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Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen

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Überörtliche Infrastrukturnetze –
planerische und rechtliche
Grundlagen
Klaus J. Beckmann
Inhalt
1 Begriff Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2 Felder der Infrastrukturen mit lokaler und überörtlicher Bedeutung . . . . . . . . .
2
3 Integration von Raumentwicklung und technischen Infrastrukturen . . . . . . . . . .
3
4 Planung und Umsetzung großräumiger Netze am Beispiel Straßennetz . . . . . . .
5
5 Beispiel „Großräumige Energieübertragungsnetze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Zusammenfassung
Infrastrukturen umfassen bauliche Anlagen und
institutionelle sowie organisatorische und personelle Voraussetzungen, die anthropogene Raumnutzungen durch Bevölkerung und Unternehmen
ermöglichen. Es werden dabei technische Infrastrukturen des Verkehrs sowie der Ver- und Entsorgung und soziale Infrastrukturen der Bildung,
Betreuung, Gesundheit, Kultur, Sicherheit usw.
unterschieden. Sie bestimmen sich nach der Zahl
der potenziellen Nutzer, der Intensität der Nachfrage/Nutzung. Besondere Bedeutung haben
großräumige Netze des Verkehrs und insbesondere der Energieversorgung. Die planerische Vorbereitung wie auch die Umsetzung basieren auf
K. J. Beckmann (*)
KJB.Kom Prof. Dr. Klaus J. Beckmann –
Kommunalforschung, Beratung, Kommunikation und
Moderation, Berlin, Deutschland
E-Mail: [email protected]
entsprechenden planungsrechtlichen Grundlagen.
Schlüsselwörter
Soziale Infrastruktur · Technische
Infrastruktur · Großräumige Netze des
Verkehrs · Großräumige Netze der Ver- und
Entsorgung · Fachplanungsrecht ·
Planfeststellungsverfahren
1
Begriff Infrastruktur
Infrastruktur umfasst wesentliche Grundvoraussetzungen für das Leben der Menschen und die
Wirtschaft in Städten, Regionen, Bundesländern
und Nationalstaaten und damit für das Wohlbefinden der Menschen hinsichtlich Teilhabe, Teilnahme, Austausch und Versorgung. Infrastruktur
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
K. Zilch et al. (Hrsg.), Handbuch für Bauingenieure, Handbuch für Bauingenieure,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-21749-5_44-1
1
2
dient der Daseinsvorsorge und ist zudem Voraussetzung für wirtschaftliche Aktivitäten.
Infrastruktur dient dem Ausgleich von teilräumlichen Unterschieden der natürlichen, sozialen und ökonomischen Ausstattungen und/oder
Standortgegebenheiten und somit der Sicherung
der Gleichwertigkeit von Lebensbedingungen.
Infrastruktur dient in diesem Zusammenhang vor
allem der Auf- und Erschließung von Teilräumen
(vgl. auch Jochimsen 1966; Frey 1972; Bökemann 1984). Sie ist Teilelement der „Produktion“
von anthropogen nutzbaren Standorten durch Erschließung und Sicherung von Erreichbarkeiten
(Verkehr, Wasserversorgung, Entwässerung, Energie, Wärme, Information/Kommunikation . . .) im
Zusammenspiel mit der planungsrechtlichen Verleihung von Nutzungsrechten (Planungsrecht, Bauordnungsrecht).
Als Teilelemente von Infrastrukturen wirken
zusammen:
• (bauliche) Anlagen mit Betrieb, Organisation,
Management und rechtlichen Betriebsregelungen
• institutionelle und organisatorische Voraussetzungen wie Zuständigkeiten, Rechte, Prozesse
• (öffentliches) Personal in Anzahl und Qualifikation.
