer Herrschaft islamisieren, die Mullahs im
Iran unter persischer und die türkischen streben ein neo-osmanisches Großreich an.
Wichtig ist festzuhalten, dass nicht jeder Islamist ein islamischer Terrorist ist. Sich selbst bezeichnen „Fundamentalisten“ vorwiegend als „Islamiyun“ („Islamisten“), ihre Bewegung als „el-Sahwa el-islamij“ („islamisches Erwachen“).
Um eine gebotene Differenzierung innerhalb der in sich selbst heterogenen Gruppe der um politische Macht ringenden Islamisten zu finden, ist sie von einigen Wissenschaftlern zunächst in drei große Hauptgruppierungen geteilt
worden:
a) Hochgebildete Intellektuelle, die in westlichen Utopien und Systemtheorien und im dekadenten westlichen
Lebensstil keine sie befriedigenden Antworten zu finden vermögen, wofür der wegen seiner terroristischen
religiösen Lehren 1966 wegen Konspiration gegen den Staat auf Betreiben Nassers gehenkte ägyptische Literaturkritiker und Pädagoge Sajjid Qutb, der sudanesische Islamistenführer und Parlamentspräsident
Hassan al-Turabi und der ägyptische Literaturkritiker Abd el-Wahhab el-Massiri („Die westliche Moderne
gipfelte in Frankenstein und hat uns Hitler und Stalin beschert!“ Die Lehre des Korans, das niedergeschriebene unveränderliche Wort Gottes, enthalte bereits alle Vorschriften für das menschliche Zusammenleben,
sei ein der westlichen Moderne überlegener Lebensentwurf, der aber nur in der Abgrenzung zu der westlichen Moderne überleben könne.) als Beispiele für andere stehen mögen,
b) junge Aufsteiger mit hoher Leistungsmotivation aus traditionellem ländlichen oder kleinstädtischem Milieu,
denen auf Grund der desolaten wirtschaftlichen Gesamtsituation in ihrer jeweiligen Heimatregion, ihrem
jeweiligen Heimatland die mit der hart erarbeiteten beruflichen Qualifikation erhofften Sozialchancen verwehrt bleiben, das akademische Proletariat also, und
c) seit 1989 die rund 20.000 arabischen - in ihren Herkunftsländern so genannten - „Afghanen“ („el-Afghan elArab“) der "dschihadistischen Internationalen", die in Afghanistan gegen die Sowjetunion gekämpft haben
und nach dem Abzug der sowjetischen Truppen in die wirtschaftliche Malaise ihrer Heimatländer im Nahen
Osten, in Nordafrika und Asien zurückgeschickt wurden: Alles für Allah gewagt, nicht gefallen und so statt
sofortiger paradiesischer Freuden die wirtschaftliche Not im Heimatland. Das frustet! In ihren Heimatländern bilden die „Terroristen Allahs“ nun auf Grund ihrer Kampferfahrungen das Rückgrat islamischer Terrorgruppen, die ihre ihrer Meinung nach gottlos gewordenen Völker auf den rechten Weg zu Allah bomben
wollen. Sie wollen mit ihren Terroranschlägen eine Gegenwelt nach ihren Vorstellungen herbeibomben.
Was zählt bei einem so großen Ziel das eigene Leben, wenn man – nach den eigenen verschrobenen Vorstellungen – durch ein Selbstmordattentat dem ohne die beanspruchte Anerkennung oft trostlosen Alltag
entfliehen und einen unwiderruflichen Freifahrtschein ins Paradies mit allen seinen Annehmlichkeiten, neben der Nähe zu Allah insbesondere die 72 schwarzäugigen Jungfrauen pro immer potenten Mann5, erlangen kann? Nichts! Wenn der eigene Tod sowohl als persönlicher Triumph als auch als Sieg für die Sache
Allahs angesehen wird, kann man einfach nicht verlieren! „Das Leben ist der Güter höchstes nicht“, wusste
schon Schiller. Solche Terroristen, die Rückhalt auch in ihren eigenen Familien haben, weil sie als im
Kampf gefallene Dschihadisten am Jüngsten Tag bei Allah als Fürsprecher für insgesamt 70 Angehörige
auftreten können (wobei natürlich jedes Familienmitglied hofft, dass für den jeweils Hoffenden die dem im
Kampf für Allah Gefallenen mögliche Fürsprache zu seinen Gunsten ausgeübt werden möge) können nicht
mit Bomben besiegt werden, sondern nur mit einer isfriedfertigen lamischen Gegenideologie!
Diese Terroristen bilden eine „Brücke des Terrors“ von Marokko über Algerien, Tunesien, Ägypten, Thailand in der Grenzregion zu Malaysia, wo zur Durchsetzung eines Kalifatsstaates als (angebliche) Vertreter
der verhassten Zentralregierung in Bangkok Lehrer enthauptet werden (SPIEGEL 18.07.05), bis nach Indonesien mit seinen islamischen Terroristengruppen der Laskar Jihad (die Dschihad-Kämpfer), der Front
Pembela Islam (Front der Verteidiger des Islam) und den in ganz Südostasien agierenden Jemaah Islamiyah6
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Für die weiblichen Dschihadisten, die sich abenfalls als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen, sind von Mohammed keine
solchen Freuden prophezeit worden!
6 In dem südostasiatischen Inselreich leben über 200 Mill. sunnitische Moslems. Damit ist Indonesien zurzeit – bis zur Entfaltung
der sich in Pakistan abzeichnenden demographischen Entwicklung – das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung. Im
Großen und Ganzen sind die indonesischen Muslime Vertreter eines multikulturellen, toleranten Islam. Rund ein Drittel aller
Muslime Indonesiens ist Mitglied in einer der beiden Islam-Massenorganisationen: der städtisch-intellektuellen Muhammadiah
und der traditionell konservativen Nahdlatul Ulama. Beide haben sich eindeutig gegen jede Art von Radikalismus und Fundamentalismus ausgesprochen und stehen damit zum grundsätzlich gemäßigten Charakter des indonesischen Islam.
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und dem Brückenpfeiler auf der philippinischen Inselwelt, insbesondere auf der Insel Mindanao. Überall
werden Anschläge von Islamisten registriert, die man in Verbindung mit Al Kaida sehen muss. Nach ihrer
ganz persönlichen Erfahrung haben diese Kämpfer ja schon einmal „eine Weltmacht in die Knie gezwungen“ und sehen es als nicht unmöglich an, das auch mit der nunmehr einzigen Weltmacht USA zu tun, um
dann die „Weltmacht Islam“ auf der politischen Weltbühne zur Geltung zu bringen.
Seit kurz nach der Jahrtausendwende muss als vierte und als fünfte, mit am schwersten zu ortende Gruppen (und
daher größte Gefahr) islamistischer Dschihad-Terroristen auf diejenigen verwiesen werden, die
d) meist durch ihre in ein westliches Land eingewanderten Eltern und eigenen Beruf recht gut in von ihnen als
solche empfundene Gastgesellschaften integriert, in den islamischen Radikalismus abdriften und mit gleichgesinnten Radikal-Islamisten Anschläge begehen oder
e) sich als Konvertiten radikalisiert haben.
Sie alle erstreben über die Instrumentalisierung der Religion zumindest Sinnstiftung, letztlich jedoch Einfluss – und,
wenn, wie meist, unvermögend: Freisein von Armut - für sich selbst. Sie alle eint der Wille zur Macht: in ihrem
Heimatland und für eine Wiederherstellung des „Dar el-islam“ („Haus des Islam“), den Sieg des Islam in der Welt
gegenüber dem von den Ungläubigen bewohnten „Haus des Krieges“, als dessen herausragendste Vertreter Israel
(wegen seiner dem westlichen Imperialismus angenäherten Kultur und der Kontrolle über ehemals palästinisches
Land und über islamische Heiligtümer) und die dieses Land stützenden und schützenden USA angesehen werden.
Als Beweis für die einseitige Bevorzugung Israels und damit die nicht gleichwertige weil benachteiligende Haltung
den Palästinensern gegenüber wird u.a. angeführt: Israel hat Dutzende UNO-Resolutionen missachtet und konnte
wegen des Einschreitens der USA von der Völkergemeinschaft trotzdem nie zur Rechenschaft gezogen werden –
selbst dann nicht, wenn die USA die Israel verurteilenden Resolutionen mitgetragen und mitbeschlossen hatten.
Dieses Gruppenbild über die Islamisten, in denen auch die Massen gar nicht vorkommen, galt einige Zeit, bis 1998
in Ägypten festgestellt wurde, dass inzwischen junge Leute aus wohlhabenden Elternhäusern und hochqualifizierte
Techniker den Anschluss an die Islamisten suchten, bis festgestellt wurde, dass der Erklärungsversuch, der Islamismus werde hauptsächlich von den sozial zu kurz gekommenen Aufsteigern ohne Arbeit und ausreichende Sozialchancen getragen, zu kurz greift. Auch Oberschichtenangehörige gehören, wie u.a. auch das Beispiel der saudischen
Terroristen zeigt, zu den islamischen Fundamentalisten.
Und inzwischen nicht nur arabische Frauen, die sich als Selbstmordattentäter in die Luft jagen, sondern – als neuer
Tätertyp - auch europäische(!) Konvertitinnen, die von ihren muslimischen Ehemännern indoktriniert worden sind.
„Deutsch, gläubig, jung, sucht und auf der Suche nach einem direkten Weg zu Allah - diese Mischung ist der Alptraum der Sicherheitsbehörden. … Von einem ’Schwestern-Netzwerk’ sprechen Staatsschützer, einem Verbund zum
Islam konvertierter deutscher Frauen, die meist über ihre Ehemänner radikalisiert wurden und dann oft nicht minder
kompromisslos als die Gatten für den Dschihad eintreten. ’Konvertiten spielen eine immer wichtigere Rolle im militanten Islamismus’, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Guido Steinberg. ’Das ist ein Trend, auf den wir uns
einstellen müssen.’ Täterinnen wie Sonja B. schlüpfen leicht durch das Raster deutscher Staatsschützer, weil sie
keinem gängigen Muster entsprechen. Sie fallen in den Moscheen nicht auf, wo meist Männer die großen Reden
halten; sie können unbehelligt reisen, weil sie einen deutschen Pass besitzen. Nur wenn sie einen Fehler machen,
wenn sie sich im Internet oder anderswo so verdächtig outen, wie Sonja B. es offenbar tat, gibt es eine reelle Chance,
Schlimmeres zu verhindern“ (SPIEGEL ONLINE 05.06.06).
Grundsätzlich bleibt aber richtig: Der Islamismus breitete sich also nicht nur unter den entwurzelten Slumbewohnern,
sondern auch unter den gemessen an den Gegebenheiten in ihren Heimatländern überqualifizierten und daher oft
unterbeschäftigten Akademikern aus. Aus dem im Jahresrückblick des STERN 27.12.01 abgedruckten Artikel „Das
Verbrechen des Jahres“ wird die Situation deutlich. Über den ägyptischen Anführer der Terroristen von New-York
und Washington wird dort geschrieben: „Der Student ... ist fleißig, absolviert sein Architekturstudium mit Bravour.
Und ist am Ende doch ein Verlierer. Auch ein gutes Examen ist nichts wert in einer Zeit, in der das einstige Versprechen Sadats auf Modernisierung unter der neuen Regierung von Mubarrak nichts als Enttäuschung hinterlassen hat
und Tausende Akademiker arbeitslos sind. ‘Alle, die genug haben von staatlicher Willkür, Ungerechtigkeit, ArbeitsIslamistische Splittergruppen wie die Jemaah Islamiyah nutzen religiöse, ethnische und wirtschaftliche Konflikte zur Radikalisierung der Bevölkerung. Jemaah Islamiyah bedeutet "islamische Gemeinschaft". Sie propagiert, in Südostasien unter Beseitigung möglichst jeglichen westlichen Einflusses einen fundamentalistischen islamischen Staat von mehr als 400 Millionen Menschen zu schaffen. Als Chefideologe gilt der Prediger Abu Bakar Bashir.
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losigkeit und Perspektivlosigkeit, alle, die Mühe haben, in einer sich rasend schnell verändernden Welt ihren Platz zu
finden – sie alle fühlen sich von der Islamistischen Bewegung angezogen‘ ... . Dies ist das vom ägyptischen Geheimdienst argwöhnisch überwachte Milieu, ... .“ (Auch im reichen Saudi-Arabien soll nur die Hälfte der 100.000 jährlich auf den Arbeitsmarkt strömenden Saudis eine Beschäftigung erhalten! Das ist dort aber nicht so sehr eine Frage
mangelnder Beschäftigungsmöglichkeiten. Arbeit soll es genug geben. In Saudi-Arabien sei es eher die Folge einer
mangelhaft ausgebildeten Arbeitsethik: Die jungen Saudis seien durch das seine Staatsbürger zur Ruhigstellung umsorgende Wohlfahrtssystem verwöhnt und darum zu stolz anstrengender Arbeit nachzugehen, die nur „normal“ bezahlt wird. Die, insbesondere die dreckig machende, wird dann von den rund 6 Mill. ausländischen Arbeitskräften
verrichtet. Aber die Kassen des Königshauses sind nach Waffenkäufen im Werte von 100 Mrd. US-$ leer. Die jungen Saudis können nun nicht mehr so bei Laune gehalten werden wie früher, und einige von ihnen schlossen sich
daraufhin islamischen Extremisten an und verübten innerhalb und außerhalb des Landes Terroranschläge.)
Weil unter den jungen Islamisten der Beruf des Elektroingenieurs das beliebteste Studienfach ist, benannte der ägyptische Volksmund daraufhin die „Muslimbrüder“ in „Ingenieursbrüder“ um.
Wegen dieser beruflichen Ausrichtung der jungen Islamisten ist die Technische Hochschule Aachen eine Hochburg
des radikalen Islamismus in Deutschland, wo Pamphlete mit Texten wie: „Kein wahrheitsliebender Moslem kann auf
den Gedanken kommen, von einem israelischen Staat zu sprechen.", hervorgebracht werden.
Dieses Wissen um die „Ingenieursbrüder“ und die Technischen Universitäten als Hochburgen des radikalen Islamismus in Deutschland erfuhr seine traurige Bestätigung nach dem verheerenden Anschlag am 11.09.01 auf das WorldTrade-Center in New York und das Pentagon in Washington, als die Nachforschungen ergaben, dass 12 der aus der
armen Südprovinz zum Jemen hin, Asir, des fundamentalistischen Saudi-Arabiens stammenden 19 Selbstmordterroristen zeitweilig an Technischen Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland studiert und dort - wohl als von
einigen (z.B. Leyendecker in der SZ vom 21.08.06 mit Hinweis auf das allmähliche Abrutschen der Attentäter der
„Hamburger Zelle“ in eine religiöse Wahnwelt) bestrittene Figur eines islamischen „Schläfers“ - auf ihren Einsatz
gewartet hatten. (Viele Saudis bestreiten die hauptsächlich von Saudis getragene Tat. Sie äußern die Vermutung,
dass der Mossad, die „Weltverschwörung der Zionisten“, das Attentat durchgeführt habe, eine Geschichtsklitterung,
die vom Sprecher der Islamischen Aktionsfront im jordanischen Parlament (SPIEGEL 01.10.01) und vom saudischen Innenminister bis mindestens 2005/06 sogar öffentlich ebenfalls vertreten wurde STERN 09.02.06.)
Und nicht nur die Ingenieursverbände sind fest in der Hand der Islamisten, sondern meist auch die Ärzte- und Juristenverbände. Die Erkenntnis daraus lautet: Der Islamismus ist eine Politisierung des Islam, eine Verbrüderung von
Intoleranz und Gewalt, die bis zum Dschihadismus führen kann. Er wir nicht von den Armen und Verzweifelten
getragen. Die werden (nur) benötigt, wenn Masse demonstriert werden muss.
Angemerkt sei außerdem, dass die Islamisten als Dschihad-Kämpfer teilweise vom Westen hochgepäppelt worden
sind, weil man sich von ihnen eine Unterstützung im Kampf gegen Linke/Kommunisten in den jeweiligen Ländern
versprach. So sind z.B. die schon damals unter wesentlichem Einfluss des (inzwischen aus Saudi-Arabien ausgebürgerten) saudischen Multimillionärs Osama bin Laden stehenden Islamisten in Pakistan und Afghanistan von den
USA aufgebaut worden – die jetzt von Afghanistan (vergeblich) die Auslieferung dieses Dschihad-Terroristen verlangen. Und Israel beging 1987 den Fehler, sich gegenüber der in dem Jahr als Ableger aus der 1928 gegründeten
ägyptischen Moslembruderschaft hervorgegangenen Moslembruderschaft in Gaza ihrerseits hervorgegangenen, von
dem blinden Scheich Jassin gegründeten, unter der grünen Fahne des Propheten kämpfenden Islamistenbewegung
Hamas7 anfangs wohlwollend zu verhalten, weil es diese Leute als Gegengewicht zur sunnitischen PLO und insbesondere deren wichtigster Gruppierung, der 1959 von Arafat gegründeten säkular und national arabisch ausgerichteten Fatah (Artikel 17 ihrer Charta bestimmt auch nach dem Tod Arafats unter ihrem neuen Präsidenten Abbas weiterhin: „Die bewaffnete Volksrevolution ist die unverzichtbare Methode zur Befreiung Palästinas.“) zu benutzen
gedachte.
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Der Name ist eine Abkürzung für „Harakat el Mukawama el Islamija“ = „Islamische Verteidigungsbewegung/Bewegung des
islamischen Widerstandes“ und bedeutet in der Kurzform des Kunstwortes Hamas gleichzeitig „Begeisterung/Eifer“. Die Hamas hat drei Flügel: einen politischen, einen sozialen und einen militärischen; doch ihr Gründer, Scheich Jassin, hatte erklärt:
„Wenn man die Flügel vom Körper trennt, kann man nicht mehr fliegen, also ist die Hamas ein einziger Körper.“ So gingen bei
der Hamas Sozialarbeit und Bombenbau bisher Hand in Hand. In der rund ein Dreivierteljahr nach ihrer Gründung verfassten
(und bis zumindest 2006 nicht geänderten) Charta der Hamas von 1988 heißt es u.a.: „Israel wird bestehen … bis der Islam es
vernichtet. … (Hamas) kämpft, um die Flagge des Islam über jeden Zentimeter von Palästina zu erheben. … (Hamas) glaubt,
dass das Land Palästina durch die Generationen ein islamischer waqf (ein heiliges Treugut) ist und es bis zum Tag der Auferstehung bleiben wird. Niemand kann darauf und oder auf Teile davon verzichten …, solange der Himmel und die Erde bestehen. … Es gibt keine Lösung für das palästinensische Problem, es sei denn durch den Dschihad“ (DIE WELT 22.07.06). Die
Hamas betrachtet sich als Teil der islamistischen, auf die Vorherrschaft des Islam in der Welt abzielenden Weltbewegung.
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Das geschah in völliger Unkenntnis der ideologischen Ausrichtung der Hamas, die als islamistische Bewegung
durchdrungen ist von der Überzeugung, dass Staat und Religion nicht zu trennen seien, darum eine islamische Republik mit an der Scharia orientierter Rechtsordnung anstrebt, und die palästinensischen Nationalismus und Widerstand gegen Israel mit dem Mittel des Dschihad bis zur Vertreibung der Israelis aus allen Gebieten zwischen Jordan
und Mittelmeer als religiöse Pflicht begreift: „Der Verzicht auf Teile Palästinas bedeutet den Verzicht auf Teile der
Religion, es gibt für Palästina keine andere Lösung als den Dschihad“, heißt es in Artikel 13 ihrer Charta. (Genau so
sehen es jüdische Fanatiker der Groß-Israelbewegung als religiösen Frevel an, wenn Israel auf Land innerhalb der
Grenzen des biblischen Staates Israel verzichten würde – und einer von ihnen ermordete deshalb „als Henker in
göttlichem Auftrag“ den israelischen Premierminister und Friedensnobelpreisträger Rabin. Einer der ideologischen
Vordenker der Groß-Israelbewegung, Rabbi Kook formulierte laut SPIEGEL 08.10.01: „Eine tiefe innere Bindung
besteht zwischen dem jüdischen Volk und dem Land Israel. Beide sind heilig. Volk und Thora existieren nur dann
als Ganzheit, wenn auch die Ganzheit des Landes unangetastet bleibt.“ Gemeint ist das biblische „Erez Israel“.)
Weil es nach dem (bisherigen) Verständnis (auf jeden Fall vor dem Wahlsieg) der Hamas nicht möglich ist, Frieden
mit jemandem zu schließen, der islamisches Territorium besetzt hält, kann sie aus ideologischen Gründen keinen
Frieden mit Israel schließen, höchstens einen Waffenstillstand, und lehnt darum Friedensverhandlungen, wie die von
Oslo 1993, konsequent ab. In ihren Vorstellungen wird sie vom Iran ideell und materiell mit Geld und Waffenlieferungen unter tatkräftig stützt. Israel hielt die Al-Aksa-Brigaden, den „bewaffnetem Arm“ der Fatah, für viel gefährlicher als die Hamas. Leidvolle Erfahrungen belehrten Israel inzwischen eines Besseren. Nun sieht es – wie dann auch
die EU seit 2003 und die USA – die radikal islamische Hamas, die Selbstmord-Sprengstoffattentate als legitimes
Kampfmittel ansieht und praktiziert, als Terroristentruppe an, was die Situation nach dem grandiosen Wahlsieg der
Hamas in einer demokratisch verlaufenen Wahl im Gaza-Streifen Anfang 2006 – 76 der 132 Sitze für Hamas, nur 43
für die Fatah, die daraufhin das Parlamentsgebäude besetzte, um Zusagen auf Weiterbeschäftigung ihrer Anhänger
als Polizisten verlangte, schwierig macht, da Israel die EU auf dem israelfreundlichen Standpunkt zu halten sucht,
jeder aber weiß, dass man letztlich mit einer demokratisch gewählten Hamas-Regierung reden und irgendwie zusammenarbeiten muss! Einige in- und ausländische Politiker vergleichen die Wahl der Hamas mit Deutschland 1933:
demokratische Wahlen hätten eine undemokratische, terroristische Bewegung oder Partei an die Macht gebracht!
Die in hoffnungsloser wirtschaftlicher Lage dahinvegitierende Bevölkerung des Gaza-Streifens erlebt die Hamas
hingegen als die Kraft, die am effektivsten gegen die israelischen Besatzer für die Rechte des palästinensischen Volkes, insbesondere die Rückkehr in die nun von Israel gehaltenen Gebiete, kämpft und durch das aufgebaute soziale
Netz ein bisschen Hilfe und Sicherheit in der Alltagsbewältigung gewährleistet.
Dass man sich, wie exemplarisch aufgezeigt, in einer grandiosen Fehlkalkulation des jeweiligen Geheimdienstes,
z.B. im Falle Pakistans der CIA, des Beelzebubs bediente, um den Teufel auszutreiben, wurde in solchen Fällen den
Politikern erst hinterher klar. Man sah in einer zu kurzatmig angelegten Politik, die nicht auf Beseitigung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ursachen des islamischen Terrors zielte, nur den augenblicklichen Vorteil des
möglichen Verbündeten, klopfte deren Vertreter aber nicht vorher gründlich ab und stellte vor allem keine ideologischen Langzeitprognosen an.
Seit den großen verheerenden Anschlägen von New-York, Moskau, Madrid und London suchen die Geheimdienste
nicht nur der betroffenen Länder nach dem »Muster« eines Dschihad-Terroristen, um durch die Anwendung eines
geeigneten Rasters »Schläfer« möglichst vor Verübung ihrer mit Bedacht aufs Monströse hin angelegten Verbrechen
enttarnen und unschädlich machen zu können. Aber es wurde so gut wie keine Gemeinsamkeit unter den Terroristen
Allahs gefunden. Als Quintessenz eines Arte-Themenabens zu dem Thema: „Warum Terroristen töten“, in dem die
Hintergründe, Motive und Ziele islamistischer Selbstmordattentäter untersucht wurden (Arte 28.02.06), kann zusammenfassend referiert werden: Es gibt keine Gemeinsamkeit in Herkunft und/oder Ausbildung. Sie sind alle unterschiedlich und haben alle einen ganz unterschiedlichen beruflichen und gesellschaftlichen Background. Es gibt Studierte, Studenten, einfache Arbeiter und Analphabeten. Die Terroristen im Ausland sind in ihren Gastgesellschaften
höchstens als Minorität toleriert, nicht aber integriert. „Wir sind Einwanderer, und so sind wir Sklaven dieser Gesellschaft.“ Wehleidig fühlen sie sich "erniedrigt und beleidigt". So werden sie Randständige in der modernen, sie befremdenden Gesellschaft, in der sie leben. Es ist insgesamt das diffus empfundene Gefühl "großer Erniedrigung", das
Empfinden, Opfer zu sein von westlicher Dominanz, westlichem Hochmut, der Eindruck, nicht ernst genommen zu
werden mit dem eigenen kulturellen Profil, das sie zunächst zu Außenseitern werden lässt. Das gibt den sich Radikalisierenden Auftrieb für ihren Hass auf das kulturelle Umfeld. Sie glauben in Selbstüberschätzung und großer Selbstgerechtigkeit zu erkennen, was rechtens sei, und den Weg zu Allahs Ziel, der Herrschaft des Islam in der Welt, zu
kennen. Was soll sie als Vorkämpfer für Allahs Willen davon abhalten, andere Menschen zur Not auch mit Gewalt
zur von ihnen geglaubten Wahrheit zu bekehren? Der dann irgendwann folgerichtig erfolgende Schritt ist die terro-
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ristische Tat. Sie erscheint ihnen wie eine Befreiung aus einer sich festgefressen habenden existenziellen Frustration.
„Er kommt einem Weckruf gleich, einer Erlösung.“
Der radikale Islamismus ist eine Reaktion vieler Muslime auf ihre Entfremdung in den modernen Gesellschaften eine
Reaktion auf die und ein Nebenprodukt der Modernisierung und Globalisierung. Darum brauchen sie im Ausland die
Gemeinschaft der Gläubigen, die sich in den Moscheen treffen, und sie sind auf ihre Religion angewiesen, der sie in
ihrem Heimatland sogar distanziert gegenüber gestanden haben können. Aber jetzt, in der Fremde, gibt sie ihnen den
vermissten Halt. Darum suchen sie die Gemeinschaft der Gläubigen: Wer dort fleißig betet, ist in der dortigen Lebensumgebung in einer Weise fraglos anerkannt, die sie vermissten. Das gibt ihrem Leben Rettung und damit einen
Sinn. Sie glauben, Mitglieder einer reineren Gesellschaft zu sein und sehen Ähnlichkeiten zum Leben des nicht anerkannten und verfolgten Abu l-Kasim, später mit dem Titel von Jesus „Mohammed“, arab. „Muham(m)ed“ = „der
Gepriesene“ bezeichnet, bevor der von Mekka nach Medina fliehen musste. Sie suchen nach einer »gerechteren«
Gesellschaft, die nach ihren Vorstellungen die Gemeinschaft des Propheten zu dessen Lebzeiten gewesen sei. Darum
leben sie selbst einfach und schlicht, wie sie es vom Propheten annehmen (der vielleicht gar nicht so schlicht gelebt
hat, da er eine reiche Kaufmannswitwe geheiratet hatte!) und kämpfen um jede Seele. Das Erlebnis der Gemeinschaft
der Gläubigen wird zum Rettungsanker für sie. Sie gehen als Individuum in der Bruderschaft der Gruppe auf: ihre
Gruppe ist für sie ihre einzige relevante Gesellschaft! Um ihren eigenen Wert zu steigern, wollen sie die Avantgarde
der Glaubensgemeinschaft sein, die in einem erhabenen Gefühl alle anderen Muslime retten will, indem sie ihre
Glaubensbrüder zu den Ursprüngen des Glaubens zurückführen. Nur so könne die islamische Nation wiederbegründet werden. Als Soldaten Allahs werden sie zu Rettern der islamischen Gemeinschaft und zu Rächern für von ihnen
so gesehene dem Islam von den „Kreuzzüglern“ zugefügte Unbill, um dann die restliche Welt zu Allah bekehren zu
wollen, und sei es mit Waffengewalt. Der 1966 hingerichtete Gründer der Muslimbruder, der Ägypter Sayyid Qutb,
unterteilte in seinem unter Islamisten berühmten Werk "Meilensteine" die Menschheit in wahre Muslime - und den
Rest, wobei die wahren Gläubigen den Rest bis zu dessen Unterwerfung bekämpfen dürfen. Die "Meilensteine" gelten daher als Pflichtlektüre jedes guten Terroristen.
Die angehenden Terroristen leben als von sich geglaubte Auserwählte auf einer geistigen Insel. Selbst ihre eigene
Familie tritt für sie in den Hintergrund. Weil ihre Radikalität andere – auch Glaubensbrüder - abstößt, bezieht die
Gruppe sich ganz auf sich. Einseitige Koraninterpretationen halten die jeweilige Gruppe zusammen. Sie haben kein
anderes Leben mehr, zu dem sie zurückkehren könnten. Es wird zunächst die Persönlichkeit gebrochen, damit eine
neue Persönlichkeit mit neuer Würde geboren werden kann. Jedem, der in die Gruppe aufgenommen wird, wird
eingetrichtert, dass er ganz etwas Besonderes sei: Das ist Labsal auf die in der Fremde wundgescheuerte Seele. Die
Gruppe kontrolliert sich gegenseitig. Die angehenden Terroristen leben als „Schahid“ in einem Märtyrerkult: Allah
werde sie für ihre geplante Selbstmord-Tat sofort im Paradies belohnen. Die Ungläubigen seien Krieger, und da sie
Krieger sind, müssen sie bekämpft werden. Du hast die Aufgabe, die Gesellschaft der Ungläubigen zu bekämpfen,
und der Dschihad ist der Weg! Da sie bereit sind, sich zu opfern, glauben sie sich stärker als diejenigen, die sie als
ihre Feinde ausmachen. „Du sollst dich mit aller Kraft auf den Kampf vorbereiten, damit du die Feinde Allahs und
der Muslime abwehren kannst!“ Das Paradies liegt im Schatten der Schwerter. Da die Feinde als Untermenschen
entmenschlicht werden, fallen Schranken in ihrer Bekämpfung. „Unsere Religion befiehlt uns, ihnen die Kehle
durchzuschneiden.“ Alle diese sich in ihrer täglichen Umgebung als bedeutungslos erfahrenden Männer wollen Helden sein und dadurch Bestätigung und Wertschätzung erfahren. Sucht nach Anerkennung und Bedeutung wird zur
Triebfeder ihres Handelns! Die Aufnahme in die Zelle einer "Glaubensbruderschaft" und die gezielte Indoktrination
islamistischer, in der Regel überaus charismatischer Demagogen in ihrer Zelle und in den zur Ausbildung besuchten
"Paradies-Camps" bestärken sie in der Absicht, ihr Leben in den Dienst einer "übergeordneten Sache" zu stellen. Sie
erkennen nicht, dass sie auf geschickte Propaganda hereinfallen, denn die Anstifter und Urheber, die vielerorts dezentrale Zellen bilden und Zellenmitglieder anwerben, opfern sich meistens nicht. Und angeworbenen Täter kommen
nicht bis zu der Frage: Warum verstecken sich bin Laden, Zarkawi und andere Top-Dschihad-Terroristen, wenn
Dschihad-Kämpfer angeblich das Leben hassen und den Tod als direkten Weg ins Paradies lieben? Warum zögern
sie den Eintritt ins Paradies so hinaus und lassen – teilweise für Selbstmordattentate mit hohen Summen für die Hinterbliebenen eingekaufte – fanatisch-schwärmerische Anhänger eines "wilder Islam" für sich sterben? Allerdings
häufen sich Berichte über Zwangsrekrutierungen und erpreßte Selbstmordattentate. In einigen Fällen wurden die
Attentäter offenbar auch über die wahre Natur ihrer Mission im Unklaren gelassen, wussten nicht, was in dem von
ihnen gefahrenen Auto oder in ihrem Rucksack war, die dann ferngezündet wurden oder werden sollten. „Das USZentralkommando im Irak berichtete, in einem Fall sei nach einem Sprengstoffangriff mit einem Auto die Leiche des
Selbstmörders mit festgebundenen Füßen in dem zerstörten Wagen gefunden worden. In einem anderen Fall habe
man einen mit Handschellen am Lenkrad gefesselten abgetrennten Unterarm gefunden. Ein Armeesprecher erklärte,
um junge Männer zu Attentaten zu zwingen, nehmen die Extremisten deren gesamte Familie als Geiseln. … Die
kranke Phantasie der Terroristen geht irakischen Weblogs zufolge sogar so weit, daß sie geistig Behinderte - vor-
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nehmlich Down-Syndrom-Patienten - kidnappen, um sie als willige Träger todbringender Sprengladungen zu missbrauchen“ (DIE WELT 12.10.05).
Natürlich muss man sich gegen solche Terroristen so gut wie möglich wappnen, aber dadurch kann man sie nicht
niederringen: Eine Idee kann man nur mit einer ihr überlegenen Idee bekämpfen!
Je älter ich werde, je länger ich als Historiker über das Problem jeglichen Fundamentalismus‘ ab und an nachgedacht
habe und je länger ich als (durch unter vieljährigen Mühen erworbener Bildung ein zu Toleranz erzogener und ihr
verpflichteter) Historiker, Politiklehrer, Jurist und Mensch von Auswirkungen des braunen Fundamentalismus in
Deutschland angeekelt wurde und werde, desto mehr gelange ich zu der Ansicht, dass das Problem eines jeglichen
Fundamentalismus‘ ein zunächst oder letztlich (fast) rein biologisches Problem mit einer ideologisch-religiösen
Komponente sein könnte. Meine These lautet: Fundamentalismus ist mit – meist religiöser – Ideologie verbrämte
Biologie. Er rührt als Metastase aus mit Wahrnehmungsdefiziten gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit gespeistem menschlichen Bedeutungs- und Dominanzstreben her, das sich als Gruppenunterscheidungsmerkmal mit
Vorliebe des Vehikels wenn nicht der „Rasse“, dann der Religion bedient. Die Bibel hat recht: „Der Mensch lebt
nicht vom Brot allein!“ Wer die Realität nicht wenigstens zur Kenntnis nimmt, ist schon an ihr gescheitert. Und zur
Realität gehört auch, dass der homo sapiens - und u.a. das unterscheidet ihn von den anderen Säugetieren - einer
gewissen Religiosität oder Spiritualität bedarf. Um Massen zu mobilisieren bedarf es - neben Unverständnis gegenüber und Angst vor dem Anderen, neben Sozialneid, Gier und borniertem Dünkel als tieferschichtigen Auslösern von
Pogromen - der Ideologie, die in der Menschheitsgeschichte meist in dem Zerrbild einer Religion daher kam. Aber
von der Grundanlage her scheint mir jeglicher Fundamentalismus ein in den ältesten menschlichen Hirnteilen irgendwo auf der Stammhirnrinde oder anderswo angesiedeltes atavistisches Säugetier-Problem zu sein: Das neue
Löwenmännchen eines Rudels will die Macht im Rudel für sich allein. Es setzt all seine Kraft zur Kontrolle der
Empfängnisbereitschaft der von ihm beherrschten Weibchen ein und beißt sich nicht nur mit aus dem eigenen Rudel
nachwachsenden oder von außen ihn bedrängenden Rivalen, sondern – fast als erstes - auch die Kleinen anderer
Männchen seiner Weibchen tot, um in einem von der Natur tief in ihm angelegten Genegoismus sich möglichst über
seine Lebenszeit hinaus zur Geltung zu bringen. (Konrad Lorenz könnte dieser biologisch begründeten Fundamentalismus-These vielleicht zustimmen, aber wir können ihn nicht mehr danach fragen.)
Hier sei, um deutlich zu machen, wie sich mir beim Abfassen dieses Textes die eben beschriebene Filmsequenz aus
einem vor einiger Zeit gesehenen Tierfilm in meine Gedanken drängte und ich auf den von mir benutzten Vergleich
kam, schon einmal ein Ausspruch des fundamentalistischen Führers des Sudans, Hassan al-Turabi, vorgezogen, der
äußerte: Die Frauen – gemeint war wohl die von Fundamentalisten auf ihr Panier geschriebene Unterdrückung der
Frauen nicht nur in der islamischen Öffentlichkeit – seien der symbolische und substantielle Schlüssel zur islamischen Frage. Und die von den algerischen Islamisten der FIS wegen ihrer offenen Worte über deren fundamentalistischen Terror in ihrer Heimat zum Tode »verurteilte« Mathematikprofessorin Khalida Messaoudi, die sich in einem
„Rattenleben“ seit Jahren in Algier vor ihren sie suchenden Mördern versteckt hält, schreibt in ihrem Buch „Worte
sind meine einzige Waffe“: „Die Fundamentalisten wollen, wie jede totalitäre Bewegung, einen totalen Einfluß auf
die Gesellschaft, und sie haben sehr gut verstanden, dass das zunächst über die Kontrolle der Sexualität der Frau
erfolgt. Eine Kontrolle, die durch das mediterrane Patriarchat erleichtert wird.“ Zu diesem Zweck wird die Beschneidung der weiblichen Genitalien entgegen den Lehren des unverfälschten Korans als Vorschrift des islamischen
Sittengesetzes ausgegeben. Es ist ein Versuch der Männer, die Sexualität ihrer Frauen und Töchter zu beherrschen.
Eine unbeschnittene Frau sei, so wird behauptet, unrein und daher nicht würdig, das Leben eines gläubigen Moslems
zu teilen. In Afrika und dem Nahen Osten sind ca. 130 Mill. Frauen beschnitten. In Ägypten z.B. sind ca. 95 % aller
Frauen verstümmelt, nicht nur Musliminnen, sondern auch die Töchter koptischer Christen müssen teilweise schon
als kleine Kinder diesen bestialischen und teilweise tödlich verlaufenden Brauch über sich ergehen lassen - obwohl
ihre Mütter, Großmütter und Ahninen seit ca. 4.000 Jahren am eigenen Leib und an der eigenen Seele schmerzhaft
und mit lebenslang bleibenden Traumen erfahren haben, was eine solche Beschneidung für Körper- und Seelenqualen auslöst! 1997 hob der ägyptische Staatsgerichtshof das zwischenzeitlich ergangene Verbot der Beschneidung von
Mädchen wieder auf: Das Unterlassen der Beschneidung führe zu „extremen Gesundheitsproblemen der Mädchen
und widerspreche den Überlieferungen des Propheten“. Anfang 1998 verbot das Oberste Verwaltungsgericht die
„Tahara“ (Beschneidung von Mädchen) erneut.
In Somalia, einem anderen Brennpunkt der Beschneidung, einem Land, in dem es seit dem Sturz des Diktators Siad
Barre 1991 keine Form der Staatlichkeit, keine Form einer funktionstüchtigen Zentralregierung mehr gibt, wo Warlordsbanden und die islamischen Extremisten der sehr heterogen zusammengesetzten Union der Islamischen Gerichte, die mit dem Ziel, das Scharia-Recht in der Gesellschaft durchsetzen zu wollen, um die Macht kämpfen und die
Islamisten 2006 Truppen der von den USA unterstützten, mit den Äthiopiern verbündeten, 2005 aus dem keniani-
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schen Exil zurückgekehrten Übergangsregierung aus der Hauptstadt Mogadischu verdrängt haben, sind rund 90 %
der Frauen genital auf die schwerste Art und Weise verstümmelt, ohne dass sie Hoffnung auf Hilfe von staatlichen
Institutionen hegen könnten.
Fundamentalisten und Islamisten lehnen den um Gleichberechtigung ringenden Feminismus als zentralen Angriff auf
ihr patriarchalisch ausgerichtetes Dominanzstreben entschieden ab! Frauen und Wahlrecht: für sie undenkbar – aber
in einigen Ländern wie Bahrein, Katar, Oman und Kuwait gegen ihren Widerstand inzwischen politische Realität.
„Frauen sind unmoralisch. Deshalb ist es auch nichts Besonderes, dass ein[nem] Mann, der seiner Frau den Kopf
abschneidet, weil sie sich von ihm trennen will, nichts geschieht. Über 3.000 Fatwas haben Dorfmullahs in den vergangenen zwei Jahren [94 und 95] in Bangladesh [dem früheren Ost-Pakistan] verhängt, und das heißt dann: Eingraben bis zur Hüfte, steinigen, auspeitschen, mit Petroleum übergießen und anzünden. Im Koran steht, so behaupten
die Peiniger, dass Frauen gezüchtigt werden müssen. Frauen sind im Namen des Islam in Unwissenheit zu halten. ...
Unwissenheit macht gefügig.“ (G. Vensky in: DIE ZEIT 01.11.96, die aber nicht erwähnt, dass die Islamisten bei den
Wahlen in Bangladesh 1996 von der Bildfläche verschwanden.)
Die Fundamentalisten fordern militant die Rückkehr zu und Bewahrung der alten islamischen Werte – obwohl der
Prophet Mohammed es den Frauen erlaubt hatte, zu arbeiten und sogar, sich politisch zu betätigen! Weder der den
Frauen von den Fundamentalisten auferlegte nichtkoranische(!) Schleier-/Schador-/Burkazwang – Khalida
Messaoudi: „Der Schleier ist heute für uns Frauen, was der gelbe Stern für die Juden war.“, das Zeichen ihrer Rechtlosigkeit - noch ihr Eingesperrtsein lassen sich zwingend auf den Koran oder auf die Lehren des Propheten zurückführen. Die Mitbegründerin der pakistanischen Frauenbewegung Riffat Hassan hat die vergangenen 25 Jahre mit
islamischen Religionsstudien verbracht. Sie stellte fest: „Koran-Übersetzungen sind nur von Männern gemacht worden und dienen dazu, die männliche Vorherrschaft zu sichern.“ Allein solche männlichen Koran-Interpretationen
führten zu Schleierzwang und Eingesperrtsein. Somit symbolisiere der Schleier die Unterdrückung der Frauen durch
Fundamentalisten und Islamisten. (Die Fundamentalisten sehen das selbstverständlich anders: Der Schleier diene
dem Schutz a) der Frau vor männlicher Belästigung, b) des Mannes vor weiblicher Verführung und c) der Gemeinschaft vor Zerstörung der Ordnung.)
Die marokkanische Soziologie-Professorin und Schriftstellerin Fatima Mernissi fordert zur Anpassung der islamischen Sozialstrukturen an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts, den Koran zeitgemäß zu interpretieren und so die
von den Fundamentalisten und Islamisten als urislamisch angesehenen und weiterhin geforderten patriarchalischen
Strukturen aufzubrechen. Ihr Ziel ist eine Wiederbelebung des Islam auf der Basis der Gleichberechtigung der Geschlechter.
Nur wenn man sich das vergegenwärtigt, kann man ermessen, was es für Islamisten bedeutet, dass Gaddafi sich eine
weibliche(!) Leibgarde zulegte. Solcher Frevel brachte libysche Fundamentalisten auf die Dattelpalme! Sie sehen ihn
in inzwischen unverhohlener (gegenseitiger) Abneigung – trotz all seiner Hinwendung zum Islam – als Verräter, er
stuft sie als „gefährlicher als die Pest oder Aids“ ein.
Die Deutung des Korans (durch den Erzengel Gabriel dem Propheten aus dem bei Allah aufbewahrten Ur-Koran
offenbartes Wort Gottes) und der durch die Hadithe tradierten Sunna (das überlieferte vorbildliche Leben des Propheten und seine wegweisenden eigenen Aussprüche - und was sich die Leute über ihn erzählt haben8) wurde bislang
von Männern vorgenommen. Und das bedeutet für Fundamentalisten nicht weiter hinterfragbare männliche Dominanz (die sich in einer traditionellen Männerwelt zur Absicherung ihrer Herrschaft über die Frauen der Religion
bedient) – wie ja auch Allahs Wille nicht weiter hinterfragt werden kann, sondern von dem Gläubigen gottergeben
hingenommen werden müsse. Die Frauen sind die allein schon an ihrem Geschlecht erkennbaren Opfer des Fundamentalismus - und das nicht nur im Islam, sondern auch im Christentum und überall dort, wo borniertes männliches
Dominanzstreben zu Tage tritt!
Als der Irak das Fürstentum Kuwait überfallen hatte und viele Kuwaitis unter Zurücklassung ihrer Frauen geflohen
waren oder in Heeresverbänden steckten, die sich schon allein wegen ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit nach Saudi-Arabien zu den aufmarschierenden Truppen der (christlichen) Europäer und der mit ihnen Verbündeten retten
mussten, schändeten die Iraker jede kuwaitische Frau, der sie zwischen die Beine geraten konnten. Nicht nur für
irakische Soldaten ist die Massenvergewaltigung von Frauen das beliebteste Mittel, einen diesen nahestehenden
Mann in seiner „Ehre“ zu treffen. Das blieb nicht immer ohne Folgen, und viele der vergewaltigten, mindestens aber
die Frauen, bei denen so zwangsweise Kinder gezeugt worden waren, wurden hinterher nach Abschluss des Krieges
8
z.B. dass, wenn Mohammed vorbeiging, sich die Bäume vor ihm verneigten und die Sonne sich verdunkelt habe; Geschichten,
die unter dem Stichwort „Entmythologisierung der Bibel“ von den Christen aus ihren Überlieferungen und Heiligengeschichten
gestrichen wurden, was im Islam, der keine solche Textkritik zulässt, aber bisher nicht geleistet wurde.
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von ihren wieder zurückgekehrten Männern verstoßen! Die islamischen Frauen wurden mit ihren Traumen von ihren
Männern allein gelassen.
Und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass solche Kinder auch getötet worden sein können. Das wurde aber nur
gemunkelt, nicht jedoch zweifelsfrei bewiesen. Solcher äußersten männlichen(!) Ehrverletzung entledigt man sich ja
auch äußerst diskret!
Es gibt nicht nur christlichen und islamischen Fundamentalismus von Bedeutung, wie manche Autoren behaupten,
die über den Zusammenprall des islamischen Fundamentalismus mit der christlich-abendländischen Welt und ihre
missionierenden, teilweise ihrerseits fundamentalistischen Auswüchse publiziert haben. Als Begründung ihrer These
führen sie an, dass Christentum und Islam die beiden einzigen Religionen mit Universalanspruch seien, die sich
schon allein wegen dieses ihres missionarisch vorgetragenen Universalanspruchs so unversöhnlich gegenüberträten
und sich darum teilweise bis aufs Blut bekämpfen würden - was durchaus in blutigem Ernst wortwörtlich zu nehmen
ist!
Doch jeder, der regelmäßig die Nachrichten aus aller Welt verfolgt, weiß, dass es in dem (thematisch relativ kleinen)
Bereich des religiösen Fundamentalismus neben dem christlichen und dem islamischen z.B. auch den jüdischen und
den hinduistischen Fundamentalismus gibt.
Der hinduistische Fundamentalismus ist in dem letzten Jahrzehnt sehr virulent gewesen. In dem u.a. 1993 besonders
heftigen Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems in Pakistan und Indien wurden nicht nur
die Gebetshäuser der jeweils anderen Religion zerstört, sondern ganze Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt.
Und der jüdische Fundamentalismus der von dem Rabiner Kahane gegründeten Kachbewegung zielt auf die Ausweisung aller Muslime aus den und die Errichtung eines Gottesstaates in den von Israel beherrschten Gebieten. Hamas
und Kach mit der von ihr abgespaltenen „Kahane Hai“9 (der 1990 von einem Araber in New York erschossene Rabiner „Kahane lebt“) wollen die Errichtung eines Gottesstaates im selben Gebiet – nur jeweils über die und auf der
Leiche der Anderen! Beide sind eine Lunte an dem Pulverfass Nah-Ost.
Auch wenn Fundamentalismus ein weltweites weil – wenn man meine Sicht der Dinge teilt - allgemein menschlichbiologisches Problem ist, zu dem neben anderen wohl schon allein fast jeder –ismus wie Kommunismus, Faschismus,
Nationalsozialismus neigt, liegen uns Europäern Beispiele aus unserer europäischen Geschichte natürlich näher als
Beispiele aus anderen Teilen der Welt, um die Mechanismen von Fundamentalismus aufzuzeigen. Aus der Fülle der
möglichen europäischen Beispiele greife ich wegen des Untersuchungsgegenstandes als Beispiel für christlichen
Fundamentalismus die Hugenottenkriege in Frankreich heraus. Seine Fortsetzung fand das darin erkennbare religiös
verbrämte Dominanzstreben dann im 30-jährigen Krieg im Herzen Europas, der Deutschland, als dem hauptsächlichen „Schlacht“-feld – auch das ist in seinem Wortursprung wörtlich zu nehmen – mindestens ein Drittel seiner Bevölkerung kostete:
Die aus der Reformation hervorgegangenen Hugenotten hatten in Frankreich immer mehr Anhänger gewonnen. Nach
dem Tode des aus machtpolitischem Kalkül vom reformierten Glauben der Hugenotten zum Katholizismus konvertierten Heinrichs II. - „Paris ist eine Messe wert!“ -, hatte die katholische Königinmutter Katharina von Medici zur
Behauptung der Macht des katholischen Hauses Valois gegen den durch sie von der rechtmäßigen Thronfolge ausgeschlossenen reformierten Bourbonen Anton von Bourbon, König von Navarra, zweimal geputscht und minderjährige
Katholiken zu neuen Königen Frankreichs ausrufen lassen, so dass sie sich zur „Statthalterin von Frankreich“ ernennen lassen konnte. In ihrem katholischen Machtstreben wurde sie von ihrem Schwiegersohn Phillip II. von Spanien
und den Päpsten Pius V. und Gregor XIII. wegen des „Ketzerproblems“ in den Niederlanden unterstützt und unter
Druck gesetzt, final zu handeln und dem Ketzerunwesen in ihrem eigenen Land ein Ende zu bereiten. Aber die Bataillone waren zunächst gleich stark. Darum herrschte in Frankreich zunächst ein Zustand geronnener Brutalität, bis
die unterschwellig weiterglimmenden Rivalitäten sich zu sehr berührten, überkritisch wurden und das hochexplosive
Gemisch aus Machtstreben, Gier und Religion 1572 im Blutrausch der Bartholomäusnacht explodierte. Im
30jährigen Krieg kämpften dann wieder Katholiken gegen Protestanten, Protestanten gegen Katholiken, dieses Mal
auf deutschem Boden. Das Ende des Abschlachtens ist bei solchen kriegerischen Glaubensauseinandersetzungen
immer erst nach gegenseitiger vollständiger Ermattung gefunden worden, wenn die zuvor dominierende gesellschaftliche Gruppierung einsehen musste, dass die nach dem kriegerischen Ausbruch der Rivalitäten von jeder Konfliktpartei mit militärischen Mitteln angestrebte Vormachtstellung nicht oder nicht wieder zu erringen war. Erst dann
9
Nach der Erschießung von 29 am Grab der Patriarchen in Hebron betenden Muslimen 1994 durch den Arzt und Anhänger der
Kachbewegung Goldstein wurden die beiden Bewegungen als terroristisch und verfassungswidrig eingestuft und verboten.
Dennoch sind diese Bewegungen unter verschiedenen Decknamen – unter Duldung der israelischen Behörden – weiterhin aktiv!
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bequemte man sich zu einer relativen Glaubenstoleranz, in diesem Falle von Reformation und Gegenreformation,
und Machtteilung(!) – das im Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück 1648 festgeschriebene Ergebnis
hätte man auch unter Vermeidung 30jähriger Verwüstungen und der damit verbundenen Leiden finden können - in
katholisch und evangelisch regierte Fürstentümer in Deutschland; eine Toleranz, zu der man sich auf der Ebene der
Regierenden nur notgedrungen bereit fand, von der man die Untertanen aber völlig ausschloss: „Cuius regio, eius
religio“ („Wem das Land gehört, der bestimmt auch nach seinem willkürlichen Gutdünken über den Glauben seiner
Untertanen“) - und die himmelweit entfernt war von der aufgeklärten religiösen Toleranz eines Friedrichs des Großen, der in diesem Zusammenhang mit seinem berühmten Ausspruch zitiert sei: „In meinem Königreich darf jeder
nach seiner Facon selig werden!“
Ich kann mich bezüglich der Mechanismen eines jeden Fundamentalismus’ der eingangs vorgetragenen Anmutung
aus dem Bereich der Biologie nicht entziehen: Es gibt in einem Revier einen Emporkömmling (eine neue Glaubensrichtung mit Absolutheitsanspruch). Der alte Silberrücken-Gorilla (die katholische Kirche, der Islam, ...) glaubt oder
sieht seine Macht bedroht und kämpft um den Erhalt dieser Macht insbesondere die Nachkommenschaft zeugen zu
dürfen. Er will, dass der auf Furcht gegründete Respekt ihm gegenüber und damit die alte (totale) Unterordnung
unter sein Wollen gewahrt bleibe (wie es jeder religiöse Fundamentalismus von seinen Anhängern heischt). Eine
Teilung der Macht auf Grund veränderter Umstände kommt für sein beschränktes, schwanzgesteuertes Hirn nicht in
Frage: Entweder ein anderer oder ICH allein. Gewinnt er den Kampf, ist für ihn alles eine Zeit lang wieder in einem
labilen Gleichgewicht. Er bleibt aber ständig auf der Hut, denn er weiß, irgendwann kommt von irgendeiner Seite der
nächste Angriff, den es wieder abzuwehren gilt! Unterliegt er, so trachtet er, durch Flucht sein Leben zu retten. Wenn
es ihm anschließend nicht gelingt, durch die Erringung der Macht über ein neues Rudel die Empfängnisbereitschaft
anderer Weibchen als den bisherigen unter seine Kontrolle zu bringen, dann sinnt er darüber nach, wie es geschehen
konnte, dass er seine Macht verlor.
Analoge Abläufe sehe ich bei den höchstentwickelten Primaten: Als ich Geschichte studierte, lernte ich in meinem
historischen Seminar einen Inder kennen, der nach Europa gekommen war und hier Geschichte mit der ganz persönlichen Fragestellung studierte, wie es gekommen sei, dass das einst kulturell hochstehende – z.B. Erfindung der Null
(unabhängig von den Olmteken in Mittelamerika, die diese Leistung vor ihnen vollbrachten), Bau des Tadsch Mahal
-, sagenhaft reiche und mächtige Indien von den Europäern unter Kontrolle, in Abhängigkeit und dann ausgebeutet
worden war. [Was sich nach der Jahrtausendwende langsam zu wandeln beginnt, denn Indien wandelt sich von einem
Entwicklungsland zu einem führenden Land in der globalen Wissensgesellschaft!]
Ähnlich fragen sich islamische Fundamentalisten nach ihrer neuzeitlichen Berührung mit den Europäern seit dem
Einfall Napoleons in das damals von der Türkei regierte Ägypten 1798 – und Fundamentalisten hängen oft in idealisierter Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit verklärenden Träumen einstiger historischer Größe nach(!) -, wie
es zum Verlust ihrer einstigen Macht kommen konnte: Warum sind wir Muslime nicht mehr die „-Tierchen“ der
Weltgeschichte, als die wir uns in unseren glorreichen Zeiten fühlen durften? (Eine Frage, die sich jedem gealterten
Silberrücken-Gorilla ähnlich stellt.)
Von Medina/Yathrib aus war zunächst die arabische Halbinsel, dann in der Stoßrichtung nach Westen als eines der
ersten christlichen Länder der Welt Ägypten, das ganze katholische Nordafrika mit dem jahrhundertealten Bischofssitz von Kirchenvätern wie z.B. Augustinus, war Spanien überwältigt und erobert, war fast das gesamte Gebiet der
Eroberungen dem islamischen Glauben einverleibt worden. (Wo trifft man die Leute so ziemlich am Empfindlichsten? Am Geldbeutel! Darum mussten andersgläubige „Schutzbefohlene“ monotheistischer Religionen nur durch sie
zu entrichtende Kopfsteuern („Dschizja“) und die höchsten Grundsteuersätze zahlen, zum Islam übergetretene Anhänger des Erobererglaubens erhielten weitgehenden Steuererlass. Weiter durfte kein Nicht-Muslim gegen einen Muslim vor Gericht als Zeuge auftreten. Diese und entsprechende Benachteiligungen für die Menschen in den dem Islam
unterworfenen Gebieten beförderten den Übertritt zum Islam ungemein!)
Erst in der Doppelschlacht von Tours und Poitiers 732 n.Chr. wurde der Expansionsdrang der islamischen Reiterheere über Nordafrika hinweg durch Spanien hindurch bis nach Gallien in das Merowingerreich durch Karl Martell
gestoppt.
Eine andere Stoßrichtung der islamischen Gotteskrieger ging zunächst nach Norden und teilte sich dann in Kleinasien, den geographischen Gegebenheiten folgend, in eine nach Osten über den Iran bis nach Indien reichende Einflusszone (Sultanat von Delhi) und eine westliche auf dem Balkan, die erst durch den Einsatz eines christlichen Entsatzheeres unter der Führung des polnischen Königs 1529 und dann noch einmal 1683 vor Wien gestoppt wurde.
Und dann nach Jahrhunderten der Vorherrschaft, vor rund zweihundert Jahren beginnend, durch die von allen europäischen Staaten und Völkern unterstützen Freiheitskämpfe der europäischen Nationen gegen die Türkenherrschaft
des Osmanenreiches der Hohen Pforte - z.B. den Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken 1821-1829 und die
„unbeabsichtigte“(?) Vernichtung der türkischen durch die englisch-französisch-russische Flotte in der Seeschlacht
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vor Navarino - durch den europäischen Imperialismus und Kolonialismus der Absturz in diese (von den Fundamentalisten schmerzlich so empfundene) weltgeschichtliche Bedeutungslosigkeit und Abhängigkeit von der Coca-ColaUnkultur des Westens, die nur durch die Kontrolle über den größten Teil der Welterdölvorräte etwas gemildert wird!
Eine solche Sicht der Dinge muss wehtun! Jedenfalls dann, wenn man Fundamentalist ist und nicht Historiker, der
zwangsläufig ein seinem Studiengebiet angemessenes Gefühl für die Vergänglichkeit von Macht und Herrschaft
entwickeln muss.
Nicht nur Fundamentalisten stellen sich die Fragen: Wie konnte das passieren? Wie konnte der von den Fundamentalisten als faul und korrupt diffamierte und in der eingeschränkten Realitätswahrnehmung der Fundamentalisten so
erlebte Westen dieses Übergewicht erlangen? Wie ist es zu der ungeheuren europäischen Expansion und der sie
begleitenden Umgestaltung der Welt nach westlichen Prinzipien, wie ist es zur Europäisierung der Welt gekommen,
nachdem erst der Islam dem europäischen Teil der Welt im Mittelalter das Licht des Wissens gebracht hatte? Warum, fragen sich Muslime, sind wir in der Entwicklung zurückgeblieben, nachdem wir in der Wissenschaft führend
gewesen waren und jeder abendländische Gelehrte in unseren Herrschaftsbereich kommen musste, um über uns Muslime das nach dem Brand der Bibliothek in Alexandria 30 v.Chr. gesamte noch verbliebene Wissen der Antike und
dessen Weiterentwicklung kennen zu lernen (wie es für den Bereich der Medizin von dem Schriftsteller Gordon im
„Medicus“ anschaulich beschrieben ist)? Wieso ist die intellektuelle Vorrangstellung der islamischen Wissenschaft
und Kultur zusammengebrochen?
Nach Jahrhunderten der Größe erlebe die islamische Welt „einen nicht enden wollenden freien Fall“, beklagt der
libanesische Schriftsteller Amin Maalouf. Wie könne die islamische Kultur den Komplex des von der westlichen
Zivilisation Erniedrigten, des Underdogs der Moderne überwinden? Wie erlangen wir Muslime den uns früher entgegengebrachten Respekt der anderen Völker zurück? Wie gelangen wir wieder zu der ehemaligen geistigen, wirtschaftlichen und politischen Hegemonie der islamischen Welt zurück? Wie setzen wir die anderen Völker wieder so
in Furcht und Schrecken oder halten sie wenigstens so in Abhängigkeit, dass sie unsere uns nach dem ewig gültigen
Zeugnis des Mohammed von Gott versprochene und uns wenigstens damals für Jahrhunderte geschenkte Vor-Macht,
die uns nach unserer religiösen Überzeugung nicht nur in unserem ehemaligen Einflussgebiet, sondern über die ganze Welt gebührt, wiedererlangen? Schließlich hat Allah ja durch Mohammed im Koran mitteilen lassen: „Ihr seid die
beste Gemeinschaft, die unter den Menschen entstanden ist.“ Das dokumentiere doch die prinzipielle Überlegenheit
der Muslime gegenüber allen Nicht-Muslimen. Dieser der entsprechenden katholischen Auffassung ähnliche Irrglaube an die absolute Überlegenheit der eigenen Religion, im Falle der Islamisten des (sunnitischen/wahhabitischen)
Islam gegenüber allen anderen Religionen, führt bei fundamentalistischen Islamisten zu den Terroranschlägen, mit
denen sie die christliche und schiitische Welt in Atem halten.
Dieser auf den Koran als Gottes geoffenbarte Wort gegründete überzogene Anspruch auf die erneute Vormachtstellung in der Welt veranlasste 1990 die italienische Journalistin und Schriftstellerin Oriana Fallaci zu ihrem als aufrüttelnde Warnung an den Westen gemeinten Buch "Die Wut und der Stolz". Darin schreibt sie u.a.: „ … der Krieg, den
der Islam dem Westen erklärt hat, [ist] kein militärischer Krieg. Es ist ein kultureller Krieg. Ein Krieg, würde Tocqueville sagen, der vor unserem Körper unsere Seele treffen will. Unsere Lebensart, unsere Lebensphilosophie. Unsere Art zu denken, zu handeln, zu lieben. Unsere Freiheit. ... Die Terroristen, die Kamikaze töten uns nicht nur aus
Lust am Töten. Sie töten uns, um uns zu beugen. Um uns einzuschüchtern, uns zu ermüden, uns zu entmutigen, uns
zu erpressen. Ihr Ziel ist es nicht, unsere Friedhöfe zu füllen. Unsere Wolkenkratzer, unseren Schiefen Turm, unseren
Eiffelturm, unsere Kathedralen, unseren David von Michelangelo zu zerstören. Ihr Ziel ist es, unsere Seele, unsere
Ideen, unsere Gefühle, unsere Träume zu zerstören. Den Westen erneut zu unterwerfen. Und das wahre Gesicht des
Westens ist nicht Amerika: Es ist Europa.“
2006 schrieb Henryk M. Broder in der Kurzfassung seines Buches: „Hurra, wir kapitulieren“ – u.a. mit Blick auf die
in vielen Ländern der muslimischen Welt zur Ablenkung von der eigenen Unfähigkeit und gravierenden sozioökonomischen Defiziten von den Machteliten in nahezu allen islamisch geprägten Ländern gern als Ventil für den Zorn
ihrer Völker genutzen, in einem Deutungsdiktat gesteuerten Auseinandersetzungen um die Mohammed-Karikaturen
mit ihren reflexartigen Fahnen- und Puppenverbrennungen und bezüglich der Attentate der Dschihadisten - für den
SPIEGEL (14.08.06): Es geht „… um 1,3 Millarden Muslime in aller Welt, die chronisch zum Beleidigtsein und
unvorhersehbaren Reaktionen neigen. Es geht um Meinungsfreiheit, den Kern der Aufklärung und der Demokratie,
und um die Frage, ob Respekt, Rücksichtnahme und Toleranz die richtigen Mittel im Umgang mit Kulturen sind, die
sich ihrerseits respektlos, rücksichtslos und intolerant gegenüber allem verhalten, was sie für dekadent, provokativ
und minderwertig halten, von Frauen in kurzen Röcken bis hin zu Karikaturen, von denen sie sich provoziert fühlen,
ohne sie gesehen zu haben. Der Streit um die zwölf Mohammed Karikaturen … war nur ein Vorspiel, eine Art Kostümprobe für Auseinandersetzungen, mit denen Europa in Zukunft rechnen muss, wenn es seine Appeasement-Politik
nicht überdenkt. Wie schon in den dreißiger Jahren, als mit dem Münchner Abkommen die Tschechoslowakei dem
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Frieden zuliebe geopfert und der Krieg trotzdem nicht verhindert wurde, meinen die Europäer auch heute, durch
Wohlverhalten, Konzessionen und vorauseilende Selbstaufgabe einen Gegner gnädig stimmen zu können, der den
Tod mehr liebt als das Leben und deswegen unbesiegbar scheint. Das Beste, was die Europäer in diesem asymmetrischen Konflikt für sich herausholen können, ist eine Gnadenfrist, eine Schonzeit, die 10, 20 oder auch 30 Jahre dauern kann. Jeder zum Tode verurteilte atmet auf, wenn seine Exekution auf unbestimmte Zeit verschoben wird. …
Was die OIC [Organization of Islamic Conference im Zuge der Auseinandersetzung um die MohammedKarikaturen; der Verv.] wollte, hatte sie schon 1990 in einer ’Deklaration der Menschenrechte im Islam’ verkündet:
‚Alle haben das Recht, ihre Meinung frei auf eine Weise auszudrücken, die der Scharia nicht zuwiderläuft.’ Die
westlichen Staaten sollten genötigt werden, ihre Form der Meinungsfreiheit der Scharia anzupassen. … Die Opfer
[der Angriffe auf westliche Botschaften in islamischen Ländern; der Verf.] übten sich in Demut und baten die Täter
um Nachsicht. Nur nicht weiter provozieren, die Irren könnten böse werden. Der Karikaturenstreit war objektiv ein
Sturm im Wasserglas, subjektiv eine Machtdemonstration und im Kontext des ’Kampfes der Kulturen’ eine Probe für
den Ernstfall. Die Muslime haben bewiesen, wie schnell und effektiv sie Massen mobilisieren können, und der freie
Westen hat gezeigt, dass er der islamischen Offensive nichts entgegenzusetzen hat – außer Angst, Feigheit und Sorge
um seine Handelsbilanz. … Die Diskussion darüber, welche Provokationen WIR unterlassen müssen, damit SIE sich
nicht gekränkt fühlen, führt zwangsläufig in das Reich des Absurden. Dürfen fromme Juden von Nichtjuden den
Verzicht auf Schweinefleisch verlangen? Und Mit Sanktionen drohen, wenn ihre Forderung nicht erfüllt wird? Darf
ein Hindu in Indien Amok laufen, weil die Niederländer die Heiligkeit und Unantastbarkeit der Kuh nicht anerkennen? Wer Muslimen das Recht einräumt, sich darüber zu empören, dass die Dänen sich nicht an ein islamisches
Verbot halten, von dem nicht einmal feststeht, dass es tatsächlich existiert, muss solche Fragen mit einem klaren Ja
beantworten. Und schließlich auch Analphabeten erlauben, Buchhandlungen zu verwüsten, denn in einer Welt, in der
sich jeder gekränkt und gedemütigt fühlen darf, darf auch jeder entscheiden, welche Provokation er nicht hinnehmen
mag. … Angst mag ein schlechter Ratgeber sein, aber als Mittel der Massenerziehung gibt es nichts Besseres. ‚Bestrafe einen, erziehe hundert’, hat schon Mao gesagt und mit Hilfe dieser Regel seine Macht konstituiert. Es ist nicht
der Respekt vor anderen Kulturen, der das Verhalten der Menschen bestimmt, sondern das Wissen um die Rücksichtslosigkeit der Fanatiker, mit denen man es zu tun hat. Je wilder und brutaler sie auftreten, umso eher verschaffen
sie sich Gehör und Respekt. Ob es sich um eine Gang aus dem Nachbarviertel handelt oder um eine fremde Kultur,
spielt dabei keine Rolle, man geht dem Ärger lieber aus dem Weg. … Das Wunschdenken der Europäer entspringt
ihrem Bedürfnis, Konflikten aus dem Weg zu gehen, verbunden mit einem starken Selbsterhaltungstrieb. Sie nehmen
die Wirklichkeit wahr, aber nur selektiv. … In einer Situation, die aussichtslos ist, in der man nichts machen kann,
bringt es Erleichterung, sich wenigstens etwas vorzumachen. … Dabei sind alle Ereignisse der letzten Wochen nur
ein Vorgeschmack auf etwas Größeres, das noch keinen Namen hat. Wenn es vorbei ist, werden sich die Davongekommenen fragen: Warum haben wir die Zeichen an der Wand nicht sehen wollen, als es noch Zeit war? Wenn der
Protest gegen ein paar harmlose Karikaturen die freie Welt dazu bringt, vor der Gewalt zu kapitulieren, wie wird
diese freie Welt reagieren, wenn es um etwas wirklich Relevantes geht?“
Auf die viele fundamentalistisch denkende Muslime quälende, zuvor schon angesprochene Frage nach der verlorenen
und aus religiöser Überzeugung, aus religiösem Wahn, aus religiöser Hybris erneut angestrebten Weltgeltung verlangt das prononciert islamisch ausgerichtete Zivilisationsbewusstsein der heutigen Islamisten eine ihre Glaubensgrundsätze - und ihre Eitelkeit(!) - befriedigende Antwort. Sie sind „überzeugt von der Überlegenheit ihrer Kultur
und besessen von der Unterlegenheit ihrer Macht“ (Huntington), was zu solchen Lächerlichkeiten führen kann, dass
im August 2005 in einer saudischen Zeitung die Fatwa eines gewissen Scheichs Abdallah al-Naschdi abgedruckt
wurde, der das Fußballspielen, da er das auch in Saudi-Arabien populäre Spiel nicht verbieten konnte, islamisieren
wollte, damit es der Ertüchtigung für den Dschihad diene: Spielfeldbegrenzungen seien abzuschaffen, das Tor nach
oben hin offen zu lassen, für Regelverstöße sei die Scharia heranzuziehen, und wenn die gelte brauche man auch
keinen Schiedrichter mehr. Die Zahl von elf Spielern sowie die zwei Halbzeiten à 45 Minuten seien zu ändern, es
solle am besten in einer Einzeit oder drei Drittelzeiten gespielt werden, „um sich von den Gottlosen zu unterscheiden“ (STERN 08.06.06).
Wie es kommen konnte? Die wissenschaftliche und industriell-technische und die darauf fußende militärischwaffentechnische Überlegenheit des Westens hatte diesem den Kolonialismus10 ermöglicht. Das hatte schon der vom
10
Frankreich brachte 1789 Ägypten, 1830 Algerien, 1881 Tunesien und 1912 den größten Teil Marokkos unter seinen Einfluß,
die Briten 1882 Ägypten, die Italiener 1912 Libyen, 1914 wurde das Osmanenreich aufgeteilt, wobei Palästina, Tranjordanien
und der Irak unter britische, Syrien und der Libanon unter französische Kolonialherrschaft kamen, bis sich diese Gebiete nach
dem Ersten Weltkrieg wenigstens papiermäßig (Ägypten 1922, Irak 1931, Libanon 1943, Syrien 1944 und Tranjordanien 1946)
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ägyptischen Statthalter des Kalifen nach Paris entsandte Emissär Rifaa el Tahtawi herausgefunden, der ergründen
sollte, worin das Geheimnis des Westens bestand, dass er dem „kranken Mann am Bosporus“ überlegen war. „Die
Industrialisierung der Kriegsführung auf der Basis der modernen Wissenschaft und Technologie ist das Geheimnis.“
Daran erinnerten sich später die „Jungtürken“.
Aber worauf gründete diese wissenschaftliche und industriell-technische und die darauf fußende militärischwaffentechnische Überlegenheit? Warum hatte der Islam seine „Welt“-Herrschaft verloren?
Ich weiß nicht, ob sich Fundamentalisten diese Frage und der ehrlichen Antwort darauf stellen! Natürlich haben
Fundamentalisten eine Antwort auf diese Fragen: „Scharia – einfach nur Scharia.“ Der ägyptische Scheich der dortigen Muslimbrüder Jussuf el-Qaradawi propagierte in einer dreibändigen Buchreihe als von ihm gesehenen und von
den Islamisten aufgegriffenen Grund für den Machtverlust: Weil wir vom unverfälschten Glauben des Propheten
abgeirrt sind und den Islam von der Politik getrennt haben. Weiche ein Volk von der ursprünglichen Reinheit des
Glaubens ab, so gebe Gott dieses Volk dem Niedergang und der Knechtschaft preis. Als religiös-ideologischer Beleg
für die Richtigkeit dieser These dient den Islamisten die Niederlage, die der kleine Judenstaat 1967 im Sechs-TageKrieg den rund um dieses Land aufgestellten und aufmarschierten zahlenmäßig weit überlegenen Heeren der vereinigten arabischen Streitkräfte beigebracht hatte: Die Israelis waren nach der Deutung der Islamisten deswegen so
stark, weil sie tief in ihre Religion eingebettet waren, während die Muslime sich in laxer Diesseitigkeit von ihren
religiösen Wurzeln entfernt und dem Säkularismus in der Form eines panarabischen Nationalismus verschrieben
hatten. Deshalb konnte nach der so konstruierten Ursachenkette für die schmähliche Niederlage die Schlussfolgerung
nur sein: Weg von allen säkularistischen Ideen und zurück zum religiös gegründeten politischen Islam. So kann der
verlorene Sechs-Tage-Krieg von 1967 als die Geburtsstunde des modernen „islamischen Fundamentalismus“ angesehen werden. Für die Islamisten war offenkundig: Wir, die Einheit der Gläubigen, müssen uns moralisch läutern und
in Korrektur der von den westlichen politischen Ideen des Nationalstaats, der Demokratie und des Sozialismus geprägten gottlosen Moderne unter Leitung eines Imams zum wahren Glauben der Frühzeit – wie sie ihn definieren! zurückfinden: Durch Re-Islamisierung zurück zu imperialer Weltmacht! „History made simple“, wenn ich den Titel
einer populären britischen Buchreihe aufgreife und für den Bereich der Geschichte verfremde! Denn das kann nicht
die richtige Antwort sein!
Reformerische Kräfte innerhalb des Islam plädieren demgegenüber für eine Erneuerung auf allen Gebieten ohne
Einschränkung durch die Religion, um dem Wandel der Welt gerecht zu werden. Die Rückkehr zu alter „islamischer
Moral“ könne diesen erforderlichen Modernisierungsschub nicht leisten. Es stelle sich die Frage, wie die Grundprinzipien des Islam mit den offensichtlich überlegenen moderneren westlichen Werten von Freiheit, Volkssouveränität,
Demokratie, Gerechtigkeit und – für Fundamentalisten und Islamisten aber nicht denkbar – Gleichheit der Geschlechter in Einklang gebracht werden könnten.
Der in Berlin lebende syrische Exilschriftsteller Rafik Schami gab in einem STERN-Interview vom 23.09.04 als
Gründe für den Absturz und als Ratschläge für die notwendige Erneuerung an:
Die Fundamentalisten mordeten Geist und Seele. „Es gibt keine Achtung, keine Freiheit für das Denken.
Ohne Emanzipation von Religion und Aberglaube kommen die arabischen Länder nicht aus ihrer [geistigen; der Verf.] Gefangenschaft heraus. … In der arabischen Welt sind über 50 % Analphabeten. … 400
Jahre war Arabien von dem Osmanischen Reich besetzt. … In fast allen arabischen Ländern – Ägypten, Syrien, Algerien, Jemen, Oman – gab es heroische Aufstände für mehr Freiheit, die blutig niedergeschlagen
wurden. … Die Scheichs verdammen die Gedanken von Freiheit und Demokratie und beschimpfen sie als
importierte westliche Dekadenz. … Sie dulden keine Kritik, widerspenstige Intellektuelle werden mundtot
gemacht. … Die Sippenstruktur erwürgt das Leben. Solange die Macht der Sippe nicht gesprengt wird, gibt
es keinen Fortschritt in Arabien. … Die Araber müssen das Individuum, die Rechte des Einzelnen anerkennen. … In Arabien gibt es keine Diskussion. Es zählt die Hierarchie, nicht das Argument. Es herrscht absolute und bedingungslose Solidarität mit der Sippe. Allein der Clan zählt. … Dieses Clansystem lähmt heute
alles, führt dazu, dass die Söhne von Herrschern die Macht übernehmen. … Die Moral hechelt mit hängender Zunge dem Terror des Alltags hinterher.“
und insbesondere dann nach dem Zweiten Weltkrieg in den 50er, 60er und teilweise auch erst in den 70er Jahren in zum Teil
langwierigen, blutigen Befreiungskämpfen von der europäischen Vorherrschaft vollständig befreien konnten.
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Ähnlich sieht es wohl der jordanische König Abdullah II., denn er sagte in einem STERN-Interview: „Reformen sind
der einzige Weg. Und wenn die arabischen Länder das nicht begreifen, befinden wir uns bald wieder in der Steinzeit.“
Und der in Ankara geborene und in Berlin lebende Schriftsteller und Publizist Zafer Senocak analysierte am
10.11.04 nach dem Mord an dem niederländischen Filmemacher van Gogh in „DIE WELT“:
„Es fehlt die Bereitschaft zur Kritik der eigenen Traditionen
Muslime verurteilen den Mord an Theo van Gogh. Aber sie erkennen in dem Terror kein Grundproblem ihres Glaubens
Muslimische Intoleranz und Gewalt gegen Andersgläubige oder auch gegen Kritiker des Islam gehören in
vielen islamischen Ländern zum Alltag. Gottlosigkeit wird nicht nur als Sünde angesehen, sondern kann
auch je nach Gesetzeslage Gerichte beschäftigen oder zur sozialen Isolation führen. Sogar in einem säkularen Land wie der Türkei gab es noch in den neunziger Jahren religiös motivierte Mordanschläge. …
Die Muslime in Europa brauchen dringend eine Charta, in der die verbindlichen Regeln des Zusammenlebens mit Nichtmuslimen in einer demokratischen, offenen Gesellschaft festgeschrieben werden müssen.
Wer sich nicht an diese Charta hält, müßte aus der Gemeinschaft der Gläubigen verstoßen werden und dürfte sich auch nicht auf die in der Verfassung garantierte Glaubensfreiheit berufen. Ein solcher Wertekanon
aber kann nur dann entstehen, wenn es eine innere Debatte über die Konflikte des muslimischen Glaubens
mit der Moderne gibt. Viele Muslime sind nicht einmal bereit, einen solchen Konflikt zu erkennen. Sie sind
nicht bereit zur kritischen Analyse der eigenen Tradition, zu einer schonungslosen Gegenüberstellung ihres
Glaubens mit der Lebenswirklichkeit in modernen Gesellschaften. Das ist übrigens auch ein Grund dafür,
warum ihre Kultur so wenig Kunst und Kreativität hervorbringt und ohne Verständnis, ja feindselig auf solche reagiert.
Nach der islamischen Tradition hat sich ein Muslim, der außerhalb der islamischen Welt lebt, grundsätzlich
an die Gesetze seines Gastgeberlandes zu richten. Doch viele Muslime in Europa orientieren sich zunehmend weniger an den Gesetzen der demokratischen, pluralistischen Gesellschaft. Sie fühlen sich ja auch
nicht mehr als Gäste, sondern als Mitglieder einer Minderheit, die verbissen um ihre Rechte streitet.
Dieses neue Selbstbewußtsein der Muslime führt keineswegs zu der erwünschten gesellschaftlichen Integration, sondern in den direkten Konflikt mit der Mehrheitsgesellschaft. Denn nicht selten nutzen radikale
Muslime die Toleranz und die Werte- und Meinungsfreiheit aus, um letztendlich dagegen zu agieren. Ein
solches Verhalten muß unterbunden werden, wenn wir unsere Demokratien erhalten wollen. Wer seinen
Töchtern eine rigide Sexualmoral aufzwingt, die immer das weibliche Geschlecht benachteiligt, kann sich
nicht auf demokratische Grundrechte berufen. Wer die Freiheit der Meinung und des künstlerischen Ausdrucks einschränken möchte, ist ein Feind der offenen Gesellschaft. Europa kann und sollte nicht die mühsam errungenen Werte der Aufklärung einem falsch verstandenen Toleranzbegriff opfern. …“
Vorarbeiten zur Modernisierung des Islam leistete Ende des 19. Jahrhunderts der Ägypter Mohammed Abdu. Er hatte
erkannt, dass die westliche Moderne eine dem Islam überlegene Kraft entfaltete. Wie war diese Kraft in die von ihm
angestoßene Erneuerung einzubinden und dem Islam dienstbar zu machen, so dass die islamische Welt der nichtislamischen wieder überlegen werde (die für Abdu angemessene Beziehung zwischen diesen beiden Welten)? Das
versuchte er, indem er erklärte, dass die moderne Wissenschaft eine Fortsetzung der arabischen Wissenschaft des
Mittelalters sei und alles denkbare Wissen innerhalb und außerhalb des Islam, alles Neue und jeglicher Fortschritt
schon in der koranischen Lehre angelegt und vorhanden sei – selbst wenn diese Erkenntnisse von anderen Kulturen
vor der muslimischen entdeckt und angewandt würden. Mit diesem Kunstgriff sollte es den - großen Teils analphabetischen - Massen gefühlsmäßig leichter gemacht werden, das die Europäer so erfolgreich gemacht habende Wissen
der Moderne zu akzeptieren.
Aber dieser zur Modernisierung des Islam gedachte geistige Befreiungsschlag stärkte nicht nur die reformerischen
Kräfte, zu deren Mobilisierung er gedacht war. Auch die Islamisten bezogen daraus ihr schlagkräftigstes Gegenargument: Wenn die Abdu’sche These richtig ist – und das wollte man gerne annehmen, weil sie das erniedrigte
Selbstwertgefühl höchst angenehm streichelte -, dass im Islam schon seit Jahrhunderten alle nur denkbaren Antworten auf alle nur denkbaren Probleme angelegt seien, dann könnte ja nur die Totalisierung des Islam das Allheilmittel
gegen die Verwestlichung der Welt sein!
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Was ist nun aber die eigentliche Basis der europäischen Stärke? Als Historiker sehe ich die Antwort in der Befreiung
des Geistes aus dem Gefängnis von Aberglauben und Religion durch den Humanismus, in der Befreiung des durch
die Religion der katholischen Kirche gegängelten Denkens, Wissens und Gewissens durch die Reformation und die
Aufklärung und im Zuge damit und verbunden damit die Säkularisierung der modernen europäischen Staaten. Die
Geisteshaltung des kritischen Denkens ist das Fundament der aufgeklärten Menschen. Sie machte die europäische
Kultur seit dem Beginn der Aufklärung auf jeden Fall den islamischen Ländern gegenüber zur nunmehr führenden
Kultur, auch wenn die Anfänge für die ersten »aufgeklärten Geister«, wie z.B. Giordano Bruno und Gallileo Gallilei,
in Europa selbst teilweise sehr schwierig waren. Der deutsche11 ostpreußische Domherr Kopernikus, der als Jahrtausendrevolution die darum sprichwörtlich gewordene so genannte „kopernikanische Wende“ in das europäische Denken brachte, fürchtete wegen der von ihm gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse um sein Leben und hielt das
erste Exemplar seines umwälzenden astronomischen Buches erst auf dem Sterbebett in Händen, weil er nicht vorher
gewagt hatte, seine Erkenntnisse zu publizieren. Auf ihn und sein wissenschaftliches Werk trifft das Wort zu: „Kühner, als das Unbekannte zu erforschen, kann es sein, das Bekannte zu bezweifeln!“ Drehte sich die Sonne wirklich
um die Erde, wie die katholische Kirche es verkündete und geglaubt wissen wollte – oder nicht?
Galilei sollte 1633 für die Verbreitung der kopernikanischen Erkenntnisse auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden - eine durchaus realistische tödliche Bedrohung, denn vor ihm war schon ein anderer Wissenschaftler für diese
(in den Augen der katholischen Kirche) Häresie verbrannt worden! Und Galilei blieb bis zu seinem Lebensende
Gefangener der Inquisition.
Ich habe das etwas ausführlicher dargestellt, weil so die Parallele zu islamisch fundamentalistischem Denken deutlich wird, wenn Sie weiter hinten lesen, dass das damalige religiöse Oberhaupt der Wahhabiten, der erzkonservative
saudische Scheich Ibn Baz die inzwischen nun wirklich zum Allgemeinwissen (auch der katholischen Kirche, die das
Urteil gegen Galilei aber erst 1992 revidierte) gehörende Erkenntnis, dass die Erde eine Kugel sei und sich um die
Sonne bewege, (wie die katholische Kirche auch noch in der Neuzeit weit nach Kopernikus und Galilei) noch 1966
ausdrücklich als Unglauben bezeichnet und bis in die 80er Jahre aufrecht erhalten hatte. Für die Erde ließ der wahhabitische Scheich nur die Scheibenform des ptolemäischen Weltbildes gelten, bis 1985 der saudische Astronautenprinz aus dem Weltall zurückgekehrt war und – auf Geheiß seines Königs, den die doktrinäre geistige Rückständigkeit seines religiösen Chefideologen schon längere Zeit geärgert hatte – in den Schulen des Landes erzählte, was er
im Weltraum und vom Weltraum aus gesehen hatte: Die Welt ist eine Kugel. So hatte der König sein Problem in der
Auseinandersetzung mit dem religiösen Oberhaupt seines Landes in wahrhaft königlich eleganter Manier gelöst!
Durch dieses Beispiel sollte illustriert werden, was ich damit meine, wenn ich als Grund für die technische, wissenschaftliche und militärisch-waffentechnische Überlegenheit des Westens die Befreiung des Geistes aus dem Gefängnis von Aberglauben und Religion, die Befreiung des Denkens aus der Gängelung durch die Religion ansehe. Wissen
ist Macht! Nur das durch Trennung von Staat und Religion aus den Fesseln der Religion befreite Wissen des freien,
autonomen Individuums ermöglichte im Zusammenhang mit der auch im Westen nur unter schweren Kämpfen errungenen Demokratisierung der Gesellschaft – „Vom Untertan zum Staatsbürger“ durch eine liberale Verfassungsgebung - den Aufbau der technisch-rationalen Industriegesellschaft westlichen Zuschnitts, die dann weltweit den
Maßstab für Entwicklung und Fortschritt setzte.
Islamische Fundamentalisten aber lehnen eine Trennung von Staat und Religion, lehnen individuelle Freiheit als Ziel
staatlicher Organisation und die vorrangige Beachtung der Menschenrechte ab und sehen darüber hinaus eine Verschwörung des Westens am Werk, die jeden islamisch-kulturellen Aufbruch verhindere. Sie wollen – unter problemloser Verwendung westlicher Technologie; da sind sie nicht „fundamentalistisch“ wie manche anderen Fundamentalisten anderer Glaubensrichtungen - zu einem persönlichen Kadavergehorsam gegenüber der eingeschränkten islamischen Weltsicht des 7. Jahrhunderts zurück! Doch bloße Übernahme der modernen westlichen Technik – im Gegensatz zu muslimischen Traditionalisten bejahen und benutzen die Islamisten die westliche Technologie - ohne deren
Voraussetzung, die Säkularisierung des Geistes der Menschen mit zu übernehmen, weil der Geist erst nach seiner
Befreiung aus den Fängen der Religion zu diesen Leistungen in der Lage war, scheint nicht machbar. Damit kann
man keinen Rückstand im geistigen Denken aufholen! Dieser Versuch einer „halben Moderne“ muss scheitern – auch
wenn die Fundamentalisten das nicht wahrhaben wollen!
11
Sein Onkel war der Bischof vom Ermland, er selbst war Domherr in Frauenburg und Allenstein, und nach den Regeln des
Konvents durften nur Deutsche diese Positionen in dem vom Deutschen Ritterorden gegen die heidnischen heimischen Prußen
auf den Hilferuf des polnischen Königs eroberten Ordensland Preußen einnehmen. Darum ärgert es mich als Historiker, wenn
selbst deutsche Lexika fälschlich von dem (angeblichen) Polen Kopernikus schreiben – vielleicht weil das Ordensgebiet nach
der für den Deutschen Ritterorden verlorenen Schlacht von Tannenberg 1410 unter polnische Oberhoheit gekommen war.
23
Und noch ein Letztes sei den islamischen Fundamentalisten in ihr Stammbuch geschrieben:
Ihr jetziger Traum von der einstigen geopolitischen Größe und Bedeutung der islamischen Völker – was von allen
islamischen sowohl sunnitischen wie auch schiitischen Fundamentalisten für eine baldige Gegenwart für ihre jeweilige Gruppe in möglichst naher Zukunft wieder angestrebt wird, die sich aber jahrhundertelang nicht auf einen Imam
als politischen Führer einigen konnten - war durch Reiterheere mit dem Krummschwert erkämpft worden. Warum
aber sollten andere Völker die damalige militärische Überwältigung und das teilweise darauf basierende heutige
Hegemoniestreben als tradiertes Herrschaftsdenken heute noch hinnehmen, heute noch hinnehmen müssen? Ägypten
war eines der ersten christlichen Länder der Welt, und das war es freiwillig geworden - und nicht auf Grund einer
Eroberung durch christliche Heere. (Damit will ich nicht der Re-Christianisierung Ägyptens das Wort reden, sondern
nur historische Fakten aufzeigen.) Es wurde dem Islam gewaltsam unterworfen und seinem Einfluss geöffnet. Das
war Un-Recht des Stärkeren. Auch die anderen Völker wurden überwiegend durch militärische Niederlagen dem
Islam einverleibt. Das war Kolonialismus in seiner Frühform, aber genau so »ungerecht« wie der Kolonialismus der
Europäer in der Neuzeit, gegen den sich die Araber zu Recht wehrten. Woher kam die innere Berechtigung für die
Ausbreitung des Islam mit Feuer und Krummschwert? Weil Allah es Abu l-Kasim, später mit dem Titel von Jesus
„Mohammed“, arab. „Muham(m)ed“ = „der Gepriesene“ bezeichnet, so versprochen habe! Das gehört jedenfalls zur
Heilsgewissheit des Islam. Darum habe der auf der Romantisierung der Vergangenheit, insbesondere der Kalifatsidee12, fußende (nie aufgegebene) Hegemonieanspruch der islamischen Fundamentalisten immer noch Geltung, und
die anderen Völker hätten den Welthegemonieanspruch der sunnitischen Araber/der schiitischen Iraner hinzunehmen
(jede der islamischen Glaubensrichtungen beansprucht den Führungsanspruch ja nicht nur gegenüber den NichtMuslimen, sondern auch gegenüber der anderen islamischen Religionsgemeinschaft).
Das soll eine realistische und vor allen Dingen zukunftsfähige Sicht der Welt im 21. Jahrhundert sein? Das soll als
moralische Rechtfertigung für ein im 21. Jahrhundert von Islamisten immer noch aufrecht erhaltenes tradiertes Herrschaftsdenken über alle anderen Völker ausreichend sein? Wann kommen die Fundamentalisten zu der Einsicht, dass
es eine Hegemonie auf Grund eines religiösen Dünkels nicht geben darf? Wann verstehen sie sich ideologisch als
Partner?! (Wenn der Westen sie als Partner behandelt?) Vielleicht sollten islamische Fundamentalisten einmal das
„Kinderlied“ von Brecht lesen, mit dem der Dichter dem deutschen Volk einen neuen Text für unsere Nationalhymne
vorschlug, damit das „Deutschland, Deutschland über alles“ nicht wieder in bewusstem Missverständnis missbraucht
werden kann, und in dem es ungefähr heißt: Laß’ es nicht über oder unter anderen, sondern ein Volk wie die anderen
sein. So sollten Gläubige sich gegenseitig akzeptieren und keine Vorherrschaft anstreben.
Aber ich glaube, islamische Fundamentalisten werden Brecht eher nicht lesen.
Ich möchte dieses Vorwort mit einem Zitat der Orientalistin Annemarie Schimmel13 aus einem Interview mit der
Frankfurter Rundschau (06.05.95) schließen, als sie in dem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für
ihr Lebenswerk, die Vermittlung von Kenntnissen über und Verständnis für den Islam, erhielt und sich im Vorfeld
12
Die Kalifatsidee bedeutet nach der islamischen Doktrin eine von einem muslimischen Herrscher geleitete Ordnung als Nachfolger/Stellvertreter des Propheten, eine religiös begründete, mit absoluter Autorität im zivilen wie im religiösen Bereich ausgestattete politische Position also. Nach dieser Doktrin kann es nur einen einzigen durch die Eingebungen Allahs inspirierten
Kalifen als politischen Führer geben, der zugleich der religiöse Führer der Muslime ist.
Dabei wird Bezug genommen auf die drei bisherigen „Kalifate“ nach den vier rechtgeleiteten Kalifen Abu Bakr, Umar, Uthman, Ali und dann Hasan in Mekka: a) der Umaiyaden/Omaijaden von Damaskus 661-750, b) der Abbasiden von Bagdad und
Samarra. die sich auf Mohammeds Onkel Abbas berufen, 749 bis zum Mongoleneinfall 1258 und c) das Sultan-Kalifat der türkischen Osmanen 1299-1923, deren erster Vertreter Osman I. durch die Eroberung West-Kleinasiens zu Anfang des
14.Jahhunderts den Staat der Türken schuf. Nach ihm wurde er Osmanenreich genannt. Dieses Sultan-Kalifat hatte von da an
bis zu seiner Abschaffung und der Begründung der säkularen Türkei durch Kemal Atatürk 1924 in unterschiedlich großer geographischer Ausdehnung Bestand.
Im Widerspruch zu der Kalifatsdoktrin eines einzigen Kalifen als eines politischen Führers – der Prophet soll gemäß der Tradition gesagt haben: „Wenn es zwei Kalifen gleichzeitig gibt, dann tötet den zweiten und bewahrt den ersten, denn der zweite ist
ein Rebell.“ - gab es ab dem 10. Jahrhundert bis zu drei Kalifate, das von Bagdad, das der Fatimiden von Kairo 910–1171 und
das von Cordoba 755–1225 und Granada 1238-1492, wobei das Kalifat von Cordoba durch einen von einem Abbasiden gestürzten und nach Spanien geflohenen Omajaden, Abdu’r-Rahman IV., 912 n.Chr. dort gegründet worden war, wo seit 711
muslimische Fürsten geherrscht hatten.
13 Frau Simmel wird von Kritikerinnen ihrer Position vorgeworfen, dass sie sich davor drücke, Farbe für von Fundamentalisten
unterdrückte Frauen zu bekennen, indem sie allein die hehre Moral der islamischen Mystiker zu ihrem Thema mache und sich
nicht mit den Musliminnen solidarisiere.
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der Preisverleihung gegen die ihrer Meinung nach „sehr üble Art“ gewandt hatte, in der Salman Rushdie mit seinem
Buch „Die Satanischen Verse“ die Gefühle der gläubigen Muslime - auch nach ihrer Ansicht - verletzt habe:
„Ich glaube, dass es doch mehr eine machtpolitische Sache ist, die mit Religion verbrämt wird. Wenn die
Leute keine Arbeit haben, nichts zu essen und keine Hoffnung, kann man sie mit einem religiösen Slogan
sehr leicht wieder begeistern. Wobei gar nicht gesagt ist, dass die Leute, die mitmachen, wirklich wissen,
worum es sich handelt. Ich fürchte, je mehr wir von dieser Bedrohung sprechen, desto stärker wird der Gegendruck. Deswegen fände ich es besser, wenn man das nicht immer wieder so in den Mittelpunkt stellen
würde. Denn die meisten Muslime hassen die sogenannten Fundamentalisten und sehen große Gefahren darin. Das habe ich jetzt wieder in Pakistan und in der Türkei gesehen. Ich glaube, durch das Hochspielen
dieser Gefahr tun wir weder uns noch den Muslimen einen Gefallen. Vor dieser Gefahr versuche ich auf
meine Weise zu warnen. Natürlich wird man dann auch angegriffen und bekommt böse Briefe, dass der Islam doch das Schrecklichste sei, was es gibt. Aber daran gewöhnt man sich.“
Aber diese Worte waren vor den Anschlägen des 11.09.01 in den USA und des 11.03.04 in Madrid gesprochen worden. Danach ist die Gefahr des sich missbräuchlich auf den Islam berufenden Dschihad-Terrorismus von einer abstrakten zu einer konkreten und in den Mittelpunkt der weltpolitischen Diskussion gestellt geworden!
25
I. Grundlagen des Islam, insbesondere die Scharia
Der Islam ist die sich zurzeit am schnellsten ausbreitende Weltreligion. 1,5 Mrd. Menschen von Afrika bis Südostasien und damit ein Fünftel der Weltbevölkerung bekannten sich 2005 zu diesem Glauben; wegen der hohen Geburtenrate in den islamischen Ländern mit steigender Tendenz. In mehr als 40 Staaten bekennt sich heute die Bevölkerungsmehrheit zum Islam, in einem Dutzend ist er Staatsreligion, in verschiedenen wird die Einführung eines islamischen Gottesstaates von den dortigen Bevölkerungsmehrheiten oder den dort agierenden Fundamentalisten gefordert, im Iran ist er - mehr oder minder "vollkommen" - verwirklicht; und in gewissem Sinne auch in Saudi-Arabien,
das zwar auch ein Scheikh-System kennt, aber keine Priester als einflussreichste politische Kaste in staatlichen Spitzenstellungen aufweist, keine weltliche Verfassung kennt, weil es den Koran als seine Verfassung ansieht und das
über die Einhaltung der wahhabitischen Auslegung des Korans durch eine eigens hierfür zuständige Religionspolizei
wacht. Und diese Religion radikalisiert sich: auf jeden Fall in der öffentlichen Wahrnehmung der Weltpresse.
Die anhand der im Vorwort genannten Beispiele exemplifizierte Tendenz zum Religionsfanatismus im Zuge der
sich als Widerstand gegen den Modernismus der westlich geprägten Zivilisation kapitalistischer oder kommunistischer Prägung epidemisch ausbreitenden Re-Islamisierung als Ideologie der Unterentwickelten auf der Grundlage des Islam und des Antiamerikanismus ist nicht nur seit dem 6-Tage-Krieg 1967 in allen arabischen und seit
einiger Zeit in vielen afrikanischen Staaten (Nigeria!) am Golf, in Nahost und in Nordafrika und somit vom arabischen Osten, dem Maschregh, bis zum arabischen Westen, dem Maghreb, sondern auch in vielen asiatischen Staaten
zu beobachten. Sie reicht somit - je nach Prozentsatz des islamischen Bevölkerungsanteils in unterschiedlicher gradueller Ausprägung - in dem erweiterten Halbmond-Bogen von Marokko über Algerien, Tunesien, Ägypten, Sudan,
Orient, Afghanistan, Iran, die südlichen Unionen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten GUS (der ehemaligen
UdSSR), Pakistan, indische Teilrepubliken (der indische islamische Fundamentalist Kazi Nissar will die drei Provinzen des indischen Kaschmirs - einschließlich der zumeist buddhistischen Provinz Ladakh und dem mehrheitlich
hinduistischen Jammu - mit dessen pakistanischem Teil zu einem eigenständigen islamischen Staat "Freies Kaschmir" vereinigen, die "Kashmir-Befreiungsfront" unter ihrem Führer Khan kämpft von Pakistan aus für das gleiche
Ziel und schickte Tausende Fundamentalisten zur Demonstration an die pakistanische Grenze zu Indien, von wo sie
nur durch Waffengewalt vertrieben werden konnte), Malaysia, wo 53 % der rund 16 Mill. Einwohner moslemisch
sind und einen islamischen Staat fordern, mit der fundamentalistischen "Parti Islam" PAS und Indonesien (dem mit
206 Mill. Einwohnern bevölkerungsreichsten Moslemstaat der Welt, von denen 88 % Muslime sind, der deutsche und andere europäische (Drogen-)Straftäter schon nach den für uns nicht immer nachvollziehbaren Strafbestimmungen des Koran abgeurteilt hat) bis zu den Philippinen und gewinnt zunehmend an Durchschlagskraft. Vom
Atlantik bis Südostasien erlebt die islamische Welt - teilweise in heftiger, bis zu Mord und Totschlag reichender
Auseinandersetzung mit anderen Religionen: in Indien provozierten Moslems die Hindus durch das Schlachten der
den Hindus heiligen Kühe, wohingegen hinduistische Unruhestifter Moscheen abreißen ließen oder die von den
Muslimen als unrein angesehenen Schweine durch Moscheen trieben, in Indonesien verübten fanatische Moslems
Weihnachten 2000 zur Zeit der Messen Bombenanschläge auf christliche Kirchen - den Anbruch einer neuen Ära
islamischer Selbstfindung, die von islamischen Fundamentalisten unterschiedlichster Coleur getragen wird.
Allen diesen politisch-religiös-revolutionären Kräften ist aber gemeinsam, dass sie den Säkularismus der modernen
Staaten in die Schranken fordern und der Verweltlichung des öffentlichen und privaten Lebens entsprechend der
Grundannahme des Islam als Ordnungsprinzip ihre Idee der wiederherzustellenden Einheit von Religion und Staat
gegenüberstellen. Jedem säkularen Staat fehlt nach ihrer Auffassung - ganz einfach aber grundlegend - die (sakral
gesehene) Legitimationsbasis, die nur in der Religion und den Gottesgesetzen gefunden werden könne.
"Es ist ein Tambour im Orient", formulierte poetisch-hellsichtig schon am Vorabend des Ersten Weltkrieges der
französische Marschall Lyautey (von 1912 bis 1926 französischer Prokonsul in Marokko nach dessen von ihm geleiteter Unterwerfung unter die französische Herrschaft) trotz seiner erfolgreichen Kämpfe im Maghreb, "und wenn er
die Trommel rührt, so hört man seinen Schlag vom Atlas bis zum Hindukusch, und alle (islamischen) Völker
fallen in den Tritt."
Die oft auch "islamische Renaissance" genannte Bewegung äußert sich in wachsender religiöser Militanz, gepaart
mit zunehmender Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und Feindseligkeit gegen die Zivilisation des Westens.
Deren Führungsmacht, die USA, eignet sich nach ihrem völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak und die erniedrigenden Behandlungen wahllos gefangen gesetzter Irakis und deren zur Vorbereitung auf Vernehmungen durch den
US-Militärgeheimdienst und CIA-Verhörspezialisten durchgeführten Folterungen, die pervers sich austobende USSoldaten selbst fotografierten, auf CDs brannten und untereinander verteilten, hervorragend als Feindbild: Jetzt wird
alles als bewiesen angenommen, was bisher von Marokko bis Indonesien von islamistischen Anti-Amerikanern als
Latrinengerüchte verbreitet worden war.
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Soziale Unruhe und religiöser Aufbruch - das ergibt die zumeist noch unterkritische Masse, aber es genügt ein
kleiner Konflikt als Sprengsatz, um daraus eine überkritische Masse werden zu lassen! Die Massenarmut ist dabei
das Dynamit der Fundamentalisten, der Islam die Zündschnur! Der Islam hat die Gesellschaft des gesamten
Nahen und Mittleren Ostens und auch schon die Afghanistans, Pakistans und der neuen Moslemrepubliken auf dem
Boden der ehemaligen UdSSR wie z.B. Tadschikistans so gründlich durchdrungen, dass jeder politische, wirtschaftliche und soziale Konflikt in einem dieser Länder jederzeit in einen Glaubenskonflikt umschlagen kann. Islamische
Staaten, die (meist auf Grund ihrer kolonialen Vergangenheit) teilweise westlich ausgerichtet waren, werfen den
abendländischen Teil ihres bisherigen Wertesystems wie Abfall über Bord.
Grundlage solcher fundamentalistisch ausgerichteter islamischer Staaten sind nach ihrem religiösen Staatsverständnis
auch nicht (säkularisierte) "Menschenrechte", sondern die von jedem Muslim absolute Unterwerfung heischenden,
im Koran (durch den Erzengel Gabriel dem Propheten offenbartes Wort Gottes), in der durch die Hadithe tradierten
Sunna (das überlieferte vorbildliche Leben des Propheten und seine wegweisenden eigenen Aussprüche) und der
Scharia zum Ausdruck kommenden "Gottesrechte". Für sie ist der Islam dogmatisch nicht säkularisierbar.
Von den reichen Erdölstaaten (insbesondere am arabisch-persischen Golf) einmal abgesehen, ist der Islam fast ausschließlich in ärmeren Entwicklungsländern vertreten. Ein Milliarden-Heer von Unterprivilegierten sammelt sich
unter dem grünen Banner des Propheten. Seine Stoßrichtung zielt zunächst gegen die reichen Erdölstaaten und wird
von diesen Regimen auch in wachsendem Umfang mit Unbehagen verfolgt oder sogar als Bedrohung empfunden.
Einige Beobachter sehen die von ihnen als durchaus real eingeschätzte Möglichkeit, dass es in nicht allzu ferner Zeit
zum Krieg der von Islamisten angeführten, mit Atomwaffen ausgerüsteten "Armen" im südlicheren Teil der Weltkugel gegen die ("ungläubigen") "Reichen" im Norden kommen könnte und erheben dementsprechende Kassandrarufe.
1. Entstehung des Islam
Der Islam (= vom Wortsinn her: „Hingabe an Gott“) entstand zwischen 610 und 632 n.Chr. durch Visionen des zu
ihrem Beginn ungefähr 40jährigen Abu l-Kasim Muhammad Ben Abdullah, später mit dem Titel von Jesus „Mohammed“, arab. „Muham(m)ed“ = „der Gepriesene“ bezeichnet, - als Antwort auf einerseits den vor der Ausbreitung
der islamischen Lehrern in der »Zeit der Unwissenheit« in Arabien weitverbreiteten Polytheismus und andererseits
den durch jüdische und christliche Gemeinden vorgelebten Monotheismus - in seinem ersten Anliegen als gedachte
Fortsetzung und Vollendung der jüdischen Religion und des Christentums durch die Offenbarungen des Propheten Mohammed (was „der Gepriesene“ bedeutet) zunächst in Mekka, und, nach der Flucht
("Hedschra/Hidschra" = „Aufgabe der Bindung an den Stamm“; 16.07.622 n.Chr.) aus dieser Stadt - dem Beginn
der (unterschiedlich vorgenommenen14) Zeitrechnung in den meisten islamischen Ländern, die in Libyen aber erst
mit Mohammeds Tod 632 n.Chr. beginnt -, in der Oase Yathrib/Jathrib, die später zu Ehren des Propheten in Medina („Stadt des Propheten“) umbenannt wurde. Äußeres Zeichen für die zunächst bestehende Nähe dieser dritten
"Buchreligion" zu ihren Vorgängern war die von Mohammed zu Anfang angeordnete Ausrichtung beim Gebet
nach Jerusalem. Aber weil Mohammed von den Juden nicht als Prophet anerkannt und seine Lehre nicht akzeptiert
wurde – drei der fünf Stämme in Medina bekannten sich weiterhin zum Judentum -, kam es zum Bruch. Mohammed
unterstellte daraufhin Juden und Christen eine Verfälschung der göttlichen Offenbarung in der Heiligen Schriften durch spätere Generationen z.B. dadurch, dass die Apostel sich nicht damit begnügt haben, Christi Wort zu
verkünden, wie er es ihnen mitgeteilt hat, sondern dass sie selber Christus verkündet haben, dass die christliche Kirche eine göttliche Dreifaltigkeit anbetet, während der Islam nur einen Gott anerkennt, dass Jesus als Prophet kein
Teil Gottes sein könne. Nur Gott allein sei heilig, der Mensch und Prophet Jesus dürfe nicht vergöttlicht werden; das
sei sich an Gottes Heiligkeit versündigender Unglaube. Sure 4/169: „... So glaubt an Gott und an seine Gesandten,
und saget nicht: ‘Dreiheit‘. Lasset dies, euch zum Guten. Wahrlich, Gott ist ein Einheitsgott; zu erhaben ist er, einen
Sohn zu besitzen. ...“ Und Sure 19/35-36: „Es kommt Gott nicht zu, einen Sohn zu zeugen. Preis ihm. Hat er etwas
beschlossen, so spricht er nur: ‘Es werde!‘, und es wird.“ Als Gegenbeweis gegen die von den Christen behauptete
und geglaubte Gottessohnschaft Jesu wird angeführt, dass Jesus – im Gegensatz zu Gott (vgl. Sure 112: „Sprich: Er
ist der einzige Gott. Der unwandelbare Gott. Er zeugt nicht und ward nicht gezeugt. Und niemand ist ihm gleich.“) –
gezeugt wurde und er und seine Mutter Maria wie gewöhnliche Menschen Nahrung zu sich nahmen. Und in Sure
4/154-156 wird darüber hinaus der Kreuzestod Christi geleugnet – vielleicht deswegen, weil im muslimischen Recht
14
SPIEGEL 29.10.01: Dem Jahr 2001 n. Chr. entsprach in der arabischen Welt das Jahr 1422, im Iran das Jahr 1380 nach der
Hedschara.
