MEDIZINREPORT STUDIEN IM FOKUS Stoffwechselerkrankungen bei Kindern Foto: Africa Studio/stock.adobe.com Übergewicht und metabolische Störungen entwickeln sich bei Kindern selten zurück Metabolische Risikofaktoren, die in der frühen Kindheit auftreten, können sich bis zum Erwachsenenalter wieder zurückbilden, aber auch weiterbestehen. Wie häufig beides ist, war Fragestellung der europäischen IDEFICS/I.Family-Kohortenstudie. 8 nord-, süd-, ost- und westeuropäische Länder haben teilgenommen inklusive Deutschland. Die Analyse basierte auf den Daten von 6 768 Kindern, die im Alter zwischen 2 und < 10 Jahren erstmals auf lebensstilbedingte Erkrankungen hin untersucht worden waren und anschließend 2 weitere Male. Die Erhebungen umfassten körperliche Untersuchungen und Laboranalysen von Blut-, Speichelund Urinproben. Außerdem wurden Familienmitglieder befragt. Die 1. Erhebung fand in den Jahren 2007/2008 statt (T0), die 2. in den Jahren 2009/2010 (T1) und die 3. in den Jahren 2013/2014 (T3). Die Kinder waren zum Zeitpunkt T0 durchschnittlich 6,6 Jahre alt, 8,3 Jahre bei T1 und 12,0 Jahre bei T3. Es wurden der Taillenumfang gemessen, systolischer und diastolischer Blutdruck, Triglyzeride, HDL- sowie Blutglukose- und Insu- linkonzentration. Die Forscher bildeten 5 Kategorien: metabolisch gesund (Status 1), abdominelle Adipositas (Status 2), Bluthochdruck (Status 3), Dyslipidämie (Status 4) und mehrere Faktoren eines metabolischen Syndroms (Status 5). 61,5 % der Kinder waren zum Zeitpunkt T0 stoffwechselgesund, 15,9 % abdominell übergewichtig, 9 % hatten Fettstoffwechselstörungen und 6,6 % mehrere Komponenten des metabolischen Syndroms. Abdominelles Übergewicht in der frühen Kindheit prädisponierte für metabolische Störungen wie beispielsweise Bluthochdruck, Lipidstörungen oder erhöhte Glukoseund/oder Insulinwerte. Bei 18,5 % der Kinder, bei denen zum Zeitpunkt T0 abdominelles Übergewicht festgestellt worden war, fanden sich zu T1 mehrere Komponenten des metabolischen Syndroms (Status 5), und 79,3 %, bei denen zur Basis schon ein deutlich erhöhter Taillenumfang vorhanden war, hatten zum Zeitpunkt T1 ebenfalls abdominelles Übergewicht. Bei 99,8 % mit Status 5 bei der 1. Erhebung bestand dieser Status auch zum Zeitpunkt T1 und bei 88,3 % weiter (T1→ T3). Kinder dagegen, die bei der 1. Untersuchung metabolisch gesund waren, blieben dies zu 86,6 % für weitere 2 Jahre und meist auch länger (90,1 % T1→ T3). Fazit: Bei Übergewicht in der frühen Kindheit entwickeln sich in den Folgejahren häufig metabolische Störungen wie Bluthochdruck, Lipidstoffwechselstörungen und Hyperglukosämie oder Hyperinsulinämie. Außerdem schaffte es kaum ein Kind aus der Gruppe mit mehreren Komponenten des metabolischen Syndroms bei der Ausgangserhebung im 6-Jahres-Zeitraum zurück in den metabolisch gesunden Status. Die Daten unterstreichen, wie wichtig es ist, bei Übergewicht frühzeitig zu intervenieren, so die Autoren. Schon bei ersten Tendenzen zu Übergewicht sollte gegengelenkt werden, damit Kinder erst gar nicht in den kaum reversiblen metabolisch ungesunden Status gelangen. Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Börnhorst C, Russo P, Veidebaum T, et al.: Metabolic status in children and its transitions during childhood and adolescence – The IDEFICS/I.Family study. Intern J Epidemiol 2019; http://dx.doi.org/10.1093/ije/dyz097. Langzeitfolgen von gelegentlich hohem Alkoholkonsum bei Jugendlichen Foto: patrickjohn71/stock.adobe.com Alkoholexzesse in der Adoleszenz führen häufig zu erhöhtem Blutdruck Mit mit dem Begriff „Binge Drinking“ wird ein hoher Konsum von alkoholischen Getränken bei einer Gelegenheit beschrieben, zum Beispiel an einem Abend. Bei den meisten „Binge Drinkern“ gibt es mehrere solcher Ereignisse im Monat. Langfristige gesundheitliche Auswirkungen von Alkoholexzessen sind bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen bislang aber wenig untersucht. Eines der potenziellen Risiken ist, einen erhöhten Blutdruck zu entwickeln. Eine US-amerikanische Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 39 | 27. September 2019 Forschergruppe hat jetzt eine Auswertung spezifischer Daten aus der National Longitudinal Study of Adolescent to Adult Health (n = 5 114) vorgelegt, bei der in 2 Zeitfenstern Heranwachsende im Alter zwischen 12 und 18 Jahren und junge Erwachsene im Alter zwischen 24 und 32 Jahren erfasst wurden. Ein erhöhter Blutdruck ist in den USA definiert als systolischer Wert von ≥ 130 mm Hg und/oder als diastolischer Wert von ≥ 80 mm Hg. Nach dieser Definition lag bei jungen Erwachsenen, die in ihrer Jugend unregelmäßig, nämlich weniger als einmal pro Woche, massiv Alkohol getrunken hatten, häufiger ein erhöhter Blutdruck vor. Die Odds Ratio (OR) betrug in dieser Gruppe 1,23; 95-%-Konfidenzintervall [95-%-KI] [1,02; 1,49]. Noch ausgeprägter war die Assoziation bei jenen, die mehr als einmal pro Woche intensiv Alkohol zu sich genommen hatten: Die OR für Hypertonie betrug 1,64 [1,22, 2,22]. Am größten war die Wahrscheinlichkeit einer Blutdruckerhö- A 1725 MEDIZINREPORT hung bei jenen Studienteilnehmern, die sowohl in der Teenagerzeit als auch im jungen Erwachsenenalter häufig an Alkoholexzessen teilnahmen: Die OR lag dann bei 2,43 [1,13; 5,20]. Frauen waren ganz besonders durch Binge Drinking bluthochdruckgefährdet: Die OR betrug für junge erwachsene Frauen 5,81 [2,26; 14,93]. Die Assoziation zwischen erhöhtem Blutdruck und Trinkgelagen war unabhängig von anderen Risikofaktoren der Blutdruckerhöhung wie Rauchen oder Adipositas. Studienteilnehmer, die über häufigeres Binge Drinking berichteten, rauchten auch vergleichsweise häufig, nämlich zu 54 %. Fazit: „Die vorliegende Studie belegt an einer großen Kohorte, dass bei Adoleszenten und jungen Erwachsenen die Wahrscheinlichkeit für erhöhen Blutdruck mit zunehmender Frequenz der Alkoholexzesse ansteigt“, erläutert Prof. Dr. med. Petra Reinecke vom Institut für Pathologie der Universität Düsseldorf. Reinecke gibt allerdings zu bedenken, dass in der Studie weder Daten zum wichtigen Risikofaktor Salzkonsum noch zur Einnahme oder Nichteinnahme von Antihypertensiva berücksichtigt worden sind. Diese Parameter wären jedoch für eine detaillierte Interpretation der Risikoabschätzung eines Bluthochdrucks erforderlich gewesen. Zu bedenken sei auch, dass bis zum 25. Lebensjahr, also in den untersuchten Altersgruppen, die Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen sei, kommentiert Reinecke. „Durch Binge Drinking kann sich die Hirnstruktur und dabei vor allem die weiße Substanz verändern. Betreffen solche Schädigungen den Hippocampus, kann dies zu gravierenden Störungen der Gedächtnisleistung führen.