Infrastrukturen werden zu einem großen Teil
durch öffentliche Akteure (Bund, Länder, Kommunen, kommunale Betriebe, öffentliche Anstalten . . .)
erstellt und betrieben („öffentliche Trägerschaft“)
oder durch diese zumindest in den Leistungen durch
Vorgaben und Überwachung qualitativ und quantitativ gewährleistet („öffentliche Gewährleistungsverantwortung“). Die zunehmende private
Trägerschaft erfordert die Gewährleistung von
Zugangsrechten, von Diskriminierungsfreiheit der
Zugangsrechte wie auch ein Vermeiden von Monopolen und ertrags-maximierenden Preisbildungen.
Städtebauliche Infrastrukturen werden in technische und soziale sowie erwerbswirtschaftliche
Infrastrukturen unterschieden. Technische Infrastrukturen umfassen Anlagen zur Erzeugung und
Gewinnung, gegebenenfalls zur Speicherung und
Umwandlung, zum Transport, zur Verteilung und
K. J. Beckmann
zur Nutzung bzw. Verwertung von Energie,
Wärme, Wasser, Abwasser. Sie umfassen vor
allem auch Verkehrsanlagen und Informations-/
Kommunikationsnetze.
Die materiellen Anforderungen an Anlagen
und Betrieb der Infrastrukturen umfassen
• Sicherheit, Unfallfreiheit, Freiheit von Gefährdungen,
• Leistungsfähigkeit, Kapazitäten,
• Umweltverträglichkeit und Ressourcensparsamkeit,
• Dauerhaftigkeit/Resilienz
(vgl. auch Libbe et al. 2011).
2
Felder der Infrastrukturen mit
lokaler und überörtlicher
Bedeutung
Technische Infrastrukturen umfassen die Sektoren:
• Verkehr mit Straßen (Autobahnen, Bundesstraßen, Landesstraßen, Kreisstraßen, Kommunalstraßen), mit Öffentlichem Verkehrsmitteln
(Eisenbahnen des Fern- und Regionalverkehrs,
S-Bahnen, U-Bahnen, Stadt-/Straßenbahnen,
straßengebundener ÖPNV), mit Netzen und
Anlagen für den nichtmotorisierten Verkehr
(Fußgänger- und Fahrradverkehr), Wasserstraßen und bodenseitige Anlagen des Luftverkehrs (Flughäfen, Landeplätze, Luftüberwachung)
• Energie- und Wärmeversorgung (Strom, Gas,
Fernwärme . . .) mit Erzeugung, Speicherung,
Umwandlung, Transport und Verteilung
• Wasserversorgung mit Gewinnung, Speicherung, Aufbereitung, Transport und Verteilung
• Entwässerung von Niederschlagswasser, Brauchwasser und Schmutzwasser mit Sammlung,
Ableitung, Zwischenspeicherung/Rückhaltung,
Reinigung, Verrieselung/Versickerung, Verregnung, Einleitung in Oberflächengewässer („Vorfluter“)
Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen
• Abfallbeseitigung und Wertstoffwiederverwertung mit Sammlung, Lagerung, Sortierung,
Verwertung, Verbrennung und Ablagerung
• Informations- und Kommunikationsnetze mit
Kupfer- oder Glasfaserkabel, aber auch Funk
(vgl. auch Libbe et al. 2011; Tietz 2018).
Dabei werden verschiedene Netzebenen und
räumliche Bezugsbereiche unterschieden, die jeweils spezifische Übertragungsformen erfordern
mit internationalen, nationalen, regionalen, städtischen, quartiers- und grundstücksbezogenen Netzen. Die unterschiedlichen Betriebsformen auf
den verschiedenen Netzebenen sind notwendig
und zweckmäßig wegen
• unterschiedlicher Übertragungsgeschwindigkeiten (z. B. Bodenverkehr, Luftverkehr),
• unterschiedlicher Übertragungsverluste (Strom
in Höchstspannungsnetzen (380 KV), Hochspannungsnetzen (220 KV, 110 KV), Mittelspannungsnetzen (50 und 20 KV), Niederspannungsnetzen (20 KV, 220/380 V);
Gas mit Hochdruck (>16 bar), Mitteldruck
(ca. 500 mbar), Niederdruck (ca. 60 mbar)),
• unterschiedlicher Transportmengen,
• unterschiedliche Versorgungsweiten.