27
die Kreuzigung als Strafe für Straßenraub in Verbindung mit Mord vorgesehen ist, und eine solche Strafe kann einer
der bedeutendsten Propheten doch nicht erlitten haben. Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen
Christentum und Islam ist außerdem, dass der Islam keine Erbsünde des Menschen kennt!
Mohammed gab die koranische Version der biblischen Stoffe als allein authentisch aus und proklamierte eine
neue, von ihren Vorläufern losgelöste, verselbständigte, nunmehr von den Missverständnissen und Verzerrungen
seiner Vorgänger gereinigte, reformierte Religion. Als äußeres Zeichen der Abnabelung wurde die Gebetsrichtung
(qibla) von Jerusalem weg nach Mekka hin verändert und das rituelle zehntägige Fasten der Juden durch das einmonatige Fasten im heiligen Monat Ramadan ersetzt.
Völlig wurde der Islam von den anderen Buchreligionen jedoch nicht gelöst. So wurde in der religiösen Ahnenreihe
weiterhin auf Abraham/Ibrahim als (ärgerlicherweise gemeinsamen) Stammvater der (Juden und) Moslems zurückgegriffen. Abraham sei als einer der sechs großen Propheten, denen Gott besondere Gesetze übergab, aber nicht
jüdischen Glaubens, sondern – weit vor Mohammed und seinen Offenbarungen(!) - der erste Moslem gewesen.
Seine reine Lehre mit ihrer Abwendung von dem zu der Zeit weitverbreiteten Götzendienst um den schwarzen Stein
in der Kaaba als Vielgötter-Kultstätte, was immer auch gewinnträchtige Einnahmen für die Einwoner Mekkas bedeutete, und der Hinwendung zu dem einen Gott, was Mohammed wegen des Befürchteten Einnahmerückganges die zu
seiner Flucht führende Feindschaft der mekkanischen Bevölkerung zuzog, sei durch den Islam wiederhergestellt
worden. Abraham sei auch anlässlich eines Besuches bei seiner früheren Magd und Nebenfrau Hagar und ihres gemeinsamen Sohnes Ismael der Begründer des mekkanischen Wallfahrtszeremoniells geworden und habe die
Kaaba, einen würfelförmigen Bau mit von Mohammed leer geräumtem Hohlraum als Religionszentrum für seinen
Sohn Ismael gebaut.
Auch die biblischen Propheten Ibrahim (Abraham) und Mussa (Moses) werden als Muslime in Anspruch genommen. Selbst Jesus ("Isa"/"Issa") wird „bloß“ als muslimischer Prophet gesehen, seine von den Christen geglaubte
Gottessohnschaft in einem strengen Monotheismus abgelehnt15, da der zentrale Glaubenssatz der sunnitischen
Muslime lautet: „Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt neben Gott und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.“, an den die Schiiten anhängen „... und Ali ist der Freund Gottes.“ (Die Muslime befürchten, bei der Bezeichnung Jesu als Sohn Gottes würde die Einzigartigkeit Gottes geleugnet werden.) Mohammed soll gesagt haben,
dass es 124.000 Propheten gebe, unter denen sich 315 Gesandte Gottes befinden. Neun dieser Gesandten werden als
hervorgehoben betrachtet und als „Eigner der Beständigkeit“ bezeichnet, von denen fünf mit einem besonderen Titel
geehrt werden: Noah („Prediger Gottes“), Abraham („Freund Gottes“, weil ihm zwanzig Abschnitte der Heiligen
Schrift offenbart worden seien), David, Jakob, Joseph, Hiob, Moses („der mit Gott spricht“), Jesu („der Geist Gottes“) und dann er selbst als der letzte in dieser Reihe und damit das (die Überlieferung wie ein Schriftstück abschließendes) „Siegel“ der Gesandten (Sure 33/ Vers 40), Mohammed („der Gesandte Gottes“). Nach ihm werde
es in der weiteren Menschheitsgeschichte keine Offenbarungen Gottes mehr geben! „Als (einzig wahre) Religion gilt
bei Gott der Islam“ (Sure 3/ 19). Zwar ist Mohammed nach dem Koran ein Mensch, wie jeder andere auch (Sure 41/
6), aber nach dem von islamischen Theologen entwickelten Dogma ist er – ähnlich wie es die Päpste per Dogma
auch für sich beanspruchen - bei der Übermittlung seiner Botschaften unfehlbar.
Der dogmatische Ausbau der islamischen Lehre erfolgte in Mekka, ihre rituelle Durchformung hingegen in Medina.
Die in Suren zusammengefassten Offenbarungen werden dabei in sechs Perioden eingeteilt.
Der Islam breitete sich unter den von religiösem Eifer und politisch-wirtschaftlichem Expansionsdrang getriebenen
Nachfolgern des Propheten, den Kalifen als Treuhänder Gottes für die Erde als SEINE Schöpfung und SEIN Eigentum, zum einen nach Westen entlang der Nordküste Afrikas (was zur Arabisierung dieser Länder führte) über
Spanien bis ins Reich der Franken aus. Diese Stoßrichtung der Ausbreitung wurde durch den Sieg des fränkischen
Hausmeiers Karl Martell ("Hammer", mit dem er in dieser Entscheidungsschlacht für Europa sinnbildlich die islamischen Feinde zertrümmert hatte), Großvater Karls des Großen (der selber weder Deutscher noch Franzose, sondern
fränkischer Germane gewesen war), durch den Sieg in der Doppelschlacht von Tours und Poitiers 732 n.Chr.
gestoppt. Die östliche Ausbreitung des Kalifates entlang der Mittelmeerküste über Kleinasien hinaus verhinderte
das oströmisch-christliche Bollwerk Byzanz/Konstantinopel bis zu seiner Eroberung durch die islamischen Osmanen 1453 n.Chr., von wo ab - wegen der Ausbreitung des dort angehäuften Wissens über Europa hinweg durch
die infolge der Eroberung der Stadt von Konstantinopel emigrierenden, mit dem Wissen der Antike und seiner Weiterentwicklung vertrauten griechischen Gelehrten - die abendländischen Historiker den Beginn der Neuzeit rechnen
und das Zeitalter des Humanismus mit seiner Rückbesinnung auf die Werte der Antike beginnen lassen.
15
„Der Christenglaube an den dreieinigen Gott – samt des gekreuzigten und auferstandenen Jesus – gelte nach der Koran-Sure 5
als strafwürdige ’Vielgötterei’“ (SPIEGEL 17.12.01 mit Bezug auf ein Papier, das im Auftrag der katholischen Bischöfe verfasst worden ist).
28
In den ersten 80 Jahren der Glaubensausbreitung durch die zum Islam bekehrten Beduinenstämme haben diese in
Asien und Afrika mehr Länder erobert als die Heere Roms in 800 Jahren. Und damit hörte der Siegeszug des Islam
ja nicht auf. Viele Länder Asiens und Afrikas kamen im Laufe der Zeiten hinzu. Der Siegeszug des Islam dauert bis
heute an - jetzt allerdings mit friedlicheren Mitteln wie der Macht der Petrodollars vorgetragen, indem z.B. der Sudan riesige Mengen Unterstützungsgelder von Saudi-Arabien dafür erhielt, dass er den Islam zur Staatsreligion erklärte und die Scharia einführte, wogegen sich der überwiegend christliche und teilweise Naturreligionen anhängende Süden des Landes in einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg wehrt.
1529 n.Chr. stießen die Osmanen unter Suleiman I., dem Großen/Gesetzgeber/Prächtigen, bis Wien vor, das nur
durch den Entsatz von Seiten des polnischen Königs und seines Heeres vor der Eroberung durch die Muslime bewahrt worden ist. (Sonst wären wir in Europa vielleicht alle zum islamischen Glauben bekehrt worden - wie es türkische Fundamentalisten heute wieder anstreben: "Wenn die Türkei erst einmal in die Europäische Gemeinschaft eingetreten ist, werden wir ganz Europa islamisieren!")
Die für die Eroberungen der islamischen Herrscher des Osmanenreiches notwendigen Soldaten waren großenteils
afrikanische und russische Sklaven, von denen Suleiman jährlich 20.000 kaufte. Die Elitetruppe und das Rückgrat
der osmanischen Heere bildeten seit 1329 bis 1826 die Janitscharen, die nicht heiraten durften und so nur ihre
Truppe mit dem ihr eigenen Chorgeist hatten. Zu Anfang rekrutierte sich diese Elitetruppe aus der christlichen Bevölkerung der von den Osmanenherrschern unterworfenen Gebiete: Christenkinder mussten als Sklaven abgegeben
werden, wurden zu fanatischen Moslems erzogen und kämpften dann mit eiserner Disziplin für den "Herrn aller
Gläubigen". Den Knabenzins, die „Knabenlese“, dem-/derzufolge der 5. Knabe einer christlichen Familie zur Ergänzung der Janitscharentruppe - ab und zu? - "abgegeben" werden musste, haben viele osmanische Herrscher erhoben. Wer von den geraubten Kindern zu einem fanatischen Moslem erzogen worden war, hatte dann in der osmanischen Verwaltung alle Aufstiegschancen. So war z.B. Ibrahim Pascha, der wichtigste Berater Suleimans I., des
Prächtigen, als der 1529 Wien angriff, ursprünglich ein aus Albanien geraubtes Christenkind.
Seit dem 10./11. Jahrhundert (und insbesondere nach seinem mit der Rückeroberung Spaniens durch die Christen
erzwungenen Rückzug aus Europa; zuletzt Granada 1492) drang der Islam in neuerer Zeit in Afrika südlich der
Sahara - dort zunächst als Religion fremder Händler, später als Religion herrschender Schichten und Sklavenhändler - und Asien weiter vor. Vom 12.-16. Jahrhundert reichte der Einfluss des Islam von Spanien bis nach
Indien (Sultanat von Delhi 1206-1526), und in den Ausläufern der Herrschaft bis nach China. Sein Siegeszug in
Afrika und Asien hat in der Geschichte kaum seinesgleichen.
Diese militärischen Erfolge der islamischen Herrscher gründeten sich auf den Islam mit seinem Versprechen der
sofortigen Aufnahme eines im Dschihad, dem "Heiligen Krieg", gefallenen Märtyrers (Schahid) im Paradies ohne
Umweg über die Auferstehung und das Jüngste Gericht und den für ihn dort „in den Gärten der Wonne“ bereitstehenden sinnlichen Freuden, insbesondere den (eventuell auf Grund eines Übersetzungsfehlers angenommenen Vorhandenseins von) 72 Huris pro Märtyrer (jungfräuliche Mädchen mit der Eigenart, sich nach jedem Liebesakt wieder
in Jungfrauen zurückzuverwandeln): Ewige sinnliche Freuden in nie erlahmender körperlicher Bestverfassung in der
Nähe Allahs gegenüber dem Verzicht auf ein paar Lebensjahre hier auf Erden. Kein schlechter Handel – wenn man
an seine Gültigkeit zu glauben vermag! Solche Aussichten machen es erstrebenswert, sich mit einem (teilweise aus
einzeln so relativ harmlosen Sachen wie Acetonperoxid und Nagellackentferner, Blondierungsmittel und Abflussreiniger als Basis für TATP hergestellten) Sprengstoffgürtel um den Bauch, im Rucksack oder im Auto als „Schahid“
direkt in das Paradies zu bomben, wo man alle die Freuden erhalten wird, die einem auf Erden vorenthalten werden.
Und auch Mädchen halten ihr irdisches Ende als „Schahida“ für erstrebenswert – obwohl keine 72 Lustknaben auf
sie warten.
Vom Tod im Heiligen Krieg - auch dem bewusst als Tod gesuchten vom, Westen so bezeichneten »Selbstmord«attentat - zu trennen ist der den Muslimen durch Allah verbotene Selbstmord als Flucht aus einer als verzweifelt empfundenen Lebenslage, wie es Mohammed in Sure 4 Vers 30 festgehalten hat. In einem Mohammed zugeschriebenen Hadith heißt es: „Wer sich selbst durchbohrt, der wird sich in der Hölle durchbohren, und wer sich vom
Berg stürzt, der wird sich in der Hölle in ewigem Fall befinden.“ Deshalb verdammen gemäßigte Muslime, die die
ihr Handeln rechtfertigende ideologische Unterscheidung der Dschihadisten zwischen Einsatz des Lebens als Attentäter auf der einen Seite und »normalen Selbstmördern« auf der anderen Seite nicht nachvollziehen, die SelbstmordAttentate fundamentalistischer Anhänger ihrer gemeinsamen, aber durch unterschiedliche Koranauslegung unterschiedlich interpretierten Religion. Der religiös-ideologische Ausweg: Ein „Märtyrertod“ sei bei Aktionen gegen
Tyrannei erlaubt. Einige islamische Rechtsgelehrte wie der fundamentalistischere Scheich Qaradhawi stufen sogar
Selbstmord im Einsatz für den Islam nicht nur als verdienstvolles Verhalten, sondern als höchste Stufe religiöser
Pflichterfüllung ein, das zum direkten Übergang in das Paradies berechtige, weil nur der finale persönliche Einsatz
gegen die „Kreuzzügler und Zionisten“ dem Islam zum Sieg verhelfen könne. Nach dem von der konservativen dänischen Zeitung Jyllands Posten ausgelösten, zumindest die sunnitische islamische Welt (inszeniert) aufwühlenden
29
Karikaturenstreit stellte u.a. der Chefredakteur der jordanischen Zeitung „Shihan“, Dschihad Momani, in einem
Kommentar die berechtigte Frage: „Wer beleidigt den Islam eigentlich mehr? Ein Ausländer, der den Propheten
darstellt, oder ein Muslim, der mit einem Sprengstoffgürtel bewaffnet auf einer Hochzeitsfeier in Amman ein
Selbstmordattentat verübt?“ Er unterstellte außerdem den Regierenden politische Motive bei der Skandalisierung des
Geschehens. Die gesamte Auflage der jordanischen Zeitung mit drei zu Dokumentationszwecken abgedruckten Karikaturen wurde eingezogen und der das Grundproblem so klar ansprechende, selber als gläubig be- und anerkannte
Chefredakteur – und einige andere Unvorsichtige anderer Zeitungen in islamischen Ländern wie Ägypten, Jemen und
Malaysia, die ihrerseits die Karikaturen abgedruckt oder sich in ähnlicher Weise geäußert hatten – wurde mit
Schimpf und Schande gefeuert, kurzfristig sogar wegen „Gotteslästerung“ inhaftiert! Auch ein öffentlicher Kotau, in
dem er seinen „Fehler“ bereute und Allah um die Kraft anflehte, damit die Moslems „die Ungläubigen besiegen“. (In
Kuwait hat sogar ein Scheich Nazm al-Masbah eine Fatwa erlassen, die das Töten der Karikaturisten für nicht strafbar erklärt; ein Minister des volkreichsten indischen Bundesstaates hat eine Belohnung in Höhe von 25,6 Mill. Dollar für die Tötung der Karikaturisten ausgelobt. Indem islamische Richter und Politiker das tun, erweitern sie ideologisch den muslimischen Einflussbereich des islamischen Gebietes, des Dar al-Islam, auf Dänemark, denn nur im Dar
al-Islam kann das Karikaturenverbot gelten, und nicht etwa z.B. in Japan. Dieses Verbot galt im Dar al-Islam für
Muslime und die mit minderem Rechtsstatus versehenen „Schutzbefohlenen“, die Dhimmis. Da die Dänen überwiegend keine Muslime sind, werden sie von den islamischen Theologen und religiösen Richtern als ihnen untergeordnete „Schutzbefohlene“ eingestuft.)
Es ist wie im Christtentum: In dem, was fundamentalistische christliche Sekten auch heutzutage noch durch extreme
Auslegung biblischer Zitate machen, erkennt ein in gemäßigtem Christentum erzogener Christ den Glauben seiner
Väter und seinen eigenen Glauben oft nicht wieder!
Es gibt eben nicht nur eine „geglaubte Wahrheit“, erst recht nicht eine alle anderen Meinungen und Überzeugungen
ausschließende Interpretation geglaubter Wahrheiten. Darum ist jeder Fundamentalismus ein Verstoß gegen das
Toleranzgebot, wie es uns von Lessing in „Nathan, der Weise“ in der Ringparabel vor Augen geführt wurde. Zur
Abwehr solcherart fundamentalistischer Ansprüche kann es nur eine angemessene Verhaltensweise geben: Das Recht
auf Toleranz kann nur nutzen, wer gleiche Toleranz übt.
2. Grundzüge des Islam
Was macht nun diesen einerseits so kämpferischen und andererseits so kulturprägenden Glauben aus?
Im Mittelpunkt der strikt monotheistischen islamischen Lehre steht Allah (vermutlich eine Ableitung aus dem arabischen al-ilah „der Gott“) als einziger (keine Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist wie im Christentum,
denn Gott ist laut Sure 4/171 „darüber erhaben ein Kind zu haben“), persönlicher und allmächtiger Gott, der mit
99 unterschiedlichen Attributen benannt und angerufen wird: der Gerechte, der Allerbarmer, … Seinem absoluten
Willen ist alles unterworfen ("Kismet") - was streng genommen eine menschliche Heilsverantwortung ausschließt.
Die Einheit allen Seins mit Allah als Quelle und Ziel der so gesehenen Einheit ist die wohl wichtigste Grundannahme des Islam. Daher ist wohl schon nach der klassischen islamischen Tradition, auf jeden Fall aber nach der
Überzeugung der Islamisten der Islam "din wa daula", Religion und Staat in einem, in dem es keinen von Gottes
Willen losgelösten Freiraum für das einzelne Individuum geben kann. Alles unterstehe Gottes Willen und Gesetz
- was auch die anderen Buchreligionen als Heilsgewissheit glauben. Der Islam ist eine theokratische Staatsidee und
die Grundlage einer ganzen Kultur, in der nach orthodoxem islamischen Verständnis Sakrales und Profanes nicht
getrennt werden dürfen. Wegen dieses "integralen" Ansatzes halten orthodoxe Muslime ihre Weltsicht allen anderen
Weltbildern, insbesondere dem "westlichen" gegenüber für überlegen. Die Bedeutung des arabischen Wortes "Islam" lautet: "Unterwerfung unter den Willen Gottes", Hingabe, Ergebung an und Gehorsam gegenüber Gott,
der in einem strikteren Monotheismus gesehen und verehrt wird als im Christentum mit seiner „Dreifaltigkeit“, die
kein Muslim nachvollziehen kann! „Islam“ ist die Bezeichnung des von Gott mit den Menschen schon vor(!) ihrer
Schöpfung geschlossenen Bundes, der im Laufe der Menschheitsgeschichte immer mal wieder erneuert wurde.
Prägnanter als durch Unterwerfung unter, Hingabe an und Gehorsam gegenüber Gott lässt sich die Lehre des Islam - welcher speziellen Glaubensrichtung auch immer, denn es gibt genauso wenig "den Islam", wie es auch nicht
"das Christentum" gibt - nicht in drei Wörtern zusammenfassen. Das Wort "Islam" selbst ist möglicherweise von
dem Wort "aslam" abgeleitet, das die Bedeutung hat: (Abraham schon) hat sein Gesicht vom (damals üblichen) Götzendienst weg auf Gott hin gewendet. Aus dem gleichen Wortstamm wie Islam kommt der Begriff Muslim, der jemanden bezeichnet, der sich dem durch den Islam verkündeten Gesetz Gottes vollständig unterwirft. (Die in
Europa gebräuchlichere Bezeichnung "Mohammedaner" für die Muslime wird von ihnen selbst abgelehnt, weil - im
30
Gegensatz zur Stellung Jesu' im Christentum - Mohammed sich selbst "nur" als letzten Propheten und Sprachrohr
Gottes sah und deshalb von seinen Anhängern als bloßer Prophet, aber nicht als Religionsstifter wie z.B. Christus
oder Buddha angesehen wird.)
Neben der Einheit Gottes gibt es die weiteren fünf Glaubensartikel über die Engel, die inspirierten Bücher, die
inspirierten Propheten, den Tag des Gerichts und die Gebote Gottes.
Der Islam versteht sich bisher mehrheitlich und insbesondere bei den Fundamentalisten als Träger und Erfüller
einer dem Propheten Mohammed durch den Erzengel Gabriel wörtlich übermittelten ewig gültigen göttlichen
Offenbarung, die als geoffenbartes Wort Gottes vom Menschen nicht geändert werden dürfe! Mit einem für
uns seit der Zeit der Aufklärung verweltlichte Europäer kaum mehr nachvollziehbaren Totalitätsanspruch werden
für den gläubigen und insbesondere den fundamentalistischen Muslim alle Lebensbereiche des Menschen durch
seinen Glauben erfasst. Kein Gebiet des Lebens - sei es Politik und Recht, die Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft
- ist von der Religion ausgespart, jedes ist ihr unterworfen – was tendenziell eine Gewaltenteilung ausschließt. Der
Einfluss der Religion reicht bis zu den alltäglichsten Verrichtungen. Es gibt – im Gegensatz zu den in Europa zur
Zeit der Aufklärung entwickelten Gedanken - keinen Freiraum von der Religion. Moral ist ausschließlich religiös
und auf die Lehren Mohammeds gegründet. So gesehen ist in einem fundamentalistisch ausgerichteten Land der
Islam ein allgemeiner Zwang, sich dem durch die Religion - in ihrer jeweiligen herrschenden Auslegung: z.B. des
Schiismus im Iran oder des wahhabitischen Sunnitentums in Saudi-Arabien - kontrollierten Staat total zu unterwerfen. Politische Opposition führt dann sofort zu religiöser Opposition - oder wird, zu ihrer leichteren Bekämpfung, als solche dargestellt. Diese totale Herrschaft der Religion über alle menschlichen Lebensbereiche führt als
religiöses Gebot zu einer verzerrten, ja begrenzten Wahrnehmung der Wirklichkeit. Religion ist für einen strenggläubigen(!), fundamentalistischen Muslim nicht nur - wie in allen säkularisierten Staaten - eine Frage der privaten
inneren Beziehung zu Gott oder, in einem erweiterten konzentrischen Kreis, der gesellschaftlichen Sinnstiftung,
sondern auch eine Frage der staatlichen Ordnung und der alltäglichen, nicht nur politischen Praxis. Es wird kein
weltliches Rechtssystem mit klarer Trennung zwischen Staat und Religion anerkannt. Alles wird an der Elle der
Religion gemessen. Sie und das wörtliche Verständnis des Korans und der Sunna („Gewohnheit“/“Brauch“), des
überlieferten vorbildhaften Lebens des Propheten und seine überlieferten Aussprüche, ist der alleinige, unaufgebbare Bezugspunkt für das Denken und Handeln zumindest der fundamentalistischen Muslime. An Gottes nicht
vom Propheten geschaffenen, sondern ihm durch den Erzengel Gabriel überbrachten Gotteswort kann ein
Mensch sich nicht vergreifen und Änderungen anbringen wollen. Das wäre nach Meinung vieler islamischer Theologen Gotteslästerung! Schon eine historisch-textkritische Untersuchung wird von ihnen als Sakrileg betrachtet. Des
alleinigen Gottes im Koran zum Ausdruck kommendes Gesetz habe als »Abschrift« einer bei Gott aufbewahrten
»Urschrift« überzeitliche Gültigkeit, denn es sei von der gleichen ewigen Dauer und Zeitlosigkeit wie Gott. Es sei
nicht säkularisierbar: Daher definiert sich der Islamismus dem Westen gegenüber als radikale Absage an die Moderne seit der europäischen Aufklärung (dem in Indien mitunter militanten Hinduismus gegenüber versteht er sich als
radikale Absage an dessen Vielgötterei).
Über das Verhältnis des einzelnen Muslim zu Gott hinaus wird die islamische Gesellschaft als göttliche Institution
verstanden. Sie in Übereinstimmung mit dem Koran (und dessen jeweiliger Auslegung!) mitzugestalten ist Pflicht
des einzelnen (strenggläubigen) Muslim. Die noch zu Lebzeiten des Propheten durch seine Autorität möglich gewesenen, in der Sunna zum Ausdruck kommenden Anpassungen an gewandelte gesellschaftliche Verhältnisse verbieten
sich nach seinem Tod - mag sich auch die arabische Gesellschaft von einer kamelreitenden Beduinen- zu einer (in
ihrem bestimmenden Teil wenigstens) in eine die ganze Welt umspannende, zum Teil jetsettende Finanzgesellschaft
gewandelt haben. Wegen dieses ideologischen Verhaftetseins in der Vergangenheit und insbesondere der Vorstellungswelt des 7. Jahrhunderts sind Fundamentalisten nicht bereit und fähig zur Reform, um ihren Glauben für die seit
Mohammeds Zeiten gewandelte Welt zu öffnen. Ein Abrücken von auch nur einem Jota der erst nach Mohammeds
Tod in arabischer Hochsprache schriftlich fixierten16 und im „Koran“ (Lesung, Vortrag) zusammengefassten Offenbarungen oder der Sunna käme für sie einer Selbstaufgabe gleich. Nur wegen der Gültigkeit des Korans (in seiner
jeweils geglaubten Auslegung) und der darin enthaltenen Scharia als alleiniger Richtschnur für die Gestaltung des
Lebens eines strenggläubigen Muslims ist z.B. der Mordaufruf des Großajatollahs Khomeini gegen den islamischen
16
Der bis ins hohe Männeralter des Schreibens und Lesens unkundige Mohammed lernte alle von Allah an ihn ergangenen und
vom Erzengel Gabriel überbrachten Offenbarungen auswendig und wiederholte sie oft, um sie nicht zu vergessen. Er hatte aber
auch Sekretäre, denen er eine gerade eröffnete Offenbarung teilweise auch in die Feder diktierte, und schulte Koranlehrer, die
ihrerseits den Koran auswendig rezitieren konnten. Nach Mohammeds Tod wurden auf Geheiß des Kalifen Abu Bakr alle fragmentarisch erhaltenen Korantexte zusammengetragen, mit dem Wissen deer Koranrezitatoren verglichen, von einer Kommission
überprüft, gebilligt und dann zu dem Buch „Koran“ zusammengefaßt.
31
indisch-britischen, nicht iranischen, Schriftsteller Salman Rushdie, der auch nie im Iran gewesen war, wegen seiner
1989 veröffentlichten "Satanischen Verse", gegen die Übersetzer dieses Buches und gegen den Schriftsteller Nagib
Machfuz für sein 1959 veröffentlichtes Buch „Die Kinder unseres Viertels“ für orthodoxes islamisches Denken erklär- und nachvollziehbar. (Da gilt dann ein Weltstrafrecht. An dem japanischen Rushdie-Übersetzer wurde der
Mordaufruf schon vollzogen, an dem italienischen scheiterte - bisher - der Anschlag und blieb "nur" Versuch.)
Es sei aber gleich zu Anfang ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses nachfolgend näher ausgeführte Denken,
welches die Religion zur alleinigen Richtschnur aller menschlichen Lebensäußerungen machen will, nicht Allgemeingut aller Muslime, sondern nur das der strenggläubigen, konservativen, "fundamentalistischen" ist, die in unseren Zeitungen häufig auch als "Islamisten" bezeichnet werden. Als "Fundamentalisten" mögen die bezeichnet
werden, die zu einem Islamverständnis des 7. Jahrhunderts zurückkehren wollen. Als "Islamisten" können die angesehen werden, die neben einer Rückbesinnung auf den Islam diesen Glaubensansatz zur Erringung politischer Macht
benutzen (wollen). Da aber, wie eingangs dargestellt, die Religion in einem fundamentalistisch ausgerichteten Land
alle Lebensbereiche - und damit auch den der Politik - kontrolliert und steuert, ist dort diese Unterscheidung eher
akademisch, denn wegen des auf der Religion fußenden Gesellschaftsverständnisses und des dem Islam auf Grund
seines Universalanspruchs immanenten Expansionsdranges lassen sich diese Bereiche nicht trennen. Beider Denken geht zu sehr ineinander über. Dieses Denken ist die im Moment den Islam zum Sieden bringende Kalorienzufuhr.
Aber natürlich sehen die Fundamentalisten und Islamisten, dass sie innerhalb muslimischer Gesellschaften in der
Minderheit sind. Deswegen thematisieren die wirklich radikalen Fundamentalisten den „Niedergang des Islam und
seine Isolation vom praktizierten Leben“. Der Islam sei nur noch auf das Beten, Fasten, die Pilgerreise und das Geben von Almosen beschränkt, ansonsten sehr verweltlicht, gemeint ist damit: verwestlichte Alltagskultur. Der Islam
als allumfassende, normsetzende spirituelle Kraft werde nicht mehr praktiziert. Mit am ungeheuerlichsten ist ihnen
dabei die Emanzipation der Frauen, wenn sie Zugang zu einer qualifizierten Berufsausbildung haben und diese Berufe auch ausüben können. Darum verboten z.B. die Taliban-Milizen in ihrem Einflussbereich den afghanischen Frauen jegliche Berufsausübung.
Abhilfe sehen die Fundamentalisten und Islamisten in der Ablehnung der Alltagskultur und einer Re-Islamisierung
der nur noch nominell auf den Islam bezogenen Gesellschaft mit Rückbesinnung auf die Werte und Verhaltensweisen des 7. Jahrhunderts, wie Respekt, Gehorsam, Unterordnung der Frauen unter die Männer, Geschlechtertrennung
und ungebrochene Loyalität gegenüber dem selbstverständlich männlichen Familienoberhaupt.
Es gibt aber auch andere Denktraditionen im Islam, die zurzeit allerdings in den Hintergrund getreten sind - wenn
sie (bis auf die Gestaltung der politischen Verhältnisse in der Türkei durch Kemal Atatürk) denn je eine größere
Breitenwirkung gehabt haben sollten. Als Beleg für liberale und teilweise sogar säkularistische Denkmuster wird
auf die Schrift Ali Abd ar-Raziqs/Rasiks17 "Der Islam und die Grundlagen der Autorität/Herrschaft" verwiesen, in der
angezweifelt wird, dass man politische Herrschaft überhaupt islamisch legitimieren könne. Der Islam sei eine Religion und keine politische Ideologie; muslimische Herrscher hätten den Islam stets zur Legitimierung ihrer Macht missbraucht. Diese Schrift stände deswegen auf dem Index der islamischen Fundamentalisten, wenn es denn einen solchen allgemeinverbindlichen Index gäbe. Aber auch ohne einen solchen fundamentalistischen Index hatte diese
Schrift für ihren an der angesehensten muslimischen Universität und Hort der Orthodoxie, der religiösen Al-Azhar
Universität in Kairo lehrenden Autor hinreichend negative Konsequenzen: Er verlor 1925 seine Lehrbefugnis und
starb - trotz Reuebekenntnis - in Verzweiflung. Anderen reformerischen islamischen Religionslehrern erging es noch
wesentlich schlechter: Sie mussten teilweise mit ihrem Leben für ihre Lehren büßen: So wurde am 18. Januar 1985 in
Khartum, der Hauptstadt des Sudans, der damals 76jährige Religionsführer der islamischen Sekte "Republikanische
Brüder" - Republikaner, weil sie den Gedanken an einen Kalifen und die Wiederaufrichtung eines von den Fundamentalisten angestrebten, die "Umma al-Islamiya", die Glaubensgemeinschaft aller Muslime umfassenden Kalifates
als überholt ansehen -, der auch "afrikanischer Gandhi" genannte Scheich Mahmud Muhammad Taha wegen Abfalls vom (von den einflussreichen Fundamentalisten der sudanesischen Moslembruderschaft in ihrer Weise interpretierten) "rechten" Glauben am Galgen gehenkt worden. Er hatte – vielleicht in Nachfolge des Kairoer Richters Ali
Abd ar-Razids, der für seine gleichlautenden kritischen Ansichten zwar nicht mit dem Leben aber dem Verlust seines
17
Unklarheiten in der Schreibweise ergeben sich aus der Übertragung der arabischen in die lateinische Schrift. Da die arabische
Schrift insbesondere keine Vokale kennen soll, werden die von den einzelnen Autoren relativ willkürlich vorgenommenen Umdeutungen des Arabischen in die lateinische Schrift so übernommen, wie sie in dem jeweiligen Quellenartikel gefunden wurden.
In anderen Artikeln gefundene andere orthografische Schreibweisen wurden oft daneben gestellt, damit nicht der Eindruck entstehe, dass es sich bei der an anderer Stelle verwandten Schreibweise um einen anderen Namen oder Begriff handele.
32
Amtes büßen musste - ein aus dem Koran entwickeltes stimmiges Konzept für einen säkularisierten Staat in einer
liberal islamisch geprägten, laizistischen Gesellschaft propagiert. Ar-Razid hatte 1925 in seinem Buch „Der Islam
und die Grundlagen der Staatsmacht“ dargelegt, dass ausschließlich Mohammeds religiöse Handlungen von bleibender Bedeutung für den Islam seien, nicht aber seine zeitbedingten Handlungen als politischer Führer einer kleinen
Glaubensgemeinschaft im Beduinenzeitalter. Die seien nicht göttlichen Ursprungs, sondern rein der Vernunft unterworfen. Dementsprechend gehen Tahas Lehren ebenfalls von der bekannten Tatsache aus, dass der Prophet Mohammed einen Teil seiner Offenbarungen in Mekka - die erste am 17. des Monats Ramadan - und einen weiteren
Teil in Medina/Yathrib erhalten habe. (Der Zeitraum der Offenbarungen betrug 22 Jahre.) Zur Zeit seines Mekka-Aufenthaltes war der Prophet ein gottbegeisterter Ekstatiker. Die mekkanischen Suren seien prophetische, überzeitliche Offenbarungen des Islam, die auch heute noch wörtlich zu gelten hätten. Zur Zeit seines MedinaAufenthaltes sei der Prophet aber mehr als Staatsmann gefordert gewesen. Er hatte als ein von Offenbarungen geleiteter praktizierender Politiker die Gemeinde von Medina aufzubauen, zu organisieren und zu leiten gehabt. Darum
haben ab dieser Zeit orts- und zeitbedingte Normen des medinischen 7. Jahrhunderts in die Suren des Korans Eingang gefunden, die heute nicht mehr als unumstößliches Gesetz wörtlich verstanden werden sollten, sondern vielmehr als richtungweisende Grundsätze Gottes neu interpretiert werden müssten. Mit diesem Ansatz eines neueren
Islamverständnisses sollte sowohl die eigentliche religiöse Botschaft des Islam in ihrem religiösen Kern bewahrt als
auch der Zugang zu einem zeitgemäßen, an den Erfordernissen der seit den Zeiten des Propheten gewandelten Welt
angepassten islamischen Staats- und Gesellschaftsverständnis eröffnet werden. Dieses in den Reformbestrebungen
Tahas zum Ausdruck kommende neue und vor allen Dingen liberale Islamverständnis lief den hauptsächlich von den
"Islamisten"/"Fundamentalisten" getragenen orthodoxen Überzeugungen zuwider. Für sie ist der (so geglaubte) nicht
von Menschen geschaffene, sondern von Gott geoffenbarte Koran prinzipiell unantastbar und in ehrfurchtsvoller
Demut wörtlich zu nehmen. Das ist eines ihrer Grunddogmen. Hinzu kommt, dass der Islam Religion und Staat in
einem zu sein habe. Nur aus diesem religiös geprägten Staatsverständnis heraus ist es zu erklären, dass aufgepeitschte Muslime anlässlich des Karikaturenstreites in völliger Verkennung unserer westlichen staatlichen Gegebenheiten
von der dänischen Regierung eine Entschuldigung dafür verlangten, dass die Jylans Posten in Wahrnehmung der für
unsere Medien bestehenden Pressefreiheit zwölf Karikaturen über insbesondere den Propheten der Muslime gedruckt
hatte, in denen die Karikaturisten dem Sachverhalt Rechnung trugen, dass eine Bedrohung des Westens durch Terroristen überwiegend von Islamisten ausgeht. Der dänische Ministerpräsident hat die geforderte Entschuldigung zu
Recht abgelehnt, weil die freie Presse seines Landes nicht seiner Weisungsbefugnis unterstehe – eine durchschlagende Begründung, der die aufgehetzten, sich echauffierenden Fundamentalisten oder gar Islamisten aus ihrem Verständnis der Einheit von Staat und Religion kein Verständnis entgegenbrachten.
Die Islamisten bestehen neben der wörtlichen Geltung der in den Texten zum Ausdruck gekommenen Offenbarungen
darüber hinaus auf der absoluten Gültigkeit der im 8. und 9. Jahrhundert entwickelten Scharia, die sie als göttliches
Gesetz mit dem Islam gleichsetzen. "Wieviel Divisionen hat der Papst?", hatte Lenin gefragt. Taha hatte keine. Darum musste er für seine "ketzerischen" Gedanken mit dem Leben büßen - und 3.000 Zuschauer der Hinrichtung heizten die Pogromstimmung der Hinrichtungsszene an mit den Rufen: "Es lebe die Gerechtigkeit - Tod den Abtrünnigen
vom Islam!"
Ebenfalls an Leib und Leben gefährdet wäre der syrische Philosoph Sadik J. Al-Azm, wenn er sich nicht u.a. in Syrien aufhielte, sondern ein fundamentalistisch ausgerichtetes Land aufsuchte. Wie schon im Vorwort berichtet, sagte
der religiöse Führer des sozialen Zweiges der fundamentalistisch-schiitischen Hisbollah im Libanon, Scheich Fadlallah, 1995 zu Salman Rushdie befragt, über ihn: „Wir haben jemanden viel Schlimmeren, wir haben [den einer Säkularisierung des Islam das Wort redenden] Saldiq al-Azm und seine „Kritik des religiösen Denkens“. Al-Azm sieht
seine Bedrohung als durchaus konkret an.
Gegenstand dieser Darstellung soll jedoch nicht der nur der Vollständigkeit halber angedeutete mögliche Nachweis
(eher vereinzelter) liberaler Tendenzen im Islam sein, sondern die Auseinandersetzung mit dessen fundamentalistischen Ausprägungen, weil zurzeit sie das Bild des Islam in der heutigen Zeit und wohl auch der nächsten Generation prägen und die Seismogramme in dem Zusammenprall mit der westlichen Welt bilden. Wegen des - teilweise
militanten - Vordringens des den Islam zurzeit dominierenden Fundamentalismus betitelte der Nahost-Experte John
Laffin (in wohl gewollter Verkürzung dessen, was alles den Islam ausmacht) sein Buch: "Islam - Weltbedrohung
durch Fanatismus".
Der Islam kennt nur die unbedingte Ergebung (Fatalismus; Kismet) in den Willen Allahs: "Inschallah." Und was
(von der jeweiligen Glaubensrichtung!) als "Allahs Wille" verstanden wird, kann vom Menschen nicht in Frage gestellt werden: Gottes Wille ist die Wahrheit! Sie kann nicht diskutiert werden. (Das geschieht aber doch durch die
unterschiedlichen islamischen Glaubensrichtungen und die ihnen verbundenen Rechtsschulen!) Die Lebensordnung
33
des Islam enthält somit folgerichtig nicht nur Lehrsätze als Fundament des Glaubens und Ge- und Verbote als Normen des sittlichen Handelns, sondern auch gesetzliche Bestimmungen, deren Ausflüsse das Leben des einzelnen, der
Familie, der staatlichen Gemeinschaft und sogar der internationalen Beziehungen regeln. So erwächst z.B. aus der
Almosenpflicht eines Reichen für die reichen Erdölstaaten die sittliche Verpflichtung zur Unterstützung armer
islamischer Staaten, wie u.a. Bangladesch und Sudan, der insbesondere Kuwait immer in großem Umfang nachgekommen war. Kuwait hatte bis zum Überfall des Iraks pro Einwohner weltweit den größten Betrag an Entwicklungshilfe erbracht. Ähnlich verhielt sich das reiche Saudi-Arabien. In einer Werbebroschüre seines Landes wird
der saudische König zu den erbrachten Entwicklungshilfeleistungen mit den Worten zitiert: "Die Leistungen des
Königreichs sind eine islamische Pflicht, die es ohne Erwartung von Gegenleistungen vergibt." (Saudi-Arabien
nimmt aber mit seinen Geldzahlungen - und mehr noch mit ihrem Entzug(!) - sehr massiven Einfluss auf die Gestaltung des politischen Lebens in den von ihm bedachten - oder nicht mehr bedachten - Ländern!)
3. Grundpflichten
Die islamische Lehre bestimmt das Verhältnis von Individuum, Gemeinschaft und Gott in der islamischen Gesellschaft (ohne dabei - wie das Christentum - von der Erbsünde des Menschen auszugehen), wobei nicht so sehr das
Individuum sondern das Wohl der islamischen Gemeinschaft im Mittelpunkt steht. Dieses Dreiecksverhältnis
zwischen Individuum, Gemeinschaft der Rechtgläubigen und Gott bildet die Voraussetzung der islamischen
Gesetzgebung. Daran orientierten sich Anzahl und Grenzen der mindestens 52 in der Scharia geregelten Rechtsbereiche.
Die erst nach Mohammeds Tod festgelegten 5 Grundpflichten eines jeden Muslim, die "fünf Säulen" (Arkan) als
die Fundamente, welche alle anderen Riten und Lehren dieser Religion tragen, die die Identität der Muslime (fast)
aller Glaubensrichtungen ausmachen und die durch einen fünfzackigen Stern (vgl. z.B. die Flaggen von Jemen, Libyen, Marokko, Pakistan, Syrien, Tunesien und Türkei) symbolisiert werden, sind:
1.) das Glaubensbekenntnis zur Einheit Gottes (Schahada) und zur (im Gegensatz zur Stellung von Christus im
Christentum nicht Gottheit sondern bloßen) Prophetenschaft Mohammeds mit den Worten: "Ich bezeuge/bekenne, dass es keinen Gott gibt außer Allah, und dass Mohammed der Prophet Gottes ist!" – wobei
die Schiiten hinzusetzen: „... und Ali ist der Freund Gottes“ -, mit dem man sich als Muslim bekennt und damit
der Umma, der Glaubensgemeinschaft der Muslime, angehört;
2.) als darauf aufbauende zweite Säule das – nicht wie von Allah laut Sure 2 auf Mohammeds nächtlicher Reise in
den Himmel zunächst verlangte fünfzigmalige, sondern von Mohammed auf Anraten von Moses mehrfach heruntergehandelte – für Muslime ordnungs- und identitätsstiftende, meist von einem Gemeindemitglied als Vorbeter (sunnitischer Imam) geleitete fünfmalige tägliche Gebet (Salat) („Fadschr“ morgens zwischen dem Beginn
der Morgendämmerung bis vor Sonnenaufgang, weil die Sonne zwischen den Hörnern des Teufels aufgehe,
„Zuhr“, wenn mittags die Sonne im Zenit steht bis sie zu sinken beginnt und der Schatten einer Sache so lang ist
wie die Sache selbst, „Asr“ nachmittags, bis die Sonne eine gelbe Farbe angenommen hat, „Maghrib“ abends,
„wenn die Sonnenscheibe hinter dem Horizont verschwindet, aber noch so viel Licht ist, dass ein guter Schütze
erkennt, wo der Pfeil auftrifft, den er in diesem Augenblick abgeschossen hat“, und „Ischa“ nachts) mit unterschiedlich vielen Gebetseinheiten, kniend, in streng ritualisierter Form in Richtung der qibla - der Richtung, in
der die Kaaba in Mekka liegt -, auf öffentlichen Aufruf des Muezzin hin, möglichst in einer Moschee (arab.:
masdschid, „der Ort, an dem man zum Gebet niederfällt“) nach vorausgegangener Waschung des Gesichts, der
Unterarme und der Füße in ritueller Reinheit und überall auf der Welt in arabischer (Fremd-)Sprache - die sehr
wesentlich zur Herausbildung einer arabisch-islamischen Identität beigetragen hatte –, wohingegen die Predigt
(eigentlich) nach dem Freitagnachmittagsgebet oder wegen unserer anderen Arbeitsorganisation nach dem Freitagabendgebet in der Landessprache gehalten wird;
3.) das Geben von Almosen (Zakat/Sakat Sure 2/219 „den Überschuss“ und 9/60; zunächst als Almosenpflicht eine
Armensteuer in Höhe von 2,5 % des Kapitalvermögens, das über das als Nisab bezeichnete lebensnotwendige
Minimum hinausgeht, später in ärmeren Staaten zur Grundlage der Besteuerung entwickelt) als Akt der Anbetung Gottes zur Verminderung der sozialen Spannungen zwischen arm und reich um zu gewährleisten, dass alle
Mitglieder der islamischen Glaubensgemeinschaft ein menschenwürdiges Leben führen können; die Almosenpflicht ist keine Wohltätigkeit (Sadaga), denn sie ist keine freiwillige Leistung, sondern - als eine der fünf Säulen des Islam – Glaubenspflicht, derzufolge Reiche im Laufe eines Jahres 2,5 % ihres Vermögens den Armen
geben müssen;
34
4.) das Entsagen (Saum) der Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse im neunten Monat des muslimischen Kalenders, dem Fastenmonat Ramadan (Sure 2/183-185), – der wegen des nach dem Mondkalender berechneten,
nach islamischer Zeitberechnung um elf Tage kürzeren Jahres gegenüber einem Sonnenjahr im Laufe von 33
Jahren durch alle Jahreszeiten wandert18 – wie des Essens und Trinkens zwischen dem Frühstück „Sahur“ und
dem abendlichen Fastenbrechen „Iftar“, des Rauchens und sexueller Beziehungen während des ganzen Tages,
ab dem Zeitpunkt, "wenn man einen weißen Wollfaden von einem schwarzen unterscheiden kann“, bis man es
nicht mehr kann - wobei es von dieser Verpflichtung auch grundsätzliche Ausnahmen gibt und besondere Ausnahmen geben kann: Grundsätzlich freigestellt vom Fasten sind Kranke, Alte und Kinder, Personen auf Reisen.
sowie schwangere und stillende Frauen, sowie Frauen, die ihre Periode haben. Sie alle können die versäumten
Tage nachholen. Besondere Ausnahmen werden ganz pragmatisch nach Lage der Dinge erteilt: So wurden im
April 1988 alle zur Bekämpfung der in den Sudan und nach Ägypten eingedrungenen Heuschreckenschwärme
eingesetzten Arbeitskräfte wegen der vom Mufti (oberster Religionswissenschaftler eines Landes im SunniIslam) von Ägypten als Schwerstarbeit eingestuften Bekämpfungstätigkeit von der Fastenverpflichtung während
des Ramadan befreit;
5.) die Wallfahrt (Hadsch/Hajj) nach Mekka im 12. Monat des Mondjahres (Pilgermonat Dhul-hiddschra) wenigstens einmal im Leben, wenn das gesundheitlich und finanziell möglich, man schuldenfrei ist (zurzeit sind es ca.
2 Mill. Pilger in diesem einen, dafür nur zur Verfügung stehenden Pilgermonat im Jahr), sonst auch z.B. mehrmals nach Kairouan. (Das Khomeini-Mausoleum in Theheran ist vielleicht von der schiitischen Geistlichkeit
als Wallfahrtersatz der Schiiten für Mekka im verhassten sunnitischen Saudi-Arabien gedacht.) Höhepunkt des
Pilgerfahrtmonats ist das in der gesamten muslimischen Welt zur Erinnerung an die von Abraham in Gehorsam
gegenüber Gott geplante Opferung seines Sohnes Isaak mit der schächtenden Schlachtung eines besonders gemästeten Tieres (Schaf, Kuh, Kamel) gefeierte Opferfest.
4. Heiliger Krieg
Dagegen hat sich der "Heilige Krieg" - als eine erst im Mittelalter im Zusammenhang mit den Kreuzzügen entstandene Bedeutung des Wortes "Dschihad/Djahad", das ursprünglich als Ableitung von dem Verb „dschahada“ nur die
Bedeutung „Anstrengung“, „Bemühen“, "Einsatz" hatte - als sechste Grundpflicht aller Männer zur kriegerischen
Ausbreitung des Islams nicht durchsetzen können, obwohl immer wieder jedem, der in Zeiten der kriegerischen Ausbreitung des Islams mit Feuer und Krummschwert zu sterben bereit gewesen, für den Fall seines Todes ein Platz im
Paradies (verbunden mit den angenehmsten körperlichen Genüssen: jedem Märtyrer seine Huris) versprochen worden war.
Ursprünlich wurde „Dschihad“ im Sinne von „Bemühung“ verstanden. So gibt es z.B. den Dschihah zur friedlichen
Ausbreitung des Islam, gegen die Armut, gegen ... .
U.a. die mystischen Sufis interpretierten den vielschichtigen Ausdruck „Dschihad“ als einen inneren Kampf gegen
die eigenen Schwächen um eine gottgefällige Lebensweise.
Erst Fundamentalisten interpretierten den vielschichtigen Ausdruck „Dschihad“ extrem aggressiv und griffen dabei
auf eine der Gründungslegenden des Islam zurück, derzufolge Mohammed 624 n.Chr. in der Schlacht von Badre
seinen Anhängern für den Fall ihres Todes in der Schlacht den sofortigen Einzug ins Paradies versprochen habe,
woraufhin einer seiner Mitstreiter, der sich gerade mit ein paar Datteln erquickte, die Frage gestellt habe: „Was steht
zwischen mir und dem Paradies außer diesen Datteln?“, die Früchte weggelegt, sein Schwert umfasst und sich todessehnsüchtig den Feinden entgegengeworfen habe, bis er getöt worden sei. Dieser Todesverachtung, nein: Todessehnsucht folgen seine Epigonen auch heute noch nach.
Festzuhalten bleibt noch, dass sich dieser „Dschihad“ nicht gegen Glaubensbrüder richten durfte und auch nie richten
dürfte, denn im Koran heißt es: „Und wer einen Gläubigen tötet, dessen Lohn ist die Hölle, darin wird er ewig weilen.“ (Ob das z.B. die Attentäter auf das World-Trade-Center bedacht haben, als sie unter den mehr als 5.000 Opfern
auch Muslime töteten?)
Der Islam will nach Meinung der Mehrheit der islamischen Theologen den Frieden. Als Beleg für den grundsätzlichen Friedenswillen des Islam wird auf die gemeinsame sprachliche Wurzel von "Islam" und dem Friedensgruß
18
Wegen des um elf Tage kürzeren islamischen Mondjahres werden sich die Jahreszahlen des (angeblich) von Christi Geburt an
rechnenden gregorianischen und des 622 n. Chr. mit dem Jahr der Hedschra einsetzenden (in Saudi-Arabien, dem Iran und
dem Sudan ausschließlich angewandten) islamischen Kalenders in über 19.000 Jahren einmal entsprechen.
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"Salam" hingewiesen. (Aber auch die Israelis grüßen sich mit dem sprachverwandten Friedensgruß "Schalom" und
betreiben in den besetzten palästinensischen Gebieten eine Anti-Friedenspolitik. Ein unter den Gläubigen gleicher
Glaubensrichtung stereotyp gebrauchter Friedensgruß sagt nicht unbedingt etwas über den Friedenswillen Andersgläubigen gegenüber aus!) Ein Zwang zur Teilnahme an einem "Heiligen Krieg" zur Ausbreitung des Islam, wie er
immer wieder geführt worden ist, ist dem Koran unbekannt, obwohl im Koran die Aufforderung steht: "Glaubt an
Allah und seinen Gesandten und kämpft mit Gut und Blut für die Religion Allahs". Der Koran fordert - bei aller
Aufforderung, gegen die ungläubigen Feinde zu kämpfen - aber auch: "Und wenn sie (die Feinde) sich dem Frieden
zuneigen, dann neige auch du dich ihm zu und vertraue auf Gott." (Sure 8/61) Und: "Wenn sie (die Ungläubigen)
sich von euch fernhalten und nicht gegen euch kämpfen und euch Frieden anbieten, dann erlaubt euch Gott nicht,
gegen sie vorzugehen." (Sure 4/90) Dem Koran sei demnach der Zwang zum "Heiligen Krieg" fremd. Die Vertreter dieser Richtung übersetzten Dschihad mit „Einsatz auf dem Weg Gottes“. Der Islam kenne nur einen "Heiligen
Frieden" - obwohl selbst Mohammed mit seinen Heeren den Dschihad vorgelebt hat und Hunderte von Juden in
Medina hatte umbringen lassen! Das gehört damit auch zur Sunna, dem vorbildlichen Leben des Propheten, dem ja
jeder Gläubige nachzueifern hat.
Der Islam in seinen militanten Ausprägungen dagegen propagiert nachhaltig den Dschihad als Krieg. Als Belege
für die jüngste Zeit mögen gelten: Als der Mullah aller Mullahs, der Großajatollah ("Ajatollah Osma"; höchster Rang
eines schiitischen Geistlichen) Khomeini, 1979 den "König aller Könige", dem er – einmalig in der iranischen Geschichte – die „von Gott erforderliche“ Legitimation abgesprochen hatte, den Schah Reza Pahlevi besiegt hatte und
seinen schiitischen Gottesstaat aufzubauen begann, rückten der Dschihad, der Heilige Krieg, und der Schahada, der
Märtyrertod, an die erste Stelle (schiitisch) islamischer Tugenden. Mit den Worten: "Je mehr Menschen, vor allem
junge Menschen, für unsere Sache sterben, desto stärker werden wir. Die Moslems müssen die Todesfurcht bezwingen, damit sie die ganze Welt bezwingen können.", kündete Khomeini getreu den schiitischen Traditionen am Tage
seiner Ankunft im Iran auf dem Theheraner Friedhof Behescht-e Sahra den Beginn eines "Zeitalters des Märtyrertums" an und praktizierte einen mitleidlosen Todeskult, der sich u.a. auch mit den Worten „Oh Märtyrer, eure
Schmerzensschreie in unseren Ohren“ im Text der iranischen Nationalhymne niedergeschlagen hat!
An die Kinder und Jugendlichen - nach islamischem Gesetz gilt aber jeder mit Erreichen des zwölften Lebensjahres
bereits als volljährig - seines Landes, appellierte der unerbittliche Großajatollah sogar: "Der Islam war tot oder starb
doch vierzehn Jahrhunderte lang. Wir haben ihn mit dem Blut unserer Jugend belebt. Euer vergossenes Blut wird den
Baum des Islam gedeihen lassen. ... Bald werden wir Jerusalem befreien und dort beten." Im achtjährigen (ersten)
Golfkrieg gegen den Irak, der in Anspielung auf die für die Araber siegreiche Schlacht von Qadissiaja/Qaddisiyah
bei Kerbela 636(?680?) n.Chr. nach Saddam Husseins Willen als "Saddam Qadissiaja" in die irakischen Geschichtsbücher eingehen sollte, starben von den ca. 150.000 an den Fronten eingesetzten Schülern Zehntausende von
Kindern nach dem durch die Pasdaran, Freiwilligen-Organisationen, Volksmudschaheddin und Komitees (Bsaidj)
auf ihre Familien ausgeübten Rekrutierungszwang oder der Rekrutierungslockung (durch die Aussicht auf ein Auto
für die Familie im Falle des "Märtyrertodes") oder in verblendeter Religiosität in eingeredeter Nachfolge des Märtyrertodes mit dem Ruf „Ya Hussein“ als missbrauchte Minensuchhunde für den schiitischen Islam (obwohl sie von
der jedem Märtyrer des Islam als eine der paradiesischen Freuden verheißenen Vereinigung mit 72 bereitwilligen
Jungfrauen, den "Huris", im siebten Himmel noch gar nichts haben können; sie wurden somit um ihr Leben und
einen Teil der paradiesischen Freuden betrogen). Die "Bassidsch" mussten durch ihren Opfertod auf den Schlachtfeldern unbekannt verlegte feindliche Minen hochgehen lassen, um so den in ihrem Schutze nachrückenden regulären
iranischen Truppen, die sich praktisch hinter den Kindern des Landes versteckt hatten, eine Schneise durch die irakischen Minenfelder zu bahnen. Ihren Leichen und denen der anderen Märtyrer zu Ehren wurde in Theheran der makabre Blutbrunnen erbaut. Um ihren Söhnen ein solches Schicksal zu ersparen, haben manche iranische Eltern, wenn
sie die Mittel dafür auftreiben konnten, ihre Kinder auf die Flucht ins Ausland geschickt. Nach langer, gefährlicher
Reise kamen sie entwurzelt in einem fremden Land an. Auch bei uns trafen "minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge"
in größerer Zahl ein. Wirklich willkommen waren sie nirgends.
In Algerien, dem nach dem Sudan zweitgrößten Land des Kontinents mit der siebtgrößten Bevölkerungszahl, rief
1991 der Führer der islamisch-fundamentalistischen Hamas-Partei zum Sturz der "verräterischen Regierung" auf,
um dort einen islamischen Gottesstaat nach iranischem Vorbild gründen und so zum Heiligen Krieg gegen Israel
aufrufen zu können, "... dass die Fahne Allahs über jedem Zentimeter palästinensischen Landes wehe ... vom Jordan
bis zum Mittelmeer." In einem solchen koranischen Gottesstaat wäre die Politik nur ein Bestandteil der Religion
unter vielen anderen. Nur oberste Religionsführer sind (zumindest nach schiitischem Verständnis) berechtigt, einen
"Heiligen Krieg" - so es ihn überhaupt gibt - auszurufen. Darum war es kein ideologischer Systembruch, als der neue
geistige Führer der Islamischen Republik Iran nach dem Tode Großajatollah Khomeinis, der - obwohl er selber nicht
über die Weihen eines "Faqih", eines religiösen Rechtsgelehrten verfügte, wozu er noch mindestens zehn weitere
Jahre in der Abgeschiedenheit der theologischen Hochschule in Ghom hätte büffeln müssen - (über Nacht von einem
36
Hodjatolislam und damit Mullah mittleren Ranges zum) Ajatollah (beförderte) Chamenei/Khamenei nach Beginn
des Krieges der von den USA angeführten alliierten Streitkräfte19 gegen Saddam Hussein in ungewöhnlich drastischen Worten zum "Heiligen Krieg" gegen Amerika aufrief - und das, obwohl der iranische Staatspräsident Hodschatolislam Rafsandschani/Rafsandjani den irakischen Überfall auf Kuwait offiziell verurteilt hatte. Zu der Ausrufung des Dschihad fühlte sich Chamenei angesichts der Präsenz "der Truppen Ungläubiger" (insbesondere des
„Lakais des Judenstaates“, des „großen Satans“ Amerika) in einem islamischen Land verpflichtet. Die Anwesenheit
der Truppen Ungläubiger wurde aber nicht nur von den Schiiten, sondern auch von fundamentalistischen sunnitischen Islamisten wie dem Wahhabiten Osama bin Laden als Sakrileg empfunden. Deren Bestreben richtete sich
daher darauf, aus Größenwahn, der sich aus Hunger nach Macht und Kontrolle speiste, aber zur eigenen Legitimität
die Religion heranzieht, sie zur Geisel nimmt, das saudische Königshaus zu stürzen und an seiner Stelle eine islamische Republik wie in Afghanistan einzurichten. Wohl aus diesem Grund hatte sich das saudische Königshaus lieber
von den Truppen der Ungläubigen schützen lassen, als auf das an das saudische Königshaus ergangene Anerbieten
bin Ladens einzugehen, die Verteidigung des Königreichs gegen Saddam Hussein durch die in den Kämpfen in Afghanistan erprobten Brigaden vornehmen zu lassen.
Das geglaubte oder angemaßte Recht, zum "Heiligen Krieg" aufrufen zu dürfen, steht aber nach ganz überwiegender
Mehrheitsmeinung laizistischen Politikern nicht zu. Insoweit hatte Saddam Hussein für jeden gläubigen Moslem
ganz klar eine an sich auch ihn bindende Grenze überschritten, als er zur Verteidigung seines Überfalls auf Kuwait
mit den Worten: "Schließt euch meinem Dschihad an, vernichtet die ungläubigen Angreifer und ihre arabischen
Mietlinge! Befreit Mekka und Medina aus den Klauen der Ketzer, verjagt die amerikanischen Glaubensfeinde aus
dem Hedschas und dem Nadschd!", - gemeint war das so umschriebene aber bewusst negierte Saudi-Arabien - zum
"Heiligen Krieg" gegen die multinationale Streitmacht aufrief, denn er ist kein schriftgelehrter Religionsführer. Er
verwandte aber die allen Muslimen vertraute Metapher als Mittel der psychologischen Kriegführung, um die Gefühle
der Massen zu mobilisieren. Als Gegenwaffe wurde daraufhin von Saddam Husseins Gegnern das sunnitischtheologische Establishment, insbesondere der Mufti von Ägypten mobilisiert, der als eine der höchsten sunnitisch-islamischen Autoritäten zusammen mit 270 Gelehrten der Islamischen Weltliga aus 60 Ländern wunschgemäß befand, Hussein sei ein Abtrünniger vom wahren Glauben, er sei mit seinem Überfall auf Kuwait zu einem
"Wegelagerer" geworden, und auf beiden Delikten steht nach dem Recht der Scharia der Tod. Daraufhin verkündete
der Mufti Ägyptens von Mekka aus den (Gegen-)Dschihad gegen den irakischen Diktator - obwohl der Mufti von
Jerusalem als eine andere der höchsten sunnitisch-moslemischen Autoritäten "alle Moslems zum Heiligen
Krieg gegen die USA" aufgerufen hatte. Selbst der sunnitische Islam ist also kein monolithischer Block! Nicht
alle islamischen Glaubensrichtungen, noch nicht einmal innerhalb der Gruppe der Sunniten, können über einen
Kamm geschoren werden. Es ist vorstehend schon angedeutet worden, dass der Begriff "Dschihad" [wörtlich: Abmühen, Anstrengung (auf dem Wege Gottes) bis zum Äußersten der eigenen Leistungsfähigkeit für eine oder bei
einer Sache] nach Auffassung islamischer Rechtsgelehrter nicht zwangsläufig ein Aufruf zum Krieg bedeuten muss.
Er bedeutet zunächst vielmehr die permanente Auseinandersetzung oder den Kampf des Moslems gegen das Böse in
sich selbst und in der Welt zur Durchsetzung des Guten und die Opferbereitschaft zugunsten der Mitbürger. Die
Gläubigen sollen ihren Kampf gegen das Böse und gegen die Ungläubigen sowohl mit dem "Herzen" (gegen sich
selbst), wie mit "Zunge und Hand" (als überzeugendes Beispiel der Lebensführung für andere) sowie mit dem
"Schwert" führen. Der "Dschihad" ist also nicht zwangsläufig ein mit Waffen ausgetragener Kampf, sondern
kann - neben der schon von Mohammed praktizierten kriegerischen Auseinandersetzung und der dadurch gegebenen
Gelegenheit zum Märtyrertod - auch als ein "Sich bemühen auf dem Weg Gottes" zur Ausbreitung des Islam
mit moralischen, politischen, wirtschaftlichen(!) und wissenschaftlichen Mitteln verstanden werden. Allein so,
als permanent ethischen Auftrag, versteht z.B. der muslimische Rechtsgelehrte und Großscheich der Kairoer AzharUniversität Mohammed Sajjid Tantawi den vielschichtigen Ausdruck „Dschihad“.
Radikal islamische Organisationen, insbesondere die islamischen Terroristengruppen, die schon, wie z.B. die 1980
gegründete und zurzeit unter der Führerschaft von Mohammed el-Hindi stehende „Dschihad islami“/“Islamischer
Dschihad“, im Namen ihrer Bewegung den Begriff „Dschihad“ verwenden, sehen die Bedeutung des Begriffs wesentlich militanter, ja sie reduzieren den vielschichtigen Begriff auf die alleinige Bedeutung der kriegerischen Auseinandersetzung mit den (und wenn auch nur vermeintlichen) Feinden des Islam!
Von manchen Islamisten wird unterschieden zwischen dem "kleinen heiligen Krieg" gegen äußere Feinde und
dem "großen heiligen Krieg" gegen die eigenen Fehler zur inneren Läuterung. Doch in der Sprache der Scharia
19
Die Ernennung des ehemaligen Generalstabschefs der USA und Gewinners in diesem Krieg, Powell, zum neuen amerikanischen Außenminister des neuen US-Präsidenten Bush muß die Fundamentalisten ja zum Schäumen bringen, da er nach ihrer
Meinung – um mit dieser Behauptung besser die Massen mobilisieren zu können - einen neuen Kreuzzug gegen die Araber angeführt hatte!
37
werde das Wort "Dschihad" vornehmlich für den Krieg benutzt, der einzig und allein im Namen Allahs gegen die
Ungläubigen geführt werden darf, wenn(!) sie als Gegner des Islam rechtgläubige Moslems unterdrücken. Ist das
nicht der Fall, so haben die Muslime von sich aus Frieden zu halten, denn der Koran gebietet: "Wenn sie (die Ungläubigen) sich von euch fernhalten und nicht gegen euch kämpfen und euch Frieden anbieten, dann erlaubt euch
Gott nicht, gegen sie vorzugehen." (Sure 4/90) Wird ein islamisches Land von einem nichtislamischen angegriffen, dann ist die Teilnahme am Dschihad genauso unerlässliche und primäre Pflicht aller Muslime wie das
tägliche Gebet oder das Fasten. Wer sich dem zu entziehen sucht, wird als Sünder angesehen, seine Behauptung,
ein Muslim zu sein, wird dadurch zweifelhaft. Darum sind sofort nach der Bombardierung Afghanistans durch die
USA als Kampfmaßnahme gegen den von Afghanistan unterstützten Terror tausende Gläubige von Pakistan nach
Afghanistan geströmt.
Die Terrorangriffe auf die beiden Symbole amerikanischer Macht, hinter denen die USA als spiritus rector den Führer der Dschihad-Terroristen Osama bin Laden vermuten, waren auf jeden Fall keine Angriffe, die nach (gemäßigt)
islamischer Lehre als Handlung in einem Heiligen Krieg gerechtfertigt werden könnten. Der Islamwissenschaftler B.
Haykel von der New York University gibt dafür sechs Gründe an (SZ 25.09.01):
1.
Weder Einzelpersonen noch Organisationen, sondern nur Staaten könnten einen Dschihad ausrufen.
2.
Weder Frauen noch Kinder dürfen Opfer eines Dschihads sein.
3.
Im Dschihad dürfe kein Moslem getötet werden.
4.
Ein Dschihad könne sich nicht gegen ein Land richten, in dem Muslime ihre Religion frei ausüben und andere zu ihrer Religion frei bekehren können.
5.
Der Terrorangriff auf die Gebäude in den USA ist von führenden islamischen Rechtsgelehrten verurteilt
worden. Ihr Urteil ist ein juristischer Konsens, ein „Ijma“, der bin Ladens Handeln unislamisch mache.
6.
Solche Terroranschläge richteten sich gegen das Interesse der muslimischen Gemeinschaft, das „Maslaha“,
und seien damit auch aus diesem Grunde unislamisch.
Im Koran, Sure 5 Vers 32 heißt es:
„Wer einen Menschen tötet, ohne dass der einen Mord begangen oder Unheil im Land angerichtet hat, hat gehandelt,
als ob er die ganze Menschheit getötet hat.“
Der „Selbstmord“ wird zwar nicht im Koran erwähnt, ist aber nach der Tradition verboten, denn Mohammed soll
gesagt haben: „Wer sich selbst tötet, wird das Feuer der Hölle erleiden.“, und: „Wer sich selbst tötet, wird für immer
vom Paradies ausgeschlossen sein.“ Es ist ferner überliefert, dass Mohammed folgerichtig einem „Selbstmörder“ die
Begräbnisriten verweigert habe.
38
II. Das religiöse Gesetz der Scharia als Grundlage des religiösen
Rechts und der politischen Ordnung in einer islamischen Gesellschaft und der Kampf der Fundamentalisten um diese Ordnung in einigen ausgewählten Ländern
1. Das Gesetz der Scharia
Weil der Mensch von sich aus unfähig sei, den rechten Weg zu Gott und damit zu seinem Seelenheil zu finden,
habe er sich in unbedingtem Gehorsam mit seinem Verstand, seinem Willen, seiner Urteils-, Entscheidungs- und
Tatkraft dem im religiösen Gesetz der Scharia (arab.: = Weg zur Tränke) zum Ausdruck kommenden souveränen, absoluten Willen Allahs zu unterwerfen. Diese religiöse Begründung der Scharia ist die Grundlage
der politischen Ordnung in einer theokratisch-islamischen Gesellschaft. Ihr Ziel wiederum und damit Verpflichtung für die Herrschenden ist es, die Rechte Allahs und die damit korrespondierenden Glaubenspflichten der
Muslime insbesondere im Alltagsleben zur Geltung zu bringen, die Rechte und Interessen der Muslime (wie sie die
gerade an der Macht befindliche Mehrheit oder eine einflussreiche radikale Minderheit islamischer Fundamentalisten
versteht) möglichst umfassend durchzusetzen - was für eine multikulturelle Gesellschaft wie z.B. die des Sudans
oder Nigerias mit ihren vielen verschiedenen Religionen eine ungeheure Zerreißprobe darstellt - und den Herrschaftsbereich des Islam auszudehnen. Hierbei ist die islamische Lehre von einem Universalanspruch durchdrungen. Das islamische Recht wird als die von Gott gesetzte Ordnung angesehen.
Für den 1966 durch Nasser gehenkten ägyptischen Ziehvater des modernen fundamentalistischen Terrors, den Theoretiker der ägyptischen Muslimbruderschaften Sayyed Qutb (1906-66), war die Scharia kein Gesetz, das nur das
Verhältnis zwischen Gott und seinen Geschöpfen, über die er aber die vollkommene Entscheidungsgewalt behielt,
regelte. Von ihm wurde die Scharia als die Chance des Menschen angesehen, den im Liberalismus gipfelnden Partikularismus und Egoismus in der Welt zu überwinden – woran Christentum und Kommunismus gescheitert waren -,
denn die Scharia stelle den Menschen vor Gott und befreie ihn so von der Unterdrückung durch andere Menschen.
(Seine Stellungnahmen zum um Gleichberechtigung kämpfenden Feminismus ist mir leider nicht bekannt. Sie wird
aber wohl eher auf der ablehnenden Linie der anderen Fundamentalisten liegen!) Durch die Scharia werde der
Mensch aus den egoistischen Verstrickungen des Daseins gelöst, in die er gefangen sei und bleibe, so lange er nicht
nach den Geboten der Scharia handle. Weder das Christentum, noch die im Westen vorherrschende materialistische
Denkweise mit ihrer die islamische Welt in die moralische und physische Verderbnis reißenden „Wertelosigkeit“
könnten das leisten, einzig der alle Lebensbereiche umfassende Islam mit seinen vollkommenen und unteilbaren
Wahrheiten sei dazu in der Lage. Darum werde es unausweichlich zu einem Zusammenstoß des westlichen mit dem
islamischen Kulturkreis kommen; eine Generation später von Huntington ebenfalls als „clash of civilization?“ beschrieben. Mit seinen Lehren, der in ägyptische Haft zwischen 1954 und 1965 entwickelten islamischen Revolutionsideologie, ist Qutb der maßgebliche Theoretiker des Islamismus heutiger Prägung. Seine Schrift „Ma’alim fi ttariq“ („Wegzeichen“/“Meilensteine“) wird im Verfassungssschutzbericht „Extremistisch-islamische Bestrebungen
in der Bundesrepublik Deutschland (1999) unter Bezug auf A. Meier als „Mao-Bibel der islamischen Revolution“
bezeichnet, in der eine universale ideale Weltordnung konzipiert sei.
Die Scharia ist kein Gesetzbuch, sondern eine von Gott gesetzte Rechts- und Werteordnung. Diese islamische
Rechts- und Werteordnung der Scharia umfasst über 52 Bereiche der unterschiedlichsten Art - von den Riten über
Reiten und Bogenschießen zu den Rechtsgebieten u.a. des Familien-, Wirtschafts-, Fund-, Verwaltungs-, Prozessund Strafrechts. (Heutzutage verböte es die Vielzahl der unterschiedlichsten in der Scharia geregelten Rechtsgebiete
einer modernen Gesetzgebung und juristischen Systematik, all die angesprochenen Rechtsgebiete in einem einheitlichen Gesetz kodifizieren zu wollen. Aber für die Gesetzgeber im frühen und späten Mittelalter war
das durchaus die Norm. In unserem Kulturkreis war das noch bis mindestens ins 13. Jahrhundert der Fall - und die
Scharia ist viele hunderte Jahre früher geschaffen worden!)
Das Strafrecht bildet also nur einen dieser 52 Bereiche. Von daher gesehen kann man das Strafrecht der Scharia
als gewichtigen, nicht aber als abschließenden Maßstab für die Bewertung der Scharia nehmen, obwohl vom Umfang
der strafrechtlichen Regelungen her dieses Gebiet rund drei Fünftel des islamischen Gesetzes ausmacht.
Die Bereiche sind in sich abgeschlossen und weisen jeweils ein eigenes System auf.
39
Gemäß dem Universalanspruch des Islam gelte das islamische göttliche Gesetz der Scharia prinzipiell für die
ganze Welt bis zum Jüngsten Gericht, auch wenn die Länder, in denen der Islam bisher noch nicht herrscht, erst
noch unter die Herrschaft des Korans gebracht werden müssen. Die Glaubensquellen des Islam sind zunächst die
im Koran (arab.: = „auswendig gelernter/gelesener Vortrag“) in 114 Abschnitten (Suren) mit insgesamt 6.219 Versen nicht thematisch, sondern ab der zweiten Sure ihrer Länge nach von 286 absteigend bis zu 3 Versen geordneten,
durch Mohammed als bloßes Sprachrohr widergegebnen Offenbarungen über den Willen Gottes, die Mohammed ab seinem 40. Lebensjahr erhielt. Der Zeitraum der dem des Lesens und Schreibens (angeblich) unkundigen
Mohammed durch die Vermittlung des Erzengels Gabriel von Gott häppchenweise gereichten Offenbarungen erstreckte sich von 610–632 n.Chr. über eine Dauer von ca. 22 Jahren. Wohl immer, wenn etwas unklar war, wurde
wieder geoffenbart, denn die Verse kamen jeweils aus einem bestimmten Anlass. Dabei wurden in der dazu verwandten hocharabischen Dichtersprache, die nicht im alltäglichen Leben gesprochen, sondern offiziellen Anlässen vorbehalten worden war, die entscheidenden Worte des Rezitationstextes so gewählt, dass sie sich nicht nur auf das unmittelbare Ereignis bezogen, sondern ihre Gültigkeit auch in späteren und eventuell davon abweichenden Situationen
behielten - was zu zweideutiger Wortwahl geführt hat, dadurch Anlass zu Missdeutungen gab und so (wie in allen
anderen Rechtskreisen auch) Juristen über Jahrhunderte Arbeit und Brot verschaffte. Von den rund 6200 Versen des
Korans, die in den 114 Suren zusammengefasst sind, treffen ca. 500 hauptsächlich in Medina empfangene Verse
rechtliche Regelungen in den unterschiedlichsten Rechtsbereichen. (Der Koran ist somit Gebet- und Gesetzbuch in
einem, das letztere in einem wesentlich größeren Umfang als die in dieser Beziehung recht zurückhaltend formulierende Bibel mit ihren nur das Grundsätzliche regelnden 10 "Ver"boten.)
Zu dem Koran als erster Quelle des Rechts hinzu kommen als zweite Hauptquelle des religiösen Gesetzes der
Scharia die als fast gleichberechtigt geltenden, in sechs Sammlungen zusammengefassten Überlieferungen (Hadith)
verschiedener Gewährsleute vom Leben, Reden und Handeln des Propheten, seinem im Koran als vorbildlich und
verbindlich bezeichneten Lebensweg, die Sunna20. Die Sunna umfasst die auf dem Koran basierenden Lehren des
Propheten, seine gesetzlich verbindlich gewordenen Aussagen und Handlungen und ist - nicht nur für die nach
ihr benannten Sunniten - die zweite Glaubensquelle neben dem Koran. Die als echt anerkannten Überlieferungen der
Sunna werden in drei Gruppen eingeteilt:
1.) Die ursprünglich in ununterbrochener Tradition weitergegebenen Überlieferungen: Sie begründen verbindliche Rechtsnormen, denn die Rechtsgutachten von Muslimen, die den Propheten Mohammed/Muhammad
selber noch befragen konnten, sind besonders wertvoll.
2.) Die zwar später allgemein bekannten, zunächst aber nicht in ununterbrochener Tradition weitergegebenen Überlieferungen: Sie begründen wegen des Bruchs in der Tradition keine verbindlichen Rechtsnormen. Aber
obwohl es ihnen an der absoluten Rechtssicherheit mangelt und sie somit keine feste (Glaubens-)Gewissheit darstellen, sind sie mit ihrer für einen Muslim an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit in Rechtsfragen eine zuverlässige (aber nicht immer unumstrittene) Auslegungsregel.
3.) Die nur von einzelnen Gewährsmännern weitergegebenen Überlieferungen: Sie begründen unter genereller
Anerkennung als Auslegungsregel eine gegenüber der zweiten und erst recht der ersten Gruppe nur abgeschwächte
gewisse Wahrscheinlichkeit.
Neben diesen auf dem Koran unmittelbar (Koranstellen) oder mittelbar (Hinweis des Korans auf den vorbildhaften
Weg des Propheten) fußenden Hauptquellen des religiösen Gesetzes gilt im Islam als dritte Quelle des religiösen
Rechts der Scharia die Übereinstimmung (idschma) aller Rechtsgelehrten (Ulama) einer bestimmten Zeit nach
Mohammeds Tod bezüglich aller anderen im 9./10. Jahrhundert von den damaligen Rechtsgelehrten gesehenen und
übereinstimmend beurteilten Rechtsfragen, die in den beiden vorgenannten Quellen Koran und Sunna nicht geregelt
worden waren. Die vierte Quelle des religiösen Rechts ist der von einem Mufti durch das Abfassen eines juristischen Grundsatzurteils, einem Fatwa, vorzunehmende Analogieschluss (kiyas) zu den Lösungen, die aus den drei
anderen Quellen Koran, Sunna und Übereinstimmung der Gelehrten gefunden werden konnten.
Es sei ausdrücklich hervorgehoben, dass die Scharia kein kodifiziertes Gesetzeswerk wie das kontinentaleuropäische darstellt, sondern in ihrer Nicht-Systematik eher den mittelalterlichen z.B. deutschen Rechtsbüchern oder (entfernt) dem englischen Fallrecht ("commom law") mit seinem noch heute feststellbaren Einfluss des kirchlichen
Rechts durch "equity" ähnelt.
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Weil der Prophet angeblich beschnitten (oder ohne Vorhaut) geboren wurde, werden wegen dieses Vorbildcharakters die
Muslime beschnitten, obwohl die Beschneidung im Koran nicht erwähnt ist. An diesem Beispiel sei aufgezeigt, wie Koran und
Sunna ineinander greifen und das Leben der Muslime verpflichtend regeln.
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Nach muslimischer Auffassung enthält die Scharia die Vorschriften der gottgewollten Ordnung, wobei bei der
Wertung des menschlichen Handelns fünf oder sechs Kategorien mit teilweise Unterkategorien unterschieden
werden: obligatorisch (ein Verstoß wird als definitiver Unglaube gewertet), empfohlen, erlaubt, missbilligt, verboten und verderbt (Todsünde). Obligatorisch verboten, weil durch eine Koranstelle abgesichert, ist z.B. die bildliche Darstellung Allahs. Für Sunniten rechtlich nur empfohlen ist es, dieses Darstellungsverbot auf ihre/n Propheten
auszudehnen, was die Schiiten nicht so sehen und die Mohammed durchaus bildlich darstellen!
Nur ein Verstoß gegen Bestimmungen der ersten und der letzten Gruppe rechtfertigt einen Strafausspruch. Diese
angesprochene generelle Ordnung unterscheidet sich aber in der Realität nach der jeweiligen Ausprägung der verschiedenen muslimischen Glaubensrichtungen. Jede größere der verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen hat
ihre eigene Rechtsschule, teilweise mit Unterschulen.
Nur ein Verstoß gegen Bestimmungen der ersten und der letzten beiden Gruppen rechtfertigt einen Strafausspruch.
Diese angesprochene generelle Ordnung unterscheidet sich aber in der Realität nach der jeweiligen Ausprägung der
verschiedenen muslimischen Glaubensrichtungen. Jede größere der verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen
hat ihre eigene Rechtsschule, teilweise mit Unterschulen.
Zu allen Zeiten existierten neben der Scharia staatliche Vorschriften und staatliche Gerichte für bestimmte, in
der Scharia nicht oder nicht umfassend genug geregelte Rechtsgebiete, deren Rechtsprechung desto mehr Bereiche
beanspruchte, je mehr sich die gesellschaftlichen Verhältnisse von denen des 9./10. Jahrhunderts entfernten. In neuerer Zeit war in fast allen islamischen Ländern für die von der Scharia nicht oder nicht umfassend genug geregelten
Bereiche eine Gesetzgebung nach europäischen Vorbildern der ehemaligen Kolonialmächte eingeführt worden, was
zunächst ein Zurückdrängen der Scharia bewirkte - das von den jeweiligen Fundamentalisten als Verwestlichung des
Rechts beklagt und von ihnen mit der Forderung nach Entwestlichung bekämpft wurde -, in die jedoch teilweise
Vorschriften der Scharia, insbesondere die des Familienrechts, eingegangen sind. Im Falle des Widerstreits zwischen Regelungen der Scharia und denen staatlicher Gesetze kann das Parlament als Gesetzgeber aber nicht
sicher sein, dass die Richter dem Willen des Gesetzgebers folgen werden: 1984 hatte in einem für die islamische
Welt aufsehenerregenden Urteil ein Gericht in Kairo den Vorrang der traditionellen islamischen SchariaRechtsprechung gegenüber den (erstaunlicherweise auf französischen und nicht auf englischen Einfluss zurückgehenden) staatlichen Gesetzen betont. Dem lag der Fall zugrunde, dass eine Ehefrau die Scheidung begehrte, weil ihr
Mann eine zweite Frau geheiratet hatte, ohne die im neuen staatlichen Familienrecht geregelte, hierzu erforderliche
Einwilligung der ersten Ehefrau erhalten zu haben. Mit dem Hinweis darauf, dass das (staatliche) ägyptische Scheidungsrecht gegen das (göttliche) Recht der Scharia als vom Richter angenommene(!) Grundlage der ägyptischen
Rechtsprechung verstoße, hatte der Richter den Scheidungsantrag abgelehnt. Die Geltung der Scharia habe Vorrang
vor den staatlichen Gesetzen. "Allah weiß besser als die Menschen, was für sie gut ist", hieß es in der Urteilsbegründung. "Wenn Allah die Ehe mit einer zweiten Frau legalisiert hat, dann ist es unvorstellbar, dass sterbliche Gesetzesschöpfer dies als Beleidigung der ersten Frau auslegen." Der Richter konnte sich darauf berufen, dass es in der
Verfassung des Landes von 1971 heißt, die Grundlagen des islamischen Rechts sollten eine "Hauptquelle der Gesetzgebung" sein. Doch Dieben werden dort nicht, wie z.B. in Saudi-Arabien, die Hände abgehackt, und Ehebrecherinnen werden nicht, wie z.B. im Iran, gesteinigt. Dafür ist die legendäre Toleranz der ca. 70 Mill. Ägypter, die zu 90
% Muslime sind, zu groß.
Bisher konnte in Ägypten, der Hochburg des islamischen Liberalismus und der islamischen Toleranz, teilweise
sogar von Säkularisierungstendenzen, aber darum wohl auch 1928 Geburtsland der von Hassan el-Banna21 gegründeten, auf den Lehren Mohammed Abduhs und seines Schülers Rashid Rida aufbauenden fundamentalistischen
sunnitischen Moslembruderschaften - wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten -, eine immer nur knappe Parlamentsmehrheit dieses Vorhaben der Fundamentalisten, die Scharia als vorrangiges Recht einzuführen, verhindern.
Für die in dieser Frage bislang teilweise nur äußerst knappe Parlamentsmehrheit ist es bisher aber immer ein ziemliches Vabanquespiel gewesen, mit Verfahrenstricks die wiederholt eingebrachten Gesetzesvorlagen zur Einführung
der Scharia und ihrer zwangsläufig damit verbundenen Vorrangstellung vor den staatlichen Gesetzen zu blockieren.
Auch dort erstarkt unter dem sich trotz jahrzehntelanger staatlicher Eindämmungsversuche ausbreitenden Einfluss
der nach ihrem Verbot 1954 in Verbindung mit anderen Parteien und unabhängigen Kandidaten wieder zur stärksten
Oppositionskraft herangewachsenen Moslembruderschaft die Hydra des Fundamentalismus so, dass z.B. Studentinnen freiwillig wieder den Schleier anlegen und nach Geschlechtern getrennte Hörsäle fordern. Geschickt wurde auch
die meinungsbildende Kraft des Fernsehens zu nutzen gesucht: Ägyptische Fundamentalisten hatten einer der be21
Er predigte einen „Aufbruch zum Licht“ durch eine Rückkehr zu einer „islamischen Idealzeit“; wurde 1949 auf Veranlassung
König Faruks durch Mitglieder der politischen Polizei Ägyptens ermordet.
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kanntesten Fernsehansagerinnen des Landes eine horrende Summe Geldes geboten, damit sie künftig (werbewirksam) den Schleier trage. Das Angebot war "so verlockend", dass die Ansagerin um Bedenkzeit bat (ihre endgültige
Entscheidung wurde in unserer Presse nicht mehr mitgeteilt). Mit der Bevölkerungsexplosion - alle 8 Monate eine
weitere Million Menschen zu den bisher schon 70 Millionen in dem schon jetzt zu engen Niltal, die nicht in die unfruchtbaren, wasserlosen Wüstengebiete ausweichen können - und den mit der Bevölkerungsexplosion zwangsläufig einhergehenden Problemen wird der Fundamentalismus weiter erstarken, denn schon allein die Boden- und
insbesondere die Wasserknappheit in den Städten wird zu einer weiteren Verelendung großer Bevölkerungsmassen führen, denen nichts als die letztlich nur religiösen Versprechungen der Fundamentalisten als einzige
Hoffnung auf einen Ausweg aus ihrer Misere bleiben.
Die ägyptischen Moslembrüder, die 1928 durch Hassan al-Banna gegründeten Väter des neueren islamischen
Fundamentalismus in unserer heutigen Welt (mit ihrem Wahlspruch: "Mohammed ist unser Führer, der Koran unser Programm, der Dschihad unser Weg"), die zunächst gegen die Ungläubigen in Europa und Amerika,
dann auch gegen die damalige UdSSR Front machten, sie und ihre Ableger und Sympathisanten in der islamischen
Welt von marokkanischen Fundamentalisten der verbotenen aber gleichwohl noch geduldeten Gruppe Al Adl Wal
Ihssane (Gerechtigkeit und Spiritualität) des greisen Scheichs Abdessalam Yassine und der von Saudi-Arabien gegründeten und finanzierten, in illegalen Moscheen tagenden extrem wahhabitischen Gruppe "Salafistischer
Dschihad"22 bis zur indonesischen Masyumi wollen gemäß der Grundannahme des Islam, dass Religion und Staat
eins seien, in allen islamischen Staaten die Unterschiede zwischen Staat und Religion aufheben, die Befreiung
(zumindest) des islamischen Jerusalem (der Altstadt als Zentrum eines Palästinenserstaates; wenn es durchsetzbar
wäre: unter Auslöschung des Staates Israel) und zumindest in der islamischen Welt überall islamische Gottesstaaten
mit einer Gesellschaftsordnung wie in frühislamischer Zeit, als bedeutendstes Fernziel aber ein die gesamte sunnitisch-islamische Welt umfassendes Kalifat wiedererrichten. Sie wenden sich gleichermaßen gegen Verweltlichung und Verwestlichung. Der bedeutendste Schüler Hassan al-Banas, der Ägypter Sayed Qutb, den Ägyptens
nationalistischer Staatschef Nasser wegen seiner terroristischen Lehren in seiner fundamentalistischen Streitschrift
„Wegmarkierungen“ verhaften, foltern und 1966 hängen ließ, spitzte die Thesen seines Lehrers al-Bana gegen den in
seinen Augen ungläubigen Westen noch weiter zu: Die Moslembrüder sollten (nicht nur) den Westen bekehren;
wenn Worte nicht reichten, dann auch mit dem Schwert, ja sogar - entgegen den Lehren des Korans und des Gründers der Moslembruderschaften al-Banna! - mit dem Schwert des Terrors. Bewaffneter Aufstand sei nicht Wahl,
sondern Pflicht eines jeden Muslims im Kampf gegen die Ungläubigen! Qutb lehrte die Moslembrüder, zu den Waffen zu greifen. [Anwar el-Sadats Mörder beriefen sich genauso auf Qutbs Lehren wie die Hamas im Gazastreifen und
andere islamische Terroristen als vorgebrachte Rechtfertigungsargumente für ihre Überfälle. Auch die grausamsten
islamischen Terroristen des Irak, die der auch unter „al Qaeda“/“al Qaida“-Terroristen verbreiteten ultraislamistischen, faschistischen Takfir-Ideologie „Al Takfir wal Hijra“ anhängen, berufen sich auf die Lehren Qutbs
und des 1977 ebenfalls gehenkten ultraradikalen Ägypters Mustafa Shukri, wenn sie das Ziel eines "reinen Islam" auf
dem ganzen Erdball herbeibomben wollen. Kern der ihrer Ideologie bildet die Überzeugung, dass der wahre Islam
nur im "Goldenen Zeitalter" Mohammeds und der vier ersten Kalifen (622-661) existiert habe. Seitdem habe sich der
Islam von seinen Ursprüngen entfernt und müsse nun von allen schädlichen Einflüssen, vor allem der von Juden und
Christen repräsentierten westlichen Moderne, befreit werden.]
Die Mitgliedschaft in Moslembruderschaften ist dabei nicht überall ungefährlich: Nach durch Attentate selbstverschuldeten jahrelangen aber inzwischen eingestellten staatlichen Verfolgungen in Ägypten stand z.B. in Syrien wegen des von den Moslembrüdern bekämpften säkularistischen Staatsziels der dortigen Baath-Partei allein schon auf
der bloßen Mitgliedschaft in der dortigen23 "Muslimbruderschaft" wegen deren Staatsziels der Errichtung einer theokratischen islamischen Republik, eines wahhabitsch geprägten Kalifates vom Atlantik bis zum Indischen Ozean, die
Todes(!)strafe, worauf die Muslimbruderschaft mit Blutrache an den Kadern der Baath-Partei antwortete. 1982 erfolgte im Zuge einer großen Ausrottungsaktion der syrischen Staatsführung ein Luftangriff auf die Stadt Hama, der
zu Tausenden von Toten geführt hat. Darum wurde von den syrischen Moslembrüdern das "Islamische Zentrum
22
23
Der kuwaitische Ex-Staatsminister und islamische Rechtswisenschaftler Sajjid Jussuf al-Rifai ist einer der Kritiker des „aggressiven Exports wahhabitischer Lehren“ und der „von Riad ins Ausland mitgeschickten Hetzer“ (SPIEGEL 04.03.02) und
wird mit dem Aufruf zitiert: „Ihr habt sie mit großzügigen Geschenken überhäuft, Büros für sie eröffnet und ihnen alle Möglichkeiten zur Verfügung gestellt. So wurde Aufruhr erzeugt. Sie sind wie Zeitbomben, von euch geladen und angefüllt mit üblen Verdächtigungen und abgrundtiefem Hass, wodurch die Länder des Islam, besonders in Afrika und Asien, zu Schlachtfeldern gegensätzlicher Meinungen unter den Muslimen werden.“
Muslimbruderschaften gibt es inzwischen in rund 70 Ländern. In Deutschland gilt laut Verfassungsschutz die IGD ("Islamische Gemeinde in Deutschland") als den Brüdern eng verbundene Organisation. (DIE WELT 23.07.06)
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Aachen" als ihre Koordinationsstelle für den Widerstand gegen das heimische Baath-Regime ausgebaut. (Innerhalb
der EU-Länder gibt es viele Zentren von 47 Organisationen radikaler Islamisten.)
Die nach einem nicht erfolgreichen Anschlag auf den Präsidenten Nasser 1954 einige Jahrzehnte strikt verbotene
ägyptische Moslembruderschaft wurde seit einigen Jahren vom ägyptischen Staat wieder geduldet, denn sie wird
inzwischen in der Radikalität der politischen Forderungen von anderen (teilweise verbotenen) Organisationen
wie der "Al Takfir wa'l Hidschra", dem „Islamischen Dschihad“ oder der „Gamaa Islamija“/"Jamaha Islami"/"Islamische Vereinigung" übertroffen. Die Jamaha Islami war mit Unterstützung des damaligen Staatspräsidenten
Sadat als Gegengewicht gegen linksgerichtete Nasseristen und Kommunisten gegründet worden. Sie ist die größte
ägyptische Terror-Organisation, die auch bin Ladens Fatwa zur Zerstörung der USA akzeptiert. Inzwischen fordert
sie offen zum Sturz des ägyptischen Staatspräsidenten Mubarak auf. Es gibt in Ägypten ca. 3 Millionen fundamentalistische Moslems, von denen sich 10.000 bis 20.000 als Aktivisten betätigen, was 1995 von Äthiopien aus auch
unternommen wurde. Diese Terroristen im Namen Allahs sind eine verschwindende, aber nicht zu vernachlässigende Minderheit. Sie erschießen Unliebsame wie den Schriftsteller Farag Fouda, der als Einzelkämpfer gegen
fundamentalistische Intoleranz und Ignoranz ihre radikalen Ansichten mit u.a. der Einführung eines Gottesstaates
nach dem Vorbild des Iran in seinen Schriften ablehnte. Auch sein Schriftstellerkollege, der ägyptische LiteraturNobelpreisträger Nagib Mahfuserhielt Drohungen der religiösen Fanatiker, weil denen sein Werk zu westlich ist und
gegen den Koran verstoße. Alles Rushdie, oder was? Sie wenden sich gegen alles, was sie als "unislamisch" ansehen.
Dazu gehören u.a. die die islamischen Sitten verderbenden westlichen Touristen und die von denen besuchten berühmten Monumente aus grauer, unislamischer Vorzeit wie die Pyramiden und der Sphinx. Diese Weltkulturdenkmäler würden einige Radikale am liebsten sprengen. Die Angriffe und Feuerüberfälle auf Touristengruppen, die gerade
dieser Denkmäler wegen in das Land kommen, haben für sie den angenehmen Nebeneffekt, dass damit der Achillessehne der verhassten Regierung in Kairo, ihrer einträglichsten Devisenquelle, geschadet werden kann.
Weitere Opfer ihrer Verfolgung sind die ca. 10 Millionen in Ägypten lebenden christlichen Kopten. Die leben
seit 2.000 Jahren in einem der ehemals ältesten christlichen Länder der Welt, das erst rund 600 Jahre später islamisch
wurde, und machen dort 1/7 seiner Bevölkerung aus.
Die ägyptischen islamischen Fundamentalisten finanzieren sich zum Teil durch Schutzgelderpressungen bei vermögenderen Mitgliedern der christlichen Minderheit des Landes, besonders in Oberägypten. Mit dem durch diese Erpressungen eingenommenen und anderem Geld unterstützen sie islamische Arme und Enttäuschte des Landes, u.a.
Kranke und die vielen arbeitslosen Jugendlichen und Hochschulabsolventen. So bauen sie ihren Einfluss ständig aus.
Zwar besteht weiterhin zu ihrer und der anderen Fundamentalisten Abwehr das Verbot für Parteien, sich auf Klassenoder Religionsbasis zu organisieren, aber durch Bündnisse mit anderen Parteien und unabhängigen Kandidaten war
es der Moslembruderschaft seit den 80er Jahren gelungen, mit ihren Ideen und politischen Vorstellungen wieder im
Parlament vertreten zu sein und dort die stärkste Oppositionsgruppierung zu bilden.
Seit Anfang der achtziger Jahre stellten in allen arabischen Staaten Kleinasiens und Afrikas, insbesondere aber im
arabischen Maghreb Nordafrikas und im Sudan, nicht nur radikale sondern zunehmend auch viele gemäßigte Moslems - wegen der spezifischen politischen Situation dieser Länder mit den rigiden Strukturen der dortigen Regime
(z.B. Marokko!), den himmelschreienden sozialen Ungerechtigkeiten in den jeweiligen Gesellschaften und wohl
auch wegen des zumindest latenten Identitätskonflikts der sich von westlicher Zivilisation überfremdet und damit der
eigenen Seele beraubt fühlenden Muslime - die Forderung auf, die später noch angeführten weltlichen Gesetze abzuschaffen und nur noch das traditionelle religiös-islamische Recht der Scharia anzuwenden. „Scharia – einfach nur
Scharia“, schallt es von Marokko bis Indonesien; sehr verständlich, da diese Staaten fast alle keine Rechtsstaatlichkeit kennen und in absehbarer Zeit nur die Scharia in der Lage ist, den Durst der Unterprivilegierten nach Gerechtigkeit einigermaßen zu stillen.
Die Fundamentalisten/Islamisten aller islamisch geprägten Länder - und das waren und sind als Wortführer nicht
nur z.B. der Iraner Khomeini für die Schiiten und der Inder Abul Ala al Maududi sowie der Nigerianer Abukabar
Mahmoud Gumi und der Algerier Ali Belhadj auf seiten der Sunniten - wenden sich gegen die Aufweichung traditioneller islamischer Gebote, Sitten und Gebräuche, wo gemäßigtere Muslime am westlichen Vorbild orientierte
Reformen fordern. Die "islamischen Revolutionäre", "Fundamentalisten" und andere militante Muslime treten für
die strikte und vollständige Befolgung der im heiligen Koran niedergelegten Vorschriften ein. Sie fordern den
Weg "zurück zum Gesetz" der Scharia und zu einem theokratischen islamischen Staat, in dem allein der Koran gilt und Allah der einzige Souverän ist. "No East, no West - Islam is best!" Ihre Vorstellungen sind mit dem
westlich geprägten, demokratischen Gedanken der Volkssouveränität als der Quelle jeglicher Staatsgewalt nicht zu
vereinbaren. Ihre Lehren fußen auf dem wörtlichen Verständnis des Korans und auf den Ansichten u.a. des mittelalterlichen Theologen Ibn Taimijja/Taimiya und seiner Schüler. Ibn Taimijja ließ Koran und Sunna nur in ihrem
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wörtlichen Sinne, ohne übertragene Bedeutung und Auslegung, gelten und bezeichnete den Dschihad in der Form
des "Heiligen Krieges" mit Feuer und Krummschwert als die beste Form, Gott zu dienen. Er propagierte auch - und
das war neu in der islamischen Welt - den Dschihad innerhalb der islamischen Gemeinschaft, wenn sich Muslime
nicht an das islamische Gesetz in seiner Gesamtheit hielten, selbst wenn sie sich sonst zum Islam bekannten und
fünfmal am Tag beteten. Seine späteren Nachfolger wie Wahhab und die Fundamentalisten ähnlicher Coleur als
seine heutigen Schüler verlangen mehr als die Befolgung der fünf (Grund-)Säulen des Islam. Der "wahre" Islam als
umfassende Weltanschauung ohne Trennung zwischen Religion und Staat wird als einzige Lösung für die
krassen gesellschaftlichen Widersprüche, für die aus wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Unterdrückung zunehmend erwachsenden Probleme hingestellt, ohne dass den fanatisierten, fast ist man versucht zu
sagen: "narkotisierten Mitläufern und Hasardeuren aus Verzweiflung" klar wird, dass das Prokrustesbett eines konservativ gelebten Islam ihre wirtschaftlichen Probleme wie Massenarbeitslosigkeit und Massenelend auch nicht lösen
kann, wenn sich staatliches Handeln nicht auf das Ziel der Befriedung durch sozialen Ausgleich richtet.
Mit der Vision einer idealen und gerechten islamischen Gesellschaft bieten fundamentalistische Bewegungen in
weitgehend unterentwickelten Ländern insbesondere den entwurzelten, orientierungslosen, unterprivilegierten einfachen Volksmassen einen klaren, vom Glauben bestimmten Verhaltenskodex. Ihr Erstarken, die "Aktivierung der
islamischen Kultur der Massen", ist Ausdruck der Sehnsucht nach einfachen Antworten auf zunehmend komplexer werdende gesellschaftliche Probleme. Der militante Islam ist ihr politisches Allheilmittel! "Der Islam ist
wichtig, weil er fähig ist, die westliche Kultur zu besiegen.", propagierte der unter den Fundamentalisten als "Gemäßigter" geltende iranische Ex-Präsident Rafsandschani, der auch Sätze von sich gab wie: „Hoffentlich reicht eine
Atombombe zur Auslöschung Israels aus.“
2. Algerien
Die fundamentalistischen Forderungen legen Sprengstoff an das von den jeweiligen Machthabern diskreditierte politische und soziale Gefüge der von diesem Bazillus infizierten Länder. Am Beispiel Nordafrikas aufgezeigt bedeutet
das: Der Maghreb mit seinen ca. 85 Mill. Muslimen gärt, besonders in Algerien, dem elftgrößten Flächenstaat Afrikas mit der siebtgrößten Bevölkerung! So forderten z.B. im April 1991 in Algerien, dem nach dem Sudan zweitgrößten Land Afrikas mit der siebtgrößten Bevölkerung des Kontinents, im Zuge der anstehenden ersten demokratischen Parlamentswahlen des Landes der nach seiner bedingten Freilassung aus 12jähriger Haft seit 1997 unter Hausarrest stehende Scheich Abasi Al Madani als damaliger Chef des „Front islamique du salut“ (islamische Heilsfront/Rettungsfront) FIS und damit Führer der islamischen Fundamentalisten Algeriens und sein Stellvertreter Ali
Belhadsch/Belhadj, bis Ende des Jahres 1991 den islamischen (Gottes-)Staat einzuführen, um eine "wahre islamische
Gesellschaft und Staatsverfassung" zu errichten. Dabei soll allerdings innerhalb des FIS umstritten sein, welchen
Weg das Land zu diesem Ziel gehen soll: den eines eher toleranten Gottesstaates nach dem Muster der Emirate oder
den des Irans. Um die von den Fundamentalisten angestrebte "Islamische Republik Algerien" auch gleich richtig in
den Griff zu bekommen, wurde - wegen eines ungerechten Wahlgesetzes, das der Regierungspartei von vornherein
den Wahlsieg sichern sollte - mit faschistischen Methoden um die Macht gekämpft und der Rücktritt des Staatspräsidenten der Republik, der sich als Hüter der Verfassung versteht, durch angezettelten Aufruhr zu erzwingen versucht.
Nach einem durch die Fundamentalisten im Juni 1991 aus Protest gegen das geplante auch Männern gegenüber ungerechte algerische Wahlrecht ausgerufenen Generalstreik, nach Aufruhr mit rund 500 Toten und einem daraufhin
vom frömmelnden damaligen Staatspräsidenten Chadli Bendschedid unter Einsatz des Militärs für zunächst vier
Monate verhängten Ausnahmezustand trat die Regierung zurück, und die Wahlen mussten erst einmal bis zum
26.12.91 ausgesetzt werden. Wegen des Drucks der Straße musste sich darüberhinaus der Staatspräsident später mit
einer vorzeitigen Neuwahl für sein Amt einverstanden erklären, obwohl seine von der Verfassung her vorgesehene
Amtsperiode erst Ende 1993 abgelaufen wäre! Zwei Monate später musste der algerische Staatspräsident wegen der
anhaltenden Unruhen als Vorsitzender der früheren Staatspartei des „Front de libération nationale“ (Nationalen Befreiungsfront FLN) zurücktreten. Der damalige Chef der radikalen Islamischen Heilsfront (FIS), Abassi Madani/Abasi Al Madani, hatte während eines Freitagsgebetes in religiösem Totalitarismus mit der Ausrufung des
Dschihad im eigenen Land gedroht, falls der als Antwort der Regierung auf die seit Monaten von dem FIS angezettelten blutigen Unruhen verhängte Ausnahmezustand nicht aufgehoben würde. Das von den Fundamentalisten gesteuerte, fanatisierte Bettelproletariat der beschäftigungslosen "Hittistes" ("Mauersteher") versuchte, die Politik des
Landes zu bestimmen – was bei den herrschenden sozialen Verhältnissen nicht verwunderlich ist! Wegen dieser
Drohung der Ausrufung des Heiligen Krieges gegen die eigene Staatsführung, was nach den Lehren des
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Stammvaters der Fundamentalisten Ibn Taimijja durchaus möglich sein solle, wurden Madani und sein Stellvertreter
Ali Belhadj/Belhadsch einige Tage später nebst Hunderten von Anhängern verhaftet, um die Anführer wegen "bewaffneter Verschwörung gegen den Staat" vor Gericht stellen zu können. Sie wurden wegen "Aufhetzung zur Gewalt" zu Gefängnisstrafen verurteilt - und waren damit für den laufenden Wahlkampf als Person aus dem Verkehr
gezogen. Solch ein Machterhaltungskalkül kann aufgehen. Durch die aufgedrängte Märtyrerrolle kann solch eine als
Schuss vor den Bug gedachte Maßnahme aber auch nach hinten losgehen. Die Regierung befand sich in einer
Zwangslage, denn kein von Nicht-Fundamentalisten geführter Staat mit hohem islamischen Bevölkerungsanteil kann
es sich leisten, von seinen islamischen Extremisten wie ein Tanzbär "vorgeführt" zu werden - wie es die Führer des
FIS in Algerien versucht hatten -, wenn er die Kontrolle über die innerstaatliche Entwicklung behalten will.
Die von den algerisch-islamischen Fundamentalisten hauptsächlich geforderte Einführung des islamischen
Gottesstaates in ihrem Land, aus der sich die anderen Forderungen zwangsläufig ergeben, würde u.a. die Einführung der islamisch-religiös gegründeten Scharia mit ihren verstümmelnden Körperstrafen, den Hudud-Strafen, bedeuten. Die Meinungs- und Kulturfreiheit, die bisher die algerische Gesellschaft auszeichnete, wird von der "Islamischen Rettungsfront"/"Heilsfront" abgelehnt. Sie hatte zwar bei den Kommunalwahlen des Jahres 90 in 54 % der
Kommunen die Mehrheit erhalten, konnte aber auf Grund der von ihr in der Zwischenzeit zur Schau gestellten Untüchtigkeit bei der Bewältigung der drängenden kommunalen Probleme und des von ihr praktizierten Moralfanatismus nicht unbedingt davon ausgehen, die anstehenden Wahlen erneut gewinnen zu können. Sie setzte deshalb auf
Erfolge im außerparlamentarischen (Straßen-)Kampf durch Streiks und Unruhen der fanatisierten Massen, die in
ihrer hoffnungslosen wirtschaftlichen Lage nichts zu verlieren haben und darum leicht für die mit einer ReIslamisierung verbundenen religiösen und politischen Ziele gewonnen werden konnten - wie die Deutschen in ihrer
wirtschaftlichen Not zwischen den beiden Weltkriegen sich ihr Heil von den national überhöhten Versprechungen
der nationalsozialistischen Rattenfänger erhofft hatten.
Die angesprochene wirklich hoffnungslose wirtschaftliche Lage ist u.a. durch folgende Daten gekennzeichnet: Die
algerische Bevölkerung hat sich seit der Unabhängigkeit 1962 auf ca. 30 Mio. mehr als verdreifacht. Sie nimmt rascher zu als die indische, die uns durch Fernsehberichte in ihren Auswirkungen vertrauter ist als die algerische!