“ Dr. med. Ronald D. Gerste Hayibor LA, Zhang J, Duncan A: Association of binge drinking in adolescence and early adulthood with high blood pressure: findings from the National Longitudinal Study of Adolescent to Adult Health (1994–2008). Epidem Com Health 2019; 73: 652–59. Risiko der HIV-Übertragung bei homosexuellen Paaren Foto: Ezume Images/stock.adobe.com Keine Ansteckung durch ungeschützten Sex bei Viruslast unter der Nachweisgrenze A 1726 In der prospektiven Beobachtungsstudie PARTNER ging es um die Frage, wie hoch das HIV-Ansteckungsrisiko bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr zwischen diskordanten Paaren ist. In der 1. Phase (PARTNER-1) von September 2010 und Mai 2014 wurden in 14 europäischen Ländern, darunter Deutschland, 548 heterosexuelle und 340 homosexuelle diskordante Paare rekrutiert. Die Viruslast des HIV-positiven Partners musste in den 12 Monaten vor Einschluss unter der Nachweisgrenze von < 200 HIV-RNA-Kopien/mL gelegen haben. Es trat keine HIV-Transmission vom gut behandelten HIV-positiven auf den HIV-negativen Partner durch ungeschützten Sex auf. Da mehr heterosexuelle Paare teilgenommen hatten, wurden in der 2. Studienphase (PARTNER-2) zwischen Juni 2014 und Juli 2018 nur homosexuelle Paare rekrutiert. Ausgewertet werden konnten 1 593 Beobachtungsjahre von 783 homosexuellen Paaren nach median 2 Jahren. Von der Analyse ausgeschlossen waren Paare, die sich trennten, Zeiten mit Post- oder Präexpositionsprophylaxe, Phasen von Sex mit Kondom oder eine Viruslast von > 200/mL. Die homosexuellen Paare berichteten über 76 088 Mal kondomlosen Analsex. 288 der HIV-negativen Partner (37 %) hatten kondomlosen Sex auch mit anderen Männern. Es traten 15 neue HIV-Infektionen auf, von denen kein Virus phylogenetisch zum jeweils antiretroviral behandelten Partner passte. Das Risiko für eine HIV-Transmission war für die homosexuellen Paare 0, das Konfidenzintervall lag bei 0,23/100 PaarBeobachtungsjahre und war damit sogar niedriger als für die heterosexuellen Paare aus PARTNER-1. Auch bei Auftreten anderer sexuell übertragbarer Infektionen oder einer transienten Virämie mit bis zu 200 HIV-RNA-Kopien/mL ließ sich keine HIV-Transmission feststellen. Fazit: Weder bei hetero- noch bei homosexuellen HIV-diskordanten Paaren wird über kondomlosen Sex HIV übertragen, wenn der HIV-positive Partner unter einer antiretroviralen Therapie virologisch gut supprimiert ist. „Diese Ergebnisse haben erhebliche Bedeutung, da sie individuell von der Angst befreien können, den Partner zu infizieren, aber auch im forensischen Kontext relevant sind“, kommentiert Prof. Dr. med. Jürgen Rockstroh, Bonn. „Dass eine wirksame antiretrovirale Therapie vor einer sexuellen HIV-Übertragung schützt, war für diskordante heterosexuelle Paare bereits eindrücklich in der HPTN-052-Studie und der PARTNER-1-Studie belegt worden. Kritiker wiesen aber darauf hin, dass der Schutz vor einer HIV-Transmission durch nachweislich unter HIVTherapie erreichte Kontrolle der HIV-Vermehrung und bei nicht mehr nachweisbarer Viruslast sich nicht ohne Weiteres auf Männer übertragen lasse, die Sex mit Männern haben, vor allem bei ungeschütztem Analverkehr. Dieser Einwand ist durch die aktuelle Auswertung der PARTNER-Studie zu den homosexuellen Paaren nun eindeutig widerlegt.“ Auf Basis von Studienergebnissen zum Risiko einer HIV-Ansteckung unter laufender antiretroviraler Therapie habe sich die Initiative U = U für „Undetectable = Untransmissable“ gebildet. Hunderte Organisationen, darunter die amerikanische Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC), hätten sich der Kampagne angeschlossen. Andrea Warpakowski Rodger AJ, Cambiano V, Bruun T, et al.: Risk of HIV transmission through condomless sex in serodifferent gay couples with the HIV-positive partner taking suppressive antiretroviral therapy (PARTNER): final results of a multicenter, prospective, obeservational study. Lancet 2019; 393: 2428–38. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 116 | Heft 39 | 27. September 2019