Die Netzelemente sind innerhalb der einzelnen
Medien verknüpft (Knoten, Kreuzungen bei
Straßen, Bahnhöfe/Haltepunkte bei Schienenverkehrsmitteln, Druckreglerstationen bei Gas und
Wasser, Umspannwerke bei Strom, Knoten und
Verteilstationen bei Informations- und Kommunikationsnetzen . . .). Sie sind auch zwischen den
verschiedenen Trägern bzw. Medien verknüpft –
so die Verkehrsträger an Bahnhöfen, Haltepunkten, Haltestellen, Parkplätzen/Parkhäusern, die
Abwassernetze mit Wärmenetzen („Wärmetauscher“ in Schmutzwasserkanälen) und Stromnetzen („Turbinen in Abwasserkanälen“), die Abfallverwertung und die Schmutzwasserreinigung mit
Energienetzen (Abfallverbrennung, Klärgaserzeugung . . .). Informations- und Kommunikationsnetze wirken in den Netzen aller anderen Medien
begleitend und ermöglichen damit eine Erfassung
der Betriebszustände und eine Betriebssteuerung.
3
Die Netze sind vermehrt intermedial vernetzt –
beispielsweise Batterien von Elektrofahrzeugen
mit dezentralen Stromnetzen, wobei die Batterien
der Fahrzeuge nicht nur die Fahrzeuge antreiben,
sondern auch Strom für andere Nutzungszwecke
zwischenspeichern.
3
Integration von
Raumentwicklung und
technischen Infrastrukturen
Die Nachfrage nach Infrastrukturleistungen hinsichtlich Art, Quantitäten und Qualitäten ist durch
die räumliche Verteilung der Bedarfsträger aus
Bevölkerung/Bewohnerschaft, Wirtschaft und anderen Infrastruktursegmenten im Raum unterschiedlich – beispielsweise zwischen Großstädten, Mittelstädten, Kleinstädten und Dörfern.
Ebenso ist das Dargebot an Leistungen infolge
geogener, hydrologischer, klimatischer Gegebenheiten und kultureller Prägungen der Raum- und
Siedlungsstruktur räumlich unterschiedlich verteilt. Es gibt Teilräume und Standorte mit natürlichen oder anthropogen erbrachtem Leistungsüberschuss („Quellen“ der Leistungen) und mit
Leistungsdefiziten („Senken“ der Leistungen).
Standorte der netzförmigen wie auch der
punktförmigen Infrastrukturanlagen müssen daher abgestimmte werden:
• räumlich horizontal, d. h. zwischen benachbarten Teilräumen zur Sicherung von Netzanschlüssen, optimierten Standorten für vernetzende Anlagen (z. B. Bahnhöfe, Autobahnauf-/
abfahrten und Kreuzungen, Kläranlagen,
Trinkwasserspeicher . . .)
• räumlich vertikal zwischen den Raumebenen
von Europa, Nationen, (Bundes-) Ländern/
Regionen und Kommunen zur Gewährleistung
der Verbindung, Anbindung und der unterschiedlichen Leistungsentfernungen
• sektoral zur Gewährleistung des Zusammenwirkens von beispielsweise Verkehr, Energieund Informations-/Kommunikationsnetzen
• zwischen verschiedenen Leistungsträgern beispielsweise im Bereich des Verkehrs mit öffentlichem (Fern- und Nah-)Verkehr , motorisiertem
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K. J. Beckmann
Individualverkehr oder Lkw-Verkehr, nicht-motorisiertem Verkehr oder im Bereich der Energie
mit Elektrizitäts-, Gas- und Wärmeversorgung
sowie jeweils Informations- und Kommunikationsnetzen.