Fast die Hälfte der Bevölkerung ist maximal 15 Jahre alt, über zwei Drittel unter 25 Jahre, und 70 % der Bevölkerung gehören zu den verzweifelten jugendlichen Massen der beschäftigungslosen „hittistes“ ("Mauersteher") oder „trabandistes“ (kleine Schmuggler), die nach der Schule genausowenig einen Arbeitsplatz finden
wie das akademische Proletariat, und den Älteren ab 25(!) geht es nicht wesentlich, sondern nur graduell etwas besser. Die Massenarbeitslosigkeit beträgt rund ein Drittel der Bevölkerung, unter Jugendlichen rund zwei Drittel! Frauen haben in einer solchen Männergesellschaft noch weit geringere Sozialchancen als Männer. Der Prozentsatz ihrer
Arbeitslosigkeit liegt weit höher als bei den Männern. Um Arbeitsplätze zu schaffen, braucht das Land von Ausländern vermitteltes Know-how und Kapital. Aber welches ausländische Unternehmen schickt seine Leute in ein Land,
wo Ausländer von religiösen Fanatikern mit einem Schnitt durch die Kehle zum „Lächeln“ gebracht werden! Die
Masse der Algerier lebt u.a. wegen des enormen Bevölkerungswachstums und der damit verbundenen Probleme
wie grassierende Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut, Wohnungsnot und Warenknappheit heute schlechter
als in den ersten Jahren der Unabhängigkeit von Frankreich. 8 Personen pro Zimmer ist die Norm in Algerien,
zumindest in den Städten; geschlafen wird in Schichten! Solche Zustände sind Humus für die Islamisten. Die
Slums am Rande der Großstädte sind so zu den Brutstätten des Islamismus und letztlich des islamistischen Terrors
geworden, denn in diesem Klima der abgestorbenen Hoffnungen setzten viele auf die wortgewaltigen Prediger des
Islam, die im Gegensatz zu den Beschwichtigungsversuchen des Staates und des FLN diese Dinge seit Jahren beim
Namen genannt haben und daher bei den armen Massen große Glaubwürdigkeit besitzen - was man von der abgewirtschafteten Staatspartei gewiss nicht mehr sagen konnte. Für die verarmten Massen war der Islam zur Hoffnung der Unterprivilegierten, zur Ideologie der wegen ihrer hoffnungslosen wirtschaftlichen Lage zur Gewalttätigkeit bereiten Opposition geworden. Die "Barbus", die bärtigen heiligen Männer drohten den Gläubigen - "Wer uns
nicht wählt, wird zur Hölle fahren!" - und versprachen ihnen darüberhinaus "Wohlstand und Gerechtigkeit für
alle" in einem islamischen Gottesstaat. Solche fast paradiesischen Aussichten sind für die verelendeten Massen
in ihrer fast ausweglosen Lage eine begeisternde Hoffnungsvision, ihr Strohhalm, denn eine andere Hoffnung haben
sie nicht mehr! Die westlich beeinflusste korrupte Elite des Landes, insbesondere die Generalsklique und ihre Angehörigen, lässt in ihrer Selbstbedienungsmentalität z.B. die rund 25 Mrd. Euro Einnahmen aus dem Gas- und Ölexport weitgehend in dunklen Kanälen verschwinden, anstatt längst überfällige dringlich erforderliche Investitionen in
Ausbildung und Infrastruktur vorzunehmen. So hat der Islam, der nach den Versprechungen der Fundamentalisten
alle Probleme dieser Welt heilen könne, Zulauf von der No-future-Generation, weil die westliche Zivilisation oder die von den herrschenden Regimen von ihr adaptierten Teile - bisher keinen Ausweg geboten hat. Bei den ersten freien Parlamentswahlen in Algerien seit der Kolonialzeit und der Unabhängigkeit von Frankreich 1962 erzielten
die Fundamentalisten dann trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Inhaftierung ihrer Führer einen von manchen
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befürchteten erdrutschartigen Wahlsieg. Khomeini per Stimmzettel! (U.a. wegen dieser Erstmaligkeit werden die
Geschehnisse in Algerien in dieser Arbeit in breiterem Rahmen dargestellt.) Schon im ersten Wahldurchgang errang
die Fundamentalistische Islamische Heilsfront FIS am 26.12.91 mit nur ca. 3,26 Mill. Stimmen (24 % der Wahlberechtigten) rund 80 % der abgegebenen Stimmen und mit 188 von 231 im ersten Wahldurchgang vergebenen Sitzen
mehr als elfmal so viele Mandate wie der seit fast 30 Jahren herrschende FLN, der sich durch Korruption,
Parteidiktatur und Inkompetenz beim Volk um jedes Ansehen gebracht hat. Es war wie immer: Bei einer Wahlverweigerung größerer Bevölkerungskreise - nur ca. 59 % der Wahlberechtigten hatten ihre Stimmen abgegeben,
obwohl jeder und insbesondere jede wissen musste, worum es bei dieser Wahl ging - profitieren die Extremisten,
denen es leichter gelingt, ihre Anhänger zu mobilisieren. Es war nach diesem Wahlgang abzusehen, dass der FIS
nach dem zweiten Wahldurchgang am 16.01.92 mindestens über eine klare absolute Mehrheit der 430 Sitze in der
Nationalversammlung verfügen werde. Die bis dahin in einem Polizeistaat durch die Geheimpolizei mit u.a. eingeschränkter Pressefreiheit unumschränkt geherrscht habende und erst im Frühjahr 1991 entmachtete Staatspartei FLN,
deren historisches Verdienst zwar der von 1954-62 geführte Unabhängigkeitskampf gewesen war, die aber im Juni
1988 noch ca. 600 der gegen die vorgenannten Zustände rebellierenden Jugendlichen bei den daraufhin ausgebrochenen Unruhen hatte erschießen lassen, fiel im ersten Wahldurchgang sogar noch hinter die berberische Front der
Sozialistischen Kräfte (FFS) aus der Kabylei zurück. Der (dann später am 29. Juni 92 ermordete) Ministerpräsident
Ghozali (FLN) bezeichnete den überwältigenden Erfolg der Fundamentalisten als "Zusammenbruch aller demokratischer Parteien" - worin er großzügig auch seine bisher in undemokratischer Alleinherrschaft regiert habende Partei
mit einschloss. Die (von ihm so genannten) "... demokratischen Parteien haben eine Vogel-Strauß-Politik betrieben,
und heute wird ihnen die Rechnung präsentiert", kommentierte er das für den FLN niederschmetternde Ergebnis. Mit
diesem Wahlerfolg hatten zum ersten Mal Islamisten die Chance, durch Wahlen, die diesen Namen auch verdienten, in einem erdrutschartigen Sieg an die Macht zu kommen. Das bedeutet wegen seiner Signalwirkung nicht nur
für dieses (auf jeden Fall in den unteren Bevölkerungsschichten) tief islamische Land, sondern auch für die gesamte
arabische Welt und eventuell auch für die islamischen Nachfolgestaaten des untergegangenen Sowjetimperiums
einen großen Einschnitt! Dabei haben sicher auch viele Algerier gewiss nur aus Protest gegen das bisherige Monopol
der bislang allein geherrscht habenden sozialistischen Staatspartei FLN, die überdies das Land weitgehend ruiniert
hat, die "Heilsfront" gewählt. (Wenn man von den Wählern des FIS die Protestwähler abzieht, dann bleibe - so lauten manche nicht weiter nachprüfbare, vermutlich aber zu niedrig angesetzte Schätzungen - ein harter Kern von vielleicht nur einem Viertel der Wahlberechtigten des Landes als Anhängerschaft der Heilsfront, denn von 13,6 Mill.
Wahlberechtigten hätten ja nur 3,26 Mill. den FIS wirklich gewählt. Das Wahlergebnis sei mehr das Frustrationsergebnis einer weitgehenden "Clochardisierung" großer Bevölkerungsteile, denn Ausdruck einer so überwältigenden religiösen Verinnerlichung des Islam.) Der FIS hatte ihre Mitglieder auch deswegen aufgerufen, zu den Urnen zu gehen, um gegen ein neues Gesetz zu opponieren, das die gemeinsame Stimmabgabe von Ehepaaren ohne
eine ausdrückliche gegenseitige Genehmigung verbot. Dieses Gesetz ist aber erst erlassen worden, nachdem die bis
dahin undemokratisch regierende FLN ab 1989 für sich die Demokratie entdeckt hatte. Vorher galt das die Frauen benachteiligende Gesetz - wie auch ein die Frauen diskriminierendes Scheidungsrecht - schon seit 1984 unter der
Herrschaft der damals einzig zugelassenen Staatspartei FLN. In dem 1984 durchgesetzten „Familiengesetz“ waren
den Frauen wesentliche zwischenzeitlich schon erstrittene Rechte wieder genommen worden: Wie in Saudi-Arabien
durften sie nun ohne das Einverständnis eines männlichen Vormunds weder reisen noch wählen, keine Arbeit annehmen – mehreren Frauen, die Mädchen unterrichteten, war z.B. 1996 von Islamisten allein wegen dieser Berufstätigkeit die Kehle durchgeschnitten worden - und schon gar nicht heiraten! Frauen existieren im jeweiligen Gesetzestext nur noch als „Tochter von ...“ oder „Ehefrau von ...“ Die Lage der Frauen kommentiert die Mathematikprofessorin Khalida Messaoudi, die sich seit 1993 vor den algerischen Islamisten in Algier versteckt, in ihrem Buch „Worte
sind meine einzige Waffe“: „Sie sind keine vollgültigen Individuen mehr. In fünf Punkten - Bildung, Arbeit Ehe,
Scheidung und Erbe - macht dieser Text ewige Minderjährige aus ihnen, die von der Vormundschaft ihres Vaters,
eines Bruders oder nahen Verwandten in die des Ehemannes übergehen. Über das Recht auf Schulbildung und auf
Arbeit schweigt sich der Text aus. Die einzige den Frauen vom Gesetz zugewiesene Rolle ist die der Gebärerin,
damit der Name des Mannes fortbestehe ...“
Insbesondere die Lage der geschiedenen Frauen hat sich seit 1984 dramatisch verschlechtert, denn die Mütter bekommen zwar automatisch ein Sorgerecht bezüglich des leiblichen Wohls ihrer Kinder – aber nicht die Vormundschaft für sie. Das bedeutet, dass für alle rechtlich erheblichen Regelungen die Unterschrift des Vaters weiterhin
erforderlich ist. Weil den geschiedenen Ehemännern in der Männergesellschaft - ebenso automatisch wie den Frauen
das Sorgerecht - die vormalige Ehewohnung zugesprochen wird, werden die geschiedene Ehefrau und ihre Kinder
bei der allgemeinen wirtschaftlichen Misere obdachlos.
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Die Fundamentalisten streben in ihrem von männlichem Hegemoniestreben deformierten Demokratieverständnis ein "Re-Break" des Wahlgesetzes an, das eine Stimmabgabe der Männer für ihre Ehefrauen wieder möglich
machen soll. Zur Beruhigung der Weltöffentlichkeit ließen die Wahlsieger noch am Tage des ersten Wahldurchganges durch die internationale Presse verkünden, dass sie die algerischen Frauen, die mehr als 50 % der Wahlberechtigten ausmachen, aber auf den Wahlveranstaltungen des FIS von ihren Männern getrennt gehalten wurden, nicht in
die Häuser verbannen und auch nicht die iranischen Volksgerichtshöfe der Mudjahedin einführen wollen. Doch diesen einschläfernden Versprechungen konnten die algerischen Frauen nicht glauben, denn der Partei-Vize hatte nicht
mit seiner Meinung zurückgehalten, dass, wenn es auf ihn ankäme, die algerischen Frauen nicht nur permanent
den Schleier tragen müssten, sondern auch nicht mehr außerhalb des Hauses arbeiten dürften. Damit wäre die
bisher geltende Berufsfreiheit der Frauen abgeschafft! Außerdem verkündete der FIS aber auch, dass diese Wahl,
wenn sie von ihm gewonnen werde, die letze Wahl gewesen sei. Nun ging zumindest unter den Frauen Algeriens
die nicht unberechtigte Angst um, der Polizeistaat der FLN könnte durch eine islamische Diktatur (in der religiös-hierarchisches statt demokratisches Denken vorherrschen werde) mit Einführung der Scharia als alleiniger
Rechtsnorm abgelöst werden. Weil Zigtausende nach dem ersten Wahldurchgang als Ergebnis des ausstehenden
zweiten Wahldurchganges eine 2/3 Mehrheit des FIS befürchteten, demonstrierten in Algier zwischen den Wahlgängen 300.000 Menschen - überwiegend von dem FFS mobilisierte Frauen der meist mittleren Bürgerschicht und
Berberinnen - mit einem "Protestmarsch zur Rettung der Demokratie". Die muslimischen Gewerkschaften und
andere Massenorganisationen inszenierten daraufhin eine Gegenkampagne. Der muslimische Gewerkschaftsbund
SIT rief alle Werktätigen auf, sich "um das islamische Projekt zu scharen" und stieß den Kassandraruf aus: "Alle
Anzeichen deuten darauf hin, dass die Feinde der islamischen Lösung versuchen, das Zivilisationsprojekt gegen den
Volkswillen zu verhindern". Obwohl - aus der Sicht zumindest vieler Frauen - das Kind bis zur nächsten Wahl erst
einmal in den Brunnen gefallen zu sein schien, waren - wie sich später zeigte - diese Warnungen an die Anhänger der
Islamisten nur zu berechtigt: 5 Tage vor dem zweiten Wahldurchgang putschte das um seine Privilegien fürchtende
Militär und suspendierte den noch ausstehenden zweiten Wahldurchgang. Der seit 13 Jahren an der Macht befindliche damalige Staatspräsident Bendschedid wurde von dem durch die sozialistische Einheitspartei sozialistisch
erzogenen Offizierskorps zurückgetreten. Damit wurde in Algerien die Demokratie zu ihrer Rettung(?) in den
Geburtswehen von den Militärs abgetrieben, weil sie die Geburt eines behinderten Kindes (und um ihre Privilegien) fürchteten. Dem Staatspräsidenten wurde zum Vorwurf gemacht, dass er keine ausreichenden Maßnahmen
gegen das Erstarken des Fundamentalismus unternommen habe und - als lernender Demokrat - bereit gewesen sei,
das sich abzeichnende Wahlergebnis zu akzeptieren. Verfassungswidrig setzte ein "Komitee zur Rettung der Demokratie" als Hohes Sicherheitskomitee einen neugeschaffenen Hohen Staatsrat ein, der aus Vertretern der Regierung,
der Geistlichkeit und (teilweise aus dem Exil! zurückgekehrten) Veteranen des Unabhängigkeitskampfes gegen die
ehemalige französische Kolonialherrschaft - warum hatten die überhaupt das Land verlassen müssen und jetzt zurückkehren dürfen? - besteht, damit alle "religiösen und heldenhaften Werte Algeriens" verkörpert sind. Ihm wurden
alle not-wendigen Befugnisse zugestanden. Die ausgesetzten Wahlen sollen im Dezember 1993 erneut durchgeführt
werden - was der Hohe Staatsrat aber nur dann zulassen kann, wenn bis dahin, wie in anderen islamischen Ländern
wie z.B. Ägypten, Marokko und Tunesien, die Bildung religiöser Parteien als sich als Staat im Staate begreifende
Religionsgesellschaften generell verboten werden wird. Der Vorsitzende des Staatsrates Boudiaf rechtfertigte den
dem FIS gestohlenen Wahlsieg und die gegen den FIS angeordneten Maßnahmen darum auch mit den Worten:
"Der Koran ist das Heilige Buch des gesamten Islam und nicht ein Parteiprogramm." Danach war vom Hohen Staatsrat für zunächst ein Jahr der Ausnahmezustand verhängt und das Hauptquartier des FIS geschlossen worden. Damit
war der FIS zunächst "nur" faktisch verboten worden. (Über 1.000 Führungskräfte des FIS waren zunächst in Arrest
genommen worden.) Sein offizielles Verbot ist dann im März 1992 verkündet und im April 1992 von der Verwaltungskammer des Obersten Gerichtshofes Algeriens in letzter Instanz bestätigt worden. Als Begründung war auf
eine Bestimmung in der Verfassung verwiesen worden, wonach Parteien sich nicht ausschließlich auf Religion
oder Rassenzugehörigkeit stützen dürfen. Aber mit der bloßen Auflösung des FIS werden die Probleme Algeriens
nicht gelöst sein. Man kann zwar den FIS zerschlagen, nicht aber die gesellschaftliche Wirklichkeit. "Wie auch
immer die juristische Lage ist, der FIS wird immer eine legitime politische Partei bleiben, denn er ist im Gefängnis,
im Heim, in der Moschee, der Straße, der Schule, der Universität, der Fabrik, auf dem Land, in der Verwaltung und
der Armee", hieß es in einer FIS-Erklärung.
Dagegen erwarten die Besitzenden der Mittel- und Oberschicht von der Polizei und dem Militär Schutz vor den
Habenichtsen aus den Vorstädten. Der ökonomisch begründete Aspekt der aufgebrochenen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wird religiös-ideologisch überlagert durch den Konflikt islamischer Fundamentalismus gegen
westlichen Laizismus wie z.B. auch in der Türkei, islamisch geprägte Wertvorstellungen der Unterschicht gegen
teilweise abendländisch geprägte der Oberschicht. Wenn vielleicht nicht für die nahe, so doch für die nähere politische Zukunft Algeriens kann konstatiert werden: Die wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit der Massen wird sich
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weiter ihr religiöses Ventil suchen. (Irreale) Hoffnung auf Erlösung aus dem Übel bietet ihnen nur die Religion. Eine
andere Hoffnung haben die verarmten Massen nicht, denn eine überzeugende Wirtschafts- und Gesellschaftsreform
ist nicht einmal in Ansätzen zu erkennen. Darum wird die rasende Fahrt der Unterprivilegierten in die Intifada nicht
zu stoppen sein! Kaum offen bleibt die Frage, ob die Islamisten die Spielregeln der Demokratie, die sie dieses Mal
ohne den Militärputsch mit Sicherheit an die Macht gebracht hätten, aber auch die Chance zu einem späteren
Machtwechsel von dem FIS wieder weg möglich machen, auch dann eingehalten hätten, wenn die überbordenden
und bis zur nächsten Wahl bestimmt nicht gelösten Probleme eine Abwahl des FIS als möglich hätten erscheinen
lassen. Skepsis ist angebracht, denn viele Islamisten lehnen in ihrem religiös-hierarchischen Denken die Demokratie
mit ihren Individualfreiheiten und Werten, wie insbesondere Volkssouveränität, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, als westliches Teufelswerk ab. Vom westlichen Parlamentarismus und vom politischen Pluralismus haben sie
keine hohe Meinung. Wie sollten sie auch: Während der 132jährigen französischen Kolonialherrschaft war den Algeriern vom "Mutterland der Demokratie", als das Frankreich sich seit der Französischen Revolution gerne selber
sieht, jedes demokratische Recht verweigert worden, und von einer demokratischen Staatsform (im Mutterland), die
anderen die Demokratie verweigerte, konnte keine Werbewirkung ausgehen. Dafür war in dem von beiden Seiten
erbittert geführten Freiheitskampf der von den Algeriern gezahlte Blutzoll zu hoch gewesen! "Richtet euch nach
Allah und nicht nach den irrenden Hirnen der Westler!" Der Partei-Vize des FIS, Ali Belhadj/Benhadj, hatte bei
seinen Auftritten nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die neu installierte Demokratie nur nutzen wolle, um die
Demokratie zugunsten eines islamischen Gottesstaates wieder abzuschaffen. Der Idee der Volkssouveränität
erteilt der FIS aus religiösen Gründen eine Absage. Benhadj begründete die Haltung des FIS dazu in dessen ParteiOrgan „Al-Mounquid“ mit dem Argument: „Wo das Volk herrscht, kann Gott nicht herrschen.“ (Wieso eigentlich
nicht? Da nach der Meinung der Fundamentalisten und Islamisten alles von dem allmächtigen Gott gesteuert wird,
könnte der ja auch durch die Menschen herrschen, denen er die Regierungsgewalt überlässt. Die Position des FIS ist
nicht sauber durchdacht und nicht in sich schlüssig!) Und der Gedanke der Freiheit und des Liberalismus wurde
folgerichtig gleich mit verworfen. Die Begründung dafür lautete: Der Begriff der Freiheit bringe das Volk gegen jede
Form von Autorität auf, sogar gegen Gott und die Sunna. (Von der geistigen Tradition eines durch die Bevölkerung
in Freiheit geschlossenen Gesellschaftsvertrages zur Regelung der staatsrechtlichen Fragen des Zusammenlebens
scheint er noch nie etwas gehört zu haben – oder nichts wissen zu wollen, weil es keine islamische, sondern eine
abendländische Gesellschaftstheorie ist.) Nach Benhadjs aus seiner Definition der Freiheit willkürlich gezogenen
Schlussfolgerung führten Freiheit und Liberalismus zu brutaler Gewalt und machten das Volk blutrünstig wie ein
Tier. Meinungsfreiheit wurde auch gleich mit abgelehnt, denn der Muslim habe nicht das Recht, Gott zu lästern,
seine Religion in Frage zu stellen oder sich gegen deren Normen zu erheben. Kurz: Gehirnwäsche durch den von den
Islamisten ausgelegten Islam ja, eigenständiges Denken nein!
Der FIS sprach ganz offen aus, dass diese Wahlen, sollten sie gewonnen werden, die letzten gewesen sein werden!
Das Anti-Demokratiebekenntnis ihres Vize-Parteivorsitzenden gipfelte in dem Satz: "Demokratie ist Sünde!" So
hatten es schon Hitler und Göbbels proklamiert gehabt. Hitler hatte seinen letzten Wahlsieg vor Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur mit den Worten kommentiert: "Ich habe die Demokraten mit ihrem eigenen Wahnsinn
geschlagen!" Und Göbbels hatte schon frühzeitig prophezeit: "Haben wir die Macht, dann werden wir sie nie wieder
aufgeben, es sei denn, man trägt uns als Leichen aus unseren Ämtern heraus."
Nun befinden sich alle Demokraten in dem Zwiespalt: Dürfen zur Rettung der Demokratie undemokratische Mittel
eingesetzt werden? Wenn anders ein - auch unter Anwendung demokratischer Mittel wie Wahlen - zur Macht
drängendes totalitäres Regime nicht verhindert werden kann, wohl ja. (Für einen die historischen Erfahrungen der
nationalsozialistischen Machtergreifung einbeziehenden deutschen Staatsbürger müsste die Antwort trotz prinzipieller "Demokratie-Bauchschmerzen" klar sein. Unser Grundgesetz ist ja auch nach dem Motto aufgebaut: Bei grundsätzlicher Freiheit der politischen Betätigung aber keine Freiheit den Feinden der Demokratie!)
Algerien stand damit am Rande eines Bürgerkrieges. Die Islamisten werden sich nicht für immer mit der angekündigten Bildung eines "Gegenparlamentes", bestehend aus den im ersten Wahldurchgang gewählten Abgeordneten,
begnügen! Zunächst trafen sich aber nur die 188 FIS-Abgeordneten zu einer symbolischen Parlamentssitzung unter
der Leitung des damals amtierenden FIS-Vorsitzenden Hachani, der ein paar Tage später verhaftet wurde, weil er
Soldaten zur Rebellion und Fahnenflucht aufgerufen haben soll. (Seine Aufgaben als Interimsführer der FIS übernahm Othmane Aissani.) Auch einige FIS-Abgeordnete wurden verhaftet und des Weiteren wurden Versammlungen
in der Nähe von Moscheen verboten. Moscheen waren von jeher im Islam nicht bloße Gebetshäuser, sondern immer
auch Versammlungsstätten und - bei der alle Lebensbereiche durchdringenden prädominanten Rolle der Religion im
Islam nicht verwunderlich - auch Orte nicht nur religionswissenschaftlicher, sondern sogar politischer Debatten. Da
war die Anordnung der Schließung der algerischen Moscheen für die neuen Machthaber nur folgerichtig, um die
Arbeit des FIS und seine in den islamischen Freitagsgebeten durch die Scheikhs (Bezeichnung für u.a. algerische
Religionslehrer und Religionswissenschaftler; gleichbedeutend mit Imam oder Mullah in anderen Ländern) geleitete
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Indoktrination der Massen lahmzulegen. Nachdem die Machthaber den Platz vor den Moscheen zur "verbotenen
Zone" erklärt und mit Militär umstellt hatten, um befürchtete Kundgebungen gleich im Keime ersticken zu können,
schleuderte der FIS dem Hohen Staatskomitee entgegen: "Ihr habt dem Volk nichts zu bieten außer Verzweiflung
und Tod!" Die Islamisten haben Zeit, denn ihre Bewegung wird wegen ihrer Anhängerschaft in der bisher aller Hoffnung auf Besserung beraubten Jugend insbesondere in den Armenvierteln allein schon durch die Demographie vorangetrieben werden. Das wissen auch die staatlichen Machthaber. Um diese Entwicklung eventuell noch zu ihren
Gunsten beeinflussen zu können und die Moscheen wieder in ihre Gewalt zu bekommen, haben sie ein Verbot jeder
Parteiaktivität in den Gotteshäusern erlassen und die Ausbildung der Imame durch den Staat beschlossen. Daraufhin
veranstalteten die Anhänger des FIS im Land Protestmärsche, und es kam zu Toten. Allgemein wurde ein "BlutFreitag" erwartet. Nachdem der erste Imam von der Polizei vor seiner Moschee erschossen worden war, eskalierte
der Aufruhr. Soldaten und Polizisten wurden von fanatischen Islamisten erschossen. Algerien glitt in einen verdeckten Bürgerkrieg. 7.000 FIS-Angehörige wurden laut Regierungsangaben in Internierungslager eingeliefert (30.000
laut FIS), wo sie nach Berichten von amnesty international nicht ausreichend ernährt wurden und körperlichen Gewalttätigkeiten des Wachpersonals ausgesetzt waren. Von dem FIS beherrschte Stadt- und Gemeinderäte wurden
aufgelöst.
Ein starker Flügel des FIS war schon einige Zeit für einen "bewaffneten Islam"; gemeint war der bewaffnete Kampf
gegen die Machthaber. So spaltete sich von ihm unter der Führung des einstigen Widerstandskämpfers Mustapha
Bouyali der „Mouvement islamiste algérien“ MIA ab, der den bewaffneten Kampf gegen das „atheistische Regime“
aufnahm. Solche Abspaltungen erschwerten den Widerstand des FIS.
Im sunnitischen Islam gibt es im Gegensatz zu dem schiitischen keine Untergrundtradition. Doch die verzweifelte
Hoffnungslosigkeit der "Mauersteher" aus den Elendsvierteln wird weiterhin ihr Rückgrat sein. Am 23.04.92 wurde
gemeldet, der FIS habe erstmals seit Verhängung des Ausnahmezustandes im Februar zum bewaffneten Kampf aufgerufen. In einer Untergrundzeitung hieß es, die Algerier sollten die "Sprache der Gewehre" gegen die "Diktatur des
Staates" einsetzen. Die neuen Machthaber wurden auch von dem Vorsitzenden des FFS Ahmed nicht anerkannt.
Auch wenn er sich ihren Anordnungen beugen musste und seine Partei von dem Hohen Staatsrat zu den demokratischen Kräften gerechnet wird, bezeichnete er dessen Vorgehen eindeutig als "pure Repression". Es bleibe nur der
demokratische Weg aus der algerischen Misere. Der aber ist in Algerien weithin unbekannt, denn Algerien war bisher nie eine Demokratie, sondern, laut STERN, ein "Stasi-Staat" gewesen. Eine Hoffnung auf Änderung war
dadurch aufgekeimt, dass der Hohe Staatsrat - vermutlich um den Putsch-Anspruch "Rettung der Demokratie" zu
legitimieren - ein Menschenrechtsministerium eingerichtet hatte. Dieses neugegründete Ministerium ist aber am
22.02.92 zu einer bedeutungslose(re)n(?) Menschenrechtskommission zurückgestuft worden. Das mit der Errichtung
des Ministeriums an die Weltöffentlichkeit ausgesandte Signal hatte somit keine zwei Monate Bestand.
Aber erst die nächste Wahl sollte zeigen, ob das, was wir 1991/92 in Algerien erlebten, für dieses Land und vielleicht auch für die gesamte arabische Welt der Donnerschlag eines vorbeiziehenden Gewitters oder der Knall bei der
Geburt einer Supernova gewesen ist. Das Dröhnen hörte man bis Tunesien, Marokko - die beide per Gesetz die Bildung einer islamischen Partei verboten haben; Algerien war insoweit eine Ausnahme - und Ägypten!
Die (erstaunlicherweise trotz ihrer auf den iranischen und damit schiitischen Gottesstaat als Vorbild fixierte) bis vor
ihrer proirakischen Stellungnahme im zweiten Golfkrieg vom sunnitischen Saudi-Arabien (danach aber von Theheran) unterstützte Re-Islamisierungsbewegung Algeriens wendet sich gegen die von der ehemaligen Kolonialmacht
Frankreich geprägte europäisierte Lebensform zumindest der begüterten Mittel- und Oberschicht: Der Partei-Vize
der FIS will außer dem Verbot der Frauenberufstätigkeit außerhalb des Hauses und der Schleierpflicht z.B.
Rockkonzerte als "kulturelle Verfehlungen" abschaffen und die Kinos schließen. Damit ist auch in diesem Land der
Fundamentalismus zugleich eine Frage der Klassengegensätze geworden. Die Saudis werden sich diese Hinwendung zum strengen Islam mit Einführung der Scharia und dem damit verbundenen Auspeitschen und Steinigen sicher
eine Menge Geld zur Bekämpfung der Massenarmut kosten lassen - wenn sie die Hinwendung der Massen im zweiten Golfkrieg zu Saddam Hussein verziehen haben werden. Sicher ist, dass dieses Wahlergebnis einen großen Einwanderungsdruck derjenigen, die nicht von einem islamischen Gottesstaat zwangsbeglückt werden wollen, auf die
europäischen Mittelmeerländer, wo schon rund 5 Millionen arabischer Muslime - meist im sozialen Abseits - leben,
hervorgerufen hätte. (Die Union des Arabischen Maghreb UMA, zu der die fünf Länder Marokko, Mauretanien,
Algerien, Tunesien und Libyen gehören, die innerhalb dieser Länder eine Demokratie nicht kennt und deren zaghafte
Demokratieansätze in Algerien und Tunesien von den Fundamentalisten vor Ort bekämpft werden, will eine Wirtschaftsunion nach dem Vorbild der Europäischen Gemeinschaft als Voraussetzung für eine politische Einigung des
arabischen Westens anstreben und darum mit den europäischen Staaten eine Charta zum Schutz der Rechte der in
Europa lebenden mehr als 25 Mill. Muslime, insbesondere der Maghrebiner aushandeln.) Insbesondere Frankreich
mit seinen 2 bis (nach anderen Schätzungen) 3,5 Millionen meist randständiger algerischer Muslime, die zum Teil
den FIS finanziell unterstützen, wäre von den Auswirkungen eines algerischen Gottesstaates betroffen gewesen.
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Darum wurde vor allem in konservativen Kreisen Frankreichs der Putsch des algerischen Militärs vom 12.01.92 mit
kaum verhohlener Erleichterung zur Kenntnis genommen. Der islamische Fundamentalismus steht ja nicht mehr nur
vor Europas Haustür: in dem von Frankreich bewohnten Zimmer des europäischen Hauses ist er ja schon drinnen!
("Die ersten Schüsse der Intifada" betitelte das seriöse französische Wochenmagazin Valeurs Actuelles Aufsätze
über Rassenkrawalle und Gewaltnächte in Paris.) Alle Frauen der algerischen Mittel- und Oberschicht, die schon
allein wegen der (Männer-)Massenarbeitslosigkeit nicht mehr ihren Beruf hätten ausüben können, wären zur Emigration gezwungen gewesen. Was der Fundamentalismus für die algerischen Frauen bedeuten würde, kann man erst
richtig nachempfinden, wenn man das Interview gelesen hat, das der unter den algerischen Fundamentalisten noch
als gemäßigt(!) geltende, für die Zeit der Inhaftierung der beiden Parteispitzen den FIS kommissarisch geführt habende Abdelkader Hachani kurz nach dem Militärputsch einer STERN-Reporterin gegeben hat (STERN
16.01.92): "Anders als in Europa nimmt das islamische System Rücksicht auf die Natur der Frau. Ihre Natur erlaubt
es der Frau nicht, draußen zu arbeiten. ... Sie ... (als) Europäerin tragen keine Schuld daran, dass Sie keine Moral
besitzen; Ihre Gesellschaft hat Sie so gemacht. ... Wir werden sie (die algerischen Frauen) dahin bringen, sich moralisch zu verhalten und den Hidschab zu tragen. ("Und wenn sie uneinsichtig sind?") Notfalls müssen solche Frauen
zur Umerziehung interniert werden." Jede nicht willfährige Frau hätte also mit einer religiös politischen Zwangsbeglückung rechnen müssen, wenn die Armee des Landes nicht eingeschritten wäre. Zwangsbeglückung ist aber geistige Vergewaltigung! Dann doch lieber ein Militärputsch, der die Umsetzung eines demokratisch zustandegekommenen Wahlergebnisses verhindert, das von der Seite der Frauen aus, die den FIS gewählt haben, - tiefenpsychologisch
gesehen - nur mit dem Todestrieb der Lemminge umschrieben werden kann!
Den Saudis ist die von den jeweiligen Fundamentalisten eines Landes angestrebte faschistoide Politisierung des
Islam und die in diesem Zusammenhang geforderte Einführung der Scharia (zunächst) überall in der (islamischen)
Welt auf Grund des dem Islam immanenten Universalanspruchs ein religiöses Grundbedürfnis; damit sind sie
überall dabei, wo es aus teilweise relativ nichtigem, nur islamisch-religiös begründbarem Anlass eine Hand oder
einen Kopf abzuschlagen gilt. Aber nicht nur die Saudis unterstützten die Bemühungen der algerischen Fundamentalisten. Die in ihren Augen günstige inneralgerische Entwicklung hatte natürlich auch die Iraner auf den Plan gerufen, weil die radikale Islamische Heilsfront der algerischen Fundamentalisten eine "Islamische Republik Algerien"
nach iranischem Vorbild als theokratischen Gottesstaat hatte errichten wollen. Sie unterstützten den FIS nach der
Stornierung saudischer Finanzmittel infolge der proirakischen Stellungnahmen des FIS im zweiten Golfkrieg. Irans
geistiger Führer Ajatollah Ali Chamenei hatte sich für dieses Vorhaben stark gemacht. Das hatte die algerische Regierung nicht hinnehmen können. Sie hatte den iranischen Botschafter in das algerische Außenministerium zitiert und
ihm erklärt, der Iran solle sich nicht in die inneren Angelegenheiten Algeriens einmischen. Die "Islamische Rettungsfront" und die "Hamas" - beider Blick starr wie hypnotisiert auf das siebte Jahrhundert gerichtet und wie
Saudis und Iraner bemüht, zu den Wurzeln des Islam zurückzukehren und dafür alles Westliche abzustreifen befanden sich u.a. auch deswegen in Gegnerschaft zu der bisherigen Regierung, weil sie der Ansicht sind, dass alle
bisherigen Regierungen Algeriens (und die der meisten anderen arabischen Staaten) Palästina, das "heilige Gebiet",
verraten hätten, dessen Befreiung von den Fundamentalisten zuvorderst als religiöses Gebot verstanden wird. "Das
höchste Gebot unserer Religion ist der Heilige Krieg zur Befreiung Palästinas", wird entgegen den Lehren des
Korans von den religiösen Eiferern verkündet. Die in Algerien und anderen arabischen Staaten vertretene, aus der
nach dem Sechstagekrieg 1967 als Ableger aus der radikalen ägyptischen Moslembruderschaft hervorgegangene, in
Palästina im August 1987 im Zuge der "Intifada"-Bewegung (Abschüttelung) gegründete Widerstandsbewegung
"Hamas" (= Harakat al-Muqawima al Islami; "Bewegung des islamischen Widerstandes"; als aus den Anfangsbuchstaben gebildetes Kunst- und Kurzwort hat "Hamas" auch die Bedeutung: Begeisterung / Eifer) ist, insbesondere
mit ihrem bewaffneten Arm, den Essedin-el-Kassam-Brigaden, inzwischen die hauptsächliche Trägerin des palästinensischen Widerstandes in den (entgegen diverser, durch das helfende Veto der USA allesamt von Israel missachteten UNO-Resolutionen) seit Jahrzehnten von Israel noch immer besetzt gehaltenen palästinensischen Gebieten und
schwört Israel den „Heiligen Krieg“: „Jeder Jude und jeder Siedler ist ein Ziel und muss getötet werden.“ Es widerspricht zwar den Lehren des Koran, Zivilisten anzugreifen und zu töten, aber jede Kultur bringt Rabulisten hervor,
die ein solches ideologisches Problem als gelernte Rechtsverdreher durch auslegende Haarspalterei ideologiekonform zu lösen wissen: Der nach dem Koran Zivilisten zustehende Schutz gelte, z.B. laut Hisbollah, nicht für Israelis,
da die Israelis allesamt Reservisten seien – obwohl Israel bisher noch keine Babys militärisch ausgebildet hat! Mit
dieser (hergesuchten) Begründung lässt sich dann trotz des im Koran enthaltenen Verbots des Angriffs auf Zivilisten
problemlos rechtfertigen, Katjuscha-Raketen auf israelische Städte, Dörfer und Siedlungen zu schießen, die selbstverständlich Zivilisten treffen, sie vernichten sollen! Und der Angriff auf die USA, die - auch muslimischen(!) Zivilisten, die u.a. im World-Trade-Center arbeiteten, wird von Fanatikern unter den Muslimen entgegen dem Wortlaut des Korans mit der Begründung gerechtfertigt, dass die Amerikaner deswegen nicht als durch die Lehre des
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Islam geschützte Zivilisten anzusehen seien, weil sie Steuern für ihr Militär zahlen und so die USA, den Kopf der die
islamischen Völker bedrohenden Schlange, in die Lage versetzen, sich in muslimische Belange einzumischen, im
Extremfall – siehe Afghanistan und Irak - islamische Glaubensbrüder zu überfallen.
Weil die palästinensische Hamas im Kampf um die Befreiung Palästinas in der Wahl ihrer Mittel den Israelis in
nichts nachsteht, ist ihr Führer und Gründer Scheich Ahmed Jassin 1991 als geistiger Pate der Selbstmordattentäter
wegen Führung einer illegalen Organisation, Aufhetzung und Totschlags zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und
zusätzlich 15 Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er sich selbst als schuldig bekannt hatte. Dann kam er auf
Druck des jordanischen Königs frei, als zwei Mossad-Agenten dabei erwischt worden waren, als sie in Jordanien
einen Giftanschlag auf den jordanischen Residenten der Hamas, Chaled Meschal, versucht hatten, lebte jahrelang
halbblind aber ungebrochen in seinem Hass auf alle Israelis in einem Rollstuhl, bis die ihn auf Answeisung ihres
Premierministers Sharon 2004 in einer gezielten Tötungsaktion mit von Hubschraubern abgefeurten Raketen in seinem Auto umbrachten. Die Hamas schwor Rache in bisher nie gekanntem Ausmaß: mit diesem Attentat habe
Scharon „das Tor zur Hölle aufgestoßen“.
Für die nationalistische ("Liebe zum Vaterland ist die Hälfte des Glaubens.") palästinensische Variante der Hamas ist erstaunlicherweise der Tempelberg in Jerusalem das höchste Heiligtum des Islam, und nicht Mekka!
(Weil sie bisher von Kuwait finanziert worden war, war sie im zweiten Golfkrieg zunächst für ihren Geldgeber eingetreten, dann jedoch unter dem Druck der öffentlichen Meinung innerhalb der Palästinenser auf einen proirakischen Kurs umgeschwenkt.) Diese aus den Wurzeln der Hamas erklärte Grundhaltung wurde von den algerischen Fundamentalisten geteilt. Der Kampf um die Befreiung Palästinas wird von ihnen als religiöse Pflicht gesehen
und ist eine ihrer zentralen Forderungen. (Dem stehen genauso religiös-fundamentalistische Ansprüche orthodoxer
jüdischer Gruppen gegenüber.) "Als Summe kann gesagt werden, dass die ohnehin kaum lösbar erscheinende Palästina-Frage durch das Erstarken fundamentalistischer Lehren noch weniger lösbar geworden ist [auch wenn sich der
scheidende US-Präsident Clinton in seinen letzten Amtswochen noch einmal sehr intensiv darum bemüht und jeder
Seite sie schmerzende Kompromisse zuzumuten versucht; d. Autor]. Sowohl auf der jüdischen als auch der arabischen Seite wird durch die Hervorhebung religiöser Bedeutungen eine irrationale Dimension eingeführt, die sich der
politischen Kalkulation im Sinne einer Kompromisslösung fast gänzlich entzieht. Religion zielt in diesem Verständnis auf die `heiligsten Güter' und setzt Kräfte frei, die sich der Berechenbarkeit widersetzen." (Lerch)
Die algerische Hamas ist von dem Lehrer Mahfoudi Nahnah gegründet worden, nachdem er an der Universität von
Algier mit den Ideen der ägyptischen Muslimbrüder24 vertraut geworden war. Er sprengte einen Strommast in die
Luft und wurde dafür zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, die ihm aber 1981 großenteils erlassen wurden. Nahnah
bewegte sich von da an strikt im Rahmen der Legalität. Zu Beginn der neunziger Jahre bemühte er sich, eine gemäßigte Alternative zum FIS aufzustellen.
Inzwischen scheint die algerische Hamas von der Militärregierung des Präsidenten Liamine Zéroual domestiziert
worden zu sein. Nahnahs „Harakat al-mujtamaa as-silm“ (Bewegung der Gesellschaft für den Frieden/Partei für eine
Gesellschaft des Friedens MSP, Hamas) ist als Repräsentant eines angepassten Islamismus an der Regierung beteiligt.
1997 schlug der Ex-Nahost-Beauftragte der CIA, Graham Fuller, in einer Studie der renommierten RANDCorporation mit dem Titel: „Algerien - der nächste fundamentalistische Staat?“ den Regierungen der USA und Europas vor, sich schleunigst mit den voraussichtlichen Nachfolgern der Militärjunta zu arrangieren: „Das aktuelle Regime ist intellektuell und politisch bankrott.“ Der verbotene FIS werde „auf jeden Fall an die Macht kommen“. Als
besten Weg der Machtübernahme schlug Fuller allgemeine Parlamentswahlen unter Einschluss aller politischen
Kräfte und damit unter Beteiligung des FIS vor. Das lehnte der französische Premierminister Juppé als Repräsentant
der ehemaligen Kolonialmacht mit den weitestgehenden Verbindungen nach Algerien ab: „Wir unterstützen nur eine
Partei der Demokratie.“ Die im Frühsommer 1997 abgehaltenen Wahlen wurden durch ein neues Wahlgesetz vorbereitet, das religiösen und regionalistischen Parteien die Teilnahme verbot: Islamisten und oppositionelle BerberParteien waren damit ausgeschlossen. Unter diesen Voraussetzungen erbrachten die Wahlen das gewohnte und von
der Militärjunta gewollte Ergebnis. Damit war die Lösung des Konfliktes innerhalb der algerischen Gesellschaft nur
aufgeschoben, der Konflikt selbst brodelte unterschwellig weiter. Der Terror ging weiter.
Im April 1992 spaltete sich von dem FIS der von Antar Zouabri (Dit Abou Talha) geführte „Groupe islamique
armé“ (GIA) als Sammelbecken verschiedener besonders radikaler islamistischer Kräfte ab. Er strebt die Errichtung
eines über das algerische Staatsgebiet hinausgehenden islamistischen Staates in Nordafrika an. Den Mitgliedern
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Nach der radikalen Phase der Bewegung gilt die Errichtung einer Demokratie auf der Basis des Islam vielen Muslimbrüdern
als Ziel, so dass solche Muslimbrüder – zumindest im Vergleich zu inzwischen wesentlich radikaleren islamistischen Gruppen
– von der ägyptischen Regierung als staatstragend angesehen werden.
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dieser Gruppe wird nicht nur die gleiche Geisteshaltung, sondern werden auch direkte Kontakte zu dem zuletzt in
Afghanistan aufhältigen saudischen Dschihad-Terroristen bin Laden nachgesagt werden. „Den Feinden des Islam
werden die Kehlen durchgeschnitten, von Babys bis zum Dorfältesten. Unschuldige Opfer werden als Märtyrer ins
Paradies eingehen.“ Über ganz Algerien liegt die Drohung des an den zahlreichen Opfern verübten „Lächelns der
Berber“ – der Schnitt durch die Kehle von Ohr zu Ohr. Diese Terroraktivitäten gegen Dorfgemeinschaften oder das
Abschlachten deren herausgehobener Repräsentanten haben bisher nur dem Regime genützt, das sich so als Bollwerk
gegen Allahs Barbaren darstellen konnte. Das Regime legte eine selbst in unseren Medien widergespiegelte Zurückhaltung an den Tag, den Mördern das Handwerk zu legen! Verzweifelte Menschen fragten nach einem nächtlichen
Massaker in Fernsehkameras, wie es denn sein könne, dass alarmierte, in teilweise weniger als 5 Kilometern Entfernung untergebrachte Militäreinheiten nicht ausgerückt wären, um die Schlächter zu stellen, die ihren Opfern der
nächtlichen Überfälle bevorzugt ihre Messer durch die Kehlen zogen. Es wurde gemutmaßt, dass das Militärregime
die Terrorakte bewusst zulasse, weil sein (angeblicher) Kampf gegen die islamistischen Mörder seine Legitimationsbasis darstelle! Schlimm, wenn es so sein sollte. Auf jeden Fall musste der Genral Liamine Zeroual den Posten des
Staatspräsidenten wieder abgeben.
Im April 1999 kam Abdelaziz Bouteflika unter anrüchigen Umständen - die Mitbewerber hatten ihm Betrug und
Wahlfälschung vorgeworfen und ihre Kandidatur teilweise am Tag der Wahl demonstrativ zurückgezogen - in das
Amt des Staatspräsidenten. 2004 wurde er das von der Verfassung her erlaubte zweite Mal in das Präsidentenamt
gewählt. Der ließ die Algerier über seine in das „Gesetz zur bürgerlichen Eintracht“ gefasste Friedens- und Versöhnungspolitik abstimmen – die die Islamisten aber nicht hinderte, weiterhin hunderte Menschen umzubringen. Dieses
Gesetz sieht vor, dass Islamisten nicht mehr mit staatlicher Verfolgung rechnen müssen, soweit sie nicht Bombenattentate verübt und nicht anderweitig gemordet oder vergewaltigt haben. Sie dürfen nicht einmal über ihre Verbrechen
an Angehörige von Opfern Auskunft geben. Und diejenigen, die Schwerverbrechen begangen haben, können mit
Strafmilderung rechnen, wenn sie die Waffen niederlegen und sich den Sicherheitsbehörden stellen. Angehörige von
Terroropfern beklagen diese zur Befriedung des algerischen Volkes eingeschlagene Linie (verständlicherweise) als
„schmähliche Niederlage des Staates vor dem bewaffneten Islamismus“ und suchen auf eigene Faust nach den Peinigern ihrer verschwundenen Angehörigen.
Bouteflika gewann diese Abstimmung über seinen Versöhnungskurs. Ungeachtet mehrerer Boykottaufrufe durch die
Oppositionsparteien, beteiligten sich 79,76 Prozent der insgesamt 18,3 Millionen Wahlberechtigten an der Abstimmung. 97,36 Prozent der Wähler stimmten der "Charta für Frieden und Versöhnung" zu, mit der ein Schlußstrich
unter den "schmutzigen Krieg" zwischen den algerischen Islamisten und dem Militärregime gezogen werden soll.
Man muss nun die weitere Entwicklung abwarten, ob Bouteflika mit der erlangten Zustimmung vielleicht so etwas
wie der das Land und die Bevölkerungsgruppen mit der gemeinsamen Geschichte versöhnt habende Mandela Algeriens werden kann. Das „Nationale Komitee gegen das Vergessen und den Verrat“, das mehr als 400.000 Opfer und
Angehörige von Opfern der Terroranschläge vertritt und eine Bestrafung der Täter und ihrer Auftraggeber wegen der
begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit fordert, ist zu einer „vergessend-zudeckenden“ Lösung nicht
bereit und wird die politischen Schritte des neuen Staatspräsidenten kritisch unter die Lupe nehmen! Empört hat die
Opfer z.B., dass die Familien einiger reuiger Täter (wohl als Anreiz zum Aussteigen für andere Terroristen) staatliche Hilfen erhalten hätten, während die Opfer bisher leer ausgegangen seien. Eine ähnliche Sicht der Dinge hat die
„Vereinigung der Angehörigen ermordeter Journalisten“. „Kritische Stimmen fragen sich, ob das Versöhnungsprojekt wirklich gelingen kann, wenn die "Bürgerkriegsverbrecher" in den Reihen der Militärs und staatlichen Sicherheitsdienste für alle Zeiten Straffreiheit genießen, so wie es in der Charta festgeschrieben ist. Mit welchem Recht
könne Bouteflika von Frankreich verlangen, sich gegenüber seiner früheren Kolonie Algerien zu seiner Schuld zu
bekennen, fragen Menschenrechtler, wenn er die nur wenige Jahre zurückliegende blutige Geschichte seines Landes
unter den Teppich kehre? Ali Jahia ist sich sicher: Ohne Aufklärung aller Kriegsverbrechen, wozu auch das Schicksal der auf 20 000 geschätzten verschwundenen Zivilisten gehöre, werde die Aussöhnung niemals gelingen“ (DIE
WELT 01.10.05).
Aber Bouteflika hatte mit seinem Vorgehen letztlich Erfolg: Starben in Algerien vor fünf Jahren noch mehrere 100
Menschen pro Monat, sind es 2004 kaum mehr als ein Dutzend.
Bouteflika drängte den radikalen Islamismus zurück. Zum einen gelang es ihm mit seinem Programm der "zivilen
Einheit", tausende von Untergrundkämpfern zum Niederlegen der Waffen zu bewegen, unter ihnen die gesamte Armee des Islamischen Heils, der bewaffnete Arm der 1992 verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS). Zum anderen
ging die Armee gegen die noch verblieben Gruppen hart vor.
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„Die islamischen Fundamentalisten haben keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung, aber sie morden weiter: ziellos,
grundlos – nur um zu zeigen, dass es sie noch gibt“ (Mona Lisa 01.04.01).
Die radikalste und inzwischen aktivste FIS-nahe Terrorgruppe unter ihnen ist nach der 2002 erfolgten Auflösung der
GIA die unter der Führung des Ex-Offiziers Mokhtar Benmokhtar stehende, ebenfalls die Errichtung eines streng
islamischen Gottesstaates in Algerien und die Einführung der Scharia anstrebende, ca. 300 Mann starke „Salafiste
pour la prédication et le combat“ („Salafistische Gruppe für die Predigt und den Kampf“, GSPC, gegründet
1998), die die FIS schon vorher rechts überholt und sich darum 1998 von der GIA abgespalten hatte. Sie opperiert
hauptsächlich in der Kabylei und der Südsahara. Die GSPC machte von sich reden, als sie 2003 mehrere Gruppen
von Sahara-Touristen entführt hatte. Die Salafisten lehnten bislang die Tötung von algerischen Zivilisten ab, sie
kämpften bisher immer nur gegen algerische Würdenträger und vor allem gegen die Armee. An einheimischen Zivilisten – so wie jetzt beim Geiseldrama in der Sahara – vergriff sich die GSPC bisher nie. Wie die GIA lehnt auch die
GSPC die Politik der nationalen Aussöhnung von Bouteflika und das damit verbundene Angebot einer Amnestie ab.
Seit März 2002 wird die GSPC von den USA offiziell als Terrororganisation eingestuft, von der vor allem für die
amerikanischen Erdölinteressen in der Südsahara eine ernste Bedrohung ausgehe, nachdem die Salafisten in Anwendung der auch in Saudi-Arabien verfolgte Terrorstrategie die in Algerien lebenden nicht-moslemischen Ausländer
und Vertreter westlicher Unternehmen zu möglichen Zielen ihrer Terroranschläge erklärt hatten.
Inzwischen hat sich für den Staatspräsidenten eine zweite innenpolitische Front aufgetan: Die benachteiligten fast 10
Millionen Berber, ein Drittel der Bevölkerung, die vor dem Eindringen der Araber im siebten Jahrhundert ganz
Nordafrika bevölkerten, wehren sich gegen ihre Benachteiligungen. Die Arbeitslosigkeit ist unter den Berbern selbst
für algerische Verhältnisse extrem hoch und übersteigt in manchen Gebieten die 70-%-Marke. Die Berber leben im
Gebiet des Atlasgebirges und in der Kabylei. Der Staat versuchte, die kulturelle Identität der Berber zu unterdrücken.
So wurde ein Gesetz erlassen, das allen algerischen Geschäftsleuten verbietet, einen Vertrag zu unterzeichnen, der
nicht in Arabisch abgefasst ist. Damit wurden die Berbersprachen Tamasicht und Kabylisch aus dem Wirtschaftsleben einfach eliminiert.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2004 stand sich erstmals in der Geschichte des Landes seit seiner Unabhängigkeit
eine Mehrzahl von Bewerbern in einem offenen Rennen gegenüber. Die aussichtsreichsten Bewerber waren der seit
1999 amtierende Staatschef Abdelasis Bouteflika (67) und sein ehemaliger Wahlkampfkoordinator, Kabinettschef
und späterer Premierminister Ali Benflis (60). Daneben bewarb sich mit Louisa Hanoune, Vorsitzende der trotzkistischen Arbeiterpartei (PT), erstmals eine Frau um den Einzug in den Präsidentenpalast. Mit Abdallah Dschaballah
kandidierte ein Islamist. Said Sadi kam von der Berberpartei RCD und der unbekannte Ali-Fawzi Rebaine vertrat
eine kleine nationalistische Formation. Präsident Bouteflika musste beim ersten Wahlgang gewinnen, wollte er nicht
Gefahr laufen, dass sich bei einer zweiten Runde alle anderen Strömungen gegen ihn zusammenschlössen. Bei den
Wahlkampfveranstaltungen zog er die Bilanz seiner fünfjährigen Amtszeit. Bouteflikas wichtigster Pluspunkt war
der Rückgang der Gewalt durch die Zurückdrängung des radikalen Islamismus.
Der entscheidende ideologische Unterschied zwischen Bouteflika und Benflis lag in der Wirtschaftspolitik. Während
Bouteflika auf die Privatisierung bis hin zur Erdölindustrie setzte, versprach Benflis einen sozial abgefederten Übergang zur völligen Marktwirtschaft. Algerien weist eine Arbeitslosenquote von über 30 Prozent auf. Jeder zweite
Algerier unter dreißig ist ohne Arbeit.
Hinter dem Konflikt zweier FLN-Männer verbarg sich eine Auseinandersetzung in der Armee. Viele Generäle fühlten sich vom Präsidenten bevormundet und übergangen. Sie setzten auf einen Wechsel und damit auf Benflis, während ein anderer Teil noch immer Bouteflika unterstützte. Wegen dieses Streits hatte die "große Stumme", wie der
Volksmund die Armee nennt, ihr Schweigen gebrochen und erklärt, sich nicht in die Wahlen einmischen zu wollen.
Die Generäle hatten in der Vergangenheit sowohl Bouteflika als auch dessen Vorgänger Liamine Zeroual unterstützt.
Um es im ersten Anlauf zu schaffen, buhlte Bouteflika um die Wählerschaft der FIS. Vor ihrem Verbot 1992 erzielte
die islamistische Formation 3,5 Millionen Stimmen. Bouteflika richtete vor wenigen Monaten eine Kommission ein,
die sich um das Schicksal der 4.000 bis 7.000 unter der Repression Verschwundenen kümmern soll. Außerdem legte
er bei einem Besuch im Iran demonstrativ einen Kranz am Grabe von Ajatollah Chomeini nieder. Doch trotz aller
Gesten sind sich die Führer der FIS nicht einig. Der vor zehn Monaten freigelassene ehemalige Vorsitzende Abassi
Madani rief zum Boykott auf, während die in Deutschland ansässige Auslandsleitung der verbotenen Partei zur Wahl
von Bouteflika riet.
Bouteflika gewann die Wahl mit – so mehrere deutsche überregionale Zeitungen – „verdächtigen“, „nach Wahlmanipulation riechenden“ 85 %! Dann begann die Abrechnung mit regimekritischen Gegnern, insbesondere ein Feldzug
gegen die ihm feindlich gesinnte algerische Presse, die unter Zuhilfenahme der Gerichte mundtot gemacht werden
sollte: exemplarisch die Verurteilung des Redaktionsdirektors der algerischen Tageszeitung "Le Matin", Mohammed
Benchicou, zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße in Höhe von 230 000 Euro. Dem bekannten Journalisten und
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scharfen Regimekritiker warf das Gericht vor, gegen die Devisenbestimmungen verstoßen zu haben. Übereinstimmend sind die privaten algerischen Zeitungen davon überzeugt, dass hier ein politischer Prozess geführt wurde, um
die kritische Presse mundtot zu machen. Auch die Gewerkschaft der Journalisten, der oberste Ethikrat und die internationale Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilten die Entscheidung des Gerichts.
Benchicou hatte während des Präsidentschaftswahlkampfes Bouteflika besonders scharf attackiert, diesem Korruption vorgeworfen und ein Buch mit dem Titel "Bouteflika, eine algerische Hochstapelei" veröffentlicht. Der Präsident
kündigte darauf an, dass er nach seiner Wiederwahl dafür sorgen werde, diesen Journalisten, diesen "Söldnern der
Feder", die sich nicht viel von Terroristen unterschieden, das Handwerk zu legen. Wie man sieht, ist Bouteflika nicht
nur ein wortgewaltiger Politiker. Zumindest in dieser Angelegenheit pflegt er auch sein Wort zu halten.
Weniger Eile scheint der Präsident allerdings damit zu haben, seine anderen Wahlversprechen in die Tat umzusetzen.
Er wolle das soziale Elend nachhaltig lindern, versprach er auf seinen Wahlkampfreisen. Seine Regierung werde die
Umwandlung zur Marktwirtschaft beschleunigen, zwei Millionen neue Arbeitsplätze schaffen und eine Million neuer
Wohnungen bauen. Dank seiner sprudelnden Energieressourcen hätte Algerien genügend Geld zur Verfügung. Durch
die hohen Erdölpreise sind die Kassen des Staates derzeit mit 42 Milliarden Dollar (fast 34 Milliarden Euro) prall
gefüllt.
Doch wie schon in der Vergangenheit profitiert von dieser prall gefüllten algerischen Kasse nur eine kleine Oberschicht. Die große Mehrheit der Arbeitslosen und Armen in Algerien, die von lächerlich geringen Subventionen
leben muss, hat davon nichts. Denn ein politisches Programm, das diesen Zustand zu ändern verspräche, ist noch
immer nicht in Sicht.“ (DIE WELT, 22.06.04)
3. Tunesien
In Tunesien sympathisierten die militanten islamischen Fundamentalisten der Ende der siebziger Jahre von Rashid
al Ghannoushi gegründeten und schon bald darauf verbotenen MTI ("Mouvement de la tendance islamique") seit
Jahren offen mit dem Iran - eine Ausnahme in der sunnitisch-islamischen Welt - und wurden von dort mit Geld und
Waffen unterstützt. Rashid al Ghannoushi steht geistig in der Tradition der ägyptische Muslimbrüder und ihres
1966 durch Nasser gehenkten Chefideologen Sayyid Qutb. Auch ihn bewegen die zentralen Fragen aller Islamisten:
Warum ist die Geschichte über die Muslime als Erben eines Weltreiches und einer Hochkultur hinweggegangen?
Warum können die Muslime die von den Islamisten so gesehene Fremdbestimmung durch die westliche Zivilisation
nicht abschütteln, indem sie den westlichen Einflüssen auf den Gebieten Kultur, Technik, Wirtschaft, Politik und des
Rechts islamische Vorstellungen entgegensetzen? Warum lässt die westliche Zivilisation mit ihrer den Muslimen
überlegenen Technik sie wie Verlierer aussehen, so dass sie nur die Möglichkeit sehen, sich aus Stolz und (übertriebenem) Ehrempfinden in religiösen Eifer oder islamischen Chauvinismus zu flüchten? Die Reaktionen in der islamischen Welt im sogenannten „Karikaturenstreit“ um ihren Propheten Mohammed und eine kritische Sicht auf den
Islam und die unter Berufung auf den Islam handelnden Selbstmordattentäter, was einen der Karikaturisten Mohammed als Selbstmordattentäter mit einer Bombe im Turban darstellen ließ, sprechen beispielhaft eine beredte Sprache!
Es fühlten sich viele Muslime – insbesondere die, die in den Ländern von Indonesien bis Nord-Afrika nie eine der
Karikaturen gesehen hatten, trotzdem auf die Straßen gingen und dänische Flaggen verbrannten, von denen die Analphabeten vorher gar nicht wussten, wie der Dannebrok überhaupt aussieht - schon allein durch die bildliche Darstellung ihres Propheten (aufgehetzt) beleidigt, obwohl das Verbot der bildlichen Darstellung Mohammeds ausschließlich für Angehörige dieses Glaubens gelten kann und gar nicht mal für alle Muslime gilt: die Schiiten kennen
dieses Darstellungsverbot nicht! Auf jeden Fall besteht dieses Darstellungsverbot nicht für Angehörige eines anderen
Glaubens. Der Abdruck der Karikaturen ist in Europa durch die Pressefreiheit gedeckt. Trotzdem verlangten aufgebrachte Muslime/Muslimhorden von der dänischen Regierung eine Entschuldigung, die ihnen mit dem Hinweis auf
die Urheberschaft der Zeitung, deren Pressefreiheit und das nicht Involviertsein der dänischen Regierung zu Recht
verweigert worden war. Aber für einen traditionellen bis fundamentalistischen Muslim, für den die von Mohammed
verkündete Einheit von Staat und Religion besteht, für den die Gebote der Religion allen staatlichen Handlungen
Maß und Ziel geben, ist der Säkularismus der europäischen Aufklärung nicht nachvollziehbar. Sie vermögen keine
Grenze zwischen Empfindlichkeitskult und Pressefreiheit zu sehen.
Im Mai 1991 putschten islamische Fundamentalisten der An-Nadha-Bewegung, um ohne Legitimation durch eine
Wahl das Land - wie vorstehend für Algerien beschrieben - ebenfalls in einen theokratisch-islamischen Gottes-
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staat mit allen damit verbundenen religiös-rechtlichen Konsequenzen umzuwandeln. Die (verfassungs)hochverräterischen Umtriebe konnten für dieses Mal noch unterbunden werden. Im Oktober 1991 wurde gemeldet, islamische Fundamentalisten seien verhaftet worden, weil sie einen Mordanschlag auf Staatschef Zine el
Abidine Ben Ali geplant gehabt hätten. Die Verhafteten hätten gestanden, das Flugzeug Ben Alis mit einer Flugabwehrrakete des US-Typs Stinger abzuschießen. Knapp ein Jahr später hat daraufhin das Militärgericht von Tunis den
nach London geflohenen Chef der verbotenen Moslempartei Ennahda ("Wiedergeburt"), Scheich Rachid Ghannouchi, und 30 seiner Mitstreiter wegen dieser Vorwürfe zu lebenslanger Haft verurteilt.
Die meisten Fundamentalisten Tunesiens entstammen den unteren Sozialschichten und dem Kleinbürgertum, während das stark verwestlichte Großbürgertum die laizistische Staatsform beibehalten will, so dass auch in Tunesien
der Fundamentalismus zugleich zu einem Problem der Klassengegensätze geworden ist. Aus diesen Erfahrungen speist sich das Urteil des tunesischen Historikers und Kulturkritikers Hischam Dschait: "Der Fundamentalismus
ist für mich eine unvermeidliche Katastrophe, ein Übel, das durch nichts und niemanden aufgehalten werden kann. ...
Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, wir leben im Zeitalter der hirnlosen, verrückten Bärtigen, und es bleibt uns
nichts anderes übrig, als unsere Niederlage einzugestehen."
4. Sudan
Im Sudan, dem größten Land Afrikas, herrschte bisher die meisten Jahre seit der 1956 erlangten Unabhängigkeit
ein die Entwicklung des Landes verzehrender Bürgerkrieg. Er wird immer wieder von der zum größten Teil sich
arabischstämmig fühlenden und islamischen Majorität des Landes im Norden gegen die hauptsächlich negroide und
christlichen oder Naturreligionen verbundene Bevölkerung im Süden des Landes geführt. Die Geißel des schon
mehrfach aufgeflammten und dann jeweils jahrzehntelang andauernden Bürgerkrieges, der in einem der ärmsten und
von vielen biblischen Plagen heimgesuchten Länder Afrikas alle an sich für die Entwicklung des Landes dringlichst
benötigten Mittel bindet, könnte von der gesamten Bevölkerung genommen werden, wenn die arabisierten Fundamentalisten des Nordens unter der Führung u.a. Hassan al Tourabis, des „Khomeinis von Khartum“, die Geltung
insbesondere des Strafrechts der Scharia mit ihren verstümmelnden Körperstrafen nicht auch auf den andersgläubigen Süden des Landes ausdehnen wollten. Dazu ist die Militärregierung des Nordens, die im September 1973 durch
die sogenannten "September-Gesetze" den Islam zur Staatsreligion erklärt hatte und unter permanentem Druck
islamischer Fundamentalisten - und deren ausländischer Geldgeber(!) - steht und deren politische Vertreter hin und
wieder an der Regierungsmacht beteiligen musste, bisher nicht bereit gewesen. Lieber lässt sie das Land verbluten!
Dahinter stehen religiöse Überzeugung und politisches Kalkül: Die miteinander rivalisierenden islamischen Bruderschaften des Sudans, die Ansar der Mahdi-Familie und die Khatimiya der Mirghani-Familie, und die aus den
Moslembruderschaften hervorgegangene Massenbewegung "National Islamic Front" NIF ist in diesem Land so
stark, dass niemand, der - politisch, aber auch rein kreatürlich - überleben will, sich gegen ihre Ziele stellen kann.
Das musste der "afrikanischer Ghandi" genannte Führer der islamischen Sekte "Republikanische Brüder", Taha, am
eigenen Leibe erfahren, als er seine Lehren von einem reformierten, säkularisierten Islam in einer laizistischen Gesellschaft mit Trennung von Staat und Religion und unter Ablehnung (zumindest der Hudud-Strafen) der Scharia
vertrat. Er wurde wegen Abfalls vom rechten Glauben am Galgen gehenkt. Der nördliche Sudan ist - mit oder ohne
Regierungsbeteiligung - von einem fundamentalistischen Regime beherrscht. Ausdruck hierfür ist neben vielen anderen Ausflüssen aus der Geltung der Scharia u.a, dass sich keine Frau dort mehr ohne Schleier in der Öffentlichkeit
zeigen darf, Andersgläubige bei Prozessen nicht mehr als Zeugen zugelassen werden. Für ägyptische Fundamentalisten ist der Sudan Vorbild bei der angestrebten Umgestaltung Ägyptens in ein nur dem göttlichen Gesetz der Scharia
unterworfenes Land.
5. Jordanien
In Jordanien, dem einzigen Land, in dem die seit den dreißiger Jahren des 20 Jahrhunderts dort entstandene Muslimbruderschaft legalisiert ist, wo sie in den letzten Wahlen mit dem plakativen Slogan: "Der Islam ist die Lösung!" antrat und mit 22 Abgeordneten ins 80köpfige Parlament einzog, musste der in seiner Stellung geschwächte
König als einziger Herrscher eines arabischen Landes im November 1990 insgesamt fünf bis sieben Moslembrüder
und ihnen nahestehende "unabhängige Moslems" in das Kabinett aufnehmen und hat damit eine zum Teil funda-
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mentalistische Regierung. Der Einfluss der Moslembruderschaft in Jordanien, die rund 30 % der Abgeordneten des
nationalen Parlamentes zu ihren Anhängern zählt, ist u.a. deswegen so groß, weil das Land bettelarm ist. Mehr als
ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung ist ohne Arbeit und damit ohne Einkommen. Diese Armen sind wegen
des Fehlens eines staatlichen sozialen Auffangnetzes auf das von den Moslembruderschaften aufgebaute
Hilfsnetz angewiesen. Der Einfluss von Hamas - praktisch der bewaffnete Arm der Moslembruderschaft - geht
aber noch wesentlich weiter. So gehört z.B. der jordanische Parlamentspräsident Abd el-Latif Arabiat nicht nur zur
Moslembruderschaft im haschemitischen Königreich, er ist zugleich auch Führungsmitglied von Hamas. Die den
Moslembrüdern teilweise in Personalunion nahestehende Untergrundorganisation "Hamas" führt in den israelisch
besetzten Gebieten Palästinas und dem israelischen Kernland in Konkurrenz zur weltlichen PLO und den von ihr
gesteuerten Aksa-Brigaden einen blutigen Untergrundkrieg gegen den Judenstaat - meint damit aber auch die gesamte westliche Lebensart und deren herausragenden Exponenten, die USA als internationale Schutzmacht des Judenstaates, von der sie sich in ihren Verfolgungsängsten, insbesondere nach dem völkerrechtswidrigen Angriff auf den
Irak und die Misshandlungen willkürlich gefangengenommener Irakis, und in ihrem Streben nach der islamischen
Weltherrschaft ständig angegriffen glaubt. Moslembrüder, Hamas und Fatah mit den ihr nominell unterstellten
Tansin-Zellen wollen die "Befreiung des ganzen islamischen Palästinas "von Bahr bis Nahr" (vom Mittelmeer
bis zum Jordan). Beide sehen das Konzept des PLO-Chefs Arafat (der seine politischen Aktivitäten in der Moslembruderschaft begonnen hatte) neben Israel einen Palästinenserstaat zu bilden, als "Verrat am Islam und am Blut
unserer Märtyrer" an. Mit dieser Einstellung wird Palästina ein ungelöschter Brandherd menschenmordenden
Hasses bleiben.
Die jordanischen Moslembruderschaften wollen den islamischen Staat „von unten nach oben“ durchsetzen und gelten
darum als staatstragende, „reformerische(!) Islamisten, während der „Islamische Dschihad“ und die „Islamische
Befreiungspartei“ (Hisb al-Tahrir / Hizb ut-Tahrir) in Jordanien den von ihnen angestrebten islamischen (Kalifats)Staat „von oben nach unten“ durchsetzen wollen, zur Not auch mit revolutionärer Gewalt. In einem Land können
sich also durchaus „reformerische“ und „revolutionäre“ Islamisten wie die radikalen Salafisten um u.a. den inzwischen ebenfalls mit an vorderster Stelle auf der internationalen Fahndungsliste stehenden Terroristen Abu Musab alZarqawi, den Anführer von „Al Tawhid wa Al Jihad“ („Einheit und Heiliger Krieg“), gegenüber stehen! Diesen
Radikalen gelten alle Nichtmuslime, ja sogar schiitische Muslime als „Ungläubige“ - und damit als Feinde.
6. Kuwait
In Kuwait, das neben der Mehrheit sunnitischer Moslems eine nicht zu vernachlässigende Minderheit von 30 - 35
% schiitischer Moslems zu seiner Bevölkerung zählt, von denen die Hälfte iranischen Ursprungs ist und sich dessen trotz weitgehender Arabisierung und wirtschaftlich-politischer Integration auch rühmte, war im Mai 1985 während des ersten Golfkrieges zwischen dem Irak und dem von diesem angegriffenen Iran von einem Mitglied der
schiitisch-irakischen Fundamentalisten-Organisation "Ad-Dawa al Islamiyya" (Der Islamische Ruf) ein Bombenattentat auf den Herrscher von Kuwait versucht worden. Es verlief aber nicht so "erfolgreich" wie das von ägyptischen
islamischen Fundamentalisten des Heiligen Islamischen Krieges 1981 verübte Attentat auf den ägyptischen Staatspräsidenten Sadat. Über Sadats Ermordung jubelte die ägyptische Moslembruderschaft, denn Sadat hatte mit dem
zwischen Ägypten und dem Erzfeind der Fundamentalisten, Israel, abgeschlossenen Camp-David-Abkommen die
politischen Fesseln des fundamentalistischen Islam gesprengt.
Das Leben in Kuwait ist religiös nicht so streng reglementiert wie in manchen anderen islamischen Staaten. Neuerungen brechen sich Bahn; u.a. wurde 2005 das aktive und passive Wahlrecht für Frauen eingeführt – selbstverständlich gegen erheblichen fundamentalistischen Widerstand. Islamistische Kräfte glauben, dass die Beteiligung von
Frauen in der Politik dem Islam widerspricht und beschwerten sich in Kuwait nach einer Änderung des Wahlgesetzes
2005, das nunmehr auch den Frauen des Landes das aktive und passive Stimmrecht zuerkannt hat, darüber, dass es
Frauen erlaubt sein werde, sich frei unter Männern zu bewegen.
Mit den Frauen hat sich in Kuwait die Zahl der Wahlberechtigten von bislang 139.000 Männern auf nunmehr insgesamt 339.000 Wählerinnen und Wähler erhöht. Kuwait ist damit nach Bahrain, Katar und Oman das vierte Land am
Golf, das Frauen das uneingeschränkte Wahlrecht einräumt.
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7. Pakistan
Im April 1991 hatte der pakistanische Premierminister Nawaz Sharif in Islamabad angekündigt, dass in Pakistan,
dem "Land der Reinen" (gezeugt in Panik bei der Aufteilung des indischen Subkontinents durch die britische Kolonialmacht 1947, geboren in Blut bei dem daraufhin zum Teil zwangsweise vorgenommenen Bevölkerungsaustausch
nach Glaubenszugehörigkeit und gefangen im islamischen Glauben, der zur Ausweitung der Regierungsbefugnisse
bis hin zur Diktatur missbraucht wird, seit das Land bei seiner Gründung durch die religiös motivierten Massenvertreibungen als Moslem-Staat religiös zwangsdefiniert worden ist) das islamische Recht der Scharia mit u.a. ihren
Hudud-Strafen oberstes Gesetz werden solle, denn der Islam biete Lösungen für alle Probleme an - eine Argumentation, die von allen islamischen Fundamentalisten vorgebracht wird, sei es Gaddafi gegenüber der westlichen Welt
oder Khomeini gegenüber Gorbatschow. (Khomeini während des ersten Golfkrieges: "Unser Krieg heute richtet sich
nicht allein gegen den Irak und Israel oder die arabischen Scheichs am Golf, auch nicht allein gegen die Supermächte
in Ost und West. Es ist ein Krieg zwischen dem Islam und all der Ungleichheit in der kapitalistischen und kommunistischen Welt.") Dabei konnte diese Absichtserklärung des pakistanischen Premierministers durchaus vorrangig wegen bestehender innenpolitischer Zwänge abgegeben worden sein: Die Regierung wurde von der IslamischDemokratischen Allianz gebildet, deren treibender islamischer Faktor die "Jaamat-i Islami" war. Ihr muss der Nationalphilosoph Mohammed Iqbal zugerechnet werden, der die Einrichtung eines islamischen Gottesstaates fordert.
Diese Partei schürte wie keine andere Partei Pakistans den religiösen Fanatismus und befand sich in einer zunehmenden Absetzbewegung von der von ihr bisher mitgetragenen Regierung, da sie sich von dem Premierminister um
den von ihr beanspruchten Teil der Macht gebracht glaubte. Die Ankündigung der Einführung der Scharia könnte als
populistischer Rettungsanker des Regierungschefs gedacht gewesen sein!
Im Mai 1991 hat dann die Nationalversammlung den Entwurf der Regierung angenommen: Die Scharia wurde als
oberste Gesetzesnorm anerkannt. Nun muss sich künftig jeder rechtfertigen, wenn er das Fastengebot im Ramadan
nicht befolgt. Die Christen im Land dürfen vor Gericht nicht mehr aussagen. Frauen sollen mindestens vier Zeugen
beibringen müssen, um einen Mann der Vergewaltigung zu überführen, obwohl Vergewaltigungen üblicherweise
reine Zwei-Personen-Delikte sind! 1981 hatte der Fall der fast blinden Hausmagd Safiya Bibi traurige Berühmtheit
erlangt, die von ihrem Arbeitgeber und dessen Sohn vergewaltigt und geschwängert worden war. Da sie unter Hudud
nicht aussagen durfte und auch nicht die in der Scharia vorgeschriebenen vier unbescholtenen islamischen Männer
als Entlastungszeugen beibringen konnte – wie sollte sie auch? –, wurde das Vergewaltigungsopfer wegen Ehebruchs
und Unzucht zu zehn Jahren Zuchthaus und hundert Peitschenhieben verurteilt, was die Gründung der pakistanischen
Frauenbewegung auslöste. Ehebrecherinnen werden ausgepeitscht (die Peitschenmaße sind dabei bis auf den Zentimeter genau gesetzlich vorgeschrieben) oder gesteinigt. 80 % aller Frauen in pakistanischen Gefängnissen müssen
wegen angeblicher Unzucht (Zina) einsitzen und verrotten dort, weil sie sich nicht freikaufen können. Wenn ein
Mann seine Frau loswerden will, braucht er sie nur der Unzucht zu bezichtigen. Bei Mord- und Vergewaltigungsprozessen dürfen Frauen nicht als Zeuginnen auftreten. In weiten Teilen des Landes sind sie nicht erbberechtigt. Sie
dürfen keine wichtigen Dokumente unterschreiben. Pakistan ist ein dezidiert islamischer aber wegen der Militärdiktatur noch laizistischer Staat.
Die Strafverfolgung aus religiösen Gründen macht in Pakistan auch vor Geistlichen nicht Halt:
"Dianas Knie und der Koran. Prinzessin Diana ... hat in Pakistan orthodoxe Moslem gegen sich auf- und
einen ihrer Gastgeber in Schwierigkeiten gebracht. Bei ihrem Besuch in Lahore gestattete ihr das Oberhaupt der Badshani-Moschee, das Gotteshaus mit unbedecktem Knie zu betreten. Das haben dem Priester
orthodoxe Moslem zum Vorwurf gemacht und ein Gerichtsverfahren gegen Abdul Qadir Azad eingeleitet, weil er die Prinzessin nicht nur samt Knie in die Moschee hineinließ, sondern ihr auch noch die Hand
schüttelte und eine Ausgabe des Koran überreichte. Die Orthodoxen sagen, ein Moslem hätte Diana nicht
berühren dürfen, da das nur Verheirateten erlaubt sei [Logik der Berichterstattung?], und ihr - da kniefrei auch keinen Koran hätte geben dürfen." (Frankfurter Rundschau 30.09.91)
Die 30 radikal islamischen fundamentalistischen Kleinparteien, auf die Premierminister Sharif (zumindest teilweise) angewiesen war, hatten außerdem durchgesetzt, dass Pakistan nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Kaschmir
und im indischen Punjab proirakische und islamische Terrorgruppen unterstützte. Ihr Ziel ist der fundamentalistische Schulterschluss von Teheran bis weit in den Nordwesten von Indien. So wurde Pakistan zur Wiege des
islamischen Terrors, der seitdem von den USA über Europa und Kleinasien bis Indien und Indonesien die
Welt bedroht.
Ist diese Brücke erst einmal geschlagen, so kommen als nächste "Opfer" die moslemisch geprägten und mehrheitlich
von Muslimen bewohnten Republiken im asiatischen Teil der untergegangenen UdSSR in ihr Visier, nämlich u.a.
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Kasachstan, Kirgisien, das von dem iranischen Volk der Tadschiken bewohnte und darum persischsprachige Tadschikistan, das seinen ersten Präsidenten wegen "eingestandener Gottlosigkeit" verjagt hatte und dessen zweiter
Präsident Nabijew von der islamischen Opposition für kurze Zeit durch eine Rebellion gestürzt worden war, Turkmenistan, das auf Grund rücksichtsloser Monokultur beim Baumwollanbau ausgelaugte und durch Pestizide verseuchte Usbekistan - aus dem weißen Gold ist der weiße Tod geworden - und das mehrheitlich schiitische Aserbaidschan, wo im Januar 1990 Moslem-Fanatiker ein Atomlager bei Baku angegriffen haben sollen und dessen Nationalrat im Oktober 1992 den Austritt aus der Gemeinschaft unabhängiger Staaten, der Nachfolgeorganisation der
UdSSR, beschloss.
[Wenn man im islamischen Fundamentalismus eine reale Bedrohung sieht, dann besteht sie für hauptsächlich den Westen wohl vornehmlich darin, dass radikale islamische Mächte bald über Atomwaffen verfügen werden, denn die sowjetischen Atomingenieure, die bisher weniger verdienten als ein Busfahrer im
Westen, werden bevorzugte Anwerbeobjekte von Möchtegern-Atommächten sein. Warum sollte ein islamischer Führer diese Chance nicht nutzen? Diese in der ersten Auflage zunächst nur als Vermutung geäußerte Horrorvision ist am 02.01.92 durch die erste Tatarenmeldung des neuen Jahres bestätigt worden,
derzufolge sich Tadschikistan, die ärmste der früheren Sowjetrepubliken, nach Ansicht einiger seiner Abgeordneter wegen des Verkaufs angereicherten Urans und von Urantechnologie mit islamischen Staaten in
Verhandlungen befinde - was die tadschikische Regierung umgehend bestritt; genannt wurden Pakistan,
Türkei, Iran, Saudi-Arabien und der IRAK!! Jetzt könnte die Büchse der Pandora geöffnet werden. Die
atomare Bombe in der Hand der islamischen Fundamentalisten: das wäre vermutlich der GAU der
internationalen Politik. (Es sei noch einmal an den Buchtitel "Islam - Weltbedrohung durch Fanatismus"
erinnert.) Und er wird eintreten! Um gegenzusteuern, wurde auf der ersten internationalen Hilfskonferenz
für die GUS-Staaten in Washington eine Konvention gegen "Technologiesöldner" und die Bildung einer
Beschäftigungsgesellschaft mit einer Stiftung zur finanziellen Absicherung von ehemals sowjetischen
Atomwissenschaftlern - gegen Arbeitsverbot im Ausland - angeregt, damit diese Experten möglichst nicht
von Dritte-Welt-Ländern geködert werden. Da muss aber viel Geld geboten werden, denn am 26.01.92
wurde gemeldet, dass der Iran Atomwissenschaftler aus den muslimischen Republiken der ehemaligen
UdSSR mit Beträgen bis zu 30.000,- $ pro Monat anzuwerben versuche! Inzwischen ist ein von den USA,
der Bundesrepublik und Russland initiiertes "Internationales Zentrum für Wissenschaft und Technologie"
in Moskau mit einer Anfangsfinanzausstattung von 100 Mill. $ als Gemeinschaftswerk dieser drei Staaten
gegründet worden, das wohl von weiteren Staaten und Organisationen finanziell unterstützt werden wird.
Das wird aber - bei einer kritischen Masse von 3.000-5.000 Wissenschaftlern mit von islamischen Staaten,
insbesondere den Atomwaffenschwellenländern Iran, Irak Libyen und Algerien gesuchtem Atomwissen die Abwerbung einiger schwarzer Schafe nicht unterbinden können, denn in den "Nachfragestaaten" werden sie mehr als die von dem Wissenschaftszentrum voraussichtlich gebotenen 1000 $ pro Monat erhalten. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde im März 92 gemeldet, dass die in der früheren Sowjetunion gebliebenen Atomexperten 1.000 bis 1.500 Rubel erhalten - umgerechnet 15 bis 25 Mark. Ihre Gehälter sollen zwar demnächst auf zunächst 5.000 Rubel angehoben werden, aber das sind im Vergleich zu
den 11.000 $ monatlich, die die Kopfjäger der Mullahs bieten, oder zu dem Angebot von über eine halbe
Million Mark Jahresgehalt aus Pakistan nur Peanuts. Mit Pakistan hat in der Zwischenzeit ein islamischer
Staat die Atombombe in seine Hand bekommen – und das Wissen an den Iran, Libyen und Nord-Korea
weitergegeben. "Weil Israel im Besitz von Atomwaffen ist, müssen wir Moslems zusammenarbeiten, um
eine Atombombe zu produzieren.", hat Irans Vizepräsident Seyyed Attoallah Mohadscherani verkündet
(und Irans geistiges Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei forderte nicht nur den militärischen Zweig der im
Libanon operierenden, vom Iran ausgebildeten und großenteils vom Iran finanzierten und gesteuerten, sogar mit zwei Ministern an der libanesischen Koalitionsregierung beteiligten und gleichwohl wie ein Staat
im Staat agierenden libanesisch-schiitische Untergrundorganisation Hisbollah auf, alle ihre Kräfte in dem
Heiligen Krieg gegen Israel zu mobilisieren). Damit wird bald ein atomarer Gürtel in islamischer Hand um
Europa gelegt sein. Meldung vom März 1992: Der Iran habe sich zwei Atomsprengköpfe mit Trägerraketen gekauft. Vermutetes Herkunftsland sei Kasachstan. Die britische Zeitung "The European" berichtete
im Mai 1992, dass die zwei Sprengköpfe 1991 in den Iran geschmuggelt worden seien. Der Handel sei
vom kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew abgewickelt worden, der dafür vom Iran Benzin
und Devisen erhalte. Im September 92 berichtete der "Guardian", dass der Iran vier Kernwaffen von ehemaligen sowjetischen Moslem-Republiken erhalten habe. Mindestens zwei von ihnen seien einsatzfähig.
2003 hat Abdul Qadir Khan, der „Vater der Pakistanischen Atombombe“, in einem im Fernsehen in Anwesenheit des Staatspräsidenten übertragenen Geständnis zugegeben, das Know-how zur Urananreiche-
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rung und zum Atombombenbau an den Iran, an Nordkorea und an Libyen (und eventuell weitere Staaten)
verkauft zu haben, woraufhin ihm wegen seiner Verdienste, dem Bau der »Gegen-Atombombe« zu Indiens
Nuklearwaffen, vom Staatspräsidenten Pervez Musharraf väterlich verziehen wurde.]
Pakistans jetzige Regierung unter Führung des Generals Pervez Muscharraf befindet sich in einer unangenehmen
Lage: Einerseits haben die Vorgängerregierungen die Islamisierung des Landes aus Überzeugung vorangetrieben und
sich damit in eine Frontstellung zur westlichen Welt gebracht, die afghanische Talibanbewegung in ihren zu Zehntausenden (geschätzt werden 10.000-40.000) zählenden Koranschulen (Madrassas) in Pakistan groß gezogen und sie
durch ihren Geheimdienst ISI unterstützt, die 1,5 Mill. Koranschüler, die ohne diese Madrassas so gut wie keine
Chance auf ein bisschen Bildung25 haben, im gewaltsamen Dschihad indoktriniert und viele Herangewachsene zu
Milizen26 ausbilden lassen und zum Kampf nach Afghanistan geschickt, andererseits will sie die Regierung die USA
nicht verprellen, auf deren Geld in Milliardenhöhe, auf deren Waffenlieferungen sie wegen des immer wieder gewaltsam ausbrechenden Konfliktes mit Indien um Kaschmir nicht verzichten kann und weil sie um ihr Atomwaffenprogramm fürchtet. Darum sandte die Regierung Pakistans nach dem Anschlag auf die Symbole amerikanischer
Weltmacht und nachdem sie den USA die Genehmigung von Überflugrechten zum Angriff auf die dann sicher längst
geräumten Terroristenausbildungslager in Afghanistan in Aussicht gestellt hatte, eine Delegation von IslamGelehrten, Ulema, zu der von ihr (und ihrem sehr eigenmächtig die Taliban-Bewegung unterstützenden Geheimdienst ISI!) hochgepäppelten Taliban-„Regierung“, um zu erreichen, dass die vielleicht doch bin Laden ausliefere,
was die zuvor schon kategorisch abgelehnt hatte. Hinterher kam raus, dass der damalige eigenmächtig handelnde ISIGeheimdienst-Chef General Mahmud Ahmed im Zusammanspiel mit dieser Ulema den Taliban-Machthaber Omar in
seiner unnachgiebigen Haltung bestärkt hatte: Die pakistanische Regierung versucht, einen Tiger zu reiten! Und der
könnte für die Regierung zum „man-eater“ werden, nachdem die in Afghanistan geschlagenen Taliban nach Pakistan
zurückfluten, dorthin, wo sie vom fundamentalistisch dominierten Geheimdienst ISI mit aufgebaut worden waren.
Pakistan, dessen arme Bevölkerung - im Gegensatz zu der Führung des Landes - zu zwei Dritteln gegen die USA zu
der Talibanbewegung hält, befindet sich so in einer politischen Zerreißprobe. In zwei Bundesstaaten regieren schon
Islamisten. Unter ihrer Aufsicht wird Recht gesprochen wie bei den Taliban. „Pakistan droht die Talibanisierung.“
„Einige der radikalen Gruppen im Land toleriert der Staat, weil sie mit ihrem Terror für die Befreiung Kaschmirs
kämpfen. Dazu gehört die 1993 gegründete „Armee der Vorzüglichen (Lashkar-e Toiba): militante Islamisten mit
eigenen Ausbildungslagern in Pakistan und Kaschmir“ (STERN 17.08.06) Ein Bürgerkrieg ist nicht undenkbar, liegt
sogar im Bereich des Möglichen. Dem könnten die Amerikaner nicht tatenlos zusehen, denn Pakistan ist Atommacht.
Die USA könnten einen Sieg fundamentalistisch-talibanischer Kräfte mit der dann bestehenden Zugriffsmöglichkeit
auf Atomwaffen nicht hinnehmen.
Als die Amerikaner begannen, Afghanistan zu bombadieren, wurden führende Mullah-Politiker Pakistans unter
Hausarrest gestellt, damit sie nicht die gereizte muslimische Bevölkerung weiter aufwiegeln und zu Angriffen gegen
amerikanisches Eigentum aufrufen können. Unter anderem wurde der Führer der islamistischen Partei „Jamiat Ulema
e-Islam“, Maulana Fazal ur Rahman, und der Führer der islamischen Partei „Sipah-e-Sahaba, Azim Tariq, (kurzfristig) unter Hausarrest gestellt.
Der als Favorit des Militärmachthabers Musharraf 2002 gewählte Premierminister Mir Zafarullah Khan Jamali von
der Moslemliga PML-Q kündigte an, er werde die pro-westliche Politik fortsetzen.
Pakistan durchlebt nicht nur in den Auseinandersetzungen der Sunniten mit hinduistischen und christlichen Minderheiten seiner Bevölkerung, sondern auch innerhalb der Muslime durch die Auseinandersetzung zwischen Sunniten
und Schiiten eine spannungsreiche, gegeneinander gerichtete Zwangsgemeinschaft der Rechtgläubigen, deren ideologische Diskrepanzen so tiefreichend sind, dass sich 2004 nach einem Anschlag auf eine schiitische Moschee und
rachedurstiger Gegengewalt ein sunnitischer Selbstmordattentäter in einer schiitischen Moschee in die Luft sprengte!
In einem tödlichen Wechselspiel vergelten die beiden Religionsgruppen untereinander wie bei einer Schraube ohne
Ende Gewalt mit immer neuer Gegengewalt. In den letzten acht Jahren sind mindestens 3000 Menschen bei Zusam-
STERN 17.08.06 über die staatlichen Schulen in Pakistan: „58 Prozent des 150-Millionen-Volkes können nicht lesen und
schreiben. … 15 Prozent der Schulen im Land haben kein festes Gebäude, 40 Prozent keinen Wasseranschluss, 71 Prozent
keinen Strom. Eine Untersuchung des Bundesstaates Punjab ergab kürzlich, dass in 4000 von 15 000 Schulen kein Lehrer anwesend war. Viele Lehrstätten sind nur sporadisch geöffnet.“ Im Gegensatz dazu werden die Jungen in den Madrassas oft jahrelang gekleidet, untergebracht, ernährt und 5 Stunden am Tag hauptsächlich im Koran unterwiesen.
26 STERN 17.08.06: „Einer Studie der Weltbank zufolge steht in jeder fünften Madrassa auch militärisches Kampftraining auf
dem Lehrplan.“
25
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menstößen zwischen Sunniten, die circa 80 % der Bevölkerung ausmachen, und den rund 17 % Schiiten getötet worden. Die Zusammenstöße zwischen den beiden Religionsgruppen haben seit 2000 kontinuierlich zugenommen.
8. Islamische Staaten der GUS
Während der Sowjetherrschaft hatte es trotz der repressiven Religionspolitik der Moskauer Zentrale immer einen in
der asiatischen Bevölkerung des Sowjetimperiums tief verwurzelten Islam gegeben, den auch die Atheisten trotz
diesbezüglicher Versuche und Verfolgungen nicht hatten ausrotten können: Kleidung, Essgewohnheiten, Hochzeiten,
Beschneidungs- und Bestattungsrituale waren weiterhin durch den Islam geprägt, denn die paar Jahrzehnte sowjetischer Herrschaft waren im Vergleich mit den mehr als 1.000 Jahren Islam in diesen Gebieten nur ein Wimpernschlag
der Geschichte. Der Islam war so nicht nur Religion, sondern Volkskultur, mit der man sich schon immer zuerst
gegen die russischen Eroberer und dann gegen die sowjetischen Kolonialherren abgegrenzt hatte. Der Islam war so
eine verschränkende Verbindung mit dem Nationalismus der zentralasiatischen Völker eingegangen.
Die traditionelle Religiosität war in Zentralasien nie verloren gegangen, u.a. auch deshalb, weil der Islam weniger
auf Institutionen angewiesen ist als etwa die orthodoxe Kirche. Was als im öffentlichen Leben in Erscheinung tretender Islam von dort nicht hatte verbannt werden können, war als „offizieller Islam“ geduldet worden. Daneben hatten
sich geheime Bruderschaften gegründet, so dass sich durch Tariqa, Sufi- und Derwischorden ein „geheimer Islam“/“Schattenislam“ gebildet hatte. In den Zeiten der größten Repression war die Moschee als Teehaus getarnt
worden. So war der Islam – was aber nicht mit islamischem Fundamentalismus gleichgesetzt werden darf - immer
eine bedeutende Komponente der Tradition und der Identitätsfindung geblieben. Das kulturelle Erbe lebte und konnte nach der Auflösung der UdSSR wieder erblühen. Die Moscheen wurden – teilweise mit Geld aus islamischen
Staaten – ausgebaut.
Die überwiegende Mehrheit der zentralasiatischen Bevölkerung gehört dabei der sunnitischen Glaubensrichtung und
der hanefitischen Rechtsschule des Islam an. Schiitische Minderheiten gibt es in Usbekistan und Turkmenistan, Ismailiten in Tadschikistan.
Zentralasiatische Islamisten hatten ihren Traum eines großen zentralasiatischen Turkreiches nie aufgegeben. Längst
hatten sich im zerfallenden Sowjetreich auch die islamischen Fundamentalisten zu Wort gemeldet. Ihr Einfluss war
so groß geworden, dass z.B. der damalige sowjetische Staatschef Gorbatschow gut zwei Jahre vor dem Ende
der UdSSR mit dem iranischen Präsidenten Rafsandschani in Moskau ein Abkommen ausgehandelt hatte, in dem der
Austausch von Geistlichen beider Staaten vereinbart worden war. Russisch-orthodoxe Popen waren aber in der Folgezeit in der den Schiiten heiligen Stadt Qom mit seiner nicht erst seit Khomeini berühmten schiitischen Hochschule,
die das Zentrum der schiitisch-islamischen Gesetzgebung darstellt, nie gesichtet worden. Schiitische Mullahs hingegen machten in den ehedem sowjetischen Republiken Zentralasiens von den durch dieses Abkommen eröffneten
Missionsmöglichkeiten regen Gebrauch. Inzwischen überschlug sich die von den Islamisten langfristig angestrebte
politische Entwicklung bis hin zur Einführung der Scharia und der Einrichtung eines Kalifats, weil die tönernen Füße
des sowjetischen Koloss' zusammengebrochen waren. Heutzutage sehen sich Rußland und die Regime in Zentralasien in einer Front gegen den Aufbau islamistischer Gottesstaaten im Nordkaukasus oder im auf die Gebiete der drei
Länder Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan reichenden Fergana-Tal, das die Bewohner „Paradies der Welt“
nennen, der mit 626 Menschen/km2 am dichtesten besiedelten Region Zentralasiens.
Die Türkei, der Iran und Pakistan als die moslemischen Randstaaten der ehemaligen UdSSR hatten auf Grund ihrer
Nähe zu dem Vielvölkerkoloss UdSSR frühzeitig die ersten seismographischen Schwingungen des Zusammenbruchs
erkannt, sie als Allahs Gericht über die Gottlosen begrüßt und sich auf die neue Entwicklung eingestellt. Damit ist
der Einfluss dieser ehemals an der islamischen Peripherie liegenden Staaten gewachsen. Er wird noch dadurch verstärkt werden, dass diese Staaten ihre in der 1964 gegründeten ECO begonnene wirtschaftliche Zusammenarbeit auf
die neuen islamischen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion ausweiteten. Fernziel ist, zusammen mit allen
sechs islamischen Nachfolgestaaten einen gemeinsamen islamischen Markt zu gründen. Von ihrer Stellung auf dem
Bogen der von Marokko bis Indonesien reichenden Ellipse der islamischen Glaubensverbreitung sind sie mehr zum
Brennpunkt geworden. Türken und Iraner werden unweigerlich künftig mehr Einfluss auf die islamische Welt
erhalten, nachdem sie ihrerseits mehr religiös-spirituellen Einfluss auf die neugebildeten zentralasiatischen Moslemstaaten erhalten haben, über die sie eine quasi Schutzmachtfunktion anstreben. Was dieser Region im Vergleich zu den reichen Erdölstaaten Arabiens an wirtschaftlicher Potenz fehlt, machen sie an Bevölkerungszahlen
wett: Mehr als 320 sich darüberhinaus rapide vermehrende Millionen Menschen leben zwischen Bosporus und Indus,
gut dreimal soviel wie im "Fruchtbaren Halbmond", dem bisherigen geistigen Zentrum des Sunni-Islam. Der
60
Schwerpunkt des Islam wird sich wieder in Richtung der Gebiete alter islamischer Gelehrsamkeit im Zentralasien des
10. Jahrhunderts verschieben. Iranisches Geld und türkisches Know-how werden in Mittelasien langfristig zu einer
Neuorientierung führen, vielleicht zu einem von türkischen Fundamentalisten erträumten moslemischen
"Turan", dem legendären Groß-Turkestan, das nach Ansicht einiger politischer Träumer auch das auf chinesischem
Territorium liegende Gebiet der Autonomen Region der "ostturkestanischen" Uiguren Xinjiangs umfassen könnte,
wo sich im Gebiet von Kaschgar auch schon Islamisten regen. Zu diesem Zweck ist ein "Internationales Komitee
Ostturkestan" zur Befreiung des 1949 von den Chinesen annektierten "Ostturkestan" sowie eine "Front für die Befreiung Uigurstans" mit Sitz in der kasachstanischen Hauptstadt Alma Ata gegründet worden.
Die Türkei und der Iran befürchten zwar einerseits, von unvorhergesehenen politischen Entwicklungen aus diesem
Raum in Mitleidenschaft gezogen zu werden - die (noch) laizistische Türkei fürchtet das Übergreifen fundamentalistischer Strömungen aus dem Raum der sprachlich verwandten Turkvölker auf das "Mutterland", und der Vielvölkerstaat Iran mit nur rund zwei Dritteln Persern befürchtet ein Anwachsen nationalistischer Bestrebungen im eigenen
Herrschaftsbereich durch das Erstarken der Nachbarstaaten -, andererseits kämpfen aber beide Staaten - neben Libyen - um größtmöglichen Einfluss auf die entstehenden politischen Gebilde in Zentralasien. Beider Staaten Waffe ist
das Alphabet, nun, da die Zentralasiaten die von Moskau oktroyierte kyrillische Schrift wieder abschaffen wollen:
Ankara wirbt - entgegen fundamentalistischer Bestrebungen im eigenen Land um Rückkehr zur arabischen Schrift
der Osmanenzeit - für das lateinische, westliche Alphabet, Theheran aus "religiösen und kulturellen Gründen" für
das arabische. "Beide wissen: Die Wahl der Schrift bedeutet eine politische Vorentscheidung über säkulare
Republik oder islamischen Gottesstaat" (Koydl). Die Türkei scheint nicht nur diesen Wettlauf zu gewinnen, sondern auch im Wettstreit zwischen laizistischem, pro-westlichem Kemalismus und dem fundamentalistischen
Khomenismus als Modell für den Aufbau der islamischen GUS-Nachfolgestaaten erfolgreicher als der Iran zu sein.
Das von den Türken zum Zwecke des "Kulturkampfes" aufgebaute Satelliten-Fernsehen "Avrasya" hat der amerikanische Geheimdienst bezahlt, um - was ausdrücklich zugestanden wird - den iranischen Einfluss in diesen neuen
Staaten zurückzudämmen, was wiederum im türkischen Interesse ist und wütende iranische Attacken hervorrief. Mit
diesem Fernsehprogramm in zum Teil vereinfachtem Türkisch, das bei allen Turkvölkern der GUS-Staaten verstanden wird, werden mehr als 50 Millionen Bewohner Aserbaidschans, Turkmenistans, Usbekistans, Kirgisiens
und Kasachstans erreicht und beeinflusst. Die USA dürfen außerdem türkische Flughäfen für Hilfslieferungen in die
islamischen Länder der ehemaligen Sowjetrepublik benutzen, wo sie zur Stärkung des "westlicheren" und Zurückdämmung des iranischen Einflusses Hilfsgüter hinliefern.
In diesen neuen islamischen Staaten war zunächst ein Prozess mit oft bürgerkriegsähnlichen Ausbrüchen in Gang
gekommen. Die Brandfackel wurde auf dem islamischen Krisenbogen vom Kaukasus bis Zentralasien weitergereicht.
So wurde z.B. in der persischsprachigen - aber gleichwohl überwiegend sunnitischen - islamischen Republik Tadschikistan, in der 70 % der Bevölkerung unter 30 Jahre alt ist und die in ihrer wirtschaftlichen Hoffnungslosigkeit
von einem islamischen Gottesstaat (iranischer?) Prägung träumt, die schiitische Sekte der Ismaeliten von den Sunniten blutig verfolgt. In Usbekistan metzelten die Usbeken die Mescheten nieder, obwohl beide Volksgruppen Sunniten sind. Da kann man sich vorstellen, wie der Kampf zwischen den christlichen Armeniern und den muslimischen
Aserbaidschanern geführt werden wird, wenn niemand mehr das großflächige Aufflammen des zurzeit nur lodernden
Steppenbrandes zu verhindern vermag. Und es wird zu weiteren Explosionen oder Implosionen kommen! Zwar bestimmt vorläufig noch das Streben nach Unabhängigkeit von der Moskauer Zentrale Denken und Handeln der führenden Politiker in den islamischen Randrepubliken. Und ihr Eigennutz, die Sorge um ihre Politpfründe, wird die
gerade entstandenen Staatengebilde zumindest noch für einige Zeit am Leben erhalten. In diesen Ländern Zentralasiens haben sich die Potentaten mehr der Korruption denn demokratischen Reformen gewidmet. So sind die Länder in
der politischen Entwicklung stehen geblieben.
Aber immer häufiger treten eifernde Prediger auf, die die mehr als 50 Millionen Muslime der früheren Sowjetunion zum Kampf für den "gemeinsamen Gottesstaat aller Gläubigen" aufrufen. Der Islam mit der Umma alIslamiya, der Gemeinschaft aller rechtgläubigen Muslime, sei allein in der Lage, die bisherige Aufsplitterung der
Gemeinschaft der asiatischen Muslime des ehemaligen, durch viele Kriege zusammengeraubten Sowjetimperiums in
absurde Teilrepubliken zu überwinden. Das ist das Ziel der Wiedergeburtsbewegung "Nachta“ , die sich einer
großen zentralasiatisch-islamischen Tradition bewusst ist, wofür z.B. die Mir-i-Arab-Medresse in Buchara als eine
der früher wichtigsten Hochschulen islamischer Gelehrsamkeit steht. Die asiatischen Muslime des zerfallenen Sowjetimperiums, die bis zu ihrer Unterwerfung unter die kommunistische Herrschaft aufopferungsvoll gegen die „gottlosen“ roten Zaren gekämpft hatten, empfinden die sich anbahnende Entwicklung als ein Zeichen der göttlichen
Allmacht, wenn sich die gottlosen russischen Herrscher auf Grund eines Gottesgerichtes vom Kaukasus bis zum
Pamir aus den mehrheitlich islamischen Republiken zurückziehen müssen. 1924 hatte Stalin den einheitlichen Staat
Turkestan in die fünf Teilrepubliken Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien, Turkmenistan und Tadschikistan
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zerschlagen und dabei die Grenzen zwischen diesen Republiken ständig verändert, was die Herausbildung
eigener nationaler Identitäten erschwerte. Warum sollte da die alte und gar nicht so lange vergangene politische
Einheit nicht wiederherstellbar sein? (Das persischsprachige Tadschikistan steht bei den Überlegungen zur Gründung eines "gemeinsamen Gottesstaat aller Gläubigen" als Ziel der Islamisten aus den Turkvölkern etwas außen vor.)
Das geschähe unter türkischer Führung oder Hegemonie. Die Türken werden von den führenden Politikern aus
den Einzelstaaten der Turkvölker jetzt schon als Vorbild umschmeichelt: "Auf der türkischen Straße " wolle man
marschieren, hat der frühere usbekische Kommunistenführer und spätere Präsident von Usbekistan, Islam Karimow,
versprochen. Die Türkei sei "das einzige Vorbild", schwärmte der Präsident von Kasachstan, Nursultan Nasarbajew;
sie gleiche dem "Morgenstern, der uns den Weg zeigt", liebedienerte der (2005 von der Bevölkerung wegen seiner
Wahlmanipulationen nach tagelangen Massenprotesten dann binnen Stunden verjagte und durch den Oppositionsführer und ehemaligen Regierungschef unter Akajew, den reichsten Südkirgisen Bakijew, als Übergangspräsident ersetzte) vormalige, autokratisch regiert habende Präsident von Kirgisien, Askar Akajew. Darum sah der damalige türkische Staatspräsident Turgut Özal "das Jahrhundert der Türken" heraufziehen. Entsprechend waren seine Reden
und Gesten dem Westen gegenüber. (Und wer will schon einem in absehbarer Zeit so mächtigen Politiker solche
Kleinigkeiten wie Menschenrechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen vorhalten?) Schlechte Zeiten für die
russischen Minderheiten in diesen Republiken! Doch wohin sollen 10 Millionen Russen aus den islamischen Republiken repatriiert werden, wenn es schon einer kaum zu leistenden eigenen Kraftanstrengung und vieler deutscher
Milliarden bedurfte, 425.000 sowjetische Soldaten aus der Ex-DDR, Osteuropa und dem Baltikum zurückzuziehen?
Gorbatschow soll gesagt haben, dieses Problem sei nicht einmal von Christus zu lösen; von Marx und Lenin war gar
nicht mehr die Rede. Boris Jelzin empfand den aus dem Süden der ehemaligen UdSSR und Russlands kommenden
islamischen Fundamentalismus als eine reale Gefahr. Im Kaukasus tobte schon ein Krieg zwischen den Völkern,
angefacht auch durch einen militanten Islam. Der Kampf zwischen dem seit 301 n.Chr, gregorianisch-christlichen
Armenien, dem ersten christlichen Staat der Welt, und dem seit dem 7. Jahrhundert moslemisch gewordenen
Aserbaidschan drohte, den Süden der untergegangenen UdSSR in Brand zu setzen. (Für die Armenier sind die turkstämmigen und von der Türkei beim Aufbau ihrer Armee und dem Kampf um Berg-Karabach u.a. durch Militärberater und Waffenlieferungen unterstützten Aserbaidschaner verhasste "Türken" - wie die Türken selbst, die 1915 in
einem Völkermord ca. 1,5 Mill. Armenier, zwei Drittel des Volkes, hingemetzelt hatten, während die Welt nur zugeschaut hatte.) Die UdSSR hatte die rein armenischen Gebiete Nachidjewan und Berg-Karabach an Aserbaidschan
gegeben, ohne dass dafür - außer einer Gebietsarrondierung - ein Grund bestand – außer dem, den Kaukasus politisch instabil zu halten, um eigene Einflusssphären zu wahren. Nach der Vertreibung der Armenier aus Nachidjewan
sollte das in Berg-Karabach nicht noch einmal passieren. So kam es zum Kampf um die zu 80 % von christlichen
Armeniern bewohnte Enklave Berg-Karabach im moslemischen Aserbaidschan, der schon seit längerem zwischen
den Republiken Armenien und Aserbaidschan auszubrechen drohte und seit Ende der 70er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts in einem bisher unerklärten Krieg schon Vorgeplänkel mit Massakern an den Armeniern in Baku und
Sumgait aufwies. Noch unter der Herrschaft der Moskauer Zentralmacht der UdSSR hatten die Aserbaidschaner
schon die Transporte aus Russland nach Armenien fast völlig blockiert, und die Sowjettruppen hatten diese Blockade
nicht brechen können. Nachdem die Truppen des Innenministeriums der untergegangenen Zentralregierung abgezogen worden waren, war der Kampf in voller Härte losgebrochen. Berg-Karabach erklärte seine – von niemandem,
auch Armenien nicht – anerkannte Unabhängigkeit.
Die Vermittlungsbemühungen des Irans sind gescheitert. Die Truppen der ehemaligen Zentralmacht konnten nicht
mehr ihre bisherige Kontroll- und friedenssichernde Funktion ausüben, sondern sich nur noch selbst verteidigen.
Dafür haben sie Schusserlaubnis. Der gut ausgebildeten und kampfstarken armenischen Armee gelang es, eine Landverbindung von Armenien aus nach Berg-Karabach hin zu Wege zu bringen! Die geostrategische und die geopolitische Lage sprechen gegen sie - und die Türkei hat ihr direktes militärisches Eingreifen zugunsten der aserbaidschanischen Moslems als möglich offengehalten. 1988 verwüstete zusätzlich ein verheerendes Erdbeben weite Teile Armeniens und forderte 80.000 Tote.
Nach Behauptungen der Armenier stehen seit Jahren auf Seiten Aserbaidschans türkische Militärberater, die anfangs
sogar von dem türkischen Militärattache General Haili Kalayci geleitet wurden. Für den Fall eines Angriffs türkischer Truppen gegen Armenien hatte daraufhin Russlands damaliger Verteidigungsminister Gratschew den Armeniern Hilfe zugesagt - woraufhin der damalige türkische Ministerpräsident Demirel einen militärischen Alleingang
seines Landes gegen Armenien ausschloss. Aserbaidschan hatte unter seinem autokratisch regierenden Präsidenten
nur noch so lange stillgehalten, bis es auf Grund der schriftlichen Akzeptierung des Kriterienkatalogs der EG mit
insbesondere der Verpflichtung zum Schutz der Minderheitenrechte im Sinne der KSZE-Charta seine Anerkennung
durch u.a. die Bundesrepublik und andere europäische Mächte erhalten hatte. Warum sollte die Unterschrift unter ein
Stück Papier eine Änderung der Jahrhunderte alten feindlichen Haltung gegenüber den von der EG ebenfalls anerkannten Armeniern und insbesondere den in der Enklave eingeschlossenen Armeniern bewirken, wenn man die er-
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strebte Anerkennung erhalten hat? Einem einmal anerkannten Staat ist bisher noch nie die Anerkennung wegen Menschenrechtsverletzungen je wieder entzogen worden! Dafür sind Nazi-Deutschland und das Kambodscha der Roten
Khmer schlagende Beispiele! Der aserbaidschanische Staatspräsident Alijew hatte sich auch schon Ende 1991, noch
im Jahr der Unabhängigkeitserklärung, auf einer Tagung der Staatspräsidenten der GUS geweigert, entsprechend
dem Wunsch aller anderen Präsidenten über das Problem Berg-Karabach auch nur zu sprechen, geschweige denn
einen gemeinsamen Beschluss herbeizuführen: Das Problem Berg-Karabach sei eine innere Angelegenheit Aserbaidschans. Er trat folgerichtig 1992 aus der GUS aus - aber schon 1993 dort wieder ein.
Sofort nach dem Teilrückzug der Sowjettruppen Ende 1991 hatten in den ersten Tagen des neuen Jahres 1992 aserbaidschanische Truppen das Gebiet Berg-Karabach eingeschlossen und massiv mit Raketen beschossen - was sie
vorher schon vereinzelt getan hatten, als noch die Sowjettruppen als Puffer dort stationiert gewesen waren. Am
23.02.92 hatten Armenien und Berg-Karabach einen Hilferuf an die UNO abgesandt, weil Aserbaidschan der Enklave Berg-Karabach praktisch den Krieg erklärt habe. Nachdem der Rückzug der sowjetischen Truppen aus diesem
Gebiet angeordnet worden war, stellten beide Republiken nun mit Blick auf die erwartete kriegerische Auseinandersetzung größere Truppenkontingente auf und riefen die in den Streitkräften der anderen Republiken, insbesondere
Russlands, verstreuten Söhne des Landes auf, bei ihren Einheiten fahnenflüchtig zu werden und in ihre Heimatrepubliken zurückzukehren, um dort in die aufzubauenden Truppenkontingente integriert werden zu können. Der schiitische Iran, der das Gebiet seit 1603 beherrscht und die nördlichen Gebiete 1838 an Russland abtreten musste, aus
denen dann die Aserbaidschanische SSR gebildet wurde, die sich dann 1991 für unabhängig erklärt hatte, kam 1992
dem christlichen Armenien zu Hilfe und öffnete seine Grenzen, weil die sunnitische Türkei in einer Blockade zur
Unterstützung des turkstämmigen Aserbaidschans in einem Embargo die Grenzen gesperrt hatte. Die USA verurteilten die Blockade der Türken, bezogen aber ansonsten trotzdem Position für den für sie unverzichtbaren NATOPartner Türkei und das erdölreiche Aserbaidschan.
Armenische Truppen kämpften 1993 einen bis heute gehaltenen Landkorridor nach Berg-Karabach frei, und seit
1994 besteht praktisch ein Waffenstillstand.
1999 wurden in einem Putsch der armenische Ministerpräsident und der Parlamentspräsident im armenischen Parlament erschossen.
Inzwischen ist es um Berg-Karabach etwas ruhiger geworden, insbesondere seitdem Armenien einen Beistandspakt
mit sechs der ehemaligen GUS-Staaten schließen konnte und sowohl Armenien wie auch Aserbaidschan in die OSZE
und den Europarat aufgenommen worden sind, aber das Grundproblem ist nicht gelöst. Eines der Grundprobleme ist,
dass sich die Türkei nicht zu dem von ihr 1915 an 1,5 Mill. Armeniern begangenen Völkermord bekennen will und
ihn weiterhin leugnet, obwohl die meisten Staaten der OSZE und das Europaparlament die Ermordung der Armenier
als Völkermord eingestuft und als solchen anerkannt haben. Nur für den Fall, dass Armenien nicht mehr auf der
Feststellung des Völkermordes bestehe, hat die Türkei ein Überdenken ihrer Haltung gegenüber Armenien in Aussicht gestellt. Armenien nannte für eine friedliche Regelung drei unverzichtbare Bedingungen: 1.) Berg-Karabach
dürfe nicht unter die politische Kontrolle Aserbaidschans geraten, 2.) dürfe Berg-Karabach keine Enklave sein, es
müsse eine feste Landverbindung zu Armenien geben, 3.) müsste die Einhaltung der zu schließenden Verträge international garantiert werden. An diesem Problem arbeitet jetzt die OSZE, während die Armenier weiterhin die – nach
Einschätzung russischer Militärexperten - schlagkräftigste Armee der ehemaligen GUS-Staaten unter Waffen halten.
Eine Revolte in der konservativen Moslemrepublik im Kaukasus führte zur Bildung der Autonomen TschetschenoIngusischen Republik innerhalb des russischen Staatsverbandes, die ihre Loslösung von Russland betrieb und dabei
eigene ethnische Minderheiten bedenkenlos unterdrückte. Bei der Wahl des Tschetschenenführers und früheren sowjetischen Luftwaffengenerals Dudajew zum Präsidenten der neu gebildeten autonomen Republik waren die ethnischen Minderheiten in der Region von der Stimmabgabe ausgeschlossen, obwohl sie gut die Hälfte der 1,3 Millionen
Einwohner stellen. Der damalige russische Staatspräsident Jelzin sah es als keinen Zufall an, dass bei der Vereidigung des Tschetschenen-Generals Dudajew zum neuen Präsidenten der autonomen Teilrepublik Vertreter Syriens
und Irans anwesend gewesen waren. Darum hatte er die autonome Kaukasus-Republik auf dem Boden Russlands
unter Ausnahmerecht gestellt. Diese Entscheidung war dann allerdings vom Russischen Parlament wieder aufgehoben worden.
Inzwischen stellen die Experten, die den Zusammenbruch der UdSSR wegen der Bedrohung des Kommunismus
durch die Rückbesinnung der Randvölker in den südlichen Republiken auf ihre islamische Identität als Grund für den
Zusammenbruch des Sowjetimperiums vorausgesagt hatten, verblüfft fest, dass die christlichen baltischen Republiken der alten UdSSR den Todesstoß versetzt hatten, die politischen Führer der muslimischen Republiken aber eher
dazu geneigt haben, die Sowjetunion zu retten. Deswegen, und weil diese Führer frühere Kommunisten waren, die
sich aus der sowjetischen Nomenklatura heraus entwickelt haben, werden sie von den Islamisten nicht als „wahre“
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Muslime angesehen. Statt sich nach dem Zusammenbruch den islamischen Modellen im Iran, in Afghanistan oder der
Türkei zuzuwenden, haben sie sich mit den anderen Republiken zu den GUS-Staaten zusammengeschlossen!
Inzwischen wird die Meinung vertreten, dass Russland den Westen mit der Angst vor einem Erwachen des islamischen Fundamentalismus in seinen früheren südlichen Republiken manipuliert habe, um in Zentralasien weiterhin
ungestört schalten und walten zu können. Dieser (angeblich) bewusst aufgebaute Popanz diene nur zur Rechtfertigung der weiterhin bestehenden russischen Militärpräsenz in den nur formal unabhängigen neuen Staaten. So werde
z.B. das Offizierskorps in diesen Ländern – mit Ausnahme Aserbaidschans, wo die Russen zugunsten der christlichen Armenier in der aserbaidschanischen Enklave Berg-Karabach gegen die sunnitischen Aserbaidschaner eingriffen - noch immer überwiegend von Russen gestellt. Zugleich sei es den mehr oder weniger autokratisch herrschenden
„neu-alten“ Machteliten in Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan gelungen, nach außen hin ihre eigene Herrschaft als Alternative zum islamischen Fundamentalismus darzustellen, um sich so internationale Anerkennung und
Unterstützung zu sichern - große amerikanische Ölkonzerne stiegen daraufhin, von den Russen misstrauisch beäugt,
in die Gas- und Ölförderung der Länder ein – und jede Art von Opposition mundtot zu machen. So hatte z.B. der
usbekische Staatschef Islam Karimow 1992, als sich erste islamische Grüppchen rührten, in einem Rundumschlag die
gesamte Opposition mundtot gemacht. Mit dem Kampf gegen islamische Extremisten wird jedes zweifelhafte Handeln des undemokratischen Regiems gerechtfertigt: Im Mai 2005 wurden nach Aussagen der Vizepräsidentin von
Human Rights Watch, Bogert (DIE WELT 10.02.06), unter der Parole „Krieg gegen den Terror“ Hunderte unbewaffnete Demonstranten in Andijan niedergeschossen. Ähnlich erging es der tadschikischen Opposition, die daraufhin nach Afghanistan ausweichen musste – und so erst zum Teil unter den Einfluss der dortigen Fundamentalisten
geriet.
Ganz ohne realistischen Hintergrund sind die sowohl von den Russen wie von den alten Machthabern in den neuen
Staaten geäußerten Befürchtungen hinsichtlich der Gefahren des islamischen Fundamentalismus nicht. Es häufen sich
Meldungen z.B. über wahhabitische Enklaven in Dagestan, dem Niemandsland zwischen Christentum und Islam, die
völlig losgelöst von der Zentralmacht örtlich ihr islamisches Recht leben. Dort solle ein gnadenloser Kampf toben,
den keine Seite gewinnen könne. Das Ziel der von Bagaudin Magomedew geführten wahhabitischen Kampftruppen
ist die Errichtung eines islamischen „Staates“ im Staat. Sowohl in Dagestan wie in Tschetschenien soll ein Gottesstaat errichtet werden. Für diesen erträumten gemeinsamen islamischen Gottesstaat im gesamten Nordkaukasus führen die Ismalisten einen von ihnen ausgerufenen „Heiligen Krieg“.
Im Einzelnen ist für die ehemals zentralasiatische Sowjetrepublik folgende Entwicklung festzuhalten:
Turkmenistan/Turkmenien hat als westlichster dieser neuen islamischen Staaten in seinem Süden gemeinsame
Grenzen mit dem Iran und mit Afghanistan. Das bislang laizistische, auf den alten Clan- und Stammesstrukturen
aufbauende autokratische System Turkmenistans hat trotz dieser Nähe zu den beiden islamistisch ausgerichteten
Nachbarn keine nennenswerten Probleme mit Islamisten in der eigenen Bevölkerung. Dem bis 2006 autokratisch
regiert habenden Präsidenten „Turkmenbaschi“ (sicher in Anlehnung an Atatürk zugelegter Titel „Vater aller Turkmenen“) Saparmurat Nijasow – nach Meinung von Kritikern sei Turkmenistan durch sein Regime „eine Dreizimmerwohnung: Gefängnis, Irrenhaus und Grab“ geworden - wurden gute Beziehungen zu den afghanischen Taliban
nachgesagt.
Turkmenistan ist das abgeschottetste der autokratisch regierten islamischen Nachfolgestaaten. Der als ehemaliger
KP-Führer seit 1985 an der Macht befindliche turkmenische Nachbar des nördlich von ihm in Usbekistan diktatorisch herrschenden Präsidenten Islam Karimow, Turkmenbaschi („Führer aller Turkmenen“) Saparmurat Nijasow,
der sich 1999 zum „Präsidenten auf Lebenszeit“ hat wählen lassen und sich wie ein Gott verehren ließ, unterdrückte
ähnlich brutal wie Karimow jede Opposition in seinem Land. „Tausende Oppositionelle, Minister, und ranghohe
Beamte schmorten in Kerkern und psychiatrischen Anstalten. Nur sehr selten erfährt die Welt vom Schicksal der
Nijasow-Kritiker – wie im Fall der 58-jährigen Journalistin Ogulsapar Muradowa: Drei Monate nach ihrer Fesetnahme im vergangenen Juni wurden die Angehörigen aufgefordert, ihre Leiche zu identifizieren – sie wies Kopfwunden und viele Spuren von Schlägen auf. … Selbst den Kalender hatte Nijasow revolutioniert: Der Januar heißt
Turkmenbaschi, der April trägt den Namen seiner Mutter“ (Mopo 02.11.06). Nur eine Partei ist in dem Land zugelassen: seine.
Das politsiche System des Präsidenten Nijasow kontrollierte die offiziellen religiösen Institutionen des Landes. Der
führende Repräsentant des Offiziellen Islam ist der Usbeke Kadi Nasrullah Ibn Ibadullah. Er tritt für einen modernisierten Islam ein. Turkmenistan hat die fünftgrößten Erdöl- und Erdgasvorkommen der Welt.
Östlicher Nachbar mit ebenfalls reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen ist Usbekistan. Es ist das am stärksten islamisch geprägte Land Zentralasiens und wird als eines der stärksten Zentren der islamischen Tradition angesehen.
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Dort ist der junge Nationalstaat am weitesten entwickelt. Seine Hauptstadt Taschkent war schon zu Sowjetzeiten Sitz
der geistlichen Verwaltung des Offiziellen Islam in Zentralasien. Die usbekische Regierung kontrolliert die jeweiligen Inhaber des Mufti-Amtes strikt, um den Islam - insbesondere dessen ihnen gefährlich erscheinende radikale
Oppositionsbewegung, u.a. Hizb-ut-Tahrir, deren Ableger Akramija und die Islamische Bewegung Usbekistans
(IMU), die wie in Turkmenistan durch die Ausweisung ausländischer Prediger und Lehrer, insbesondere aus SaudiArabien und anderen Ländern, weitgehend zerschlagen wurde - im Land zu entpolitisieren. Allerdings wird durch das
Regime jedwede Opposition gegen den autokratisch herrschenden Präsidenten als islamischer Fundamentalismus
oder gar islamischer Terrorismus bezeichnet und dann gnadenlos bekämpft, und wenn dafür bei Demonstrationen
Frauen und Kinder durch Schüsse in den Rücken getötet werden, wie das bei den Unruhen im Fergana-Tal 2005
geschehen war, als zu Unrecht inhaftierte Mitglieder der in der Industriestadt Andischan angesehenen Selbsthilfeorganisation Akramia von oppositionellen Usbeken befreit und daraufhin die Demonstranten niederkartäscht worden
waren. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute unbekannt, die usbekische Regierung verweigert nach wie vor eine
Untersuchung des Massakers. Stattdessen hält das Regime nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten Schauprozesse ab, in denen schon Hunderte Regierungsgegner unter fadenscheinigen Argumenten - meist mit dem Standardvorwurf, in islamistischen Terrorismus verwickelt zu sein - verurteilt wurden. Karimow-Gegner, die öffentlich eine
Aufklärung der Andischan-Morde forderten, wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. AI schreibt in seinem Jahresbericht 2005: „Gerichte in Usbekistan verurteilten zahlreiche Menschen wegen »terroristischer« Delikte
nach unfairen Prozessen zu hohen Freiheitsstrafen.“ AI schätzt die Zahl der in Gefängnissen inhaftierten politischen
Gegner Kamirows auf 8.000 Regimekritiker. Es gibt keine legale Opposition, keine freie Meinungsäußerung, keine
Religionsfreiheit, er herrscht ein Foltersastem, das seine Gegner auch einfach verschwinden lässt.
Propagiertes Ziel der hauptsächlich im Grenzgebiet zu Kirgisien operierenden radikalen Muslime in Usbekistan ist
die Einrichtung eines Kalifats in Zentralasien, wie es der lange in Deutschland gelebt habende und nach der türkischen Strafrechtsreform zur Angleichung der türkischen Strafnormen an den EU-Standard letztlich doch noch an die
Türkei ausgelieferte türkische Hassprediger Kaplan ebenfalls erträumte; mit sich an der Spitze dieses Gebildes. In
Usbekistan hat ein gewisser Rachimow geschworen, mit seinen Anhängern „bis zum letzten Blutstropfen“ für die
Errichtung eines islamischen Gottesstaates zu kämpfen.
Die islamischen Amtsträger scheinen regierungstreu zu sein. Der »säkulare Staats-Islam« wird zur nationalen Integration genutzt. Der legendäre Timur Lenk ist das Symbol der Einheit von Islam und weltlicher Herrschaft.
Auch die Jadiden verhalten sich regierungstreu. Sie sind Vertreter eines toleranten, weltoffenen Islam, die zu dieser
geistigen Haltung fanden, weil sie sich schon 1868 nach ihrer Niederlage gegen das zaristische Russland und ihrer
gewaltsamen Einverleibung in das russische Reich die Frage stellten, die heute viele Islamisten bewegt: Was hat das
christliche Europa, insbesondere in der Gestalt des russischen Zaren, so stark und mächtig und was die islamische
Welt so schwach gemacht? Die Antwort fanden sie in den weltlichen Wissenschaften. Der bucharische Jadid Abdurauf Fitrat fasste das in die Worte: „Die Wissenschaft ist jenes mächtige Mittel, dessen Existenz die wilden Amerikaner zu ihrem heutigen Zivilisationsniveau und ihrer Größe, und dessen Fehlen die aufgeklärten Perser in den
Zustand der Erniedrigung und Schande gebracht hat.“ Seitdem haben sich die islamischen Jadiden den westlichen
Wissenschaften geöffnet und vertreten einen weltoffenen Islam.
Als ein äußerliches Anzeichen für die starke Stellung des Islam in diesem Land mag gelten, dass der vormalige Präsident Karimow, ehemaliger Kommunist, bei seiner Amtseinführung auf den Koran schwor. „Taschkent ist einen
islamischen Gottesdienst wert!“, möchte man da sagen.
Die Amtsträger des Offiziellen Islam hat Karimow durch seine repressive Politik ruhig gestellt, aber er hat Probleme
mit der deswegen schon 1991 verbotenen usbekischen „Islamischen Wiedergeburtspartei“, die er nach einer Meinung zur Verschleierung seiner repressiven Politik des islamischen Fundamentalismus bezichtigte, weil er – zu Recht
- eine Ausweitung des in Tadschikistan entbrannten Bürgerkriegs befürchtete. Er rechtfertigte damit seine repressive
Politik gegen die nationaldemokratische Opposition und die mehrheitlich gemäßigten Islamisten, die er nicht von den
wenigen radikalen Islamisten trennt. Die Regierung Karimows geht seit langem gegen Anhänger islamischer Gruppen vor, die sich außerhalb der staatlich autorisierten Moscheen zusammenfinden. Und der Westen hat die usbekische Regierungspropaganda geschluckt, die die politische Opposition als islamische Extremisten darstellt.
80 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. „Armut, Korruption und die Unterdrückung der Opposition gelten als ein Nährboden, auf dem in Usbekistan ein hausgemachter islamistischer Terrorismus gedeiht“ (FAZ
31.03.04). Karimow wird tatsächlich in einen erbittert geführten Kleinkrieg der von Tadschikistan aus operierenden
„Gotteskrieger“, die von aus Tschetschenien eingesickerten Rebellen unterstützt werden, verwickelt, die den Heiligen Krieg gegen das orthodoxe Russland und seine Verbündeten ausgerufen haben. Ein Brennpunkt dieser Auseinandersetzungen ist das Fergana-Tal im Osten des Landes.
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Das von dem iranischen Volk der Tadschiken bewohnte und darum persischsprachige Tadschikistan, das seinen
ersten Präsidenten wegen "eingestandener Gottlosigkeit" verjagt hatte und dessen zweiter Präsident Nabijew von der
islamischen Opposition für kurze Zeit durch eine Rebellion gestürzt worden war, hat im Süden seines Landes eine
gemeinsame Grenze mit Afghanistan, Pakistan und China. Von diesem Land wird berichtet, dass dort das Clanbewusstsein und die Tribalisierung der Politik den Zusammenhalt innerhalb der Bevölkerung als Nationalstaat weitgehend zerstört habe.
Im Land gibt es eine „Islamische Wiedergeburtspartei“, die sich 1990 in Russland unionsweit gegründet hatte und
1992 für ein halbes Jahr mit an der Regierung war. Die darin organisierten tadschikischen Nationalisten und Islamisten sind danach in einen für beide Seiten verlustreichen Bürgerkrieg mit der (ehemals kommunistischen) tadschikischen Führung und den diese unterstützenden Russen und Usbeken verwickelt worden. Darum war die „Islamische
Wiedergeburtspartei“ inzwischen in Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan verboten und operiert von Afghanistan und Pakistan aus. Der Bürgerkrieg zwischen den alten kommunistischen Kadern und den Islamisten, der zahlreiche Opfer gefordert hatte, ist 1997 durch einen Kompromiss beendet worden, demzufolge alle Posten zwischen
den Bürgerkriegsparteien aufgeteilt wurden. Es wird sogar von einem „tadschikischen Modell“ für die Einbindung
religiöser Extremisten in die Strukturen eines Staates gesprochen, woraufhin sich die Islamisten gespalten haben. Die
radikal ausgerichteten Islamisten bleiben in dem zwar säkular ausgerichteten, aber zu 90 % von muslimischen Gläubigen bewohnten Staat insbesondere im Fergana-Tal ein Unruheherd. Sie kämpfen für ein Kalifat in Zentralasien.
Der jetzige autoritär regierende (und eng mit der Drogenmafia des Landes verflochtene) Präsident Emomali Rachmonow unterstützt folgerichtig den Kampf der afghanischen Nord-Allianz gegen die in ihren Auswirkungen als Bedrohung für sein Land empfundenen Taliban. Das Land blutet aus. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit insbesondere
unter den Jugendlichen, versuchen die Männer in Russland Arbeit zu finden. Von der desolaten Lage profitieren die
Islamisten. Immer wieder verbrennen sich verzweifelte Frauen auf den Plätzen der Dörfer, weil ihre Männer sie
verlassen haben (Das Parlament 25.10.04). Das Land ist zu arm, um seine Bodenschätze Öl und Kohle in eigener
Regie zu heben.
Nordöstlicher Nachbar von Tadschikistan ist Kirgistan/Kirgisien. Nicht nur der Islam breitete sich – unterstützt von
Zahlungen aus der Türkei und aus Saudi-Arabien – vornehmlich im Süden des Landes aus, sondern auch andere
Kirchen und Sekten sind dort aktiv, u.a. Baptisten aus den USA, Kanada und Südkorea, die Deutsch-LutherischeKirche, Orthodoxe und Buddhisten.
In Kirgisien wurden unter dem ehemaligen Staatschef Askar Akajew alle Posten verkauft. Selbst die Stelle eines
Schuldirektors hat 1000 Dollar gekostet. Um die Kosten wieder hereinzuholen, wurden Mittel aus dem Staatshaushalt, die zur Renovierung der Schule oder für Investitionen in den Betrieben gedacht waren, in die eigenen Taschen
gelenkt. Ohne Bakschisch lief gar nichts. Akajew und sein Clan hatten das Land buchstäblich verkauft und ruiniert.
Heute leben in Kirgisien 80 Prozent der Bevölkerung in Armut. Kirgisien ist - trotz seiner großen Gasvorkommen der ärmste der GUS-Nachfolgestaaten. An der Wirtschaft des Landes hat die Schattenwirtschaft einen Anteil von
etwa 40 %. Fast die Hälfte aller Firmen und Geschäfte zahlen weder Abgaben noch Steuern. Da die Kassen mehr als
leer sind, versuchte die Übergangsregierung von Kurmanbek Bakijew mit Landverpachtung den Menschen das Überleben zu sichern. Wegen der Mangelernährung leidet fast jede vierte Frau an Blutarmut. Ständig nimmt der Anteil
Kranker und Behinderter an der Gesamtbevölkerung zu. (HH A 17.05.05)
In Kirgisien ist die Meinung weit verbreitet, nur eine religiös verankerte Regierungsform könnte der mit Demokratie
gleichgesetzten Korruption des alten Regimes wirksam gegensteuern. Aber vielleicht besinnen sich die Kirgisen nach
der erfolgreichen Revolution und der erneuten Wahl Kurmanbek Bekijews zum Staatschef und Felix Kulows zum
Ministerpräsidenten. Nachdem die Kirgiesen ihren vormaligen Präsidenten Akajew verjagt haben, ist Kirgisien der
am relativ freiheitlichsten regierte der GUS-Nachfolgestaaten.
Aus Tadschikistan in die südlichen Landesteile Kirgistans eingedrungene Islamisten führen von dort einen Bürgerkrieg. gegen das von den Russen unterstützte Regime des tadschikischen Präsidenten Rahmonow. In Zentralasien
mischt sich überall in den Konflikt zwischen Bürgerzorn und Staatsgewalt der fundamentalistische Islam als unbekannte Größe.
Die Amerikaner betreiben einen logistischen Luftwaffenstützpunkt mit 1.000 Mann in Manas. Von dort versorgen sie
ihre Truppen in Afghanistan. (In die Wahlvorbereitung hatten die USA 15 Mill. $ als »Demokratiehilfe« investiert;
trotzdem will der neue alte Präsident die für den Kampf in Afghanistan benötigte US-Militärbasis in der Nähe von
Bischkek geräumt haben, was von Russland und China mit millionenschweren Krediten unterstützt wird.)
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Afghanistan und auch das benachbarte Usbekistan dient radikalen Islamisten als Rückzugsgebiet. Hinzu kommt, dass
Zentralasien nicht weit von gewaltigen Öl- und Gasvorkommen liegt.
Auch Russland unterhält aus den gleichen Gründen einen Stützpunkt in Kirgisien.
Dieses freie religiöse Klima scheint auch in dem führenden Staat der Region, dem riesigen Kasachstan zu herrschen, dessen Brutoinlandsprodukt größer ist als das der anderen zentralasiatischen Staaten zusammen und in dem
eine Vielfalt von Glaubensgemeinschaften mit teilweise aus dem Ausland kommender und darum von den Sicherheitsbehörden als sicherheitspolitisches Problem angesehener Missionstätigkeit wirkt. Weil aber der Mufti des Landes einigen Muslimen zu staatstreu erscheint, rührt sich die radikal nationalistisch-muslimische Partei „Alasch“ gegen den Mufti. Einige von deren Anhängern schlugen den Mufti 1991 krankenhausreif und brachen ihm einen Arm.
Von dem überwiegend von Russen besiedelten Norden des Landes wird berichtet, dass russische Nationalisten diesen Teil gar nicht als Teil Kasachstans ansehen. Darin kann Sprengkraft für den jungen Nationalstaat liegen!
Zum Auftakt seiner Zentralasien-Visite 2006 besuchte der deutsche Außenminister Steinmeier Kasachstan. Steinmeier lobte anlässlich dieses Staatsbesuches die Öffnung des Landes, mahnte aber auch weitere Reformen beim Ausbau
der Rechtstaatlichkeit und der Zuverlässigkeit der Verwaltung an. Auch Vetternwirtschaft und Korruption müssten
stärker bekämpft werden.
Aserbaidschan und der Konflikt um Berg-Karabach stehen momentan nicht mehr im Blick der Weltöffentlichkeit,
insbesondere ist der Konflikt um Berg-Karabach zurzeit kein Thema der Weltpresse mehr. Der bewaffnete Kampf
um Berg-Karabach wirkte nationenbildend, und wurde wohl auch bewusst so eingesetzt.
Welche strategischen Interessen im Kaukasus aufeinander prallen, zeigt sich vor allem am Bau der 1.765 km langen,
über mehr als 1.500 Flüsse und in Georgien über fast 3.000 m hohe Bergketten führenden transkaukasischen BakuTiflis-Ceyhan-Ölpipeline (BTC-Pipeline), deren Verlauf mit großen und daher das Gesamtprojekt wesentlich verteuernden Umwegen so gewählt wurde, dass sie nicht über armenisches, russisches und auch nicht über iranisches
Staatsgebiet führt. Im Jahr 2006 war die mit einem Kostenaufwand von rund 2,5 Mrd. € gebaute Pipeline in Betrieb
genommen worden. Sie soll pro Jahr 50 Mill. Tonnen Rohöl in den Westen pumpen und so die Abhängigkeit der
USA von arabischen Öllieferungen vermindern. Mehr als zehn Jahre haben die USA zur Absicherung ihrer Erdölund Erdgasversorgung aus der kaukasischen Senke um Baku in Aserbaidschan, aus Turkmenistan, anderen Gebieten
Zentralasiens und bald aus dem Kaspischen Meer durch Pipelines in türkische Mittelmeerhäfen ihre gesamte diplomatische Macht eingesetzt, damit die Leitung durch das Territorium ihrer engsten Verbündeten in der Region, das
ölreiche Aserbaidschan, durch Georgien und die Türkei verläuft. Sie ist die erste Pipeline mit Öl aus Zentralasien,
die nicht über russisches Gebiet führt, und damit eine Konkurrenz für die Pipeline Baku-Noworossisk, durch die pro
Jahr 6 Mill. Tonnen Rohöl zur Verschiffung mit Tankern an die russische Schwarzmeerküste gepumpt werden.
Für das arme Georgien ist sie ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Bis zu 100 Millionen US-Dollar wird sie jährlich
einbringen. Aber wie stark auch hier der Einfluss der "ethnischen Karte" ist, zeigt ihre Route. Die georgische Regierung bestand darauf, dass sie durch den Nationalpark verläuft, in dem die Quelle des in der Region berühmten Mineralwassers entspringt - und nicht durch das Gebiet der armenischen Minderheit in Georgien. Die Route der zur Erschwerung von terroristischen Anschlägen einen Meter in die Erde gegrabenen Pipeline führt außerdem durch Erdbeben- und Erdrutschgebiete.
Der us-amerikanischen Regierung ist bewusst, dass Aserbaidschan durch die Einnahmen aus dem Ölgeschäft Geld
für seinen Kampf gegen Armenien und Berg-Karabach erhält, ein Konflikt, in dem es von der Türkei unterstützt
wird.
9. Afghanistan
Afghanistan - nicht ganz doppelt so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, aber mit geschätzten 26 Mill. Einwohnern nicht ganz einem Drittel unserer Bevölkerungsanzahl - ist Ende des 19 Jahrhunderts als Puffer zwischen
den Interessensgebieten der nach kolonialer Ausdehnung strebenden Mächte Großbritannien und Russland entstanden. So wurde das am Hidukusch zusammengeschusterte Hochgebirgsland Afghanistan zu einem Vielvölkerstaat aus
mehr als 50 ethnischen Gruppen von u.a. iranischstämmigen Tadschiken (etwa 23 %), Balutschis (etwa 7 %), Almak,
Paschtunen (etwa 43 %), türkischstämmigen Nouristanen, Usbeken (etwa 7 %), Turkmenen, Kirgisen, mongolischosttürkischstämmigen, gleichwohl einen persischen Dialekt sprechenden, mehrheitlich schiitischen und darum vom
Iran unterstützten Hazaras (etwa 18 %), dazu Patanen, Aimaken, Farsiwanen ... mit verschiedenen Sprachen und
Religionen, den weder die zu Fuß kämpfenden Briten im 19. Jahrhundert erobern konnten, als sie das Gebiet des
heutigen Afghanistan der Kolonie Britisch-Indien einverleiben wollten, noch die mit Panzern und aus Hubschraubern
kämpfenden Sowjets im 20. Jahrhundert. „Es gibt nur eine einzige Sache, die die Afghanen über alle ethnischen
67
Grenzen Gräben hinweg vereint: Die Ablehnung jedem Eroberer von außen gegenüber, sei er nun Engländer, Pakistani oder Araber. Oder natürlich Sowjet.“27 Die gebirgigen geographischen Gegebenheiten des Landes bewahrten die
Stämme, bei denen sich teilweise über die Landesgrenzen von Pakistan und Afghanistan erstreckende Stammeszugehörigkeit mehr zählt als die mehr oder minder zufällige Nationalität, vor der Besetzung durch europäische Mächte.
Das relativ einigende Band dieses Vielvölkerstaates ist der Islam, wobei der u.a. an Persien grenzende Süden des
Landes überwiegend von Sunniten bewohnt wird, der Norden hingegen Schiiten Hochburgen aufweist.
Als der aus den Machtkämpfen im Königshaus als starker Mann hervorgegangene „Rote Prinz“ sich nach einer von ihm
eingeleiteten Annäherung an die UdSSR wieder aus der ihn und das Land sozialistisch-brüderlich erdrückenden Umarmung lösen wollte und die UdSSR dieses mit Hinweis auf die bei ihr zu Buche stehenden Auslandsschulden Afghanistans zu verhindern suchte, erklärte Saudi-Arabien sich 1978 bereit, die Staatsschulden Afghanistans bei der UdSSR zu
tilgen, um das Land aus seiner Abhängigkeit von dem kommunistischen Mutterland zu befreien. Die Sowjetunion versuchte, ihren Einfluss durch einen von ihr finanzierten Umsturz zu wahren und errichtete in Afghanistan ein kommunistisches Marionetten-Regime. Schon acht Monate vor der russischen Invasion unterstützten die USA die islamischen Gegner des moskaufreundlichen Regimes. Im Zuge des daraufhin von den Mudschaheddin mit CIA-Unterstützung leidenschaftlich geführten Dschihads gegen die ungläubigen Aggressoren töteten die Sowjets in 14 Jahren rund eine Million
Afghanen. Nach der Vertreibung der sowjetischen Truppen kämpften die Kampfgruppen der siegreichen, sich auf ihre
jeweiligen Stämme stützenden Warlords mit wechselndem Erfolg und Misserfolg um die Macht im Lande und ruinierten
dabei das Land vollends. Über 13 verschiedene Terrorgruppen hatten ihr Trainingsgeschäft dort in gesetzlosen Zonen.
Die kriegerische Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden afghanischen Gruppen während des Kampfes
gegen die 1979 nach Afghanistan eingedrungenen Truppen der UdSSR hat so angefangen, dass radikale Moslemgruppen aus Saudi-Arabien, angeführt von dem wahhabitischen Wirtschaftsingenieur und Multimillionär Osama bin
Laden, die der internationalen Moslembruderschaft nahestehende Organisation Islamische Einheit (Ittehad-e-Islam)
unterstützten. Sie war aber nur eine kleinere der zur inzwischen relativ bedeutungslos gewordenen PeschawarKoalition/Sieben-Parteien-Koalition gehörenden Organisation. Bedeutender waren da zwei andere Organisationen:
die vom tadschikischen Professor Burhanuddin Rabbani gegründete und geführte „Islamische Gesellschaft“
(Dschamiat-e-Islami; bekanntester Feldkommandeur war der Tadschike Ahmed Schah Massoud als führendes Mitglied des "Rates des Islamischen Heiligen Krieges" der Feldkommandeure und bis zu dem tödlich verlaufenen Attentat auf ihn 2001 Verteidigungsminister der afghanischen Regierung im ihr verbliebenen nördlichen Restteil des Landes) einerseits, die auf der Grundlage eines Mehrparteiensystems und freier Wahlen in der Analphabetengesellschaft
(70 % der Männer können weder lesen noch schreiben; von den Frauen sind es 85 %) eine "moderne" bürgerliche
Gesellschaft nach pakistanischem Muster aufbauen will und andererseits die von seinem Todfeind, dem radikalislamischen Fundamentalisten Gulbuddin Hekmatjar geführte und jahrelang bis 1993 durch Pakistan und seinen
Geheimdienst ISI und während des Kampfes gegen die Sowjets seit 1980 auch durch die USA unterstützte „Islamische Partei Afghanistans" (Hesb-e-Islami; Gottespartei), die eine islamische Republik nach iranischem Vorbild
gründen will. Neben diesen und anderen Gruppierungen der sunnitisch dominierten Peschawar-Koalition, zu der
auch die monarchistisch ausgerichtete Widerstandsgruppe des Präsidenten des 51 köpfigen Interimsrates, "Hazrat"
(Heiligkeit) Sigbhatullah Mudschaddidi, gehört, haben die schiitischen Gruppierungen keine große Bedeutung erlangen können. Das gilt sowohl für die „Islamische Bewegung von Afghanistan“ (Harakat-e-Islami-e Afghanistan),
wie auch für die „Schura-ye-Itefaq-e-Islami", die beide ihre Basis in Pakistan haben.
Dort in Afghanistan stehen hinter den verschiedenen Rebellengruppen als eigentliche ideologische Gegner der Iran,
der die ca. 15 % Schiiten des Landes unterstützt, und Saudi-Arabien, das bis zu dem Anschlag auf die amerikanischen Städte hauptsächlich den Kampf der 85 % Sunniten finanzierte. Beide kämpfen um den Einfluss auf die Regierung in diesem Land, in dem sich die zentrale Regierungsgewalt aufgelöst hatte und nach dem Ende des TalibanRegimes - fanatischen Hannafis, die dort ein Regime schufen, „... gegen das sich der schiitische Gottesstaat Iran wie
ein liberales Regime ausnimmt“; so der in Paris lebende Professor für Islamwissenschaft Merzi Haddad – neu gebildet und austariert werden muss.
Die wichtigsten Organisationen der Schiiten, die rund 15 % der afghanischen Bevölkerung ausmachen, haben ihre
Basis im Iran. Die acht bedeutendsten von ihnen haben sich im „Islamischen Koalitionsrat von Afghanistann“ (Hesbe-Wahadat) zusammengeschlossen. Dieser schiitische Zusammenschluss gehörte nicht mit zu der PeschawarKoalition, weil die Sunniten den Schiiten nur eine Minderheitsbeteiligung einräumen wollten. Nach Beseitigung des
kommunistischen Regimes unter Nadschibullah, das Emanzipation und Alphabetisierung eingeführt hatte, - Nadschibullah selbst wurde von den Taliban gefangen gesetzt, kastriert, dann hinter einen Jeep gebunden, mehrfach um
27
Latifa: Das verbotene Gesicht, S. 30
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den Präsidentenpalast geschleift und anschließend erschossen (SPIEGEL 08.10.01) und auf dem Hauptplatz von
Kabul als warnendes Beispiel öffentlich aufgehängt ausgestellt -, brach der alte Konflikt zwischen Sunniten und
Schiiten wieder auf. Der religiös motivierte Bürgerkrieg wird zusätzlich von einem Stammes- und Volksgruppenkonflikt überlagert, denn die seit zwei Jahrhunderten von der Macht ausgeschlossenen ca. 25 % Tadschiken und ca. 6 %
Usbeken, die (den 2001 durch von den Taliban ausgeschickte, als Journalisten getarnte, algerische Selbstmordattentäter ermordeten) Massud unterstützen, fordern - unterstützt von vielen der 32 kleineren Volksgruppen wie, als deren
größte Gruppe, den ca. 19 % mongolisch-stämmigen Hazara - nun eine Teilhabe an der Macht gegenüber dem bisher
dominierenden und nun von Hekmatjar geführten Stammeskonglomerat der Pathanen/Paschtunen, die 40 % der Bevölkerung stellen und 250 Jahre lang Afghanistans Staatsvolk waren.
Während der Taliban-Herrschaft musste sich der Westen in Afghanistan mit seiner Unterstützung des von Fundamentalisten geführten Freiheitskampfes des afghanischen Volkes gegen Moskaus Marionettenregime des Nadschibullah wie Goethes Zauberlehrling vorkommen: Die radikalsten fundamentalistischen Geister, die der Westen
dort unterstützte, konnte er nicht mehr los werden! Die Taliban, „Studenten der Bücher“ aus dem Gebiet der
Paschtunen, entstanden in den Koranschulen Pakistans und setzten sich überwiegend aus Paschtunen zusammen, die
neben großen Gebieten in Afghanistan auch große Teile Pakistans besiedeln. Sie wurden im Kampf gegen die Truppen der UdSSR von Saudi-Arabien, den USA, Großbritannien und pakistanischen Islamistenparteien finanziell unterstützt. In Afghanistan gilt jetzt - neben anderen islamischen Gesetzen - die Scharia, nachdem die zurzeit ca.
25.000 Mann starken Taliban-Milizen im Verbund mit den ca. 10.000 Mann starken Verbänden der „AusländerArmee“ bin Ladens mit (bis zu dem Attentat in Amerika) tatkräftiger diskreter finanzieller Unterstützung SaudiArabiens mehr als 90 % des Landes erobert, unter ihre Kontrolle gebracht und seit 1997 das von Mullah Mohammed
Omar als Chef des diffusen, aus zahllosen dezentralen Komitees bestehenden Regimes angeführte „Islamische Emirat Afghanistan“ ausgerufen haben. Diese Regierung war aber nur von den drei Staaten Saudi-Arabien, Pakistan und
der VAR anerkannt worden. International anerkannt war zu der Zeit aber die rechtmäßige Regierung Rabani, die
zwar in Afghanistan nur im Norden des Landes Einfluss hatte, das Land aber in der UNO vertrat. Für sie kämpfte die
Nordallianz – geführt von Warlords28, die die Kontrolle über die Mohnfelder und Heroin-Küchen, in denen drei
Viertel der Welt-Heroinproduktion erzeugt wird, von den Taliban übernehmen wollten und durch ihre Brutalität das
Aufkommen der Taliban erst ermöglicht hatten; wegen der zwischen 1991 bis 1996 an Zehntausenden von Frauen
begangenen Vergewaltigungen und Tötungen sind sie nach dem Urteil der afghanischen Frauenbewegung RAWA
„Taliban ohne Bärte, islamistische Kriminelle“ -, die verstärkt von insbesondere der Nato, Russland, Indien und dem
Iran unterstützt wurden.
Ein "Leitender Rat des Heiligen Krieges" der Taliban erklärte alle von der abgesetzten kommunistischen Marionettenregierung Nadschibullah verabschiedeten Gesetze für null und nichtig, falls sie islamischem Recht widersprächen:
so wie sie es auslegten. Wer aus erster Hand erfahren will, was Leben unter der Talibanherrschaft bedeutete, der
kann das durch die Lektüre des Buches von Latifa: „Das verbotene Gesicht – Mein Leben unter den Taliban“ erfahren. Einige zusammenhanglos herausgegriffene Zitate Latifas, die die Talibanherrschaft ab September 1996 nach der
Eroberung der Hauptstadt Kabul als 16-Jährige durchlitt, sollen eine Andeutung davon vermitteln:
… selbst unter den Sowjets, selbst unter den Raketen aus ausländischer Produktion, selbst in den Ruinenhaben wir in Kabul immer noch in Freiheit gelebt. (S.15)
Dem Ersten [: der aufgehängten Leiche des ehemaligen Präsidenten Nadschibullah, neben den die Leiche
28
Dem usbekischen General Abdul Raschid Dostum und seinen Truppen wird extreme Grausamkeit, vielfache Vergewaltigung,
Raub und Völkermord und bedenkenlose Bereicherung vorgeworfen. Er ließ als Herrscher des Nordens in Tadschikistan sein
eigenes Geld drucken. Er wechselte mehrfach die Fronten und verriet bei größeren Zahlungen immer wieder seinen jeweiligen
Koalitionspartner. Dagegen kämpften die Taliban und wurden deswegen zunächst als Befreier gefeiert! Auch sein ehemaliger
Stellvertreter Abdul Malik wurde durch Greueltaten berüchtigt. Der stramme Fundamentalist Gulbuddin Hekmatyar beschoß
zwei Jahre lang die Hauptstadt Kabul mit (durch Drogengeschäfte finanzierten) Raketen, wobei die Stadt zur Hälfte zerstört
wurde und 25.000 Einwohner umkamen. Studentinnen, die ihm zu modern gekleidet waren, ließ er mit Säure übergießen. Der
von der UNO während der Talibanherrschaft weiterhin als Präsident Afghanistans anerkannte Burhanuddin Rabbani gilt ebenfalls als rücksichtsloser Kriegsherr und ist in seiner Auseinandersetzung mit den Taliban für die endgültige Zerstörung Kabuls
verantwortlich. Das sind die wichtigsten Warlords des über die Jahre immer wieder brüchigen Zweckbündnisses „Nordallianz“
mit seinen vielseitigen gekauften Seitenwechseln: Jeder hat jeden irgendwann für Geld und mehr Einfluss verraten.
Dostum wurde, um ihn einzubinden, nach der Niederwerfung der Taliban-Herrschaft zum Vize-Verteidigungsminister und zum
Mitglied des Rates für nationale Sicherheit berufen. Als er sich mit seinem Rivalen Atta Mohammed blutige Schlachten um die
Vorherrschaft in Mazar-I-Sharif im Norden des Landes lieferte, wurde er von dem neuen Präsidenten Karzai seiner Ämter enthoben.
69
seines Bruders auf dem größten Platz Kabuls ebenfalls aufgehängt worden war; der Verf.] haben sie Zigaretten in den Mund gestopft und die Taschen so prall mit Geld gefüllt, dass die Scheine herausquellen,
als unübersehbares Zeugnis seiner Schuld. Nadschibullah scheint Zigaretten zu erbrechen. (S. 20)
Unser Land braucht Frauen. Seit Jahren nehmen Frauen die Posten in Verwaltung, Bildungs- und Gesundheitswesen ein. Es gibt so viele Witwen, so viele Waisen, … (S. 21)
… Massaker in Herat im September 1995. Im Fernsehen wurde gezeigt, wie die von den Taliban geblendeten Witwen, denen nichts anderes blieb, als in den Straßen zu betteln, mit Peitschen verprügelt wurden.
(S. 28)
Radio Scharia nimmt den Sendebetrieb wieder auf, um zu verkünden, dass der Premierminister der aus
sechs Mullahs bestehenden Übergangsregierung folgende Dekrete erlassen hat:
»Das Land wird von nun an durch ein vollständig islamisches System regiert. Alle ausländischen Botschafter sind ihres Amtes enthoben. Die Scharia, die das Alltagsleben von uns Muslimen regelt, bekommt
ein völlig neues Gesicht. Die neuen Dekrete gemäß der Scharia sind die Folgenden:
 Jeder, der eine Waffe besitzt, hat diese beim nächsten Militärposten oder der nächsten Moschee
abzuliefern.
 Mädchen und Frauen dürfen nicht mehr außer Haus arbeiten.
 Alle Frauen, die gezwungen sind, sich außerhalb ihrer Wohnung zu bewegen, müssen von einem
Marham begleitet werden, das heißt, ihrem Vater, Bruder oder Ehemann.
 Die öffentlichen Verkehrsbetriebe stellen getrennte Busse für Frauen und Mädchen bereit.
 Die Männer müssen sich Bärte wachsen lassen und ihren Schnurrbart nach den Vorschriften der
Scharia stutzen.
 Männer haben ein Turban oder eine weiße Kappe auf dem Kopf zu tragen.
 Es ist verboten, sich in Anzug und Krawatte zu kleiden. Stattdessen muss traditionelle afghanische Tracht getragen werden.
 Frauen und Mädchen haben die Burka anzulegen.
 Ihnen ist untersagt, unter dem Schleier Kleidungsstücke in lebhaften Farben zu tragen.
 Es ist verboten, Nagellack oder Lippenstift zu benutzen oder sich das Gesicht zu schminken.
 Jeder Muslim hat die Gebete zur vorgeschriebenen Stunde zu verrichten, an dem Ort, an dem er
sich gerade befindet.
 …
 Es ist verboten, Fotos von Menschen und Tieren auszustellen.
 Eine Frau darf kein Taxi nehmen, wenn sie nicht von einem Marham begleitet wird.
Kein Arzt hat das Recht, unter dem Vorwand einer Untersuchung den Körper einer Frau zu berühren.
[„Aus diesem Grund sind die meisten Ärzte in Kabul Frauen, besonders in der Gynäkologie.“ (S. 41)
Und den Frauen war die Ausübung eines Berufes verboten worden, so dass Frauen während der Talibanherrschaft medizinisch unversorgt blieben, wenn sie nicht privat bei früher als Ärztinnen und Krankenschwestern tätig gewesenen Frauen Hilfe fanden. Der Verf.]
 Eine Frau darf keinen Herrenschneider aufsuchen.
 Junge Mädchen dürfen sich nicht mit jungen Männern unterhalten. Bei Zuwiderhandlung werden die Missetäter sogleich verheiratet.
 Muslimische Familien dürfen keine Musik hören, auch nicht anlässlich einer Hochzeitsfeier.
 Familien ist untersagt, Fotos oder Videofilme aufzunehmen, auch nicht bei Hochzeiten.
 Verlobten Frauen ist es verboten, Schönheitssalons aufzusuchen, auch nicht anlässlich von
Hochzeitsvorbereitungen.
 Muslimische Eltern dürfen ihren Kindern keine unislamischen Vornamen geben.
 Alle Nicht-Muslime, das heißt, Hindus und Juden, haben gelbe Kleidung oder ein Zeichen aus
gelbem Stoff zu tragen. Sie müssen ihre Wohnstätten mit einer gelben Fahne bezeichnen, damit
sie erkennbar sind.
 Allen Händlern ist es untersagt, alkoholische Getränke zu verkaufen.
 Den Händlern ist verboten, Unterwäsche für Frauen zu verkaufen.
 Wenn die Polizei einen Zuwiderhandelnden bestraft, hat niemand das Recht, Fragen zu stellen
oder Kritik zu üben.
70

Verstöße gegen das Gebot der Scharia ziehen eine öffentliche Bestrafung nach sich.
… Alle Frauen, von den jüngsten bis zu den ältesten, sind davon betroffen. Wenn die Frauen nicht mehr
arbeiten dürfen, brechen das Gesundheitssystem und die Verwaltung zusammen. Kein Schulunterricht
mehr für die Mädchen, keine medizinische Versorgung für die Frauen, … Dies ist eine vollkommene Abschaffung der persönlichen Freiheit, ein gegen die Frauen gerichteter Rassismus.
Es reicht, dass die Taliban sich gewaltsam zu den unbestrittenen Herren der Scharia erklären, die sie ohne jede Achtung vor dem heiligen Buch verdrehen. … die Empfehlungen der Scharia haben nichts mit
den Gesetzen zu tun, die man uns jetzt aufzwingen will.


Das Pfeifen sowie der Besitz von Flötenkesseln ist untersagt.
Der Besitz von Hunden und Vögeln ist verboten.
Wir sind immer Muslime gewesen, aber in ihrem Islam erkennt sich niemand wieder.
Ein Stück weiter begegnen wir vier Frauen. Plötzlich bremst neben ihnen mit einem Höllenlärm ein
schwarzer Geländewagen. Taliban-Milizionäre springen von den Sitzen und schwenken die Metallkabel,
die ihnen als Peitschen dienen. Ohne ein Wort, ohne eine Erklärung beginnen sie, auf die Frauen einzuschlagen, die doch unter ihrer Burka verborgen sind. Sie schreien, aber niemand kommt ihnen zur Hilfe.
Dann laufen sie, um den Männern zu entkommen, aber sie verfolgen die Frauen und prügeln ohne Unterlass weiter. Ich sehe, wie Blut auf ihre Schuhe tropft. … Saber, der uns folgt, hat begriffen, was passiert
ist, Entsetzt klärt er seine Schwester auf. »Sie haben die Frauen geschlagen, weil sie weiße Schuhe trugen
…« »Wie denn das? Ist das ein neues Dekret?« »Weiß ist die Farbe der Taliban-Fahne, und deswegen
dürfen Frauen kein weiß tragen. Das würde bedeuten, dass sie die Fahne mit Füßen treten.« (S. 42-58)
Ich weiß ganz genau, dass eine Frau in unserer Kultur ohne den Schutz eines Mannes, etwa ihres Vaters,
Bruders oder Ehemannes nicht existieren kann. Allein hätte sie keine gesellschaftliche Überlebensmöglichkeit. (S. 70)
Ohnmächtig vor Wut auf die Taliban, die uns wie im Gefängnis einsperren, habe ich immer wieder einen
schrecklichen Gedanken: wenn sie lange genug an der Macht sind, ist mein Leben dahin. … im Laufe der
Jahre werden wir ohne Arbeit alt, bleiben ohne Liebe und ohne Kinder. [Die Autorin und ihre Mutter erkranken auf Grund dieser Situation an Depressionen.] (S. 71)
Die [zu einer heimlichen Behandlung bei ihrer als Krankenschwester ausgebildeten Mutter erschienene;
der Verf.] Frau erzählt uns von einer neuen Ungeheuerlichkeit: sie wurde ausgepeitscht, weil sie es gewagt hatte, allein auf die Straße zu gehen. Mama fragt sie:
»Warum sind sie allein aus dem Haus gegangen?«
»Mein Vater wurde während der Kämpfe im Winter 1994 umgebracht. Ich habe keinen Ehemann, keinen
Bruder, keine Söhne. Da musste ich doch allein aus dem Haus gehen!«
»Und heute?«
»Ein Cousin hat mich freundlicherweise hergebracht.«
Um etwas zu essen zu kaufen, blieb ihr keine andere Wahl, als allein auf die Straße zu gehen. Doch die
Taliban versuchen nie, etwas zu verstehen, sie schlagen gleich zu. (S. 72)
[Drei junge Frauen erscheinen bei der Krankenschwester zu einer heimlichen Behandlung. Die Mutter
bittet die Töchter, eine Plastikplane auf dem Fußboden auszubreiten, damit operiert werden kann. Den
Sohn schickt die Mutter zu einer ihr von früher aus dem Krankenhaus her bekannten Ärztin und bittet sie
um ihre – ebenfalls heimliche – Mithilfe. Während alle auf das Eintreffen der Ärztin warten, berichtet die
Mutter ihren Töchtern, was die Frauen erlebt haben.]
»Sie sind ungefähr in deinem Alter, Latifa, fünfzehn oder sechzehn … Einige Taliban haben sie während
der Offensive auf der Schomali-Ebene gefangen genommen, eine Bande von ungefähr fünfzehn Männern. Sie haben sie vergewaltigt … alle fünfzehn. Es ist entsetzlich, doch … da ist noch mehr … Sie haben sie …« … »Sie haben ihnen die Geschlechtsteile verstümmelt, haben sie ihnen herausgerissen …«
…
Die Vergewaltigung hatte ihre Zukunft zerstört. Welcher Nachbar oder welcher Cousin ihres Stammes
71
würde jetzt noch um ihre Hand anhalten? Keiner. Und selbst wenn die Sache geheim bliebe, würden sie
stets an der inneren Schande leiden …
Der noch immer praktizierten grausamen Tradition zufolge muss eine afghanische Frau ihren Vergewaltiger heiraten, wenn sie nicht verbannt oder zum Tode verurteilt werden will. (S. 74 - 76)
[Die erschienene Ärztin entschließt sich, in Kabul eine illegale Arztpraxis einzurichten, da sich die afghanischen Frauen „an niemanden mehr wenden können, weil lediglich Männer Ärzte sein und wiederum
nur Männer behandeln dürfen. Und so entsteht die wichtigste illegale Arztpraxis von ganz Kabul.]
[Der Bruder der Autorin, Daud, darf sein Studium wieder aufnehmen, nachdem die Milizen Hekmatjars
durch die Milizen Massuds - zeitweilig - vertrieben worden sind und die Universitätsräume, die von
Hekmatjars Milizen als Kasernen genutzt worden waren, freigekämpft worden sind. Die Studenten werden über den Rundfunk zum Aufräumen aufgerufen. Daud geht hin – und kommt völlig verstört zurück.]
»Ich habe etwas Entsetzliches gesehen, es war wirklich schrecklich!«
»Was denn?«
»Eine völlig entkleidete Frau … Sie war … auf eine Flügeltür an der Uni … genagelt … Man hatte sie in
der Mitte aufgeschnitten, in zwei Teile … Auf jeden Türflügel hatte man eine Körperhälfte genagelt …
Und die Tür öffnete und schloss sich … Es war grauenhaft!«
Mama brach in Tränen aus. Daud sprach weiter:
»Überall lagen abgeschnittene Füße und Hände, blutige Fetzen. Das war ein Massaker. Ich weiß nicht,
wie viele sie umgebracht haben, es war einfach schrecklich … Im Radio hieß es nur, die Studenten sollten aufräumen und sauber machen … Doch da konnte man nichts sauber machen … es ging einfach
nicht. Die Sicherheitskräfte haben es getan (…) Sie haben uns dorthin gelockt, damit wir sehen, was die
anderen gemacht haben, sie wollten, dass wir es erfahren …« (S. 92 f.)
Und wir sind noch niedergeschlagener, als Daud uns erzählt, dass in seinem geliebten Fußballstadion in
Kabul nun ganz andere Dinge stattfinden. Nun sprechen die Taliban dort öffentlich Recht: sie hängen die
Angeklagten an den Torpfosten auf, hauen Dieben die Hand ab, richten des Ehebruchs für schuldig befundene Frauen mit einer Kugel in den Nacken. Ein mörderisches Spektakel, von fanantischen Gebeten
unterbrochen; die Zuschauer werden mit Peitschenhieben zum Hinsehen gezwungen. (S. 95 f.)
Sie hat das Alter, das den Taliban erlaubt, das monströse Dekret anzuwenden, das sie bei ihrem Einmarsch verkündet hatten: »Alle jungen Mädchen müssen verheiratete werden.« Vor einigen Monaten
klopfte an einem Nachbarhaus eine Frau an eine Wohnungstür. Sie war eine dieser Schlepperinnen, die
für die Taliban junge Afghaninnen zum Heiraten suchen. Die Mutter, die allein mit ihren drei Töchtern
war, öffnete ihr die Tür, und sofort drängten sich die Männer hinter ihr durch. Sie schlugen die Mutter,
bis sie das Bewusstsein verlor, und entführten die drei Mädchen. Vor den Nachbarn behauptete die
Kupplerin, sie seien schon mit ihren Söhnen verheiratet und sie hätte das Recht, »ihre« Schwiegertöchter
zu sich zu holen.
Seit dieser Zeit öffnen mein Vater oder Daud Unbekannten die Tür. Eine meiner Cousinen ist in diese
teuflische Falle geraten. Ein Talib begehrte sie und wollte sie unbedingt zur Frau haben. Er hat die Familie derart bedrängt, dass sie sich gezwungen sah, einen anderen Jungen zu heiraten, der viel jünger war
als sie, obwohl sie sich bis zu diesem Zeitpunkt geweigert hatte zu heiraten. (S. 142 f.)
Der Verkauf von Alkohol war in den der Taliban-Herrschaft unterstehenden Gebieten seit Mai 92 verboten. Die
Taliban tranken selber keinen Alkohol und nahmen keine Drogen29: Wie konnten sie dann, ohne sich durch Rauschmittel enthemmt zu haben, so entmenschte Dinge tun, wie der Bruder der Autorin es aus seiner Universität berichtete?
29
Die Taliban sind aber trotz ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung bezüglich des Eigenkonsums an Anbau und Verarbeitung
von Mohn und dem Opiumhandel beteiligt und finanzieren durch den Verkauf von Drogen ihre Ausgaben für ihren Kampf.
2006 lieferte Afghanistan mit 5644 Tonnen Opium über 90 % des auf der Welt konsumierten Heroins. Ein Drittel des afghanischen Bruttoinlandsproduktes wird im Opiumsektor erzeugt. (DIE WELT 15.12.06)
72
Die Diktatur der Gotteskrieger nahm den Frauen das Wahlrecht. Die Frauen wurden nicht nur zum Tragen des
Schleiers in der Öffentlichkeit gezwungen, es wurde ihnen im Einflussbereich der Taliban-Milizen auch verboten,
einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Frauen mussten hinter dem (jedenfalls fundamentalistisch-)islamischen patriarchalischen Dominanzstreben der Männer zurücktreten und sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Die einzige ihnen von den Taliban (= Söhne des Koran) nur noch zugebilligte Rolle war
die der Gebärerin - möglichst von Söhnen. Dazu mussten Mädchen ab 10 heiraten! Das hatte der Prophet vorgemacht, denn Mohammed hatte mit der sechsjährigen – vermutlich genauer formuliert: über die sechsjährige - Aischa
einen Ehevertrag geschlossen, die mit spätestens zwölf Jahren in sein Haus gezogen war. Für die Mehrheit islamischer Gelehrter steht fest, dass die Ehe bis zum zwölften Lebensjahr vollständig vollzogen worden war (was den
Propheten in den Augen seiner religiösen Gegner dem Vorwurf der Pädophilie aussetzt). Deshalb berufen sich auch
Fundamentalisten im Iran oder früher unter den Taliban auf den Propheten, wenn sie rund zehnjährige Mädchen für
heiratsfähig erklären.
Mädchen, die älter als acht Jahre sind, durften keine öffentliche Schule besuchen. Frauen durften nur in Begleitung
eines männlichen Verwandten auf die Straße gehen. Darüber wachte die dem „Ministerium für die Verhütung des
Lasters und die Förderung der Tugend“ unterstehende Sittenpolizei. Verstöße gegen "islamisches Recht" wurden
nach dem Willen des 51 köpfigen Übergangsrates vor einem "Volksgericht" geahndet. Bei Verstößen gegen diese
allgegenwärtigen umfassenden Gängelungen der Frauen wurden sie öffentlich mit bis zu 100 Peitschenhieben bestraft. Wie aber soll eine Kriegerwitwe, deren Mann in dem blutigen Bürgerkrieg gefallen ist – und davon gibt es
allein in Kabul ca. 30.000 -, ihre Kinder und sich ernähren, wenn ihnen jetzt z.B. verboten ist, ihren Beruf als Ärztin
oder Lehrerin weiter auszuüben? Und was für ein unverantwortlicher volkswirtschaftlicher Aderlass, da vor der
Machtergreifung der Taliban 40 % der Ärzte, 50 % der zivilen Verwaltungsangestellten und 70 % der Lehrerschaft
in Afghanistan weiblich waren! Frauen dürfen – anders als im Gebiet der „Nordallianz“ – in dem von den Taliban
beherrschten Gebiet nicht von Ärzten behandelt werden, Ärztinnen dürfen nicht praktizieren. So gibt es für die Frauen Afghanistans keinerlei nennenswerte ärztliche Versorgung und keine Erwerbstätigkeit. In dieser für sie verzweifelten Lage in den Ruinen der durch den jahrzehntelangen Bürgerkrieg zerstörten Städte30 nehmen die Selbsttötungen
afghanischer Frauen immer stärker zu.
Die britische BBC-Korrespondentin Kate Clark berichtete nach 18 Monaten Aufenthalt in dem frauenfeindlichsten31
Land der Welt, dass die Frauen unter der Taliban-Herrschaft so gut wie keine Rechte mehr haben: Frauen, die keine
Männer haben, die für sie sorgen, sind vom Hungertod bedroht. Sie sterben Hungers in Krankenhäusern, weil sich
niemand um sie kümmert. Öffentliche Hinrichtungen und Verstümmelungen seien an der Tagesordnung. Einer
17jährigen sei bei lebendigem Leib die Haut abgezogen worden. Eine andere wurde von aufgebrachten fundamentalistischen Männern zu Tode geprügelt, weil sie einen Arm nicht sorgfältig bedeckt hatte. Frauen werde kategorisch
jede qualifizierte Bildung verweigert. Rechte haben sie keine. „Wenn ein Polizist eine Frau sieht, an der er irgend
etwas anstößig findet, wird er sie an Ort und Stelle auspeitschen oder sie in eine dunkle Zelle sperren. Anstößig ist es
schon, wenn eine Frau alleine ein Taxi nimmt. Wenn sie erwischt wird, kostet es sie unter Umständen den Kopf. ...
Afghanistan ist das Land, in dem einem die Kehle durchgeschnitten wird, nachdem man zu einer Tasse Tee eingeladen worden ist.“ (HH A 21.03.01)
Die USA haben bei der Auswahl der von ihnen unterstützten Widerstandsgruppen oft eine unglückliche Hand bewiesen. Im Fall Afghanistan hatten sie jahrelang die sunnitisch-fundamentalistische "Islamische Partei Afghanistans"
(Hesb-e-Islam/Hisb-i-Islami) unter der Führung Hekmatjars unterstützt, der eine islamische Republik nach iranischem Vorbild errichten wollte. Da erschien Nadschibullah, der sich vor seiner erzwungenen Abdankung zu einem
islamischen Nationalisten zu wandeln suchte, mit seiner nicht mehr realisierten Ankündigung, in Afghanistan Demokratie mit freien Wahlen und Marktwirtschaft einführen zu wollen, im Vergleich zu den Mullahs fast wie ein Friedensengel. Die USA sahen sich in die peinliche Lage versetzt, von den radikalen Fundamentalisten um Hekmatjar
die von ihnen gelieferten Stinger-Raketen zurückfordern zu müssen, weil die USA nun sehen, dass die Raketen in die
Hände von Terroristen gelangt sein könnten. Hekmatjar hatte nach Übernahme der Macht durch die PeschawarKoalition begonnen, die Hauptstadt des Landes mit Raketen in Schutt und Asche zu legen, weil es ihm nicht reichte,
dass seine Partei im Kabinett den Premier stellen durfte. Er fühlte sich um den von ihm beanspruchten Anteil an der
30
U.a. durch diese Zerstörungen kommt es, dass nach einem Bericht im Deutschlandfunk vom 15.01.07 nicht nur im ländlichen
Afghanistan, sondern auch in der Hauptstadt Kabul nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung an Trinkwasserleitungen angeschlossen ist - der Rest der Bevölkerung muss das (teilweise kontaminierte) Wasser aus Flachbrunnen holen und mühselig
nach Hause tragen - und rund 70 % des ge- und beförderten Trinkwassers wegen zerstörter oder verrotteter Wasserleitungen
ungenutzt im Boden versinkt. Ähnliche Probleme bestehen sowohl bei der produktiven, wie bei der konsumptiven Stromversorgung.
31 Nicht der von Mohammed verkündete Islam ist frauenfeindlich, sondern der von den Männern tradierte und ausgelegte Islam.
73
Macht betrogen, weil in Kabul seine Rivalen, der Verteidigungsminister Ahmed Schah Massud und dessen schlagkräftigster Feldherr Dostum, der einst mit seiner grausamen Usbeken-Miliz auf Moskaus Seite gegen die Gotteskrieger gekämpft und mit seinem späten Frontwechsel zu Massud das Regime des kommunistischen Statthalters Nadschibullah zum Einsturz gebracht hatte, das Sagen hatten.
Das Afghanistan der Taliban wurde wegen der fanatischen Glaubensausrichtung dieser orthodoxen Rechtsschule der
Hanafis nicht nur als terroristisches System innerhalb der eigenen Gesellschaft nach innen, sondern von anderen
Staaten auch als Bedrohung nach außen empfunden, weil es dem wegen seiner selbst den Saudis zu großen fundamentalistischen Radikalität in Saudi-Arabien 1992 als „unerwünschte Person“ ausgewiesenen Wirtschaftsingenieur
und Multimillionär Osama bin Laden (dem dann auch 1994 die saudi-arabische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde)
auf der Basis des traditionell hochgehaltenen Gastrechts Unterschlupf gewährt hatte – obwohl der der sunnitischen
Rechtsschule der Salafis angehört oder ihr zu tendiert. Hanafis und Salafis stimmen in ihren Lehren nicht überein.
Das intellektuelle Zentrum der Salafis liegt in Saudi-Arabien, Jordanien und den arabischen Golfstaaten. Die Salafis
wollen einen utopischen islamischen Staat errichten, in dem die Quellen der islamischen Religion wörtlich genommen und die mittelalterlichen Rechtsschulen und Rechtskommentare abgelehnt werden.
Nach seiner Ausweisung 1992 ging bin Laden in den Sudan, um das fundamentalistische Regime um Turibai dort
durch den Aufbau von drei Ausbildungslagern im Norden des Sudans im Kampf gegen die Christen im Süden des
Landes zu unterstützen. Als er den Sudan 1996 auf Druck der Amerikaner verlassen musste, zog er nach Afghanistan, um sich unter dem Kriegsnamen „Abu Abdullah“ an dem Kampf gegen die sowjetischen Invasoren zu beteiligen.
Die Afghanen nahmen ihn mit offenen Armen auf. Der Führer der Taliban, Scheich Omar, der sich selbst „Herrscher
der Gläubigen“ nennt, heiratete einer der Töchter bin Ladens. Damit nicht genug: Die Taliban eröffneten ihm die
logistische Möglichkeit und Hilfe, mit seinen großen Finanzmitteln im Bereich des von ihnen kontrollierten Landesteiles mehrere Ausbildungs- und Trainingslager für islamische Terroristen zu unterhalten. Dort werden sie militärisch und ideologisch so ausgebildet, dass sie sich nicht als Terroristen verstehen - wie zu handeln ihnen glaubensmäßig verboten wäre -, sondern sich als Kämpfer gegen den von dem Westen, insbesondere den USA und Israel
gegen Muslime ihrer Meinung nach verübten Terror sehen - was eine einem strenggläubigen Muslim erlaubte Handlung ist. Die Sunniten, denen - im Gegensatz zu den Schiiten - das religiöse Märtyrertum fremd ist, werden dort in
der Tradition der schiitischen Assassinen, einer berüchtigten septimanisch-neuismaelitischen Sekte des 11. Jahrhunderts in Persien und Syrien, die Mord in einem solchen Umfang als Mittel der politischen Auseinandersetzung einsetzte32, dass der Name dieser Gruppe u.a. im Französischen und Englischen der Ursprung für die heutige Bezeichnung von politisch motivierten Mordanschlägen ist, ausgebildet. Nach der zentralen Ausbildung werden die Kämpfer
dann als »Franchising-Unternehmer des Dschihad-Terrorismus« dezentral ausgeschickt, um sich dezentral ihre Ziele
zu suchen. In einem Kongressbericht vom 10.09.01 – ein Tag vor dem die gesamte zivilisierte Welt schockierenden
Anschlag – werden erkannte Zellen in 34 Ländern genannt; Deutschland, wo mindestens einige der Luftpiraten bis zu
ihrem Einsatz völlig unauffällig lebten, war nicht dabei. Wir können also davon ausgehen, dass es noch wesentlich
mehr terroristische Zellen, wie z.B. die erst später entdeckten Gefolgsmänner („Schwarze Blumen“) des international
ebenfalls vordringlich gesuchten Terroristen und im Irak sich als Geiselschlächter betätigenden Zarqawi, den seit
1997 in Beckum lebenden Abu Ali alias Yaser Hassan und den seit 1997 als Asylbewerber in Krefeld lebenden
Shadi Abdallah alias Emad Abdelhadie, gibt, die hier auf ihren mörderischen Einsatz als Selbstmordattentäter in
Deutschland und der übrigen Welt warten (und während dieser Wartezeit unter den eingewanderten Muslimen ihrer
Gastgesellschaft für ihre Sache Gleichgesinnte suchen)! So ist bin Laden mit Hilfe der Taliban vermutlich zum Finanzier und Ideengeber des weltweiten Dschihad-Terrorismus aufgestiegen. Es wird aber schwer sein, wegen des
selbständigen dezentralen Vorgehens der einzelnen Gruppen ihm eine direkte irgendwie geartete Beteiligung an
einem der Anschläge nachzuweisen, nachdem er seine Verbindungen nicht mehr per abhörbarem Satelliten-Telefon
aufrechterhält, sondern nur noch durch Boten.
Für Osama bin Laden ist das, was er als Pate und Drahtzieher des islamistischen Terrors macht, Dienst an Allah: „Es
ist mein sehnlichster Wunsch, mein Leben für die Sache Allahs zu opfern.“ Der Krieg der Sowjets war sein Schlüsselerlebnis. U.a. die CIA drillte während des von den Islamisten als Heiliger Krieg empfundenen Kampfes gegen die
sowjetischen Invasoren bin Ladens aus 12 arabischen Ländern kommenden 12.500 in Afghanistan „Arabi“ genannten arabischen Freiheitskämpfer, rüstete sie mit bestem Kriegsmaterial – u.a. den Stinger-Wärmeraketen - aus und
zahlte jährlich 500 Mill. Dollar an Unterstützungsgeldern bis zu einer Gesamtsumme von 3 Mrd. Dollar in den 80er
32
Breuers, D.: Ritter, Mönch und Bauersleut – Eine unterhaltsame Geschichte des Mittelalters, 1994, S. 26
„… die Wurzel des französischen Wortes »assassin« (Mörder) [und gleichfalls des englischen »assassin« (Meuchel-)Mörder
mit seinen Ableitungen assasinate (ermorden) und assassination (Ermordung); der Verf.] … ist abgeleitet von persischen
Mordgesellen, die sich vor ihren Taten mit Drogen aufputschten und von ihren Landsleuten Haschishyn genannt wurden. Das
heute vielfach verharmloste Haschisch galt also im Mittelalter als Mörderdroge.“
74
Jahren. Vor Abzug der Sowjets hatte bin Laden so bis 1988 eine „al Qaeda“/“al Qaida“ („der Stützpunkt“) genannte,
ca. 3.000 Mann starke eigene Terroreinheit aufgebaut, die zwischen Algerien und Indonesien inzwischen in über 30
Ländern als Terrornetzwerk präsent ist und dort über zahlreiche, meist nur fünf Personen umfassende, geheime und
mit bisher unbekannter Gewaltbereitschaft selbständig agierende Operationsbasen verfügt.
Nach dem Krieg waren die in den Lagern ausgebildeten, aus allen arabischen Ländern kommenden und dort „Afghanen“ genannten Freiheitskämpfer arbeits- und beschäftigungslos. In ihren Heimatländern waren die gut ausgebildeten
Kämpfer ein Rekrutierungsreservoir für alle terroristischen Bewegungen.
Vor bin Laden gab es viele einzelne, sich auch gegenseitig bekämpfende terroristische Gruppen. Er schaffte es, mit
der „Internationale(n) Islamische Front gegen Juden und Christen“ eine übergreifende Organisation aus mindestens
sechs der radikalsten islamistischen Gruppen zu schmieden, in der islamische Fundamentalisten aus Ägypten, Algerien, Afghanistan, Bangladesch, Pakistan und der Kaschmir-Region zusammengefasst sind. Ihr Ziel ist es, in islamischen Ländern nicht-islamischen, sprich: israelischen und westlichen, sprich: us-amerikanischen Einfluss zu vertreiben.
Bin Laden sieht es – laut Aussage des jetzt mit den US-Behörden zusammenarbeitenden ehemaligen al-QaedaKämpfers Jamal Ahmed Al-Fadl - als seine Heilige Pflicht an, sich Giftgas- oder andere biologische und atomare
Waffen zu verschaffen; Giftgas und biologische Waffen sollten vielleicht aus dem Irak beschafft werden, erste Versuche des Kaufs von Uran waren durch einen zu den Amerikanern übergelaufenen ehemaligen al Qaeda-Kämpfer, Al
Fadl, bekannt geworden. Im August 1996 rief bin Laden offen zum Krieg gegen die USA auf, weil die USAmerikaner als Ungläubige den heiligen Boden Saudi-Arabiens betreten haben, um von dort aus nach dem Überfall
Saddam Hussains auf Kuwait gegen den Irak kämpfen zu können. Ein weiterer Grund für seinen Kampf gegen die
USA ist deren Unterstützung Israels, das seinerseits den Zugang zu dem drittwichtigsten Heiligtum des Islams, der El
Aksa-Moschee in Jerusalem, kontrolliert. Ein Aufruf bin Ladens von 1998 lautet: „Wir rufen mit Gottes Hilfe jeden
Moslem, der an Gott glaubt und der belohnt werden will, weil er an Gottes Gebote glaubt, auf, die Amerikaner zu
töten und ihr Geld zu rauben, wo immer es ist.“ Die Anschläge auf us-amerikanische Botschaften in Kenia und Tansania werden ihm von den US-Amerikanern – wenigstens als Ideengeber – zugerechnet. Aber ein Verdächtiger ist
nicht zwangsläufig der Täter! Die USA sahen in ihm gleich den Mann, der hinter den durch gekaperte und als fliegende Bomben eingesetzte Zivilflugzeuge verübten Anschlägen auf das World-Trade-Center in New York und das
Pentagon in Washington stecken soll. Weil die USA Vergeltung und als Selbstverteidigung die Bekämpfung des
Dschihad-Terrorismus überall auf der Welt angekündigt haben und es jetzt Ernst werden wird, da die Unterstützer
der Terroristen wie die Terroristen selbst zur Verantwortung gezogen werden sollen, baten die Taliban nach dem
Anschlag in den USA, Afghanistan vor der Rache der USA zu verschonen, denn was Rache ist, ist islamischen Fundamentalisten sehr geläufig!
Die selbsternannte Taliban-Regierung lehnte aber die zur Bedingung gemachte Auslieferung bin Ladens an die USA
kategorisch ab. Im Falle des Vorliegens eindeutiger Beweise seiner Schuld käme höchstens ein Verfahren vor einem
islamischen Gericht in Afghanistan in Betracht. Die nach Kabul berufenen rund 1.200 höheren Gesitlichen des Landes, die über die Frage der Auslieferung bin Ladens beraten und entscheiden wollten, kündigten für den Fall eines
us-amerikanischen Angriffs die Ausrufung des Heiligen Krieges an und dieser „Rat der Geistlichen“ forderte bin
Laden auf, das Land zu verlassen - ohne zu sagen, was passieren solle, wenn der dieser Aufforderung nicht nachkommen sollte.
Nach diesen letzten gescheiterten Aufrufen eröffneten die USA die militärischen Angriffe auf die Terroristen und die
Taliban und beseitigten mit Flächenbombardements binnen Monatsfrist das fundamentalistische Regime – ohne
überall in Afghanistan den Aufbau demokratischer Strukturen durchsetzen, geschweige denn den erforderlichen
Umdenkungsprozess in den Köpfen weiterhin fundamentalistisch denkender und handelnder Männer in Gang setzen
zu können. Damit hat sich die Lage der Bevölkerung, insbesondere in der Hauptstadt Kabul, nur zu einem kleinen
Teil gebessert; grundsätzlich ausgenommen davon ist die Lage der alleinstehenden Frauen und ihrer Kinder. In dem
Rundbrief Nr. 1 (12/02) des Aktionsbüros Afghanistan der Friedensinitiative Nottuln, die in Deutschland Spenden
für Afghanistan sammelte und insbesondere die Frauenorganisation RAWA unterstützte, hieß es zur Lage der Frauen
in Afghanistan ein Jahr nach der Beseitigung des Taliban-Regimes: „Stattdessen wurden die weiblichen Delegierten
auf der Großen Ratsversammlung bedroht, mundtot gemacht und von wichtigen Regierungsposten ferngehalten. ...
Erneut wird Frauen und Mädchen der Zugang zu Bildung gewaltsam versperrt. Mehrere Mädchenschulen wurden
angezündet oder durch Bomben zerstört. ... die Richterin Marzeya Basil wurde kürzlich entlassen, weil sie bei einem
Gespräch mit US-Präsident Bush kein Kopftuch trug, nach wie vor wird das repressive islamische Recht (Scharia)
gegen Frauen angewendet ... Das sichtbarste Zeichen der fortwährenden Unterdrückung und Bedrohung von Frauen
ist die Burka, die von Frauen und Mädchen aus Angst vor Misshandlung, Vergewaltigung oder Verschleppung zum
Zweck der Zwangsheirat weiterhin im ganzen Land und auch zum Großteil in Kabul getragen wird. Es wurden Fälle
von Frauen bekannt, denen in Kabul Säure ins Gesicht gespritzt wurde, weil sie die Burka durch ein Kopftuch ersetzt
75
hatten. ... Die Verweigerung des Rechts auf Bildung für Frauen ist ein Kernelement der Ausgrenzung von Frauen in
der afghanischen Gesellschaft. Weniger als 5 % der Frauen können lesen und schreiben. ... Die Nachfrage nach
Bildung ist bei den Frauen trotz der oft vorgefundenen Widerstände ihrer männlichen Verwandten sehr groß. ...
Frauen ist es auch weiterhin praktisch verboten, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ihnen bleibt dann oft nur
die Bettelei, die Kinder zum Betteln zu schicken oder die Prostitution. Die Hähnchenfarm ist eines der RAWAProjekte zur Einkommenssicherung von Frauen. Bezeichnend ist, dass selbst in diesem Projekt ein Mann eingestellt
werden muss, der die Hähnchen verkauft. Frauen würden sich ansonsten Angriffen ausgesetzt. ... Für die Klinik in
Farah konnten von der ’Aktion Lebensträume’ Memmingen zwei Ambulanzfahrzeuge zur Verfügung gestellt werden.
... RAWA wurde die Registrierung der Fahrzeuge bislang verweigert.“ Und die Chefredakteurin einer Frauenzeitschrift in Afghanistan, Mudjahid, gab in einem STERN-Interview (13.02.03) über die Lage der Frauen in ihrem Land
zu Protokoll: Die Frauen hätten noch immer keine Freiheit, da Fundamentalisten die Demokratisierung des Landes
bremsten und sogar die islamische Gesetzgebung wieder einführen wollten, was einer erneuten Gefangenschaft von
Frauen gleichkäme. Aus Angst vor diesen Fundamentalisten trügen die Frauen weiterhin den Ganzkörperschleier der
Burka. Kinderberg International berichtet in seinen News 08/03 über die Betreuung von Frauen im Staatsgefängnis
von Kabul. Die Gründe für die Verurteilung der dort einsitzenden Frauen seien meist „sozialethischer Natur“: Unerlaubte Schwangerschaften unverheirateter Frauen, Fortlaufen von der Familie, weil die Frauen sich weigerten, den
von der Familie ausgesuchten Ehemann zu heiraten, heimliche Heirat eines anderen, ... Das ist ein Blick auf die alltägliche, weiterhin Frauen diskriminierende Lebenssituation im nachtalibanischen Afghanistan! Der im STERNArtikel „Verraten und verkauft“ vom 11.12.03 geschilderte Fall kann die weiterhin bestehende, von der jahrhundertelangen Tradition der misslichen Behandlung der Frauen in Afghanistan geprägte Situation deutlich machen: Nurija
wurde 1990 als viertes Kind ihrer Eltern in Mazar-i-Sharif geboren. Der kinderlos gebliebene ältere Bruder des Vaters wurde neidisch auf das Familienglück. Er forderte das Mädchen, als es drei Monate alt war, für sich – und der
jüngere Bruder gehorchte. Seitdem war das Mädchen das Eigentum ihres Onkels. Als die Frau des Onkels und nunmehrigen »Vaters« starb, zog der Onkel mit seiner »Tochter-Nichte« auf der ständigen Suche nach Arbeit durch den
Norden Afghanistans. Als das Mädchen neun Jahre alt ist, wird dem Onkel mit lüsternem Blick auf das Mädchen
eine Stelle als Hausverwalter angeboten, das Mädchen könne einen der Söhne des neuen Arbeitgebers heiraten. Doch
dann will der Tischler das hübsch herangewachsene Mädchen für sich als Zweitfrau. Der Onkel verkauft ihm seine
Nichte für umgerechnet 2.600 €. Der Vater des Mädchens erhält ebenfalls 2.600 € und erklärt daraufhin seiner ihm
längst entfremdeten 12-jährigen Tochter, dass sie den inzwischen 62-Jährigen heiraten müsse. „’Ich wollte nicht
neben diesem alten Mann liegen’, sagt Nurija. Doch sie wurde nicht gefragt. Als Zweitfrau musste sie in einer Familie leben, in der die Kinder älter waren als sie selbst, und ihrem 49 Jahre älteren Ehemann zu Diensten sein. ’... doch
der Mullah hat die Ehe gesegnet,33 und damit war alles in Ordnung’.“ Eines Abends schlägt jemand gegen das Tor
des mit einer Lehmmauer umfriedeten Hauses. Als der frisch gebackene Ehemann an das Tor geht, wird er erschossen – und seine Kind-Ehefrau als Anstifterin des Mordes an ihrem Ehemann in das Gefängnis gesteckt. Selbst wenn
sie schuldig sein sollte, könnte sie laut Staatsanwalt wegen ihres zu geringen Alters nicht bestraft werden. Im Gefängnis kann sie wegen ihres Alters auch nicht bleiben. Ihr Vater würde seine Tochter wieder bei sich aufnehmen –
„aber nur wenn die Angehörigen des Ermordeten auf Rache verzichten. ... Doch die Familie des Getöteten fordert
Vergeltung. ’Nurija ist schuldig’, sagt der Bruder des Getöteten voller Zorn. ’Wenn die Behörden sie nicht bestrafen,
müssen wir das in die Hand nehmen.’ Seine Familie sei nicht mächtig, aber mit Allahs Hilfe werde sie das Mädchen
zur Rechenschaft ziehen. ’Blut muss mit Blut abgewaschen werden.’“
Im Westen des Landes an der Grenze zum Iran und zu Turkmenistan herrscht als Feudalherr und selbsternannter
Emir von Westafghanistan Ismail Khan. Nach seinem Gebot dürfen Frauen selbst nach der Zerschlagung der Taliban-Herrschaft in Herat und Umgebung nicht ohne Burka oder bodenlangen Schleier auf die Straße. Es gibt keine
Pressefreiheit und das Erscheinen jeder Zeitung und jedes Buches muss vor dem Druck von Ismail Khan genehmigt
worden sein! Herat ist die Stadt, von der erwogen wird, dass Bundeswehrsoldaten dort, wie in Kabul, zur Sicherung
des öffentlichen Lebens eingesetzt werden sollen. Ismail Khan tat demgegenüber kund: „Niemals, niemals lasse ich
zu, dass Fremde und Ungläubige hierher kommen und Macht ausüben“ (Stern 12.06.03).
„Nach 23 Jahren Krieg und vier Dürrejahren ist das Land fast vollständig zerstört. Unterernährung und Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Typhus und Malaria sind weit verbreitet. Sauberes Trinkwasser ist selten. ... Trotz
33
Im Fall der Ägypterin al Hinnawi war mit dem Segen eines Imams eine nicht offiziell beglaubigte „Urfi-Ehe“ mit dem bekannten ägyptischen Fernsehmoderator al Fishawi eingegangen und auf einem Blatt Paier geschlossen worden. Der Vater wollte
seine aus dieser Beziehung hervorgegangene Tochter nicht als seine leibliche Tochter anerkennen. „Ohne Anerkennung des
biologischen Vaters existierte Lina für den ägyptischen Staat faktisch nicht“ (STERN 22.06.06). Erst als das Berufungsgericht
für Familienangelegenheiten in Kairo eine DNA-Analyse anordnen wollte, bequemte sich der biologische Vater, seine Vaterschaft anzuerkennen.
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aller Versprechungen seitens der Geberstaaten erreicht die versprochene Nahrungshilfe nur ungefähr die Hälfte der
benötigten Menge. Das UN-Welternährungsprogramm hat große Schwierigkeiten, seine Versorgungswege offen zu
halten. ... Für viele ist das Leben in Afghanistan aufgrund von Gewalt und ethnischer Verfolgung gefährlich“ (Ärzte
ohne Grenzen 4/2002 Akut).
Im Dezember 2004 schrieb die Deutsch-Afghanische-Initiative (DAI) in ihrem Mitteilungsblatt „DAI aktuell“: „In
Afghanistan besuchen nur etwa 3-5 Prozent der Mädchen auf dem Land eine Schule. Dies liegt u.a. auch daran, dass
die Schulwege sehr weit sind, zu weit für Mädchen. Anders als Jungen dürfen sie ihre Dörfer nicht allein verlassen.
So bleibt ihnen der Zugang zur Schule außerhalb ihres unmittelbaren Umfelds weitgehend verwehrt. Die Gesundheitsversorgung in Afghanistan ist insgesamt sehr schlecht. Besonders prekär ist die Lage allerdings für Frauen. Die
Müttersterblichkeit liegt nach Angaben von UNICEF bei etwas 1.900 von 100.000 gebärenden Frauen (im Vergleich
dazu liegt die Müttersterblichkeit in Deutschland bei 5,6). Etwa die Hälfte der Afghaninnen, die im gebärfähigen
Alter sterben, stirbt durch Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt. Ebenfalls erschreckend hoch ist die
Säuglingssterblichkeit mit etwa 165 auf 1.000 Lebendgeburten (im Vergleich dazu liegt die Säuglingssterblichkeit in
Deutschland bei 4,5).“
Die Lage der Frauen in Afghanistan hat sich auch in der Folgezeit nicht wesentlich verbessert:
In Afghanistan, wo einst die Taliban Finger mit rot lackierten Nägeln abhackten und Vergewaltigungsopfer wegen Unzucht gesteinigt wurden, ist auch fünf Jahre nach dem Sturz der Gotteskrieger Gleichberechtigung ein unbekanntes Wort. Zwar wurde mit Ach und Krach ein Wahlrecht für den weiblichen
Teil der Bevölkerung durchgesetzt, wurden Mädchenschulen eröffnet und eine Handvoll Politikerinnen
als Aushängeschilder platziert. Doch stülpen sich die Afghaninnen freiwillig weiterhin die Burka über,
wiedererstandene Taliban brennen die neuen Schulen nieder, und Menschenrechtsgruppen sorgen sich
um die wachsende Zahl von Frauen, die den Zwangsehen und Misshandlungen durch Freitod entfliehen.
DIE WELT 09.12.06
Das größte Problem sind die nicht von der pakistanischen Regierung kontrollierbaren Grenzgebiet zu Afghanistan.
Es ist extrem schwierig für die pakistanische Armee, in diesen Stammesgebieten zu operieren. Die Clan-Chefs dieser
Grenzregionen, die hier traditionell das Sagen haben, führen ihre Territorien wie unabhängige Staaten. Für sie sind
selbst die Pakistaner Ausländer. In diesen Gebieten sind die Gotteskrieger längst wieder auf dem Vormarsch. Die
Stämme unterstützen traditionell die Taliban und Al Qaida und die Hezb-e-Islami von Gulbuddin Hekmatyar, die
drei wichtigsten Gruppen, die gegenwärtig gegen die internationale Präsenz in Afghanistan kämpfen und dort ihr
Rückzugsgebiet haben.
Hinter dem Andauern der kämpferischen Auseinandersetzungen in Afghanistan stecken – neben religiösem Fanatismus – gewichtige geostrategische Erdölinteressen der USA, Argentiniens und Pakistans. Im zentralasiatischen Turkmenistan sind im Gebiet von Mary reiche Erdöl- und Erdgasfunde gemacht worden. Aber wie sollen das Erdöl und
Erdgas von dort oder von Kirgistan zu einem Erdölhafen befördert werden, welcher Erdölhafen soll für diese Lieferungen vorgesehen und dafür ausgebaut werden? Es gibt drei dafür in Betracht kommende Pipeline-Routen: Die
Westroute über das Gebiet anderer GUS-Staaten und Russlands an das Schwarze Meer. Aber die Turkmenen wollen
diesen Weg auf Grund ihrer Erfahrungen als Mitglied der ehemaligen UdSSR nicht. Die zweite Route könnte nach
Südwesten über den Iran führen. Dagegen sind die USA, weil sie sich nach den Erfahrungen der jahrelangen Besetzung ihrer Botschaft in Theheran und der Geiselnahme ihrer Staatsangehörigen nicht von diesem „Schurkenstaat“
fundamentalistischer Prägung, gegen den sie ein Handelsboykott verhängt haben, abhängig machen wollen. So bleibt
nur noch der lange Weg nach Süden über patschtunisches Gebiet in Afghanistan und durch Pakistan. Die Pakistani
könnten so drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie haben sich schon immer eingemischt, um einem ihnen genehmen System in Kabul in den Sattel zu helfen, damit ihre Handelsrouten gesichert bleiben, sie würden erhebliche
Transsiteinnahmen für die Durchleitung des Erdöls und Erdgases durch die über ihr Gebiet laufende Pipeline erzielen, und sie hätten so ihre eigene Versorgung sicherer gemacht.
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10. Türkei
Die arabischen Länder haben nie eine so einschneidende Wende in dem muslimischen Bewusstsein ihrer Bevölkerung erlebt, wie die Türkei. Um die Tiefe des Einschnitts zu verstehen, muss man sich bewusst machen, dass die
Türkei jahrhundertelang während des Niedergangs der arabischen Hegemonie innerhalb der islamischen Welt die
Schutzmacht des Islam gewesen ist. Und diese jahrhundertelange Schutzmacht erklärte in dem kemalistischen Augenblick ihrer Geschichte den Staat als offiziell von der Religion getrennt! Als äußere Zeichen für diese einschneidende Wende wurden 1922 das Sultanat durch eine republikanische Staatsform ersetzt, 1924 das Kalifat und
die religiösen Gerichte abgeschafft, zwischen 1925 und 1928 die Koran-Schulen. Der islamische Mondkalender
wurde durch den gregorianischen Kalender, die arabische Schrift durch die lateinische ersetzt.34
Das Sultanats-Kalifat wurde abgeschafft, um gar nicht erst spätere Legitimationsanforderungen für die Nachfolger
der Kalifen entstehen zu lassen. Lieber ein Ende der Dominierung des Staates durch die Religion mit Schrecken, als
ein Schrecken ohne Ende! Und es wurden nach der Abschaffung des Islam als Staatsreligion in der Türkei (und der
Einführung der lateinischen Schrift) 1928 demokratische Grundstrukturen geschaffen – die allerdings mit so großen
Defiziten arbeiten, dass die Mitgliedschaft der Türkei im Europäischen Parlament für einige Zeit suspendiert wurde.
Trotzdem ist die Türkei das einzige islamische Land mit einem demokratischen Ansatz. Ob das aber eine Mitgliedschaft in der EU begründen sollte, ist zumindest fraglich!
Für uns, die wir nicht mit der Geschichte des Kalifates in der Türkei vertraut oder verwoben sind, ist nicht recht zu
ermessen, was diese radikale gesellschaftliche Neuorientierung für die seelische Neuorientierung des Einzelnen
bedeutete. Wir nehmen in biedermeierlicher Beschaulichkeit – ein Bürger in „Faust“ während des Osterspazierganges: „... wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker auf einander schlagen.“ - die Abschaffung des Kalifates als eine
Laune der Geschichte hin; na und? Aber wir können nur sehr schwer die geschichtliche Dimension für das Volk und
die gesamte sunnitische Welt und die seelische Dimension dieses radikalen tiefen Einschnitts für den Einzelnen ermessen. Ich kam nie auf den Gedanken, diese gesellschaftliche Revolution mit dem gesellschaftlichen Einschnitt zu
vergleichen, den die Französischen Revolution oder die bolschewistische Revolution in Russland für uns bedeutet
hat, geschweige denn für die damaligen Franzosen und Russen, um sie für mich gefühlsmäßig nachvollziehbar zu
machen. Der syrische Philosoph al-Azm macht den tiefen chirurgischen Schnitt des Kemal Atatürk für uns gefühlsmäßig nacherlebbar, indem er schreibt: „Um den westlichen Lesern ein Gefühl für die Außergewöhnlichkeit von
Mustafa Kemal Atatürks Tat zu vermitteln und von der großen Bestürzung, die sie damals in der muslimischen Welt
auslöste, genügt eine kurze Überlegung: Was wäre geschehen, wenn die siegreichen italienischen Nationalisten 1871
das Papsttum abgeschafft und das gesamte Vermögen des Papstes im Namen des italienischen Königreiches konfisziert hätten, anstatt die Souveränität des Papstes über den Vatikan und seine geistliche Führerschaft über alle Katholiken anzuerkennen? Wie wir wissen, spielte Atatürk 1922 mit dem Gedanken einer „italienischen“ Lösung des Kalifat-Problems, aber er verwarf alle derartigen Kompromisse, um jeder zukünftigen Legitimationsanforderung und
jeder restaurativen Bewegung von vornherein die Grundlage zu nehmen.“ (Die ZEIT 13.01.95)
Auch in dieser säkularisierten und (leider nicht wegen der jahrzehntelangen permanenten Menschenrechtsverletzungen gegenüber den ebenfalls muslimischen Kurden aber wegen der - auch an Kindern! - in den Gefängnissen vorgenommenen staatlichen Folterungen nur zeitweise) im Europäischen Parlament vertretenen Türkei versuchen - hauptsächlich in der orthodoxen "Milli Selamet Partisi" (MSP)/"Nationalen Heilspartei", die einem "islamischen Weg"
zwischen Kapitalismus und Sozialismus das Wort redete, und ihrer dann auch wieder verbotenen Nachfolgerinen,
der "Refah Partisi"/ "Wohlfahrtspartei" des Islam-Fanatikers Erbakan organisierte und mit der regierenden Vaterlands-/Mutterlandspartei verbündete - islamische Fundamentalisten in Parteien und ihnen nahestehenden Terrororganisationen die von Mustafa Kemal Pascha, genannt Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei, verfügte strikte Trennung von Staat und Religion rückgängig zu machen und der Scharia wieder Geltung zu verschaffen.
Atatürk hatte die Türkei zum ersten laizistischen Moslemstaat gemacht, um seine Landsleute vom "Geist der
islamischen Despotie" zu befreien. Die religiös-islamische Legitimation, die das Kalifat der Hohen Pforte jahrhun34
In den meisten arabischen Ländern sind zwei »Kalender«/Zeitrechnungen bekannt: die sunnitisch islamische Zeitrechnung
nach dem Mondkalender ab Hedschra, die im täglichen Leben z.B. auf Zeitungen und Münzen, verwandt wird, und die »westlich-abendländische« im außerarabischen Wirtschafts- und Flugverkehr.
Im schiitischen Iran werden drei(!) »Kalender«/Zeitrechnungen verwandt:
„Im Iran wird das Datum nach dem persisch-zoroastrischen Kalender angegeben, dem ältesten Sonnenkalender der Welt.
Die religiösen Feste bestimmt der islamische Mondkalender. Geschäfte mit dem Ausland werden nach der westlichen Zeitrechnung datiert. Je nach Kalender befinden wir uns [Ende April 2006; der Verf.] im persischen Jahr 1385, im muslimischen
Jahr 1427 oder im gregorianischen Jahr 2006“ (STERN 26.04.06).
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dertelang gegeben hat, wurde dem nunmehr laizistisch ausgerichteten Staat entzogen. Die Despotie der türkischen
Fundamentalisten will diese Grundentscheidung des modernen türkischen Staates in einer „schleichenden
Entwestlichung“ revidieren. Die Refah-Partei, die u.a 1997 zur Vernichtung aller Juden aufrief (und das, obwohl
eine enge militärische Zusammenarbeit zwischen den türkischen und israelischen Militärs besteht), strebte durch eine
weitgehende Politisierung des Islam eine De-Säkularisierung der Türkei an, woraufhin sie 1998 verboten wurde.
Sogar die Abschaffung der durch Kemal Atatürk verfügten Einführung des lateinischen Alphabets und die Wiedereinführung der arabischen Schrift als Ausdruck der Rückbesinnung auf und der Hinwendung zu den (durch die jahrhundertelang von ihnen bekämpften und unterdrückten Arabern gelegten) islamischen Wurzeln des Landes wurde
gefordert. Doch die türkischen Anhänger eines islamisch-pantürkischen Staates in osmanischer Tradition werden
Atatürks Reformen wohl nicht revidieren können, auch wenn das schon in der Zeit Atatürks oder kurz danach angestrebt worden ist. Bisher ist in der Türkei "nur" ein islamischer Kulturkampf ausgebrochen, nicht aber eine islamische Revolution. In diesem Kulturkampf ringen die Verfechter der in Atatürks Tradition stehenden laizistischen
Strömung mit Verfechtern dezidiert islamisch-pantürkischer Vorstellungen, die nicht auf die Erbakan-Partei beschränkt sind. Erweckungsbewegungen wie die aus dem Nakschibendi-Sufiorden hervorgegangene SüleymanciSekte und die Fethullahci-Sufi-Gemeinschaft, dazu die Nurcu-Sekte gehören ebenso dazu wie die traditionellen "tarikat", die Derwischorden der Ticani, Kadiri, Rifai, Naksbendi/Nakschibendi und anderer, die seit 1925 zwar verboten sind, aber bisher (mehr im Untergrund) weiterexistierten und seit einiger Zeit zunehmend an Einfluss gewinnen,
indem sie den aus den Institutionen des Staates verbannten aber gleichwohl verdeckt weiterlebenden Islam am Leben
erhielten.
Wegen der bisherigen Ablehnung des türkischen Antrags auf Vollmitgliedschaft in der EG, die auch 2000 dem Land
erneut die europäische Reife absprach, fühlt sich der NATO- und bisherige Folterstaat Türkei von den Staaten der
EU politisch nicht hinreichend geachtet und von den Menschenrechtsorganisationen gebrandmarkt, was den Stolz
großer türkischer Bevölkerungsschichten (die vermutlich noch nie in einem türkischen Gefängnis einsitzen mussten!)
verletzt und den Islamisten zusätzlichen Zulauf einbringt. Amnesty international wandte sich wiederholt gegen die in
türkischen Gefängnissen praktizierte Folter, insbesondere die Folterung von Kindern. Offiziell wurden die Folterungen von der türkischen Regierung bisher möglichst heruntergespielt oder rundweg bestritten. Diese Verteidigungsstrategie war aber nicht immer durchzuhalten, besonders dann nicht, wenn ein Insider "plauderte". So fasste ein türkischer Polizist seine Erfahrungen in dem Satz zusammen: "Die Folter gehört zum Polizeibetrieb wie Zigaretten zum
Tabakhändler." Da half dann kein Abstreiten mehr. Darauf drohte die Türkei der EG mit einer Loslösung vom Westen und einer verstärkten Hinwendung zur islamischen Welt. Der vormalige Staatsminister Konukman propagierte
ein neues pantürkisches Reich, das weite Gebiete des Kaukasus und Zentralasiens umschließen solle - dann brauche
man die EG nicht mehr. Einige Minister ließen bei offiziellen Veranstaltungen ihre Frauen mit religiöser Kopfbedeckung auftreten - vor Özals Regierungszeit noch ein Ding der Unmöglichkeit in der nach offizieller Ideologie durch
Atatürk laizistisch verfassten Türkei! Aber Özal war ein Mitglied des der Wiederbelebung des Islam verpflichteten
Nakschibendi-Sufiordens. Terroristische Islamisten der "Organisation islamische Bewegung" und der "Organisation
islamische Rache" begingen 1990 über 10 Politmorde und gaben in Bekennerschreiben als Begründung an, "die
Hinrichtung der Ungläubigen erfolgte wegen ihrer Meinung zur islamischen Bekleidung". Wenn es nach dem Willen
der von dem Führer der "Grauen Wölfe" Alparslan Türkes geführten rechtsextremen Oppositions-"Partei der Nationalen Arbeit" und der fundamentalistisch-islamischen "Nationalen Heilspartei" ginge, würden sofort ihre rigorosen
Vorstellungen, wie z.B. der Schleierzwang für alle Frauen, durchgesetzt.
Der arabischen Welt aber erscheint diese bisher weitgehend laizistische Türkei, in der die Menschenrechte wie in
keinem anderen NATO-Land mit Füßen getreten werden, mit ihrem Anflug demokratischer Grundstrukturen und
ihrer Trennung von Kirche und Staat als zu westlich. Die türkische Staatsform, die NATO-Mitgliedschaft und die
diplomatischen Beziehungen zu Israel werden vom Iran bis Saudi-Arabien als "Verrat" am Islam angesehen.
Von den demokratischen Grundstrukturen besteht wirklich nur ein Anflug: Am Wahlrecht wurde ständig schamlos
manipuliert, so dass z.B. Özals Partei Anap bis zur Niederlage bei der Parlamentswahl 1991 mit nur 36,3 % der
Stimmen im Parlament über 2/3 der Abgeordnetensitze verfügte. Und bei der nachfolgenden Parlamentswahl im
Oktober 1991 waren überhaupt nur 6 Parteien zugelassen worden - von denen die konservative "Partei des richtigen
Weges" (DYP) des schon sechsmaligen Ministerpräsidenten Demirel dann das Rennen machte. (Die islamischen
Fundamentalisten errangen 17 % der Stimmen.) Andere waren von vornherein aus dem Rennen um die Wählergunst
herausgeworfen worden, wie z.B. die als legal anerkannte kurdische Volkspartei HEP.