Trassen von Infrastrukturanlagen werden zur
Reduktion von Flächenbeanspruchungen, zur
Vermeidung von Eingriffen in naturbelassene
Flächen und zur Reduktion der gesamthaften
Umweltwirkungen (Lärm, Schadstoffemissionen,
Trennwirkungen . . .) intramedial wie auch intermedial „gebündelt“. In Städten werden z. B. Kabelkanäle realisiert, in denen Leitungen der
Wärme-, Gas-, Elektrizitäts- und Wasserversorgung und Telefon- und Glasfaserkabel gebündelt
werden (vgl. Abb. 1).
Bei der Gegenüberstellung und dem Ausgleich
von Bedarf und Dargebot sind die Anzahl der
Bedarfsträger wie Einwohnerzahl und -struktur,
Arbeitsplätze und Unternehmen oder auch Geschossflächen und Siedlungsflächen ebenso zu
berücksichtigen wie Anzahl und Struktur der Dargebotsträger (z. B. Verkehrsangebote, Kapazitäten und Betriebsformen). Dabei sind folgende
Einflüsse zu beachten:
Abb. 1 Standardprofil für
Kollektoren des
Österreichischen Institutes
für Baufor-schung
(Vorlesung Beckmann
1999/2000, Kap. 11.8,
Abb. 11.8.6)
• teilräumliche Wirtschaftsstruktur (z. B. Branchen) und Wirtschaftskraft (z. B. beschrieben
durch das erwirtschaftete Brutto-Inlands-Produkt oder die Exportleistungen)
• Technikanforderungen mit Standardisierung,
Sicherheitsanforderungen, Überwachung und
Steuerung
• Finanzierungsgrundlagen mit hohen öffentlichen
Anteilen wie beispielsweise Verkehr, sowie
Informations- und Kommunikationsnetze oder
auch mit hohen privaten Leistungsanteilen durch
Nutzerfinanzierung (Wasser, Abwasser, Wärme,
Energie)
• mögliche Trägerschaften (öffentlich, sowohl
öffentlich als auch privat (ÖPP), privat).
Zur Gewährleistung der vermehrten Anforderungen bezüglich Sicherheit, Störungsfreiheit und
Dauerhaftigkeit der Leistungen, d. h. vor allem
auch Resilienz als Anpassungsfähigkeit der Leistungserbringung werden physische Netze des Verkehrs, der Wasserversorgung, der Energieversorgung und der Kommunikation zunehmend
weniger als Verästelungsnetze ausgestaltet, in
denen Orte der Leistungsnachfrage nur auf einem
Weg erreicht oder angebunden werden. Es dominieren Ringnetze und/oder vermaschte Netze, in
denen auch bei Störungen eine Versorgung sicher-
Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen
gestellt werden kann. Dazu werden Netze zunehmend auch weniger unidirektional, sondern vermehrt bidirektional betrieben. So können beispielsweise Batterien als Leistungsabnehmer von
Strom in Ladevorgängen auch als dezentrale Leistungsabgeber von Strom an Verbraucher in Gebäuden und zur Stabilisierung der Versorgung
dienen.
Physische Netze werden zumeist von organisatorischen Netzen des Betriebs und der Zuständigkeiten sowie von informatorischen Netzen der
Überwachung und Steuerung überlagert, um die
Funktionsfähigkeit zu sichern und/oder den
Betrieb zu optimieren.