Dagegen verband die von den Fundamentalisten als zu westlich beurteilte Türkei mit anderen islamischen Staaten die
Art der staatlich sanktionierten Folter, wie z.B. die Bastonade. Nach der Parlamentswahl 1991 gingen die Hoffnungen dahin, dass dieses traurige Kapitel bald behoben sein werde, denn der neue alte Ministerpräsident Demirel richtete ein Ministerium für Menschenrechtsfragen ein, um den internationalen, auch von der Türkei seit längerem unter-
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zeichneten Menschenrechtskonventionen im eigenen Land Geltung zu verschaffen. Amnesty international berichtete
Äußerungen von Folterknechten gegenüber Gefangenen wie: "Wir bringen hier selbst Steine zum Reden." Folterknechte werden noch immer nicht gerichtlich verfolgt, sondern sogar noch befördert. Ärzte werden gezwungen,
falsche Gesundheitszeugnisse auszustellen, damit die Spuren von staatlichen Folterungen verwischt werden. Wie
einfach wäre es gewesen, durch einen die Folter abschaffenden Erlass Glaubwürdigkeit herzustellen! Der Justizminister Oktay (SHP) hatte es auch versucht. Doch Staatspräsident Özal blockierte die angestrebten Reformen durch
ein Veto: Das liberale Strafrecht ohne Folter begünstige Personen, die des Terrors angeklagt seien, ebenso wie normale Straftäter, und: "Mit gläsernen Polizeistationen kann ein Staat nicht mächtig werden." Mag die Türkei auch Teil
des westlichen Bündnisses sein, so hatte doch das, was sich - jedenfalls bisher - in ihrem Inneren abspielte, mit Freiheit, Demokratie und Respektierung der Menschenrechte bisher nur wenig zu tun! Trotz des Ministeriums zur Wahrung der Menschenrechte ist der blutige Bürgerkrieg gegen die kurdische Minderheit - ungeachtet der Proteste der
europäischen Staaten - mit Bombardierungen kurdischer Dörfer fortgesetzt worden. Wer sich in der Öffentlichkeit
verbotswidrig(!) auf kurdisch unterhielt, wurde ins Gefängnis geworfen. Ein Beispiel für viele von amnesty international: Nach dem kurdischen Neujahrsfest 1992 ist eine 17jährige Kurdin von der Polizei festgenommen worden. Zwei
Tage später konnten die Verwandten ihre Leiche auf dem Polizeirevier abholen. Ihr Körper wies Spuren schwerster
Misshandlungen auf. Das Mädchen hatte eine tödliche Schussverletzung im Kopf: Die Polizei behauptete, das Mädchen habe sich selber im Gefängnis mit einer großkalibrigen Pistole erschossen - obwohl den Gefangenen alles bis
einschließlich der Schnürsenkel abgenommen wird.
Die islamische Republik Iran wetteifert (wie auch in Afghanistan) auf vielfältige Art mit Saudi-Arabien um Einfluss in der Türkei, kann sich dabei aber nicht auf die streng säkularistisch orientierte schiitische Minderheit der 15
Millionen Aleviten, ein Fünftel der Bevölkerung, verlassen. Wegen ihres weltlichen und liberalen Religionsverständnisses und wohl auch wegen ihres schiitisch gegründeten, aber auch vom Christentum und Ostreligionen beeinflussten Glaubens werden die Aleviten in der Türkei von der sunnitischen Mehrheit seit Jahrhunderten diskriminiert
und verfolgt. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Alewiten aus Ost-Anatolien stammen und Kurden sind!
Die Alewiten benutzen „Cem-Häuser“ statt Moscheen, in denen nicht in Richtung Mekka, sondern in Kreisanordnung gebetet wird, um sich während des Gebetes gegenseitig anschauen zu können, da Allah in jedem Menschen in
einem Funken vorhanden sei, der seinem Ursprung, Allah, zugeführt werden könne. Bei den Alewiten stehe der
mündige und eigenverantwortliche Mensch im Zentrum des (auch sehr diesseitig ausgerichteten) Glaubens. Darum
sind in dieser islamischen Spielart, wie im Christentum, ganz selbstverständlich Männer und Frauen aus Prinzip
gleichberechtigt und beten auch zusammen – ein Graus für jeden Fundamentalisten, erst recht für jeden Islamisten!
Weitere gravierende Unterschiede zum Sunni-Islam sind: Alewiten stützen ihren Glauben nicht auf alle fünf Säulen
des Islam – und bringen den damit nach Meinung der Fundamentalisten zum Einsturz: Es gibt keine Verpflichtung
zum rituellen fünfmaligen Gebet täglich, zum Fasten im Ramadan und zur Pilgerfahrt nach Mekka. Auch Alkoholgenuss ist ihnen erlaubt. Der Koran wird nicht wörtlich, sondern spirituell ausgelegt. Deswegen sind die Alewiten in
den Augen vieler Muslime Ungläubige, ja schlimmer noch: Ketzer! Und das in einer sich reislamisierenden Türkei!
Der Druck auf die Aleviten hatte durch die Wahlerfolge der islamischen Fundamentalisten enorm zugenommen und
gipfelte 1993 in einem Brandanschlag auf ein Hotel in der Stadt Sivas, dem 37 Künstler und Intellektuelle zum Opfer
fielen, weil der islamische Lynchmob es auf den alevitischen Schriftsteller, Satiriker und Verleger Azis Nesin abgesehen hatte, nachdem Khomeini seinen Fatwa gegen Salman Rushdie auf ihn ausgeweitet hatte. Der jedoch überlebte.
Nichtfastende alevitische Studierende wurden 1994 in der Istanbuler Universität von rechtsextremen türkischen Nationalisten und orthodoxen Moslems angegriffen. Die Polizei verhaftete aber nicht die Angreifer, sondern die alevitischen Opfer. Es gelangten immer wieder Berichte über Folterungen unschuldiger Aleviten in Stationen der seit 1980
überwiegend fundamentalistisch ausgerichteten Polizei an die Öffentlichkeit - was mich deswegen erstaunt, weil die
strenge säkularistische Ausrichtung der Aleviten eigentlich das sein müsste, was Kemal Atatürk von den Türken
forderte. Insofern bewegen sich die Aleviten innerhalb der Staatsdoktrin. Aber sie wollen, wie die Kurden auch, ihre
eigene kulturelle Identität bewahren, und die wollen die islamischen Fundamentalisten ihnen nehmen.
Bei dem Versuch der Einflussnahme auf eine islamischere Ausrichtung der durch Kemal Atatürk laisierten Türkei
arbeitet Saudi-Arabien dabei - entsprechend der Tendenz der von ihm unterstützten Gruppen mit ihren Versuchen
zur Legalisierung als islamischen Parteien und in den Parlamenten, obwohl dieser Demokratisierungsprozess in Saudi-Arabien selbst bisher nicht zugelassen worden ist - mehr auf offiziellen Kanälen, der Iran, dessen Anhänger diese
Tendenz als "Muslim-Demokratie" verhöhnen, mehr im Untergrund. Obwohl beide Staaten miteinander verfeindet
sind, streben beide eine weitere Vertiefung des islamischen Charakters der Türkei an und stärken so die dortigen radikalen Fundamentalisten, die mit Anschlägen von sich reden machen, wie z.B. der "Islamische Heilige
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Krieg", der z.B. mit Attentaten gegen die Nahost-Konferenz in Madrid protestierte. Der Verrat an der Religion des
Propheten durch Atatürks laizistische Reformen des türkischen Staatswesens solle rückgängig gemacht, die
verwestlichte Türkei für den "wahren" Islam iranischer oder saudischer(?) Prägung zurückgewonnen werden.
Die Türken waren und sind überwiegend Sunniten. In der Geschichte des Islam erwiesen sie sich unter ihren Sultanen öfters als die Vorkämpfer und Retter des Sunnitentums gegen den Ansturm der von ihnen so gesehenen schiitischen Häretiker. Darum müssten die Saudis in der Türkei gegenüber dem Iran im Vorteil sein. Es wird in türkischen
Oppositionskreisen gemunkelt, dass saudisches Geld die Gründung der regierenden "Mutterlandspartei" Anap,
ein traditionsloses und ideologisch diffuses Konglomerat aus Rechtsliberalen, Fundamentalisten, frustrierten Sozialdemokraten und Faschisten wie den Grauen Wölfen, erst ermöglicht hätte. Religiöse Gymnasien und Internate,
Koranschulen und Schulen für Vorbeter und Prediger ("Imam-Hatip-Okullari"), die von Kindern ärmerer Eltern
– 1/6 der Bevölkerung lebt unterhalb der Landesarmutsgrenze - besucht werden, weil diese Eltern das für den Besuch
staatlicher Schulen erforderliche Geld für Verpflegung, Schulkleidung und Bücher nicht aufbringen können, werden
durch saudische Stiftungen finanziert. Dort erfolgt dann eine fundamentalistische Indoktrination. Riad "kauft"
mit Petrodollars religiöses Wohlverhalten: So muss sich z.B. eine Frau, die mit Hilfe eines saudi-arabischen Stipendiums studieren will, verpflichten, auch in der Universität eine nach vorgeschriebenen Regeln gebundene Kopfbedeckung zu tragen und Gebetszeiten und den übrigen religiösen Verhaltens- und Moralkodex strikt einzuhalten.
Das als Symbol des islamischen Anspruchs auf politische Macht von den Studentinnen getragene Kopftuch
breitet sich nach Aufhebung des auf Atatürk zurückgehenden gesetzlichen "Turbanverbotes" bis vor die Tore der
Universitäten zunehmend aus. Die religiöse Indoktrination geht so weit, dass sich z.B. an der medizinischen Fakultät
in Ankara "Strenggläubige" weigerten, an Seminaren über die Anatomie des jeweils anderen Geschlechts teilzunehmen. Seit 1980 ist eine im Militär geförderte Islamisierung im Sinne der sunnitischen Orthodoxie zu beobachten.
Inzwischen gilt die türkische Polizei laut Warnung des Geheimdienstchefs Koman als fundamentalistisch zersetzt,
denn die meisten Bewerber für die Polizeischulen kommen von islamistischen Imam-Hatip-Schulen. Bei der Infiltration des Sicherheitsbereiches durch religiöse Fanatiker verwundert es nicht, dass die vier Morde 1990 an prominenten Gegnern islamischer Strömungen und engagierten Verfechtern des von Atatürk geprägten Laizismus von
der Polizei nicht einmal ansatzweise aufgeklärt worden sind. Die als eines der vier Opfer ermordete Theologieprofessorin Ücok hatte in einem für die oppositionelle „Sozialdemokratische Volkspartei“ (die dem Fundamentalismus
wehren und die laizistische Verfassung der Türkei bewahren will, deren Abgeordnete dafür sogar mit anonymen
Morddrohungen überzogen werden) verfassten Bericht geschrieben: "Der Fundamentalismus gedeiht unter den
schützenden Flügeln der Regierung, ja die Regierung ist dessen treibende Kraft."
Auch die höhere türkische Administration wird in zunehmendem Maße durch aus Imam-Hatip-Schulen hervorgegangene strenggläubige Islamisten unterwandert. Fundamentalistische Pressionen sind wohl auch als Hintergrund für die Meldung zu vermuten, dass 1991 der scheidende Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes in
Berlin ohne Darlegung näherer Umstände in einem Jahresüberblick eher beiläufig mitteilte, sein Gericht sei in diesem Jahr u.a. mit dem Fall von Zwangs(!)beschneidungen christlicher(!) Wehrpflichtiger in der Türkei befasst
gewesen. Es wirft ein grelles Licht auf die politische Situation eines Landes und ist demaskierend für den in offiziellen Reden sicher erhobenen Toleranzanspruch, wenn ein vom eigenen Selbstverständnis her laizistischer Staat
(höchstwahrscheinlich aus religiösen Gründen) Zwangsbeschneidungen an den Mitgliedern einer religiösen
Minderheit seines Landes vornehmen lässt!
Die religiösen Spannungen im Land strahlen selbstverständlich wegen der hier lebenden ca. 2,3 Mill. Türken auf die
Bundesrepublik Deutschland aus. Die Leute kommen ja nicht nur mit ihren arbeitswilligen Händen, sondern auch mit
ihren Herzen und Hirnen her. So wurde hier 1984 der türkische „Verband der islamischen Vereine und Gemeinden“
ICCB gegründet, der sich selbst als „Kalifenstaat“ bezeichnet und den Sturz des türkischen Regimes auf seine Fahnen geschrieben hat. Der ICCB strebt die Weltherrschaft und des Islam auf der Grundlage des Islam und der Scharia
an. Nach dem Vorbild des Iran soll die laizistische Regierung der Türkei gestürzt und von einem Gottesstaat ersetzt
werden, dem als geistiges und weltliches Oberhaupt ein Kalif vorsteht. (Weil der „Kalif von Köln“ einen Gegner
einer abgespaltenen Gruppe nach Überzeugung eines Schwurgerichts hatte umbringen lassen, ist er zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Nach deren Verbüßung war geplant gewessen, ihn an die Türkei auszuliefern, falls
die Türkei schriftlich zusichern würde, dass sie ihn in dem gegen ihn in der Türkei wegen der Umsturzpläne anstehenden Hochverratsprozess weder foltern noch zum Tode verurteilen werde. Auf Grund der nicht europäischen
Standards entsprechenden Rechtssituation in der Türkei konnte er aus innerdeutschen rechtsstaatlichen Gründen nach
vollständiger Verbüßung seiner Haftstrafe dann nicht an die Türkei ausgeliefert werden.)
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Zuletzt vertröstete die immer noch um einen EU-Beitritt bemühte Türkei die Europäer mit der Ankündigung, dass
die Folter in ihrem Land bis 2002 abgeschafft sein solle. Warum nicht gleich? Deswegen besteht der Beschluss der
Ministerpräsidenten zu Recht, dass die Türkei zurzeit nicht beitrittsfähig sei und weder zu den Beitrittskandidaten
der ersten, noch zu denen der zweiten Runde gehöre. Aber aus politischen Gründen erhielt man die politische Perspektive eines möglichen Beitritts in eher fernerer Zukunft aufrecht und gewährte der Türkei im Dezember 1999 den
nur den Status eines Anwärters, der Eigendynamik zu entwickeln beginnt:
Gemäßigt islamistische Politiker, wie z.B. der (nach einem Jahr Amtszeit wegen „Volksverhetzung“ und des angeblichen Aufrufs zum Sturz der weltlichen Regierung zu zehn Monaten Gefängnis und des lebenslangen Verlusts des
Rechts zur Bekleidung politischer Ämter verurteilte und darum inzwischen wieder entlassene) ehemalige Istanbuler
Oberbürgermeister Recep Tayyip Erdogan, die das Motto des gemäßigten türkischen Islamismus verfolgen: „Warum
Bomben werfen, wenn wir auch über die Institutionen an die Macht kommen!“, errangen zwischenzeietlich in der
Bevölkerung Ansehen durch ihre qualifizierte, die allgemeinen Lebensumstände der Bevölkerung verbessernde Arbeit und stärkten so das Ansehen der Islamisten gegenüber den Kemalisten in der Bevölkerung. So entsteht in einem
Marsch durch die Institutionen eine von der Militärhierarchie als Hüter der Verfassung argwöhnisch beäugte Entsäkularisierung von der Basis her, die die von Atatürk von oben verordnete Säkularisierung der Türkei untergraben
könnte. Darum wurde die Refah-Partei 1997 auch verboten, worüber von ihr eine Klage vor dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte anhängig gemacht wurde. Aber ein Verbot hinderte keine Neugründung in Form
z.B. der islamischen Tugendpartei (Fazilet Partisi FP) – die dann 2001 auch wieder von dem türkischen Verfassungsgericht verboten wurde. Die Verfassungsrichter legten der Tugendpartei, der damals stärksten Oppositionspartei im Parlament, staatsfeindliche Tendenzen zur Last: Ihre Aktivitäten hätten sich gegen die laizistische Grundordnung der Türkei, die als wichtigstes Merkmal des türkischen Staatssystems eine strikte Trennung von Staat und Religion vorsieht, gerichtet. (Mit dieser Begründung war auch die Vorgängerin verboten worden.) Die 102 Abgeordneten
dieser Partei waren daraufhin formal „unabhängig“.
Der politische Islam der Türkei stand somit 33 Jahre nach seiner Gründung vor einer Spaltung. Es wurde sofort spekuliert, dass sich aus der verbotenen Tugendpartei zwei Ersatzorganisationen bilden könnten, die in Reformer um
den früheren Istanbuler Oberbürgermeister Recep Tayyip Erdogan und seinen Mitstreiter, den wegen Erdogans (politischer?) Verurteilung als „Volksverhetzer“ ab 2002 statt Erdogan amtierenden türkischen Ministerpräsidenten Abdullah Gül und einen konservativen Zweig mit Nähe zur ultranationalistischen MHP und der rechtskonservativen
ANAP aufgespalten sein könnten. Der ehemalige islamistische Ministerpräsident der Türkei und „Führer der Gläubigen“, Erbakan, rief den Traditionalisten und Islamisten nach diesem neuerlichen Parteiverbot einer islamistischen
Partei zu: „Habt etwas Geduld! Dieses Urteil bedeutet für uns lediglich, dass wir das Etikett austauschen. Es wird
bald weitergehen!“ Vier Wochen später gab es als Nachfolgeorganisation die Saadet-Partei (SP) / „Glückspartei“,
der 48 der Mandatsträger beitraten. Zwei Monate später gründete dann der frühere Istanbuler Oberbürgermeister
Erdogan als 39. Partei der türkischen Republik im August 2001 die islamisch orientierte Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) mit 51 der Mandatsträger der ehemaligen Tugendpartei.
Diese Partei soll nach Erdogans Vorstellungen keine islamische Partei im traditionellen Sinne sein, sondern – ähnlich den christdemokratischen Parteien Europas - eine konservative Gruppierung mit religiösen Wurzeln. Als Stichworte stehen in dem Programm dieser Partei mit einer Glühbirne als Symbol: Sozial abgefederte Marktwirtschaft,
Bekämpfung von Armut und Folter, Förderung der Meinungsfreiheit, Achtung der Menschenrechte und eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU. Ein wahrlich revolutionäres Programm für eine islamisch geprägte türkische Partei!
Und eine große Hoffnung für die Türken. Es wurde zur Zeit ihrer Gründung geschätzt, dass diese Partei ca. 30 % der
Wählerstimmen auf sich vereinen könnte, weil sich die früher oftmals die Regierung führenden Parteien Mutterlandspartei des damaligen Vizepremiers Mesut Yilmaz und die Partei des rechten Weges der Ex-Regierungschefin
Tansu Ciller durch Kungeleien und Korruption bei den Wählern um ihre Glaubwürdigkeit gebracht hätten und nicht
einmal je 10 % der Wählerstimmen erringen könnten.
So kam es dann auch: Es kamen ausschließlich vorherige Oppositionsparteien ins türkische Parlament, von denen die
„gemäßigt islamistische“ AKP dann auf Grund ihres höheren Stimmenanteils von 35 % der Stimmen nunmehr mit
363 von 550 Abgeordneten die Regierung bilden konnte – es fehlen ihr nur 4 Stimmen an einer verfassungsändernden Zwei-Drittel-Mehrheit - und die sozialdemokratisch ausgerichtete Republikanische Volkspartei CHP die Opposition stellte. Einzige außerdem im Parlament vertretene Partei ist die sozialdemokratisch orientierte Republikanische
Volkspartei CHP als Opposition. Daneben gibt es außerdem 9 unabhängige Abgeordnete. Fast die Hälfte der Wähler
ist nicht im Parlament repräsentiert.
Allerdings durfte der Vorsitzende der AKP, Erdogan, wegen einer Verurteilung in einem fragwürdigen Verfahren
wegen „Volksverhetzung“ zu zehn Monaten Gefängnis, von denen er vier absitzen musste – er hatte aus einem mindestens 100 Jahre alten, im Prozess gegen ihn vom Gericht als „staatsgefährdend“ eingestuften Gedicht, das früher
zum offiziellen Schulstoff gehört hatte, die Zeilen zitiert: "Die Minarette sind unsere Bajonette, die Moscheekuppeln
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unser Helm, die Moscheen sind unsere Kasernen, die Gläubigen unsere Soldaten.", und, das war dann wohl zuviel,
an dieses Zitat die Warnung geknüpft, wer die Religion in der Türkei ersticken wolle, der werde es mit einem "explodierenden Vulkan" zu tun bekommen - nach dem großen Wahlsieg seiner Partei nicht Ministerpräsident werden.
Diese Verurteilung hatte ihn das passive Wahlrecht für dieses Amt „auf Lebenszeit“ gekostet – bis das Gesetz durch
das neu gewählte Parlament geändert worden war. Danach durfte er in einer Nachwahl kandidieren. Mit dem errungenen Mandat gelangte er nachträglich ins Parlament und wurde auch Ministerpräsident, da sein „Platzhalter“ Gül
sofort zu seinen Gunsten auf das stellvertretend innegehabte Amt verzichtetet.
Die AKP erreichte ihren überragenden Wahlerfolg, weil die drei durch Korruption und Unfähigkeit diskreditierten
Regierungsparteien allesamt an der 10 %-Hürde scheiterten, die seit Jahren aufgestellt worden ist, um kurdische
Parteien aus dem Parlament fernzuhalten. So rutschte die Demokratische Linkspartei (DSP) des vor der Wahl amtierenden Ministerpräsidenten Ecevit von über 20 % auf etwas mehr als 1 %, die konservative Mutterlandspartei
(ANAP) des vormaligen Vize-Regierungschefs Yilmaz erreichte nur noch 5,1 %. Auch die Partei des Rechten Weges
(DYP) der Ex-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsprofessorin Ciller verlor desaströs. Erstaunlicherweise galt das
ebenfalls für die islamistische Glückseligkeitspartei (SP) des Ex-Ministerpräsidenten Erbakan.
Gleich nach der Wahl bekräftigte Erdogan zur Beruhigung der misstrauischen Militärs, insbesondere des Generalstabschefs, seine Verfassungstreue: „An der säkularen Verfassung als Fundament unserer Gesetzesordnung ist nicht
zu rütteln, eine bessere Garantie für Demokratie und Freiheit kann es nicht geben.“ Die strikte Trennung von Staat
und Religion, der fundamentale Baustein der atatürkschen Staatsreform, solle beibehalten werden.
Die Botschaft hören die türkischen Militärs und EU-Politiker wohl, allein ihnen fehlt bislang der Glaube: Einem
FOCUS-Bericht (46/2000, S. 235 ff) zufolge hatte sich Erdogan als Istanbuler Bürgermeister (1994-1998) für ein
Alkoholverbot ausgesprochen, Reklame für Badeanzüge zu einer „Ausbeutung der Leidenschaft“ erklärt, und seine
Töchter u.a. deswegen an ausländischen Universitäten studieren lassen, weil sie an den dortigen Universitäten das
traditionelle Kopftuch tragen dürfen, was ihnen in der Türkei gesetzlich verwehrt ist. Sich selbst hatte er einst als
„Anhänger der Scharia“ bezeichnet, deren Wiedereinführung er nach der Wahl aber ablehnte.
Wegen der früher geäußerten Überzeugungen werden die Generäle misstrauisch beäugen, wie Erdogan die Hauptprobleme der Türkei: hohe Arbeitslosigkeit, Inflation und Auslandsschulden, die Polarisierung zwischen sehr hohen
und sehr niedrigen Einkommen und Einkommensschichten, Korruption und Vetternwirtschaft und die bisher noch
immer weit verbreitete Missachtung der Menschenrechte durch Justiz (insbesondere teilweise inakzeptable Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes) und Polizei (Gebräuchlichkeit der Folter!), was auf Reformen im Justizwesen und
eine effektive Kontrolle von Polizei und Militär hinausläuft, sowie ein generelles Demokratiedefizit in der Gesellschaft zu lösen versuchen wird. Es wurde z.B. - mal wieder – ein Folterverbot erlassen und es wurde erstmals Kurdisch als Sprache in Schulen zugelassen: ein absolutes Novum! Dass keine der 14 AKP-Frauen im Parlament ein
Kopftuch trägt, wird den Spitzenmilitärs nicht Beweis genug für eine nunmehrige laizistische Ausrichtung der AKP
sein, da die Spitzenvertreter der AKP ihre Frauen nur mit Kopftüchern auftreten lassen oder, wenn das bei offiziellen
Anlässsen verboten ist, lieber zu Hause lassen. Ministerpräsident Erdogan lässt seine Töchter in den USA studieren,
damit sie während ihres Studiums Kopftücher tragen können, was an türkischen Universitäten ja verboten ist. Das
kostet natürlich Geld: Erdogan erhält dieses Geld von einem islamistischen türkischen Geschäftsfreund – was nicht
nur Korruptionsbefürchtungen entstehen lässt!
Nach den von Erdogan in atemberaubendem Tempo durchgeführten Reformen zur Annäherung seines Landes an die
EU-Standards einerseits und der Irritierung der EU-Politiker durch die zunächst geplante Einführung der Strafbarkeit
des Ehebruchs und die brüske Verteidigung dieses Vorhabens gegen den Aufschrei der europäischen Politiker andererseits – „Wir sind Türken und treffen unsere Entscheidungen selbst. Keiner hat uns da reinzureden.“ - schrieb der
SPIEGEL (27.09.04) über den laut SPIEGEL möglicherweise vom Islamisten zum aufrichtigen Europäer gereiften
türkischen Ministerpräsidenten: „Seither beherrscht in der Türkei ein fast verdrängtes Erdogan-Bild die Debatte: das
des Hardliners, der noch vor gar nicht so langer Zeit die Demokratie ein ’Mittel zum Zweck’ nannte und sich rühmte,
ein Verfechter der Scharia zu sein; das des doppelzüngigen Politikers, der das gesetzliche Heiratsalter anheben und
eine Bildungsinitiative für Mädchen ausrufen ließ, aber seinen eigenen Sohn mit einer 16-Jährigen verheiratete.“
Politiker in der EU beschleicht trotz des bisherigen pro-westlichen und pro-europäischen Kurses der AKP ein berechtigtes Unbehagen vor den fundamentalistischen Wurzeln und insbesondere der Intensität dieses Gedankengutes
innerhalb der Mitgliedschaft der AKP, je konkreter über eine Umwandlung der seit vielen Jahrzehnten effektiv weithin bestehenden privilegierten Partnerschaft der Türkei zur EU in eine mögliche Mitgliedschaft gesprochen werden
muss, nachdem der Türkei im Dezember 1999 nach rund 40 Jahren der Verbundenheit auf verschiedenen Ebenen
und in verschiedenen politischen Gliederungen der Status einer Anwartschaft zur Mitgliedschaft – von christlichkonservativen Politikern wie insbesondere dem ehemaligen französischen Staatspräsidenten und jetzigen Vorsitzen-
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den des eine europäische Verfassung ausarbeitenden Konvents Giscard d’Estaing offen als vor den Wünschen der
USA einknickender schwerer politischer Fehler bezeichnet - gewährt worden ist.
Die Schwierigkeit besteht u.a. darin, dass – weil es bislang nicht notwendig war - bisher nicht geklärt wurde, was die
„Europäische Union“ ist und sein soll, wenn sie mehr als eine über die Grenzen Europas hinaus erweiterbare Freihandelszone sein will: eine durch die geographischen Grenzen Europas umschlossene, auf der Kopenhagener Erklärung fußende Wertegemeinschaft?
Die offenen und verdeckten Gegner einer Mitgliedschaft der Türkei fürchten eine Sprengung der geistigen Wurzeln
und christlichen Tradition der EU, wenn das islamische Land, das dann nicht nur das größte Land sondern bald auch
das bevölkerungsreichste Land der EU werden würde, in den Staatenbund aufgenommen werden sollte. Die EU hätte
dann mehr Muslime in ihrer Bevölkerung als z.B. protestantische Christen. Soll Europa sich in Anbetracht des religiösen Toleranzgebotes des modernen säkularen Staates bis hin zur gleichberechtigten staatlichen Teilhabe bekennender Atheisten aber überhaupt noch religiös definieren? Wie wenigen Prozent der originär in Europa Lebenden
bedeutet Religion noch so viel, dass sie ihr Leben bewusst religiös gestalten? Die Kirchen der großen Religionen
sind ziemlich leer! Soll dieser Minderheit die Definitionsmacht für das, was „Europa“ ausmacht, übertragen werden?
Könnte Europa sich überhaupt noch religiös definieren? Katholisch? Seit der Abspaltung der orthodoxen Kirchen
(1054 n.Chr.) von der sich weiterhin „allumfassend“ (= katholisch) nennenden und sogar noch 2002 ihren Alleinvertretungsanspruch gegenüber allen anderen Glaubensgemeinschaften auf der Welt laut postulierenden Katholischen
Kirche geht das nicht mehr. Katholisch und orthodox? Seit der Begründung des Hussitentums (1415 oder 1420), des
lutherischen Protestantismus (1517) und der gleichzeitigen Gründung der Reformierten Kirchen durch Zwingli
(1523) und Calvin (1536) geht auch das nicht mehr. Christlich? Bei den vielen Gleichgültigen und Atheisten? Wenn
das nicht geht, dann vom anderen Ende her gefragt: Soll „falsche“, sprich islamische Religion ein Ausschlussgrund
sein? Auch die so gestellte Frage kann nicht mehr bejaht werden, nachdem in Europa große Gruppen von Muslimen
leben: In Frankreich (5 Mill.), die dort in den Vorstädten große Parallelgesellschaften gebildet haben, in der BRD (3
Mill.), in Großbritannien aus dem Commonwealth und dazu die Muslime in Bosnien, um nur die größten Gruppen zu
nennen. Welches konstitutive Selbstverständnis hat Europa dann von sich? Das einer durch die geographischen
Grenzen Europas umschlossenen, auf der Kopenhagener Erklärung fußenden Wertegemeinschaft? Wer soll nach
diesem Selbstverständnis beitreten dürfen? Wer nicht? Soll die Türkei in die Europäische(!) Union mit aufgenommen werden, weil gerade noch 0,3 % ihres Staatsgebietes als Brückenkopf zu einem rein geographisch definierten
Europa gehören? Oder soll der geographische Faktor nachrangig nach dem der gemeinsam vertretenen Werte sein?
Müsste dann nicht eines Tages die EU nach einem möglichen Beitritt Russlands vielleicht bis an die Grenze Chinas
ausgeweitet werden? Wäre die EU dann mehr als eine bloße, sich über fast zwei Kontinente erstreckende Freihandelszone, wie es die Kanada, die USA und Mexiko umfassende Freihandelszone auf dem amerikanischen Doppelkontinent ist?
Die Gegner einer türkischen Mitgliedschaft in der EU führen als Beispiele für die Unvereinbarkeit bisheriger türkischer Vorstellungen, die nicht den Standards der „Kopenhagener Erklärung“ – voll entwickelte Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte mit u.a. dem religiösen Toleranzgebot, Schutz von Minderheiten –
entsprechen mit europäischen Wertvorstellungen insbesondere das ungelöste Problem des Schutzes der Menschenrechte und den mangelnden Schutz der Minderheiten, insbesondere der Kurden, an, die nicht real existierende Religionsfreiheit sowie Rede- und Denkverbote z.B. hinsichtlich des von den Türken an den seit dem 3. Jahrhundert
christlichen Armeniern 1895/96 und 1914/15 Jahren zweimal begangenen Genozids, als die seit Jahrzehnten schwelende „armenische Frage“ von den Türken nach dem Motto radikal gelöst wurde: „Wenn es keine Armenier mehr
gibt, dann gibt es auch keine ’armenische Frage’ mehr.“ Über 1 Million Armenier wurden abgeschlachtet, auf Teilstücken der neu gebauten Bagdad-Bahn zum Sterben in die Wüste gefahren, und die wenigen überlebenden mussten
in die USA auswandern. Dieser Völkermord darf in der Türkei auch heute noch nicht als ein solcher bezeichnet werden darf. Nach europäischem Standard ebenfalls nicht hingenommen werden könnte, wenn das Militär weiterhin auf
seiner Wächterrolle über die Einhaltung der säkularisierten kemalistischen Verfassung bestehen und so in der Türkei
den ihr von der Verfassung Kemal Atatürks als sein Vermächtnis eingeräumten Primat des Militärs über die Politik
aufrecht erhalten wollte. Doch diese Wächterrolle des Militärs wäre in einer mit der EU vereinten Türkei nicht mehr
notwendig, da ja die EU selbst diese Wächterrolle übernehmen würde. Es ginge dann „nur noch“ um einen politischen Machtverlust des Militärs. Das zu akzeptieren bedarf es hoffentlich nicht eines neu zu findenden Kemal Atatürk!
Ein weiteres Hindernis ist die ungelöste Zypernfrage. Bislang hatte die Türkei sich geweigert, die seit 1974 bestehende Besetzung Nordzypern aufzugeben, um einen Beitritt der gesamten Insel zur EU zu ermöglichen. Nur durch
die defacto Zweistaatlichkeit sahen die türkischen Regierungen und die Militärs bisher die Rechte der türkischen
Minderheit auf der mehrheitlich griechisch-orthodox bevölkerten Insel gewährleistet. Aber nachdem die EU gewillt
ist, den von Griechen bevölkerten Teil der Insel unter dessen Regierung allein aufzunehmen, bewegt sich was in der
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Türkei: Erdogan regte an, dass der Zypern-Konflikt nach „belgischem Modell“ gelöst werden könnte. Das könnte auf
einen Staat mit zwei föderal verwalteten Regionen hinaus laufen, in dem Freizügigkeit für alle Zyprioten herrscht –
was dann für den türkischstämmigen Teil die Gefahr des Ausverkaufs des von ihnen bewohnten Nordens an den
reicheren, von Griechen bewohnten Süden zur Folge haben könnte. Deswegen verhinderte der Führer der zyprischen
Türken, Denktasch, zunächst einmal die Umsetzung dieses Modells.
Konservative Politiker der USA, die sich im Falle einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU dann ja nicht mit diesem
Problem herumzuschlagen brauchen, üben auf uns Europäer zur Abssicherung ihrer Erdöl- und Erdgasversorgung
aus der kaukasischen Senke um Baku in Aserbaidschan, aus Turkmenistan, Iran und Sibirien und bald aus dem
Kaspischen Meer durch Pipelines in türkische Mittelmeerhäfen und wegen der Brückenkopffunktion der ürkei in die
islamische Welt aus ihren global-strategischen Überlegungen heraus einen starken Druck zu Gunsten einer Mitgliedschaft der Türkei aus: Im Augenblick schert sie – selbst nach den Anschlägen des 11. September 2001 nicht - keine
von konservativen europäischen Politikern befürchtete Islamisierung der EU durch eine sich in ihrer jüngsten Vergangenheit auf fundamentalistisch-islamische Werte besinnende Türkei. Aber die USA würden ihrerseits keine über
die wirtschaftliche Anbindung hinausreichende staatsrechtliche Verbindung mit denen ihnen kulturell viel näher
stehenden, ebenfalls christlich geprägten Mexikanern eingehen, wie sie die EU zur Aufnahme der Türkei zu bestimmen versuchen! Und dagegen spräche in den Augen der Amerikaner nicht unbedingt nur das krasse wirtschaftliche
Wohlstandsgefälle zwischen ihnen und Mexiko, das auch zwischen der EU und der Türkei, die mit rund 2.500 €/Jahr
nur rund 22 % des mittleren Pro-Kopf-Aufkommens der EU aufweist und von dem niemand weiß, wie es aus EUMitteln durch Subventionen angehoben werden sollte, besteht. Die US-Amerikaner hätten bestimmt Befürchtungen
hinsichtlich der anderen, ihnen fremden sowohl indogenen wie katholischen kulturellen Tradition Mexikos! Da stehen das durch seine ungelösten Nationalitätenprobleme fast berstende Russland, Weißrussland und die Ukraine, ja
selbst das aus dem europäischen Judentum hervorgegangene Israel aufgrund ihrer europäisch geprägten Kultur und
Geschichte den Europäern wesentlich näher, als eine islamische Türkei mit seiner nichteuropäischen, asiatischen
Kultur und Geschichte und hätten vielleicht einen vorrangigeren Anspruch auf Aufnahme in die EU - der bezüglich
Israel in Expertenkreisen ja auch schon mehrfach diskutiert wurde, dann aber die palästinensischen Auseinandersetzungen zu einem innereuropäischen Problem machen würden! Ein Anschluss der Türkei an die EU wäre ja zunächst
auch nicht das Problem der US-Amerikaner - könnte es langfristig aber werden, wenn sich die Befürchtungen der
ihren christlichen Wurzeln bewussten europäischen Politiker bewahrheiten sollten! Die Türkei ist bisher den Beweis
für die Versöhnung von Demokratie und Glaube in ihrem Land und die unverbrüchliche Einhaltung von Rechtsgarantien für ihre Bürger schuldig geblieben.
Diese Befürchtungen zu zerstreuen ist Erdogan bemüht. Schwerpunkt ist die Überarbeitung der türkischen Verfassung, um sie mit der Europäischen Konvention für Menschenrechte in Einklang zu bringen. So sollen insbesondere
die Rede- und Versammlungsfreiheit sowie die Freiheit des Gewissens und der Religionsausübung garantiert, die
Folter abgeschafft und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unverzüglich umgesetzt
werden. Auch sollen alle internationalen Abkommen ratifiziert werden, denen das Land bisher nicht beigetreten ist.
Schon allein die Ankündigung dieser Reformvorhaben zeigte Wirkung: Der luxemburgische Ministerpräsident erklärte, dass die Europäische Union seiner Auffassung nach keine ausschließlich christliche Basis haben müsste, er
nichts von historisch-geographisch-kulturellen Gegenargumenten halte und sehr wohl Platz für eine reformierte Türkei in der EU sähe. Als Gegensignal der Möglichkeit einer demokratischen Umgestaltung eines laizisierten(!) muslimischen Landes gegenüber fundamentalistischen muslimisch Strömungen in Asien? Manche Politiker versprechen
sich von einem Beitritt der Türkei zur EU genau diese Friedensdividende. Das ist vielleicht auch die global ausgerichtete Spekulation der USA. Aber eine solche Spekulation gegenüber islamischen Fundamentalisten verkennt deren
im Islam ruhende Triebfeder und kann deshalb nicht aufgehen, weil islamische Fundamentalisten keinen laizistischen, von religiösen Bindungen befreiten, sondern im Gegenteil einen stärker dem Koran und dessen Auslegungen
in ihrem Sinne unterworfenen Staat anstreben! Der Islam ist für Fundamentalisten "din wa daula", Religion und Staat
in einem, in dem es keinen von Gottes Willen losgelösten Freiraum für das einzelne Individuum geben kann. Der
Islam ist für Fundamentalisten eine theokratische Staatsidee und die Grundlage einer ganzen Kultur, in der schon
nach orthodoxem islamischen Verständnis Sakrales und Profanes nicht getrennt werden dürfen, erst recht nicht nach
fundamentalistischem Verständnis!
Im Februar 2005 gründete der vormals ranghöchsten Theologe der Türkei, dem führende Politiker seit 20 Jahren
politische Ämter anboten, der liberal islamische türkische Star-Theologe Yasar Nuri Öztürk, der wegen seiner Lehren von manchen als „Türken-Luther“ bezeichnet wird, weil er den Islam auf den Koran als einzigen Maßstab der
Religion zurückführen will und die Ableitungen der Rechtsschulen ablehnt, in Ankara die "Partei des Volksaufstiegs" ("halkin yükselisi partisi"), mit der er bei der Parlamentswahl 2007 die islamistische Regierung Erdogan
stürzen will. Das Motto seiner Partei: "die Aussöhnung von Ratio und Religion". Der Parteigründer grenzt sich
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gleichermaßen von der areligiösen Oppositionspartei CHP wie von der islamistischen Regierungspartei AKP ab: Die
sozialdemokratische CHP sei erstarrt in Distanz zum Islam - und das sei ein parteipolitisches Todesurteil in der gegenwärtigen Türkei, weil es immer mehr sich auf Frömmigkeit besinnende Türken gebe -, die AKP dagegen heuchele Loyalität der säkularen Demokratie gegenüber. "Erdogan trägt ein Doppelgesicht", ist Öztürk überzeugt. "Er versucht unverändert, die Ziele des politischen Islams durchzusetzen." Deshalb sollten die Europäer Erdogan misstrauen. Die meisten von Erdogans Partei-Funktionären stammten, wie ihr Parteivorsitzender, aus der Schule des von
ihnen als „Hodscha“ („Lehrer“) verehrten Erbakans, dem Paten des Fundamentalismus, und hätten sich nie von dessen fundamentalistischen Lehren distanziert. Sie seien meist radikale Islamisten. Öztürk hofft, dass der große Konkurrent Erdogan bald im politischen Spagat zerrissen wird. Denn die Wünsche der islamistischen Parteifunktionäre,
wie sie sich schon im Zuge der Strafrechtsreform für mehr EU-Kompatibilität im Streit des ultra-konservativen Flügels der AKP mit Erdogan um die Wiedereinführung der Strafbarkeit des Ehebruchs abgezeichnet hatten, seien unvereinbar mit den Anforderungen für einen EU-Beitritt. Erfülle Erdogan die Erwartungen der AKP-Funktionäre,
verspiele er die Chance auf EU-Mitgliedschaft, erfülle er dagegen die Erwartungen der Europäer, werde die wütende
Partei bald rebellieren.
Bei der Entscheidung über die Mitgliedschaft der Türkei in der EU kann mit Fug und Recht bezweifelt werden, ob
Jahrhunderte lang gewachsene historisch-geographisch-kulturelle Gegenargumente einfach in den Wind geschlagen
werden können, wie die Befürworter des Beitritts es tun!
11. Irak
Die von dem arabischen Christen(!) Michel Aflak statt auf der religiösen Grundidee des Islam auf den panarabischen
säkularen Ideen eines panarabischen Nationalismus des Sati el-Husri fußende, Anfang der 40er Jahre in Syrien gegründete und seit 1968 nach einem Staatsstreich (und einer dabei von Saddam Hussein geleiteten grausamen Verfolgung von kommunistischen Gegnern und der Beseitigung von Rivalen in der eigenen Partei) auch in Bagdad bis zum
Sturz Saddam Husseins durch die US-Amerikaner 2003 geherrscht habende Baath-Partei, die "Partei der arabischen
und sozialistischen Wiedergeburt" - wie auch deren mit ihr verfeindete, aber auf der gleichen ideologischen Grundlage des Panarabismus und (angeblich) eines arabischen Sozialismuis beruhende Schwesterpartei in Syrien - verstand
sich auch noch nach dem verlorenen ersten Golfkrieg als Speerspitze einer "arabischen Nation", die vom
Maghreb, dem arabischen Westen am Atlantik, bis zum Maschregh, dem arabischen Osten bis an die westlichen
Grenzen des Iran, reichen und insbesondere auf Grund ihrer herausragenden Oligopolstellung auf dem Welterdölmarkt die Demütigungen der kolonialen Machtpolitik Europas im Vorderen Orient überwinden und die von Allah
den Moslems - nach ihrem Selbstverständnis - zugedachte Vormachtstellung in der Welt einnehmen solle. Gesamtarabischer Nationalstaat mit sozialistischen Einsprengseln statt Umma. Dass ein gesamtarabischer Nationalstaat eine
einzige Illusion ist, zeigte sich schon daran, dass selbst die beiden auf der gleichen ideologischen Grundlage errichteten Baath-Schwesterparteien miteinander verfeindet waren und sich nicht, was nach ihrer Ideologie nur folgerichtig
wäre, zu einem Land zusammenschlossen, wie es Gaddafi einstmals für einige Zeit mit einem Nachbarland gemacht
hat. Die drei globalen Ziele der Baath-Partei sind zusammengefasst in dem Motto: "Wahda" (Einheit, und zwar
aller arabischer Länder), "Hurriya" (Freiheit, und zwar von Fremdherrschaft und Rückständigkeit, von der
Willkür kolonialer Vergangenheit) und "Ischtirakiya" (Sozialismus, aber in einer arabischen Variante). Wegen
des panarabischen Anspruchs der Baath erkannte sie keinerlei arabische Grenzen an - und deshalb waren der
Überfall auf und die Annektierung Kuwaits innerhalb der Parteiideologie auch völlig systemimmanent. Auslöser des Überfalls war, dass der Irak von Kuwait verlangt hatte, Kuwait hätte dem Irak die im Verlauf des Krieges
gegen den Iran bei den Kuwaitis gemachten Schulden zu erlassen: Der Irak hätte mit dem Blut seiner Bürger die
Kriegskredite abbezahlt, da das Blut der Iraker für alle Araber im Krieg gegen die Iraner vergossen worden sei. Den
den Kuwaitis durch die irakischen Truppen ersparten Blutzoll hätten die Kuwaitis finanziell zu honorieren. Die Kuwaitis sahen das nicht so – und wurden daraufhin überfallen.
Die politischen Bemühungen aller arabischen Fundamentalisten und Nationalisten welcher Coleur auch immer zielen
in diese eine Richtung des Panarabismus.
Gaddafi z.B. wollte dabei nicht nur die gesamte arabische, sondern die gesamte islamische Welt gegen den bisher
schmerzlich noch als überlegen empfundenen Westen antreten sehen: Der Kalte Krieg zwischen Ost und West sei
tot, sagt er, nun sei es Zeit für den "heißen" Krieg zwischen Nord und Süd.
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Der aus einer einfachen Landarbeiterfamilie stammende Saddam Hussein, dessen Vater sich schon früh von seiner
Familie abgesetzt hatte, so dass sein Onkel, ein glühender arabischer Nationalist und Hitler-Verehrer, der seinen
Neffen mit diesem Gedankengut infizierte, die Erziehung weitgehend übernahm, kam über diesen Onkel 1957 zur
Baath-Partei. Dort machte er mit Mord und Brutalität Karriere, die ihm wegen seiner mangelhaften Bildung beim
Militär versagt geblieben war, da er nicht einmal den Eingangstest der Militärakademie bestanden hatte – was er den
Militärs nie verzieh. Nach einem Mordversuch an dem Staatspräsidenten General Qassem/Kassem 1959 musste er
bis zur Hinrichtung Kassems 1963 für vier Jahre außer Landes gehen. Im Exil in Damaskus und Kairo versuchte er
sich in einem Jurastudium, das er dort aber nie abschloss. Doch auf einen schmückenden Abschluss mochte er nicht
verzichten – und holte ihn Jahre später im Irak auf seine Weise nach: Er erschien bei den jährlichen Jura-Examina
der Bagdader Universität in Uniform und legte eine Pistole auf den Tisch. Die Geste wurde von den Professoren
verstanden: Saddam Hussein bestand die Prüfung.
Nach seiner Rückkehr in den Irak baute er ab 1964 den Geheimdienst der Baath-Partei auf. 1968 führt er den erfolgreichen Putsch der Baath-Partei mit an. Den machtpolitischen Durchbruch im Staat und die Anerkennung innerhalb
der irakischen Bevölkerung erzielte Saddam Hussein 1972 durch die Verstaatlichung der irakischen Ölindustrie, mit
der er den bis dahin überragenden Einfluss der US-Amerikaner, Engländer und Franzosen auf die irakische Wirtschaft beendete. Seitdem wurde er von seinem Volk als „irakischer Nasser“ gesehen. 1979 löste Saddam Hussein den
Staatschef Feldmarschall al-Bakr ab.
1980 fiel er in den von Revolutionswirren geschwächten Iran ein, um sich dessen erdölreicher Provinz Khusistan zu
bemächtigen, und brach so einen von den Amerikanern aus Angst vor der Islamischen Revolution des Ayathollah
Khomeini mit Waffen, Bakterien und Satellitenaufnahmen unterstützten achtjährigen Stellungskrieg mit Giftgaseinsatz vom Zaun. Eine Senatsanhörung von 1994 förderte zu Tage, dass die USA mit vollem Wissen während dieses
Krieges und sogar darüber hinaus bis 1992 – also auch noch nach dem Giftgasangriff des Iraks auf ein kurdisches
Dorf im Irak, der durch Einsatz von mit Hilfe deutscher Experten entwickelten Giftgases 5.000 Opfer gefordert hatte
- chemische und biologische Stoffe aus ihren Laboren in Fort Detrick an den Irak geliefert hatten, um den Iran zu
schwächen. Eineinhalb Jahre nach Ende des irakisch-iranischen Dauerkrieges überfiel Hussein 1990 Kuwait. Als die
Amerikaner um den Zugang zu dem Erdöl von Kuwait fürchteten und Saddam Husseins Invasion zurückschlugen,
erhoben sich – zunächst ermutigt von den Amerikanern - im Vielvölkerstaat Irak 14 der 18 Provinzen gegen den
Diktator, insbesondere die Schiiten im Süden des Landes. Seit ihrer Gründung 1982 war die schiitische Miliz mit
rund 9.000 Kämpfern von iranischen Revolutionsgardisten ausgebildet, mit Waffen versorgt und indoktriniert worden. Wegen dieser ihnen zu großen Nähe zum Iran ließen die Amerikaner die Aufständischen im Stich, was ihnen
von den Schiiten des Iraks nie mehr verziehen wurde, - und der „Liebling der Massen“, die „Sonne des Arabertums“
nahm blutige Rache. Seitdem haben die Amerikaner bei den oppositionellen Irakern jedes Ansehen und jede Sympathie verspielt. Die USA sehen sich aber auf das irakische Erdöl angewiesen, da ihre Vorräte im eigenen Land voraussichtlich 2015 vollständig erschöpft sein werden. Wie sollen die USA als größte Energieverschwender der Welt dann
ihren riesigen Erdölhunger stillen, wenn sie vielleicht durch antiamerikanische politische Strömungen von arabischen
Erdöllieferungen abgeschnitten werden? In der Bush-Regierung sitzen sehr viele ehemalige Wirtschaftsführer aus der
Erdölindustrie. Da werden solche (zumindest mitgedachten) Erwägungen als Kriegsgrund angesehen! Man wolle
dem Nahen Osten die Ölwaffe aus der Hand nehmen, ließ sich ein Ex-CIA-Chef frappierend machiavellistisch unverblümt vernehmen – wie Saddam sie schon einmal durch den Überfall auf Kuwait in die Hand genommen hatte.
Aber bei einer Abhängigkeit von nur 14 % kein durchschlagendes Argument. Die Abhängigkeit Europas und Japans
von arabischen Öllieferungen ist wesentlich höher!
Durch Morde, Terror und Lebensmittelkartenzuteilungen beherrschte der „Liebling der Massen“, die „Sonne des
Arabertums“ bis zum März 2003 das Land. Zur ideologischen Absicherung seiner Herrschaft hatte er sich einen auf
den Propheten Mohammed zurückführenden Stammbaum konstruieren lassen.
Die USA konstruierten einen Kriegsgrund, der sich ihrer Meinung nach in der Weltöffentlichkeit besser verkaufen
ließ als die Furcht um ausfallende Erdöllieferungen, und behaupteten, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen:
eine von ihrem persönlich seriösen Außenminister Powell auch vor dem UNO-Sicherheitsrat vorgetragene Behauptung, für die er sich nachträglich schämte, als die Daten-Manipulationen des US-Geheimdienstes ruchbar wurden, so
dass er seine Rede nach seiner Demissionierung in aller Öffentlichkeit als "Schandfleck" in seiner politischen Karriere bezeichnete. Die USA fielen im März 2003 in das Land ein, um diese peinlicherweise später nicht gefundenen
Waffen zu vernichten, befreiten die Iraker von einem der blutigsten Diktatoren und konnten das Land mit seinen
unterschiedlichen Völkern und religiösen Bekenntnissen bisher nur besetzen, nicht aber befrieden.
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Der einflussreichste Gegenspieler der US-Amerikaner im Irak der Nach-Saddam-Zeit ist der im Iran geborene, dort
in der heiligen Stadt Qom studiert habende und seit 1952 in der den Schiiten als Weltzentrum des Schiitentums heiligsten Stadt, dem irakischen Nadschaf, lebende und zunächst studiert habende, nunmehr dort residierende Großayatollah Ali al Sistani. Der über 70-jährige Sistani gilt als der »Schiitenpapst« im Irak. Er ist Mitglied der Hausa, der
religiösen Wächterinstanz der irakischen Schiiten. Er hat die höchste geistige Autorität eines Mardscha Al Taklid
(Quelle der Nachahmung) erreicht. Seine Lehrmeinungen und religiösen Rechtsgutachten (Fatawa; Einzahl: Fatwa)
bedürfen keiner Überprüfung mehr und werden von allen irakischen Schiiten vorbehaltlos anerkannt. Seine (schiitische) Interpretation des islamischen Rechts, die sich nicht mit den Interpretationen der vier sunnitischen Rechtsschulen decken muss, wird zum Gesetz, er erteilt Lebenshilfe von Speiseregeln bis Sexualpraktiken. Seine theologische
Schule von Nadschaf im Irak, dem Weltzentrum des Schiitentums, konkurriert mit der iranischen von Qom. Al Sistani besteht darauf, dass zwar islamische Grundwerte zu jeder Zeit die Regierungspolitik im Irak bestimmen müssten,
die Ayatollahs aber - im Gegensatz zu ihrer alles beherrschenden Bedeutung im Iran - keine Rolle in der Regierung
spielen dürften.Er will aber eine religiös geprägte Demokratie, in der die Scharia auch als eine Verfassung angesehen
wird.
Die von Sistani und dem Ayatollah Abdel Asis Al Hakim, Chef der (durch den Iran finanzierten) Schiitenpartei
SCIRI, sowie den Führern der pro-iranischen Dawa-Partei angeführten Schiiten des Irak wollen endlich die ihnen
von den Sunniten bislang vorenthaltene Macht im Staat und berufen sich – gegenüber den an demokratische Prinzipien gebundenen US-Amerikanern sehr geschickt – auf das demokratische Mehrheitsprinzip. Ihren Führern ist der
Wunsch gemein, den mit 60 % die Bevölkerungsmehrheit stellenden Schiiten erstmals in der Geschichte ihres Landes eine überragende Machtposition im Irak zu sichern. Eine Vormachtstellung der Schiiten im Irak bedeutet automatisch die Macht ihrer Geistlichen über die Gläubigen. Wegen dieser sich ihnen durch die amerikanische Intervention bietenden erstmaligen historischen Chance bestanden die schiitischen Führer auf baldigen demokratischen Wahlen.
Ihre Vertreter im provisorischen Regierungsrat wollen keinen säkularen, sondern einen betont islamisch ausgerichteten Staat, am liebsten auf der Basis der Scharia, um die Macht der schiitischen Geistlichen über die Gläubigen zu
sichern. Soweit bekannt, will ihr Führer Sistani einen islamischen Gottesstaat, wenn auch nicht strikt nach iranischem
Muster. Diese Vorstellungen sind nicht kompatibel mit denen Washingtons von einem säkularen Irak.
Bei der ersten freien Wahl im Irak zur Ermittlung der Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung
errangen die vereinigten Schiitenparteien dann auch den erwartet deutlichen Sieg.
In Sistanis Irak wird der Islam Staatsreligion, festgeschrieben in einer Verfassung, deren Gesetze nicht in Konflikt
mit islamischen Glaubensgrundsätzen stehen dürfen. Aber anders als im Nachbarland Iran fordert Sistani keine politische Führungsrolle der schiitischen Geistlichkeit ein (hat sie aber persönlich durch seine geistliche Autorität). Insofern unterscheidet sich sein Modell eindeutig von dem, das Ayatollah Khomeini mit seiner Islamischen Revolution
1979 im Iran errichtete.
Sistanis Irak soll, so weit bisher erkennbar, ein islamischer Staat mit demokratischen Komponenten sein, in dem es
freie Wahlen, freie Religionsausübung und andere bürgerliche Freiheiten geben soll. Und Sistani wird, sozusagen als
höchste moralische Instanz, über allem schweben, ohne sich jedoch in die Niederungen der Tagespolitik einzumischen.
Wegen der an der Scharia ausgerichteten Vorstellungen der schiitischen Vertreter im provisorischen Regierungsrat
kam es zu einem Eklat in der Debatte um eine provisorische Verfassung bis zur Ausarbeitung einer endgültigen und
den sich daran anschließenden freien Wahlen: Die Schiiten wollten ein säkulares Familiengesetz verhindern, durch
das der Staat den Frauen beispielsweise ein Recht auf Scheidung zugestehen soll und Männern statt den im Islam
erlaubten vier (Haupt-)Ehefrauen nur zwei genehmigt werden - und das auch nur dann, wenn die erste Ehefrau dem
vorher schriftlich zugestimmt hat. Die schiitischen Mitglieder des provisorischen Regierungsrates wollten die ganze
familienrechtliche Entscheidungsgewalt den Geistlichen überlassen – und so ihre bereits beträchtliche Kontrolle über
das Volk weiter ausbauen. Letztlich gaben die Vertreter der Schiiten im provisorischen Regierungsrat für die sich in
baldiger Zukunft abzeichnende Chance der Machtübernahme im Irak in dieser Sache (zunächst einmal) nach.
Aber dafür muss sich der Führer der quietistischen „schwarzen Schia“ erst noch unter sämtlichen Schiiten durchsetzen, was gegenüber den gemäßigten Schiiten von SCIRI und Dawa kein Problem ist. Aber der radikale schiitische
Hassprediger der „roten Schia“ - mit von anderen Ayatollahs angezweifelter theologischer Ausbildung und deshalb
angezweifeltem theologischen Ayatollahrang - Muktada el Sadr/Muqtada as-Sadr mit seiner Miliz (nach dem nach
schiitischem Glauben bis zur Endzeit im Verborgenen lebenden und dann als Weltenretter wiederkehrenden zwölften
Imam Mohammed el Mahdi benannten) El-Mahdi-/Dschaid al-Mehdi/Messias-Armee, zu der auch Frauen rekrutiert
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werden, scheint ihm die politische Führerschaft unter wenigstens den militanten Schiiten streitig machen zu wollen
und stellt sich an die Spitze der anti-amerikanischen Proteste. Seine wegen ihres schiitischen Glaubens besonders
zum Märtyrertum geneigten Milizen und sein Anhang in den armen Schichten der Schiiten sind ein ziemlicher
Machtfaktor gegenüber dem schiitischen Establishment. El Sadr will im Irak als Gegenmodell zu dem demokratischpluralistischen System islamischer Färbung des irakischen Führungsrates einen fundamentalistischen Gottesstaat
schaffen. Als Sohn des 1999 von Husseins Schergen ermordeten, noch immer hoch angesehenen Großayatollahs
Mohammad Sadiq as-Sadr, nach dem das größte Elendsviertel in Bagdad von Hussein- in Sadr-City umbenannt
worden ist, übernahm er vom Vater ein Netzwerk wohltätiger Stiftungen, das ihm durch seine Hilfeleistungen Ansehen unter der ärmeren schiitischen Bevölkerung verschafft; bei anderen Bevölkerungsschichten ist er teilweise verhasst, denn es waren hauptsächlich seine Anhänger, die nach Saddam Husseins Entmachtung plündernd durch Bagdad zogen. Auf el Sadr ist von einem irakischen Richter ein Haftbefehl ausgestellt worden und die US-Amerikaner
wollen seiner - möglichst ohne zu große politische Folgeschäden - habhaft werden. Ihm wird vorgeworfen, an u.a.
der Ermordung des zum Ausgleich mit den US-Amerikanern bereiten, nach Saddams Husseins Entmachtung aus dem
Exil heimgekehrten Ayatollah el Choei - er war von einem aufgeputschten schiitischen Mob 2003 mit Beilen zerhackt worden - beteiligt gewesen zu sein. Die Amerikaner verkündeten, sie wollen as-Sadr „gefangen oder tot“ – was
Muqtada die willkommene Möglichkeit eröffnete, sich den ärmeren schiitischen Massen als potentieller Märtyrer
präsentieren und so seine Legitimation als politischer Führer erhöhen zu können, denn das Schiitentum lebt ja hauptsächlich aus seiner Märtyrer-Tradition! Politisch geschickt zog el Sadr sich nach Nadjaf/Nadschaf, der (neben Kerbela/Kerbala/Karbala) den Schiiten heiligsten Stadt, zurück und nahm Quartier in unmittelbarer Nähe des höchsten
Schiiten-Heiligtums, dem Imam-Ali-Schrein – wohl wissend, dass eine einzige Kugel aus einem us-amerikanischen
Gewehr in die Mauern ihres höchsten Heiligtums 110 Millionen Schiiten auf der ganzen Welt gegen die USAmerikaner in einen Religionskrieg treiben würde; das wäre so, als wenn die US-Amerikaner Mekka besetzen und in
die Kaaba schießen würden! Der vor Saddam in den Iran geflohene und nach dessen Entmachtung in den Irak nach
Kerbala zurückgekehrte gemäßigte Großayatollah (mit weltweiten Verbindungen und Büros in New York, Amsterdam und Kopenhagen) Mohammad Taki al Mudarissi erklärte, dass die US-Amerikaner mit einem Angriff auf Nadschaf oder Kerbala ein rote Linie überschreiten würden: „Die Amerikaner sollten Muqtada nicht verhaften, sondern
mit ihm reden. Dieser Waffenstillstand ist unsere letzte Chance. Wenn die Amerikaner nicht zu Verhandlungen bereit sind, wird das Land explodieren“ (STERN 15.04.04).
Inzwischen ist das Land zum größten Ausbildungscamp, Aufmarschgebiet und Schlachtfeld des internationalen Terrorismus geworden, auf dem sich Ex-Baathisten, ehemalige Geheimdienstler, irakische Fundamentalisten und ausländische Kämpfer wie der jordanische Geiselschlächter Zarqawi mit Terrormaßnahmen zu überbieten suchen.
Die ersten freien Parlamentswahlen nach der Wahl eines Übergangsparlamentes Anfang 2005 gewannen Ende 2005
wie erwartet die Schiiten: Von den 275 Sitzen gingen 128 schiitisch-religiöse Vereinigte Irakische Allianz (geführt
von dem Arzt und Übergangsregierungschef Ibrahim Dschaafari), die von der säkular-schiitischen Partei Irakische
Nationale Liste des Ex-Ministerpräsidenten Ajad Allawi unterstützt wird. Die Kurdische Koalition aus der Kurdischen Demokratischen Partei KDP und der Patriotischen Union Kurdistans PUK des Präsidenten Dschalal Talabani
erhielt 53 Sitze. An die sunnitische Irakische Front der nationalen Eintracht gingen 44 Sitze, an den ebenfalls sunnitischen Nationalen Dialog 11. Die restlichen Sitze erhielten Splittergruppen. Weil die Sunniten die jahrhundertelang
innegehabte Macht verloren haben und sie eine zu starke Föderalisierung des Landes fürchten, da sie dann nicht wie
erhofft von den Erdölförderungen profitieren würden, bomben ihre Extremisten insbesondere gegen schiitische Moscheen und in schiitischen Vierteln, um durch ihren Terror die Verhältnisse zu destabilisieren und so eine geordnete
Regierung des Landes unter schiitischer Führung möglichst zu erschweren oder gar zu verhindern. Das Land droht,
in einem Bürgerkrieg zu versinken!
Die saudische und die libanesische Tageszeitungen Alhayat und Annahar berichten über Tätowierungen im Irak.
"Diese Mode war während der Diktatur verboten. Sie wurde nach der Besatzung des Iraks wieder belebt. Bis hierhin würde es nicht Spannendes in diesen Berichten geben, trüge die jetzige Praxis der Tätowierung nicht die Spuren des gegenseitigen Mordens im noch nicht offiziell erklärten irakischen
Bürgerkrieg. Denn viele Iraker lassen sich in letzter Zeit ihre Namen und Adressen auf ihre Körper tätowieren - nicht um der Schönheit willen, sondern um die Identifizierung durch ihre Angehörigen im
Falle ihrer Ermordung zu erleichtern und nicht als unbekannter Toter zu enden."
(Handelsblatt 13.10.06)
89
12. Iran
Der Vater des letzten Schahs hatte im Iran eine Dynastie gegründet. Reza Khan war Kommandeur einer KosakenBrigade gewesen. Er ernannte sich 1925 zu Reza Schah. 1932 erklärte der Iran die britische Ölkonzession über das
Gebiet des Irans für ungültig. Großbritannien brachte die Angelegenheit vor den Völkerbund und erreichte als Verhandlungsergebnis neue Konzessionen. Im Zuge des Ersten Weltkrieges besetzten 1941 Großbritannien und die
UdSSR den Iran, worauf hin Reza Schah zu Gunsten seines Sohnes Mohammed Reza Pahlawi abdankte. Nach dessen Vorstellungen sollte die neue Dynastie auf mindestens 1.000 Jahre angelegt sein, aber er verband im Laufe seiner
Herrschaft seine Interessen so sehr mit denen Großbritanniens und insbesondere denen der USA, dass sich gegen
diese westliche Orientierung erheblicher nationaler Widerstand regte. Eine nationale Revolution durch Mossadegh,
der als Führer der „Nationalen Front“ die Beseitigung des übergroßen westlichen Einflusses auf sein Land, insbesondere die Beseitigung des englischen Erdölförder- und -handelsmonopols und die Nationalisierung der iranischen
Ölquellen gefordert und 1951 als persischer Ministerpräsident als eine der ersten seiner Amtshandlungen die AngloPersian Oil Company verstaatlicht hatte, wurde 1953 in einem durch die Hilfe der USA niedergeschlagenen Putschversuch verhindert. Der in den Irak geflohene Schah kehrte in den Iran zurück und saß als trumatisierter aber weiterhin absolutistisch regierender Schah wieder fest im Sattel. Eine der Lehren, die er aus seinem fast geschehenen
Thronverlust zog, war, seinen Geheimdienst weiter auszubauen und sich dessen brutaler Methoden zur Sicherung
seiner Herrschaft und des Fortbestehens seiner Dynastie zu bedienen.
Doch die Feindschaft seiner iranischen Gegner gegen die USA, die ihm so entscheidend geholfen hatten und sein
Regime auch weiterhin stützten, war damit bei den Oppositionellen begründet! Der iranische Geheimdienst folterte
und ermordete so geglaubte oder erkannte Regimegegner weiter. Die Wut auf dieses Regime mit seinem bizarren
Prunkgehabe wuchs ständig an.
Der Schah hatte auch nicht verstanden, eine Allianz zwischen Thron und Altar zu schmieden, wie es z.B. das wahhabitische Königshaus Saudi-Arabiens zur Grundlage seiner Herrschaft gemacht hatte. Weil der Schah die Geistlichkeit
nicht an seiner Macht beteiligte und nach ihrer Meinung zu sehr verwestlichte, hatte er sie gegen sich. Ayatollah
Khomeini schürte die Unruhen von 1963 und musste daraufhin von 1965-1978 nach Nadschaf, wo er seine Lehre
von der „Herrschaft der Rechtsgelehrten“ entwickelte, ins irakische und anschließend nach Paris ins französische
Exil gehen, von wo er durch in den Iran geschmuggelte Casetten mit seinen Reden die Stellung des Schah zu untergraben suchte.
Im Zuge der „Islamisierung“ oder „Re-Islamisierung“ der arabischen Welt hatte der Schah-inschah („König der Könige“ = Kaiser des Iran) dann der vom Pariser Exil aus durch diese ins Land geschmuggelte Casetten mit Reden des
Ayatollah Khomeini angezettelten Islamischen Revolution 1978/79 weichen müssen. Sein auf den riesigen Einnahmen aus dem Erdölgeschäft und den bestialisch-brutalen Unterdrückungsmaßnahmen des Inlandsgeheimdienstes
Sawak – z.B. sollen Oppositionelle auf großen Rosten bei lebendigem Leibe geröstet und verbrannt worden sein aufgebautes autoritäres diktatorisches Herrschaftssystem war zusammengebrochen. Als letztes Bild des Schah in
Persien ging eine Fotografie durch die Weltpresse, die einen iranischen Soldaten zeigte, der Momente vor der Flucht
des Schahs aus seinem Land vor seinem Kaiser niederkniete und ihm die Stiefelspitzen küsste.
Das diktatorische System des Schahs wurde in der nun beginnenden „Islamischen Republik Iran“ nach Khomeinis
schiitischen Staatsvorstellungen durch die theokratisch-fundamentalistische Diktatur der Mullahs als „Herrschaft der
anerkannten Gottesgelehrten“ ersetzt. Die Iraner, die für die Abschaffung der in die Form eines Kaiserreiches gekleideten Diktatur gekämpft hatten, fanden sich mit einem Schlag in einer diktatorischen radikalislamischen Theokratie wieder, die fortan mit Hilfe der Pasdaran als Religionswächtern, revolutionären Gerichtshöfen und einer umgestalteten Geheimpolizei noch blutrünstiger herrschte, als zuvor der Schah! Dadurch legt sie den Keim zu ihrer
irgendwann mit Sicherheit erfolgenden Abschaffung – auch wenn die Reformer sich in dem zurzeit ablaufenden
Modernisierungskonflikt wegen ihres Rückschlages durch die Wahl-Farce 2004 zunächst nicht durchsetzen und das
System nicht verändern konnten. Aber bis dahin erheben die Mullahs den Anspruch, interpretieren zu dürfen, was
sich aus ihrer schiitischen Interpretation des Korans und der Scharia für den Aufbau und die Gestaltung des Staatslebens ergeben soll. Wer dem widerspricht, wandert ins Gefängnis. Im Jahr 2001 bezeichnete eine angesehene Journalistin – wohl subjektiv gefärbt - den Iran als das Land der Welt, in dem die meisten Journalistinnen und Journalisten
im Gefängnis säßen. (Aber es gibt auch andere Länder, in denen kein einziges freies Wort geäußert werden darf!)
Weil aber die hinter der Gründung der „Islamischen Republik Iran“ stehende Staatsidee, die den Iran laut Terrorismus-Report 2000 zum staatlichen Hauptsponsor des internationalen Terrorismus machte, nicht ohne Rückgriff auf
die sich immer noch in teilweise blutiger Gegnerschaft zu der rund 90 % der Muslime umfassenden Hauptströmung
des Islam, dem Sunnitentum, befindende schiitische Lehre verstanden werden kann, wird die Darstellung der weite-
90
ren Entwicklung im Iran erst nach der Darstellung des rund 8 % der Muslime umfassenden Schiismus und seiner
Gegnerschaft zum Sunnitentum im dritten Teil dieses Buches wieder aufgenommen.
13. Umma, panislamischer Staat
Was am Beispiel der Türkei und Afghanistans an politischen Verhaltensmustern der um politischen Einfluss kämpfenden ausländischen Fundamentalisten sunnitischer und schiitischer Glaubensrichtung exemplarisch sehr detailliert
aufgezeigt wurde, spielt sich so ziemlich in allen Ländern der moslemischen Welt ab, am erbarmungslosesten aber
zurzeit in dem durch den jahrzehntelangen Bürgerkrieg in seiner gesamten Struktur zerstörten Afghanistan.
Die trotz aller gegenläufigen Differenzen in Einzelfragen von Sunniten und Schiiten gemeinsame verfolgte Grundzielrichtung der Re-Islamisierung ist nur deshalb möglich, weil sich der politische Fundamentalismus - gleichgültig ob schiitisch oder sunnitisch - als panislamisch versteht. Die schiitischen Revolutionäre im Iran haben mit sunnitischen Fundamentalisten, wie den ägyptischen und syrischen "Moslembrüdern", der pakistanischen "Jamaateislami"/“Jaamat-i Islami“ und der türkischen (die Emigrantenszene in Deutschland neben der "Partei der Nationalen
Arbeit" und den ihr verbundenen "Grauen Wölfen" beherrschenden) "Nationalen Heilspartei", die eine Grundidee
gemeinsam: Um wieder Weltgeltung zu erlangen, die ihnen nach Allahs Willen zu allen Zeiten gebühre, müssten
die Muslime unter Ablehnung der Nationalstaatsidee der westlichen Moderne zur Fata Morgana der überkonfessionellen Einheit des Ur-Islam, zur "Umma" ("Kinder einer Mutter", einzige, weltweite Gemeinschaft der Gläubigen, die durch eine gemeinsame Sprache, einen gemeinsamen Glauben und gemeinsame religiöse Riten miteinander
verbunden sind), zurückfinden und einen gesamtislamischen Staat wiedererrichten, in dem nach Gottes Gebot
und des Propheten Geheiss gelebt und regiert wird, in dem folglich nur noch die Scharia, das von Gott dem
Propheten Mohammed offenbarte islamische Recht, Geltung hat.
[Die Umma hat allenfalls zwischen dem Tod des Propheten Mohammed 632 n.Chr. und dem Ende der Omajjadenherrschaft 750 n.Chr. bestanden. Sie existiert jetzt höchstens via Internet als erwachte elitäre Gemeinschaft der zum
Kampf gegen Ungläubige und Juden bereiten Dschihad-Terroristen aus allen Ländern in allen Ländern mit InternetFernstudium der radikalen Schriften, Hasspredigten, den Anleitungen zu Bombenbau und Terror gegen westliche
Länder und Israel
RADIKALE DROHEN
Anschläge gegen Israels Freunde?
JAKARTA – Eine radikal-islamische Gruppierung in Asien hat damit gedroht, Hunderte Selbstmordattentäter in Länder zu schicken, die Israel unterstützen. Die Asiatisch-Moslemische JugendBewegung (AMYM) habe schon 217 Attentäter zum Morden losgeschickt. (afp)
HH A 05.08.06]
Doch dieser Wahn muss schon deswegen scheitern, weil die nichtarabischen Muslime nicht zu einer gemeinsamen Sprache, die nur die Sprache des Propheten sein könnte, zurückfinden können - und auch nicht wollen. Es
ist für die vielen nichtarabischen Muslime schon schwer genug, den Koran in der von ihnen meist nicht verstandenen
arabischen Fremdsprache auswendig zu lernen. Da ist die Durchsetzung des Arabischen als für alle Muslime verbindliche gelebte Sprache undenkbar. Und ohne Gemeinsamkeit von Sprache, Geschichte, Kultur und Zivilisation,
allein auf der Basis der Religion, lässt sich keine Umma als „Weltmacht Islam“ aufbauen. Ein solches nur religiös
gegründetes „Welt“-reich haben ja weder der Papst, noch die katholischen Herrscher, in deren „Reich die Sonne nie
unterging“ (wie das des Habsburgers Phillip II. von Spanien), zu schaffen vermocht.
Und längst nicht alle Muslime Kleinasiens wollen in einem panislamischen Staat leben. So beanspruchen z.B.
die mehrheitlich sunnitischen Kurden, die eine dem persischen verwandte eigene Sprache mit vielen Unterdialekten
sprechen und eine eigene Tradition haben, einen eigenen Staat, der ihnen von den Europäern bei der Auflösung von
deren Kolonialgebieten verweigert und von den Nachfolgestaaten aus eigennützigen Gründen unter Einsatz von
Militär bisher verwehrt worden ist.
Bei dem teilweise sehr militant vorgetragenen islamischen Universalanspruch wird die Auseinandersetzung der
westlich geprägten Welt mit dem Islam vermutlich eines der oder das beherrschende weltpolitische Thema der
nächsten Generation/en sein, nachdem sich der Ost-West-Gegensatz durch den Zerfall des Kommunismus weitgehend erledigt hat.
91
14. Das Verhältnis zwischen dem Islam und dem Westen
Dollpunkte der arabischen Befindlichkeit in ihrem Verhältnis zu dem (als ihnen wesensfremde Lebensart geographisch sehr weit verstandenen und damit auch die USA umfassenden) "Okzident" sind:
-
Der Verlust der einstmals arabisch beherrschten Gebiete Spaniens 1492 ("Besinnt euch auf eure Vorfahren,
die 732 n.Chr. bis nach Tours kamen!").
Im Gegensatz zu den ziemlich geschichtslos lebenden Massen in den westlichen Gesellschaften sind oder werden bei den Führern der Fundamentalisten und ihren Anhängern die zum Teil verlorenen Schlachten der Vergangenheit gegen insbesondere die Kreuzritter revitalisiert.
Die Eroberung Ägyptens 640 n.Chr. als eines der ersten christlichen Länder der Welt und seine Bekehrung zum
Islam (wegen der durch den Glaubensübertritt erreichten Freistellung von der Sondersteuer für Nicht-Muslime
oder durch Zwangsbekehrungen) und andere Opfer der den Kreuzzügen zeitlich vorhergehenden jahrhundertelangen islamischen Expansion auf Grund ihres Universalanspruchs z.B. in Nordafrika (die Berber wehrten sich
rund ein Jahrhundert gegen die zwangsweise Übernahme des Islam), der Heimat des katholischen Kirchenvaters
Augustinus, das Eindringen der Muslime nach Europa, als noch keiner der Christen an Kreuzzüge überhaupt je
gedacht hatte, werden dagegen in solchen sehr einseitig gestalteten Aufrechnungen unterschlagen.
-
Die oft im Blutrausch durchgeführten Kreuzzüge der Christen im Spätmittelalter mit der wiederholten
(Rück-)Eroberung Jerusalems, der drittheiligsten Stadt des Islam, durch die Christen.
[Seit der islamischen Eroberung 637 n.Chr. des seit Kaiser Justinians Zeiten christlichen Jerusalems durch
Kalif Omar war Jerusalem/Al Quds/El Kuds/"die Heilige"35 bis 1099 n.Chr. arabisch, danach wechselte
der Besitz im Verlauf von sieben Kreuzzügen - mit rund 22 Mill. Opfern - zwischen Christen und Moslems, in deren Abfolge 1187 n.Chr. der - wie Saddam Hussein ebenfalls aus Takrit stammende - ägyptische Sultan Saladin der Große die Kreuzritter nur für einige Zeit aus dem allen drei "Buchreligionen"
heiligen Land verjagte, und den Saddam Hussein darum bei den arabischen Massen (neben Nebukadnezar
II.) als einen seiner bedeutenden politischen Vorgänger ausgab, an dessen politische Erfolge zur Wiedererringung der arabischen Größe er anknüpfe; von 1244 n.Chr. an ist Jerusalem dann bis zu seiner Besetzung durch die Engländer 1917 im Zuge des Kampfes gegen das im Ersten Weltkrieg mit Deutschland
verbündet gewesene osmanische Reich der "Hohen Pforte", das die Stadt seit 1517 in Besitz genommen
hatte, unter islamischer Herrschaft gewesen.]
-
Die Erinnerungen an vielfältige Eroberungen durch außerarabische Mächte in ihrer mehr als zweitausendjährigen Geschichte durch u.a. germanische Vandalen, Römer, Byzantiner, Türken und die noch heute als
bitter empfundene Kolonialherrschaft des englischen Empires im Vorderen Orient bis nach Hinterindien hin
und die Franzosenherrschaft in Kleinasien seit Napoleons Landung in Ägypten 1798, die damit verbundene
Überfremdung durch den Westen und der antikolonialistische Kampf um die Wiedererringung der politischen
Selbstständigkeit sowie der Behauptung ihrer Eigenständigkeit in Kultur und Religion, was notwendig zu einer
vertieften Rückbesinnung auf die eigenen religiösen Wurzeln führte und so die Entstehung von politisch agierenden fundamentalistischen Bewegungen begünstigte, deren gemeinsames Credo es ist, dass die Muslime immer und überall die Opfer seien und mit allen Mitteln, auch denen des Terrors, gegen eine Verschwörung des
Westens/der Zionisten/der USA um ihre Existenz kämpfen müssten. Es gehe um einen Überlebenskampf der
Muslime gegen „die Verschwörung der Kreuzritter“.
Melanie Phillips, die Vorzeigekolumnistin des "Daily Mail", der auflagestärksten bürgerlichen Tageszeitung des
Landes, vertritt in ihrem Buch „"Londonistan: Wie Großbritannien einen Terror-Staat in seinem Innern erschafft" als eine Kernthese die Ansicht: "Was vor allem mit äußerster Kraft bekämpft werden muß, ist diese islamische Kultur der Beschwerdeführung, der Glaube, daß der Westen sich verschworen habe, den Islam anzugreifen und zu zerstören. Entsprechend dieser Irrmeinung interpretieren viele Moslems Aggression als Selbstverteidigung, aber den Versuch des Westens, sich zu wehren, als Aggression. Nach dem Muster dieses "Doublethink' hat Großbritannien sich selber die Terroranschläge gegen sich zuzuschreiben." (DIE WELT 17. Juli 2006)
35
Der Jahrtausende alte religiöse Konflikt um die Besitzansprüche aller drei monotheistischen Buch-Religionen an Jerusalem wir
im Schlußkapitel angesprochen und kurz erläutert.
92
-
Die Aufsplitterung des arabischen Gebietes nach den Interessen der Kolonialmächte entgegen dem (von
Fundamentalisten vorgetragenen) Wunsch nach einer islamischen Einheit und nach dem Ersten Weltkrieg der
demütigende Status als Völkerbund-Mandatsgebiete der Europäer statt eines eigenen, alle Araber umfassenden Staates - was als Nebenwirkung eine "gerechtere" Verteilung des Ölreichtums auf alle Araber bedeutet
hätte(!) -, auf den die Engländer den Arabern Hoffnungen gemacht und dessen Gründung sie insbesondere dem
Scharifen Hussein von Mekka zugesagt hatten, um so die Araber für den Kampf gegen das mit Deutschland verbündete und bis dahin Arabien beherrscht habende Osmanische Reich der "Hohen Pforte" zu gewinnen (Lawrence von Arabien).
-
Der so empfundene Verrat der arabischen Interessen durch die nach einer dramatischen Abstimmung in der
UNO erfolgte Gründung Israels 1948, wodurch viele arabische Palästinenser teils heimatlos, teils unter
Fremdherrschaft gezwungen wurden.
-
Die (fast) kritiklose Unterstützung Israels durch den Westen in der Palästinafrage - warum wurde gegen
den Irak eine Weltstreitmacht zur Durchsetzung von UNO-Resolutionen durch den Westen mobilisiert, dagegen
mehr als 20 Jahre lang aber nichts gegen Israel zur Durchsetzung der UNO-Resolutionen 181 (UNOTeilungsplan Palästinas von 1947), 242 (Aufforderung an Israel vom 22.11.1967, sich aus den im 6-Tage-Krieg
besetzten Gebieten zurückzuziehen) und 338 (Aufforderung vom 22.10.73, Verhandlungen für einen gerechten
und dauerhaften Frieden aufzunehmen) unternommen, mit denen die Räumung Palästinas gefordert wird?
Verdrängt wird dabei von den Palästinensern und sie unterstützenden Arabern und Asiaten(!) z.B. das Palästinensische Nationalabkommen von 1968, in dem das Existenzrecht Israels kompromisslos verneint und zum bewaffneten Kampf gegen Israel aufgerufen worden war, was der Westen nicht zulassen konnte.
Etwas entschärft hat sich die Situation dadurch, dass der Palästinensische Nationalrat, das Exilparlament der
Palästinenser, 1988 die Existenz Israels anerkannt hatte. Gleichzeitig hatte er aber den Staat Palästina ausgerufen, für den die Palästinenser (ganz) Jerusalem als Hauptstadt fordern - was von den Israelis als nicht verhandelbar abgelehnt wird, die ihrerseits ganz Jerusalem einschließlich der fast ausschließlich von Arabern bewohnten, von den Israelis nach dem Sechs-Tage-Krieg annektierten Altstadt Ost-Jerusalems ebenfalls für sich allein
reklamieren -, und der von den meisten blockfreien und (bis auf Syrien) von allen arabischen Staaten als eigenständiger Staat im Vorwege anerkannt worden ist.
-
Die Bombardierung und Niederwerfung des irakischen Brudervolkes durch "Ungläubige" im Zuge einer
- nach ihrem Dafürhalten - neokolonialen Machtpolitik um die Verfügungsgewalt über das den Arabern
von Allah geschenkte Erdöl. ("Die Industriestaaten meinen offenbar, die Ölquellen müssten der Ersten Welt
zugeschlagen werden, obwohl wir Araber ein Anrecht darauf haben." So Kronprinz Hassan, der Bruder des Königs Hussein aus dem erdölarmen Jordanien); viele Araber sprechen von einem "neuen westlichen Kreuzzug"
gegen die islamische Welt. Tarik Asis, christlicher(!) Außenminister des Iraks während des 2. Golfkrieges: "Die
neuen Kreuzzügler entweihen unsere islamischen heiligen Stätten." Und auch nach Abschluss des Golfkrieges
sprach Libyens Chefterrorist Gaddafi im Zusammenhang mit den gegen das von ihm geführte und die LockerbyAttentäter deckende Land gerichteten UNO-Sanktionen davon, dass alle Moslems der Welt Widerstand gegen
einen neuen "Kreuzzug" des christlichen Westens leisten müssten: "Wir müssen unsere Schwerter schärfen, um
für die Konfrontation bereit zu sein."
-
Hinzu kommt - in Verbindung mit dem ständig sinkenden Lebensstandard der von westlicher Zivilisation außer
den Auswüchsen der Verbrauchsgesellschaft und der anhaltenden Bereicherung einer zunehmend westlich beeinflussten Oberschicht weitgehend unberührt gebliebenen Massen - das reale Gefühl der kulturellen und
technischen Unterlegenheit gegenüber den westlichen Industrienationen und ein auf der so empfundenen
permanenten Demütigung basierender Minderwertigkeitskomplex, der dann in einem „Krisenfundamentalismus“ (so die Islamforscherin Spuler-Stegemann) gipfelt. Obwohl doch z.B. alle Welt mit (den von den Indern
entwickelten und dann nur noch durch die Araber nach Europa weitervermittelten) "arabischen" Ziffern rechnet,
was als ein Beleg für die früher einmal wirklich vorhanden gewesene kulturelle Überlegenheit
der arabischen Welt über den Okzident ausgegeben wird. Als z.B. im deutschen christlichen Abendland viele
Fürsten noch nicht schreiben konnten, und Hunderttausende an Seuchen und Hungersnöten zugrunde gingen,
entstanden im Orient öffentliche Krankenhäuser und Apotheken, pilgerten alle christlichen Wissenschaftler in
das maurische Spanien, um das Wissen der Griechen über die dieses Wissen vermittelnden Araber ken-
93
-
nenzulernen. Die jetzt bestehende technisch-industrielle, wirtschaftliche, wissenschaftliche und nicht zuletzt auch militärische Überlegenheit des Westens, von der die interessantesten Ergebnisse (Atomwaffenwissen!) den islamischen Ländern angeblich nicht zur Verfügung stehen, wird als Neo-Kolonialismus oder Wirtschaftsimperialismus mit verfeinertem Instrumentarium gesehen, denn sie laufe wieder auf eine kulturelle
und wirtschaftliche Ausbeutung hinaus. Der De-Kolonialisierungskampf sei noch nicht gewonnen. Zwar habe man die äußere Entkolonialisierung erreicht (manche werteten allerdings die Anwesenheit westlicher
Truppen anlässlich des 2. Golfkrieges als einen Rückschlag in diesem Bemühen), aber die innere Entkolonialisierung, die Lösung vom verwestlichten Lebensstil, der als trojanisches Pferd eines kulturellen Kolonialismus
gesehen wird, sei noch nicht gelungen und nur durch eine Rückbesinnung auf islamische Werte zu leisten.
Als ein Beispiel für das Vorenthalten der interessantesten Ergebnisse der westlichen Forschung wird u.a. der
(vergebliche) Druck auf das islamische Pakistan angeführt, sein Kernwaffenprogramm aufzugeben. Ähnlich gesehen wird der hauptsächlich von den Amerikanern vielleicht nur unvollkommen durchgesetzte Wille der UNO,
dem Irak alle angelaufenen Vorhaben zum Bau einer Atom- und sogar einer Wasserstoffbombe aus der Hand zu
winden, wo doch nach den in London ausgeplauderten Kenntnissen eines aus Israel zunächst geflüchteten
Atomingenieurs - aber der Arm des Mossad ist lang und der Geheimdienst setzt sich mit seinen Mitteln bedenkenlos über jedes internationale Recht hinweg und "reimportiert" seine Feinde nach Israel zur gerichtlichen
Verfolgung - als sicher angenommen werden kann, dass der Erzfeind Israel über diese Waffe verfügt! (Es wird
geschätzt, dass Israel zwischen 100 und 300 Atomsprengköpfe besitzt.)
Im Zuge dieser spätestens seit dem arabisch-israelischen Sechs-Tage-Krieg 1967 begonnenen und seit den 80er
Jahren verstärkt einsetzenden Re-Islamisierungs-Bestrebungen in aller Welt war schon 1981 im saudiarabischen Dschidda, das auch Sitz der aus 45 islamischen Ländern kommenden Vertreter der "Organization of Islamic
Conferences" und der 1975 gegründeten Islamischen Entwicklungsbank ist, ein Internationaler Islamischer Gerichtshof eingerichtet worden, der von allen Muslimen der Welt in Streitfragen angerufen werden kann. Dieser Gerichtshof entscheidet streng nach der Scharia.
94
III. Sunniten und Schiiten als Hauptkonfessionen des Islam
Die bald nach dem Tode Mohammeds unter seinen Anhängern aufbrechenden Meinungsverschiedenheiten über die
Nachfolge des Propheten in der Leitung der islamischen Gemeinde führten zu der Aufspaltung des Islam in die
Hauptkonfessionen der heute ca. 1,5 Mrd. Sunniten („die, die dem Weg der Tradition folgen“; ca. 92 % der Moslems), die für einen Nachfolger des Propheten seine Herkunft aus dessen Stamm als ausreichend ansehen und keinen
Klerus kennen, die große Diaspora der heutzutage etwa 130 Mill. Schiiten (ca. 8 % aller Moslems), die als Nachfolger nur direkte Nachkommen aus der Ehe des Schwiegersohnes und Vetters von Mohammed, Ali, mit der Tochter
des Propheten, Fatima, und damit nur Blutsverwandte des Propheten als rechtmäßig anerkennen und einen muslimischen Klerus ausgebildet haben, und die heute bedeutungslose Gruppe der von letzteren abgespaltenen puritanistisch
ausgerichteten Charidschiden.
Der zahlenmäßige Schwerpunkt des Islam liegt nicht mehr in Arabien, sondern an der Peripherie der islamischen
Länder. Die Länder mit mehr als 100 Mill. islamischer Einwohner sind Indonesien, das mit ca. 170 Mill. Muslimen
die größte muslimischen Bevölkerung aufweist, dann Pakistan mit ca. 130. Mill., das aber wegen seiner Bevölkerungsentwicklung in absehbarer Zeit die Nummer eins in der Rangfolge einnehmen wird, Indien mit ca. 120 Mill.
und Bangladesch hat ca. 103 Mill. Muslime; darunter natürlich auch radikale Gruppierungen wie Jamayetul Mujahideen Bangladesh, die das islamische Recht durch Bombenterror einführen will. Für alle die Gläubigen außerhalb
der arabischen Welt ist die Sprache des Korans, das (Hoch-)Arabische, eine Fremdsprache. Die Situation ist für die
Gläubigen damit vergleichbar mit der der Katholiken, solange Latein die Sprache der katholischen Gottesdienste war
– und sie die Riten so lange nicht verstanden, bis die Gottesdienste in den jeweiligen Landessprachen abgehalten
wurden.
1. Sunniten
Im sunnitischen Islam gilt - im Gegensatz zur Schia (= "Schiat Ali", die Partei Ali Ibn Abi Talibs, des Begründers
der Schia und damit des schiitischen Islam und Urhebers der sozialrevolutionären Ideen des Islam) - die Ausbildung
der Scharia als seit dem 11. Jahrhundert abgeschlossen, d.h., das bis dahin mögliche selbständige Finden von
Rechtsvorschriften (Ijtihad) im Bereich der Scharia - und nur hier - ist untersagt. Seither werden die vier verschiedenen sunnitischen Rechtsschulen (Madhhabs)
a) der in der Nachfolge des Theologen Ahmad Ibn Hanbal (780-855 n.Chr.) gegründeten und von Abdul
Wahhab wiederbelebten, im wahhabitischen Saudi-Arabien vorherrschenden und auch im Libanon und in
Syrien vertretenen rigoros konservativen, sunnitisch-orthodoxen Hanbaliten mit rund 4 Mill. Anhängern,
die nur eine wörtliche Auslegung von Koran und Sunna zulässt,
b) der als erste der Rechtsschulen in der Nachfolge Malik Ibn Anas al Asbahi (713-795 n.Chr.) gegründeten,
in Nord- und Westafrika und an der Ostküste der Arabischen Halbinsel verbreiteten konservativen Malikiten mit rund 50 Mill. Anhängern , die fast ausschließlich das Gewohnheitsrecht der Gemeinde von Medina als verbindlich ansehen,
c) der in der Nachfolge von Imam Muhammad ibn Idris al-Schafi (767-820 n.Chr.) gegründeten, in Syrien, im
Süden der Arabischen Halbinsel (Jemen), in Ostafrika (Tansania), Nordostafrika (unter Teilen der Muslime
Äthiopiens und Djiboutis) und Südostafrika (Moçambique) sowie in Indonesien vorherrschenden, um Systematisierung des muslimischen Rechts bemühten Schafiiten mit rund 110 Mill. Anhängern, die neben
den Rechtsquellen Koran und Hadith als daraus ableitbare Prinzipien der Rechtsfindung Deduktion, Analogieschluss und Konsens der Gemmeinschaft der Rechtsgelehrten in ihr Lehrgebäude einführten und
d) der in der Nachfolge des irakischen Theologen persischer Abstammung Abu Hanifa (699-767 n.Chr.) gegründeten, in der Türkei, in Jordanien, Syrien, Ägypten, Afghanistan, Pakistan, Indien, der VR China und
weiteren Gebieten Mittelasien und Indonesiens vorherrschenden liberal eingestellten Hanafiten mit rund
370 Mill. Anhängern, der rund ein Drittel aller Muslime angehören, die dem persönlichen Urteil des „Fürgut-Haltens“ und dem Urteil durch Analogieschluss einen berechtigten Platz in der Rechtsfindung einräumen
als rechtgläubig anerkannt. Diese unterschiedlich ausgeprägten Rechtsschulen, von denen die hannafitische die bedeutendste ist, erschweren zumindest ein einheitliches Lehrgebäude des sunnitischen Islam – wenn sie es nicht gar
verhindern.
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(Neben diesen vier Rechtsschulen der Sunniten gibt es die nach dem sechsten Imam Jafar al Sadiq benannte JafariRechtsschule der Schia als Rechtsschule der Schiiten.)
Jeder sunnitische Muslim muss sich einer dieser vier Rechtsschulen anschließen. Er darf im Einzelfall nicht als
Rosinenpicker das ihm gerade Genehme einer anderen Rechtsschule für sich herausklauben, sondern ist in "Autoritätsgläubigkeit“ (Taqlid) an die einmal gefundene Rechtsauslegung seiner Rechtsschule gebunden. So stehen nach
der hanbalitischen Rechtsschule im fundamentalistischen Saudi-Arabien auf Alkoholgenuss Prügelstrafe und Gefängnis. Ein wahhabitischer Saudi dürfte sich darum nicht unter Berufung auf die hannafitische Rechtsschule seinen
Whisky munden lassen, weil den der hannafitischen Rechtsschule anhängenden Türken der Alkoholgenuss erlaubt
ist.
Eine solche Bindung führte zwangsläufig zu Erstarrungserscheinungen, bis 1985 die Rechtsakademie der „Liga der
Islamischen Welt“ unter dem Druck ihrer Mitglieder, die eine Ideologie modernen Zuschnitts mit rationalbürokratischen Organisationen wollen, das „Tor der Ijtihad“ (die Tür des eigenen Bemühens um die Lehre des Koran) für wieder geöffnet erklärten. Die Rechtsgelehrten sollen nun die Probleme des 20. und 21. Jahrhunderts auf der
Basis selbständiger Entscheidungen auf der Grundlage der eigenen Interpretation der religiösen Quellen lösen helfen
und so in Ablehnung des Weges der westlichen Geistesgeschichte eine Modernisierung des Islam ohne säkularistische Tendenzen erreichen.
Die im schiitischen Islam herausgebildeten Rechtsschulen u.a. der Djafariten und der Imamiten, der feqh-sunnati/
sunnti und erst recht der sich an den jeweiligen politischen und sozialen Erfordernissen orientierenden feqh-epuja
werden von den Sunniten abgelehnt.
In den während vier Jahrhunderten errichteten Lehrgebäuden und den hierauf fußenden Werken dieser Rechtsschulen
werden die rechtlichen Bestimmungen - und die erlaubten Tricks ihrer Umgehung, z.B. das Zinsverbot betreffend
(indem man das Geld nicht zur Bank bringt und gegen Zinsen auf einem Konto hinterlegt, sondern sich an Unternehmungen und deren Gewinn beteiligt, was viele konservative türkische Gastarbeiter gemacht und durch ihre teilweise kreditfinanzierten Geldanlage bei türkischen Holdings wie Yimpas, Jetpa oder Kombassan in Höhe von ca. 5
Mrd. € um alle Ersprarnisse gebracht wurden), oder im Iran zur Umgehung des Verbots der Prostitution von Mullahs
gegen Gebühr auf einige Wochen oder wenige Monate befristete Zeit geschlossene „Genussehen“ - erfasst und ausgedeutet, die sich auf die religiösen Pflichten, die materiellen Regelungen des Familien-, Eigentums-, Vertrags-,
Erb-, Verwaltungs-, und des Strafrechts sowie die formellen Regelungen des Prozessrechts beziehen. Alles das
und noch mehr macht das als göttlich angesehene Gesetz der Scharia aus.
Die Scharia, die erst mit der Ausbildung der Rechtsschulen ihre eigentliche Bedeutung erlangte, ist also streng genommen eine postkoranische Einrichtung. Sie besaß nicht von Anfang an den Anspruch, alle Lebensbereiche zu
durchdringen. Vor ihrer Ausformung hatten die Kalifen die Sphäre des Rechts für vorwiegend Ehe- und Erbschaftsangelegenheiten (Scharia) von der des Rechts zur Staatsverwaltung (Siyasa) sorgfältig getrennt und nur dann auf die
religiösen Rechtsgelehrten der Scharia zurückgegriffen, wenn sie eine religiöse Legitimation für ihre Maßnahmen
benötigten.
Für die Frauen ergeben sich aus der Anwendung der Scharia große Nachteile auf fast allen vorgenannten
Rechtsgebieten. Mit nicht nachvollziehbaren "religiösen" Argumenten wird eine angebliche Vorrangstellung
des Mannes in Familie und Gesellschaft konstruiert, die rechtliche Auswirkungen auf das tägliche Leben hat.
So taugen z.B. die Zeugnisse der Frauen vor Gericht nur halb soviel wie die der Männer – immerhin eine Besserstellung gegenüber früheren Auffassungen, wie sie z.B. aus den Anweisungen des Muhyi al-Din al-Nawawi aus dem 13.
Jahrhundert zur Befolgung des Fastens im Ramadan entnommen werden können: „Wenn ein Zeuge als ausreichend
[für die Sichtung des neuen Mondes als Beginn des Ramadans; der Verfasser] akzeptiert wird, gilt die Bedingung,
dass er die Eigenschaft besitzen muss, glaubwürdig zu sein, also darf der Zeuge weder ein Sklave noch eine Frau
sein ...“. Die Frauen können nur halb soviel erben wie ein Mann, und ein Mann kann sich ohne Angabe von Gründen
scheiden lassen, wohingegen einer Frau eine Scheidung nur dann erlaubt wird, wenn sie sich auf einen der sieben
enumerativ festgelegten Scheidungsgründe berufen kann. Bei z.B. behauptetem Ehebruch werden die Frauen härter
bestraft als die Männer, bei als erwiesen angesehenem Ehebruch werden sie im Iran anders gesteinigt als die Ehebrecher. In z.B. dem wahhabitisch-fundamentalistischen Saudi-Arabien unterliegen die Frauen vielen religiös begründeten alltäglichen Einschränkungen. Sie dürfen u.a. nicht von männlichen Lehrkräften direkt, sondern nur
über einen Fernsehbildschirm unterrichtet werden, nicht mit Männern zusammen studieren, ... . Im alltäglichen Leben
dürfen sie u.a. nicht ohne Erlaubnis des für sie als "Vormund" agierenden Mannes und nicht ohne Begleitung eines
volljährigen männlichen Verwandten mit dem Zug verreisen, in dem Zug nur gesonderte "Familienabteile" benutzen
und den Speisewagen nicht betreten. Sie dürfen (jedenfalls bis 2005) auch nicht Auto fahren. Trotzdem hatten im
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November 1990 - vielleicht nach dem Vorbild der Trucks fahrenden amerikanischen Soldatinnen oder dem kuwaitischer Frauen - 47 saudische Frauen aus hohen Kreisen der saudischen Gesellschaft (sämtlich im Besitz gültiger ausländischer Führerscheine), die sich wohl nicht mehr länger gängeln lassen wollten, es gewagt, im vermeintlichen
Schutz durch die anwesenden westlichen Journalisten und Soldaten sich selbst ans Steuer ihrer Autos zu setzen und
in einer Demonstrationsfahrt durch die Außenbezirke Riads zu fahren, bis die "mutawwa", die mit Schlag-Gerten
ausgerüstete, sich (nach Allah) als (fast) allmächtig gerierende Religionspolizei, die über die Einhaltung der in Saudi-Arabien geltenden religiösen Vorschriften wacht (und z.B. Gefangene zwingt, während ihrer Haftzeit stundenlang
laut den Koran vorzulesen), ihrem als anstößig empfundenen Treiben Einhalt gebot. Das geschah für saudische Verhältnisse aber sehr gemäßigt. Der Innenminister des Landes warf den Frauen "törichtes und verwerfliches Handeln"
vor und ahndete diesen Affront gegen die "islamischen Sitten" mit einem offiziellen Fahrverbot für Frauen. Sechs
der Frauen, allesamt Dozentinnen an der Universität, verloren ihren Job. Ein Vierteljahr nach dem 2. Golfkrieg wäre
diese Demonstration für die Frauen nicht mehr so glimpflich verlaufen; und auch damals hatte es Todesdrohungen
von Seiten muslimischer Fanatiker gegeben. Zwar war nach dem Golfkrieg ein (nach saudischen Maßstäben) als
gemäßigt geltender Universitätsprofessor vom König mit der Leitung des "Komitees zur Förderung der Tugend
und Verhinderung des Lasters", wie die Bezeichnung der Religionspolizei offiziell lautet, beauftragt worden, aber
dennoch häuften sich z.B. wieder Zurechtweisungen von Westlern und Übergriffe gegen ausländische Frauen, die
keine "abaya", den die Schultern um- und den Körper verhüllenden schwarzen Umhang, trugen oder ihn zumindest
nicht vorschriftsmäßig benutzten. (Das Wiedererstarken der Stellung der "mutawaun" richtet sich aber nicht nur gegen Ausländer, sondern ist ein konservativer Reflex auf die durch die ausländischen Soldaten in das Land geschwemmte Sintflut der Moderne. "Nach der quasi unumgänglichen Liberalisierungsphase während der Kuwaitkrise
wird das neue Selbstbewusstsein der Ultra-Religiösen von Beobachtern als Zeichen dafür gewertet, dass die orthodoxen Elemente in ihrem Kampf gegen Neuerungen Aufwind verspüren. In diesem Zusammenhang ist auch die strikte Auslegung der "Scharia", des islamischen Gesetzes, zu sehen. Schon ein Vierteljahr nach dem Ende des KuwaitKonfliktes waren 16 Delinquenten durch Enthauptung hingerichtet worden - als Mahnung für potentielle Übeltäter,
nicht mehr auf die "sensationslüsterne Wachsamkeit" der ausländischen Medien zu rechnen sowie als Wink an die
Adresse der "Modernisten", dass Allahs Gesetz in seiner ganzen Härte (weiterhin) Gültigkeit besitze" (FR
26.07.91).
Wie solche willkürlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Frauen religiös begründet werden?
Für die theologisch verbrämte Missachtung der Rechte der Frauen sind nur ein paar diffamierende Grundannahmen Voraussetzung, dann ergibt sich der religiöse (Trug-)Schluss fast zwangsläufig. "Mann" braucht nur
noch Moslem zu sein und frei nach dem Motto: "Es gibt zwei Grundwahrheiten: 1. Männer sind klüger als Frauen; 2.
die Erde ist eine Scheibe" daran zu glauben. Und wer beim Zuknöpfen einer Jacke den ersten Knopf falsch knöpft,
der kommt zwangsläufig nicht zu einem richtigen Ergebnis seiner Bemühungen: Der Islam lehrt, dass Allah Mann
und Frau mit einer je eigenen Natur (fitra) geschaffen habe, und dass nur der Islam dem Menschen eine Ordnung anbiete, in der er in Einklang mit seiner jeweiligen Fitra leben könne. Ein Verstoß gegen die Fitra bedeutet eine Versündigung gegen Gott. Weiter ist der islamischen Orthodoxie zufolge die Frau emotional, willenlos
und leicht beeinflussbar - obwohl das von der Frau des Propheten und auch von seiner Tochter Fatima nicht gesagt
werden kann! Eine seelisch gesunde Frau verlange nach einem Mann, dem sie gehorchen kann und muss.
„Imam verurteilt
Spanien
Wegen Anstachelung zu Gewalt gegen Frauen ist ein moslemischer Geistlicher in Spanien zu 15 Monaten Haft und rund 2000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Nach heftiger Kritik von Frauenverbänden an dem Buch "Frauen im Islam" befand ein Geschworenengericht in Barcelona Mohammed
Kamal Mustafa, Vorbeter des südspanischen Badeorts Fuengirola, für schuldig. In seinem Buch hatte
der Geistliche Hinweise gegeben, wie Männer zur Disziplinierung ihrer Frauen deren Hände und Füße
schlagen können, ohne Narben zu hinterlassen.“
Die Welt 15.01.04
Nach traditionell männlich-islamischer Überzeugung müssen die Frauen mit einem Gen der Unterwerfung geboren
sein, denn der Mann sei der „biologisch befruchtende Stellvertreter Allahs“. Die Überlegenheit des Mannes, der die
Frau beherrschen muss, um Allahs Gemeinschaft zu bewahren, ist ein islamisches Hauptdogma, das sich in allen
Bereichen des islamischen Rechts negativ für die rechtliche Stellung der Frauen auswirkt (z.B. halber Erbteil gegenüber männlichen Miterben, halbe Zeugenfähigkeit und Glaubwürdigkeit vor Gericht im Vergleich zu der Aussage
eines Mannes, …).
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Da die "Frauen die Fangschlingen des Teufels sind" (Y. Anwar), ist der Umgang zwischen den Geschlechtern außerhalb der Familie zum Wohle von Mann und Frau nicht erlaubt. In einer solchen Sichtweise gibt es keinen
Platz für eine Gleichberechtigung der Geschlechter. Der angemessene Lebensbereich der Frau sei das Haus, ihre
Erfüllung finde sie in Ehe und Mutterschaft. (Darin scheinen sich alle Fundamentalisten islamischer und christlicher Couleur einig zu sein!) Auf Grund seiner überlegenen Fitra soll nun der Mann seine Frau verständnisvoll
ertragen und ihre Eigenheiten mit Nachsicht hinnehmen. (Ein guter Segler muss notfalls eben auch einen Sturm abwettern können.) Dahinter steht ganz nackt das im Vorwort näher untersuchte männliche Dominanzstreben - wie
z.B. auch in der Schweiz, in der die Frauen in einigen Kantonen bis weit in die 80er Jahre unseres Jahrhunderts, in
den beiden Halbkantonen von Appenzell sogar bis Dezember 1990(!), kein Kantonatswahlrecht hatten. Ein Ausfluss
dieser männlich-bornierten Haltung ist u.a. auch das algerische Wahlgesetz, das - anders als von den Islamisten beanstandet - auf jeden Fall insoweit ungerecht ist, als es den Ehemännern erlaubt, bei Wahlen an Stelle ihrer Ehefrauen abzustimmen, natürlich zusätzlich zu ihrer eigenen Stimme! Es ist vermutlich falsch, den Islam für das Entstehen
des männlichen Dominanzstrebens verantwortlich zu machen. Das ist eher in der Biologie angelegt!