4
Planung und Umsetzung
großräumiger Netze
am Beispiel Straßennetz
Ausgangspunkte der Planungen sind wegen der
Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen von
Bevölkerungs- und Sozialsystem, Wirtschaftssystem, Technologiepfaden, Trägerschaften und
Fachpolitiken Szenarien dieser Entwicklungen,
d. h. Szenarien der räumlichen Verteilung der
Nachfrage und des Dargebots hinsichtlich
Quantitäten, Strukturen, zeitlicher Merkmale,
qualitativer Anforderungen. Auf der Grundlage
dieser Szenarien der Nachfrage- und Dargebotsentwicklung werden Netze – beispielsweise
der Straßen, der Schienenwege oder der Stromversorgung – konzipiert. Dabei können unterschiedliche Netzkonzepte mit Hauptverbindungen, Nebenverbindungen und Verknüpfungen,
Übertragungsformen (z. B. Freileitungen oder
Erdkabel und Spannungs-/Druckebenen) entwickelt, hinsichtlich der Leistungsentwicklung
(Verkehr, Strom . . .) überprüft und bewertet werden. Die Bewertung umfasst im Regelfall
• (sozio-)ökonomische Bewertungen mit Hilfe
von Nutzen-Kosten-Analysen oder ähnlichen
ökonomische Bewertungsansätzen,
• raumstrukturelle Bewertungen („Raumverträglichkeitsprüfung“),
5
• Bewertungen bzw. Untersuchungen hinsichtlich der Umweltverträglichkeit („Umweltverträglichkeitsprüfung“),
• Bewertungen der Beeinflussung kleinräumiger
städtebaulicher Qualitäten.
Dazu können Trassen des Neubaus, des Ausbaus
und der Erneuerung grob festgelegt und auf dieser
Grundlage detailliert werden. Zur Trassenprüfung
und -festlegung werden Raumordnungs-Verfahren
durchgeführt und mit einer landesplanerischen
Beurteilung hinsichtlich der Raumverträglichkeit
abgeschlossen. Bestandteil des Raumordnungsverfahrens sind Umweltverträglichkeitsprüfungen
hinsichtlich der Beeinträchtigung schutzwürdiger
Umweltbelange (Naturschutz, FFH-Gebiete, Lärmschutz, Luftreinhaltung, Bio-Diversität . . .) und der
Bevorzugung von Trassen mit geringsten Umweltbeeinträchtigungen. Die detaillierte rechtliche Sicherung der Trassen – auch hinsichtlich der Beeinträchtigung öffentlicher und privater Belange und
der Eingriffe in privates Eigentum (z. B. Grundstück) – erfolgt in dem abschließenden Planfeststellungsverfahren.
4.1
Bundesverkehrswegeplanung,
Ausbaugesetze mit
Bedarfsplänen
Der Bund ist nach dem Grundgesetz (Art. 89,
90 GG) Eigentümer der Bundesfernstraßen (Bundesautobahnen und Bundesstraßen) und der Bundeswasserstraßen. Eigentümer der Bundesschienenwege ist die Deutsche Bahn AG, an der der
Bund die Mehrheit hat (Art. 87e GG). Der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) dient der Steuerung von Erhaltungsbedarf („Erneuerung“), Ausbau und Neubau dieser Bundesverkehrswege im
Zeitraum von 10 bis 15 Jahren.
Die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen
Vorteilhaftigkeit schreibt das Haushaltsrecht des
Bundes (§ 6 Haushaltsgrundsätzegesetz HGrG
und § 7 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung BHO)
vor. Die Vorteilhaftigkeit bestimmt die Dringlichkeit der Projekte, wobei die Realisierung außerdem von der Erlangung des Baurechts („Planfest-
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K. J. Beckmann
stellung“) und der Verfügbarkeit bzw. Freigabe
der Finanzmittel abhängt.
Abb. 2 zeigt den Ablauf der Bundesverkehrswegeplanung und der Vernetzung mit der mittelfristigen Finanzplanung und der Projektfinanzierung im Rahmen der jährlichen Haushaltspläne.
Die Ausbaugesetze sind alle fünf Jahre hinsichtlich der Gültigkeit der Annahmen (z. B. Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung)
und der Prioritäten in den Kategorien „Vordringlicher Bedarf“, „Weiterer Bedarf“ und „Kein
Bedarf“ zu überprüfen. Der derzeit gültige Bundesverkehrswegeplan hat das Bezugsjahr 2030
und wurde 2016 vom Bundeskabinett beschlossen
(vgl. Monse und Hassheider 2017).
Ziele der Bundesverkehrswegeplanung sind
u. a.
• Substanzerhaltung
• Verbesserung des Verkehrsflusses und Engpassbeseitigung
• Verbesserung der Erreichbarkeiten und Anbindungsqualitäten
• Zuverlässigkeit von Transport
• Transportkostensenkung
• (modale) Verkehrsverlagerung auf umweltverträgliche(re) Verkehrsmittel
• Verkehrssicherheit
• Begrenzung des Flächenverbrauchs und Erhaltung unzerschnittener Landschaftsräume
Abb. 2 „Lebenszyklus“
eines
Bundesverkehrswegeplans
(BMVI 2019, S. 9)
Ebene der
Legislative
Ebene der
Exekutive
Ebene der
Einzelprojektplanung
• Lärmminderung
• Erschließung von städtebaulichen Entwicklungspotenzialen.
Die Projektvorschläge für das Straßennetz
kommen überwiegend von den Ländern, bei
den Bundesschienenwegen von der Deutschen
Bahn und bei den Wasserstraßen von Bundeswasserstraßenbehörden. Sie sind also überwiegend Ergebnis von teilräumlichen oder verkehrsträgerspezifischen Wünschen und nicht von
fundierten und gesamthaft angelegten Problemanalysen (z. B. Schwachstellenanalysen) zu
(regionaler) Wirtschaft, Umwelt und Sicherheit
über die durchgeführten verkehrlichen Engpassanalysen hinaus.
Die Verkehrs(nachfrage)prognosen für 2030
werden als räumliche Verflechtungsprognosen
zwischen Kreisen (und mit dem Ausland) erstellt.
Dabei wird nach Personen- und Güterverkehr
unterschieden und die Verkehrsnachfrage auf die
verschiedenen Verkehrsträger (Straße, Schiene,
Wasserstraße, Luftverkehr, Seeverkehr) aufgeteilt.
Instrumente der BVWP-Prognose dienen zur
Vorausschätzung der künftigen Verkehre und Verkehrsbelastungen auf den Infrastrukturnetzen.
Ausgangspunkt ist die Strukturdatenprognose,
welche die Entwicklung von Bevölkerung und
Ausbaugesetze
mit Bedarfsplänen
Bundesverkehrswegeplan
Planungsauftrag
Baurecht
Jährliche
Haushaltsgesetze
Fünfjahrespläne (IRP)
weitere
Fachplanung
Bauausführung
Schematische Darstellung der Bundesverkehrswegeplanung
Quelle: BMVI
Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen
Wirtschaft – nach Sektoren und Regionen differenziert – für den Prognosehorizont bis 2030
vorausschätzt. Auf dieser Grundlage wird die Entwicklung der gesamten Verkehrsströme prognostiziert, auf die Verkehrsmittel aufgeteilt und auf
die Strecken der Netze umgelegt („Verflechtungsprognose“). Diese modellgestützten Rechnungen
benötigen Inputparameter, die politisch beeinflussbar sind. Beispiele sind Verkehrssteuern,
Mauten oder Regulierungen.
Die Ergebnisse basieren auf den Annahmen
des Kern- und Kompromiss-Szenarios.
• Die Verkehrsprognose beschreibt ein moderates Wachstum der Personenverkehrsleistung
(+12,2 %), während die Güterverkehrsleistung
kräftig wächst (+38 %) im Zeitraum 2010
bis 2030.
• Der Schienen-Personenverkehr steigt stärker
an (+19,2 %) als der motorisierte Individualverkehr (+9,9 %), aber dies führt nicht zu einer
Trendwende beim modalen Anteil der Schiene
(von 7,5 auf 7,9 %).
• Der Schienen-Güterverkehr steigt stärker an
(+42,9 %) als der Straßen-Güterverkehr
(+38,9 %), gewinnt aber nur leicht an Anteilen
der Verkehrsleistung (von 17,7 auf 18,4 %).