Die von den Männern beanspruchte Vorrangstellung in den arabisch-islamischen Ländern hat wohl nicht den
islamischen Glauben zum Ursprung. Vielmehr wird es so gewesen sein, dass der Islam in eine patriarchalische
Gesellschaft hinein gegründet und deswegen - wie bei allen Religionen - den Herrschaftsstrukturen seiner Entstehungsgesellschaft angeglichen worden ist. Dafür wurden dann religiös verbrämte Rechtfertigungsversuche
wie die der unterschiedlichen "Fitra" der Geschlechter zurechtgezimmert, wobei die Natur der Frau nach der
Unterwerfung unter die Natur des Mannes verlange. Dieses religiös verbrämte Dominanzstreben der islamischen Männer treibt teilweise obskure Blüten: Wenn sich Ölpotentaten einen Rolls-Royce mit vergoldetem Kühler
bestellen, dann ist darauf nicht die stehend-schwebende "Flying Lady" oder der "Spirit of Ecstasy" als das Firmenzeichen dieses Luxusgefährts in seiner Originalversion zu sehen. Weil es von islamischen Ölpotentaten als unschicklich empfunden wird, wenn eine Frau vor ihnen steht - sie hat zu knien -, kniet die Spezial-"Flying Lady" der Orientversion vor ihnen auf dem Kühlergrill. Nichts ist unmöglich! Nirgendwo wird diese zuvor angesprochene Trennung
der Geschlechter strikter durchgeführt als im Afghanistan der Taliban und im wahhabitisch-fundamentalistischen
Saudi-Arabien, eine der theokratischsten Diktaturen der Welt in Form einer Monarchie. Der über die eigenhändig
Autos fahrenden Frauen schockierte saudische Innenminister sagte unter Bezug auf ein Rechtsgutachten von vier
saudischen Religionsgelehrten wörtlich: "Das Innenministerium hat daran erinnert, dass das Verbot für die Frauen,
selbst ein Auto zu lenken, sich auf Beweise des religiösen Gesetzes gründet. Diese machen das Verbot aller Ursachen zur Pflicht, welche die Frau herabwürdigen oder sie irgendwelchen Versuchungen aussetzen." In diesem Sinne
wollten die Religionsgelehrten mit ihrem Gutachten für die Frauen die Erniedrigung ausschließen, die der Frau angeblich widerfahre, wenn sie sich entgegen ihrer Fitra selbst hinter das Steuer eines Autos setzt. Weil die in ihren
Autos demonstrierenden Frauen nicht erkannt hatten, dass sie durch ihre Handlungsweise gegen ihre Fitra verstoßen
und sich dadurch selbst erniedrigt hatten, waren sie dem Innenminister zufolge töricht gewesen und hatten verwerflich gehandelt.
2005 hatte sich die Lage für die Frauen in Saudi-Arabien noch nicht gebessert. Mohammed al-Zulfa, Mitglied der
beratenden Versammlung, der "Madschlis al-Schura" hatte versucht, Frauen ab 35 das Autofahren erlauben zu lassen, schon allein, um die erheblichen Kosten für meist ausländische Fahrer zu sparen; und er hatte das mit dem Hinweis verbunden, dass Frauen selber fahren müssten, da es ihnen nach der wahhabitischen Lesart des Korans verboten
sei, mit einem fremden Mann zusammen zu sein. Tags darauf lehnte ein Schura-Sprecher aber unter Verweis auf
Großmufti Scheich Abd al-Asis Bin Bas, der klar entschied hatte, dass Frauen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren
dürfen, jede Diskussion des Themas ab. Es ist kein Zufall, dass das ultra-konservative Königreich auf dem letzten
Platz eines Rankings zu Frauenrechten landete, welches das US-Institut Freedom House erstmals für die arabische
Welt vorlegte (DIE WELT 25.05.05). Ein leichter Wandel deutete sich Ende 2005 an, als ein (maßgeblicher) Prinz
der staatlichen Nachrichtenagentur SPA zufolge hatte verlauten lassen: "Wenn Väter, Ehemänner und Brüder uns
bitten, Frauen Auto fahren zu lassen, werden wir uns mit der Sache befassen. Aber wenn sie das Gegenteil fordern,
werden wir sie nicht zu einer Fahrerlaubnis für Frauen zwingen können". Für die Reformer in Saudi-Arabien ist eine
Fahrerlaubnis für Frauen eine ihrer Kernforderungen. Die Geistlichen sind weiterhin strikt dagegen, denn sie fürchten, Frauen würden außerhalb ihres Heims auf Männer treffen, sollten sie erst Auto fahren dürfen. Die Realität sei
laut DIE WELT im Dezember 2005 aber schon, dass das Verbot zwar in Städten und auf Hauptstraßen immer noch
strikt angewendet wird, in ländlichen Gebieten hingegen oft unterlaufen werde. Darum wohl der gegen den Widerstand der Geistlichen äußerst behutsam angegangene Umsteuerungsprozess.
Das von dem saudischen Innenminister angesprochene religiöse Gesetz, auf dessen "Beweise" er sich stützte, ist
natürlich die Scharia, das vorstehend ausführlich beschriebene, letztlich auf dem Koran als Gottes geoffenbartem
Wort beruhende vorindustrielle göttliche Gesetz mit seinen sehr viele Alltagsfragen regelnden und inzwischen das
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Alltagsleben in einer industriellen Gesellschaft einschnürenden Bestimmungen, das sich für einen europäischen Juristen in seiner unsystematischen Vielfalt der darin angerissenen Rechtsgebiete als ein bunter Flickenteppich darstellt. Dieses in der Scharia vorgefundene, unsystematisch zusammengefasste Abhandeln der verschiedensten, jedenfalls heutzutage nicht mehr zusammengehörenden Rechtsgebiete in einem großen Werk ist typisch für frühe Rechtsbücher. Ähnliches finden wir in unserem Kulturkreis in dem um 1220 verfassten Sachsenspiegel, dem bedeutendsten
der deutschen Rechtsbücher des Mittelalters, mit dem die Grundlage für eine einheitliche deutsche Rechtssprache
gelegt worden war. Und die Scharia ist Jahrhunderte früher abgeschlossen, deren kulturelle Leistung ist also viel
früher erbracht worden als die des Sachsenspiegels und damit ist sie rechtshistorisch vergleichend höher zu bewerten.
Das alles zu lesen – und zu wissen -, ist schon erschreckend genug, besonders wenn man Frauen zu schätzen weiß
und ganz einfach mag. Tagelang konnte ich mich aber nicht von dem Grauen lösen, das eine in einem anlässlich der
56. Frankfurter Buchmesse 2004 geführten Interview (STERN 23.09.04) gemachte Bemerkung eines STERNReporters gegenüber dem syrischstämmigen Exil-Schriftsteller mit deutschem Pass, Rafik Schami, in mir hervorgerufen hat. Nachdem Schami gesagt hatte: Die USA „… haben willfährige Despoten installiert, korrupte Regime, die
eine Gefahr für die eigene Bevölkerung sind. In Saudi-Arabien halten sie an den Wahhabiten fest, den eifrigsten
Fundamentalisten, die die Taliban aufgebaut haben und die mit ihren Petrodollars unverdrossen den fundamentalistischen Islam anfeuern!“, fährt er fort: „Die Araber sind auch selbst schuld an der herrschenden Düsternis. Die Araber
sind in Lethargie. Das Denken ist erstarrt, gefangen in der glorreichen Vergangenheit, unsere Denker sind erstarrt.“,
woraufhin der Reporter das Interview mit der Bemerkung fortführte: „Mittelalterlich klingt eine Meldung aus
Saudi-Arabien vom vergangenen Jahr: Da wollten sich Frauen vor einem Gebäudebrand retten, sie liefen auf
die Straße, doch sie wurden von Religionspolizisten mit Schlägen ins Feuer zurückgetrieben. Der Grund: Sie
waren nicht verschleiert. Alle kamen ums Leben.“
2. Schiiten
Die Schiiten umfassen ca. 10-15 % der 1,5 Mrd. islamischen Gläubigen. Ihre Anhänger verteilen sich in ganz unterschiedlichen prozentualen Anteilen auf einzelne islamische Länder des von Pakistan über den Iran, Bahrein, Kuwait,
den NO Saudi-Arabiens, den Irak und Syrien bis zum Libanon und ein wenig in die Türkei reichenden sogenannten
»schiitischen Halbmonds«. Nur im Iran, auf der Inselgruppe von Bahrein und im Irak bilden sie mit ca. 90 % (Iran)
bzw. etwa 70 % (Bahrein) und 60 % (Irak) die Bevölkerungsmehrheit. Sie rufen innerhalb bestimmter Länder der
Golfanrainerstaaten und auch schon in Pakistan und Indien (wo bei bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten schon ganze Stadtteile vernichtet worden sind), große Spannungen und - spätestens seit
dem Versuch des "Exports" der schiitischen iranischen Revolution durch das Regime des Großajatollah Khomeini
oder dem Attentatsversuch auf den Emir von Kuwait - Befürchtungen bezüglich der politischen Stabilität hervor. Diese Spannungen lassen sich teilweise im wahrsten Sinne des Wortes lokalisieren: So befinden sich die größten
Heiligtümer der Schiiten nicht im Iran, sondern im Irak, dem historisch wichtigsten Zentrum der Schiiten, wo die
Schiiten die Bevölkerungsmehrheit unter der arabischstämmigen Bevölkerung bildet (nur zusammen mit den nichtarabischen Kurden befinden sich die Sunniten in der Mehrheit), in den Städten Kerbela/Kerbala/Karbala, Nadschaf/Nedschef (darum wollte Khomeini, wie viele gläubige Schiiten, seine letzte Ruhestätte ebenfalls dort auf dem
heiligsten und größten Friedhof der Schiiten, der riesigen Begräbnisstätte im „Tal des Friedens“ in der Nähe von Alis
Grab erhalten, wo er nach einem einjährigen Exil in der Türkei von 1965-1978, ebenfalls wieder im Exil, gelebt
hatte), Samarra (mit der von sunnitischen Extremisten wegen der angeblichen Zusammenarbeit der Schiiten mit den
USA beim Neuaufbau des Landes im Kampf um die Vorherrschaft im Irak 2006 teilweise gesprengten Goldenen
Moschee für den 10. Imam, eines der höchsten Heiligtümer der Schiiten) und Kadhimain, in deren heiligen Moscheen die wichtigsten der zwölf von den meisten Schiiten verehrten Imame begraben sind. Der Sunnit Saddam
Hussein konnte in den acht Jahren des von ihm gegen den schiitischen Iran begonnenen Krieges der ca. 60 % Iraker
schiitischen Glaubens - gegenüber ca. 25 % Irakern sunnitischen Glaubens - vielleicht nur durch den Terror seiner
damals vier Geheimdienste relativ sicher sein, wozu vermutlich auch die Ermordung des höchsten schiitischen Würdenträgers Iraks und Schiiten-Papstes, Ayatollah Bakr al-Sadr, mit seiner Familie im April 1980 gehörte. Diesem
Mord folgte 1999 der Mord an Mohammed Sadiq as Sadr, dem einzigen im Irak gebürtigen schiitischen Großayatol-
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lah, der trotz aller staatlichen Pressionen von Saddam Hussein im Land geblieben war. Seine Ermordung wird von
den irakischen Schiiten in Beziehung zu dem Opfertod ihres 680 n.Chr. ermordeten dritten Imams Husain gesehen.
(Es war für Saddam Hussein zumindest fraglich, ob die Loyalität seiner Schiiten gegenüber den arabischen Volksgenossen größer sei als gegenüber Ali, was ein Zusammengehen seiner arabischen Schiiten mit den arischen Persern
bewirkt hätte - wie ja auch in Kuwait einzelne Mitglieder der 30-35prozentigen schiitischen Minderheit ihre religiösen Bindungen über ihre Loyalität zum Staat gestellt hatten. Aber die große Mehrheit der irakischen Schiiten
hatte sich - zunächst (vielleicht unter dem Druck der Geheimdienste) - für die nationale und nicht für die religiöse
Einheit entschieden. Doch als Saddam Hussein von den Alliierten im Feld - aber nicht auf der politischen Bühne(!) geschlagen worden war, brachen sofort Schiitenaufstände in den südöstlichen, hauptsächlich von Schiiten bewohnten
Provinzen des Irak los.)
Der sunnitische Herrscher von Kuwait wäre trotz seiner milliardenschweren Unterstützung des Iraks im ersten Golfkrieg fast dem Anschlag eines schiitisch-irakischen Fundamentalisten zum Opfer gefallen.
Nach der Verdrängung des mörderischen Diktators Saddam Hussein von der Macht ist Nadschaf wieder das geistige
Kraftzentrum Iraks durch die dort angesiedelten religiösen Schulen („Haussa“) geworden. Diese Haussa tragen in der
Nach-Saddam-Zeit einen gnadenlosen Machtkampf aus. Die einflussreichste ist bisher die „Haussa as Sadr“, gegen
die der Irak nicht wird regiert werden können.
Die wichtigsten grundlegenden Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten sollen laut Conrad 36„... auf verschiedenen Ansichten über die Frage, wie man mit Gewissheit Zugang zur religiösen Wahrheit findet, beruhen. Nach Ansicht der Sunniten findet man die religiöse Wahrheit und die richtigen Lösungen für geistige Probleme, indem man
seine Zuflucht zu Koran und Hadith ... nimmt. Wenn man weder in der einen noch in der anderen dieser beiden
Quellen eine klare Lösung findet, verlassen sich die Gelehrten auf zwei weitere. Wenn nämlich religiöse Autoritäten
sich auf eine Lösung geeinigt haben, bedeutet dies, dass die Tatsache ihres ’Konsenses’ dieser Lösung religiöse Verbindlichkeit verleiht; denn Gott würde es Seiner Gemeinde nicht erlauben, sich auf einen Irrtum zu einigen. Die
vierte Quelle ist das ’Analogie’-Verfahren, mit dem Gelehrte ein Problem durch Vergleich mit einem bereits gelösten
Konflikt lösen. ... Im schiitischen Islam findet man die verbindliche religiöse Wahrheit im Imam. Nach schiitischer
Doktrin gilt, dass die göttliche Inspiration für richtiges religiöses Denken auf den Propheten Muhammad herabkam,
auf seinen Vetter und Schwiegersohn Ali überging und dessen Nachkommen.“
Die wichtigsten Unterschiede zwischen den Sunniten und den Schiiten bestehen nach T. P. Hughes „Lexikon des
Islam“ in Folgendem: Es werden unterschiedliche Kalifen bzw. Imame anerkannt, wobei die Schiiten Ali besonders
verehren. Es wurden unterschiedliche Rechtsschulen ausgebildet. Die Schiiten mit ihrer ausgebildeten Theologenkaste erkennen Entscheidungen „erleuchteter Geister“ der obersten theologischen Kaste in Fragen der religiösen und
weltlichen Gesetze als unfehlbar an, weswegen z.B. Khomeinis Fatwa gegen Salman Rushdie nicht zurückgenommen
werden kann. Es gibt unterschiedliche Gebetsriten. Die Schiiten feiern die ersten zehn Tage des ersten Monats
(„Muharram“) eines Jahres, zur Erinnerung an Husain und seinen Bruder Hasan, während die Sunniten lediglich den
zehnten Tag dieses Monats zur Erinnerung an die Erschaffung Adams feiern. Während die Sunniten nur den Juden,
Christen und den Muslimen eine göttliche Offenbarung zuerkennen, sollen die Schiiten auch die Magier als eine
solche Gruppe anerkennen. Weil die Schiiten eine viele Jahrhunderte verfolgte Minderheit im Islam darstellen, haben
sie zu ihrem Selbstschutz den frommen Betrug zugelassen, dass sie ihren Glauben verbergen und sogar verleugnen
dürfen, um sich religiöser Verfolgung entziehen und so das Leben retten zu können.
Aber nicht nur gegenüber der islamischen Hauptglaubensrichtung, den ca. 1,5 Mrd. Sunniten, bestehen diese großen
religiösen Unterschiede, auch untereinander sind die ca. 130 Mill. Schiiten sehr zerstritten. Sie teilen sich auf in
viele einzelne Richtungen wie die ca. 100 Mill. Imamiten oder Zwölferschiiten, die Siebenerschiiten, ca. 15
Mill. Ismailiden, ca. 6 Mill. Seiditen/Zaiditen, ca. 5 Mill. Alawiten, ca. 1 Mill. Charidschiten, ca. 0,6 Mill. Drusen, Fatimden, Qarmaten u.a. Diese einzelnen Richtungen unterscheiden sich insbesondere durch die Anzahl der
von ihnen als Oberhaupt anerkannten Imame. Die größte Gruppe der Schiiten bilden die Zwölferschiiten, die gegenüber den anderen schiitischen Ausrichtungen den unschätzbaren Vorteil haben, dass sie schwerpunktmäßig im Iran
leben und dort mit rund 90 % der Bevölkerung als ihre Anhänger seit 1502 die Staatsreligion ausüben und darum
keine Drangsalierung und Verfolgung durch andere Glaubensrichtungen wie Sunniten oder Hindus erleiden müssen.
In allen anderen muslimischen Ländern ist die Situation für die Schiiten diametral entgegengesetzt: Sie werden praktisch fast überall verfolgt und gehören zu der teilweise verachteten Minderheit in ihrem jeweiligen Heimatstaat.
Die Hauptunterscheidungsmerkmale innerhalb der größten schiitischen Strömungen sind folgende:
36
Conrad, L. I.: Wiederherstellung des Kalifats oder Bekenntnis zum Nationalstaat in: Das Parlament 18.01.02, S. 4
100
2.1 Zwölferschiiten
Die Zwölferschiiten, Imamiten, leben hauptsächlich im Iran und den Nachbarländern, insbesondere im Südirak. Sie
umfassen ca. 100 Mill. Anhänger, die daran glauben, dass es bisher 12 Imame gegeben habe und keinen neuen mehr
geben werde: 1.) Ali, der Schwiegersohn Mohammeds und Ehemann von dessen Lieblingstochter Fatima, 2.) Hasan,
der älteste Sohn aus dieser Ehe, 3.) Husain, der zweitälteste Sohn, 4.) dessen Sohn Zainu’l-Abidin, 5.) dessen Sohn
Muhammad al-Baqiur, 6.) dessen Sohn Dscha’faru’s-Sadiq, 7.) dessen zweiter Sohn Musa al-Kazim, 8.) dessen Sohn
Ali ar-Rada, 9.) dessen Sohn Muhammad at-Taqi, 10.) dessen Sohn Ali an-Naqi, 11.) dessen zunächst kinderlos
geglaubter Sohn Hasan al-Askari und 12.) und dann ein als versteckt lebend angenommener Mohammed Ibn Hasan,
von dem angenommen wird, dass er seit 873/874 n.Chr. in der „großen Verborgenheit“ („Mahdiya“) lebe und aus ihr
als Erlöser (Mahdi) zur Endzeit wiederkehren werde, um seinen Anhängern als „Herrscher der Zeit“ die Führung in
der Welt zu erobern. Mit dem Mahdi sei das Wissen um die Wahrheit verschwunden. Bis zu seiner Wiederkehr bleibe nur der Weg der Vernunft. Die religiösen Führer der Schiiten seien ermächtigt, bis zur Wiederkehr des Mahdi für
den 12. Imam und in seinem Namen zu handeln.
Obwohl für die Zwölferschiiten des Irans mit dem im Verborgenen weiterlebend geglaubten und erst zum Endzeitalter wiederkehrenden 12. Imam die Imamatsabfolge bereits seit über 1100 Jahren zwangsläufig abgeschlossen ist, ließ sich Ruhollah Mussawi Hindi Khomeini, der seinen Stammbaum auf Mohammed zurückführte,
nach der von ihm durchgesetzten Gründung des Gottesstaates Iran (als von seinen Anhängern so gesehene Reinkarnation des 12. Imam) mit dem nur den 12 schiitischen Heiligen vorbehaltenen (Ehren-)Titel "Imam" belegen - ein
Novum in der schiitisch-persischen Geschichte. Auch wenn Khomeini sich in einem Anflug von für ihn fast übermenschlich anmutender Bescheidenheit nicht offiziell zur Inkarnation des erwarteten 12. Imam proklamieren ließ für den in Khomeinis Namen mit oder ohne Prozess mordenden "Blutrichter" Ayatollah Chalchali/Khalkali und
andere war er es aber -, so tat er doch alles, um im gläubigen Volk durch den informellen Gebrauch des Titels gerade
diesen Eindruck zu erwecken und sich zum prophetenähnlichen Übermenschen verklären zu lassen. Von seinen
schiitischen Kritikern wurde deshalb als Spitze der Blasphemie empfunden, dass ab seiner Machtübernahme das
(wegen des Entrücktseins in die Verborgenheit) bisher immer leer gebliebene Portrait des 874 n.Chr. vor seinen
Verfolgern entrückten 12. Imams plötzlich auf Kalenderblättern und Pamphleten mit dem Konterfei des Großajatollahs auftauchte. Konservative fundamentalistische Gegner Khomeinis innerhalb der von ihm beherrschten Islamischen Republik Iran machten ihm hartnäckig den inoffiziellen Titel "Imam" streitig; seine alle anderen an Einfluss
überragende Stellung als „göttlicher Rechtsgelehrter“ mit dem damit verbundenen Letztentscheidungsrecht in wirklich allen Dingen griffen sie aber nicht an. Die Übertragung der Regierungsgewalt als "Stellvertreter des verborgenen Imam" durch Artikel 5 der Verfassung der Islamischen Republik Iran war für seine noch konservativeren Kritiker, wie z.B. den Ayatollah Madari, "Anmaßung und Gotteslästerung". Mit der Einführung der Lehre der
(dann von ihm beanspruchten) absoluten Machtbefugnis des geistlichen Führers (des "Welayat-e-Faghih-Regimes") nach schiitischer Grundannahme aber nur einer bloßen irdischen Stellvertreterschaft für den Mahdi - hob Khomeini
praktisch den fundamentalen Grundsatz der schiitischen Lehre auf, wonach jede weltliche Herrschaft während der
Abwesenheit des 12. Imam illegitim sei. Die von Khomeini in der Errichtung der theokratischen Islamischen Republik Iran verwirklichte Ausrufung eines "Gottesreiches" ohne den noch nicht zurückgekehrten Mahdi erschien darum
vielen, besonders orthodoxen, Schiiten der Mullahkratie als weitere Blasphemie. Vielleicht wagte Khomeini es wegen dieser starken inneriranischen Opposition nicht, ein islamisches Kalifat oder Imamat zu errichten, auch wenn er
den Iran als „Gottesstaat“ verstanden wissen wollte.
Die Ansichten bezüglich der Gestalt des Imam variieren wiederum zwischen den verschiedenen schiitischen Glaubensrichtungen. Die extremen Schiiten glauben an das Einwohnen Gottes in Ali und in vielen seiner männlichen
Nachkommen, den Imamen. Diese Sekte (Alewiten?) besteht als kleine Splittergruppe u.a. in Syrien. Die Ismaeliten
glauben, dass der schon vor seinem Vater verstorbene Sohn des 6. Imams, Ismael, der rechtmäßige 7. Imam sei, in
der Verborgenheit weiterlebe und eines Tages als Mahdi auf die Welt zurückkehren werde. (Die Ismaeliten werden daher auch Siebenerschia genannt.) Die bedeutendste Gruppe der Schiiten sind die Zwölferschiiten (im
nichtarabischen Iran seit dem Beginn der Safawidenherrschaft 1501 n.Chr. Staatsreligion, damit sie sich gegen
die Oberhoheit der sunnitischen Türken des osmanischen Reiches religiös und politisch abgrenzen konnten). Sie
haben ihren Namen daher, dass nach ihrem Glauben der damals siebenjährige 12. Imam Muhammad ibn Hasan alMahdi, mit Beinamen "der Erwartete", im Jahre 873 n.Chr. vor seinen Verfolgern in die Verborgenheit entrückt
worden sei, dort weiterlebe und einst als Mahdi zurückkehren werde. Bis zu diesem Tag, so sagt es der von
Khomeini aufgestellte schiitische Glaubenskodex, verwalten die Ajatollahs als seine Stellvertreter die ihnen unterstellte Welt. Darum muss - das gehört zum Credo der Islamischen Revolution des Iran - an der Spitze des Staa-
101
tes ein auf Lebenszeit gewählter (schiitischer) Geistlicher mit den Weihen eines "Faqih", eines religiösen
Rechtsgelehrten, als „Oberster Revolutionsführer“ stehen. Das findet auch in der Verfassung des theokratischen
Gottesstaates "Islamische Republik Iran" seinen Ausdruck. Dort heißt es u.a.: "In der Islamischen Republik Iran steht
während der Abwesenheit des verschwundenen 12. Imam - Gott möge ihn bald wieder erscheinen lassen - der Führungsauftrag und die Führungsbefugnis in Angelegenheiten der islamischen Gemeinschaft dem gerechten, gottesfürchtigen, über die Erfordernisse der Zeit informierten, tapferen, zur Führung befähigten Rechtsgelehrten zu, der
von der Mehrheit der Bevölkerung als islamischer Führer anerkannt und bestätigt wurde. Falls kein islamischer
Rechtsgelehrter eine solche Mehrheit findet, übernimmt ein Führungsrat islamischer Rechtsgelehrter, welcher die
obigen Voraussetzungen erfüllt, ... die Führung." Nachdem von dem aus sechs Geistlichen und sechs weltlichen
Juristen bestehenden Wächterrat nicht genehme Kandidaten aussortiert worden sind, wird der von den 86 durch
allgemeine Wahlen für acht Jahre als Mitglieder des Expertenrates bestimmten Korangelehrten der von ihnen zu
wählende Revolutionsführer auf Lebenszeit ernannt. Er ist der oberste Rechtsgelehrte und das Zentrum der Macht in
der Mullahkratie des iranischen Staates. Er bestimmt die Richtlinien der Politik und kontrolliert die Verwaltung, die
Justiz, die Armee, den Geheimdienst, die staatlichen Medien, die religiösen Stiftungen und insbesondere den schon
angesprochenen Wächterrat, eine Art Verfassungsgericht, das alle Gesetze des Parlaments bestätigen muss.
Die Ulama, die in diesem Fall schiitischen Theologen und insbesondere der vom Volk für acht Jahre gewählte 86köpfige Expertenrat, beanspruchen nach Khomeinis Tod, Stellvertreter des verborgenen Imam zu sein: Sie
seien, dank ihres theologischen Wissens, einzig und allein imstande, im Sinne des abwesenden Imam zu handeln.
Darum stehe ihnen die Staatsführung zu. Weil Mohammeds Lehren den rechtlichen Rahmen der Gesellschaft bilden, sei es nur sinnvoll und geboten, dass die ins Parlament einziehen, die sich mit den Lehren des Propheten besonders intensiv befasst haben: die islamischen Schriftgelehrten. Die durch Khomeini gesetzten Normen sind aber aus
politischen Gründen des Primats des Gemeinwohls für seinen damals 48-jährigen Nachfolger Chamenei, der acht
Jahre lang das Amt des Staatspräsidenten innegehabt hatte - nicht unwidersprochen - aufgeweicht worden. Man hatte
sich auf keinen anderen Kompromisskandidaten einigen können, da Khomeini dem langjährigen "Kronprinzen"
Ayatollah Montazeri zweieinhalb Monate vor seinem Tod seine Gunst entzogen hatte. (Montazeri ist wegen seiner
kritischen Haltung der iranischen Geistlichkeit in den Führungspositionen des Staates gegenüber im November 1997
unter Hausarrest gestellt und erst nach fast fünf Jahren auf Grund seines Gesundheitszustandes Anfang 2003 daraus
entlassen worden.) Chamenei war zum Zeitpunkt der religiösen Nachfolge - entgegen den in der Verfassung festgelegten Grundsätzen - als Hodschatolislam zunächst nur ein Mullah mittleren Ranges und kein "Mardja"/ "religiöses
Vorbild" oder "Modjtahed"/"anerkannter religiöser Gelehrter" gewesen. Er ist dann später zur Verbesserung seiner
Legitimation ohne das erforderliche weitere Aufbaustudium zu einem Ayatollah ernannt worden. Das ist fast so, als
wenn für die Besetzung einer Stelle eine innegehabte Professur verlangt, die ausgeschriebene Stelle dann aber an
einen nur examinierten Universitätsabsolventen vergeben würde. Wegen der fehlenden religiösen Qualifikation
Chameneis war die Legitimation der Amtsübernahme bezüglich des von ihm eingenommenen höchsten Staatsamtes
als "Führer der Revolution" durch diese zweifelhafte Personalentscheidung von Anfang an mit dem Ruch des
Schwindels behaftet. Einige hochrangige Mullahs wie Ayatollah Mahdawi Kani, Chef der einflussreichen konservativen "Gesellschaft der kämpfenden Geistlichkeit" - nicht zu verwechseln mit deren radikaler Abspaltung "Gesellschaft kämpfender Geistlicher" - verlangten im November 89 noch, dass der von Khomeini eigenhändig entmachtete
langjährige "Kronprinz" Ayatollah Montazeri künftig die religiösen Entscheidungen in staatlichen Angelegenheiten
treffen solle, und nicht Chamenei/Khamenei. [Montazeri wäre auf Grund seines geistlichen Ranges und Ansehens
nach Khomeinis Tod der einzige Garant für den Fortbestand der von Khomeini innegehabten "Welayat-eFaghih"/"Wali-je Fakih", der absoluten Herrschaft eines religiösen (Revolutions-)Führers als herrschender Gottesgelehrter gewesen.] Daraufhin versuchte die neue Führung, Montazeri durch die iranische Ansar Hisbollah, die jugendlichen Schlägertruppen der geistlichen Macht, einzuschüchtern. Der massiv vorgetragene Einschüchterungsversuch misslang. Montazeri warf im Gegenzug der neuen Führung Verrat an der Revolution und Betrug an der
Verfassung vor. Im Zuge der zur Beschwichtigung oder Ruhigstellung erforderlichen Agitation auch und besonders
gegenüber den zum Zeitpunkt von Khomeinis Tod im Vergleich zu Chamenei höherrangigen und damit eher zur
religiösen und politischen Führung berufenen Ajatollahs nahm die halbamtliche iranische Zeitung "Kayhan" das in
der Verfassung niedergelegte Postulat über die an den mit dem Führungsauftrag der Islamischen Republik Iran zu
betrauenden theologischen Rechtsgelehrten zu stellenden Anforderungen auf und schrieb: "Die Idealform der Führung ist gewährleistet, wenn der politische Führer auch ein Mardja ist wie im Falle des Imam Khomeini. Die zweitbeste Lösung ist, wenn der Führer die politischen Tugenden wie Mut, Urteilskraft, Gerechtigkeit und Kenntnis der
Welt inne hat und zugleich ein potentieller Mardja ist, also die Bedingungen erfüllt, einer zu werden, wie Ayatollah
Chamenei." Anders sah es ein iranisches Oppositionsblatt, das über den neuen "Führer der Revolution" erstaunlicherweise schreiben konnte: "Als Imam wirkt Chamenei Respekt gebietend wie der Metro-Goldwyn-Mayer-Löwe
auf der Leinwand, vor dem sich nicht einmal die persischen Kleinkinder fürchten." Doch das war nur in der instabi-
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len Übergangsphase nach Khomeinis Tod so. Chamenei hat sich gegenüber dem nach zwei von den Reformern um
den Ministerpräsidenten Khatami gewonnenen Wahlen mehrheitlich mit Reformern besetzten Parlament durchgesetzt. Er dulde keinen Zweifel an seiner eigenen Autorität, von seiten "keiner Person, keines Flügels und keiner
Gruppe".
Nach Khomeinis Tod wird zwischen den Konservativen und den Reformern um u.a. Demokratie im politischen System des Iran, vom Gedanken der Volksouveränität getragene säkulare Staatskonzepte, die Verwirklichung der Menschenrechte in einem sich religiös definierenden Staat und um die Gleichstellung von Mann und Frau – so dürfen,
wie an dem Beispiel der am Kopf zusammengewachsenen siamesischen Zwillinge, die sich als erwachsene Frauen
trennen lassen wollten, deutlich wurde, unverheiratete Frauen im iranischen Gottesstaat ohne Einverständnis ihres
Vormundes bisher weder ins Ausland reisen noch einen medizinischen Eingriff großer Tragweite vornehmen lassen gerungen; für sunnitische Islamisten alles die Kluft zwischen Sunniten und Schiiten unüberwindbar vertiefendes
Teufelszeug! „Der Widerspruch zwischen einem Gottesstaat, der seine Befehle von Gott empfängt, und einer Republik, die nach dem Willen des Volkes handelt, nagt seit der Gründung der Islamischen Republik an der Substanz des
Staates“ (taz 13.06.03). Die demokratisch gewählte Regierung des Präsidenten Khatami, deren Mitglieder das Land
reformieren wollen, trauen sich aus Angst vor einem Militärputsch der geistlichen Führung des Landes unter Anführung des sich in Khomeinis Nachfolge als Stellvertreter Allahs auf Erden verstehenden und so den iranischen Gottesstaat verkörpernden Ayatollah Khamenei nicht, die dem Volk versprochenen Reformen in Angriff zu nehmen, da sie
ja auch wissen, dass der Wächterrat, wie u.a. auch der Nationale Sicherheitsrat eines der vier Gremien, die neben und
über dem Parlament die Geschicke des Landes bestimmen, sie blockieren wird. Staatspräsident Chatami wird trotz
seiner Bemühungen um eine zivile pluralistische Gesellschaft wegen seines Zögerns und seiner politischen Grundposition, der Anerkennung der Islamischen Republik unter der absoluten Herrschaft der Geistlichkeit, von der Bevölkerung nicht mehr als uneingeschränkter Führer der Reformer betrachtet.
So haben die konservativen religiösen Kräfte im Wächterrat, dem Justizministerium und dem Militär das Land noch
immer fest im Würgegriff. Sie weigern sich, ihr Machtmonopol mit Hinweis auf den von ihnen so interpretierten
Willen Allahs aufzugeben und ließen das zunächst mehrheitlich mit Reformern besetzte Parlament ins Leere laufen.
Die totale Blockadepolitik der Islamisten hat das Parlament lahm gelegt, so dass kein Gesetz, das auf ernste Reformen abzielte, durchgesetzt werden konnte.
Die konservativen religiösen Kräfte werfen Kritiker ihrer Staatsführung nach Belieben ins Gefängnis, drangsalieren
Reformer durch Willkürurteile der ihnen zuzurechnenden Justiz, üben fortwährend Terror und Unterdrückung bis hin
zu Folter und Todesurteilen aus und versuchten, mit einer Mordserie an Intellektuellen die Reformer einzuschüchtern.
Wichtigstes institutionelles Instrument der vom Ayatollah Chamenei angeführten konservativen Geistlichkeit ist –
neben der Justiz als Speerspitze der Reformgegner – der als nicht gewähltes Verfassungsorgan in der Funktion eines
Verfassungsgerichts der besonderen schiitischen Art tätige „Rat der Weisen“ als der Wächterrat der Revolution zur
„Interpretation des göttlichen Willens“. Der aus sechs von Chamenei ernannten Geistlichen und sechs Rechtsgelehrten bestehende Wächterrat hat drei Hauptaufgaben: Er kommentiert die Verfassung, überwacht die Wahlen zum
Madschlis, dem Parlament, und prüft alle vom Parlament verabschiedeten Gesetze auf ihre Übereinstimmung mit der
Verfassung und den Grundsätzen des Islam – so, wie der Wächterrat ihn interpretiert. Reformgesetze sind so nicht
möglich, nur eine alle persönlichen Freiheiten erstickende Gesetzgebung der Geistlichkeit: So brachte der Wächterrat 2002 eine Reform des Scheidungsrechts zu Fall, weil die Reform zu Gunsten der Frauen den islamischen Gesetzen widerspräche. Im Iran dürfen sich nur Männer jederzeit von ihren Frauen scheiden lassen. Nach den zuvor vom
Parlament gebilligten Reformgesetzen sollten auch Frauen künftig die Scheidung einreichen können. Außerdem
sollte das Gesetz den Anspruch der Frauen auf Unterhalt verbessern und die Privilegien der Männer im Sorgerecht
beschneiden, denen zur Folge Jungen ab zwei und Mädchen ab neun Jahren den Männern zugesprochen werden. Die
Unterprivilegierung der Frauen blieb auch in anderen Rechtsbereichen erhalten: Bei einem durch die Zahlung von
Blutgeld »abgelösten« Mord erhalten Frauen nur die Hälfte des zu zahlenden Betrages. Das iranische Zivilgesetzbuch verbietet einer moslemischen Frau ausdrücklich die Ehe mit einem Nicht-Moslem; über die Gültigkeit einer
Ehe zwischen einem Moslem und einer nicht moslemischen Frau schweigt sich das Gesetz hingegen aus. Söhne erben den doppelten Anteil wie Töchter. Eine Frau braucht die Erlaubnis ihres Mannes, um ins Ausland reisen oder
eine Arbeit aufnehmen zu können. Vor Gericht wiegt die Aussage eines Mannes doppelt so schwer wie die einer
Frau. ... Außer im Familienrecht wurden gesetzliche Änderungen im Presse- und Wahlrecht vereitelt.
Nicht einmal die Mehrheit der Reformer im Parlament konnte bisher das Land aus der Sackgasse herausführen, da
der Wächterrat ca. 90 % der vom Parlament erlassenen Reformgesetze wieder außer Kraft setzte!
Der Wächterrat beansprucht außerdem für sich das Recht, die »Eignung« von Kandidaten für die Parlamentswahlen
überprüfen zu dürfen.
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Die Kandidatenliste wird zunächst vom Innenministerium formal geprüft, danach muss der Wächterrat sie billigen.
Hier werden die Weichen gestellt. Nach der Verfassung, reicht eine formale Überprüfung für die Zulassung der Kandidaten aus. Doch der von Konservativen beherrschte Wächterrat nimmt für sich in Anspruch, Kandidaten auch aus
politischen oder ideologischen Gründen ablehnen zu dürfen. Der Versuch Präsident Mohammed Chatamis, durch ein
Gesetz, das das Parlament verabschiedete, die Kompetenzen des Wächterrats festzulegen und ihm eine Gesinnungsprüfung zu untersagen, scheiterte am Widerstand der Konservativen.
Zu der Parlamentswahl am 20.02.04 hatten sich 8.157 Bewerber für die 290 Parlamentssitze registrieren lassen - für
die 30 Sitze der Hauptstadt Teheran allein 1.700 - von denen der Wächterrat in einem „unblutigen Staatsstreich“
3.605 nicht zuließ, darunter 87 der amtierenden 290 Parlamentarier!
Der Wächterrat unter Führung des konservativen Eiferers Ayatollah Ahmed Dschannati lehnte über die Hälfte der
Kadidaten aus dem Reformlager ab, darunter u.a. Mohammad Resa Chatami, den (als Arzt von den Ajatollahs wohl
nicht als satisfaktionsfähig angesehenen) Vorsitzenden der größten Partei IIPF, Vizesprecher des Parlaments und
Bruder des Staatspräsidenten Chatami sowie den Kollegen im Amt des Vizesprechers, Behsad Nabawi, weil sie
"ohne Loyalität zum Islam und zur Verfassung" seien, was der Vorsitzende der größten Reformpartei des Landes
daraufhin mit den Worten kommentierte: "Sollte dieser Beschluss aufrechterhalten werden, zeigt sich, dass religiöse
Demokratie nichts als ein Slogan ist."
Als Vorwand für den Ausschluss werden vom Wächterrat meistens Anklagen der Justiz gegen prominente Abgeordnete der Moscharekat-Partei benutzt, die sich – da Indemnität der Abgeordneten im Iran unbekannt ist - für ihre kritischen Äußerungen im Parlament vor einem Tribunal verantworten sollen. Anderen wird pauschal nicht näher begründete „finanzielle oder sittliche Korruption“ vorgeworfen, des Weiteren ein „Feind Gottes“ zu sein, „Falschinterpretation von Khomeinis Worten“ oder „Beleidigung des Wächterrates“. Die demonstrative Niederlegung des Mandates oder ein Aufruf zum Wahlboykott wurden als durch die Hochverratsstrafbestimmungen ahnbar angedroht.
Said Mahmud Mirlohi, parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und oberster Wahlleiter, sagte vor
Journalisten: "Es ist unbegreiflich: Je engagierter ein Abgeordneter seinem Volk dient, desto dicker ist seine Akte
bei der Justiz." Gegen 10 bis 15 Prozent der Mitglieder der Reformfraktion sei Anklage erhoben worden. Insgesamt
sollen 120 Parlamentarier gerichtlich verfolgt werden. Daraufhin hat Khomeinis Enkel ein Vierteljahrhundert nach
der Machtübernahme im Iran durch seinen Großvater in Nadschaf, einem Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit,
eine demokratische Regierung gefordert, die die Religion nicht dazu missbrauchen dürfe, das Volk zu unterdrücken!
Die Konservativen scheinen entschlossen zu sein, alle Mittel einzusetzen, um die Parlamentmehrheit wieder zurückzuerobern. In zwei Drittel der Wahlkreise sind keine Kandidaten der Reformparteien zugelassen worden, so dass als
Ergebnis der Vorauswahl schon im Vornherein feststand, dass die Konservativen nach Abschluss des Wahlganges im
Parlament über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügen würden. Assadollah Badamtchian, einer der bekanntesten Wortführer der Islamisten, sagte: "Die Wahlen werden eine Wende bringen, Minderheit und Mehrheit werden die Plätze
tauschen." Sein Kollege Hamid Reza Taraghi assistierte: die Kontrolle durch den Wächterrat sei völlig legitim. In
jedem Land gebe es für die Zulassung von Kandidaten bestimmte Kriterien. "Diese werden bei uns auf der Grundlage unseres Glaubens und unserer Verfassung vom Wächterrat festgelegt." Abgeordnete traten aus Protest gegen
diesen massiven Eingriff des Wächterrates zunächst in einen Sitz- und dann in einen begrenzten Hungerstreik. Daraufhin hat der Revolutionsführer in Khomeinis Nachfolge, der geistliche Führer des Irans Ali Chamenei, unter dem
Druck der Öffentlichkeit die Mitglieder des Wächterrats angewiesen, die Ablehnungen noch einmal zu überprüfen
und die abgelehnten Parlamentarier, falls keine Beweise gegen sie vorliegen, wieder zuzulassen. Der Sprecher des
Wächterrats, Ibrahim Asisi, erklärte jedoch, der Rat werde "auf keinen Fall nachgeben und "Kandidaten ohne Loyalität zum Islam und zur Verfassung" zulassen. Irans Vizepräsident Mohammad Ali Abtahi bildete daraufhin den Vergleich: "Die Situation ist wie in einem Fußballspiel, in dem der Schiedsrichter eine Mannschaft des Feldes verweist
und die andere Seite zum Tore schießen einlädt." Und der einflussreiche Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses, Mohsen Mirdamadi, sekundierte, der Ausschluss gleiche einem "Putsch gegen die Reformer". Daraufhin
gaben drei Wochen vor der Wahl 123 der 290 Abgeordneten ihr Mandat zurück, „… weil das Parlament nicht fähig
ist, die Rechte des Volkes zu verteidigen.“ Sie bezeichnen die Wahlen, die abzusagen die Reformer bis rauf zum
Staatspräsidenten Chatami nicht gewagt hatten, als „islamitische Farce“. Der Wächterrat ließ schließlich 1.160 der
zunächst abgelehnten Kandidaten wieder zu, darunter aber nur vier der im Hungerstreik befindlichen Abgeordneten.
Die recht junge Bevölkerung - 70 % der Bevölkerung von 70 Mill. sind jünger als 30 Jahre (STERN 27.04.06) blieb bei dieser Auseinandersetzung zwischen Reformern und Konservativen passiv. Grund war die jahrelang enttäuschte Hoffnung auf nicht eingelöste Reformversprechen der Regierung Chatami, die mehr um Kompromisse mit
den Konservativen bemüht war, als gegen die herrschende Willkür Widerstand zu leisten. Durch dieses Lavieren und
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übervorsichtige Taktieren hat Staatspräsident Chatami, selber ein vom Wächterrat ständig Ausgebremster, bei der
Bevölkerung fast allen politischen Kredit aus der Anfangszeit verspielt.
Seit der Amtsübernahme Chatamis hat der Wächterrat jedes Gesetz, das auf ernsthafte Reformen abzielte, zurückgewiesen (taz 13.06.03). Doch bei einer Arbeitslosigkeit von 15-25 % und der ständigen Gängelung der zu zwei
Drittel nach Khomeinis Machtergreifung 1979 geborenen und damit unter 25-jährigen Iraner durch die konservativen
Religiösen und ihre Schlägerbanden, die sich als Wächter über Sitte und Anstand aufspielenden ca. 300.000 Pasdaran, die ihnen unterstehende paramilitärische Volksmiliz mit bis zu 5 Mill. Bassidschi und die Eiferer der islamistischen iranischen Ansar Hisbollah, wächst der Widerstand, weil die Iraner keine Lösung ihrer Probleme innerhalb
des religiösen Systems mehr erwarten. Der Ausgang dieses Ringens ist noch nicht abzusehen. Aber bis dahin erheben
die Mullahs den Anspruch, interpretieren zu dürfen, was sich aus ihrer schiitischen Interpretation des Korans und der
Scharia für den Aufbau und die Gestaltung des Staatslebens ergeben soll. Wer dem widerspricht, wandert ins Gefängnis. Im Jahr 2001 bezeichnete eine angesehene Journalistin – wohl subjektiv gefärbt - den Iran als das Land der
Welt, in dem die meisten Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis säßen.
Ausländische Diplomaten, die die Konservativen nicht einsperren können, werden anders abgestraft: Im Februar
2004 wurde der deutsche Botschafter im Iran zur »persona non grata«, zur »unerwüschten Person«, erklärt und ausgewiesen, weil er sich mit dem unter Hausarrest stehenden regimekritischen und gemäßigten Großayatollah HusseinAli Montaseri getroffen hatte.
2005, als zu wählen wieder einmal zur religiösen Pflicht erklärt worden war, setze sich bei der Wahl zum Präsidenten der Republik Iran der erzkonservative, fundamentalistische (ehemalige Kommandeur der Revolutionsbrigaden
mit dem Spitznamen „Dschallad“, der Scharfrichter oder auch „1.000-Schuss-Mann“, ehemalige Provinzgouverneur
und zuletzt Teheraner Oberbürgermeister) Mahmud Ahmadi-Nedschad37 als Nachfolger Khatamis/Chatamis durch
und ist damit der erste Nicht-Mullah in diesem Amt, der zwar von dem Mullah-Establishment abhängig ist, diese
Abhängigkeit sehr gewagt aber dadurch zu verringern sucht, dass der »Mahdi-Jünger« die Iraner aufruft, sich auf die
Wiederkehr des bislang noch im Verborgenen lebenden 12. Imams, des letzten Vertrauten Gottes, vorzubereiten; für
die als sehr bald bevorstehend ausgegebene Wiederkehr des Madhis lässt er schon Hotels bauen! Diese Ausrichtung
seiner Politik kommt einer indirekten Kampfansage an das Mullah-Establishment gleich, denn die Tage des Revolutionsführers Khamenei wären gezählt, wenn dann der Mahdi, der 12. Imam, die Macht übernehmen würde! Dieser
Mahdismus ist Sinn und Zweck der schiitischen Staatsideologie.
Ahmadi-Nedschad versucht auch die anderen Ebenen des Establishments unter seine Kontrolle zu bekommen: „Dem
Parlament, das sich seinen Versuchen hartnäckig widersetzte, die alten, korrupten Ölbonzen durch eigene Gefolgsleute zu ersetzen, drohte er, ’sie und ihre Korruption’ vor das ’Urteil des Volkes’ zu stellen. Ahmadi-Nedschad hat
alle Behörden und Ministerien mit loyalen Anhängern besetzt, die vor allem aus den Reihen der Revolutionsgarden
stammen. Der Militarisierung des Staatsapparates entspricht eine Säuberung im diplomatischen Korps. Alle wichtigeren Botschafter (und fast alle Provinzgouverneure) wurden abberufen und durch Hardliner ersetzt. Genauso entschlossen greift der Mann, der sich gern ’der kleine Straßenfeger des Volkes’ nennt, im Wirtschaftsbereich durch, wo
er zahlreiche Bankenchefs und den Leiter der Privatisierungsbehörde mit eigenen Leuten ersetzte. Es ist ein schleichender Staatsstreich, der auf Widerstand stößt. Ahmadi-Nedschad selbst sagte letztes Jahr öffentlich, es gebe Versuche der etablierten Eliten, ihn abzusetzen“ (DIE WELT 29.04.06).
Ahmadi-Nedschad wurde von den armen Massen gewählt, die unter dem korrupten Mullah-Regime des iranischen
Gottesstaates die Hoffnung auf Besserung ihrer durch hohe Arbeitslosigkeit und hohe Inflation gekennzeichnete
wirtschaftlichen Lage verloren haben: Einigen Berichten nach leben 40 Prozent der Iraner unter der Armutsgrenze.
Die Zukunftsperspektiven der Jugendlichen, die mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, sind finster, Positionen in Wirtschaft und Verwaltung werden nach Beziehungen zum Klerus und Verdiensten für die Revolution
vergeben.
In den Wahlkampf um das Präsidentenamt war Ahmadi-Nedschad mit der Losung gezogen: „Wir haben keine Revolution gemacht, um hinterher die Demokratie einzuführen!“ „Daß dieser islamistische Scharfmacher und frühere
Revolutionsgardist künftig an der Spitze des Staates stehen wird - wenn auch an der Leine der mächtigen Geistlichkeit - hat drei Ursachen. Erstens: die politische Ausschaltung aller unliebsamen Rivalen durch den mächtigen Wächterrat - bis auf den Ex-Präsidenten Rafsandschani, der zwar vergleichsweise moderat, aber dennoch ein Mann des
Systems ist. Zweitens: der fatale Fehler des Multimilliardärs Rafsandschani - wegen seiner Gier "der Hai" genannt die stark angeschwollene Armenschicht des Ölstaates im Wahlkampf zu ignorieren - im Gegensatz zu Ahmadi37
Der von seinem Vater und dem Sohn in dessen Kindesalter angenommene Name bedeutet, „zur tugendhaften Rasse des Propheten gehörig“ und wurde von dem Sohn sein Leben lang als Verpflichtung empfunden.
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Nedschad. Und drittens: der massive politische Druck aus Washington im Vorfeld der Wahl - ungeachtet zahlreicher
Warnungen von Experten, daß sich das stolze Volk der Iraner bei äußerer Bedrohung hinter jene Führer scharen
werde, die ihm am stärksten im Abwehrkampf gegen die übermächtigen USA erscheinen. Und das ist nun mal der
geradezu pathologisch antiwestliche Hardliner Ahmahdinedschad. … Leidtragende der Wahl sind vor allem die
Frauen des Iran, deren gesellschaftliche Rolle wieder auf Gebärmaschinen und Dienerinnen reduziert werden könnte“ (Kommentar Thomas Frankenfelds im HH A 27.06.05).
Im Oktober 2005 forderte Ahmadi-Nedschad, der persönlich an der Liquidierung ehemals im Ausland lebender Systemgegner beteiligt gewesen sein soll, in einer seiner zahlreichen Heztreden erstmalig die Liquidierung des Staates
Israel, des Staates, den die vom Iran gesteuerten Hizbollah-Milizen aus u.a. dem Libanon heraus ständig attackieren:
Israel müsse (als Teil der Vorbereitung der Gläubigen auf die Wiederkehr des Mahdi) von der Landkarte getilgt
werden!
Auf einer Konferenz unter dem Motto "Eine Welt ohne Zionismus" hatte Ahmadi-Nedschad erklärt: "Inschallah (So
Gott will) wird die Prophezeiung des Imams (Ajatollah Chomeini) über die Vernichtung Israels durch kontinuierliche Weisheit der Palästinenser auch bald realisiert werden." In Palästina sei eine neue Welle im Anmarsch "und es
ist machbar, dass dieser Schandfleck (der Staat Israel) aus der islamischen Welt getilgt wird (...)" (SPIEGEL
ONLINE 28.10.05), weil das "zionistische Besatzungsregime" auf der Grundlage des "Verderbens und des Exils der
rechtmäßigen Besitzer des Landes" blühe und gedeihe, wie sein Außenminister Manuschehr Mottaki ergänzte. "Die
islamische Welt wird ihren historischen Feind nicht in ihrer Mitte leben lassen", verkündet Ahmadi-Nedschad lächelnd. "Wir werden Israel in Blut tauchen. Ein Brandmal wird sie auslöschen." Eine Anspielung auf die möglicherweise angestrebte iranische Atombombe (DIE WELT 30.10.05)? Schon sein Vor-Vorgänger Haschemi Rafsandschani hatte dem Judenstaat 2001 mit der Vernichtung durch einen Atomschlag gedroht.
Der iranische Staatspräsident beklagte bei seinen Ausfällen gegen Israel am (noch von Khomeini eingerichteten) AlKuds-/Al-Quds-Feiertag (= Jerusalemgedenktag am letzten Freitag im geheiligten Fastenmonat Ramadan) gleichzeitig die "Gleichgültigkeit" der Europäer gegenüber den "zionistischen Verbrechen", die sich nicht an die Resolutionen
des UNO-Sicherheitsrats halten und äußerte in seiner Rede die Erwartung, dass die Palästinenser Israel mit einer
Welle von Gewalt überziehen und damit für dessen Zerstörung sorgen werden. Der Iran unterstützt die radikalen
palästinensischen Organisationen Hamas (der er die eventuelle Streichung von EU-Geldern ersetzen will, die eventuell suspendiert werden könnten, wenn die im Palästinensergebiet an die Regierung gelangte Hamas der Gewalt gegen
Israel nicht abschwöre und dessen Existenzrecht nicht anerkenne), Islamischer Dschihad, sowie Teile der Al-AksaBrigaden der Fatah, mit Geld, Waffen, Logistik und spricht dem Staat Israel sein Existenzrecht ab. Die Unterstützung durch den Iran läuft dabei hauptsächlich über die zurzeit von Hassan Nasrallah geführte radikale HisbollahMiliz im syrischen Nachbarland Libanon, dem verlängerten Arm der Teheraner Machthaber im Kampf gegen Israel.
"Die Hisbollah hat in der Westbank Hunderte Kämpfer auf ihrer Gehaltsliste. Sie bieten den radikalen Zellen 5000
bis 8000 Dollar pro Monat."Für erfolgreiche Selbstmordattentate zahlt die libanesische Hisbollah mindestens 20 000
Dollar, bei mehr als zehn Opfern 50 000 Dollar." „Teheran engagiert sich aber auch direkt. Jahr für Jahr zahlen die
Mullahs mindestens fünf Millionen Dollar an den Palästinensischen Islamischen Dschihad. Mitglieder der libanesischen Hisbollah und Offiziere der Revolutionären Garden des Irans organisieren vom Libanon aus den Transfer von
Geld, Waffen und Sprengstoff in die von Israel besetzten Gebiete. Sie geben Aufträge für Selbstmordattentate innerhalb Israels und leiten die Operationen“ (DIE WELT 30.10.05).
Nach der von der Hisbollah durch Raketenbeschuss israelischer Städte, Dörfer und Siedlungen vom Libanon aus und
der Entführung zweier israelischer Soldaten provozierten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der HisbollahMiliz und Israel 2006, die zur weitgehenden Zerbombung des Libanon geführt hatte, gab der Hisbollah-Chef das
Versprechen ab, seine Organisation werde den durch die kriegerische Auseinandersetzung geschädigten Privatleuten
den Wiederaufbau der (durch den schuldhaften Angriff der Hisbollah) zerbombten Häuser finanzieren. Die Hisbollah
versprach, jedem der rund 30.000 Hausbesitzer, dessen Haus zerbombt worden war, 12.000 US-$ für den Wiederaufbau und jedem Wohnungsbesitzer, dessen Eigentum zerstört worden war, 10.000 US-$ für die Neubeschaffung
der wichtigsten Sachen zu zahlen. 48 Stunden nach Antragsstellung wurde gezahlt. Um das zu leisten, muss die Hisbollah über eine außergewöhnlich große, vom Iran gespeiste, Finanzmacht verfügen! Und sie stellt so ihren militärischen Flügel, den „islamischen Widerstand“, als von der israelischen Militärmacht nicht besiegt, nicht besiegbar dar,
ihren sozialen Flügel als die Organisation, von der den Kriegsgeschädigten das Heil komme, obwohl ausschließlich
durch ihre Übergriffe auf Israel der nach dem letzten Bürgerkrieg zerstört gewesene Libanon gerade wieder aufgebaut worden war!
Die libanesische Regierung sah sich nach den ersten Zahlungen der Hisbollah genötigt, um in der Meinung der geschundenen Bevölkerung gegen die fianziellen Leistungen der Hisbollah nicht zu sehr abzufallen, zu versprechen, für
jedes getötete Familienmitglied nach Alter gestaffelt zwischen 6.650-13.000 US-$ zu zahlen; wie und insbesondere
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wann diese ausgelobten Beträge gezahlt werden sollen und können, ist völlig unklar, da der Staat pleite ist. So gibt es
Leistungen der Hisbollah an hauptsächlich ihre schiitischen Glaubensbrüder im Süden des Libanon – und Ankündigungen der Regierung auf ungewisse staatliche Leistungen!
Im Dezember 2005 legte Ahmadi-Nedschad in Mekka anlässlich eines Treffens von 57 arabischen Staatschefs nach:
Der iranische Präsident stellte einen Zusammenhang zwischen der europäischen Unterstützung des Staates Israel und
dem Holocaust her. Die Juden seien in Europa "unterdrückt" worden – er bezweifelte oder leugnete die Opferzahlen
der Shoa -, daher müsse ihnen zur Errichtung ihres Staats auch "ein Teil Europas" gegeben werden. Deutschland und
Österreich forderte er auf, zum Ausgleich für die Judenverfolgung im Dritten Reich einen jüdischen Staat auf ihrem
Boden zu errichten. "Wenn ihr glaubt, dass die Juden unterdrückt wurden, warum sollten die palästinensischen Moslems den Preis dafür zahlen müssen? Ihr habt sie unterdrückt, also gebt dem zionistischen Regime einen Teil Europas, damit sie dort die Regierung einsetzen, die sie wollen. Wir würden das unterstützen." Deutschland und Österreich sollten "eine, zwei oder egal wie viele ihrer Provinzen" abgeben, damit dort der jüdische Staat entstehen könne.
Damit wäre "das Problem an der Wurzel gepackt", sagte Ahmadi-Nedschad mit Blick auf den Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern (SPIEGEL ONLINE 09.12.05).
Eine Woche später, zurück im Iran, erweiterte er seine Ausfälle und seinen »Vorschlag«: Den Holocaust habe es nie
gegeben. Die Judenvernichtung sei ein Märchen des Westens, um mitten in der islamischen Welt den jüdischen Staat
gründen zu können (Tagesschau 14.12.05). Statt einer Landabtretung Deutschlands und Österreichs zur Neugründung eines jüdischen Staates außerhalb Palästinas könnten auch die USA oder Kanada Land zur Verfügung stellen
(SPIEGEL ONLINE 14.12.05).
Davon abgesehen, dass die Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten - insbesondere der Aufruf zur Vernichtung
des Staates Israel, was ohne die Tötung vieler seiner Bewohner nicht möglich wäre und damit indirekt auch einen
Aufruf zur Tötung der Israelis darstellt, die in ihrem Land bleiben wollen -, für die Völkergemeinschaft völlig inakzeptabel sind, muss vielleicht beachtet werden, dass Ahmadi-Nedschad »nur« zur Vernichtung Israels aufgerufen hat,
nicht aber – wie Hitler und seine Nazi-Bande – zur Ermordung aller Juden, derer man habhaft werden könne: Seit
ihrer babylonischen Gefangenschaft vor rund 2.500 Jahren leben im Iran Juden, die erstaunlicherweise nicht in ihrem
Gastvolk aufgegangen sind; eine einmalige Leistung! Diese zurzeit etwa 25.000 Juden gehören – wie z.B. auch die
Christen - zu den durch Art. 13 der iranischen Verfassung geschützten Religionsgemeinschaften und haben sogar
einen Vertreter im iranischen Parlament! In den Golfkriegen besorgten und lieferten sie diskret Waffen an das Mullah-Regime zur Bekämpfung des gemeinsamen arabischen sunnitischen Feindes Irak!
Der Vielvölkerstaat Iran [51 % Perser (die sich als eines der ältesten Kulturvölker der Welt begreifen und stolz
darauf sind, keine rückständigen, ungewaschenen, »kameltreibenden« Araber zu sein, mit denen sie sich jahrhundertelang bekriegten, was eine Solidarisierung der Bevölkerung mit den von der iranischen Führung unterstützten Palästinensern verhindert), 24 % Aserbaidschaner, 7 % Kurden, 2 % Araber und 16 % Sonstige] ein Zwitter aus einer letztlich von dem Obersten Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei/Chamenei gelenkten - Theokratie und einer
Demokratie, strebt unter Staatspräsidenten Ahmadi-Nedschad trotz einer fast ausschließlich auf Ölförderung beruhender schwachen Wirtschaftsleistung, die geringer ist als die des Revolutionsjahres 1979, nach an sich international
erlaubter Urananreicherung, steht damit aber im Verdacht, sich zur Erringung einer Vormachtstellung und eventuell
zum Schutz gegen die ihn umgebenden Atommächte Pakistan, Indien und Israel um den Bau einer eigenen einsatzfähigen Atombombe zu mühen. In dem von seiner Bevölkerung her recht jungen Land – 70 % der ca. 70 Mill. Iraner
sind unter 30 Jahre – leben inzwischen doppelt so viele Menschen wie in dem Revolutionsjahr 1979. Bei einem
solchen Bevölkerungswachstum (2,3 Kinder pro Frau) ist verständlich, dass die Erwerbslosigkeit insbesondere unter
den jungen Leuten sehr hoch ist; sie beträgt 20 %. Nur dadurch, dass die Konservativen des Landes sich als Verteidiger der Souveränität des Landes gerieren und die »nationale Karte« spielen, bringen sie die auf Grund der niederschmetternden wirtschaftlichen Lage unzufriedenen Massen hinter sich.
Die Mullahs haben über Jahre über den gerechten islamischen Staat gepredigt – und sich gleichzeitig an den millionenschweren religiösen Stiftungen bereichert. Sie verteilen die lukrativsten Auslandsgeschäfte unter sich und zahlen
kaum Steuern! Das lässt die Stimmung im Land insbesondere unter der jungen Bevölkerung gegen das MullahRegime und seine vielen Gängelungen brodeln!
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2.2 Ismailiten
Die Gruppe der vornehmlich in Zentralasien, Indien, Pakistan und Ostafrika lebenden, heute ca. 20 Mill. Gläubige
umfassenden Nizari-Ismailiten, „Siebener-Schiiten“, erkennt (nur) den 760 n.Chr. gestorbenen 7. Imam Ismail als
letzten Imam an. Sie hängen Geheimlehren an. Ihr Oberhaupt als „gegenwärtiger Imam“, der in der Deutung des
Islam als quasi unfehlbar angesehen wird, ist der Aga Khan.
Die Ismailiten spalteten sich Ende des 9. Jahhunderts in die beiden Hauptrichtungen der Fatimiden (mit eigenem
Kalifat in Ägypten) und der Karmaten auf.
Von ihnen spalteten sich 872 n.Chr. die hauptsächlich in Syrien und der Türkei ansässigen, heute ca. 5 Mill. Anhänger umfassenden Alawiten ab, die ebenfalls Geheimlehren anhängen und Ali als Gott verehren.
Eine weitere Abspaltung fand gegen 1000 n.Chr. durch den sich nach der Tochter des Propheten als (schiitischen)
Fatimidenkalifen benennenden Al Hakim (996-1021) in Kairo statt, durch die sich die Drusen bildeten.
2.3 Zaiditen / Saiditen
Die hauptsächlich im Jemen wohnenden ca. 8 Mill. Zaiditen, „Fünfer-Schiiten“, vertreten eine tolerante Richtung
innerhalb der Gruppe der Schiiten. Sie halten im Gegensatz zu den Zwölferschiiten und den Ismailiten Zaid, den
Sohn des 4. Imams, für den rechtmäßigen Nachfolger in der Imamwürde und erkennen den 740 n.Chr. gestorbenen
Zaid als fünften und letzten Imam an. Sie verlangen, dass ein Imam, abgesehen von der für alle Schiiten verbindlichen Abstammung von Ali, um sein Amt kämpfen muss. Sie lehnen die Vererbung der Imamatswürde und den
Mahdiglauben ab.
2.4 Charidschiten
Daneben gibt es noch andere schiitische Splittergruppen, wie z.B. die ca. 1 Mill. Anhänger umfassenden Charidschiten / Haridschiten (die "Ausziehenden"), die sich 657 n.Chr. von Ali losgesagt hatten, weil sie mit seinem
Verhalten gegenüber seinen Gegnern nicht einverstanden gewesen waren. Sie hatten in ihrer Blütezeit neben Sunniten und Schiiten die dritte große islamische Konfession gebildet. Es ist eine Konfession puritanischer Ausrichtung,
die sich rein an den Koran hält und (zum Teil) die anderen Muslime als todeswürdige Ketzer betrachten soll.
Im weiteren Verlauf ihrer Geschichte spalteten sie sich ihrerseits wieder in mehrere Richtungen und verloren
dadurch an Einfluss. Ihr hauptsächliches Verbreitungsgebiet ist heute der Oman.
Unter diesen Charidschiten gab es die Gruppe der Asrakiten, die jeden Muslim für vogelfrei erklärten, der ihren
fundamentalistischen Ansichten nicht beipflichtete. Nur der Beitritt rettete das eigene Leben. Aber das war leichter
gesagt als getan, denn als Nagelprobe auf die Ernsthaftigkeit des Beitrittverlangens waren vorher zwei Prüfungen
abzulegen: Zuerst musste ein gefangener Gegner gemordet werden, danach dessen Frau und Kinder, gleichgültig,
wie jung sie waren. Erschreckenderweise wird in einem der dieser Arbeit zugrunde liegenden Zeitungsberichte mitgeteilt, dass Gesinnungsproben ähnlicher Art heute wieder üblich seien und einzelne Gruppen der PLO darin miteinander wetteiferten, sich in der Kaltblütigkeit des Aufnahmerituals geradezu zu überbieten.
2.5 Drusen
Auf der Geheimlehre des 1019 verstorbenen ad Darasi fußen die hauptsächlich im Libanon, in Syrien und in Israel
lebenden Drusen, die sich ca. 1000 n.Chr. von den Fatimiden der Siebener-Schiiten/Ismaeliten abspalteten. Ad Darasi erklärte in seiner Geheimlehre, die nur einer Elite von Eingeweihten zugänglich sein soll, den 7. Fatimidenkalifen
(des 11. Jahrhunderts) Al-Hakim für göttlich. Die ca. 0,5 Mill. Drusen erwarten Al-Hakims Wiederkunft als Heilsbringer in 1.000 Jahren. Sie werden von den anderen Muslimen nicht als islamische Glaubensrichtung anerkannt.
Und sind es mit ihren Beimischung aus dem Platonismus und Neuplatonismus, ihren Vorstellungen von der Seelenwanderung (die Seele eines Menschen wandert mit dessen Tod sofort in einen dann gerade neugeborenen Menschen;
auf dem Weg von Mensch zu Mensch strebt die Seele nach Perfektion und geht nach Erreichen der angestrebten
108
Perfektion in eine Einheit mit al-Hakim ein), der Ablehnung des Propheten Mohammed und die Ansicht, dass der
Koran keine absolute Offenbarung sei, wohl auch nicht.
Trotz ihres schiitischen Ursprungs hat sich ihre Lehre im Verlauf von 1.000 Jahren verselbständigt – und wurde
abgeschottet: Druse kann man nicht werden, denn diese Religion akzeptiert keine Konvertiten. Man kann nur als
Druse geboren werden.
Der drusische Glaube beruft sich auf 24 heilige Bücher, von denen der Koran nur eines unter den anderen ist. Die
Lektüre dieser 24 Bücher ist ausschließlich ihren Propheten und den religiös erleuchteten Scheichs vorbehalten. Die
Drusen glauben zwar auch an einen einzigen Gott, aber für sie sind Grundgebote der Muslime nicht verpflichtend:
Sie kennen nicht das fünfmalige tägliche Gebet, halten nicht den Fastenmonat Ramadan ein und müssen keine Pilgerfahrt nach Mekka unternehmen. Der ihnen heilige Tag ist nicht der Freitag, sondern der Donnerstag.
2.6 Nusairier / Alawiten
Die Nusairier sind eine nach ihrem angeblichen Gründer Abu Suaib Mohammed Ibn Nusair (gest. 880) benannte
islamische Religionspartei und Sondergemeinschaft. Sie selbst bezeichnen sich als Alawiten ("Verehrer Alis") – sind
aber nicht zu verwechseln mit den mit ihnen religionsgeschichtlich verwandten 12 Mill. türkischen Aleviten, einer
von den anderen islamischen Glaubensrichtungen nicht anerkannte Religionsgemeinschaft mit schiitischen Einflüssen.
Die ca. 2 Mill. Alawiten sind eine arabischsprachige schiitische Sondergruppe aus der türkischen Provinz Hatay und
insbesondere aus Syrien, wo sie ihr hauptsächliches Verbreitungsgebiet haben. Als Minderheit machen sie dort nur
rund 12 % der Bevölkerung aus, stellen aber trotzdem den Staatspräsidenten. Eine zahlenmäßig starke Gruppe lebt
darüber hinaus im Libanon38, wo sie über etwa 50.000 Mitglieder verfügen.
Die Nusairier haben sich früh von den Ismailiten abgespalten und werden auf Grund ihrer theologischen Positionen,
einer religiösen Geheimlehre mit schiitischen, gnostischen und christlichen Elementen, zu den extremen Schiiten
gerechnet. Von ihnen werden Allah, Mohammed und sein Vetter und Schwiegersohn Ali gleichgesetzt und vergöttert
– was letztlich auf eine andere Art von Trinität hinausläuft!
2.7 Ibadhisten
Der Vollständigkeit halber wird auf die an der Gesamtzahl der Schiiten und erst recht der Sunniten gemessen unbedeutend kleine Gruppe der Ibadhisten verwiesen. Sie gehören weder der sunnitischen noch der schiitischen Glaubensrichtung an, wenngleich der Ibadhismus aus dem Schiitentum hervorgegangen ist. Die Mehrheit der Omaner
gehört zu dieser Sekte. Deswegen steht dieses Land auch außerhalb der die islamische Welt meist an der Bruchlinie
Araber/Perser und ihren Randzonen teilenden religiösen Konflikte.
38
Christen und Muslime - wer hat wieviel Macht im Libanon?
Der Libanon ist etwa halb so groß wie Hessen und damit der kleinste Staat im Nahen Osten. 15 Prozent seiner 3,72 Millionen
Einwohner sind staatenlose Palästinenser oder kurdische Flüchtlinge. Es gibt 17 anerkannte Religionsgemeinschaften, und es
existieren elf christliche und fünf moslimische Parteien. Etwa 40 Prozent der Libanesen sind Christen (griechisch-orthodoxe,
griechisch-katholische, armenische, maronitische), ungefähr 60 Prozent gehören moslemischen Glaubensrichtungen an (Schiiten, Sunniten, Ismailiten, Drusen, Alawiten). Es gibt auch eine kleine jüdische Gemeinde.
Die ethnische und konfessionelle Vielfalt des Landes ist seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1943 die Grundlage für ein
ausgeklügeltes Proporz-System in der Regierung - und ständiger Grund für teils blutige Auseinandersetzungen.
Seit dem Ende des Bürgerkrieges und dem Friedensvertrag von Ta'if 1989 (Saudi-Arabien) haben Christen und Muslime Anspruch auf jeweils die Hälfte der Parlamentssitze. Staatspräsident ist stets ein für sechs Jahre gewählter Maronit. Premierminister ist immer ein Sunnit, sein Stellvertreter ein Griechisch-Orthodoxer, Parlamentssprecher ein Schiit, der Justizminister wird
gewohnheitsmäßig ein Mitglied des drusischen Dschumblat-Clans. (eni)
(HH A 03.03.05)
109
2.8 Lage der Schiiten im Irak
Nach dem verlorenen zweiten Golfkrieg des Iraks um den Besitz Kuwaits und dem damit verbundenen Machtverfall
des irakischen Diktators unternahmen die hauptsächlich im Süden des Iraks um Basra herum lebenden schiitischfundamentalistischen Iraker - geistiger Führer war bis zum achten und dieses Mal tödlich verlaufenen Mordanschlag
2003 der wie die irakisch-schiitische Oppositionsgruppe ad-Dawa (Verkündigung) mehr als 10 Jahre im iranischen
Exil gelebt habende Hodschatolislam Mohammad Bakr el-Hakim, der im Irak einen Gottesstaat nach dem Vorbild
der Islamischen Republik Iran errichten will - einen Aufstandsversuch gegen die sunnitische Zentralgewalt in Bagdad. Dabei sollen sie nicht nur Funktionäre der Baath-Partei der "arabischen Erneuerung"/"Partei der arabischen und
sozialistischen Wiedergeburt" (einzig zugelassene Staatspartei wie die NSDAP zur Zeit des Nationalsozialismus, deren Gründer, der christliche(!), aber islamisch begrabene Michel Aflaq, das nationalsozialistische Führerprinzip als
Element des Panarabismus übernahm, weswegen auch Saddam Hussein Hitlers "Mein Kampf" - neben dem Koran als sein wichtigstes Buch bezeichnete), sondern auch den ältesten Sohn des Diktators Saddam Hussein getötet haben.
1992 rief Hakim erneut zum Sturz des Saddam-Regimes auf. Dabei sollten die Erfahrungen des letzten Aufstands
genutzt werden. (Die multinationale Streitmacht ließ von ihnen zuvor bekämpfte und geschlagene irakische Truppen
des Saddam Hussein aus dem nördlicheren Irak um Bagdad zur Niederschlagung der Rebellion in die Aufstandsgebiete des schiitischen Südens einziehen, weil die Amerikaner und auch die mit ihnen verbündeten arabischen Staaten
mit dem theokratischen Gottesstaat des Großajatollah Khomeini im Iran solche abschreckenden Erfahrungen mit
schiitischen Fundamentalisten gesammelt haben, dass sie lieber den Teufel mit dem Beelzebub austreiben ließen!
Eine so große Sprengkraft haben die aus dem 7. Jahrhundert herrührenden religiösen Gegensätze zwischen den
Schiiten und den Sunniten! Und der Spielraum der Diplomatie wird eng, wo es nicht um Interessenausgleich, sondern um messianisch verbreitete Heilsgewissheiten geht.) Als die USA den Aufstand nicht unterstützten, konnte
Saddam Hussein seine Gegner in aller Ruhe in einem Rachefeldzug niedermetzeln lassen. Seitdem glaubt kein Oppositioneller im Irak den USA noch irgend etwas. (Damals war noch nicht bekannt, dass die USA Saddam Hussein im
Rahmen ihrer aus Furcht vor der Ausbreitung der schiitischen Revolution des Ayatollah Khomeini gewährten Unterstützung im von 1980-1988 währenden Kampf gegen den Iran auch Giftgasbazillen geliefert hatten, so dass Hussein
nach Entwicklung eigener B-Waffen diese gegen die Kurden und Schiiten in seiner eigenen Bevölkerung einsetzen
konnte.) Auch nach dem Sturz Saddam Husseins ist der geistige Führer der irakischen Schiiten der - wie die irakischschiitische Oppositionsgruppe ad-Dawa (Verkündigung) - bis zur Entmachtung der Baath-Partei im iranischen Exil
gelebt habende Hodschatolislam Mohammad Bakr el-Hakim, der im Irak einen Gottesstaat nach dem Vorbild der
Islamischen Republik Iran errichten wollte und gegenüber den USA nach deren Sieg auf der Abhaltung demokratischer Wahlen bestanden hatte, die er mit einem Bevölkerungsanteil der Schiiten an der irakischen Bevölkerung von
60 % haushoch hätte gewinnen können.
2.9 Lage der Schiiten in Saudi-Arabien
Auch im sunnitisch-wahhabitisch-fundamentalistischen Saudi-Arabien, das ebenfalls (wie der Iran) auf der Idee
eines Gottesstaates beruht, keine Verfassung im westlichen Sinne kennt - nach saudischem Verständnis dient der
Koran als Verfassung dieses Gottesstaates -, keine Verfassungsgerichtsbarkeit, keine Parteien und keine Wahlen
(aber neben dem neuesten Königspalast ein "Parlamentsgebäude" für einen mehr als 20 Jahren angekündigten aber
jahrzehntelang nie eingerichteten "Schura"-Konsultativrat mit unbestimmter personeller Besetzung, dessen Einsetzung im März 92 in Aussicht gestellt worden und erst viel später realisiert worden war, wobei 2006 ein Teil der
Volksvertreter das erste Mal frei gewählt werden soll). Es kennt weiterhin keine Pressefreiheit, aber dafür Zensoren
und eine rigide, die Bevölkerung, insbesondere die Frauen (durch z.B. die Drohung des Auspeitschens, falls sie in
der Öffentlichkeit ohne Schleier angetroffen werden), drangsalierende Religionspolizei. Es ist ein Land,
wo nichtislamische Religionssymbole39 und sogar den westlichen Botschaftsangehörigen öffentliche christliche Gottesdienste verboten40 sind. (Die Saudis forderten zwar 2006 im Streit um die zwölf dänischen Karikaturen wegen der
39
Der EKD-Auslandsbischof Koppe rügte es als unerträglich, dass in Saudi-Arabien Frauen misshandelt und bestraft werden, nur
weil sie eine Halskette mit Kreuz tragen (SPIEGEL 17.12.01).
40
Das ließ – trotz seines Wissens um die verfassungsrechtlich nicht gegebene Durchsetzbarkeit – den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Lehmann laut SPIEGEL 17.12.01 schon mal „laut nachdenken“, ob „den Muslimen in
Deutschland lediglich ’Religionsfreiheit auf Gegenseitigkeit’ gewährt werden sollte“. Dann müsste man aber die Religionsfreiheit nach Herkunftsland des jeweiligen Muslim differenzieren, weil sie in den muslimischen Ländern Christen gegenüber
110
„ungeheuren Beleidigung des Propheten“ u.a ein weltweites „Beleidigungsverbot“ von religiösen Symbolen; gemeint
können aber nur die eigenen gewesen sein, denn die religiösen Symbole der als „ungläubig“ Geschmähten, selbst der
Anhänger der von Mohammed privilegierten Buchreligionen, dürfen in Saudi-Arabien nicht gezeigt werden!) Dort
stifteten von Khomeini gelenkte fanatische fundamentalistische Schiiten politische Unruhe. Vorausgegangen war
dem allerdings eine einige Jahre zurückliegende Provokation durch die Wahhabis: Der damalige religiöse Führer
der Wahhabiten, der erzkonservative Scheich Ibn Baz/Abdul Asis bin Bas, hatte getreu den Gesetzen des saudischen Puritanismus in einem Fatwa, einem religiösen Schiedsspruch, 1981 dekretiert, dass die Feier des Geburtstages von Mohammed unstatthaft sei und eine "häretische Neuerung" darstelle. Damit brachte Ibn Baz
auch weite Teile der sunnitischen Glaubenswelt gegen sich auf, in der der Geburtstag des Propheten oft sogar ein
öffentlicher Feiertag ist. Das ist ein kleines Beispiel dafür, dass der Unterschied zwischen Schiiten und undogmatischen Sunniten kleiner sein kann als der zwischen den undogmatischen Sunniten und den puritanistisch-sunnitischen
Wahhabiten. (Zwischen undogmatischen Schiiten und undogmatischen Sunniten soll der generelle Glaubensunterschied angeblich geringer sein als der zwischen Katholiken und Protestanten.) Seitdem schwelte der Konflikt zwischen Schiiten und Wahhabiten. Er kam dann 1987 zum Ausbruch: Die (nach Khomeinis Auffassung: selbsternannten, unberechtigten) Hüter der größten islamischen Heiligtümer und damit "Wächter der beiden Heiligen Schreine"/
"Diener der Heiligen Stätten", die Könige von Saudi-Arabien, die von Khomeini als die "betrügerischen Anführer
Saudi-Arabiens, die Verräter der beiden Heiligen Stätten" beschimpft wurden, hatten sich am 31.07.1987, dem 8.
Dhul Hijja 1407 anno Hidschra der sunnitischen Zeitrechnung eines von iranischen Schiiten zur Zeit des als heilig
angesehenen Pilgermonats angezettelten Aufruhrs in der allen Muslimen heiligsten Stadt, Mekka, mit Besetzung
der größten Heiligtümer zu erwehren. Bei dieser Auseinandersetzung prallten zwei verschiedene Fundamentalismen aufeinander: Der nach dem Martyrium lechzende Fundamentalismus der persisch-schiitischen
Mullahs von Theheran, die sich als die wahren Wächter des Islam sehen, und der puristisch-orthodoxe Glaubenseifer der in Saudi-Arabien dominierenden arabisch-sunnitischen Wahhabiten, die innerhalb der Glaubensgemeinschaft der Sunniten ihrerseits eine Minderheit repräsentieren und darum von den übrigen Sunniten während
ihres Entstehens und ihrer Ausbreitung auf der arabischen Halbinsel zunächst als häretische Sekte betrachtet worden
waren. Ihre Anerkennung als legitimer Bestandteil des Islam war fast eine Revolution innerhalb des sunnitischen
Islam und gelang nur auf Grund des Ölreichtums und des dadurch bedingten unermesslichen Reichtums der Familie
Al Saud, den (früher) reichsten Menschen der Welt. (Jetzt wird u.a. der Sultan von Brunei als der reichste Mensch
angesehen.)
So wie 1987 war schon einmal am 20.11.1979 zu Beginn des islamischen Jahres 1400 eine "Islamische Revolutionäre Organisation" fanatischer sunnitischer Muslime vom Stamme der Al Utaiba, die noch fundamentalistischer als das
wahhabitische Herrscherhaus sind, in Mekka vorgegangen. Sie hatten dem von ihnen so beurteilten allgemeinen
Sittenverfall Einhalt gebieten und solch Teufelszeug wie Fernsehen, den bis 1951 verboten gewesenen Fußball und
Mädchenschulen austreiben wollen. Sie hatten darüberhinaus - ganz im Sinne Khomeinis, dessen Reden bereits zu
jener Zeit auf Kassetten in Saudi-Arabien kursierten - die Bildung einer "echten islamischen Regierung" gefordert.
(Unterstützt wurden diese Aufrührer durch einen gleichzeitig losgebrochenen Aufstand der in Saudi-Arabien religiös verachteten und darum sozial unterprivilegierten Schiiten der ölreichen Hassa-Provinz.) Die provozierten
Eklats stellten einen der größten begehbaren Frevel in der mehrheitlich sunnitisch-islamischen Welt dar. Der erste
Aufruhr mit Besetzung eines Teils der heiligsten Stätten konnte nur mit Hilfe französischer Spezialeinheiten niedergekämpft werden, wobei eine (zunächst) unüberwindbar scheinende (Anfangs-)Schwierigkeit darin bestand, dass
Ungläubige nicht die heilige Stadt Mekka betreten dürfen. Wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass die saudischen
Herrscher - zum Teil vielleicht unter dem Druck ihrer eigenen wahhabitischen Extremisten wie dem erzkonservativen Religionsführer Ibn Baz - so bigott sind, dass sie nichtislamische Religionssymbole verbieten und sogar der
Gemeinde der ausländischen Diplomaten in ihrem Land öffentliche christliche Gottesdienste untersagen (die sie für
sich aber im christlichen Ausland und - nach Beratungen mit islamischen Theologen - für ihren Astronautenprinzen
auch im Weltall in Anspruch nehmen; er hatte es dort nur schwer, die Gebetszeiten einzuhalten und sich gen Mekka
zu verneigen, weswegen die Theologen wegen des erforderlichen Dispenses, wie er auch fahrenden Kaufleuten vom
Propheten erteilt worden war, konsultiert werden mussten) und dass während des von saudischem Boden aus geführten Befreiungskrieges gegen den Kuwait besetzt gehalten habenden Irak die von den Saudis auch zur Verteidigung
des saudischen Staatsgebietes herbeigerufenen Amerikaner das rote Kreuz auf ihren Sanitäts-Schützenpanzern wegen
der christlichen Symbolik dieses Zeichens mit einem roten Halbmond übermalen mussten, dann erst kann man erunterschiedlich ausgeprägt ist. So eine unterschiedlich differenzierte Religionsfreiheit, die ja nach dem Wortlaut des Grundgesetzes staatlicherseits sowieso uneingeschränkt gewährleistet ist, wäre schon als Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot
des Gleichheitssatzes verfassungswidrig.
111
messen, welchen Schimpf der Schiit Khomeini den sunnitischen Wächtern der Heiligen Stätten dadurch angetan
hatte, dass er sie zwang, Spezialeinheiten Ungläubiger zur Niederwerfung des Aufstandes in Anspruch zu nehmen.
402 Todesopfer forderte die Besetzung und die Befreiungunsaktion. In seinem maßlosen religiösen Fanatismus hatte
der Schiiten-Papst Khomeini zuvor die als unislamisch verdammten "korrupten und verfaulten Saudi-Herrscher als
die wahren Feinde der islamischen Revolution" verflucht, die es aus den heiligen Stätten zu vertreiben gelte. "Die
Saudis sind schon immer wie ein Dolch gewesen, der moslemische Herzen von hinten durchbohrt. Die saudische
Regierung ist mit einem Makel der Schande behaftet, den sie nie wieder loswerden wird.", geiferte der Greis aus
Theheran. (Über den Westen dachte er aber noch schlimmer: "Es gibt Dinge, die unrein sind: Urin, Exkremente,
Sperma, Hunde, Schweine, Ungläubige." Genau in dieser Reihenfolge, an deren Ende alle Nicht-Schiiten stehen.)
Khomeinis Hass und der anderer Schiiten gründet sich vermutlich auch darauf, dass 1801 auf den Märkten und in
den Gassen von Kerbela über 3.000 der dort lebenden Schiiten von Wahhabiten hingemetzelt worden waren. Das
könnte – auch - mit dem Dolch gemeint sein, „…der moslemische Herzen von hinten durchbohrt.“
2.10 Die Rivalität zwischen arabischen Sunniten, insbesondere den Wahhabiten, und
persischen Schiiten
Der darin zum Ausdruck kommende, jahrhundertealte abgrundtiefe Hass zwischen den indogermanischen Persern ("Iran" bedeutet Arierland) und den Arabern hat politisch-geschichtliche und religiöse Gründe: Die Perser
hatten schon lange vor der Entstehung des Islam eine Hochkultur hervorgebracht. In der Schlacht von Qadissiaja
bei Kerbela 636 n.Chr. vor ca. 1300 Jahren in frühislamischer Zeit waren sie dann durch den arabischen Feldherrn
Saad Ibn Abi Waqqas/Waqaas militärisch überwältigt worden, womit der im Irak befindliche Teil des zweiten großen Perserreiches für einige Zeit unter die Herrschaft der Araber geriet, die mit diesem Sieg die Perser "islamisierten", sie aus ihren Besitzungen in Arabien verdrängten und die Golfregion arabisch-islamisch vereinigten. Diese
Niederlage empfanden die Perser als die erste große Demütigung durch die Araber in der von nun an gemeinsamen islamischen Geschichte. Sie sollen diese erste große Demütigung nie(!) überwunden haben - obwohl selbst
noch in islamischer Zeit Perser wieder über den Irak geherrscht haben. (Das ist für uns im Vergleich dazu ziemlich
„geschichtslose“ Europäer ebenso irrational, als wenn wir Germanen die Vernichtung des Westgotenreiches in Spanien 711(!) n.Chr. und die dadurch ermöglichte Inbesitznahme Spaniens durch die Araber unter ihrem Feldherrn
Tarik bis zum Jahre 1492 n. Chr. nie verwunden hätten!) Die über eintausenddreihundertjährige gemeinsame
arabisch-persische Geschichte ist eine Geschichte der gegenseitigen Rivalität, ja des gegenseitigen Hasses. Die
Ursache für die Gefühle der gegenseitigen Ablehnung liegt im kollektiven Bewusstsein geschichtlicher Erinnerungen. In dieser Region haben die Menschen ein (zu) gutes historisches Gedächtnis, wenn es um Jahrhunderte
zurückliegende wirkliche oder auch nur vermeintliche nationale Schmach geht, weil Geschichte für sie immer auch
Heilsgeschichte ist!
Einer der religiös motivierten Gründe für den Hass zwischen den Persern und den Arabern gründet sich auf die
(Glaubens-)Überzeugung der Schiiten, von den Sunniten um die ihnen von Allah zugestandene Führerschaft
innerhalb des Islam und der übrigen Welt betrogen worden zu sein. Der Putschversuch von 1987 sollte einerseits eine späte Rache der Perser an den Arabern für 1200 Jahre erlittener Unbill und gleichzeitig der Anfang dafür
sein, eine persisch-schiitische Universalherrschaft über alle Moslems aufzurichten. Der schiitische, nichtarabische und dazu noch persische Religionsführer Khomeini erhob damit für die Perser den Anspruch auf die Führung der Umma, der gesamtislamischen Gemeinde! Das ist ein absolutes Novum in der islamischen Geschichte,
da der Kalif als religiöser, und zu Anfang auch weltlicher Führer der Umma immer ein vom Propheten abstammender Araber sein musste und immer Sunnit gewesen war. Dieser Anspruch der Errichtung einer islamischen
Universalherrschaft unter persisch-schiitischer Führung stellt für die Mehrheit der Moslems in der Welt deren
Glaubensgewissheiten von den Füßen auf den Kopf. Das ist für sie ungefähr so ungeheuerlich, wie es für die abendländische Christenheit zunächst unfassbar gewesen war, als der Papst Gregor VII. den Herrscher des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, den "Rex et Sacerdos" (König und obersten Priester und damit Beschützer der
katholischen Kirche) Heinrich IV. 1076 n.Chr. im Zuge des Investiturstreites zum erstenmal in den Kirchenbann
getan hatte, woraufhin der ein Jahr später 1077 seinen (später sprichwörtlich gewordenen) Gang nach Canossa antreten musste. Da ging ein Riss durch die abendländische Christenheit. So etwas Ungeheuerliches hatte man bis dahin
noch nie zu denken gewagt! So muss auch den Sunniten der von Großajatollah Khomeini erhobene Anspruch vorgekommen sein. Sie wussten vermutlich nichts von dem Bekenntnis des "Ayatollah Osma"/Großajatollah gegenüber
112
wenigen Vertrauten 1981, das später ausgeplaudert worden sein muss und im SPIEGEL veröffentlicht worden ist:
"Unser Streit geht nicht um Gott. Schlagt euch das aus dem Kopf. Es geht auch nicht um den Islam. Das ist Unsinn.
Jeder von uns will die Macht, die ganze Macht."
Zur Wiederherstellung der Umma glauben viele Schiitenorganisationen auch auf das Mittel des Dschihad - nicht
unbedingt mehr mit dem Krummschwert, die Waffen wurden modernisiert, dafür aber notfalls auch auf internationalem Terror einschließlich Geiselnahmen - zurückgreifen zu dürfen.
Die iranisch beeinflussten Terrorgruppen "Islamischer Heiliger Krieg", "Hisbolla(h)"/"Partei Gottes", nach der Erschießung ihres Chefs Abbas Mussawi anläßlich eines israelischen Kampfhubschraubereinsatzes nunmehr geführt
von Scheich Hassan Nasrallah, "revolutionäre Gerechtigkeitsorganisation", "islamische Amal" und die schon wieder
als staatstragend angesehene national-schiitische "Amal" mit ihrem Vorläufer, der vom Khomeini-Schüler Musa al
Sadr gegründeten "Bewegung der Entrechteten", beherrschen z.B. die politische und die Geiselnehmerszene im
Libanon mit seinem großen Schiitenanteil um den Dschebel Amil im Süden des Landes und kämpfen teils untereinander (Amal ./. Hizbolla), teils gegen unter starkem syrischen Einfluss stehende Schiiten - wenn sie nicht gegen die
Christen oder gegen konkurrierende muslimische Gruppen Krieg führen.
Der indisch-englische, islamische Schriftsteller Salman Rushdie war für sein Buch "Satanische Verse" von
Khomeini, der dieses Buch als Verhöhnung des Islam und insbesondere des Propheten empfand, es aber nicht verbot
- wie aber in Pakistan (dort sind 5 Menschen bei einer gewalttätigen Anti-Rushdie-Demonstration am 12.02.89 von
der Armee getötet worden), Saudi-Arabien, Ägypten, Somalia, Bangladesch, Sudan, Malaysia, Indonesien, Katar
und Südafrika geschehen; in Indien wurde seine Einfuhr auf Grund einer Auslegung der Zollgesetze verhindert -, am
14.02.89 in einem nicht den traditionellen Anforderungen entsprechenden Fatwa zum Tode verurteilt worden (das
Fatwa war nicht auf Anfrage hin entstanden und enthielt keine rechtlichen Begründungen!): "Ich informiere die stolzen Moslems in aller Welt, dass der Autor der `Satanischen Verse', einem Buch, das gegen den Islam, den Propheten
und den Koran gerichtet ist, zum Tode verurteilt ist, ebenso wie alle, die mit seiner Veröffentlichung etwas zu tun
haben. ... Allah segne Euch alle." Auf Rushdies Abschuss wurde durch ein (von einigen Islam-Experten in ihrem
religiös-rechtlichen Gehalt bezweifeltes41) Fatwa ein Kopfgeld von 2,8 Mill. $ (STERN 20.02.92: 4,5 Mill. DM;
HH A 13.06.01: 2,8 Mill $) ausgelobt. Das Geld hatte Hodschatoleslam Sanei als Führer der einflussreichen fundmentalistischen iranischen Stiftung „15. Chordad“ angeboten und bekräftigt, dass dieses Fatwa „ewig in Kraft bleiben“ werde – auch wenn die iranische Regierung (als Preis für diplomatische Beziehungen mit London) für sich von
einer weiteren Verfolgung absehe. Seitdem lebt Rushdie - wie der 12. Imam - ins Verborgene entrückt.
2005 betonte der oberste geistliche Führer des Iran, Ayatollah Chamenei, dass der/die Fatwa immer noch in Kraft
sei!
Bisher wurde er noch nicht von seinen Henkern aufgestöbert, aber - so der Ayatollah Chamenei nach einem Rüffel
von Khomeini -: "Der schwarze Pfeil des Todes ist abgeschossen und auf dem Weg in sein Ziel." Bisher wurde "nur"
der japanische Übersetzer dieses Buches, Hitoschi Igaraschi, - der italienische, Ettore Capriolo, überlebte den Mordanschlag - 1991 genauso ermordet, wie der letzte vom Schah eingesetzte Ministerpräsident Bachtiar in seinem Pariser Exil, nachdem er von Khomeini in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war. Im Zuge der Verbrechensaufklärung ist im September 1991 ein angeblicher Neffe des da schon verstorbenen Khomeini in Paris festgenommen
worden, dessen behauptete Verwandtschaft mit Khomeini später von der iranischen Botschaft in Paris bestritten
wurde. Er wurde zumindest der Beihilfe verdächtigt. Der ägyptische Schriftstellerkollege und Nobelpreisträger
Nagib Mahfus, dessen als nobelpreiswürdig erachtetes Buch "Die Kinder unserer Gasse" ebenfalls unter dem Vorwurf, religionsfeindlich zu sein, in seinem Land 1959 verboten worden war, weil die islamischen Gralshüter der
Azhar-Universität seine Sicht des Islam nicht teilten, urteilte in einem SPIEGEL-Interview über Khomeini:
"Chomeini ist ein Terrorist, der Millionen Menschen ins Verderben stürzt. Der Islam berechtigt niemanden, schon
gar nicht Geistliche, die in der Politik mitmischen, über andere Menschen ein Todesurteil zu fällen. Chomeini nützt
die Ignoranz der Massen, ja das Analphabetentum der Massen aus. Er versetzt sie in Hysterie und missbraucht sie zu
Aktionen, die mit dem Islam nichts zu tun haben. Chomeini hat dem Islam bis jetzt schon mehr geschadet als mancher andere in der Geschichte unserer Religion." Khomeini war wirklich ein Terrorist, nicht nur nach außen, sondern
auch nach innen. Unter seiner Verantwortung waren Zehntausende Iraner hingerichtet worden. (Khomeini: "Hinrichtungen sind im Islam ein Segen Gottes.") In seinem real existierenden Gottesstaat, in dem er sich als oberster Vertreter der "Regierung Gottes" empfand, herrschte Krieg nach außen, Terror und Schrecken nach in41
Nach Meinung einiger Islam-Experten könnte dieser Mordaufruf von jedem islamischen Gelehrtengremium zurückgenommen werden – was sich aber wegen der erdrückenden Autorität selbst des verstorbenen Khomeini (noch) niemand traue. Rafsandschani bezeichnete die Fatwa – allerdings nur einmal – als „religiös-gerichtliche Expertise“.
113
nen. Wenige Monate vor seinem Tod (Juni 1989) sollen im letzten Halbjahr 1988 z.B. 12.000 Menschen hingerichtet worden sein. Im Iran wurden 90 % aller auf der Welt vollzogenen Todesurteile vollstreckt - und das Morden
im Namen Allahs geht auch nach Khomeinis Tod (wenn auch nicht mehr in den früheren Ausmaßen) weiter. Die
Hinrichtungen wurden unter Khomeini aus teilweise nichtigen Anlässen durchgeführt. Wie leichtfertig dem Mitmenschen sein Leben genommen wurde oder genommen werden sollte, zeigt die Meldung (FR 31.01. 89): "Wie
rasch, mit dem Willen der obersten Führung des Landes, der staatliche Tötungsakt eingeleitet werden kann, zeigt ein
Beispiel vom Montag. Ayatollah Ruhollah Khomeiny hat sich über ein Fernsehprogramm geärgert, in dem Frauen über ein `Symbol der islamischen Frau' befragt wurden, und verlangt für den Fall, dass das bewusst so gesendet
worden sei, die Tötung des Verantwortlichen." Bei der durch den schiitischen Fundamentalismus Irans bei dem
Fernsehverantwortlichen bestimmt vorhanden gewesenen Selbstzensur ein erstaunlicher Vorgang! Auch nach
Khomeinis Tod sind die radikalen Schiiten nicht von der Praxis des zumindest propagierten Mordes abgerückt: "Teheran droht US-Präsident mit Mord. Die Teilnehmer der Nahost-Konferenz sind nach den Worten des
Anführers der radikalen Moslems in Iran, Hodschatoleslam Ali Akbar Mohtaschemi `zum Tode verurteilt und werden
von moslemischen Revolutionären hingerichtet werden'. Vor dem Parlament in Teheran sagte er gestern, die Teilnahme an der `amerikanischen Konferenz in Madrid sei eine `Kriegserklärung gegen den Islam'. Deshalb seien die
Konferenzteilnehmer zum Tode verurteilt. Moslemische Revolutionäre würden `in Kürze und unter allen Umständen
ihre religiöse Pflicht gegenüber den Feinden des Islam erfüllen'. ... `Die revolutionären Söhne des Imam Khomeini
werden die Welt in einen Friedhof für die Amerikaner, die Zionisten und ihre Söldner verwandeln.' ... Der gestrige
Mittwoch (des Konferenzbeginns) wurde von Iran zum `Tag des Zorns' erklärt." (Hamburger Abendblatt 31.10.91)
Man sollte das nicht für bloßes Imponiergehabe oder Mimikry halten. Die persischen Mullahs sind so. Sie meinen,
was sie sagen. Nun kann dem Präsidenten der Vereinigten Staaten diese Drohung relativ gleichgültig sein, denn er
wird gut bewacht. Wie menschenverachtend die Mullahs in ihrem religiösen Wahn aber über Leichen zu gehen bereit
sind, wenn sie ihre Ziele ungehindert durchsetzen können, wird aus nachfolgender Meldung deutlich: "Todesstrafe.
Weil der iranische Journalist Naser Arabha in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift »Farad« zu einem Artikel
über Leibesertüchtigung einen von ihm gezeichneten Fußballspieler abbildete, droht ihm die Todesstrafe. Fromme
Eiferer wollen in den Gesichtszügen des Sportlers Ähnlichkeiten mit dem toten Revolutionsführer Khomeini erkannt
haben. Nachdem Demonstranten mit den Rufen »Nieder mit dem zweiten Rushdie« und »Tod dem Herausgeber« das
Redaktionsbüro der Zeitschrift in Brand gesteckt hatten, wurde Arabha im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran
eingekerkert. Der Ausgang seines Prozesses scheint festzustehen: Mehrere Mullahs haben sich für die Hinrichtung
ausgesprochen." (STERN 04.06.92)
Auch zwölf Jahre später wird das Fußballspielen von den Mullahs im Iran noch immer als subversiv angesehen.
Anlässlich des in Theheran stattgefundenen Freundschaftsspieles - zu dem Frauen kaum Zutritt hatten - zwischen
dem Iran und Deutschland zur Vorbereitung auf die WM 06 in Deutschland, war im STERN nachfolgendes Interview zu lesen:
"Fußball macht den Mullahs Angst"
Parviz Ghelichkhani
Zur Person
Parviz GhelichKhani, 55, war Kapitän der iranischen Elf bei Olympia 64, 72 und 76. Vor der WM 78 trat er aus
Protest gegen den Schah zurück. Das alte Regime wie auch später die Mullahs verhafteten ihn wegen seines politischen Engagements. Heute ist er in Paris Herausgeber des oppositionellen Magazins "Arasch" und steht in engem
Kontakt zu Sportlern seiner Heimat.
Irans Sportlegende Parviz Ghelichkhani über das Länderspiel der Deutschen in Teheran, furchtlose Fans
und wie das Regime seine Stars knebelt.
Herr Ghelichkhani, am Samstag spielt die deutsche Nationalelf gegen den Iran. Unterstützt das deutsche
Team nicht indirekt das Regime, indem es zum Länderspiel nach Teheran fährt?
Natürlich werden die Mullahs den Besuch der Deutschen auch als Erfolg für sich ausschlachten. Trotzdem ist das
Spiel eine große Hilfe für das Volk. Solche Sportereignisse geben den Menschen Gelegenheit, sich zu versammeln, in aller Öffentlichkeit Spaß zu haben. Das islamische Regime hat den Iranern vor allem eines beschert:
Trauer. Der Fußball hat im Iran deshalb auch eine politische Dimension: Er durchbricht den offiziellen Trauerkult. Er gibt den Menschen einen Anlass, für ein paar Stunden die Regeln zu vergessen.
Hatten die Mullahs nach der Revolution 1979 nicht versucht, den Sport kleinzu- halten?
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Das stimmt. Einige Ayatollahs wollten sogar verbieten, in kurzen Hosen zu spielen. Wissen Sie, was passiert ist?
Selbst an Aschura42 haben die Menschen auf den Vorplätzen der Moscheen kleine Tore aufgestellt und nach dem
Beten gekickt. Zwar durfte das Nationalteam nicht spielen, dafür gründeten die Spieler Stadtteilteams. Ein paar
Jahre später war der offizielle Fußball macht den Mullahs Angst zurück.
Warum hatten die neuen Herrscher denn solche Furcht vor dem Fußball?
Erinnern Sie sich noch, was 1997 los war, als sich der Iran in letzter Minute gegen Australien für die WM qualifizierte? Die Menschen tanzten auf den Straßen, Frauen rissen sich die Kopftücher herunter. Diese Demonstration
der Freude war zugleich eine Demonstration gegen die Mullahs. Die Revolutionswächter, die Pasdaran, standen
daneben und konnten nichts tun. Die Mullahs können ein ganzes Land unter Druck setzen, alles kontrollieren.
Aber wenn 100 000 Zuschauer bei einem Fußballspiel zusammenkommen, haben sie keine Chance. Diese Menschenmenge hat viel mehr Kraft und Macht als die iranische Studentenbewegung, weil es sich um einfache Menschen handelt. Fußball macht den Mullahs Angst.
Der Fußball ist nicht totzukriegen?
Ja, also versuchen die Mullahs, ihn zu nutzen. Heute stecken sie viel Geld in die Sportförderung. Und sie kontrollieren die Vereinsarbeit. Pasdaran werden als Manager und Trainer eingesetzt, um die Ideologie unter den Sportlern zu verbreiten. Bei einem Spiel in Indonesien mussten die Mitglieder der Jugendauswahl in der Hotellobby antreten und sich rhythmisch auf die Brust klopfen - ein schiitisches Trauerritual. Und das Nationalteam wurde vor
einem Spiel in Kuwait vom Trainer genötigt, kollektiv auf dem Rasen zu beten. So will das Regime die Athleten
auf Linie trimmen. Die Mullahs wissen: Kritische Sportler sind besonders gefährlich für sie.
Woran liegt das?
In Ländern der Dritten Welt haben Sportler eine Vorbildfunktion, ihr Wort zählt mehr als in westlichen Ländern.
Deshalb haben diktatorische Regime solche Angst vor ihnen und setzen sie unter Druck.
Wie geschieht das?
Zum Beispiel, indem die Geheimdienstleute Spieler in irgendein Haus bringen und sie tagelang mit verbundenen
Augen verhören. Da wird einem schnell klar, was man darf und was nicht. Das habe ich Anfang der 80er Jahre am
eigenen Leib erfahren. Diese Dinge haben sich bis heute nicht geändert. Manchmal werden auch einfach die Familien der Spieler unter Druck gesetzt oder Gelder einbehalten.
Ist es nicht schwer, Sporthelden zu verfolgen, die die Öffentlichkeit liebt?
Ach, schauen Sie sich die Fälle von Schriftstellern an, die verschwinden und später ermordet aufgefunden werden.
Diese Menschen waren ja auch populär. Vor 20 Jahren wurde sogar einer der besten Spieler, die der Iran je hatte,
hingerichtet: Habib Khabiri. Alles ist möglich.
Viele Iraner spielen im Ausland, so Vahid Hashemian beim FC Bayern und Mehdi Mahdavikia in Hamburg. Wie schafft es das Regime, diese Spieler zu kontrollieren?
Da gibt es durchaus Möglichkeiten. Denken Sie nur an Vahid Hashemian...
...den Bayern-Stürmer. Er verzichtete kürzlich darauf, für seinen Verein in der Champions League in Tel
Aviv zu spielen. Offiziell hatte er plötzlich Rückenschmerzen.
Aber jeder weiß: Die Mullahs wollen nicht, dass Iraner gegen die zionistischen Feinde aus Israel antreten. Ich bin
mir sicher, das Regime hat Hashemian unter Druck gesetzt. Er weiß: Seine Familie lebt im Iran, und natürlich will
er sein Geld auch in der Heimat investieren. Er will ja auch mal wieder zurückkehren. Das Geld, das Sportler im
freien Europa verdienen, macht sie erpressbar. Wenn Hashemian in Israel gespielt hätte, wäre er später im Iran
wahrscheinlich verhaftet worden.
Wie läuft dieses Unter-Druck-Setzen ab?
Entweder es wird freundschaftlich geregelt über die offizielle Verbindung zwischen dem iranischen FußballVerband und dem FC Bayern. Oder jemand vom Geheimdienst, der sich dem Spieler mal vorgestellt hat, meldet
sich und sagt ihm, was erwartet wird. Daraufhin sagt ein Hashemian dann, dass er Rückenschmerzen hat. Auch
iranische Spielervermittler geben gute Ratschläge des Geheimdienstes weiter, das hat mir neulich ein Spieler erzählt.
Können Sie diese Dinge beweisen?
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Das Aschura-Fest (von aschara = zehn; zehnter Tag im Trauermonat Muharram) ist das höchste schiitische (Trauer-)Fest.
Es wird in Erinnerung an den Todestag des Imams Hussein - des Enkels Mohammeds (durch dessen Vater und Schwiegersohn
Mohammeds Ali, gegen den der Kampfgefährte Mohammeds Abu Bakr die Nachfolge beanspruchte und von den Sunniten zugesprochen bekam) gefeiert, dessen Märtyrertod 680 n.Chr. in Kerbela (Irak) in der Frage der Nachfolge des Propheten gegen
ein sunnitisches Heer zur endgültigen Trennung von Sunniten und Schiiten geführt hatte. Die Schiiten sehen eine Mitschuld
ihrer damaligen Gläubigen an dem Tod Husseins, weil die ihn nicht genügend unterstützt hätten. In – von Sunniten abgelehnten - blutigen Selbstgeißelungsprozessionen versichern sie heutigen Tages, dass Ali, sollte er wiederkehren, nie mehr in Stich
gelassen werde!
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Nein, aber jeder weiß, was läuft. Auch im Iran, obwohl es nicht offiziell gesagt wird. Und das Regime beweist so
seine Macht.
Stehen die Spieler im Ausland ebenfalls unter Beobachtung des Geheimdienstes?
Ohne Zweifel. Stellen Sie sich vor, Hashemian gibt dem stern ein Interview und erzählt diese Sachen! Das darf
nicht passieren. Deshalb wird genau geschaut, wer ins Ausland gehen darf. Als mich zur Schah-Zeit Bayern München verpflichten wollte, rief mich ein Mitarbeiter des Informationsministeriums an und sagte, sie hätten im Iran
eine Zeitung schreiben lassen, dass ich nie dauerhaft mein Heimatland verlassen würde. Da blieb mir nichts anderes übrig, als zurückzukehren. Das jetzige Regime ist noch eine Stufe schlimmer.
Doch nun spielen viele Iraner im Ausland.
Die durften gehen, als die Reformisten mehr Macht erringen konnten. Aber die letzte Parlamentswahl haben die
Konservativen gewonnen. Nun gehen weniger Spieler ins Ausland, das Klima zu Hause ist kälter und unsicherer
geworden.
Um so mehr Bedeutung dürfte der Auftritt der deutschen Elf bekommen. Werden die Menschen wieder auf
den Straßen feiern?
Das glaube ich nicht. Die Iraner wissen: Die Reformer sind geschwächt, und die Europäer pflegen aus wirtschaftlichen Interessen gute Kontakte zum Regime. Auch vor diesem Hintergrund sehen sie den Besuch der Deutschen.
Das Volk ist desillusioniert. Vor sechs Jahren bei der WM waren die Feiern verbunden mit der Hoffnung, dass
sich etwas ändern würde. Diese Hoffnungen haben die Menschen nicht mehr.
Interview: Steffen Gassel/Bernd Volland STERN 07.10.04
Politik ist für die iranisch-schiitischen Fundamentalisten neben Terror und Aufruhr nur ein anderes Mittel, dem Islam schiitischer Prägung zum angeblich verheißenen Sieg zu verhelfen. Im Iran soll der gesamte Islam gereinigt,
ein neuer Mensch geschaffen und von dort aus die islamische Revolution ausgebreitet werden. [Khomeini: "Es gibt
keinen Humor, es gibt kein Gelächter, es gibt keinen Spaß im Islam." Das Schachspiel war 9 Jahre verboten worden,
die Lotterie, das gemeinsame Schwimmen von Männern und Frauen, das Ballett, der Tanz, die darstellende Kunst,
die Oper und Bücher, die nicht Allah, dem Allmächtigen, gewidmet waren. Diese Verbote zielten aber nicht nur auf
den relativ freudlosen, dem entsagenden Märtyrertum zuneigenden Schiismus, sondern waren auch gegen die selber
einen freudlosen Islam propagierenden sunnitischen Taliban gerichtet, bei denen inzwischen das einzige öffentlich
gestattete Schauspiel die öffentliche Hinrichtung hauptsächlich von - irgendwelcher lächerlicher religiöser Verstöße
bezichtigter - Frauen durch Genickschuss in Fußballstadien ist.]
Es macht frösteln zu lesen, dass China dem Iran eine Isotopentrennanlage zur Herstellung von angereichertem Uran
zum Bau einer Atombombe geliefert haben soll (Hamburger Abendblatt 31.10.91)!
Khomeinis islamische Revolution stellt auch insofern für das saudische Königreich - das die größten islamischen Heiligtümer in den Augen der fanatischen schiitischen Minderheit zu Unrecht besitzt - und die umliegenden
Emirate eine ständige Gefahr dar, weil es zu den Grundprinzipien dieser Revolution gehört, dass islamische
Staaten nur von Geistlichen geführt werden dürfen! Darum will der schiitisch-iranisch geprägte Fundamentalismus in allen Ländern, wie im Iran vorexerziert, die Geistlichkeit mit Hilfe der Revolutionierung der Massen direkt
an die Macht bringen. Jede weltliche Herrschaft ist der schiitischen Lehre zufolge bis zur Rückkehr des Mahdi, der dann selber das Gottesreich der Gerechtigkeit aufrichten werde, illegitim.
Eine so von Herzen kommende, inbrünstig gepflegte kollektive Antipathie wie die zwischen Arabern und Persern
entsteht nicht von heute auf morgen. So etwas bedarf, wie schon zuvor ausgeführt, jahrhundertelanger Hege und
Pflege. Die herzliche Abneigung hat tiefgehende Wurzeln: Die Saudis sind (nach dem Gründer dieser Glaubensrichtung Mohammed Ibn Abdel Wahhab vom Westen so bezeichnete) Wahhabiten – sie selbst bezeichnen sich als
„muwahhidun“ (Unitarier) oder „ahl at-tauhiid“ (Volk oder Anhänger der Lehre von der Einheit Gottes) oder die
„Bekenner der Einheit Gottes". Die Wahhabiten sind in ihrer doktrinären fundamentalistischen Glaubensausrichtung unter allen sunnitischen Richtungen diejenigen, die den Schiiten am feindlichsten gesonnen sind. "Der
Unterschied in der Doktrin, der den Sunni-Islam vom Schiismus trennt, erscheint geringfügig im Vergleich zu dem
Abgrund, der sich zwischen saudischem Wahhabismus und dem Schiismus auftut.", schrieb der Islamwissenschaftler Kramer in einer Analyse der Vorfälle bei den Pilgerfahrten. Ihr jeweiliger Fundamentalismus trennt
diese beiden islamischen Glaubensrichtungen mehr, als dass er sie vereinte, denn er schließt sich gegenseitig
aus. Dieser wahhabitische Fundamentalismus ist aber auf Grund seines Fundamentalismus auch die Brutstätte fundamentalistischer Glaubenskämpfer wie z.B. des saudi-arabischen Multimillionärs und Gotteskriegers Osama bin
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Laden, der von zahlungskräftigen Saudis durch diskrete Zahlungen in seinem blutigen Glaubenseifer unterstützt
wird, und seiner auf rund 5.000 Mann geschätzten in Afghanistan mitkämpfenden Landsleute.
Der Begründer des Wahhabismus, der 1703 geborene Muhammed Ibn Abd al-Wahhab/Mohammed Ibn Abdul
Wahhab, war als orthodoxer puristischer Theologe sunnitischer Glaubensrichtung im 18. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel mit dem religiösen Anspruch angetreten, als islamische Antwort auf die von ihm so empfundene
Herausforderung des Westens den Islam von allen nachkoranischen häretischen, insbesondere schiitischen
"Neuerungen" zu befreien und zum Ur-Islam zurückzuführen. Er zog in der zentralarabischen Region des
Nedsch gegen alles zu Felde, was er als von den Osmanen während ihrer teilweisen Herrschaft über Arabien ins
Land gebrachte abweichende „Neuerung“ vom Ur-Islam empfand. In der Abkehr der Muslime vom Ur-Islam sah er und andere wie Jamal ad-Din al-Afghani (1839-1897) und Mohammed Abduh (1849-1905) - die Ursache der Misere
der islamischen Welt gegenüber dem Westen. Er lehnte Götter und Götzenbilder, jede Art von Totenkult und die
Verehrung von Bildern und Gräbern muslimischer Heiliger (einschließlich der Person Mohammeds) ab, weswegen
die Familie Saud bei ihrer Eroberung Medinas den den Schiiten als heilig geltenden Friedhof Al-Baqi mit den Gräbern der Prophetentochter Fatima und vier ihrer Imame zerstören ließ, was die bis heute nicht überbrückbare Gegenerschaft zu den Schiiten begründete. Getreu dieser Lehre wird man z.B. ein hervorgehobenes Königsgrab in SaudiArabien vergeblich suchen. Wahhab predigte die Rückkehr zum "reinen", vom Propheten verkündeten koranischen
Islam - wie er(!) ihn verstand - und zur Scharia, zum im Koran ein für allemal festgelegten göttlichen Gesetz. Wahhab vertrat eine ultraorthodoxe Ausrichtung des Islam, die alle seit dem 9. Jahrhundert vorgenommenen Anpassungen des Islam an die jeweilige Zeit als Ketzerei verdammte. Für ihn hatte nur der reine Islam Mohammeds Gültigkeit. Wer seinen Ansichten nicht folgte, war ein „Gottesfeind“. Für Ibn Abd al-Wahhab war darum der Schiismus,
den es zu Zeiten Mohammeds ja nicht gegeben hatte, eine arge Häresie, die von ihm und seinen Anhängern nicht
nur mit Worten bekämpft wurde. 1744 schloss Abdul Wahhab mit dem Gebietsfürsten von Diriya/Diraiyah in
Zentralarabien, Mohammed Ibn Saud, der ihn zum Kadi (Richter) in Diriya ernannt hatte, eine bis auf den heutigen Tag dauernde Allianz. Danach versprach Wahhab, der u.a. auch die unbedingte Pflicht zum Heiligen Krieg
predigte, der Familie Al Saud allseits Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Pläne, mit ihren Beduinenkriegern,
den „Ikwan“, die arabische Halbinsel zu erobern. Die Familie Al Saud ihrerseits versprach, den wahhabitischen Puritanismus überall in den von ihnen noch zu erobernden Gebieten durchzusetzen. Diese Verbindung von religiösem
Eifer mit weltlichem Machtstreben findet in der saudi-arabischen Theokratie noch heute ihren Ausdruck durch
Koranvers und Schwert in der grünen Flagge (des Propheten) von Saudi-Arabien. Als Ibn Abd al-Wahhab 1792
starb, herrschte die saudische Dynastie schon über den größten Teil der arabischen Halbinsel und fühlte sich weiterhin der wahhabitischen Lehre verpflichtet, die von Anfang an der Legitimation der saudischen Königsfamilie
diente und mit dem Krummschwert ausgebreitet wurde. Wegen der unterschiedlichen religiösen Auffassungen richteten Anfang des 19. Jahrhunderts die Ichwani, die eifrigen Streiter der Wahhabiten, in der schiitischen Bevölkerung
Mesopotamiens ein Blutbad an und zerstörten in Kerbela das Grab von Husain, des Sohnes von Ali und Fatima
und somit Enkels des Propheten und dritten schiitischen Imams, der 680 n.Chr. vor Kerbela erschlagen worden
war und dessen Tod zum Höhepunkt der schiitischen Geschichte, zum Bezugspunkt der schiitischen Identität geworden ist. (Sein Schrein ist eines der größten Heiligtümer der Schiiten.) So ein Frevel kann nicht vergeben werden!!!
Abdul Asis Ibn Saud (1879-1953), Warlord und fanatischer Verfechter der wahhabitischen Lehre, einer überaus
fundamentalistischen und von den übrigen Sunniten zunächst nicht anerkannten islamischen Richtung, hatte mit
britischer Hilfe die Rivalen aus dem Hause Raschid niedergeschlagen, nachdem diesen 1918 durch den Ausgang des
Zweiten Weltkrieges der Protektor aus Istanbul, das Osmanische Reich der Hohen Pforte, abhanden gekommen war.
Er annektierte das südwestliche Asir, eine vorwiegend von Schiiten besiedelte reiche Region, sodann 1924 den Hedschas mit Mekka und Medina und ließ sich zum Hüter der Heiligen Stätten ausrufen. In diesem Feldzug verjagte
er u.a. auch den vormaligen Scharifen (Herrscher) von Mekka (der Stadt mit dem größten Heiligtum, der Kaaba) und
Medina (mit dem Grab des Propheten als Heiligtum) und späteren König des diese Gebiete umfassenden Königreichs Hedschas, die uralte Sippe der Haschemiten - sie führen ihren Stammbaum auf den Propheten zurück -, die
sich auch später noch für die geborenen Herrscher Arabiens hielten und die Saudis seit ihrer Niederlage als Thronräuber ansahen und auch so bezeichneten. 1932 hatte dann der Staatsgründer Ibn Saud in einem wahhabitischen
heiligen Krieg die gesamte arabische Halbinsel mit Ausnahme der Emirate am Persischen/Arabischen/Erdöl-Golf
und des Jemen unterworfen und sich zum ersten König von Saudi-Arabien proklamieren lassen.
[Einer der Söhne des vertriebenen Königs von Hedschas, Feisal, wurde 1920 von einem Kongress arabischer Nationalisten in Damaskus zum König von Syrien ausgerufen, sein Bruder Abdallah zum König des Irak designiert. Die
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europäischen Siegermächte des Ersten Weltkrieges verkündeten aber einige Wochen später in San Remo die von
ihnen gewollte neue Ordnung des Nahen Ostens: König Feisal, den die Franzosen aus den ihnen zugeschlagenen
Völkerbundmandatsgebieten Syrien und Libanon vertrieben hatten, erhielt zum Trost den Thron des Irak, von wo er
später seinerseits durch einen Militärputsch vertrieben wurde, denn sein Königtum wurde von den Untertanen seines
neugeschaffenen Staates als importierte Monarchie von Englands, der verhassten Mandatsmacht Gnaden empfunden.
Sein Bruder Abdallah ging zunächst leer aus, ließ sich aber einige Jahre später mit Hilfe der die Völkerbundmandatsgebiete Irak und Palästina - einschließlich des späteren Jordanien - beherrschenden Engländer zunächst zum
Emir von Transjordanien und dann zum König von Jericho, Bethlehem und Ost-Jerusalem ausrufen, nachdem er
seine Ansprüche auf den irakischen Thron an seinen Bruder Feisal abgetreten, allen feindlichen Akten gegen die
Franzosen in Syrien und die Juden im Westen Palästinas entsagt und die britische Oberhoheit über das Mandatsgebiet anerkannt hatte. Sein Gebiet wurde kurz darauf aus dem Mandatsgebiet Palästina herausgelöst - wegen der
dadurch erfolgten Reduzierung der Fläche Palästinas um rund drei Viertel geschah das gegen den Protest der Zionisten - und Abdallah zum König von Jordanien ausgerufen. Das verbliebene Mandatsgebiet Palästina wurde bei der
Gründung Israels durch die UNO geteilt. Ein Teil erhielt der zu gründende Staat Israel, das andere das Königreich
Jordanien - bis sich Jordanien durch eine falsche Siegesmeldung der arabischen Brüder 1967 in den 6-Tage-Krieg
gegen Israel hineinziehen ließ und die Westbank verlor, die Israel trotz mehrerer entgegenstehender UNOResolutionen, wie z.B. die berühmt gewordenen Nr. 242 und 338, bisher nicht herausgab. Seitdem war der vormalige
jordanische König Hussein - direkter Nachkomme des Propheten Mohammed (wie der marokkanische König auch,
der wegen dieser Abstammung die Glaubensführerschaft der Monarchie in seinem Land beansprucht und ein Monopol auf die Moscheen reklamiert) in 42. Generation - wieder auf das Ursprungsgebiet des Königreiches Jordanien
seines Ur-Großvaters Abdallah beschränkt; in einem politischen Schachzug gegen die ihn ständig bedrängenden
Palästinenser der PLO hatte Hussein im Juli 1988 auf seine Ansprüche auf die Gebiete der Westbank verzichtet.
Den Saudis, die die Königsfamilie aus ihrem ursprünglichen Herrschaftsgebiet um Mekka und Medina vertrieben
haben, ist das jordanische Königshaus sicher insgeheim noch gram. Das wird sich verstärkt haben, weil Hussein, der
bis dahin von den Saudis Hilfszahlungen erhalten hatte, im zweiten Golfkrieg - vermutlich unter dem Druck der in
seinem Land lebenden und agierenden Palästinenser - die Partei des Massenmörders Saddam Hussein (vorsichtig)
ergriffen hatte und dafür folgerichtig von den Saudis mit dem Entzug der bisherigen Subsidienzahlungen bestraft
worden war.]
Die fundamentalistischen Schiiten Irans beschimpfen die von ihnen als unislamisch verdammten aber ebenfalls
fundamentalistischen sunnitisch-wahhabitischen Saudis also nicht ohne Grund, Thronräuber zu sein. Aber nur
so sind früher die meisten Reiche gegründet oder erweitert worden! Geschichte hat fast immer was mit Macht und
selten was mit Recht oder Gerechtigkeit zu tun.
Der puritanistische Reichsgründer Saudi-Arabiens ließ alle Moscheen der schiitischen Minderheit seines Landes
dem Erdboden gleichmachen. Unter seiner Regentschaft sorgten die Saudis 1943 für Empörung und Zorn unter den
iranischen Schiiten, weil sie während des Hadsch einen Pilger aus dem Iran unter der Begründung, er habe die Heilige Moschee/ "Große Moschee" beschmutzt, hinrichteten. 1949 ließen sie wieder einen iranisch-schiitischen Pilger
mit der Begründung, er sei während des religiösen Rituals betrunken gewesen, öffentlich enthaupten. So etwas
schreit nach Rache - und ein Khomeini vergaß und vergab nie. U.a. das mag einer der Gründe für den 1987 vom
Iran gesteuerten Pilgeraufstand in Mekka gewesen sein. Ein weiterer Grund ist der, dass die wenigen in SaudiArabien lebenden Schiiten noch heute unter wahhabitischer Unduldsamkeit zu leiden haben. Jahrelang war die
höchste schiitische Feier, das das Martyrium der Imame, insbesondere dasjenige Husseins, nachempfindende Aschura-Fest, wegen der damit verbundenen, nicht nur Europäer abschreckenden Selbstgeißelungsprozessionen verboten. Erst der Sieg ihrer persischen Glaubensgenossen über den Schah ermutigte 1979 die arabischen Schiiten SaudiArabiens, sich um das Verbot der saudischen Staatsmacht nicht mehr zu kümmern. Als Polizeitruppen die Prozessionen aufzulösen versuchten, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf 17 Schiiten getötet worden waren.
Die saudischen Schiiten sind nach wie vor die religiös geächteten Parias (= Dalits; "gebrochene" Menschen, Unberührbare) ihrer Gesellschaft und darum sozial unterprivilegiert, Bürger zweiter Klasse, obwohl sie in der ölreichsten Provinz des saudischen Königreiches, Hassa, mehr als ein Drittel der Bevölkerung und der unentbehrlichen
Arbeitskräfte stellen. "Die Milliarden Petro-Dollar" schreibt die amerikanische Journalistin Robin Wright, "wurden
größtenteils in andere Teile des Landes geleitet - für Türme aus Glas und Stahl oder die achtspurigen Autobahnen in
Riad, für Paläste in Dschidda, für Entwicklungsprojekte in den Zentral- und Westprovinzen, für phantastische Flugplätze und eine Militärbasis im Norden, auf der mehr Soldaten untergebracht werden können, als das Land überhaupt
aufzustellen vermag. Dagegen fehlen in der Hassa-Provinz noch immer Krankenhäuser, Straßen und Schulen."
Von den unermesslichen Gewinnen aus den Ölquellen, die sie als ihr Eigentum betrachtet, bekommt die unterdrück-
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te und vernachlässigte saudisch-schiitische Minderheit also nur einen sehr geringen Anteil. Das verbittert. Irgendwann äußern sich solche Spannungen gewaltsam. 1979 und 1987 taten sie es in den Aufständen in der Provinz
Hassa und in der heiligsten Stadt des Islam, in Mekka, im Bannkreis des größten islamischen Heiligtums, der
Kaaba in der "Großen Moschee". Hodschatolislam Rafsandschani stellte - noch als Theheraner Parlamentspräsident
- den Zusammenhang zwischen der Unterdrückung der Schiiten in Saudi-Arabien und dem in schiitischem Gebiet
geförderten Öl her: "Rache für das Blutvergießen bedeutet die Befreiung der Heiligen Schreine von den saudischen
Wahhabiten und der gewaltigen Rohstoffvorkommen der islamischen Welt aus den Händen krimineller Agenten
des Imperialismus."
Die Kaaba ist der islamischen Überlieferung zufolge zuerst von Adam nach einem göttlichen Plan gebaut und
während der Sintflut in den Himmel entrückt worden. An gleicher Stelle sei sie dann später von Abraham dem Großvater ("Erzvater") sowohl der Juden (die sich von seinem mit seiner Frau Sarah im Alter von einhundert
Jahren gezeugten Sohn Isaak ableiten) als auch der Araber - mit seinem mit seiner ägyptischen Magd und (weil Sarah zunächst keinen Sohn bekommen konnte) Nebenfrau Hagar 86jährig gezeugten Sohn Ismael, dem Stammvater
der Araber, als Anbetungsstätte des wahren Gottes erbaut worden. Ismael habe bei dieser Gelegenheit vom Erzengel Gabriel den in der Süd-Ost-Ecke eingelassenen schwarzen (Meteoriten-)Stein erhalten. Schon Abraham hätte
das Wallfahrtszeremoniell begründet und die Pilgerfahrt nach Mekka gefordert. Diese heiligste Stätte der Moslems
war nun von irregeleiteten Moslems besetzt worden. Welch Frevel! Die 1979 zur Befreiung der "Großen Moschee"/Haram-Moschee durch die Saudis herbeigerufenen nichtislamischen französischen Soldaten mussten zunächst
pro forma zum Islam übertreten - und der Schiit Khomeini frohlockte, weil es seiner Behauptung zufolge nachgewiesen war, dass die von ihm bekämpften, seiner Meinung nach nicht rechtgläubigen - aber immerhin islamischen sunnitischen Herrscher Saudi-Arabiens nicht in der Lage seien, die größten Heiligtümer des Islam ohne die Hilfe
Ungläubiger zu verteidigen. Und aus dieser von fast allen Sunniten anerkannten Wächterrolle über die beiden
Heiligen Schreine und die beiden heiligsten Städte der Moslems leiten die Saudis den überwiegenden Teil
ihrer Legitimation in der islamischen Welt ab. Khomeinis Angriff zielte damit auf das geistliche und zugleich
politische Fundament der saudischen Herrschaft! In diesem Angriff wurde er - wie nicht anders zu erwarten, wenn es
gegen die Monarchen und Emire geht - in einer unheiligen Allianz von dem von ihm sonst bekämpften, als libyscher
Staatspräsident verkappten Staatsterroristen Ghadhafi/Gaddafi unterstützt, der wie Khomeini den Boykott(!) der
Pilgerfahrten trotz ihrer Bedeutung als religiöse Grundpflicht der Muslime für die Zeit, während der Truppen "Ungläubiger" in Saudi-Arabien stationiert sind, verlangte und eine "Internationalisierung" Mekkas forderte, was auf
eine Entmündigung des saudischen Königs in seiner seine Herrschaft legitimierenden Rolle als "Wächter der beiden Heiligen Schreine"/"Diener der beiden Heiligen Stätten"/"Hüter der beiden Heiligen Moscheen" hinausgelaufen wäre.
Dieses Legitimitätsproblem tauchte in ähnlicher Version wieder auf, als Saddam Hussein Kuwait überfallen hatte
und die Saudis aus Angst vor einer weitergehenden Invasion die "ungläubigen" Amerikaner ins Land (aber nicht in
die dem Islam heiligsten Städte Mekka und Medina, die kein "Ungläubiger" betreten darf!) rufen mussten. Da verbreitete Saddam Hussein die Propagandalüge, dass die Heiligen Stätten Mekka und Medina durch die Anwesenheit
halb entblößter "Ungläubiger" besudelt worden seinen und rief seinerseits zu einem Boykott der anstehenden
"hadsch" auf. Um diesen gefährlichen Propagandaangriff zu parieren, ließen die Saudis sich den Hilferuf an die
"Ungläubigen" von den höchsten sunnitischen Autoritäten, dem Mufti (religiöses Haupt der sunnitischen Muslime
eines Landes; oft auch politischer Führer) von Ägypten, Tantawi, und dem Großscheich der Al-Azhar Universität in
Kairo, Gadul-Haq, absegnen. Sie wollten damit den zwar nicht zutreffenden aber hauptsächlich von Schiiten und
anderen gleichermaßen fanatisierten oder glaubensunkundigen Muslimen gleichwohl erhobenen Vorwurf entkräften,
allein schon die Anwesenheit der Truppen der "Ungläubigen" im Geburtsland des Propheten, vor allem die des nach iranischer Propaganda: - "großen Satans Amerika", entweihe das Land und insbesondere die heiligsten Stätten
des Islam und beleidige dadurch Allah. Am gefährlichsten für das saudische Herrscherhaus war, dass zu dieser Ablehnungsfront neben dem ersten Kronprinzen Abdallah auch das religiöse Oberhaupt der Wahhabiten, der erzkonservative saudische Scheich Ibn Baz gehörte, der (vor der Reise eines saudischen prinzlichen Astronauten ins
Weltall 1985) den Satz, dass sich die Erde um die Sonne bewege, (wie die katholische Kirche auch noch in der Neuzeit weit nach Kopernikus und Galilei) noch 1966 als Unglauben bezeichnet hatte und für die Erde nur eine Scheibenform gelten ließ. (Der König begegnete dem damals auf die vornehme königliche Art, die die diskrete saudische
Regierungspolitik oft ausgezeichnet hat: In den Schulen ließ er Weltkugeln aufstellen, und 1985 wurde sein Neffe,
der Astronautenprinz, nach seinem Weltraumflug im ganzen Königreich herumgereicht, um zu erzählen, was er im
Weltraum gesehen hatte: die Erde als Kugel.) In einem Rechtsgutachten, das in einer Zeitschrift abgedruckt wurde,
wetterte dieser unbelehrbare - aber wie will man einer an der Fensterscheibe zappelnden Fliege klarmachen, was
Glas ist? -, schon berüchtigte Religionsführer, unter dessen ständigem religiös-fundamentalistischem Druck
das Herrscherhaus steht und der 1979 sogar Verständnis für die ultraorthodoxen Moscheebesetzer und ihre abwegige
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Argumentation gezeigt hatte, das Königshaus habe die Gesetze Gottes nicht befolgt und das Königreich in einen
Staat der Ungläubigen verwandelt, der wetterte, dass der Islam das Herbeirufen von Nichtmuslimen auf den heiligen
Boden der Arabischen Halbinsel nicht erlaube. Seiner Ansicht folgte eine Anzahl saudischer Prediger. Nun war guter
Rat teuer. Doch das ist kein Problem bei den Saudis. Das Herrscherhaus wusste sich zu helfen. Der aufmüpfige erste
Kronprinz wurde vom König unter Hausarrest gestellt und musste anschließend das Land vorübergehend verlassen.
So kann man aber nicht mit dem religiösen Führer der eigenen Glaubensrichtung umgehen. Da muss man mit dem
Florett an Stelle des Säbels fechten. In einem von den Saudis angeforderten Gegengutachten fanden Gelehrte der
Liga der Islamischen Welt unter spiritueller Führung des Muftis von Ägypten, Sajjid Tantawi, den wenig schmeichelhaften Vergleich, dass ein Muslim, wenn er mit seinem Hund spazierengehe und dabei von einem Mörder oder
Dieb angegriffen werde, nach der Scharia das Recht habe, sich von seinem (von den Moslems als unrein - weswegen
die Saudis den Verkauf von Hundefutter in ihrem Land verboten haben - angesehenen) Hund verteidigen zu lassen.
Analog dazu sei es den Saudis auch erlaubt, sich zur Verteidigung der heiligsten islamischen Schreine in Mekka und
Medina der Hilfe "Ungläubiger" zu bedienen, "die ähnliche Waffen wie die Iraker besitzen". Außerdem sollten
"muslimische Armeen aufgestellt werden, um eine Gruppe von Leuten, die Unrecht tun, solange zu bekämpfen, bis
sie Gottes Gebote befolgen. Der Islam betrachtet Frieden unter den Menschen als die Norm." In diesem Kampf dürfe
man sich "der Unterstützung von Ungläubigen bedienen, solange sie nur Hilfstruppen bleiben." (600.000 Amerikaner
und andere ungläubige Alliierte waren dann als Hilfstruppe der 65.000 saudischen Soldaten im Einsatz. Ob General
Schwarzkopf das auch so gesehen hat, wie die islamischen Theologen das in ihrem Postulat gefordert hatten? Auf
jeden Fall scheint neben dem sich aus der Anwesenheit in Saudi-Arabien ergebenden staatspolitischen Erfordernis
u.a. das die Erklärung dafür zu sein, dass ein saudischer General zu dem Leitungsgremium der gegen den Tyrannen
von Bagdad aufgebotenen Streitmacht gehörte.) Zur vollständigen öffentlichen Absicherung der Einhaltung der religiösen Position, dass kein Fuß eines Ungläubigen die Heiligen Städte Mekka und Medina betreten dürfe
und während der Anwesenheit der multinationalen und multikulturellen Streitkräfte entgegen der irakischen Propaganda, dass die Heiligen Stätten Mekka und Medina durch die Anwesenheit halb entblößter "Ungläubiger" besudelt worden seien, auch nicht betreten habe, waren von den Saudis 350 Würdenträger aus der islamischen Welt eigens nach Mekka und Medina geladen worden, um die zur Einhaltung dieses Gebotes getroffenen Vorkehrungen in
Augenschein zu nehmen und ihre Wirksamkeit zu bezeugen. Trotzdem verbreiteten die Iraner z.B. in der Zeitschrift
Kayhan, dem Organ der Radikalen, die auf das angeblich nicht hinreichend wahrgenommene Wächteramt der Saudis
und damit auf die Untergrabung von deren daraus resultierender Legitimation abzielenden Lügen: "Zehntausende
amerikanische Soldaten in den heiligen Städten Mekka und Medina flanieren heute mit dicken Zigarren im Mund
und betrunkenem Gelächter unter den muslimischen Frauen." Da würden die saudischen Religionspolizisten aber
mobil! Und die USA, die auf saudischen Druck hin das rote Kreuz auf ihren Sanitätsschützenpanzern wegen dessen
religiösen Symbolgehalts mit dem roten Halbmond übermalten, könnten und würden sich einen solchen Affront gar
nicht geleistet haben. Aber die Iraner hofften halt darauf, dass irgendwas von den Verleumdungen in der großen
Gemeinde der Muslime schon hängen bleiben werde - bei dem ausgeprägten Antiamerikanismus der Fundamentalisten und ihrer Anhänger in der Dritten Welt ist das sicher keine unberechtigte Hoffnung gewesen. Ägyptische Moslembrüder - wie auch andere islamische Fundamentalisten - beurteilten (wenn auch nach anfänglicher Kritik an der
amerikanischen Präsenz in Arabien) den saudischen Hilferuf an die USA mehrheitlich ähnlich wie die höchsten sunnitischen Glaubensautoritäten aus Kairo, auch wenn sie die "Anwesenheit nichtislamischer Truppen auf islamischer
Erde" als "Katastrophe" apostrophierten. Sie standen in dieser Frage nicht im Gegensatz zu der von ihnen ansonsten
mit Fundamentalkritik überzogenen ägyptischen Regierungspolitik, die der alliierten Streitmacht große Truppenkontingente unterstellt hatte. Ihr Sprachrohr, die bislang regimefeindliche Kairoer Zeitung El-Nur ("Das Licht") publizierte das Verdikt: "Saddams Raketen sind Verrat und eine Verschwörung gegen die islamische Gemeinschaft."
3. Abgrenzung der Sunniten von den Schiiten
Von den Sunniten, deren Name sich davon ableitet, dass sie die Sunna als zweite Glaubensquelle neben dem
Koran ansehen, wird getreu der historischen Realität als erster rechtmäßiger Nachfolger des Propheten einer von
dessen Schwiegervätern (von Mohammeds Lieblingsfrau Aisha) Abu Bekr/Abu Bakr (632-634) anerkannt. Dessen
Nachfolger Umar/Omar (634-644), ebenfalls ein Schwiegervater, Uthman /Othman/Osman (644-656, einer der
Schwiegersöhne des Propheten, unter dessen Herrschaft der Koran in der dann für spätere Zeiten verbindlichen Version erstellt wurde und nach dessen Ermordung 656 n.Chr. die zuvor bestehende Einheit der Gläubigen zerbrochen
war) und dann erst Ali Ibn Abi Talib (656-661) als vierter Kalif nach sunnitischer Zählung wurden zunächst von der
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Hierarchie als „rechtgeleitete Kalifen“ gewählt – wobei der Kreis der berechtigten Wähler nicht feststand und
deshalb umkämpft war -, bevor das Kalifat mit seiner Verlegung nach Damaskus dann später erblich wurde.
Von den Schiiten, deren Name sich von dem arabischen Wort Schia (= Partei) ableitet, damit die "Schia(t) Ali",
die Partei Ali Ibn Abi Talibs, eines Vetters und Schwiegersohnes des Propheten, des Begründers der Schia
und Urhebers der sozialrevolutionären Ideen des Islam, meinte, wird die Rechtmäßigkeit der sunnitischen Kalifen
bestritten. Nach ihrer Überzeugung durften nur die direkten Nachfahren des Propheten aus dem Stamm der
mekkanischen Quraisch/Kureisch die Gemeinschaft der Gläubigen führen, weil ihnen göttliche Berufung nachgesagt wird, nicht aber frei gewählte Kalifen, insbesondere nicht Mediner, die aber das Vorrecht, den Imam zu
stellen, für sich in Anspruch nahmen, da sie es gewesen waren, die Mohammeds Lehre zum Durchbruch verholfen
hatten, und nicht sein mekkanischer Stamm, der erst 630 n.Chr., acht Jahre nach Mohammeds Flucht aus Mekka und
zwei Jahre vor dem Tod des Propheten, nach Eroberung Mekkas durch ein muslimisches Heer zum Islam übertrat.
Aischa, eine der Frauen des Propheten, hatte Ali von Anfang an bekämpft, was letztlich zu der Abspaltung der Schia
Ali geführt hatte.
Die religiöse Führung, das Imamat – wobei ein schiitischer Imam ein mit durch Vererbung von Mohammed erlangtem besonderem religiösen Charisma ausgestatteter theologisch gebildeter Vorsteher und rechtmäßiger Anführer
der schiitischen Glaubensgemeinschaft ist, während ein sunnitischer Imam ein einfacher Vorbeter und Religionslehrer ist, von denen es Zehntausende gibt - und die politische Herrschaft, das Kalifat, hätten nach Auffassung der
„Schia Ali“ in Alis Familie wegen ihrer Verwandtschaft mit der des Propheten und ihrem sich daraus ableitenden besonderen religiösen Charisma erblich zu sein. Ein schiitischer Imam, ihr »Papst«, gilt als Verkörperung
Gottes auf Erden, der durch die Gnade Gottes und die besondere Beziehung und Einweihung durch den Propheten zu
einem »Unfehlbaren« und »Sündlosen« werde. (Darum berief Khomeini sich darauf, ein direkter Nachkomme des
Propheten zu sein!) Die Schiiten erkennen deswegen erst Mohammeds 661 vor der Moschee von Kufa ermordeten
Vetter/Cousin, Adoptiv- und Schwiegersohn Ali als ersten Kalifen an und sehen nach dessen Ermordung insbesondere dessen männlichen Nachkommen Hussein/Husain aus der Ehe mit der Prophetentochter Fatima als die
allein rechtmäßigen Leiter der islamischen Gesamtgemeinde an. (Weil die Schiiten den von ihnen herbeigerufenen
Husain aber an den konkurrierenden Kalifen Yazid, den Sohn von Alis Widersacher Muawiya, den Begründer der
Dynastie der Omaijaden, aus Damaskus verrieten, besteht eine ihrer höchsten religiösen Riten anlässlich des Aschurafestes in der Selbstgeißelung am Tage des Verrats als Zeichen dafür, dass sie diesen Verrat niemals wieder
begehen, sondern lieber sterben würden.)
Da die (männlichen) Nachkommen Alis aus dem Haus des Propheten, dem mekkanischen Stamm Quraisch/Kureisch,
stammen, erbten sie von ihm das "göttliche Licht" und seien so "unfehlbar" bei der Ausübung des weltlichen Amtes
wie in der Auslegung des Korans.
Alle Nachfolger im Amt, die keine leiblichen Nachfahren des Propheten sind, werden von den Schiiten als Usurpatoren eingestuft.
(Damit erschöpfen sich aber auch bald die Gemeinsamkeiten der Schiiten, die unter sich wieder in viele einzelne Richtungen wie Siebener-, Zwölferschiiten, Seiditen/Zaiditen, Ismailiden, Imamiten, Charidschiten,
Fatimden, Qarmaten u.a. aufgespalten sind.)
Solch elitäre Eigenschaften für einen Irdischen lehnten die Sunniten, für die alle Rechtgläubigen vor Gott
gleich sind, von Anfang an als ketzerisch ab. Für Sunniten gibt es keinen herausgehobenen, gegenüber den Laien
privilegierten, hierarchisch gegliederten Klerus als Mittler zwischen Allah und dem einzelnen Gläubigen.
Im Jahre 655 christlicher Zeitrechnung kam es zum arabisch-muslimischen Bürgerkrieg zwischen Ali und dem von
Mohammeds Witwe Aischa unterstützten Muawiya, die beide Kalif und damit Nachfolger des Propheten werden
wollten, obwohl der Prophet gesagt hatte: "Wenn zwei Muslime sich mit ihrem Schwerte gegenübertreten, dann
kommen beide, der Mörder und der Ermordete, in die Hölle." (Damit wäre im islamischen Recht jede Notwehr
zwangsläufig ausgeschlossen! Das ist aber nicht der Fall. Das ist ein Beispiel für eine mehrdeutige Koranstelle, die
der Auslegung bedarf.) Weil das Ringen um die Macht nach der unentschieden ausgegangenen Schlacht von Siffin
auf dem Verhandlungsweg entschieden werden sollte, wurde die Entscheidung einem Schiedsgericht übertragen.
Aber Teile der Anhänger Alis verließen ihn, weil sie Gottes Willen nicht einem Schiedsgericht überlassen wollten.
Kalif dürfe nach Meinung der Schiiten nur jemand werden, der, wie Ali, aus der Familie des Propheten stamme. So
entstand im Verlauf dieser Kämpfe die Schia Ali (Partei Alis), die letztlich nach der Ermordung Alis 661 n.Chr.
vor der Moschee in Kufa durch den Kalifen Yazid 680 n.Chr. unterlag.
Der Schiismus fügte in dem nun entstandenen Schisma den drei allgemeingültigen islamischen Prinzipien Glaube an die Einheit Gottes, das Prophetentum Mohammeds und das Jüngste Gericht - die zwei weiteren der
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Gerechtigkeit Gottes und des Imamats hinzu. Die Schiiten wollen die Ungerechtigkeiten der menschlichen Gesellschaft abschaffen und Mohammeds Vision einer idealen Gesellschaft verwirklichen. Gegenüber den Sunniten
vertreten die Schiiten die Lehre vom Imam43 als (gottähnlichem) Mittler und Führer.
Darum war Khomeini unter den Bestimmungen der Verfassung der Islamischen Republik Iran unfehlbar, wenn
er als "Mardja", als "religiöses Vorbild" etwas "in Gottes erhabenem Namen" erklärte. Weil der Großajatollah
den Willen Allahs vertrat, konnte er nichts falsch machen. Vielleicht hat ihn das größenwahnsinnig gemacht,
denn im Handelsblatt vom 31.03.88 wird er mit den Worten zitiert: "Unsere Regierung ist ein Teil der Statthalterschaft Mohammeds. Sie hat den Vortritt vor allen religiösen Pflichten wie Gebet, Fasten oder Pilgerfahrt. Sie
ist ermächtigt, jede religiöse Vorschrift aufzuheben. Sie kann auch Moscheen abreißen lassen, falls sie dies als
nötig erachtet. Sie hat das Recht, die Gläubigen an der Pilgerfahrt zu hindern." Damit rüttelte Khomeini am Islam selbst, gab er doch der Regierung - jedenfalls so lange sie unter seiner Kuratel stand - das Recht, sich sogar
über die "fünf Säulen" des Korans hinwegzusetzen, obwohl der Koran, wie eingangs erläutert, nach islamischem Verständnis die ewig gültige, unveränderbare göttliche Ordnung, mehr noch: die dem Propheten offenbarte wörtliche Botschaft Gottes ist. Das hatte vor Khomeini noch keiner gewagt. Welche Hybris!
Die Schiiten unterscheiden sich von den Sunniten aber nicht nur in der bloßen Imamatslehre. Zum Teil vertreten die
Schiiten auch die Lehre vom kommenden, noch verborgenen Imam und Mahdi, dem "erlösten Erlöser". In ihm
erwarten sie für das Ende der Zeiten den gottgesandten Erneuerer des Glaubens, der Gerechtigkeit und der Macht des
Islams. Er werde erscheinen und die Welt beherrschen, nachdem der Iran - entsprechend dem dem Islam immanenten
Universalanspruch - mit heilsgeschichtlichem Sendungsbewusstsein eine die Welt umspannende "Islamische Regierung" eingesetzt habe. Schon allein diese Vorstellung zwingt zur Ausbreitung der Islamischen Revolution des
Khomeini! Der Mahdi-Glaube ist vermutlich eine Folge der Not und Verfolgung, in der sich die schiitische Minderheit innerhalb der moslemischen Welt, die sich selbst immer stolz "el-chassa", die Besonderen, und die sunnitische
Mehrheit die "amma", die Masse, nannte und nennt, jahrhundertelang befunden hat. (Nach schiitischer Lehre kommt
es nicht auf die Masse der Anhänger an, sondern auf die Richtigkeit der Lehre - aber an welcher Elle soll sie gemessen werden?) Wegen der jahrhundertelangen Verfolgung sind die meisten und insbesondere die höchsten Feiertage der Schiiten Trauertage. Erst 1959(!!) ist die islamische Minderheit des Schiismus von dem Rektor der AlAzhar-Moschee in Kairo, der höchsten sunnitischen Autorität, in einem Fatwa, einem (religiösen) Schiedsspruch, als ein "legitimer muslimischer Ritus wie andere Riten des Sunni-Islam auch", anerkannt
worden. Die Saudis nehmen gleichwohl weiterhin übel. Sie schlossen trotz dieses Schiedsspruchs in der Folgezeit die
Schiiten von der von ihnen gegründeten "Welt-Muslim-Liga" aus, die sie in ihrem Lande mit Sitz in Dschidda zur
Vereinigung aller Muslime gegründet hatten.
Sunniten und Schiiten - die ihrerseits wiederum in die verschiedenen Glaubensrichtungen der Siebener-, Zwölferschiiten, Seiditen/Zaiditen, Ismailiden, Imamiten, Charidschiten, Fatimden, Qarmaten u.a. aufgespalten sind - unterscheiden sich auch in ihren Forderungen bezüglich des politischen und religiösen Leiters der Gemeinde, der in
der Sunna als Kalif und in der Schia als Imam bezeichnet wird. Ein Kalif als höchster geistlicher und weltlicher
Herrscher über alle (sunnitischen) Muslime muss Araber sein, zum Stamme des Propheten gehören, sich in religiösen Quellen auskennen und politisch befähigt sein. Die Sunniten bestanden (zunächst) auf der Kalifenwahl.
Ein Imam muss auf jeden Fall ein Nachkomme des Propheten (und damit auch) Alis sein.
IV. Das Strafrecht der Scharia
Das islamische Strafrecht fußt - wie nicht anders zu erwarten - auf dem Koran und der Tradition der (jeweiligen)
Rechtsschulen. Strittig ist zwischen den Rechtsschulen der Hauptkonfessionen, ob gewisse Vorschriften und die
43
= "Wahrer des Korans"; Funktionsbezeichnung für sowohl den Vorbeter in einer beliebigen Moschee wie auch - so in diesem
Zusammenhang - für das geistliche und theokratische Oberhaupt der Priester in den schiitischen Sekten, wobei als die echten
Imame nur die Aliden, die Nachkommen von Ali, angesehen werden, deren Zahl auf die bisherigen 12 begrenzt ist, weil der
letzte, seit 1100 Jahren im Verborgenen lebende 12. Imam zum Ende der Zeiten wieder erscheinen und die Schiiten zum
Sieg führen werde.
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darin vorgesehenen Strafen nicht der jeweiligen Zeit (in beschränktem Umfang) anzupassen seien. Die überwältigende Mehrheit der sunnitischen Rechtsgelehrten betrachtet für den Bereich der Scharia "das Tor der selbständigen
Rechtsfortentwicklung" als geschlossen. Damit ist dieser Bereich des islamischen Strafrechts einer direkten
Veränderung entzogen. Das islamische Strafrecht kann höchstens in sehr beschränktem Umfang ergänzt werden.
Schiitische Rechtsgelehrte nahmen hingegen stets das Recht für sich in Anspruch, die grundlegenden gesetzlichen
Bestimmungen der Scharia fortentwickeln zu können. Die von den sunnitischen Rechtsgelehrten als absolut
und den schiitischen als (beschränkt) relativ angesehene Unwandelbarkeit des traditionellen islamischen Rechts
beruht auf seinem besonderen Charakter als einem aus göttlichem Ursprung ent- und verstandenen und somit religiös
sanktioniertem Recht. Es basiert auf der Autorität des Korans und der Sunna. Dies verleiht ihm für fundamentalistische Interpretationen eine unwandelbare Starrheit, die dem Recht nach abendländischer, westlicher Ansicht
schon lange nicht mehr zukommt.
"Es erben sich Gesetz' und Rechte
Wie eine ew'ge Krankheit fort;
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;
Weh' dir, dass du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage."
(Goethe; Faust)
Das islamische Strafrecht unterscheidet nach der Art der in den gesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen Rechtsfolgen drei Arten von Straftaten:
1.) Straftaten gegen Leib und Leben auf der Basis des „lex talionis“ („Gleiches mit Gleichem“)/ "Qisas-Delikte"
2.) Straftaten mit absoluter Strafdrohung wegen Verstoßes gegen Gottesrechte/ "Hudud-Delikte"
3.) Alle übrigen Straftaten/ "Tazir-Delikte"
1.) Straftaten gegen Leib und Leben/ "Quisas-Delikte"
Verletzungen und ähnliche Vergehen sowie Mord gehören in die Kategorie der Dschinayat, werden als Verstöße
gegen Menschenrecht („Haqq Adami“) gewertet und sind im traditionellen islamischen Recht wie in vielen anderen älteren Rechten eine Domäne für die Anwendung des "jus talionis", des Vergeltungsstrafrechts, als Strafrechtsgrundsatz bei der Strafzumessung, so z.B. in den Beduinenrechten, aus denen sie entlehnt wurden.
„Auge um Auge
rtr Dubai – Ein saudi-arabisches Gericht hat einem Ägypter das linke Auge herausoperieren lassen,
weil er einem Landsmann mit einem Säureanschlag die Sehkraft des linken Auges genommen hatte. In
Saudi-Arabien gilt das islamische Recht der Scharia.“ (HH A 16.08.00)
Auf jeden Fall wurde, wie wir sehen können, selbst unter der Geltung der Scharia die Strafvergeltung
so weit humanisiert, und der Staat als Inhaber der Strafgewalt stellt sich damit nicht mehr so auf die
genau gleiche Stufe wie der Rechtsbrecher, dass dem Delinquenten nicht auch verätzende Säure ins
Gesicht geschüttet wurde, was ja meistens auch noch die angrenzenden Gesichtspartien schädigt, und
es wurde dem Delinquenten auch nicht mehr ein – möglicherweise vorher glühend gemachter – Dolch
ins Auge gestoßen.
Auch im jüdischen (Talmud: "Aug' um Aug', Zahn um Zahn") und im germanischen Recht fand das Vergeltungsstrafrecht seine Anwendung. In allen diesen Rechten hatte die Strafe ihren Ursprung in Rache und (Wieder-) Vergeltung.
Der Grundsatz dieser Bestrafungsmaßnahme zielt gemäß Sure 5/49 bei vorsätzlich begangenen Delikten (amd/qasd)
auf die Vergeltung von Gleichem mit Gleichem, bzw. die Vergeltung durch Bestrafung an dem Körperteil, das
den Schaden verursachte (z.B. Ausreißen der Zunge des „Verräters"; im Irak ist das jeder, der Kritisches gegen
Saddam Hussein oder seine Familie sagt, so dass solchen Leuten laut STERN 04.01.01 nach neuem Gesetz ihre
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Zunge herausgeschnitten wird). So wird im islamischen Recht (immer noch) z.B. ein Mörder der Vergeltung durch
die Verwandten des Opfers überantwortet. Das Strafmaß entspricht der Straftat: Der Mörder wird zum Tode verurteilt.
Die Fälle, in denen ein Mensch getötet wurde, werden von denen unterschieden, in denen die Körperintegrität des
Opfers verletzt wurde. Bei Verletzungen kann dem Verletzten das Recht zugestanden werden, unter Aufsicht des
Richters am Körper des Täters eigenhändig Vergeltung (qisas) zu üben. Voraussetzung dafür ist allerdings die - zu
überprüfende – Gleichwertigkeit von Täter und Opfer. Sie ist nach islamischem Rechtsverständnis u.a. nicht gegeben
zwischen Männern und Frauen, Gesunden und Behinderten - erstaunlicherweise aber zwischen Muslimen und
Nichtmuslimen.
Die Vergeltung ist allerdings kein zwingend vorgeschriebenes Recht. Es gilt laut Sure 2/173 als Gott wohlgefällig, auf die Ausübung der Vergeltung zu verzichten und stattdessen, insbesondere bei nicht intentionalen Delikten wie z.B. fahrlässiger Tötung, ein "Blutgeld" (Diya) zu akzeptieren. (Dieses Blutgeld ähnelt in seiner Funktion
in etwa dem im germanischen Rechtskreis gebräuchlich gewesenen "Wergeld", d.h. "Mann-Geld").
Eine solche Handlung ist nach den zuvor schon kurz angesprochenen Kategorien bei der Bewertung menschlichen
Handelns empfohlen, bzw. wünschenswert und verdienstvoll, d.h., wer sich danach richtet, wird gelobt und wohl
spätestens nach dem Tode auch belohnt. Wer sich jedoch darüber hinwegsetzt, wird weder getadelt, noch gar bestraft. Es kann folgenlos auf der Körperstrafen-Vergeltung bestanden werden.
Sollten sich die Parteien auf die Zahlung eines Blutgeldes geeinigt haben oder wird eine Ungleichheit zwischen Täter und Opfer angenommen, so obliegt es dem Richter, die Höhe der Sühnezahlung festzusetzen, wenn sie
nicht in Rechtsbüchern verzeichnet ist. Dabei gilt grundsätzlich, dass der Wert eines freien Mannes doppelt so hoch
anzusetzen sei wie der einer freien Frau oder der eines Sklaven! (Eine "schmeichelhafte" Gleichsetzung für die Frauen!)
Im Falle einer fahrlässigen Tötung darf der Täter nicht mit dem Tode bestraft werden. Eine solche Tat wird gesühnt
durch die Freilassung eines Sklaven, das Fasten während zweier aufeinanderfolgender Monate oder die Zahlung
eines Blutgeldes.
2.) Straftaten mit absoluter Strafdrohung/ "Hudud-Delikte"
Für die Verletzung von Gottesrechten (Haqq Allah) sind die höchsten Strafen vorgesehen, denn Gottesrechte seien
absolut, während die menschlichen Rechte relativ seien. Die Strafen dieser Kategorie sind es, an denen die hauptsächliche Kritik am islamischen (Straf-)Recht der Scharia ansetzt, und deren Einführung oder Beibehaltung z.B. in
der multikulturellen Gesellschaft des Sudan zu zwei jahrzehntelangen Bürgerkriegen führte.
Sie stellen mindestens für die Anhänger der anderen Religionen im Sudan eine nicht zu akzeptierende Zumutung dar. Trotzdem besteht die Regierung in Khartum unter dem Druck der zeitweise auch in der Regierung
vertreten gewesenen, in der Moslembruderschaft organisierten Minderheit islamischer Fundamentalisten weiterhin auf der zwangsweisen Umwandlung des Staates in eine islamische Republik auf der Grundlage der Anwendung der Scharia für alle Bevölkerungsgruppen. Als Kompromiss zur Beendigung der langen Bürgerkriege
war zwischendrin einmal angeboten worden, die Scharia nur in den Landesteilen zur Geltung zu bringen, in denen es eine arabische Mehrheit gibt. Davon ist aber schon lange nicht mehr die Rede - und der Bürgerkrieg geht
als Perpetuum der Gewalt gnadenlos weiter. Von Seiten der Aufständischen könnte schon allein mit einem Aussetzen der Hudud-Strafen für die südlichen Provinzen und damit die nichtmuslimische Bevölkerungsmehrheit
dort der das Land lähmende Bürgerkrieg wenigstens zunächst gestoppt werden. Aber die Position der Regierung ist so starr, dass sie sich zu der Erfüllung dieser Minimalforderung der Aufständischen bisher nicht bereitfinden wollte. Und das in einem der ärmsten Länder Afrikas, in dem der Bürgerkrieg die Unsumme von 1 Mill.
$ pro Tag verschlingt! Erst 1991 hat der neue Militärbefehlshaber angeordnet, dass die Scharia (zunächst?) nur
im muslemischen Norden des Landes Geltung haben solle.
Für die Ahndung der Hudud-Delikte sind ohne Revisions- oder Begnadigungsmöglichkeit ganz bestimmte und oft
verstümmelnde Körper- und sogar auch Todesstrafen als absolute Strafen angedroht.
Die Akzeptierung der Verstümmelungen im islamischen Strafrecht ist aber kein Beweis für eine generelle Inhumanität dieses Rechts. So hatte selbst noch im 18. Jahrhundert das islamische Strafrecht einen ungleich größeren Respekt vor dem menschlichen Leben als generell das europäische Recht. In den europäischen Ländern waren die Landstraßen voll von Bäumen und Galgen mit aufgeknüpften Menschen, die für kleinste Vergehen gehängt worden waren.
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Aber die europäischen Rechte haben sich in Richtung Humanität fortentwickelt, was dem islamischen Recht wegen
seiner religiösen Basis ohne Selbstaufgabe nicht möglich ist. So wandelt sich Wohltat zur Plage: Zur Zeit Mohammeds waren die Frauen in Arabien allgemein Eigentum ihres jeweiligen Mannes. Durch Mohammeds Lehre wurden
die Frauen nun gleichwertig – aber selbstverständlich nicht gleichrangig, wofür als Begründung „natürliche Unterschiede“ bemüht wurden. Der Koran ist ja nicht das Grundgesetz! Nach dem Koran können sich Frauen bei Ehebruch oder Impotenz ihrer Männer scheiden lassen! Das war eine ungeheure Besserstellung gegenüber der bis dahin
dort üblichen Rechtsstellung der Frauen in der patriarchaischen arabischen Stammesgesellschaft! Aber diese nachrangige Stellung der Frau ist durch die Scharia in der islamischen Gesellschaft zementiert und ohne Aufgabe des als
göttlich angesehenen Gesetzes der Scharia nicht in Richtung Gleichberechtigung korrigierbar. Bei dem Wandel der
Rechtsauffassung bezüglich der Rechte der Frauen hin zur Gleichberechtigung hat sich die vor anderthalb Jahrtausenden erzielte Besserstellung inzwischen zu einem Nachteil gewandelt.
Die Hudud-Delikte werden weiterhin die verstümmelnden Körperstrafen vorsehen. Beim Vorliegen dieser Delikte
sind die Richter ohne die Möglichkeit einer Milderung an die in der Scharia vorgesehenen Strafdrohungen gebunden. Weil z.B. die Verstümmelungen im Koran vorgesehen sind, können sie als Teil des nach muslimischem
Dafürhalten göttlichen Rechts nicht abgeschafft werden, solange dieses Recht nicht seines religiösen Charakters
entkleidet wird. Dann wäre es aber in dem dargestellten Sinne kein islamisches Recht mehr!
Nach der Lehre der islamischen Juristen aller zuvor schon genannten Rechtsschulen sind die Hudud-Straftaten
gegen die Religion gerichtet. Sie verletzen nach muslimischem Verständnis die Rechte Allahs. Darum müsse
der jeweilige Rechtsbruch mit mehr als der in unserem Kulturkreis sprichwörtlich gewordenen drakonischen Härte
geahndet werden. Wegen der von den gläubigen Muslimen als gottgewollt angesehenen religiösen Einbettung des
islamischen Rechts der Scharia werden die Verstümmelungen weiterhin zu den akzeptierten Strafen gehören, denn
für die Muslime sind sie ein Bestandteil ihrer Religion. "Der tiefe Respekt für die Shariah hat dazu geführt, dass
Saudi-Arabien das sicherste Land der Welt ist, da die Kriminalitätsrate extrem niedrig ist." (Informationsbroschüre
der Botschaft des Königreichs Saudi-Arabien in der Bundesrepublik Deutschland)
Nachfolgend seien die wichtigsten Hudud-Delikte im Einzelnen genannt und kurz erläutert:
a) Abfall vom islamischen Glauben ("ridda")
„Ridda ist der islamische Begriff für Apostasie oder Abfallen vom Islam. Wer vom Islam abgefallen ist, wird
Murtadd genannt. Das islamische Recht, die Scharia, sieht für den Murtadd die Todesstrafe vor. Diese Strafe
steht in vielen muslimischen Ländern heute nicht mehr offiziell auf den Abfall vom Islam. Allerdings wird der
Mord an einem Murtadd meist nicht geahndet, da solch ein Mord von weiten Teilen der Bevölkerung gebilligt
wird. Ein Beispiel dafür ist der Mord an Farag Foda 1992 in Ägypten, der von den Gerichten deshalb nicht gesühnt wurde. Ubi“ (HH A 16.02.05)
Wer einmal - und sei es durch Übertritt von einer anderen Religion - Muslim geworden ist, der hat wegen des schon
einleitend angesprochenen Totalitätsanspruchs des Islam das Recht verwirkt, seinen Glauben - erneut - zu ändern, denn dann wäre er ja nicht mehr rechtgläubig! Er müsste der ewigen Verdammnis anheimfallen. Dieser Totalitätsanspruch wurde zumindest im Mittelalter auch von dem Christentum vertreten. So hatte der Deutsche Ritterorden
die von ihm in langwierigen, blutigen Kämpfen unterworfenen Prußen (des späteren Ostpreußens) zunächst als
gleichberechtigte Vertragspartner anerkannt, sie aber nach ihrem ersten Aufstand und dem damit verbundenen Abfall
vom Christentum wegen dieses Verbrechens der Apostasie völlig rechtlos gestellt.
Es ist nachvollziehbar, dass das religiöse islamische Recht der Scharia einen Abfall vom islamischen Glauben als
gegen die Religion gerichtetes Delikt ansieht. Und schon der Dialog mit Nicht-Muslimen wurde von der Religionsbehörde in Medina 1996 mit Glaubensabfall gleichgesetzt. Und da Saudi-Arabien als Verfassung den Koran hat, eine
Aufklärung mit Trennung von Staat und Kirche nie stattgefunden hat, wird aus diesem Delikt heraus insbesondere
dort staatlich gestraft. Für dieses Delikt ist - und das ist für Nicht-Muslime nicht mehr nachvollziehbar - die Todesstrafe vorgesehen, denn Mohammed habe gesagt: "Wer seine Religion ändert, den tötet!" Gleiches gilt für bekennende Atheisten. Auch sie unterliegen dem Prinzip des "iridat", d.h., es ist nicht nur erlaubt, sondern nach rigoroser
Schriftauslegung sogar geboten, einen solchermaßen Allahs Existenz Negierenden zu töten. So werden im Iran die
rund 300.000 Anhänger der Bahai-Religion als dem Islam Abtrünnige verfolgt: ihre Gottesdienste sind verboten und
Anhänger wurden auch schon zum Tode verurteilt.
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Für ein solch extremes Scharia-Verständnis stehen als weitere Beispiele die gegen die Schriftsteller Salman
Rushdie und Nagib Machfuz verhängten Todesurteile. Der Kairoer Linguist Nassr Hamid Abu Zayd/Zaid ist
wegen seiner textkritischen Koran-Analysen als historisches Zeugnis zum Apostaten erklärt worden – und auf
Abfall vom („rechten“) islamischen Glauben steht nach der Strafandrohung der Scharia, wie sie insbesondere
von der aus dem Beduinentum herrührenden und darum bei den Wahhabiten verbreiteten hanbalitischen
Rechtsschule interpretiert wird, der Tod durch Köpfen mit dem Schwert auf offenem Marktplatz. Köpfen und
Islam gehört aber nur für jene zusammen, die den in Saudi-Arabien praktizierten, innerhalb der Bandbreite des
Islam sehr rigiden Wahhabismus für den wahren Islam halten.
Mit Unterstützung der Scheichs der al-Azhar-Moschee ist Abu Zayd – gegen den Willen beider Eheleute – wegen dieses Verbrechens des Abfalls vom rechten Glauben 1995 von einem Kairoer Gericht zwangsweise von
seiner Frau geschieden worden (das Urteil soll später wieder aufgehoben worden sein): Ein Ketzer, der den Koran als von Menschen gemachten Text versteht - und so vielen Muslimen ihre Glaubensgrundlage zerstören
würde – könne keine muslimische Ehe führen. Darum müsste diese Ehe geschieden werden. Das veranlasste das
Ehepaar, schleunigst ins europäische Exil zu gehen. Salman Rushdie wurde z.B. unterstellt, dass er durch seinen Roman faktisch eine „Radda“ (Abfall vom Glauben) begangen habe und damit ein Murtad/Apostat sei.
Zwar hatte keine religiöse Autorität des sunnitischen Islam, auch nicht die höchste, der Scheich der al-AzharMoschee in Kairo, die Todesstrafe gefordert, aber der höchste schiitische Geistliche Khomeini hatte es in seinem Fatwa getan. Auch dass Rushdie britischer Bürger ist, der nie im Iran war, konnte ihn wegen der ihm unterstellten Apostasie (Abfall vom rechten Glauben) nicht vor der gemäß für dieses Delikt einzig vorgesehenen
Strafe, der Todesstrafe, schützen. Die Ahndung der Verletzung eines Gottesrechtes geschieht nach dem Weltstrafrechtsprinzip überall auf der Welt. Eine Territorialität des Rechts gilt für diese Delikte nicht.
Im Sudan war 1985 der auch "afrikanischer Gandhi" genannte, 76jährige Religionsführer einer islamischen(!)
Sekte, Mahmud Mohammed Taha, der von seinen Freunden als "einer der frommsten Muslime des Landes"
bezeichnet worden war, hingerichtet worden, weil er – vielleicht in Nachfolge des Kairoer Richters Ali Abd arRazids, der für seine gleichlautenden kritischen Ansichten zwar nicht mit dem Leben aber dem Verlust seines
Amtes büßen musste - für einen liberalen, modernen und säkularisierten Islam in einer laizistischen Gesellschaft
eingetreten war und folgerichtig dann auch die von Präsident Numeiri verfügte Einführung der Scharia wegen
ihrer Hudud-Strafen abgelehnt hatte. Für den frömmelnden Staatspräsidenten und seine islamisch-fundamentalistischen Claqueure waren solche Gedanken todeswürdige Ketzerei gewesen, denn sie sahen darin einen Anschlag auf die von ihnen so verstandene Grundüberzeugung des Islam, "din wa daula" zu sein, d.h. Religion und Staat in einem. Eine – gemäßigten Muslimen durchaus möglich erscheinende - Säkularisierung des Islam wird von allen Fundamentalisten abgelehnt. Die 3.000 Zuschauer der Hinrichtung heizten die Pogromstimmung an mit den Rufen: "Es lebe die Gerechtigkeit - Tod den Abtrünnigen vom Islam!"
Besonnene, liberale Muslime wie "der Gandhi Afrikas" werden ihrer abweichenden religiösen Meinung wegen
gehenkt. Das droht liberalen Muslimen nicht nur im Sudan.
Die angesehene Kairoer Zeitung "Al-Ahram" fragte noch nach der Tötung Mahmud Mohammed Tahas: "Wer
sagt der Welt, dass der Islam unschuldig ist an dem, was einige Moslems in seinem Namen verüben?" Dagegen
forderten Gadd el-Hakk/Gadul-Haq, der vom Staat berufene Mufti (Gutachter besonders in religiösen Rechtsfragen) und Großscheich/Großimam der Kairoer Al-Azahr-Universität (das geistige Zentrum des sunnitischen
Islam) und damit eine der höchsten sunnitischen Autoritäten, und andere Kollegen dieser Professorenschaft mit
Blick auf die Tötung Tahas die Einführung der Scharia auch in Ägypten. Darin werden sie von der radikalen
Moslembruderschaft und anderen radikalen Fundamentalisten wie der Organisation "Heiliger Islamischer
Krieg" unterstützt, die auch für die Ermordung des ägyptischen Staatspräsidenten Anwar el-Sadat 1981 (hauptsächlich wegen des mit dem Erzfeind der radikalen Moslems, Israel, geschlossenen Sonderfriedens von Camp
David) verantwortlich war - und die den Sturz aller arabischen Regierungen und die Wiedererrichtung des
sunnitisch-islamischen Kalifats in einem Gottesstaat, die Umma als wiedererrichtete islamische Ökumene,
auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Die radikalsten Führer der islamischen Fundamentalisten in Algerien, die bei den Kommunalwahlen im
Juni 1990 rund 60 % der Stimmen errungen haben und 1991 die ersten freien Parlamentswahlen gewinnen und
dann das Land in einen islamischen Gottesstaat umwandeln wollten, bekannten sich vor laufender Fernsehkamera zu der Todesstrafe aus religiösen Gründen, weil der Koran für sie das fest Bestehende, das Unveränderliche ist. Genannte Parteiführer wichen zumindest bei Fernsehinterviews einer klaren Antwort bezüglich der
Todesstrafe für den Glaubensabfall aus und ließen sich nur die Stellungnahme abringen, dass ein Glaubensabtrünniger gemäß dem Gesetz der Scharia bestraft werden müsse, wobei Vorbild und Geldgeber für diese reli-
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giösen Eiferer mit ihrer faschistoiden Politisierung des Islam die bigotten, puritanistischen Saudis sind. Im algerischen Wahlkampf wurden von den radikalsten islamischen Fundamentalisten "islamistische" Methoden angewandt, die sich in Ausschreitungen und Gewalt gegen Andersdenkende äußerten, wie sie Europa zur Zeit des
Faschismus erlebt hatte. Darum werden die islamischen Fundamentalisten Algeriens von ihren Gegnern, hauptsächlich der „Nationalen Organisation islamischer Frauen“, als Feinde der Bürger- und Menschenrechte angesehen, denn die Fundamentalisten beharren u.a. auf der mit nicht nachvollziehbaren Argumenten religiös begründeten Vormachtstellung des Mannes in der Familie.
Auch unser Rechtssystem ist von den Auswirkungen der ridda betroffen: Eine Iranerin war nach Deutschland geflohen, hatte hier Asyl beantragt, das in allen Instanzen des Asylverfahrens abgelehnt worden war, so dass sie im Februar 05 in den Iran abgeschoben werden sollte. Im Dezember 04 war sie trotz bisher verlorener Prozesse im Asylverfahren und der deswegen drohenden Zwangsrückführung zum Christentum übergetreten. Nun sollte sie in den Staat
der Mullahs abgeschoben werden, in dem für das Verbrechen der Apostasie die Steinigung vorgesehen ist!
Iranerin soll trotz Steinigungs-Gefahr abgeschoben werden
Niedersachsen
Hannover - Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann beharrt auf der Abschiebung der 24-jährigen
Iranerin, der nach Angaben von Menschenrechtlern in ihrem Heimatland die Steinigung wegen Ehebruchs und
Übertritts zum christlichen Glauben droht. "Sobald die Reisefähigkeit der Frau wiederhergestellt ist, wird sie
abgeschoben", sagte der CDU-Politiker in Hannover. Zahra K. war Donnerstagabend auf dem Frankfurter
Flughafen kollabiert, als sie sich gegen ihre bevorstehende Abschiebung wehrte. Ein Pilot der Lufthansa weigerte sich daraufhin, die 24-Jährige in den Iran auszufliegen. Innenminister Schünemann betonte, daß Niedersachsen nur für den Vollzug der Abschiebung, der Bund aber für das Asylverfahren zuständig sei. Er habe sich
beim Bund erkundigt, ob im Asylverfahren Fragen offen geblieben seien. Die Rechtslage bei der 24-Jährigen
sei jedoch eindeutig. Auch gerichtlich sei mehrfach entschieden worden, daß ihr kein Asyl in Deutschland zustehe.
Nach Angaben des niedersächsischen Flüchtlingsrates wurde die drohende frauenspezifische Verfolgung der
Iranerin im Asylverfahren allerdings nicht berücksichtigt. Die 24-Jährige habe sich erst in der Bundesrepublik
von ihrem Ehemann getrennt und sei auch erst in Deutschland zum christlichen Glauben übergetreten, so die
Begründung. AP
DIE WELT 15.02.05
Darf sie abgeschoben werden?
Zarah Kameli: Der Fall der Iranerin, die Christin wurde.
Von Ludger Fertmann
Göttingen/Hannover - Die Amateuraufnahmen vom Dezember 2004 in einer Göttinger Kirche sind anrührend:
Eine junge Frau wird getauft, andere Menschen legen ihr schützend die Hand auf. Die Szene ist Ausgangspunkt
einer emotionalen Debatte, die jetzt bis in die niedersächsische Landesregierung reicht: Darf man Zahra Kameli
(24) trotz ihres Übertritts vom Islam zum christlichen Glauben in ihre Heimat Iran abschieben?
Ein erster Abschiebeversuch ist in der vergangenen Woche spektakulär gescheitert: Der Lufthansa-Pilot in
Frankfurt weigerte sich, die völlig aufgelöste junge Frau gegen ihren Willen mitzunehmen. Jetzt liegt sie in einer Frankfurter Klinik. Das zuständige Bundesamt will sie abschieben, sobald die Ärzte grünes Licht geben. Ihr
Ehemann ist mit der gemeinsamen Tochter bereits freiwillig in den Iran zurückgekehrt.
Was viele Unterstützer von Landesbischöfin Margot Käßmann bis zum DGB-Landeschef Hartmut Tölle auf die
Barrikaden treibt: Nach ihrer Einschätzung droht der Frau im Iran wegen Ehebruchs (sie lebt mit ihrem neuen
iranischen Freund zusammen) und wegen des Übertritts zum Christentum die Todesstrafe durch Steinigung.
Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hat bis gestern - ausdrücklich mit Rückendeckung von Ministerpräsident Christian Wulff - auf Recht und Gesetz gepocht: Er habe keine Handhabe, sich über das für Asylverfahren
zuständige Bundesinnenministerium hinwegzusetzen. Doch gestern machten zunächst die CDU-Minister Ursula
von der Leyen (Soziales) und Bernd Busemann (Kultus) Front dagegen, dann debattierte die CDU-Fraktion
mehr als eine Stunde lang "hoch emotional", wie ein CDU-Sprecher umschrieb. Die Konsequenz: Nun sind
Landesregierung und Fraktion für eine neue Überprüfung durch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD).
Menschenrechtsorganisationen beklagen schon seit Tagen ein "Schwarzer-Peter-Spiel" zwischen Bund und
Land um die Frage einer Ausnahme. Problem der Behörden: So spektakulär der Fall auch durch die Fernsehbilder geworden ist, so alltäglich ist die Problematik. Nur ein Bruchteil der Asylbewerber wird auch anerkannt,
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weil sie daheim politische Verfolgung fürchten müssen. Wer aber aus wirtschaftlichen Gründen kommt, soll
abgeschoben werden, um die Zahl der Nachahmer zu drosseln.
Tatsächlich liest sich das Protokoll der Stationen von Zahra Kameli ganz typisch: Im Jahr 2000 die Einreise mit
dem Ehemann, im Jahr darauf die Geburt der Tochter Atosa, Ablehnung des Asylantrages. Mehrere Klagen dagegen sind erfolglos, auch ein Asylfolgeantrag scheitert, ebenso erfolglos ist die Prüfung von Abschiebehindernissen. Verkündung der Abschiebung und schließlich Abschiebehaft vom 31. Januar 2005 an. Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat, so versichert ein Sprecher, natürlich auch "zielstaatenbezogene Hindernisse im
Iran" geprüft, ehe es die Abschiebung verfügte. Gestützt auf Auskünfte des Auswärtigen Amtes und des OrientInstituts, sah das Gericht keine Gefahr, daß die Frau für den Ehebruch oder den Glaubenswechsel werde büßen
müssen.
Ein Einlenken der Politik würde nun also das Gericht ins Unrecht setzen - und zudem wie ein Eingeständnis
von vorangegangener Herzlosigkeit wirken. Aber auch umgekehrt ist der Druck groß: Schünemann mußte sich
bereits die Frage gefallen lassen, ob er zurücktrete, wenn Zahra nach ihrer Abschiebung im Iran getötet werde.
HH A 16.02.05
Die islamischen Fundamentalisten lehnen die Charta der Menschenrechte ab. Deswegen bekämpfen sie ja auch
die iranische Rechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin 2003 Schirin Ebadi, die die Meinung vertritt: „Am
wichtigsten ist nicht, welche Religion, Sprache oder Kultur man hat, sondern dass man an die Menschenrechte
glaubt.“ Die hoffentlich bald die Welt umspannende Richtschnur der Menschenrechte wird von ihnen wegen ihres
abendländischen Ursprungs als "kulturelle Invasion" oder als "Kulturimperialismus" verunglimpft. Die Rechte in
der Scharia seien göttlichen Ursprungs, die Charta der Menschenrechte dagegen ist Menschenwerk, und der
Mensch irrt sich, Gott aber irrt nie! Ein bekannter ägyptischer Leitartikler verstieg sich zu dem frösteln machenden
plakativen Satz: "Die Rechte des Islam stehen über den Menschenrechten."
Da der Mensch - auch im Aufbau seines Rechtswesens - irrt, Gott aber nie, muss es auch ein schwerer menschlicher
Irrtum sein, dass in der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN" vom 10.12.1948, die mit 48 gegen 0
Stimmen bei Stimmenthaltung von 8 Ostblockstaaten, Südafrikas und Saudi-Arabiens angenommen worden war, in
Art. 18 geregelt ist: "Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht
umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder
seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden."
Im Mittelalter war der Islam dem Christentum in Fragen der Toleranz gegenüber Andersgläubigen weit überlegen.
Das kann sich ins Gegenteil verkehren. Die islamische Welt befindet sich auf einem erschreckenden Weg zurück in
die Intoleranz und ins (straf-)rechtliche Mittelalter! Mit der Begründung, dass ein Glaubensabfall vorliege,
wird natürlich auch Politik gemacht: Als Saddam Hussein Kuwait überfallen hatte, erklärte Sajjid Tantawi, als Mufti
in Ägypten eine der obersten sunnitischen Glaubensinstanzen in islamischen Rechtsfragen, den Iraker zu einem Abtrünnigen vom wahren Glauben. Der Überfall auf Kuwait habe den Diktator von Bagdad zum "Wegelagerer" gemacht. Darauf stehe in dem göttlichen Gesetz der Scharia der Tod. Darum rief Tantawi in Mekka zum Dschihad
gegen Saddam Hussein auf.
Dem Abfall vom Glauben scheint die „Verunglimpfung“ des Islam gleichgestellt zu sein, obwohl man den Glauben
ja verunglimpfen könnte, ohne (gänzlich) von ihm abzufallen. Wegen Verunglimpfung des Islam war ja Salman
Rushdie in einem Fatwa Khomeinis zum Tode verurteilt worden. In diesen Bereich gehört wohl auch die Meldung
vom 08.05.98, dass der katholische Bischof und führende Menschenrechtler Pakistans, John Joseph, aus Protest
gegen ein Todesurteil an einem Christen wegen dessen angeblicher Verunglimpfung des Islam Selbsttötung begangen habe!
Die - jedenfalls oberflächlich – liberale niederländische Gesellschaft wurde 2002 und 2004 durch zwei Morde an im
politischen Meinungsstreit stehenden Menschen erschüttert. Den letzten politisch motivierten Mord hatte es davor
vor 400 Jahren gegeben. Im Mai 2002 war der mit Bedacht provozierend politisch »unkorrekte« - und zwei Jahre
nach seiner Ermordung und kurz nach der Ermordung des umstrittenen und ebenfalls provozierenden Filmemachers
van Gogh vermutlich als bewusste Kampfansage gegen Minderheiten und insbesondere »die Muslime« noch vor u.a.
dem Staatsgründer Wilhelm von Oranien oder einem der über Jahrhunderte für bedeutsam erachteten Künstler wie
Rembrandt, van Gogh u.a. zum größten Niederländer aller Zeiten gewählte - Rechtspopulist Pim Fortuyn (nicht von
einem Muslim, sondern von einem linken niederländischen Tierschützer) ermordet worden. Ende 2004 war als zweites Opfer eines Attentats ein Ur-Großneffe des Malers van Gogh auf offener Straße von einem islamistischen Ams-
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terdamer marokkanischer Herkunft durch Schüsse und Durchtrennen der Gurgel regelrecht hingerichtet worden,
nachdem der Filmemacher prononciert gegen Muslime Front gemacht und insbesondere in den Niederlanden lebende
Marokkaner immer wieder gerne als "Geitenneuker" (Ziegenficker44) und Mohammed - vielleicht ja im Hinblick auf
das handfeste Verhalten von Luden gegenüber ihren unwilligen Bordsteinschwalben, die sie dann mit Schlägen wieder auf Kurs bringen, und der im Koran empfohlenen Prügel für ungehorsame Frauen - als einen „Zuhälter Allahs“
bezeichnet hatte. In einem Kurzfilm zeigte er u.a. Koransuren auf einem durchsichtigen Gewand einer wohlgebauten,
mit Kopftuch bekleideten Muslimin. Als der niederländische Künstler und Provokateur Theo van Gogh auf einer
Straße in Amsterdam mit sieben Kugeln vom Fahrrad geschossen wurde, geschah genau das, was er vor einem Jahr
prophezeit hatte: "Ich werde auf der Straße ermordet." Er, der bekannteste Kritiker des islamischen Fundamentalismus in seinem Land, hat immer gewusst, was er tat. Und er wusste wohl auch, was ihm eines Tages dafür blühen
würde (HH Abendblatt 11.11.04). Ein Kommentar zu dem Mord lautete: „Die ’taz’ schrieb, der Mord an Theo van
Gogh sei zwar abscheulich, aber er habe ja den Islam diffamiert und Koranverse auf nackte Frauen projiziert. Deswegen sei er kein Held der Meinungsfreiheit. Was war er dann? War er selbst schuld an seinem Mord, weil er religiöse Gefühle verletzte? Todesstrafe gibt es in der EU nicht - weder durch den Staat, noch durch gekränkte Gläubige.
Zu relativieren ist da nichts.“
Van Gogh hatte gegen eine verkehrte Toleranz fürs Intolerante und gegen die Feigheit der Zivilgesellschaft angesichts muslimischer Forderungen nach Privilegien, Kleiderordnungen, Sondersitten mit zuletzt großer Vehemenz
gestritten (FAZ 11.11.04). Der Kolumnist und Regisseur legte sich vor allem mit fundamentalistischen Moslems
deswegen an, weil er durch deren engstirnige Auslegung des Korans die geistige Freiheit in seinem eigenen Land in
Gefahr sah. Gemeinsam mit der niederländischen Parlamentarierin Ayaan Hirsi Ali, die als junges Mädchen vor
ihren islamischen somalischen Eltern in die Niederlande geflohen war und dort nach ihrer Konversion zum Christentum diese "rückständige Religion" des Islam bekämpft, drehte van Gogh den Film "Submission" (Unterwerfung), der
die Unterdrückung der Frau im Islam thematisierte. Womöglich war dies der Auslöser für den Mord an ihm, denn
der Täter hinterließ einen Drohbrief gegen Ayaan Hirsi Ali. Dieser Drohbrief, der vermutlich auch wegen des für
todeswürdig erachteten Verbrechens des Abfalls vom Islam so hasserfüllt ausgefallen ist, gibt Einblick in den Wertekanon und die Denkstrukturen dieser die Toleranz unserer westlich-demokratischen Gesellschaften ausnutzenden
islamistischen Fanatiker, die mitten unter uns leben können und trotz ihrer Berührung mit unserer Kultur das Toleranzgebot der westlichen Demokratien missachten und ihren archaischen menschenmordenden Glaubensgesetzen
folgen. Aber wer so denkt, sollte doch in sein islamisches Land zurückgehen und unter seinen Glaubensbrüdern
leben!
"Euer aller Ende naht"
Offener Brief des Mörders von van Gogh an Hirsi Ali
Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers, (...) es gibt keine Aggression außer gegen den Aggressor. Dies
ist ein offener Brief an die ungläubige Fundamentalistin Ayaan Hirsi Ali:
Liebe Frau Hirsi Ali, seit Ihrem Eintritt in die politische Arena Hollands haben Sie Moslems und den Islam mit
Ihren Worten terrorisiert. Sie sind nicht die erste und werden nicht die letzte sein, die sich einreiht in den
Kreuzzug gegen den Islam. Mit Ihrem Abfall vom Glauben haben Sie nicht nur der Wahrheit den Rücken gekehrt, sondern marschieren an der Seite der Soldaten des Bösen.
Sie machen keinen Hehl aus Ihrer Feindschaft zum Islam. Ihre neuen Herren haben Sie dafür mit einem Sitz im
Parlament belohnt. In Ihnen haben sie einen Mitstreiter im Kreuzzug gegen den Islam und die Moslems gefunden - ein Mitstreiter, der ihnen die schmutzige Arbeit abnimmt. Erblindet vom Feuer der Ungläubigkeit, das in
Ihnen wütet, können Sie nicht erkennen, daß Sie nur ein Instrument der wahren Feinde des Islams sind. Sie
werden benutzt, um diverse Feindseligkeiten gegen den Islam und unseren hochverehrten Propheten Mohammed, den Gesandten Gottes, auszuspucken. Ich mache Sie nicht für all das verantwortlich, als Soldatin des Bösen tun Sie nur Ihre Arbeit. Daß Sie Ihren Haß öffentlich ausspucken können, ist Schuld der Islamischen Gemeinschaft (Umma). Sie hat ihren Widerstand aufgegeben gegen die Ungerechtigkeit und verharrt im Tiefschlaf. Dieser Brief ist ein Versuch, Ihre Bosheit ein für allemal zum Schweigen zu bringen. Diese geschriebenen Worte werden - so Gott will - Ihnen die Maske vom Gesicht reißen. (...)
44
Van Goghs Lieblingsbezeichnung für einen radikalen Moslem war "geitenneuker" (Ziegenficker). Darauf gekommen war er
anscheinend durch ein Büchlein oder eine/n Fatwa Ayatollah Khomeinis, der geschrieben haben soll, dass ein Moslem, wenn
er Geschlechtsverkehr mit einem Kamel, einem Schaf oder einer Ziege gehabt habe, das Tier schlachten müsse und das
Fleisch nicht in seinem eigenen Dorf verkaufen dürfe, wohl aber im Nachbardorf.
Ich weiß nicht, ob diese Vorschrift wirklich Khomeinis Werken entnommen ist, doch van Gogh hielt sie für wahr.
129
Es ist eine Tatsache, daß die niederländische Politik von Juden dominiert wird. (...) Sie waren so feige, von
moslemischen Schulkindern zu verlangen, sich zwischen ihrem Schöpfer und ihrer Verfassung zu entscheiden.
Sie haben die Antworten dieser jungen, reinen Seelen sofort mißbraucht, um Ihren Kreuzzug zu rechtfertigen.
Mit dieser Feindseligkeit haben Sie einen Bumerang geworfen - und Sie wissen, es ist nur eine Frage der Zeit,
bis er zurückkommen und Ihr Schicksal besiegeln wird. (...) Der Tod ist aller Existenz gemeinsam. Es wird der
Tag kommen, an dem die Seele der anderen nicht mehr helfen kann. Ein Tag voller Folter und Sturm. Der Tag,
an dem aus den Mündern der Ungerechten lange Schreie erklingen. Menschen, betrunken vor Angst. ANGST
wird den großen Tag erfüllen. (...) Als ungläubiger Fundamentalist glauben Sie natürlich nicht an die Macht eines höheren Wesens. Sie glauben nicht, daß Ihr Herz das höhere Wesen um jeden Schlag bitten muß. Sie glauben nicht, daß Ihre Zunge Untertan der Gesetze des höheren Wesens ist. Sie glauben nicht, daß Leben und Tod
von ihm kommen.
Wenn Sie all das glauben, was Sie glauben, dann wird die folgende Herausforderung eine leichte für Sie sein:
Ich fordere Sie heraus zu beweisen, daß Sie Recht haben. Sie müssen dazu nicht viel tun, Frau Hirsi Ali: Wünschen Sie sich den Tod, wenn Sie so überzeugt von Ihrem Recht sind. Wenn Sie das aber nicht tun, sollen Sie
wissen, daß mein Meister, das höchste Wesen, Sie demaskieren wird als Ungerechte. (...) Sie und Ihre Kumpanen wissen, daß die islamische Jugend ein Rohdiamant ist, der geschliffen werden muß, um das übergreifende
Licht der Wahrheit zu verbreiten. Ihr intellektueller Terrorismus wird uns nicht stoppen, sondern anspornen.
Der Islam erobert mit dem Blut der Märtyrer. (...) So wie der Prophet einst gesagt hat: "Ich weiß Pharao, daß
dein Ende naht", so wollen wir die gleichen Worte gebrauchen: "Ich weiß, Amerika, daß dein Ende naht! Ich
weiß, Europa, daß dein Ende naht! Ich weiß, Niederlande, daß dein Ende naht! Ich weiß, Hirsi Ali, daß dein
Ende naht! Ich weiß, oh Ungläubige, daß Euer aller Ende naht!" DW (DIE WELT 09.11.04)
Als der tote van Gogh unter einem Tuch noch auf der Straße lag, schrien jugendliche Marokkaner "Wir sind die
Taliban." Und ein anderer rief: "Gut, dass der Gotteslästerer tot ist." (HH Abendblatt 11.11.04).
(Nach dem Auffinden des mit einem Messer an die Leiche gehefteten Drohbriefs ist Ayaan Hirsi Ali sofort unter
Polizeischutz gestellt worden und untergetaucht. Sie hat ihr Parlamentsmandat noch einige Zeit ausgeübt, ist dann
aber später, als eine entdeckte Schummelei in ihren Angaben bei der Einreise in die Niederlande zur Aberkennung
ihres niederländischen Passes geführt hat, in die USA ausgewandert.)
Im März 2006 empörte sich die nicht-islamische Welt, weil der Afghane Rahman, der 16 Jahre lang in Deutschland
gelebt hatte und hier zum Christentum übergetreten war, nach seiner – erzwungenen? – Rückkehr nach Afghanistan
insbesondere auf Betreiben führender afghanischer Geistlicher wie des Chefpredigers der Hadschi-Jakob-Moschee
und sogar als gemäßigt geltender Geistlicher wie des sich gegen die Taliban gewandt habenden Abdul Raulf – Raulf:
Rahman für unzurechnungsfähig zu erklären, um ihn so vor der Verurteilung nach dem Gebot der Scharia zu retten
sei eine "… Demütigung für den Islam. Sein Kopf sollte abgeschnitten werden." - in Kabul von der Staatsanwaltschaft wegen seines Abfalls vom Glauben durch den erfolgten Übertritt zum Christentum angeklagt worden war. Der
Staatsanwalt forderte entsprechend der Scharia die Todesstrafe für die Konversion zum Christentum. Da Afghanistan
in seiner Verfassung die Menschenrechte mit u.a. der Freiheit zum Religionswechsel anerkennt und ausländische
Truppen »der Christen« aus insbesondere den USA und Deutschland die Freiheit des Landes vor der TalibanHerrschaft sichern, wäre schon eine Verurteilung, geschweige denn eine Hinrichtung, des konvertierten Afghanen
nicht hinnehmbar gewesen. Die gesamte afghanische Regierung musste lange daran arbeiten, dass eine das Gesicht
der unabhängigen Justiz wahrende Lösung für das Problem gefunden worden war und der durch Extremisten weiterhin gefährdete Rahman ausreisen durfte. Vielleicht weil der Papst interveniert hatte, hatte Italien – ebenso wie
Deutschland – Asyl angeboten.
Warum wird aber zum Christentum konvertierten Muslimen aus radikalen Heimatländern dann bei uns nicht gleich
Asyl gewährt? Warum werden sie aus Deutschland mit allem zur Verfügung stehenden Zwang erst einmal ausgewiesen?
Übertritt zum Christentum schützt nicht vor Abschiebung
Mannheim (dpa). Der Übertritt zum christlichen Glauben schützt nicht vor der Abschiebung. Das hat der
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) in Mannheim in einem veröffentlichten Urteil entschieden.
Im vorliegenden Fall hatte ein iranischer Staatsbürger im Jahr 2001 einen Asylantrag mit der Begründung gestellt, er werde als Sympathisant der Volksmudschahedin politisch verfolgt. Das wurde von den zuständigen
Stellen für unglaubwürdig befunden. Während des Asylverfahrens trug er vor, zum christlichen Glauben übergetreten zu sein und nun der baptistischen Gemeinde anzugehören. Zu deren Selbstverständnis gehöre es, zu
missionieren. Das sei aber im Iran strengstens verboten.
130
Allgäuer Zeitung 26.07.05
Auf die paar Leute, die mit dem Argument des Übertritts zum Christentum bei uns ein sie vor dem möglichen Tod in
ihrem Heimatland schützendes Aufenthalts- und Bleiberecht erlangen würden – es würden nicht viele Muslime vom
»wahren Glauben« ihrer Väter abfallen, und wenn sie es nur aus dem Grund täten, um sich durch ein juristisches
Hintertürchen eine Aufenthaltsberechtigung zu erschleichen -, kommt es gewiss nicht an! Die können wir als auf den
Grund- und den Menschenrechten und damit auch auf religiöser Toleranz gegründeter Staat verkraften!
b) Genuss berauschender Getränke (Schurb al-Khamr)
Hierfür werden je nach Rechtsschule 40 bis 80 Peitschenhiebe als tat- und schuldangemessen angesehen. Die Auspeitschungen können speziell geregelt sein. So regelt das islamische Strafgesetzbuch des Irans von 1982 in Artikel
115: "Ein Mann wird überall am Körper, außer an Kopf, Gesicht und Geschlechtsteilen gepeitscht, während er steht
und sein Körper nackt ist. Eine Frau dagegen wird ausgepeitscht, während sie sitzt und ihr Kleid an ihren Körper
gebunden ist."
„Iran: 19-Jähriger wegen Alkoholgenuss zum Tode verurteilt
Zum Tod durch den Strang wurde im Iran ein 19-Jähriger verurteilt. Sein Verbrechen - Er habe Alkohol getrunken.
Der Jugendliche wurde insgesamt drei Mal des Alkoholgenusses überführt, worauf im Iran nach islamischem
Recht die Todesstrafe steht.
Doch noch gibt es Hoffnung für den 19-Jährigen. Nach einer Entschuldigung und der Beteuerung, nie mehr Alkohol zu trinken, wird sein Fall überprüft.“ (Internet-Meldung Januar 2003)
Auch wenn keine berauschenden Getränke eingenommen worden sind, kann im Iran die zum Tode führende Auspeitschung verhängt werden:
Iran: 14-Jaehriger isst trotz Ramadan - Polizisten schlagen ihn tot
Zu dem plötzlichen Tod eines 14-jaehrigen Jungen aus dem westlichen Iran sind neue Informationen ans Tageslicht gekommen. Der Junge hatte am 12. November trotz des heiligen Ramadans in der Öffentlichkeit
Nahrung zu sich genommen.
Dafür wurde er von der Militärpolizei mit 85 Peitschschlägen bestraft, wobei der hintere Teil seines Kopfes
zertrümmert wurde. Derartige Bestrafungen für auf die Fastenzeit bezogene Verstöße sind im Iran
üblich.
Das nun veröffentlichte Obduktionsergebnis zeigt, dass der 14-Jaehrige an einer Gehirnblutung verstarb, die
durch einen Schlag gegen den Hinterkopf hervorgerufen wurde.
(stern shortnews 27.11.04)
c) Illegitimer Geschlechtsverkehr (Zina)/ Unzucht
Unzucht wird als gravierender angesehen als Sodomie, die im Gegensatz zu den Auffassungen der Christen und
Juden der damaligen Zeit nur von schlechtem Geschmack und Gefühlsverrohung zeuge und darum mit einer wesentlich leichteren Strafe bedroht ist.
Wer schon verheiratet gewesen war, wird bei bei gerichtlich festgestelltem Vorliegen von Unzucht gesteinigt. Unverheiratete, denen geschlechtliche Erfahrungen fehlen (sollten), werden als Mann oder Frau gleichermaßen mit 100 Hieben ausgepeitscht. Die schuldige Person darf außerdem keinen guten und gläubigen Partner
mehr heiraten. Eine unverheiratete Frau, die mit einem verheirateten Mann Unzucht treibt, wird im Haus festgehalten. Im umgekehrten Fall wird der unverheiratete Mann für ein Jahr verbannt.
Wie der Fall Hofer gezeigt hatte, in dem ein Hamburger Geschäftsmann fälschlich des illegitimen Geschlechtsverkehrs zu einer unverheirateten iranischen Medizinstudentin im Iran bezichtigt worden war – Hofers Anwältin gab der
deutschen Presse bekannt: die Frau will in der Nacht sechsmal mit Hofer Geschlechtsverkehr gehabt haben, bei der
ärztlichen Untersuchung wurden aber nur leichte Abschürfungen (von wo weiß her) an ihrem noch vorhandenen
Jungfernhäutchen festgestellt - steht dieses Delikt unter der Drohung der Todesstrafe. Für die Fällung eines Todesurteils wäre aber Voraussetzung gewesen, dass entweder beide Seiten das Verhältnis bestätigt hätten, oder das Zeugnis
von vier angesehenen Muslimen darüber, dass sie das nach der Scharia strafwürdige Verhalten beobachtet hätten.
Hofer hatte das ihm (möglicherweise wegen des Mykonos-Urteils aus politischen Gründen = seine kaschierte Geisel-
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nahme für die Entlassung der iranischen Mörder aus deutscher Strafhaft) unterstellte Verhalten stets bestritten, und
Augenzeugen gab es auch nicht.
(Hofer, vorher schon verheiratet gewesen mit einer muslimischen Türkin, machte außerdem geltend, dass er durch
seine Ehe zum Islam übergetreten sei. Und während seiner Haft bekehrte er sich zum schiitischen Islam und nahm
den Namen des achten schiitischen Imams, Resa, an; der in Maschhad in der Gohar-Schad-Moschee begrabene Resa
ist einer der berühmtestens Märtyrer des schiitischen Islam.)
Wenn die Natur sich Bahn bricht und auch nicht durch noch so rigide Gesetze gestoppt werden kann, dann muss halt
eine juristische Konstruktion zur Umgehung des Verbotes des illegitimen Geschlechtsverkehrs her: Im Iran sahen die
Mullahs sich gezwungen, "vorübergehende Ehen" zuzulassen, gegen Gebühr, in eigens für diese Zwecke bestimmten
Gebäuden, die bei uns im von den Schiiten verachteten korrupten Westen als Bordelle bezeichnen werden.
d) Fälschliche Bezichtigung des illegitimen Geschlechtsverkehrs, Rufmord (Qadhf)
Der Verleumder erhält 80 Peitschenhiebe.
Im Jahre 2002 sind Mitglieder der iranischen Fußballnationalmannschaft wegen eines Bordellbesuches mit zwischen
70 und 170(!?!) Stockschlägen bestraft worden.
e) Ehebruch
Hierauf steht die Todesstrafe, wenn er durch Geständnis nachgewiesen wurde. Im schiitischen Rechtskreis des Iran,
dem größten Schiitenstaat der moslemischen Welt, in dem die Einführung der Scharia als "höchste Errungenschaft"
der islamischen Religion angesehen wird, sind - wie zu Beginn der arabisch-islamischen Herrschaft - von den etwa
600 der circa 2500 Richter, also etwa ein Viertel, Geistliche. Sie wachen penibel über die strenge Einhaltung der
Scharia. Im Zuge der Islamischen Revolution des Großajatollah Khomeini wurde durch den Gesetzgeber genau geregelt, wie die Steinigung der Ehebrecher durchzuführen sei: Der Mann wird bis zu den Hüften, die Frau bis zur
Brust in eine Grube gestellt. Die verwandten Steine sollen nicht zu klein, aber auch nicht zu groß sein, damit der
Delinquent nicht gleich durch den ersten Stein getötet werde. Er soll von seiner Steinigung ein bisschen was haben!45
Liegt kein Geständnis, aber die belastende Aussage von vier Zeugen vor, so bestimmt der Koran für eine verheiratete Frau, dass sie im Hause festgehalten werden solle, "bis der Tod sie abberuft, oder Gott ihr einen Ausweg
verschafft." Einige Rechtsgelehrte vertreten die Auffassung, dass die körperliche Strafe für den Ehebruch eigentlich
nicht eine Strafe für das Sexualvergehen an sich sei, sondern vielmehr dafür, dass dieses Delikt mehr oder minder öffentlich begangen worden ist, sonst wären nicht mindestens vier Zeugen für die Überführung der Missetäter erforderlich. Darum könne diese Strafe von den meistens fehlenden tatsächlichen Gegebenheiten her gar nicht häufig verhängt werden.
2002 ist im islamischen Norden Nigerias eine 35-jährige Frau zum Tode durch Steinigung verurteilt worden, weil sie
Ehebruch begangen hätte: Die Frau hatte sich ein Jahr zuvor von ihrem Ehemann scheiden lassen, weil er sie und
ihre beiden Kinder nicht hatte unterhalten können, und war zu ihrem Vater zurückgekehrt. Die Frau ist nach ihrer
Aussage dann – noch vor Einführung der Scharia in ihrem Bundesstaat - von einem 60-jährigen viermal im Busch
überfallen und vergewaltigt worden. Sie wurde schwanger und daraufhin wegen Ehebruchs angeklagt. Die Frau war
so verängstigt, dass sie zunächst von der Vergewaltigung nichts sagte.
Nach dem vorstehend Gesagten hätte keine Verurteilung erfolgen können, weil keiner der Beteiligten ein Geständnis
ablegte, noch vier männliche Zeugen den begangenen Ehebruch bestätigten. Die meisten der elf Bundesstaaten im
Norden Nigerias, die die Scharia einführten, haben jedoch im Laufe der Zeit die Maliki-Tradition angenommen. Es
ist eine der strengsten Koran-Interpretationen. Nach dieser Rechtsschule reicht eine Schwangerschaft als Beweis für
eine sexuelle Verfehlung aus. Die Rechtsfolge: Sex zwischen Unverheirateten wird mit Schlägen bestraft. Doch
wenn einer der Beischlafpartner verheiratet ist oder verheiratet war, gilt dieses als todeswürdiger Ehebruch. Da es
keine Zeugen für die Tat gab, wurde der Vergewaltiger freigelassen, die ehemals verheiratete Frau aber wurde auf
45
Der Islamwissenschaftler und -kritiker H.-P. Raddatz bemängelt in der WELT (17.01.06), dass die deutsch-iranische Orientalistin Amirpur „einst zur Diskussion gestellt (habe), ob als Strafe für den Ehebruch statt der Steinigung eventuell das Hängen
eine humanere Alternative sein könnte“.
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Grund ihrer Schwangerschaft zum Tode durch Steinigung verurteilt! Nur weil zum Zeitpunkt der Tat die Scharia
noch nicht eingeführt gewesen war, wurde die Frau in einer Berufungsverhandlung freigesprochen.
Eine andere Frau aber, die nach Einführung der Scharia schwanger wurde, wurde in Haft genommen und zum Tod
durch Steinigung verurteilt.
„Urteil
Amina Lawal wird gesteinigt
Nairobi – Das Steinigungsurteil gegen die Nigerianerin Amina Lawal (32) soll nun doch vollstreckt werden.
Ein Scharia-Gericht hatte die Mutter der kleinen Wasila im Vorjahr wegen Ehebruchs verurteilt. Zwar wurde
die Todesstrafe aufgeschoben, damit sie ihr Kind stillen konnte. Nun wurde die Exekution aber auf den 3. Juni
festgesetzt. Die Frau war zwei Jahre nach ihrer Scheidung schwanger geworden. Nach islamischen Recht in
dem afrikanischen Staat gilt das als Ehebruch. Der Vater bekannte sich nicht zu dem Kind und wollte Amina
auch nicht heiraten. Amnesty International sammelt Unterschriften, um sie zu retten. (HA)“ (HH A 20.05.03)
TODESSTRAFE
Frau in Afghanistan wegen Ehebruchs gesteinigt
Erstmals seit dem Sturz der radikal-islamischen Taliban ist in Afghanistan wieder eine Frau wegen Ehebruchs zu
Tode gesteinigt worden. Die 29-Jährige sei auf der Grundlage einer Gerichtsentscheidung öffentlich gesteinigt
worden, teilte die Polizei mit.
Faisabad - Ein Ermittlungsteam sei in die abgelegene Region in der Provinz Badachschan westlich der Stadt
Faisabad entsandt worden, um den Vorfall zu untersuchen.
Ein Augenzeuge berichtete der Agentur Reuters, due Frau sei von Behördenvertretern und ihrem Ehemann aus
dem Haus ihrer Eltern gezerrt und anschließend gesteinigt worden. Der Mann, mit dem sie den Ehebruch begangen habe, sei mit 100 Peitschenhieben bestraft und dann freigelassen worden.
Ehebruch ist im dem moslemischen Land verboten und kann unter islamischen Recht, der Scharia, mit Strafen
belegt werden, die von Auspeitschen bis zu Steinigung zum Tode reichen. Unter der Taliban waren diese Strafen
in Afghanistan üblich. Die Steinigung ist allerdings der erste Fall seitdem Präsident Hamid Karsai an der Macht
ist. ... (SPIEGEL ONLINE 26.04.05)
f) Homosexualität
Die Strafen hierfür schwanken je nach Rechtsschule und reichen bis zur Hinrichtung.
Im Irak des Saddam Hussein wurden der Homosexualität Verdächtigte(!) an Händen gefesselt von Hausdächern
gestoßen.
g) Diebstahl (Sariga)
An der Bestrafung des Diebstahls lässt sich verdeutlichen, dass die Anwendung der von uns Europäern als grausam
empfundenen Hudud-Strafen bei allen traditionellen Delikten oft an vielfältige Voraussetzungen gebunden ist.
Eine Unzahl von Ausnahmen und Einschränkungen soll ihre Anwendung oft ausschließen. Im Falle eines für
erwiesen angesehenen Diebstahls wird bei Erstbegehung mit der Amputation der rechten Hand,
im Wiederholungsfall mit der Amputation des linken Fußes als Strafausspruch reagiert, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Der Dieb muss erwachsen und vollsinnig sein, wegnehmen, woran er zumindest kein Miteigentum hat, dabei muss es sich um sowohl wertvolle als auch gut verwahrte Sachen handeln, und schließlich darf der
Diebstahl nicht aus Not, wie z.B. aus Hunger, begangen worden sein. Außerdem müssen eventuelle Zeugen einem
hohen moralischen Qualitätsstandard genügen. Solche anstrengenden Voraussetzungen kennt das deutsche Strafrecht
nicht. Da kommt man leichter zu einer Verurteilung wegen Diebstahls! Trifft irgendeine dieser Voraussetzungen
tatbestandsmäßig nicht zu, kommen Straftäter mit einer leichteren Strafe oder ganz straflos davon. Deswegen wird
die Meinung vertreten, dass das islamische Strafrecht von großer, ja übertriebener Milde sei. Es scheine geradezu
darauf angelegt zu sein, Verbrecher laufen zu lassen. Am Beispiel des Diebstahls dargestellt, bedeutet das: Ist einer
der Mittäter einer Diebesbande geisteskrank, so kann keiner bestraft werden. Wird bei einem Einbruch die Beute
hinausgereicht und nicht, wie in der Definition des Einbruchsdiebstahls gefordert, hinausgetragen, so ist der Tatbestand nicht erfüllt. Und wie im europäisch geprägten Recht schließt Tatbestandslosigkeit eine Bestrafung aus. Das
Ergebnis ist eine eingeschränkte Anwendbarkeit der Hudud-Strafen.
Dazu eine Zeitungsmeldung vom 14.06.91: "Keine Hand abgehackt (dpa Islamabad) - Das höchste islamische Gericht Pakistans hat einem wegen Diebstahls verurteilten Mann das Abhacken einer Hand, wie sie das islamische
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Strafrecht Scharia vorsieht, erspart und ihn statt dessen zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht
war der Auffassung, dass die aufgebotenen Zeugen nicht den Anforderungen der Scharia - hohe moralische Qualität
und Würde - genügten."
Erstaunlich ist die Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe, da die Scharia gar keine Freiheitsstrafen kennt.
(Das langjährige häusliche Einsperren von Frauen wurde von den Männern nie als eine Art der Freiheitsstrafe empfunden.)
Trifft keine der Ausnahmeregelungen zu, dann wird allerdings meistens mit der vollen Härte des Gesetzes gestraft,
denn dem Richter stehe es nach ganz überwiegender Auffassung nicht zu, die im göttlichen Gesetz festgelegten Strafen zu verändern.
Einige Rechtsgelehrte vertreten die Mindermeinung, dass das bei Vorliegen eines Diebstahls üblicherweise praktizierte Abhacken der Hände keine zwangsläufig zu verhängende Straffolge sei. Zur Begründung wird argumentiert:
Das arabische Wort für die bei Vorliegen eines Diebstahls zu verhängende Strafe heiße "qata'a yad". Aber die Bedeutung dieses Ausdrucks sei nicht festgelegt, denn der Koran sei in einer (vieldeutigen) Sprache abgefasst, die bei
veränderten Verhältnissen und verschiedenen Situationen neue, sich nicht widersprechende Bedeutungen zulasse. So
werde "qata'a yad" oft mit "Abhacken der Hand" gedeutet. Aber dieses sei nur eine der möglichen Bedeutungen
dieses Ausdrucks, der (theoretisch) auf ein weites Spektrum von Anwendungsbereichen dehnbar sei, denn "qata'a"
heiße auch, "jemanden durch Argumente zum Schweigen bringen", und "yad" stehe für die Fähigkeit und das Können, etwas auszuführen. Somit würde "qata'a yad" auch bedeuten können, "jemanden daran hindern, eine gewisse Tat
zu begehen", oder solche Maßnahmen zu treffen, dass er die Tat nicht begehen könne. Also müsse man dem Dieb die
Freiheit nehmen, immer wieder Diebstahl zu begehen - eine Überlegung, die eigentlich erst bei Wiederholungstätern
angestellt werden kann -, und jede derartige Maßnahme würde unter "qata'a yad" fallen, z.B. auch Einkerkerung (die
die Scharia aber gar nicht kennt). Wenn die Verhältnisse es erforderten, den Ausdruck wörtlich zu nehmen, dann sei
darauf zu achten, dass die strenge Strafe als Maximalstrafe nur bei unverbesserlichen Ausnahmefällen anwendbar
sei.
Leider spricht die Realität der abgehackten Hände eine andere, eindeutigere Sprache als die vieldeutige des Korans. Wegen des göttlichen Rückbezuges der Hudud-Strafen reagierten die Saudis nach Aufdeckung eines in ihrem
Land durch deutsche Firmenmonteure begangenen Diebstahls und der daraufhin ausgesprochenen Strafe der Handamputation verärgert, als das Auswärtige Amt mit dem Ziel der Abschiebung der Deutschen vor Vollstreckung der
Strafe zu intervenieren versuchte. Die Saudis konnten nach ihrem religiösen Selbstverständnis nicht zulassen, dass
Hudud-Straftäter der gerechten göttlichen Strafe entzogen werden sollten. Ein deutscher mediensüchtiger "Staranwalt" trieb die Angelegenheit auf die Spitze, als er den Saudis durch die deutsche Presse vorschlug, sie sollten die
deutschen Diebe nach erfolgter Handamputation mit einer Kühlbox, in der jeder seine Hand in die verbliebene andere Hand gedrückt bekommen sollte, zu einem von deutscher Seite bereitzustellenden Sanitätsflugzeug bringen, damit
schon auf dem Rückflug begonnen werden könnte, den Delinquenten die Hände wieder anzunähen. Das wäre nach
saudischem Verständnis einer Beihilfe zur Strafvereitelung gleichgekommen!