• Von den Gesamtinvestitionen in Höhe von
269,6 Mrd. EUR gehen 132,8 an die Bundesfernstraßen (davon 67,0 Mrd. für Ersatzmaßnahmen), 112,3 an die Bundesschienenwege
(davon 58,4 Ersatz) und 24,5 an die Bundeswasserstraßen (davon 16,2 Ersatz).
Der Anteil der Ersatzinvestitionen liegt damit
bei 50,1 % für die Straße, 52 % für die Schiene
und 66 % für die Wasserstraßen. Bei den Neu- und
Ausbauprojekten werden ca. 80 % der Mittel für
Projekte auf Hauptachsen, d. h. für großräumig als
bedeutsam eingestufte Projekte, bereitgestellt.
Die wirtschaftliche Bewertung (Modul A)
basiert auf einem abstrakten Wohlfahrtskonzept,
das von konkreten politischen Zielen unabhängig
ist. Im Mittelpunkt stehen die Zuwächse an Konsumenten- und Produzentenrenten, die aus Ein-
7
sparungen an Zeit- und Betriebskosten der
Verkehrsteilnehmer folgen. Weiter gehen monetarisierte Unfallfolgen und Umweltwirkungen von
Projekten in die monetäre Bewertung ein. Zusätzlich werden nicht monetäre umweltfachliche
(Modul B) sowie städtebauliche und raumordnerische Belange (Modul C) mit Hilfe von zusätzlichen
Bewertungsansätzen quantifiziert. Diese werden
aber nicht mit den monetären Ergebnissen der Wirtschaftlichkeitsrechnung zusammengefasst. Damit
verbleibt am Ende die Aufgabe, eine gesamtpolitische Bewertung, d. h. Abwägung der drei ModulErgebnisse vorzunehmen. Dies erfolgt zum
Beispiel durch Ausschluss von Projekten mit teilweiser Umweltunverträglichkeit oder durch die
Einbeziehung von Projekten für regionale Relationen mit spezifischen Anbindungs-/Verbindungsdefiziten.
In die Kosten-Nutzen-Analyse (Modul A)
gehen (monetarisierbare) Wirkungen ein wie
• Betriebsführungs- und Vorhaltekosten im Personen- und Güterverkehr
• Zeitkosten im Personen- und Güterverkehr
• Unfallkosten
• Kosten infolge Unzuverlässigkeit („Störung“/
„Stau“)
• Umweltwirkungen aus Luftschadstoff- und
Lärmemissionen, Klimawirkungen – Letzteres
über den Lebenszyklus.
Die Ergebnisse der wirtschaftlichen Bewertung
(Änderungen der Konsumenten- und Produzentenrenten, der Unterhaltskosten, der Unfallfolge- und
Umweltkosten und weiterer verkehrsbezogener
Komponenten wie zum Beispiel Zuverlässigkeit in
der Logistik) bilden den Nutzen von Projekten im
Modul A. Die Division der zusammengefassten
jährlichen monetären Nutzen durch die Annuität
der Investitionskosten ergibt das Nutzen-KostenVerhältnis (NKV). Das NKV bildet die Basis für
eine erste Prioritätenbildung für Aus- und Neubauprojekte. Dies erfolgt getrennt für die Verkehrsträger
Straße, Schiene und Wasserstraße.
Raumordnerische Wirkungen werden in Bezug
auf
8
• Defizite der Anbindungs- und Verbindungsqualitäten zu Zentren des Zentrale-Orte-Systems und
• Defizite der Erreichbarkeiten hinsichtlich
raumordnerischer Mindeststandards der Erreichbarkeiten
ermittelt. Grundlage ist die Richtlinie für integrierte Netzgestaltung (RIN, vgl. FGSV 2008) auf
der Basis von Luftliniengeschwindigkeiten zwischen Oberzentren und Metropolregionen bzw.
zwischen Teilräumen und Mittel- oder Oberzentren.