Schlimm für einen so Abgestraften ist es, wenn sich erst nach der Amputation seine Unschuld herausstellt! Und
diese Fälle sind z.B. im Sudan, der keine Versorgungseinrichtungen kennt und inzwischen dafür berüchtigt ist, dass
er (vor)schnell Hudud-Strafen verhängt und vollstreckt, wobei die Saudis freudig Entwicklungshilfe durch das Abhalten von Lehrgängen zum Erlernen der nun gerichtlich angeordneten und von Justizhelfern durchgeführten Amputationen geleistet hatten, diese Fälle sind dort gar nicht so selten vorgekommen. Wegen dieses durch Justizirrtümer
und die unmenschlichen Hudud-Strafen verursachten Elends hat ein dort lebender Deutscher ein privates(!) Hilfswerk zugunsten der unrechtmäßig Amputierten gegründet, um den Opfern der islamischen Justiz des Sudans in ihrem
nun fast aussichtslosen Überlebenskampf zu helfen.
Der aufgeklärte Europäer wendet sich bei solchen Strafen mit Grausen, denn die Geschichte des europäischen
Strafrechts ist u.a. die Geschichte der Abschaffung der Körperstrafen. Aber wir brauchen uns wegen der von
uns heute so empfundenen islamischen Strafgrausamkeiten gar nicht dünkelhaft zu erheben: Diese Strafen wurden
ca. im 7. Jahrhundert festgelegt, als man auch in Europa den Mitmenschen noch nicht unbedingt als Mit"Menschen" begriff, jedenfalls dann nicht, wenn er gefehlt hatte oder auch nur in den Verdacht geraten war, eine
Straftat begangen zu haben. Im maurisch beherrschten islamischen Andalusien war die Praktizierung der
Scharia wesentlich fortschrittlicher als entsprechende Gesetzgebungen in christlichen Königreichen. So wurde
z.B. in Deutschland 900 Jahre nach der Niederschrift des Korans 1532 n.Chr. auf dem Reichstag zu Regensburg die
"Constitutio Criminalis Carolina" ("CCC") beschlossen. Diese "Peinliche Gerichtsordnung" Karls V. war das
erste deutsche reine Strafgesetzbuch. (Strafbestimmungen neben anderen rechtlichen Regelungen hatte es natürlich
vorher schon in anderen Rechtsbüchern und Weistümern gegeben.) Auf Grund dieses fast 1000 Jahre nach Schaffung
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des Korans verkündeten Strafgesetzbuches wurde der Große Diebstahl (unter Erschwernisgründen gegenüber dem
Kleinen, gewöhnlichen Diebstahl) mit Ausstechen der Augen, Amputation der Hand oder dem als besonders
schimpflich empfundenen Tod durch Erhängen geahndet. Frauen wurden zur Sühnung eines als todeswürdig
erachteten Diebstahls bei lebendigem Leibe begraben oder ertränkt, weil Frauenkörper nicht öffentlich zur Schau
gestellt werden durften. (Bei Vorliegen einer Schwangerschaft wurde die an sich verwirkte Strafe allerdings gemildert.) Die CCC wurde nicht gleich in allen deutschen Ländern vorrangig vor dem jeweils gültigen Landes(straf)recht
angewandt, weil man ihre Strafbestimmungen für zu milde hielt und nicht glaubte, dass solche unangebrachte Milde
in der Lage sei, das Verbrechen wirkungsvoll zu bekämpfen! Erst als das christlich geprägte Abendland seine
Strafen nicht mehr in einem religiösen Bezug sah, war es in der Lage, die inhumanen Körperstrafen in einem
langwierigen Prozess des Umdenkens abzuschaffen. Weil die Scharia als (u.a.) Teil des Korans sich immer als
religiöses Recht verstehen muss, kann für einen konservativen Muslim eine Abschaffung der Hudud-Strafen nicht zur
Disposition stehen. Und die konservativen Muslime sind unter der Schwertführung der islamischen Fundamentalisten
die Träger der in Afrika und Asien immer stärker anbrandenden Welle der Re-Islamisierung.
h) Wegelagerei, Straßenraub (Qat‘ al-Tariq) und Raubmord
Die hierfür vorgesehenen Strafaussprüche werden Sure 5/33 entnommen: "Die einzige Strafe für jene, die Allah und seinen Gesandten bekämpfen und im Lande nach Verderben trachten, ist, dass sie getötet oder gekreuzigt
werden oder dass ihnen wechselseitig Hand und Fuß abgeschlagen wird oder dass sie aus dem Land vertrieben werden. Das soll eine Schmach für sie sein in dieser Welt, und im Jenseits sollen sie schwere Strafe erleiden." (Schön,
wenn man sich selbst durch Strafandrohung bis in die Ewigkeit hinein vor Angriffen schützen konnte, wie Mohammed es im eigenen Interesse lehrte.)
Diese Offenbarung mit ihren harten Strafen für Leute, die "im Lande nach Verderben trachten", ist von den muslimischen Theologen zunächst insbesondere auf Wegelagerer und später im Allgemeinen auf Terroristen bezogen worden. Der 921 n.Chr. gestorbene bedeutende islamische Rechtsgelehrte Tabari hatte schon damals in seinem Korankommentar hervorgehoben, dass nicht nur die Muslime, sondern auch die Anhänger der anderen Buchreligionen
durch diese Strafandrohungen vor Terroristen geschützt werden sollten.
Die aus der Koransure ersichtliche Abstufung der Strafen soll eine angemessene staatliche Reaktion auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Terrors ermöglichen: Bei Mord kann auf Tötung, bei Raubmord auf Kreuzigung oder Tötung, bei Raub auf das wechselseitige Abschlagen von Hand und Fuß oder auf Verbannung in ein
feindliches oder unwirtliches Land erkannt werden. 1997 sind in den Vereinigten Arabischen Emiraten zwei Männer
wegen Wegelagerei gekreuzigt worden.
Der Rechtsgelehrte Abu Hanifa (gest. 767 n.Chr.) soll für Gefängnis statt Verbannung eingetreten sein - was verwundert, weil von Islamkennern allgemein gesagt wird, dass dem islamischen Recht der Scharia Freiheitsstrafen
fremd seien.
Bei dieser eindeutigen Quellenlage durch die ob ihres göttlichen Ursprungs unter Muslimen nicht angezweifelte Koransure und einer seit über tausend Jahren in diesem Punkt gefestigten herrschenden Meinung unter den islamischen Juristen nimmt es wunder, dass heutzutage muslimische Rechtsgelehrte die Meinung vertreten, Terror, der den
Zielen des Islam diene, sei gutzuheißen. Eine solche Ansicht ist unvereinbar mit den Rechtsprinzipien des Islam.
Flugzeugentführungen und andere Terrorakte islamischer Gruppen können keine Rechtfertigung im islamischen Recht finden! Nicht ohne Grund wurde Saddam Hussein vom Mufti von Ägypten und 270 Gelehrten der
Islamischen Weltliga aus 60 Ländern wegen seines Überfalls auf Kuwait der todeswürdigen Wegelagerei bezichtigt.
Daraufhin konnte vom ägyptischen Mufti als eine der obersten islamisch-sunnitischen Autoritäten zum Dschihad
gegen den Iraker aufgerufen werden. Aber Saddam hielt gegen. Laut einem aus dem Land geschmuggelten Tonband
sagte er am Vorabend der heißen Phase des Krieges um Kuwait vor hohen Offizieren: "Die Entscheidung (zur irakischen Invasion Kuwaits) empfingen wir in nahezu fertiger Form von Gott. Unsere Rolle bestand lediglich darin, sie
auszuführen. Möge Gott mein Zeuge sein, dass das, was geschehen ist, nach dem Willen des Herrn geschehen ist.
Unsere Rolle bei diesem Beschluß war fast gleich Null." Mit dieser Berufung auf Gott hatte es Saddam Hussein
seinen obersten Offizieren unmöglich gemacht, auch nur die leiseste politische oder militärische Kritik an seinen Plänen zu äußern - was sich vorher schon in mehreren Fällen lebensverkürzend ausgewirkt hatte und deswegen
auch ohne den von Saddam bemühten Rückbezug auf Gott in der "Republik der Angst" unterblieben wäre. (Der
General Salah el-Kadi, der sich im Krieg zwischen Irak und Iran einem von ihm für aussichtslos gehaltenen Opperationsplan widersetzt hatte, wurde von dem blutrünstigen Diktator in dieser Generalstabssitzung kurzerhand mit sieben Schüssen in die Brust liquidiert. Als der damalige Gesundheitsminister während des ersten Golfkrieges in einer Kabinettsrunde vorgeschlagen hatte, Saddam solle formell zurücktreten, um so den Krieg
zwischen Irak und Iran beenden zu können, soll Saddam Hussein vor versammeltem Kabinett gesagt haben: "Bravo,
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das nenne ich Mut." Dann habe er seinen Minister an den Haaren gepackt, seine Pistole gezogen, ihm in den Mund
geschossen und die Kabinettssitzung ungerührt fortgesetzt. (QUICK 44/90)
3.) Alle übrigen Straftaten/ "Tazir-Delikte"
Alle übrigen Vermögens- und Nichtvermögensdelikte sind nicht unbedingt religiös begründet und fallen in die
Gruppe der Züchtigungsdelikte. Sie geben dem Staat die Möglichkeit, ohne Bindung und Beschränkung durch
Koran und Sunna die im jeweiligen staatlichen Interesse für erforderlich gehaltenen Straftatbestände festzulegen
und durch Richter oder Kadi die jeweilige Strafen finden und verkünden zu lassen.
So ist das in Saudi-Arabien geltende Autofahrverbot für alle Frauen, auch die der ausländischen Botschaften, "auf
Grund einer Bestimmung des saudischen Rechts und nicht in Auslegung einer Koran-Vorschrift" erlassen worden,
wie die Saudi-Gazetta - sicher nicht ohne allerhöchste Konsultation und Billigung - auf eine Leseranfrage mitgeteilt
hat. (Bisher war u.a. auch dieses Thema in der saudischen Gesellschaft und erst recht in der - zensierten - Presse
tabu! Die amerikanischen soldatischen Fahrerinnen der Nachschubtruppen haben aber das öffentliche Nachdenken
angeregt.)
Iranische Frauen können bei Verstößen gegen die (wie in Saudi-Arabien gesetzlich geregelten) Bekleidungsvorschriften mit 74 Peitschenhieben oder zwei Monaten Gefängnis bestraft werden, afghanische mit dem Tod, obwohl
der Koran das Tragen eines Schleiers („Hidschab“) nicht vorschreibt: weder in der Form eines Kopftuches, noch
eines im Iran getragenen Schadors, der zwar den ganzen Körper bedeckt, aber das Gesicht mehr oder minder frei
lässt, noch in der Form einer afghanischen Burka, die alles verhüllt (und wehe, es kuckt etwas darunter hervor, z.B.
ein rot lackierter Fingernagel, dann kann eine so unvorsichtige Frau in Afghanistan des Todes sein!). Die türkische
Schriftstellerin Ece Temelkuran betrachtet das als bewusste Demonstration gegen das kemalistische Establishment
gemeinte bewusste Tragen des Kopftuchschleiers junger Türkinnen entgegen dem ausdrücklichen Schleierverbot des
Staatsgründers Kemal Atatürk als „kollektiven [sozialen] Selbstmord“: „Sie glauben an das Paradies – und werden in
der Hölle enden!“
Das Tragen eines Schleiers gilt im gegenwärtigen Kulturkampf als Ausdruck religiös-politischer Gesinnung – und
wurde in Baden-Württemberg bei der Frage der Anstellung einer „Kopftuch-Lehrerin“ (im Gegensatz zu dem in
dieser Frage liberaleren Hamburg) auch so gewertet, die nachgefragte Anstellung beim Staat mit dem Hinweis auf
das durch das Tragen des Kopftuches politisch-demonstrativ offenkundig gemachte Fehlen der erforderlichen religiösen Toleranz, die dem Staat bei der Wahrnehmung der Erziehungsaufgaben nach dem ihm grundgesetzlich auferlegten religiösen Toleranzgebot obliegt, verweigert: „Nach Abwägung des Rechts auf Religionsfreiheit und der Objektivität und Neutralität der Amtsführung sind Kopftuchträgerinnen für den Staatsdienst nicht geeignet.“ Auch die
damalige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Schmalz-Jacobsen, die schon allein wegen ihres Amtes die
Belange der Ausländer wahrzunehmen hat, unterstützte diese Haltung der baden-württembergischen Regierung mit
einem weiteren Argument: Neben dem Neutralitätsgebot der Schule müsse der „Erziehungsauftrag im Hinblick auf
die Gleichberechtigung“ berücksichtigt werden. Ferestha Ludin wurde dann Lehrerin an einer islamischen Privatschule in Berlin-Kreuzberg. Dort durfte für die Anstellung an der Privatschule vom Berliner Staat nur noch die fachliche Qualifikation geprüft werden, und die war ja in Baden-Württemberg erworben worden.
Die Tazir-Delikte können sich nach Zeit und Umständen, wie im Bereich der "politischen Straftaten" z.B. wegen
der jeweils befürchteten Gefährlichkeit politischer Gegner, wandeln. Neben den Körperstrafen der Hinrichtung und
der Auspeitschung gibt es in diesem Bereich auch (die dem Koran und der Sunna fremden) Freiheits- und Vermögensstrafen.
Die Tazir-Delikte können je nach religiöser Ausrichtung des jeweiligen Staates unterschiedlich ausfallen. Im Allgemeinen sind die mit Peitschenhieben sanktionierten Tazir-Delikte nicht religiös gegründet, anders aber im wahhabitischen Saudi-Arabien:
FALSCHER KNIEFALL
Saudi zu 500 Peitschenhieben verurteilt
Gefährliche Scherze: Ein Gericht in Saudi-Arabien hat einen jungen Mann zu 500 Peitschenhieben und
sechs Monaten Haft verurteilt, weil er sich bei einer Party vor einem Freund auf den Boden geworfen hat.
Eine solche Geste sei gotteslästerlich, befanden die Richter.
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Riad/Kairo - Wie die saudiarabische Zeitung "Al-Watan" heute berichtete, hatte sich der junge Mann bei
einer Feier in einem Rasthaus nahe der Stadt Hail vor seinem Freund so auf den Boden geworfen, wie es
die Muslime beim Gebet tun. Ein Bekannter nahm ihn dabei mit der Kamera seines Mobiltelefons auf.
Die Bilder tauchten später im Internet auf und wurden per Handy verschickt.
Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass Muslime nur vor Gott niederknien dürften. Die
öffentliche Auspeitschung soll in Hail in mehreren Etappen und an verschiedenen Orten erfolgen. In Saudi-Arabien urteilen die Richter nach dem islamischen Recht, der Scharia. In dem Königreich ist der
Wahabismus, eine puritanische Interpretion des sunnitischen Islam, Staatsreligion.
ala/dpa
SPIEGEL ONLINE 13.04.06
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V. Auswirkungen der Geltung der Scharia auf eine multikulturelle Gesellschaft
Wegen des dem Islam immanenten Totalitätsanspruchs kann eine muslimisch dominierte Gesellschaft nicht von
einer Gleichheit von Muslimen und Nicht-Muslimen ausgehen. Auf Grund der Religionszugehörigkeit besteht eine
ideologische Ungleichheit der Staatsbürger. Das hat im politischen Bereich gravierende Auswirkungen, denn die
Ausübung der Macht ist nach islamischem Recht allein den Muslimen vorbehalten. Der Zugang zu öffentlichen
Ämtern wird Andersgläubigen, gleichgültig ob den als "Schutzbürgern/Schutzbefohlenen" ("dhimmi") der Muslime etwas privilegierten "Buchbesitzern" ("ahl al-kitab") oder den Nicht-Buchbesitzern, grundsätzlich verwehrt. Sie
sind im eigenen Land Bürger zweiter Klasse. So empfinden sich inzwischen z.B. die Christen im islamischen Norden
des volkreichsten afrikanischen Landes, Nigeria, nachdem dort - wie in anderen afrikanischen Ländern auch - ein
neuer Kulturkampf entbrannt ist, der zwischen den Anhängern der verschiedenen Religionen ausgefochten wird. 12
der 36 Bundesstaaten haben schon die Scharia als ihre Rechtsgrundlage angenommen – und betrachten sie als offene
Kampfansage gegen die Einheit des multikulturellen Landes. Der Konflikt wird sich u.a. an der Frage der Steinigung
von – angeblichen – „Ehe“brecherinnen entscheiden, die außerehelich Kinder bekommen haben und deswegen des
„Ehe“bruchs beschuldigt werden, teilweise sogar nach von ihnen wegen des islamischen Prozessrechts nicht zu beweisender Vergewaltigung, denn Vergewaltigungen sind ja üblicherweise Zwei-Personen-Delikte, so dass die Frauen
dann auf Grund dieser Verbrechensnatur die nach dem Prozessrecht der Scharia für eine Verurteilung des Mannes
erforderlichen vier Zeugen nicht beibringen können und als Opfer der Gewalttat bei Geburt eines Kindes wegen
täterschaftlich begangenen „Ehe“bruchs gesteinigt werden sollen.
Ähnlich wie in Nigeria ist die Lage in Ivory (Elfenbeinküste), wo die Spaltung zwischen Muslimen im Norden und
Christen im Süden seit 1999 Revolten und Staatskrisen der Rebellen im Norden und Teilen des Westens des Landes
provoziert. Das Land ist praktisch zweigeteilt (Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe; Mitteilungsblatt Nr. 30,
Dez 2004).
Der Glaubenskonflikt ist - nicht nur dort - zugleich ein Verteilungskampf sowohl um politische Macht wie auch um
wirtschaftliche Ressourcen. In Afrika droht jeder politische und soziale Konflikt in einen Glaubenskonflikt umzuschlagen. Beobachter sehen nach den bisherigen Stammeskriegen nun in Afrika verheerende Religionskriege
heraufziehen. Das bisherige "religiöse Konkubinat der Afrikaner" (so der Kameruner Theologe Jean-Marc Ela), in
dem bei einigen westafrikanischen Stämmen oft der Sippenälteste entschieden hatte, welcher Teil der Großfamilie
sich der einen oder der anderen Religion anschließen sollte und das für eine lange Phase die Grundlage einer friedlichen religiösen Koexistenz gewesen war, ist vorbei. Die islamischen Missionsbewegungen konzentrieren 90 %
ihrer Aktivitäten auf Afrika. Bevorzugtes Kampfgebiet ist zurzeit Schwarzafrika, wo sich Christentum, Islam und
der Animismus der Naturreligionen überlagern wie sonst nirgendwo auf der Welt. Viele Christen glauben an eine
islamische Verschwörung zur Eroberung des Kontinents. Auf einer Konferenz im nigerianischen Abuja 1989 erarbeiteten Moslems Strategien zur Verbreitung des Glaubens: Die arabische Sprache sei überall zu fördern; Bestrebungen etlicher Staaten, die Scharia einzuführen, müssten unterstützt werden, was mit Milliarden von Petro-Dollars
geschieht. (Gemunkelt wird von jährlich 5 Mrd. $ aus Saudi-Arabien und 1,2 Mrd. $ aus dem Iran. Von solchen
Spendengeldern wurden dann z.B. in Gabun und Uganda riesige Moscheen errichtet.) Desweiteren sollen möglichst
viele Staaten (durch zinslose Entwicklungskredite) als Mitglieder der Islamischen Konferenzorganisation gewonnen
werden. In diesen Staaten sollten dann moslemische Glaubensbrüder Schlüsselstellungen in Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft besetzen. Diese Strategie trägt - nicht nur im volkreichsten Land Afrikas - Früchte. So schockierte der
Präsident Nigerias, General Ibrahim Babangida seine christlichen Untertanen, die fast die Hälfte der Bevölkerung
ausmachen, damit, dass er den Beitritt Nigerias zur "Islamischen Konferenzorganisation" erklärte. Die christlichen
Nigerianer sind zudem verbittert, weil Moslems die Schlüsselstellungen im Staat besetzt halten. "Das ist der Anfang
vom Ende unserer Nation", klagte daraufhin der anglikanische Bischof von Kaduna. Und der nigerianische Arzt
Arigbede, ein engagierter Protestant, warnte: "Wir werden uns im Namen Gottes gegenseitig umbringen.", denn
christliche Erweckungsbewegungen der wie Pilze aus dem Boden schießenden und darum auch so bezeichneten
"mushroom churches", die teilweise den Koran als "Fälschung" verunglimpfen und moslemisches Gebiet "unter
Satans Kontrolle" wähnen, halten dagegen.
Einige islamische Rechtsgelehrte, insbesondere der Ägypter Sanhoury, haben seit den 20er Jahren des gerade vergangenen Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass es für die noch gültigen diskriminierenden Regelungen des
„Schutzbefohlenenrechts“ keine Rechtfertigung mehr gebe und das islamische Recht u.a. in diesem Punkt dringend
„weiterentwickelt“, geändert werden müsse!
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Weil das bisher nicht geschehen ist, verschlechtert sich das Klima der religiös-geistigen Auseinandersetzung zusehends. Aus dieser brisanten Mixtur waren im Oktober 1991 in der Drei-Millionen-Stadt Kano in Nordnigeria, einer
islamischen Hochburg, schwere Krawalle mit 300 Toten aufgeflammt. Die Opfer von Kano haben erneut bewiesen,
wie schnell Spannungen zwischen den Anhängern miteinander rivalisierender Religionen in blutigen Aufruhr münden können. Diese tödlichen Auseinandersetzungen werden nicht auf Nigeria beschränkt bleiben, denn in ganz Westafrika werden die von Radio Kaduna übertragenen Predigten des fundamentalistischen nigerianischen Scheichs und
Trägers des König-Feisal-Preises für vorbildliche Dienste am Islam Abubakar Mahmoud Gumi gehört. "GumiGefolgsleute organisieren Demonstrationen gegen Salman Rushdie und den nigerianischen LiteraturNobelpreisträger Wole Soyinka, der zur Solidarität mit seinem britischen Kollegen aufgerufen hatte. Sie forderten
den Tod für die Verräter - obwohl es in ganz Schwarzafrika kein Dutzend Exemplare der 'Satanischen Verse' gibt,
wie afrikanische Intellektuelle versichern."(SPIEGEL 3/92) Die bisherige religiöse Toleranz geht in diesem volkreichsten Land Afrikas vor der fanatisierten Unwissenheit in die Knie. Das kann nicht ohne Rückwirkungen auf die
anderen Länder der Region bleiben!
Eine in manchen islamisch geprägten Staaten wie z.B. Ägypten noch anzutreffende (aber z.B. im fundamentalistischwahhabitischen Saudi-Arabien oder im fundamentalistisch-schiitischen Iran nicht vorhandene) relative Toleranz in
religiösen Fragen (z.B. gegenüber den Kopten; die allerdings im Fall des Muslim Alaa Hamed, dem Rushdie Ägyptens, auch ihre Grenze hatte: der Schriftsteller hatte in einem als blasphemisch empfundenen Buch u.a. zweifelnd
gefragt, ob Allah die Gebete der Gläubigen überhaupt höre - bei dem Elend der Massen in Kairo eine sich jedem
Sehenden und Mitfühlenden aufdrängende Frage! - und war für diese und andere ketzerische Fragestellungen von
einem sich gegen den Strich gebürstet fühlenden Militärgericht dafür zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt worden), eine
solche religiöse Toleranz gegenüber den anderen schriftlichen Offenbarungsreligionen bedeutet bestenfalls Duldung
- aber keinesfalls Gleichstellung! So tolerant kann der Islam, und erst recht nicht ein fundamentalistischer Islam, der
als (orthodoxe) Grundannahme Religion und Staat als Einheit begreift und aus diesem Bewusstsein heraus lebt
und herrscht, gar nicht sein, denn nach offizieller Doktrin habe er ja den von Juden und Christen verdorbenen Monotheismus vom Kopf auf die Füße gestellt - wie es Karl Marx in seinem so viel Leid verursacht habenden großen
Ideologieirrtum ebenfalls für sich in Anspruch genommen hatte. Wer den durch Juden und Christen "verderbten
Monotheismus" wiederhergestellt und vollendet hat, kann als Inhaber des "wahren Glaubens" nicht die Macht an
unbelehrbar Irrende abgeben oder mit Ihnen teilen! Eine Ausnahme von der Regel war - neben dem Sonderfall Libanon - der christliche Außenminister des Iraks während des Golfkrieges, Assis. Aber der auf der Staatsideologie des Baathismus gründende Irak versteht sich - wenn Saddam Hussein von den aus den Öleinnahmen des Landes
für sich privat abgezweigten, inzwischen aufgespürten mindestens rund 20 Mrd. $ absieht - auch als sozialistisches
und damit laizistisches und außerdem der Idee des arabischen Nationalismus verpflichtetes Land. Glaubensfragen
sind dann innerstaatlich nicht mehr von überragender Bedeutung. (Die laizistische Ausrichtung der Staatsführung
und -verwaltung wurde dort auch beibehalten und nicht - wie z.B. im Iran - an Religionsführer abgetreten, als die
Nationalflagge auf Saddam Husseins Geheiß den Zusatz erhielt: "Gott ist groß.") Der Irak ist zudem in viele Glaubensgruppen gespalten. Der Diktator und Führer der irakischen Baath-Partei, Saddam Hussein, gehört als Sunnit
selber sogar einer religiösen Minderheit seines Landes an und suchte sich seine Gefolgsleute vornehmlich nach Loyalitäts- und nicht nach Glaubensgesichtspunkten aus - für orthodoxe Muslime eine glatte Unmöglichkeit! Die Orthodoxen versuchte er für sich einzunehmen, indem er sich als Mitglied der "Bani Haschim", der Sippe des Propheten,
entdeckte und ausgab. So konnte er dann besser behaupten, im Traum von Gott selbst den Befehl für den Überfall
auf Kuwait bis hin zu Hinweisen für die günstigste Aufstellung der Raketenabschussbasen erhalten zu haben. Wer
den Höchsten hinter sich weiß, der darf auch die ganze Macht beanspruchen! (Erstaunlicherweise wird auch die mit
der irakischen Schwesterpartei verfeindete syrische Baath-Partei ebenfalls von einem Vertreter einer religiösen Minderheit des Landes geführt, dem zu den schiitischen Alawiden gehörenden Diktator Assad.)
Diese vorstehend näher beschriebene, im Totalitätsanspruch des islamischen Glaubens begründete grundsätzliche,
aber nicht immer durchsetzbare Ignoranz insbesondere der islamischen Fundamentalisten/"Islamisten" jeder Glaubensrichtung hinsichtlich einer politischen Beteiligung nicht der gleichen islamischen Glaubensrichtung angehörender Muslime (z.B. der ca. 8 % Schiiten in Saudi-Arabien oder der ca. 10 % Sunniten im Iran) oder nicht-islamischer
Staatsbürger (z.B. der ca. 40 % Christen in Nigeria oder der ca. 40 % Nicht-Muslime im Sudan, deren Forderungen
auf politische Teilhabe z.T. von gemäßigten Muslimen unterstützt werden) zerreißt zwangsläufig den inneren Frieden eines multikulturellen Staates. Das gilt insbesondere dann, wenn eine zahlenmäßig relevante Minderheit vorhanden ist und politische Teilhabe verlangt. Das kann lehrbuchhaft u.a. am Beispiel des Sudans, der Elfenbeinküste und Nigerias beobachtet werden, wo mehr als 100 Völker mit über 100 Sprachen zusammenleben. Doch für die
sudanesische Politik zählt vor allem die Trennungslinie zwischen den "arabisierten" und dadurch islamisierten Menschen im Norden und den anderen Völkern dieses größten Landes Afrikas, zumal sie eine sprachliche und eine reli-
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giöse Trennung bedeutet. Sie ist zusätzlich historisch auch noch dadurch belastet, dass bis 1879 im Sudan Sklavenhandel als religiös sanktioniertes Recht im großen Stil betrieben worden war: die hauptsächlich südlich der Linie
lebenden Schwarzen waren die "Beutetiere" der arabischen Sklavenjäger. Und nun sollen arabisch-islamische "Herren" die Macht mit den ehemaligen Sklaven teilen? Und die Nachkommen der Gejagten haben dieses Wissen auch
noch im Blut! (Zumal es im Sudan, aber nicht nur dort, sondern auch in Arabien, die Sklaverei in kaum verdeckter
Form heute immer noch gibt!) Ein "Sudan der Völker" mit weitgehenden Autonomieregelungen statt eines "Sudans
der Araber" würde eine Aufhebung der Scharia als gesetzliche Grundlage des Staates und eine Trennung von Staat
und Religion erfordern. Eine solche Trennung ist jedoch für die politischen Führer der Nordsudanesen und damit für
die Mehrzahl der dortigen Bevölkerung nicht vorstellbar. Wer es sich vorstellen kann, läuft Gefahr, wie der Religionsführer der "Republikanischen Brüder", Tahab, umgebracht zu werden. So geht der seit der Unabhängigkeit 1956
andauernde und nur die elf Jahre von 1972-83 unterbrochene Bürgerkrieg als ein Perpetuum mobile der Gewalt
weiter, obwohl beide Ringer in diesem Machtkampf ermattet und ineinander verkrallt auf der Matte liegen. Jede
Partei ist zu kraftlos und zu ausgeblutet, um doch noch den Sieg erringen zu können, keine Partei konnte aber andererseits bisher nachgeben, weil das von der jeweils anderen Seite als eine Selbstaufgabe verstanden worden wäre.
Erst 1991 ordnete der neue Befehlshaber des Sudan an, dass die Scharia (zunächst?) nur im Norden Geltung haben
solle. Vielleicht bahnt sich damit eine Wende zur Einsicht und etwas Toleranz und damit eine Wende zum Besseren
an. Viel Hoffnung besteht nicht, denn Sudans Putsch-General und Militärherrscher Umar el-Baschir bezeichnete
anlässlich des Besuchs des iranischen Präsidenten Rafsandschani den Iran als "Minarett, das den Moslems den Weg
erleuchtet" - nachdem Rafsandschani zuvor artig "die islamische Moral, die ich hier gesehen habe", gepriesen hatte.
Eine Zeit lang erhielten um Khartun herum "angesiedelte", dahinvegetierende Bürgerkriegsflüchtlinge nur dann Brot,
wenn sie zum Islam übertraten. Später verhielt sich das Regime menschlicher und erkaufte den Übertritt zum Islam
durch die Zahlung von 1.000 sudanesischen Pfund - für völlig verelendete Bürgerkriegsflüchtlinge eine unvorstellbar
hohe Summe. Flüchtlingskinder des Bürgerkriegs finden in den Lagern der Regierung nur eine Art von Bildungsstätten vor: Koran-Schulen.
Unter dem Motto "Islam für Afrika - Afrika dem Islam" versuchen Eiferer aus der arabischen Welt und dem Iran
den Schwarzen Kontinent zur Religion des Propheten Mohammed zu bekehren. Petrodollar sind angesichts der Armut des Kontinents bei diesem Kulturkampf sehr, sehr hilfreich. Die „Islamische Konferenzorganisation", ein Zusammenschluss von zurzeit 45 mehrheitlich islamischen Nationen lockt Neumitglieder mit zinslosen Entwicklungskrediten. Prompt traten bettelarme afrikanische Länder wie Uganda und Benin der Organisation bei - obwohl die
Moslems in diesen Ländern in der Minderheit sind! Mahnende Stimmen vertreten die Ansicht: "Die Konfrontation zwischen Christen und Moslems, die sich numerisch zurzeit in Afrika noch die Waage halten, ist die vielleicht schlimmste Bedrohung für Afrikas Zukunft." Ein angstmachendes Wort über einen von Armut, Krankheiten, Naturkatastrophen, allen biblischen Plagen, Unterdrückung und Bürgerkrieg geschundenen Kontinent!
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VI. Zukunftsprognose
Wie schon in der Einleitung angedeutet, nehmen langjährige Beobachter islamischer Länder und des Islam an, dass nachdem sich die Auseinandersetzung zwischen der "Ersten" und der "Zweiten Welt", den westlichen Demokratien
und den östlichen Volksdemokratien, durch den Zusammenbruch des Kommunismus überholt hat - die die nächsten
Generationen prägende globale weltpolitische Auseinandersetzung zwischen der christlich-westlichen Kultur der
reichen Industrieländer und den anderen Kulturen, insbesondere der der islamischen Habenichtse geführt werden
wird. Ein solcher ideologischer Kampf wird immer mit verzerrenden Feindbildern geführt. In fanatischen und hasserfüllten saudischen Schulbüchern z. B. wird nach Berichten der britischen Journalistin Ann Lesley aus Riad der Umgang mit Christen und Juden verpönt. In einem englischsprachigen Traktat droht ein bekannter Pädagoge dem Glauben abtrünnigen oder schwankenden Muslimen, dass sie im Jenseits nebst anderen Höllenqualen zum Löschen ihres
Durstes aus vier Getränken wählen könnten: Al Muhl (glühend heißes Öl), Al Ghassaq (kochende Flüssigkeit aus
Blut und Eiter), Al Sadeed (heißes Faulwasser) und Al Hameem (siedend heißes Wasser) (DIE WELT 04.07.04).
Der Islam als die führende Religion der Unterprivilegierten der Welt gegen die kulturell christlich geprägten Ausbeuter: nicht mehr durch Kolonialisierung, sondern - zeitgemäß abgewandelt - durch Globalisierung?
Die Verzweifelten und die Fanatisierten suchen nach einem Halt, nach einer Fahne, unter der sie Ehre und Selbstachtung wiedergewinnen können - und finden diese zunehmend in den - dem christlich geprägten Westen wesensfremden - Lehren des Propheten. Ein Rückgriff auf einstige historische Größe soll als solches empfundenes Unrecht
kompensieren. Doch der fundamentalistische Islam wird durch seine geistige Verkrustung, die ihn auf Grund seiner
rückwärts gewandten Utopie bis heute unfähig macht, die Realität unvoreingenommen wahrzunehmen und mit seinen
vorindustriellen, dogmatischen Gesetzen die gesellschaftliche Stagnation festschreibt, langfristig außerstande sein,
überzeugende Antworten auf die wirklichen Probleme der Menschen in der Dritten Welt zu geben. Massenarmut,
Überbevölkerung, damit verbundene Landflucht und u.a. dadurch verursachte Entwurzelung, Wasser- und Nahrungsmangel, mangelnde Alphabetisierung, mangelhafte Seuchenbekämpfung und kaum vorhandene ärztliche Versorgung, technische Abhängigkeit vom Wissen des Westen, ausreichende Energieversorgung und derlei Dinge mehr
sind die großen Problemfelder, die gelöst werden müssen. In diesem zur Verzweiflung treibenden Problemkonglomerat dient der Islam mehr als Ablenkung von der hoffnungslosen Wirklichkeit. Und solange die islamischen Staaten
als Modernisierungsanstrengung vom Westen nur dessen technisch-industrielles und militärisches Wissen und seine
Konsumgüter, nicht aber auch seine in einem Jahrhunderte währenden Kampf und Ablösungsprozess von der Dominanz der (christlichen) Religion befreiten nunmehr säkularen Werte wie Geltung der Menschenrechte und Demokratie übernehmen, solange wird das Schwert des Islam nicht als Damoklesschwert über der westlichen Welt hängen.
Dafür ist in der islamischen Welt zuviel dort zur Entzündung drängender Zündstoff angehäuft, der dort erst einmal
beseitigt werden muss. Die Forderungen der zunehmend militanter werdenden Fundamentalisten nach einer „gerechten“, ja sogar idealen islamischen Gesellschaftsordnung in einem theokratischen Gottesstaat, wie sie angeblich zu
Lebzeiten des Propheten bestanden habe, legen Sprengstoff an das politische und soziale Gefüge der von diesem
Bazillus infizierten Länder. Die Muslime werden zunächst mit ihren eigenen Verteilungskämpfen beschäftigt sein
und eventuell zur Ablenkung von eigenen Differenzen und Zwistigkeiten weiterhin als kulturell-ideologischen Kitt
eine gemeinsame Frontstellung gegen Israel als Wunde im Fleische jedes strenggläubigen Muslim aufzubauen suchen.
Der islamische Fundamentalismus wurde nicht durch die Gründung Israels nach dem Zweiten Weltkrieg in der Mitte
des 20. Jahrhunderts hervorgerufen, sondern spätestens am Ende des 18. Jahrhunderts durch das massive Eindringen
des Kolonialismus der westlichen Großmächte in den arabisch-islamischen Kulturkreis. Aber in der ungelösten Palästinafrage auf dem für die beiden hauptsächlich betroffenen Religionen Islam und Judentum - und auch für das am
Rande mitbeteiligte Christentum - heiligen Boden fokussiert er heutzutage.
Die westliche Welt, das christliche Abendland kann die Israelis - nach den vielen in den 2.000 Jahren der jüdischen
Diaspora von den Christen aus Glaubenswahn, ideologischem Fanatismus und Gier an den Juden begangenen Pogromen - nach ihrer Wiederansiedlung in der alten Heimstatt letztlich nicht fallen lassen und muss auch gegen den
Widerstand islamischer Fundamentalisten die Existenz des israelischen Staates und die physische Existenz des israelitischen Volkes sichern. Insbesondere auf diesem Weg wird die Hegemonialmacht der christlich geprägten Welt,
werden die USA in eine Konfrontation mit dem Islam hineingezogen bleiben.
Und Europa wird davon nicht unberührt bleiben, insbesondere nicht die Länder mit einem größeren muslimischen
Bevölkerungsanteil. Betroffen ist nicht nur auf Grund seiner nordafrikanisch-kolonialen Vergangenheit Frankreich,
141
wo es laut einer nach der Ermordung des niederländischen Islamkritikers van Gogh gemachten Aussage eines französischen Ministers in großen französischen Städten mindestens 500 Stadtviertel gibt, in denen nicht mehr die französischen Gesetze gelten, sondern nur noch die Scharia, betroffen sind auch die Niederlande auf Grund ihres größtenteils
aus Marokko stammenden hohen Bevölkerungsanteils an Muslimen – der häufigste Geburtsname in Amsterdam ist
inzwischen Mohammed(!), 2010 wird es in den vier größten Städten der Niederlande eine nichtniederländischstämmige islamische Bevölkerungsmehrheit geben, die zum Teil in „No-go-Areas“ mit einem erschreckend niedrigen Bildungsniveau marokkanisch- und türkischstämmiger Kinder und Jugendlicher und mit regelrecht
marodierenden Jugendbanden lebt, in die sich die niederländische Polizei normalerweise nicht mehr reintraut -, betroffen ist Spanien u.a. auf Grund seiner Nähe zu den islamischen Gebieten Nordafrikas, und ebenfalls Deutschland:
einerseits auf Grund der in das Land geholten muslimischen Arbeitskräfte, unter denen sich auch Gruppen mehr oder
weniger lautstark dem politischen (Kurdenproblematik46) oder religiösen Fundamentalismus zuneigender Personen
befinden, die dann hier teilweise sehr erfolgreich um Anhänger warben, und andererseits auf Grund der aus ihren
Ländern zu uns ins Asyl geflüchteten religiösen Extremisten. Auch wenn wir um die von diesen religiösen Fanatikern
verursachten Schwierigkeiten wissen und anfangen, unter ihnen zu leiden, kann eine nicht macchiavellistische, sondern von der Geltung der Menschenrechte geprägte westliche Wertegemeinschaft nicht so unbarmherzig grausam
sein, solche Leute in dem sicheren Bewusstsein an ihre Verfolger auszuliefern, dass sie dort abgeschlachtet werden!
Die nach jahrhundertelangen opferreichen Kämpfen erreichte Geltung der Menschenrechte ist das geistige Kraftzentrum der westlichen Vormachtstellung in der Welt - aber auch seine Achillesverse: Wer Skrupel hat, muss auch Gefahren durch Menschen in Kauf nehmen, die diese Wertvorstellungen nicht teilen, ja, sie ideologisch-kulturell bekämpfen! Aber auch wenn wir die Extremisten ihren Verfolgern nicht durch Auslieferung an sie direkt zum Fraß
vorwerfen, so müssen wir sie trotzdem des Landes verweisen können, wenn sie unter den hier auch für sie geltenden
Freiheiten unsere Sicherheit gefährden.
Viele der in der vorliegenden Ausarbeitung angesprochenen fundamentalistisch-extremistischen Gruppen wirken
auch in der Bundesrepublik. Ihr Wirken und insbesondere das ihrer Hintermänner ist nicht immer offensichtlich. So
kommt es z.B. dem Bürgermeister von Berlin-Neukölln merkwürdig vor, wenn in seinem Stadtbezirk der Verein
Inssan 2004 für etwa 10 bis 15 Millionen Euro ein islamisches Kulturzentrum samt Moschee errichten will, der Verein aber nur etwa 40 Mitglieder hat. „Die Frage ist, wo da das Geld herkommt", so Buschkowsky.
Selbst wenn sie meist nur unter ihren Landsleuten wirken, kann unser durch den in unserer Verfassung garantierten säkularisierten Rechtsstaat geschütztes friedliches Zusammenleben durch sie gefährdet sein. Islamkritische Journalisten werden auch in Deutschland bedroht. „Die Email, die der Journalist Udo Ulfkotte am 22. September morgens um 0.07
Uhr erhielt, sprach eine deutliche Sprache: "Christenhund stirb!" hieß es in der Morddrohung, versandt von
"[email protected]". Unverzüglich informierte der Publizist, der seit Jahren kritische Texte über das islamistische Milieu in Deutschland schreibt, die Polizei. … Der Fernseh-Journalist S., der seit Jahren über das wachsende
Gewaltpotential unter Islamisten in Deutschland berichtet, ist praktisch für "vogelfrei" erklärt worden. S. hatte die
alltägliche Gewalt in moslemischen Ehen thematisiert. Es trifft, wie in den Niederlanden, wohl zuerst jene, die die
Abgründe an den Rändern des Islam öffentlich machen“ (DIE WELT 11.11.04).
"’Deutschland’, so der nordrhein-westfälische LKA-Direktor Wolfgang Gatzke im Frühjahr 04, ’ist keineswegs nur
Rückzugsraum islamistischer Terroristen, sondern Teil eines europäischen Gefahrenraums.’ Und irgendwann Ziel
von Anschlägen“, die schon in Vorbereitung zu sein scheinen: "’Durch die Tötung oder Verletzung einer Vielzahl
von Menschen sollte die westliche Welt gedemütigt und hierdurch die muslimische Welt und ihre Wertvorstellungen
verteidigt werden’, schreibt die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage“ gegen den im Umfeld der mit Geld der AlHaramein-Stiftung (hinter der der Minister für religiöse Angelegenheiten Saudi-Arabiens steht) in Berlin gebauten
Al-Nur-Moschee agiert habenden Tunesier Ihsan Garnaoui, der in Afghanistan zum Sprengstoffexperten ausgebildet
worden sein soll (DIE WELT 14.11.04).
Es gibt in der BRD rund 3,4 Millionen Muslime. Sie machen ungefähr vier Prozent der Bevölkerung aus. 75 % der
Muslime sind türkischer Herkunft, aus dem Iran stammen 100.000 und aus Nordafrika rund 200.000. Und immer
mehr Deutsche konvertieren zum Islam, aktuell wird ihre Zahl auf 90.000 geschätzt.
Die wichtigsten Zusammenschlüsse der Muslime in Deutschland sind nach einer Aufstellung in DIE WELT
(27.09.06) insbesondere die Verbände:
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Für die PKK bleibt Deutschland eine ihrer wichtigsten Stützen. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes aus 2006 gehören rund 12 000 der 500 000 Kurden in Deutschland extremistischen Organisationen an. Nach dem Verbot der PKK 1993 sagte deren damaliger, inzwischen in der Türkei inhaftierte Führer Abdullah Öcalan 1996: "Deutschland hat der PKK den Krieg
erklärt ... Wir können den Schaden erwidern. Jeder Kurde ist ein potenzieller Selbstmordbomber."
142
Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland:
Der 1986 in Berlin gegründete Islamrat vereint mehr als 30 Organisationen, die Zahl der Mitglieder wird
auf bis zu 60 000 Personen geschätzt. Angeblich dominiert die islamistische Milli Görüs den Islamrat, der
sich als "Brücke zwischen Deutschland und der islamischen Welt" sieht. Als wichtigstes Ziel wird die religiöse, soziale und kulturelle Betreuung der in Deutschland lebenden Muslime genannt.
Zentralrat der Muslime:
Der 1994 als Nachfolgeorganisation des Islamischen Arbeitskreises gegründete Verband hat sich als
wichtiger Ansprechpartner der Politik etabliert. Zum Zentralrat, der auch Muslime aus den Ländern
Nordafrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens vertritt, gehören 19 Vereine mit geschätzt 15 000 bis
20 000 Mitgliedern. Nach eigenen Angaben erreicht der multiethnische Verband 800 000 Muslime in 500
angeschlossenen Moscheen. [Er ist daher als Sprecher von nur einem Viertel der in der Bundesrepublik
lebenden Muslime als Ansprechpartner in Sachen Islam für die Bundesregierung nicht ausreichend repräsentativ. Der Verf.]
Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB):
Die Organisation versteht sich als Dachverband der türkisch-islamischen Vereine in Deutschland. In der
DITIB sind rund 870 Moscheevereine und etwa 130 000 Mitglieder organisiert. Der 1984 gegründete
Verband wird stark von der staatlichen Religionsbehörde der Türkei beeinflusst. Der Verband lehnt eine
Zusammenarbeit mit dem Islamrat und dem Zentralrat der Muslime ab. [Der DITIB - Ableger des türkischen Religionsministeriums - hält sich, als der größte Verband der Muslime in Deutschland, als Ansprechpartner der Bundesregierung in Sachen Islam und Islamunterricht in den Schulen für prädestiniert.
Tatsächlich ist er als Bollwerk des laizistischen türkischen Staates gegen den Islamismus eine reformorientierte Kraft. Nur kann der deutsche Staat nicht in Istanbul entscheiden lassen, was an unseren Schulen
gelehrt wird. Der Verf.]
Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF):
Die seit 1992 bestehende Organisation vertritt die Interessen der zumeist türkischstämmigen Aleviten,
viele von ihnen Kurden. Für die liberale Glaubensgemeinschaft gilt das islamische Rechtssystem Scharia
nicht. Der AABF gehören mehr als 90 Vereine mit insgesamt mehr als 20 000 Mitgliedern an. Insgesamt
leben in Deutschland rund 700 000 Aleviten. Der Verband, der sich der Trennung von Staat und Religion
verpflichtet fühlt, unterhält enge Kontakte in die Türkei.
Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG):
Die IGMG entstand 1985 in Köln unter dem Namen Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa. Den
heutigen Namen - Milli Görüs bedeutet Nationale Sicht - nahm sie 1995 an. Die IGMG soll rund 26 500
Mitglieder haben, größtenteils türkische Muslime. Die Gemeinschaft gilt als größte islamistische Organisation in Deutschland. Aufgrund ihres kompromisslosen Islamverständnisses wird die IGMG vom Verfassungsschutz beobachtet.
Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ):
Der [streng orthodoxe; der Verf.] VIKZ geht auf das 1973 gegründete Islamische Kulturzentrum Köln zurück. Nach eigenen Angaben besteht der VIKZ aus etwa 300 Gemeinden und rund 20 000 Mitgliedern.
Im Jahr 2003 begann der VIKZ mit der Errichtung eigener Schülerwohnheime. Zwei dieser Heime wurden 2005 in Hessen geschlossen, weil sie angeblich "Abschottungstendenzen" bei Zuwanderern förderten.
Die weit überwiegende Mehrzahl der in der Bundesrepublik lebenden Muslime verhält sich gesetzeskonform. Daneben stehen mehr als 20 islamistische Organisationen mit ca. 31.000 in ihnen organisierten Muslimen – ca. 1,15 %
der hier lebenden Muslime - in der Bundesrepublik wegen ihrer demokratiefeindlichen Ziele (Verneinung des Prinzips der Volksouveränität, Ablehnung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Gleichberechtigung von Männern und Frauen sowie ihrer Forderung nach Abschaffung des Mehrparteienwesens) unter der
Beobachtung der Verfassungsschutzämter. Rund 3.000 der hier lebenden Muslime, ca. 0,1 %, werden als Anhänger
gewaltbereiter Gruppen eingestuft, 200 von ihnen gelten als potentiell terroristische „Gefährder“.
143
Unter den Islamisten befinden sich rund 250 besonders militante sogenannte "Gefährder“. Einige "militante Islamisten glauben sich legitimiert, die ’islamische Ordnung' mit Gewalt durchzusetzen", warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz. Unter Berufung auf den Urislam des siebten Jahrhunderts streben sie die "Wiederherstellung" einer
"islamischen Ordnung" als der nach ihrem Verständnis einzig legitimen Staats- und Gesellschaftsform an. Sie soll
alle anders geprägten Ordnungssysteme ersetzen.
„Der Absolutheitsanspruch von Islamisten steht in unauflösbarem Widerspruch zu obersten Wertprinzipien der freiheitlichendemokratischen Grundordnung wie dem Gleichheitsgrundsatz, dem Mehrheitsprinzip oder dem Recht auf
Bildung und Ausübung parlamentarischer Opposition.“
Im Einzelnen handelt es sich nach den in dem Bericht „Extremistisch-islamische Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland“ (1999) veröffentlichten Erkenntnissen des zur Abwehr auch solcher Umtriebe berufenen Verfassungsschutzes um folgende Gruppen:
Die der seit dem 16.01.98 wegen des Verstoßes gegen das Verfassungsgebot der Trennung von Religion und Staat
verbotenen islamistischen türkischen „Wohlfahrtpartei (RP) des ehemaligen Ministerpräsidenten (1996) Erbakan als
Tochtergruppierung eng verbunden gewesene, in vielen, teilweise bewusst verschleiernden Untervereinen und Untergruppierungen wie der für den Islamunterricht in Berlin zuständigen "Islamischen Föderation in Berlin" etwas
undurchsichtig strukturierte Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG; „Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa“, ca. 26.500 Mitglieder und rund 300 Moscheegemeinden) kämpft – offiziell auf verfassungskonformem friedlichen Wege über die gedankliche Einflussnahme auf die Überzeugungen der Menschen – für „die Eroberung Europas durch den Islam“: Was 732 n. Chr. mit der Niederlage gegen die Merowinger und in späteren Jahrhunderten mit der Bedrohung Wiens 1529 und zuletzt 1683 durch osmanische Heere nicht geschafft wurde, soll nun
erreicht werden. Die IGMG, an deren Spitze nicht mehr der „Hodscha“ („Lehrer“) Erbakan, sondern Ücüncü steht,
strebt über eine auf Koran und Scharia basierende „gerechte“, nicht mehr laizistische Ordnung in der Türkei und für
die in der Bundesrepublik lebenden Muslime eine weltweite Islamisierung an. Trotz der von sich offiziell behaupteten Bejahung des demokratischen Rechtsstaates und der propagierten Friedfertigkeit im Vorgehen wird diese mitten
unter uns lebende Gruppe auf Grund ihres bisherigen intoleranten Verhaltens von den Verfassungsschutzämtern als
„sicherheitsgefährdend und extremistisch“ eingestuft: die nach außen zur Schau getragene Friedfertigkeit entspräche
nur taktischem Kalkül! Die IGMG habe sich in ihren Verlautbarungen in letzter Zeit zwar positiv zu den Grundprinzipien der westlichen Demokratien geäußert, gleichwohl sei sie einer Ideologie verbunden, „... die durch Ablehnung
des Wertekanons und des Demokratieverständnisses der westlichen Zivilisation, einen religiös begründeten türkischen Nationalismus sowie durch Antizionismus und Judenfeindlichkeit geprägt ist.“ Viele Bundesländer verweigern
Mitgliedern der IGMG wegen der von den Verfassungsschutzämtern so gesehenen Ablehnung des Wertekanons und
des Demokratieverständnisses der westlichen Zivilisation die deutsche Staatsangehörigkeit.
Eine Erbakans Organisation 1983 wegen des Verlustes von fast zwei Dritteln der Mitglieder zunächst fast vernichtende Absplitterung von Milli Görüs ist der von dem radikaleren Cemaleddin Kaplan gegründete Kalifatstaat. Cemaleddin Kaplan war 1982 als Verkünder der „Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa“ (Milli Görüs) aus der
Türkei gekommen und hatte nach seinem Zerwürfnis mit diesem Verein 1994 den Verband der islamischen Vereine
und Gruppen gegründet, der noch im selben Jahr in „Kalifatsstaat“ umbenannt worden war und zwischenzeitlich bis
zu 7.000 Mitglieder gezählt hatte. Sich selbst hatte er zum „Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime“ ausgerufen.
Zur Hauptstadt des von ihm gegründeten Kalifatstaates wurde Istanbul ernannt. Solange aber diese Stadt von der
türkischen Regierung „besetzt“ sei, wurde für die Übergangszeit bis zur Beseitigung der türkischen Regierung Köln
zur Residenzstadt des Kalifates bestimmt. Cemaleddin Kaplans Ziel war die (Wieder-)Errichtung eines Gottesstaates
in der Türkei. Dazu sollten die Attatürk-Anhänger entmachtet, Juden und Christen vertrieben und das alte Kalifat am
Bosporus wiedererrichtet werden.
Nach dem Tod des Gründers 1995 war die Nachfolge nicht zweifelsfrei geregelt. Sein Sohn (oder beim Standesamt
als eigener Sohn angemeldeter Sohn seiner Schwester?) Metin Kaplan, genannt Müftüoglu, der von 1983 bis zu
seiner Abschiebung 2004 an hier lebte und von 1992 bis 2000 politisches Asyl genoss, übernahm dessen Führung,
und nicht der als Nachfolger ausersehene Generaljugendemir und Arzt Halil Ibrahim Sofu, der sich daraufhin zum
„Gegenkalifen“ ausrief. „Was geschieht mit jemandem, der sich zum zweiten Kalifen erklärt, obwohl es bereits einen
gibt? Jener Mann wird aufgefordert, der Untat abzuschwören. Wenn er es nicht tut, wird er getötet!“ Auf der Hochzeit eines türkischen Ringers in Berlin erklärte der zu diesem Zweck extra aus Köln angereiste Metin Kaplan darüber
hinaus: „Schluss mit dem falschen Kalifen! Nimm deine fünf Sinne zusammen. Nimm deinen Verstand zusammen,
bevor der Tod anklopft. Man weiß nie, wer den Morgen erlebt und wer nicht.“ Die Gläubigen wurden aufgefordert,
die Tötung des Gegenkalifen „selbst in die Hand zu nehmen“. Der Auftritt ihres als Ehrengast extra aus Köln ange-
144
reisten Kalifen war als Höhepunkt der Hochzeitsfeier selbstverständlich auf dem über die Feier gedrehten Video
festgehalten worden (wo die Staatsanwaltschaft es später auftrieb). Ein Jahr darauf dringt ein maskiertes Killerkommando nachts in die Berliner Wohnung Halil Ibrahim Sofus ein und erschießt ihn in Anwesenheit von Frau und
jüngstem Kind. Der wegen seiner diesbezüglichen Todes-Fatwa für den 1997 begangenen Mord an seinem in Berlin
gelebt habenden schärfsten Rivalen als Anstifter verantwortlich gemachte und dafür in einem bundesrepublikanischen Gefängnis eine (nur) vierjährige Gefängnisstrafe abgesessen habende „Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime“, der von der Presse als „Kalif von Köln“ titulierte Fundamentalistenführer Metin Kaplan strebte – sicher nicht
ganz uneigennützig - die Weltherrschaft des Islam in einem von einem einzigen Kalifen geführten Kalifatsstaat
(Hilafet Devleti / Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. Köln / ICCB; vor dem Verbot ca.
1.000 Mitglieder) an.
„Der ICCB postuliert kompromisslos den Alleinvertretungsanspruch des Islam seiner Interpretation mit der Weltherrschaft als Endziel.“ Wegen dieses Alleinvertretungsanspruchs des Islams seiner Interpretation lehnt der ICCB
„Demokratie und Parteienpluralismus als völlig unvereinbar mit dem Islam ab. ... Entsprechend dieser ideologischen
Orientierung agitiert die Organisation in diffamierender Weise gegen das westliche Gesellschaftssystem, die türkische Regierung, aber auch die Integration von Muslimen in eine demokratische Gesellschaft. Ferner polemisiert der
Verband gegen Juden und den israelischen Staat.“ Zur Gründung eines gemeinsamen Kalifenstaates hatte Metin
Kaplan laut Bundesanwaltschaft durch eigene Mittelsleute zu Osama bin Laden nach Afghanistan Verbindung aufgenommen. Diese unter uns lebende Gruppe wird vom Verfassungsschutz als „eine der gefährlichsten unter den
islamischen Extremisten in Deutschland“ bewertet. Die zwar durchaus religiös motivierte aber letztlich politisch
ausgerichtete demokratiefeindliche Wühlarbeit – „Islam und Demokratie werden niemals miteinander vereinbar sein.
Wenn wir an die Macht kommen, werden wir das Parlament zerstören und niederbrennen und die Asche im Meer
verstreuen.“ - ist für solche Gruppierungen wie den ICCB u.ä. Vereinigungen erschwert, seit das „Religionsprivileg“
im Vereinsgesetz gestrichen wurde. Seitdem können politische Fundamentalisten nicht mehr unter dem Mantel einer
behaupteten Religionsausübung wie bisher unbehelligt die demokratischen Prinzipien auch unseres Staatsaufbaues
bekämpfen. Der ICCB wurde geschlossen, rechtliche Schritte zur Aufhebung des Verbots blieben erfolglos, weil
sowohl das BVerwG meinte, dass der ICCB sich „aktiv-kämpferisch“ gegen unveränderbare Verfassungsgrundsätze
wende, als auch das BVerfG urteilte, dass es dem ICCB nicht nur um abstrakte Kritik an unserem Verfassungssystem
gehe, sondern darum, die eigenen Vorstellungen notfalls mit Gewalt durchzusetzen.
Seine weitere Entwicklung bleibt abzuwarten, seit ihr Führer nach vollständiger Verbüßung seiner Haftstrafe 2003
aus dem Gefängnis entlassen wurde – aber wegen der Rechtsstaatsmängel der Türkei nicht nach dorthin hatte abgeschoben werden können, obwohl die Türkei ihm sehr gerne ihrerseits vorGericht stellenwollte. Um einer Auslieferung an die Türkei zu entgehen vertrat Kaplan nach seiner Haftentlassung moderatere Ansichten: Er fordert nicht
mehr die Einführung der Scharia, nötigenfalls unter Einsatz des Schwertes, sondern gabt Fernsehstatements mit der
Botschaft, ein gläubiger Moslem könne den Einsatz von Gewalt nicht befürworten.
Nachdem die Türkei durch u.a. auch eine Strafrechtsreform erreicht hatte, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bezüglich einer EU-Mitgliedschaft begonnen werden sollen, sie weiß, dass sie unter verschärfter Beobachtung steht und u.a. auch der Prozess gegen Kaplan wegen Hochverrats und versuchten Umsturzes als einer der vielen
erforderlichen Lackmustests auf ihre Demokratiefähigkeit angesehen werden wird, ist der Hassprediger Kaplan mit
Billigung des BVerwGs in Leipzig trotz weiterlaufender Revisionsverhandlung und weiteren Verbleibs seiner Familie in Deutschland Ende 2004 an die Türkei ausgeliefert worden.
Zentraler Anklagepunkt im Hochverratsprozess ist – neben dem behaupteten Anschlag auf das Atatürk-Mausoleum –
die angestrebte Wiedererrichtung des Kalifats, die Herrschaft des Nachfolgers des Propheten Mohammed und damit
des Anführers der Rechtgläubigen. Diesen Titel „Kalif“ führten früher die osmanischen Sultane, als das Osmanische
Reich Schutzmacht des Islam war. Als Kemal Atatürk in den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts die moderne
Türkei mit ihrer westlichen Ausrichtung gründete, waren mit die ersten seiner Maßnahmen 1922 die Abschaffung des
Sultanats und 1924 die Abschaffung des Kalifats, verbunden mit der Gründung der türkischen Republik. Die Forderung Kaplans auf Wiedererrichtung eines Kalifates zielt somit auf die Abschaffung der türkischen Republik. Und
Bestrebungen, die auf den Umsturz der jeweiligen gesellschaftlichen Ordnung zielen, werden in allen Ländern als
Hochverrat angesehen.
Die vorwiegend in den Großstädten der West-Türkei beheimatete "extrem gewaltbereite" türkische Extremistengruppe "Front der Vorkämpfer für einen Großen Islamischen Osten" (IBDA-C) könne in Deutschland laut einem
Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) auf mehrere hundert Anhänger zurückgreifen und unterhalte auch hier autonome Untergruppen, die mangels einer übergreifenden Hierarchie ihre Aktionen unabhängig voneinander planen.
Ihre Gefährlichkeit hat sie mit den vier Anschlägen in Istanbul Ende 2003, mit denen der "Unterdrückung der Mos-
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lems" ein Ende gesetzt werden solle, hinreichend unter Beweis gestellt. Sie schließt ähnliche Anschläge in Deutschland nicht aus und hatte sich schon im April 2001 zu dem Handgranatenanschlag auf das türkische Konsulat in Düsseldorf bekannt.
Die IBDA-C wurde 1984 als Alternative zu der damaligen islamischen Partei MSP von Ex-Ministerpräsident
Necmettin Erbakan gegründet, die von den Islamisten als "zu passiv" kritisiert worden war. Ihr Kampf gilt der 1923
von Mustafa Kemal Atatürk gegründeten und von der Gruppe als "illegal" angesehenen türkischen Republik mit
ihrem Grundsatz der Weltlichkeit.
Die Islamische Bewegung (ICH) ist, wie die des „Gegenkalifen“, eine Abspaltun des ICCB.
Die Muslimbruderschaft (MB; ca. 1.000 Mitglieder) hat die Funktion einer „ideologischen Mutterorganisation“
für zahlreiche sunnitische islamische Gruppen wie die algerische Islamische Heilsfront (FIS) oder die in den palästinensischen Gebieten aktive Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS). Sie betrachtet die Mehrzahl der Regime in
der muslimischen Welt als „unislamisch“ und strebt folgerichtig deren Sturz und die Umgestaltung in Staaten islamistischer Prägung auf der Grundlage der Scharia an. Der Muslimbruderschaft gehören in der Bundesrepublik ca.
1.200 Muslime an. Sie gründeten 1960 in Deutschland die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ mit ihrem
Schwerpunkt in München.
Nachdem die Muslimbruderschaft verboten worden war, gibt es als islamistischen Ableger die Hisb Al Tahir als
Sammelbecken für Sympathisanten aus dem islamischen Mittelstandsmilieu. Einer ihrer Slogan: "Die Juden sind ein
giftiger Dolch im Herzen der islamischen Nation."
Für eine weltweite Islamisierung als Fernziel kämpfen ebenfalls die Islamische Heilsfront (FIS) und andere algerische Terrorgruppen wie die GSPC. Ihr Nahziel ist aber zunächst die Errichtung eines Gottesstaates in ihrem Ursprungsland Algerien. Deutschland dient ca. 400 ihrer Extremisten bisher überwiegend als Rückzugsgebiet. In ihrer
„unversöhnlichen Gegnerschaft zum algerischen Regime“ haben sie weitere „Anschläge in Algerien wie auch gegen
westliche Staaten“ angekündigt.
Die „Hizb Allah“ / Hisbollah („Partei Gottes“) mit ihrem militärischen Flügel Islamischer Widerstand verfügt
in Deutschland, das von ihnen bislang als Ruhe- und Rückzugsraum genutzt wurde, laut Beobachtungen des Essener
Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik über ungefähr 900 Mitglieder, die untereinander aber zerstritten und nicht durch feste Strukturen miteinander verbunden seien.
Die Hisbollah hat in Münster als zentrale Begegnungsstätte ein Islamisches Zentrum errichtet. Wegen ihrer Selbstmordattentate ist die 1992 auf iranische Initiative hin gegründete und hauptsächlich im Libanon residierende schiitische Sammlungsbewegung international auffällig geworden. Die „Partei Gottes“ strebt nach Weisungen Khomeinis
die Errichtung eines „Gottesstaates“ nach iranischem Vorbild im Libanon – dessen Regierung sie deswegen nicht
akzeptiert - und in Palästina unter noch immer proklamierter „völliger Vernichtung Israels mit terroristischen Mitteln“ an. Ihre Mitglieder in Deutschland propagieren in Berlin unter Ausnutzung und Missbrauch der hier bestehenden Demonstrationsfreiheit am von Khomeini 1979 eingerichteten „Al-Quds-Tag“ („Jerusalem-Tag“; ein Kampftag
zur Propagierung der Befreiung Jerusalems von den Juden), dem jeweils letzten Freitag im Ramadan, bislang (2004)
unbehindert ihre islamistische Hetzkultur, die in der Forderung nach völliger Vernichtung Israels gipfelt; eine NPDDemonstration mit einer solchen Forderung würde nach dem auf Art. 8 II GG beruhenden Versammlungsgesetz
verboten! "Was wir hier jedes Jahr sehen", klagt ein Berliner Staatsschützer, "kann irgendwann der Super-GAU sein.
Sunnitische Islamisten und schiitische Islamisten arbeiten trotz aller Gegensätze zusammen. Wenn sich das auswächst, dann Gnade uns Gott" (DIE WELT 14.11.04).
Nach Errichtung einer „Islamischen Republik Libanon“ wird als Fernziel die weltweite Verbreitung der „islamischen
Revolution“ angestrebt. Die Hisbollah soll in der BRD über geschätzte 800 Anhänger verfügen.
Der in der Bundesrepublik mit ca. 400 Personen vertretene Islamische Bund Palästina (IBP) sieht sich als Arm der
hauptsächlich auf der Westbank und in Gaza gegen die israelischen Besatzer kämpfenden „Islamischen Widerstandsbewegung“ Hamas an, deren Ziel die völlige Vernichtung Israels und an seiner Stelle die Errichtung eines
islamisch geprägten Staates in ganz Palästina ist.
Diese vorgenannten Gruppen werden nach den Befürchtungen des Verfassungsschutzes in ihrer Gefährlichkeit von
den in isolierten Grüppchen mit individuellen Kontakten untereinander agierenden Arabische(n) Mudschaheddin
übertroffen. Den „Kämpfern für die Sache Allahs“ wird von den Verfassungssschützern die größte Nähe zu dem
„Terroristen Allahs“, Osama bin Laden, unterstellt, weil zu den Mitgliedern in ihren über die Bundesrepublik gespannten Netzwerken nach Erkenntnissen oder Vermutungen des Verfassungsschutzes Männer gehören, die als
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Kämpfer für den Dschihad an Einsätzen in Afghanistan, Kaschmir und Bosnien teilgenommen haben sollen. Von
ihnen werden auch Anschläge auf deutsche und europäische Objekte befürchtet.
Zuletzt machte die 1952 gegründete und von dem Palästinenser Abdul Qadim Zallum geführte Hizb ut-Tahir alIslami (Islamische Befreiungspartei) von sich reden. In dem parteinahen Organ „Explizit“ propagiert sie die Ziele
dieser Partei: die Gründung eines fundamentalistischen Kalifatsstaates, dessen Einfluss sich von Afrikas Atlantikküste bis zum Chinesischen Meer erstrecken soll. Die Länder, die sich durch dieses Ziel gefährdet fühlen, haben diese
Partei schon verboten. Offiziell lehnt diese Partei Gewalt ab. Aber in der Zeitschrift wird propagiert: „Auf die zionistische Aggression in Palästina kann es nur eine Antwort geben: Dschihad. Allah der Erhabene befiehlt: ’Und tötet
sie, wo immer ihr sie zu fassen bekommt.’, denn schließlich sei Israel ein ’giftiger Dolch im Herzen der islamischen
Nation’“ (SPIEGEL 18.11.02).
Islamische Aktivisten aus Pakistan sind ebenfalls seit Jahren in Deutschland aktiv. Der Verfassungsschutz befürchtet
spätestens seit den Anschlägen in Großbritannien geborener junger Muslime der (scheinbar mitten aus der Gesellschaft kommenden) zweiten und dritten Einwanderergeneration mit pakistanischem Migrationshintergrund, die von
charismatischen Aktivisten in britischen Moscheen radikalisiert, in Pakistan in Terrorhandlungen ausgebildet wurden, in London am 07.07.05 U-Bahn-Anschläge verübt und 2006 Selbstmordattentate mit einem Dutzend usamerikanischer Flugzeuge geplant hatten, im Umfeld der rund 700 Sympathisanten starken „Tabligh-i-Jamaat“
(TJ) mit ihren Glaubensschulungen, sowie den Reise- und Aufenthaltsvermittlungen eine Radikalisierung.
Auch für die Lösung der Palästina-Frage als hauptsächlicher Dollpunkt der islamischen Fundamentalisten in ihrer
Abwehrhaltung gegen den Westen gilt das Wort des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln:
"Nichts ist dauerhaft geregelt, was nicht gerecht geregelt ist.", – aber niemand weiß momentan, wie eine „gerechte“
politische Lösung aussehen könnte: Realpolitisch können die Israelis nach ihrer Vertreibung durch die Römer im
Jahre 70 n.Chr. und nach fast 2000jähriger Verfolgung nicht ihren 1948 neugegründeten Staat wieder aufgeben. Wo
sollten sie stattdessen hin? Nach den Weltkriegen hatte man nichts Geeigneteres als eine „Heimstatt“ für die Juden in
den ehemals jüdischen Gebieten Palästinas gefunden; an einen eigenen Staat Israel war mit Rücksicht auf die den
Arabern gemachten Versprechungen gar nicht erst gedacht worden. Die Israelis ihrerseits können auch nicht die im
Zuge der Gründung des Staates Israel vertriebenen Palästinenser mit allen ihren äußerst zahlreichen Nachkommen
aus den Flüchtlingslagern in ihrem ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg von der UNO zuerkannten Staatsgebiet aufnehmen. Die arabischen Palästinenser in den palästinensischen Flüchtlingslagern sollten bewusst von keinem anderen der arabischen Ländern aufgenommen werden, weil die Araber einerseits hofften, dass die Schaffung des Staates
Israel nur ein vorübergehender Zustand sei, und dass sie andererseits das Elend der Palästinenserlager gegenüber der
Weltöffentlichkeit als Druckmittel verwenden könnten. Die in den Flüchtlingslagern von der Weltöffentlichkeit fast
vergessenen Palästinenser wollen aus diesem Elend zurück in die zuletzt von ihnen bewohnten, nun von den Israelis
besetzten Gebiete, dort aber keinesfalls unter der israelischer Herrschaft leben, der sie ihr Elend verdanken!
Diese ohne Berücksichtigung der religiösen Gegebenheiten schon unlösbare Ausgangslage wird zusätzlich durch die
religiösen Fundamentalisten beider Lager nach deren besten Kräften verschärft.
Die durch einen Alleinanspruch einer Seite nicht lösbaren religiösen Konflikte sind darauf gegründet, dass Jerusalem
allen drei monotheistischen Religionen heilig ist:
Jerusalem ist den Muslimen u.a. wegen des nach der islamischen Eroberung der Stadt 637 n.Chr. durch Kalif Omar
von dem Kalifen Abd al-Malik 669-692 erbauten Felsendomes seit rund 1.400 Jahren heilig. Der Felsendom ist der
frommen Überlieferung nach über dem Platz errichtet worden, von dem aus Mohammed auf seinem Pferd Burak eine
Reise in den Himmel unternommen habe. Ein geglaubter Hufabdruck des Pferdes an einem Felsen wird dort immer
noch gezeigt und verehrt. Neben diesem Heiligtum und ebenfalls auf dem „Haram al-Scharif“ - für die Juden: „Tempelberg“ -, wo der Stammvater der Juden und Muslime, Abraham, von Gott auf die Probe gestellt seinen Sohn Isaak
hatte opfern wollen und wo sich am Tag des Jüngsten Gerichts die Pforten zum Himmel und zur Hölle öffnen sollen,
befindet sich die Al Aqsa/Al Aksa-Moschee als weiteres islamisches Heiligtum.
Den Christen ist die Stadt u.a. deswegen seit 2.000 Jahren heilig, weil dort ihr Glaubensgründer gelebt, gelehrt
und gelitten hat, dort ca. 32 n.Chr. gekreuzigt und der christlichen Legende nach genau dort begraben worden ist, wo
dann unter Konstantin dem Großen die Grabeskirche errichtet wurde, und wo Jesus Christus wiederauferstanden sei;
und ohne Wiederauferstehung nach dem Opfertod und dadurch ermöglichter Vergebung der Sünden mit der Folge
der Wiederaufnahme der Menschen in das Paradies kein Christentum! Von Konstantin des Großen Zeit an gehörte
Jerusalem bis zu seiner gewaltsamen Eroberung durch den Islam dem Christentum.
147
Den Juden ist die vormals jebusitische Stadt „Jebus“ seit ihrer Eroberung durch den israelischen König David ca.
1000 v. Chr. und ihrem Ausbau zum Zentrum der Gottesverehrung seines Volkes seit nunmehr 3.000 Jahren heilig.
David hatte die Reiche Juda und Israel zu einem unter ihm geeinten Königreich zusammengeschlossen und in die
nach der Eroberung Jebus in „Jeruschalajim“ umbenannte neue Hauptstadt seines Großreiches das Wanderheiligtum
des israelischen Stämmebundes, die Bundeslade, überführen lassen. (Nach neuerer Überlieferung enthielt dieses
ehemals größte Heiligtum der Juden die mosaischen Gesetzestafeln.). In Jerusalem wurde auf dem danach benannten
Tempelberg Salomos Tempel errichtet, in dessen Allerheiligstes Davids Sohn die Bundeslade bringen ließ. 597 und
587 v. Chr. eroberte Nebukadnezar II. Jerusalem, ließ es beim zweiten Mal zerstören und führte das Volk Israel in
die sprichwörtlich gewordene Babylonische Gefangenschaft. In dieser Gefangenschaft ging die Bundeslade verloren.
Als Gott sein Volk dann 538 v. Chr. während der Regentschaft des babylonischen Königs Kyros II. aus der babylonischen Gefangenschaft befreite und in das dem ersten biblischen Patriarchen Abraham im ersten mit den Juden
geschlossenen Bund für seine Nachkommen versprochene Land zurückführte, bauten die Juden auf dem Fundament
der „Klagemauer“, ihrem ihnen einzig verbliebenen Heiligtum, den zerstörten Tempel wieder auf. Die Römer zerstörten die Stadt 70 n. Chr. nach einem Aufstand der nur den einen, spätestens seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. nur
noch „Adonei“ („mein Herr“) genannten Gott Jahwe verehrenden Juden gegen die der Vielgötterei anhängenden
römischen Besatzer. Die Römer, die die von ihnen unterworfenen Völker nicht nach ihrer eigenen Facon selig werden ließen, neben all ihren anderen Göttern (zeitweilig) auch ihre Kaiser als Götter verehrten, diesen Verehrungsanspruch gegenüber den von ihnen unterworfenen Völkern erhoben und schon allein dadurch Aufstände provozierten,
zerstörten dabei auch den 500 Jahre zuvor wiedererrichteten Tempel auf dem Tempelberg, weil die Juden ihre Nacken nicht vor dem römischen Geßler-Hut beugen wollten. Die Juden wurden – der damaligen (Un-)Sitte entsprechend - versklavt und in aller Herren Länder zerstreut. Auch als Hadrian 130 n. Chr. Jerusalem wieder aufbauen ließ,
kehrte das Volk Israel nicht geschlossen in sein ehemaliges Gebiet zurück. Es blieb größtenteils in die Diaspora
zerstreut. Andere Völker und Völkergemische ließen sich im Laufe der Jahrhunderte in dem ehemaligen Staatsgebiet
Israels nieder. Da der Tempel Salomos nicht mehr existierte, errichteten die Muslime nach der Eroberung Jerusalems
637 n. Chr. an der schon allein landschaftlich herausragenden Stelle des ehemals dort 1.600 Jahre zuvor errichteten
jüdischen Tempels und seines 1.100 Jahre zuvor errichteten Neubaues ihre eigenen Heiligtümer Felsendom und AlAksa-Moschee.
Der von fundamentalistischen Juden nie aufgegebene Besitzanspruch auf das ihnen auch nach 2.000 Jahren Diaspora
immer noch heilige Areal mit der zumindest auch schon mal angedachten Absicht, ihren Tempel 3.000 Jahre nach
seiner ersten Errichtung dort ein drittes Mal zu erbauen - was aber nur durch Abriss der muslimischen Heiligtümer zu
bewerkstelligen wäre -, brachte den politischen Hardliner Scharon lange vor seiner Wahl zum israelischen Ministerpräsidenten dazu, den Tempelberg demonstrativ besitzanmeldend zu besuchen und so die zweite, die Al-AksaIntifada auszulösen. Das zeigt, wie sehr sich zumindest die religiös eingebundenen jeweiligen Fundamentalisten ihrer
religiösen Geschichte bewusst sind und aus diesem psychologisch-religiösen Urgrund heraus leben – und am Pulverfass zündeln! Am liebsten würden sie die der jeweils anderen Religion heiligen Bauwerke in der Manier der afghanischen Taliban, mit der die die ihnen Ärgernis bereitenden Buddha-Statuen sprengten, zerstören.
Das historisch wirklich einzigartige an der Geschichte des jüdischen Volkes ist, dass seine fast 2000 Jahre andauernde Zersprenkelung in so viele Gebiete der Diaspora nicht wie bei anderen Völkerschaften zu einem Aufgehen der
Juden in ihren „Gast“-Völkern und somit zu einer Auslöschung des jüdischen Volkes führte, es ihm nach diesem
unwahrscheinlich langen Zeitraum sogar gelang, auf dem Boden ihrer Vorväter nicht nur erneut eine Heimstatt zu
finden, sondern auch einen eigenen jüdischen Staat zu gründen! Darin sehen sie das Fortbestehen des zwischen Gott
und Abraham geschlossenen (ersten) Bundes. Die Juden sehen sich als offensichtlich Gottes auserwähltes Volk auf
dem ihnen von Gott vor 3.000 Jahren zugewiesenen Grund und Boden.
Die Juden reklamieren somit die ältesten Glaubensansprüche an diese auch ihnen heilige Stadt. Warum sollten sie die
für andere, jüngere Religionen und deren Anhänger aufgeben?
Keine der Religionen kann ohne Selbstaufgabe auf die ihr heiligen Ansprüche an diese Stadt verzichten!
Der Schlüssel zur Lösung der religiös gegründetenen Probleme kann nur Respekt vor der gleichwertigen Glaubensüberzeugung des anderen, kann nur Toleranz sein – aber über diese Eigenschaft definieren sich Fundamentalisten
nirgendwo auf der Welt!
Der ehemalige langjährige Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, brachte den Lösungsvorschlag in die Diskussion, die Heilige Stadt zu internationalisieren und der Verwaltung der UNO zu unterstellen. Doch dafür ließen
sich weder die Israelis gewinnen, die die Stadt jetzt besitzen und nicht im Traume daran denken, sie wieder aufzugeben, nachdem sie zwei Jahrtausende lang davon geträumt hatten, in die Stadt ihrer biblischen Väter zurückkehren zu
können – ihr Gruß: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“, hielt 2.000(!) Jahre lang diesen Traum wach - , noch waren die
148
Palästinenser für diese Idee zu gewinnen, die die Stadt seit einigen Jahren zwar nicht mehr besitzen, sie aber besitzen
und dann auch nicht wieder aufgeben wollen. Was zählen bei islamischen Fundamentalisten die letzten 50 Jahre des
Verlustes gegenüber den vergangenen 1.400 Jahren fast durchgängigen Besitzes Jerusalems!? Ein Wimpernschlag
der Geschichte. Die Kreuzzügler hatten ja auch zeitweilig den heiligen Boden Palästinas besetzt, waren aber jedes
Mal wieder vertrieben worden. Warum sollte es dieses Mal anders sein? Inschallah!
Wenn man religiös nicht involviert ist, hat der Vorschlag Teddy Kolleks etwas Bestechenden für sich. Hoffnung gibt
für mich in diesem Zusammenhang ein Blick in die Geschichte: 1228/29 hatte der fast ausschließlich in Sizilien
residierende und sowohl in christlichem wie arabischem Gedankengut erzogene Kaiser des Heiligen Römischen
Reiches Deutscher Nation und König von Sizilien Friedrich II. von Hohenstaufen nach seiner Bannung durch den
Papst Gregor IX. die Durchführung eines Kreuzzuges versprechen müssen, um in seinem Kampf gegen das Papsttum
und um Italien von seinem Bann wieder gelöst zu werden. Der Papst wollte die Rückeroberung der dem Christentum
Heiligen Stätten aus islamischer Herrschaft. Als die Einlösung des kaiserlichen Versprechens auf sich warten ließ
und der Papst zu sehr drängte, unternahm Friedrich II. 1229 einen „Kreuzzug“, der kein Kreuzzug im üblichen Sinne
mit gegenseitigem Abschlachten des Andersgläubigen war, wie es vorzugsweise unter jeglichem Wortbruch gegenüber den „Ungläubigen“ von den Christen betrieben wurde. Er fand in dem ägyptischen Sultan Al-Kamil einen gleich
toleranten, weitsichtigen Gesprächspartner und erreichte ohne Blutvergießen durch auf Verständigung angelegte
Verhandlungen die Freigabe der den Christen heiligen Stätten für Pilgerreisende. (Der Sultan ließ sogar zu, dass
Friedrich II. 1229 n. Chr. zum König von Jerusalem gekrönt wurde, das der dann zwei Monate später wieder verließ.) So verständig müssten Muslime und Juden miteinander umgehen, wobei beide Seiten anerkennen müssen, dass
Jerusalem beiden Religionen heilig ist, und das beide Seiten Zugang zu den ihnen heiligen Stätten erhalten müssen.
Anders ist kein Frieden zu finden und zu sichern! Und Israel kann mit Sicherheit nicht die Millionen Palästinenser
aus den Flüchtlingslagern in sein Kern-Staatsgebiet aufnehmen. Davon abgesehen, dass der dafür erforderliche Platz
gar nicht vorhanden ist, wäre bei den dortigen radikaliserten Muslimen die Gefährdung für die Israelis zu groß. Vielleicht wäre es aber eine Lösung, dass Israel die Siedlungen außerhalb seines Kerngebietes aufgibt und den Palästinensern ohne Zerstörung hinterlässt?
Alle drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam müssen letztlich aufeinander zugehen,
denn: „Ohne Frieden zwischen den Weltreligionen kann es keinen Weltfrieden geben.“ Dieses Wort des Bundespräsidenten Rau weist den Weg zur Überwindung des islamischen Fundamentalismus’. Ein Schritt in diese Richtung
mag die vom Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZDM) für seine 600.000 Gläubige 2002 verabschiedete „Islamische Charta“ sein, in der ein Aufeinanderzugehen der Muslime und der Christen in Deutschland gefordert wird. Es
wird darin auf das Gebot des islamischen Rechts verwiesen, die jeweilige Rechtsordnung anzuerkennen, in der die
Muslime leben. So wird in dieser Erklärung die Religionsfreiheit anerkannt – ein für Muslime revolutionärer Schritt!
Es wird sogar die „westliche Menschenrechtserklärung“ angesprochen; und zeigt dadurch gleichzeitig, dass die hinter dieser - viele Glaubensbrüder erschreckenden - Erklärung stehenden Muslime noch einen weiten geistigen Weg
zurücklegen müssen, bis sie auf einem allgemein akzeptierbaren Niveau angekommen sind, denn die Menschenrechte sind keine westlichen: In der Präambel der am 10.12.48 verkündeten Menschenrechtserklärung der Vereinten
Nationen wird klar zum Ausdruck gebracht, dass „die Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, in Zusammenarbeit
mit den Vereinten Nationen die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten
durchzusetzen, da eine gemeinsame Auffassung über diese Rechte und Freiheiten von größter Wichtigkeit für die
volle Erfüllung dieser Verpflichtung ist, verkündet die Generalversammlung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal ...“.
Vielleicht fällt dem Christentum als der zeitgeschichtlich mittleren Religion eine vermittelnde Position zwischen den
beiden verfeindeten Brüdern, die sich beide auf Abraham zurückführen, zu. Der christliche Glaube beruft sich nicht
in gleicher Weise auf Abraham, wie es Judentum und Islam tun. Mit der größeren Distanz zu dem gemeinsamen
Stammvater der beiden Religionen fällt den Christen vielleicht die zur Aufarbeitung des geistigen Konflikts notwendige Moderatorenrolle zu.
149
Zum Autor
Die vorliegende Arbeit fußt auf sehr breit gestreuten Zeitungsartikeln, deren Darstellungen mangels ausreichender
Arabisch- und Korankenntnisse oft ungeprüft übernommen werden mussten, und auf den in Radio- und Fernsehberichten mitgeteilten Fakten. Nicht alle auftauchenden Zweifel haben sich durch Verwendung von Nachschlagewerken beheben lassen. Eine Kontrolle auf den Wahrheitsgehalt der einzelnen Darstellungen gelang meist nur durch
Überprüfung der mitgeteilten Fakten in anderen Zeitungsberichten. In der vorliegenden zusammenfassenden Form ist
mir keine Arbeit zugänglich gewesen, die einem interessierten Laien einen die wichtigsten Einzelaspekte des islamischen Fundamentalismus und der Scharia umfassenden, aufschlüsselnden Einblick ermöglicht hätte. Ich habe alle
gefundenen Diamanten zu Brillanten zu schleifen und zu einem Kollier zu fassen versucht - oder weniger prosaisch:
Ich habe bei möglichst vielen Leuten möglichst sinnvoll abgeschrieben. (Ein Abhacken der Hand nach islamischem
Recht scheidet gleichwohl aus: Die Beute war nicht gut verwahrt, sie wurde außerdem von den Autoren selbst hinausgereicht.) Für diese Vorarbeit danke ich meinen, für die Leser - wie der 12. Imam - im Verborgenen bleibenden
Vordenkern! (Dieser schmeichelnde Vergleich wird sie hoffentlich trösten, wenn sie in der vorliegenden Arbeit Teile
ihrer publizierten Gedanken und gekonnten Formulierungen ohne Quellenangabe wiederfinden sollten. Die Arbeit
war vor Jahren als Hilfe für Lehrer und Schüler konzipiert gewesen, hat sich dann aber im Verlauf ihrer Entstehung,
der Neuauflagen und der sich überschlagenden politischen Ereignisse immer mehr verselbständigt und musste - um
den Anspruch einer möglichst umfassenden Erstinformation über die zeitgeschichtlichen Erscheinungsformen des
islamischen Fundamentalismus aufrecht erhalten zu können - durch Einfügungen ständig aktualisiert werden (was
den einheitlichen Guss der Erstkonzeption an manchen Stellen verlorengehen gelassen haben könnte). Die Ereignisse
in Algerien und dem inzwischen auseinandergebrochenen Sowjet-Imperium mit dem damit verbundenen Entstehen
sechs neuer Staaten mit einer islamischen Bevölkerungsmehrheit haben eine völlig überarbeitete und ergänzte zweite
Auflage notwendig gemacht, die dann ihrerseits nach den grausigen Ereignissen der Terroranschläge in New York
und Washington ergänzt wurde, so dass eine nachträgliche Quellenarbeit nicht mehr möglich war.
Der Autor ist Historiker und Jurist, beruflich u.a. als Fachlehrer für Politik und als Rechtsanwalt tätig gewesen. Sein
besonderes Interesse gilt historisch-rechtlichen und dabei insbesondere strafrechtlichen Fragen.
150
INDEX
Abdallah, König des Irak, Jordaniens 119
Abdu 22
Abduh, Mohammed 118
Abfall vom islamischen Glauben 127
Abhängigkeit, technische 143
Abi Talib 122
Abraham 27, 120, 121
Abu Bakr 122
Adam 120
Ad-Dawa al Islamiyya 56
Afghanen 9
Afghani, Jamal ad-Din al- 118
Afghanistan 57, 67
Aflak 87
Aflaq 111
Ägypten 18, 40
ahl at-tauhiid 118
Ahmed 48
Aissani 48
Akajew 61
Al Aqsa-Moschee 150
Al Takfir wa'l Hidschra 42
Al Tawhid wa Al Jihad 55
Al Utaiba 113
Alasch 67
Alawiden 141
Al-Azhar-Moschee 124, 128
Al-Azhar-Universität 32, 121, 128
Al-Azm 32
Aleviten 80
Algerien 43, 58
Ali 123
Ali Ibn 122
Allah 29
Almosenpflicht 33, 34
Alphabet 60
Amal 114
Amal, islamische 114
Amnesty international 79, 80
Amputation 136, 137
Anap 80, 81
An-Nadha-Bewegung 54
Ansar 55
Anti-Demokratiebekenntnis 47
Antipathie 118
Apostasie 127, 128
Arabiat 55
Arabische Mudschaheddin 149
Arafat 55
Arkoun 5
Armenien 62
Aschura-Fest 120
Aserbaidschan 57, 61, 62
Ashmawi 5
Asis 94
Asrakiten 110
Atatürk 78, 79
Atomlager 57
Atomwaffen 57
Atomwissen 58
Atomwissenschaftler, sowjetische 58
Augustinus 18
Autonome Tschetscheno-Ingusische Republik 63
Ayatollah 103
Azad 57
Azm 5, 78
Baathismus 141
Baath-Partei 41, 87, 111, 141
Bachtiar 115
Bahrein 100
Bangladesh 7, 15
Banna 41
Barbus 44
Baschir 142
Baz 23, 112, 113, 121
Bekenner der Einheit Gottes 118
Belhadj 42
Belhadsch 43, 44
Ben Ali 54
Benachteiligung der Frauen 16, 45, 97, 98
Bendschedid 43, 46
Benhadj 47
Benin 142
Berg-Karabach 62
Bewegung der Entrechteten 114
Bewegung der Gesellschaft für den Frieden 51
Bewegung des islamischen Widerstandes 50
Bibi 57
Blutgeld 126
Boudiaf 46
Bouteflika 51
Brüder, Republikanische 142
Buchreligion 26
Bürgerkrieg 48, 54, 65
Byzanz 28
Camp David 128
Chamenei 36, 49, 58, 103, 115
Charidschiten 109
Christentum 26
Clochardisierung 45
Constitutio Criminalis Carolina 137
Dar el-islam 8
151
Dawa 88, 89
Demirel 80
Demokratie 23, 143
Demokratisierung der Gesellschaft 23
Demütigung der Perser 114
Denktraditionen 31
Derwischorden 79
Diebstahl 136
Dominanz 143
Dominanzstreben 14, 15, 16, 73, 99
Dostam 74
Dschait 54
Dschamiat-e-Islami 68
Dschihad 28, 34, 36, 43, 114, 130, 138
Dudajew 63
DYP 80
ECO 60
Ehebruch 134
Einheit und Heiliger Krieg 55
Einwanderungsdruck 49
Ennahda 54
Entkolonialisierung 95
Entsäkularisierung 82
Entwestlichung, schleichende 79
Entwurzelung 143
Erbakan 8, 79
Erdogan 82
Erweckungsbewegungen 79
Eschkewari 5
Expansionsdrang 31
Fadlallah 33
Fatalismus 33
Fatwa 115
Fazilet Partisi 82
Feisal, König von Syrien, des Irak 119
Felsendom 150
Feminismus 15
Fethullahci-Sufi-Gemeinschaft 79
FFS 45, 46, 48
FIS 15, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 148
Fitra 98
Fitra, überlegene ... des Mannes 99
Fitra, unterlegene ... der Frau 98
FLN 44, 45
Flugzeugentführungen 138
Flying Lady der Orientversion 99
Folter 79, 80, 81, 82
Fouda 42
Frauenberufstätigkeit, Verbot der 48
Frauenbewegung, pakistanische 57
Freies Kaschmir 25
Freiheitsstrafe 136
Friedhof Al-Baqi 118
Front der Sozialistischen Kräfte 45
Front der Vorkämpfer für einen Großen Islamischen
Osten 148
Index
Front für die Befreiung Uigurstans 60
Führung der Umma 114
Fuller 51
Fundamentalismus 6, 14, 41, 47, 54, 62, 82, 112, 118
Fundamentalismus, hinduistischer 16
Fundamentalist 18
Fundamentalisten 8, 31, 46, 54, 60, 79, 81, 122
Gabriel 30, 121
Gabun 140
Gaddafi 16, 121
Galilei 22
Gebet, fünfmaliges tägliches 33
Gebetsrichtung 27
Gehirnwäsche 47
Gemeinschaft aller rechtgläubigen Muslime 61
Gemeinschaft der Gläubigen 92
Genuß berauschender Getränke 133
Gerechtigkeitsorganisation, revolutionäre 114
Gerichtsordnung, Peinliche 137
Geschlechtsverkehr, illegitimer 134
Gesellschaft der kämpfenden Geistlichkeit 103
Gesellschaft kämpfender Geistlicher 103
Gesetz zur bürgerlichen Eintracht 51
Ghannouchi 54
Ghannoushi 53
Ghozali 45
GIA 51
Glaubensbekenntnis 33
Glaubenskonflikt 140
Gleichberechtigung der Geschlechter. 15
Gleichberechtigung, fehlende 97
Golfkrieg, erster 35
Gorbatschow 60, 62
Gottespartei 68
Gottesrechte 26, 126
Gottesstaat 36, 44, 54, 56, 61, 102, 111, 112, 143
Granada 28
Große Moschee 120, 121
Groß-Turkestan 60
Groupe islamique armé 51
Grundannahmen, diffamierende 98
Grundpflichten 33
Gumi 42, 141
GUS 59
Hachani 48, 49
Hakim 111, 112
Hakim, Abdel Asis al 88
Hamas 12, 49, 55, 149
Hamed 141
Hanbaliten 96
Hanifa, Rechtsgelehrter 138
Hannafiten 96
Haq 121, 128
Harakat al-mujtamaa as-silm 51
Harakat al-Muqawima al Islami 50
Harakat-e-Islami-e Afghanistan 68
152
Haram-Moschee 121
Häresie 22
Haschemiten 119
Hass zwischen Persern und Arabern 113, 118
Hassan 15
Hausa 88
Hedschra 26
Hegemoniestreben 23
Heiliger Islamischer Krieg 128
Heiliger Krieg 34
Heiligtümer der Schiiten 100
Hekmatjar 68, 74
HEP 80
Hesb-e-Islam 74
Hesb-e-Islami; 68
Hesb-e-Wahadat 68
Hidschab 49
Hisb Al Tahir 148
Hisb al-Tahrir 55
Hisbolla 114
Hisbollah 148
Hittistes 44
Hizb Allah 148
Hizb ut-Tahir al-Islami 149
Hodschatolislam 103
Hofer 134
Homosexualität 135
Hudud-Delikte 126
Hudud-Strafen 44
Hugenottenkriege 17
Humanismus 22
Husri 87
Hussein 35, 36, 49, 93, 121, 130, 138, 141
Ibadhisten 111
Ibadullah 64
IBDA-C 148
IBP 149
ICH 148
Imam 102, 123, 124
Imamat 102, 123
Imamatslehre 123, 124
Imam-Hatip-Okullari 81
Indien 17, 18, 25, 28
Indonesien 25
Ingenieursbrüder 11
Internationaler Islamischer Gerichtshof 95
Internationales Komitee Ostturkestan 60
Internationales Zentrum für Wissenschaft und
Technologie 58
Internationalisierung Mekkas 121
Intifada 50
Iqbal 56
Irak 58, 87, 111, 141
Iran 53, 58, 60, 68, 80, 81, 100, 102, 140, 141
Iraner 49
Isaak 120
Islam 26, 29, 86, 143
Islam, geheimer 59
Islam, offizieller 59, 64, 65
Islam, Politisierung des 49
Islamisch-Demokratische Allianz 56
Islamische Befreiungspartei 55, 149
Islamische Bewegung 148
Islamische Bewegung von Afghanistan 68
Islamische Einheit 68
Islamische Gesellschaft 68
Islamische Heilsfront 44, 148
Islamische Konferenzorganisation 142
Islamische Partei Afghanistans 68, 74
Islamische Revolutionäre Organisation 113
Islamische Vereinigung 42
Islamische Weltliga 138
Islamische Wiedergeburtspartei 65
Islamischer Bund Palästina 149
Islamischer Heilige Krieg 81
Islamischer Heiliger Krieg 114
Islamischer Koalitionsrat von Afghanistan 68
Islamischer Ruf 56
Islamischer Widerstand 148
Islamisches Zentrum Aachen 42
Islamisierung 81
Islamisten 8, 22, 31, 44, 47, 60, 82, 141
Ismael 27, 121
Ismaeliten 61, 103
Ismailiten 60
Israel 94, 119, 128, 143
Ittehad-e-Islam 68
Jaamat-i Islami 56
Jadiden 65
Jamaat-eislami 92
Jamaha Islami 42
Janitscharen 28
Jassin 50
Jelzin 62, 63
Jerusalem 93, 94
Jesus 27
Jordanien 55, 119
Jungtürken 20
Juppé 51
jus talionis 125
Justizirrtümer 137
Kaaba 27, 119, 120
Kabylei 45
Kadavergehorsam 23
Kadhimain 101
Kadiri 79
Kalif 114, 124
Kalifat 41, 122, 123, 128
Kalifate 24
Kalifen 27, 78
Kani 103
Karimow 61, 64, 65
153
Kasachstan 57, 58, 61, 66
Kaschmir 57
Kashmir-Befreiungsfront 25
Kaukasus 62
Kemalismus 61
Kemalisten 82
Kerbela 100, 113, 119
Khalkali 102
Khan 25
Khatimiya 55
Khomeini 35, 102, 112, 114, 115, 120, 121, 124, 128
Khomenismus 61
Kirche 22
Kirgisien 57, 61
Kirgistan 66
Kismet 29, 33
Klassengegensätze 49, 54
Knabenzins 28
Kolonialismus 20
Kolonialmächte 93
Komitee zur Förderung der Tugend und Verhinderung
des Lasters 98
Komitee zur Rettung der Demokratie 46
Königreich Hedschas 119
Konukman 79
Kopernikus 22
Kopftuch 81
Kopten 42, 141
Koran 30, 125, 140
Koranschulen 81, 142
Kreuz, Rotes 122
Kreuzzug 94
Kreuzzüge 93
Kulturimperialismus 130
Kulturkampf 79
Kurden 92
Kureisch 122, 123
Kuwait 16, 33, 56, 138
Laden, Osama bin 11, 36, 74
Laffin 33
Laizismus 47, 81
Landflucht 143
Legitimitätsproblem 121
Leitender Rat des Heiligen Krieges 69
Libanon 141
Libyen 58, 60
Liga der Islamischen Welt 97, 121
Lyautey 25
Machfuz 5, 31, 128
Machteliten, alte sowjetische 63
Madani 43, 44
Maghreb 43
Mahdi 102, 103, 118, 124
Mahdi-Familie 55
Mahfus 42, 115
Malaysia 25
Index
Malikiten 96
Mardja 103, 124
Markt, gemeinsamer islamischer 60
Martell 18, 28
Märtyrertod 35
Märtyrertum 35
Massenarmut 143
Massiri 9
Massoud 68
Massud 69, 74
Maududi 42
Mauersteher 44
Medina 18, 26, 32
Mekka 26
Menschenrechte 143
Menschenrechte, Ablehnung der Charta der 130
Menschenrechtsministerium 48
Mernissi 15
Messaoudi 15, 45
MIA 48
Milli Selamet Partisi 79
Mirghani-Familie 55
Mittelmeerländer, europäische 49
Modjtahed 103
Mohadscherani 58
Mohtaschemi 115
Monotheismus, verderbter 141
Montazeri 103
Moscheen, Heilige 121
Moslembrüder 55, 92, 122
Moslembruderschaft 40, 68, 126, 128
Mouvement de la tendance islamique 53
Mouvement islamiste algérien 48
MSP 51
MTI 53
Muawiya 123
Mudarissi, Mohammad Taki al 90
Mudschaddidi 68
Mufti 36, 121, 128, 130, 138
Mufti von Ägypten 121
Mullahkratie 102
mushroom churches 140
Muslim 30
Muslimbrüder 11, 50
Muslimbruderschaft 55, 148
Muslime, randständige 49
mutawwa 98
Mutterlandspartei 81
muwahhidun 118
Nabijew 57
Nachkomme des Propheten, direkter 120
Nadschaf 100
Nadschibullah 68, 74
Nahnah 50
Nakschibendi 79
Nakschibendi-Sufiorden 79
154
Napoleon 18, 93
Nasarbajew 58, 61
Nasrallah 114
National Islamic Front 55
Nationale Heilspartei 80
Nationale Organisation islamischer Frauen 129
Nationalen Heilspartei 79, 80, 92
Nationales Komitee gegen das Vergessen und den
Verrat 51
Nationalismus 20
Nationalismus, panarabischer 20
Nationalrat, Palästinensischer 94
Nationalstaat, gesamtarabischer 87
Navarino 18
Neo-Kolonialismus 94
Nesin 81
NIF 55
Nigeria 140, 141
Nissar 25
Nordafrika 18
Numeiri 128
Offenbarungen 26, 32
Oktay 80
Omar 122
Organisation islamische Bewegung 80
Organisation islamische Rache 80
Osman 122
Osmanenreich 18
Ostturkestan 60
Özal 61, 79, 80
Pakistan 7, 16, 57, 58, 60
Palästina 49, 55, 94, 119
Palästinafrage 94
Palästinenserstaat 55
Panarabismus 87, 93, 111
Panislamismus 92
Partei der arabischen und sozialistischen
Wiedergeburt 87
Partei der Nationalen Arbeit 80
Partei des richtigen Weges 80
Partei für eine Gesellschaft des Friedens 51
Parti Islam 25
PAS 25
Paschtunen 69
Pathanen 69
Peschawar-Koalition 68, 74
Philippinen 25
PLO 120
Poitiers 18, 28
Politmorde 80
Polizei, türkische 80, 81
Polizeistaat 46
Prinzipien des Islam, allgemeingültige 123
Punjab 57
Qadissiaja 113
Qaradawi 20
Quisas-Delikte 125
Qutb 9, 38, 41, 54
Rabbani 68
Rache 125
Rafsandjani 36
Rafsandschani 60, 120, 142
Ramadan 34
RAND-Corporation 51
Rat des Islamischen Heiligen Krieges 68
Raubmord 137
Razid 32, 128
Raziq 5, 31
Rechtsfortentwicklung 124
Rechtsschule 60
Rechtsschulen 96, 124
Refah Partisi 79
Re-Islamisierung 25, 92, 95
Re-Islamisierungsbewegung 48
Religion 22
Religion, christliche 26
Religion, jüdische 26
Religionskriege 140
Religionspolizei 98, 112
Renaissance, islamische 25
Rettungsfront, Islamische 49
Rifai 79
Rivalität über Führerschaft im Islam 114
Rolls-Royce 99
Rufmord 134
Rushdie 31, 81, 114, 128, 141
Sachsenspiegel 100, 126
Sadat 56, 128
Sadr 114
Sadr, Mohammad Sadiq as 89
Sadr, Muqtada as 89
Säkularisierung 22, 23
Säkularismus 20
Samarra 100
Saudi-Arabien 33, 68, 80, 81, 97, 112, 140, 141
Saudis 49, 129, 137
Säulen, fünf 33, 124
Schafiiten 96
Schah Reza Pahlevi 35
Scharia 20, 31, 32, 38, 44, 56, 79, 95, 96, 100
Scharif 94, 119
Scharifen 94
Schattenislam 59
Scheikh 48
Schia, rote 89
Schia, schwarze 89
Schiismus 118, 119, 124
Schiiten 96, 100, 111, 112, 118, 119, 122
Schisma 123
Schleierpflicht 49
Schleierverbot 138
Schleierzwang 15, 73, 80, 98, 138
155
Schmuggler, kleine 44
Schreine, Heilige 112, 122
Schreine, Heilige 121
Schrift als Waffe im Kulturkampf 60, 79
Schura-ye-Itefaq-e-Islami 68
Schutzgelderpressungen 42
Schutzmacht des Islam 78
Schutzmachtfunktion 60
SCIRI 88, 89
Sechs-Tage-Krieg 20
Sekte, Nurcu 79
Sekte, Süleymanci 79
Selbstgeißelungsprozessionen 120
September-Gesetze 55
Sharif 56, 57
SHP 80
Siebenerschia 103
Sintflut 120
Sippe des Propheten 141
Sistan, Ali al 88
Sistani 89
SIT 46
Sklaverei 142
Sorush 5
Soyinka 141
Staat, pantürkischer 79
Staatskomitee, Hohes 48
Staatsrat, Hoher 46, 48
Staatsreligion 55
Stalin 61
Stasi-Staat 48
Steinigung 134
Strafen, absolute 126
Strafrecht 38, 124
Straßenraub 137
Strömungen, säkularistische 5
Sudan 54, 141
Sufiorden 79
Sühnezahlung 126
Sultanat von Delhi 18
Sunna 30, 39, 122, 125
Sunniten 96, 122
Symbolik, christliche 113
Tabari, Rechtsgelehrter 137
Tadschiken 69
Tadschikistan 57, 60, 61, 65
Taha 32, 55, 128
Tahab 142
Tahtawi 20
Taimijja 44
Taimiya 43
Takfiri 41
Tambour 25
Tantawi 37, 121, 130
tarikat 79
Tazir-Delikte 138
Index
Technologiesöldner 57
Temelkuran 138
Tempelberg 50
Terror 138
Teufelswerk, westliches 47
Thronräuber 120
Ticani 79
Toleranzgebot 139
Totalitätsanspruch 127, 140
Tourabi 54
Tours 18, 28
trabandistes 44
Tugendpartei 82
Tunesien 53
Turabi 9, 14
Turan 60
Türkei 7, 60, 62, 78
Türkes 80
Turkestan 61
Turkmenistan 57, 60, 61, 64
Turkreich, zentralasiatisches 60
Turkvölker 60, 61
Überbevölkerung 143
Übereinstimmung aller Rechtsgelehrten 39
Überlegenheit des Westens 20
Überlieferungen 39
Ücok 82
UdSSR 60
Uganda 140, 142
Uiguren 60
Ulama 103
UMA 49
Umma 87, 92, 128
Umma al-Islamiya 61
Ungleichheit der Staatsbürger, ideologische 113,
140, 141
Union des Arabischen Maghreb 49
Unitarier 118
Universalanspruch 31, 39, 124
Universalherrschaft 114
Unterlegenheit, Gefühl der 18, 94
Unzucht 57
Urantechnologie 57
Usbeken 69
Usbekistan 57, 60, 61, 64
Ventil, religiöses 47
Vereinigung der Angehörigen ermordeter Journalisten
52
Vergeltung 125
Vergeltungsstrafrecht 125
Verweltlichung 41
Verwestlichung 41
Volksgericht 73
Volksmudschaheddin 35
Volkspartei, Sozialdemokratische 82
Vormachtstellung 87
156
Vorschriften, staatliche 40
Wächteramt 122
Wächterrolle 121
Wahhab 118, 119
Wahhabismus 8, 118
Wahhabiten 8, 112
Wallfahrt 34
Wegelagerei 137
Welayat-e-Faghih 104
Welayat-e-Faghih-Regime 102
Weltbild, kopernikanisches 22
Weltbild, ptolemäisches 23, 121
Weltgeltung 92
Weltherrschaft 8
Welt-Muslim-Liga 124
Weltreligion 25
Weltstrafrecht 31
Weltstrafrechtsprinzip 128
Wiedergeburtsbewegung "Nachta 61
Wien 18, 28
Wohlfahrtspartei 8, 79
Wohlstandspartei 83
Wölfe, Graue 80
Yazid 123
Zaiditen 109
Zakariya 5
Zarqawi 55
Zayd 5, 128
Zentralasien 59
Zéroual 51
Zina 57
Zinsverbot 97
Zouabri 51
Züchtigungsdelikte 138
Zwangsbeglückung 49
Zwangsbeschneidungen 82
Zwölferschiiten 102, 103
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