Ein hoher NKV ist Voraussetzung für die
Zuordnung zum vordringlichen Bedarf (VB),
wobei dieser noch unterteilt ist in VB-E (vordringliche Einstufung, keine hohe Umweltbetroffenheit). Gleichfalls werden Straßenprojekte mit
hoher raumordnerischer oder städtebaulicher
Bedeutung dem vordringlichen Bedarf zugeordnet. Bei der Schiene werden in einem ersten Auswahlschritt Projekte gutachterlich vorbewertet,
die in die Nutzen-Kosten-Bewertung sowie Umwelt- und Raumordnungsprüfungen aufzunehmen
sind. Diese gehen aufgrund ihrer NKV direkt in
die Prioritätenbildung ein. Die übrigen BahnProjekte durchlaufen eine Phase 2 im Nachgang
zum BVWP und können in den vordringlichen
Bedarf aufgenommen werden, sofern sie sich als
sinnvolle Ergänzungen erweisen. Dieser Arbeitsschritt, der praktisch alle Maßnahmen zur Verbesserung des kombinierten Verkehrs durch moderne
Umschlaganlagen umfasst, steht aber bisher
noch aus.
Die Priorisierung erfolgt jeweils getrennt für
Straße, Schiene und Wasserstraßen hinsichtlich
• Erhaltungs-/Ersatzbedarf
• Aus- und Neubau.
Dabei werden im BVWP 2030 mit einem
Gesamtinvestitionsvolumen von 269,6 Mrd. Euro
141,6 Mrd. Euro für Erhaltungs- und Ersatzmaßnahmen festgelegt. Im Bereich der Aus- und Neubauprojekte sind 53,6 % der Investitionsmittel für
die Straße, 42,1 % für die Schiene und 4,3 % für
die Wasserstraße vorgesehen. Enthalten sind die
K. J. Beckmann
Mittel für „Laufende“, d. h. in Bau befindliche
Projekte und für „fest disponierte“ Projekte. Der
„Vordringliche Bedarf (VB)“ wird noch aufgeteilt
in Projekte „Vordringlicher Bedarf zur Engpassbeseitigung (VB-E)“ und „Sonstiger Vordringlicher Bedarf “ (VB), der „Weitere Bedarf“ in „Weiterer Bedarf mit Planungsrecht“ und „Sonstigen
Weiterer Bedarf“.
Die EU Kommission hat in ihrem Weißbuch
von 2011 das Ziel formuliert, die Klima-Emissionen des Verkehrs bis zum Jahr 2050 um 60 %
zu senken. Hierzu erwähnt sie eine Reihe von
Maßnahmen, darunter den Ausbau der Transeuropäischen Netze (TEN) und verkehrspolitische
Vorgaben zur Erzielung eines nachhaltigen Modal
Splits. So sollen zum Beispiel Gütertransporte
oberhalb von 300 km Transportdistanz bis 2030
zu 30 % mit der Bahn durchgeführt werden, bis
2050 sollen dies sogar 50 % sein. Die TEN-Maßnahmen dienen zum großen Teil der Wiederherstellung der Konkurrenzfähigkeit von Bahn und
Binnenschiff. Im Bahnbereich soll innerhalb der
EU Interoperabilität auf den Netzen hergestellt
werden, wozu folgende Indikatoren („Key Performance Indicators, KPI“) für die Kernnetz-Korridore (CNC) im Güterzugbereich festgelegt
wurden:
•
•
•
•
•
Strecken zweigleisig und elektrifiziert
max. Zuglängen 740 m
max. Achsgewichte 22,5 t
max. Geschwindigkeiten 120 km/h
einheitliches Zugleitsystem ERTMS.
Insgesamt sind zwei Drittel der geschätzten
Kosten für die CNC für den Ausbau der Bahninfrastrukturen geplant. Deutschland hinkt mit
den Planungen allerdings hinterher, vor allem bei
den max. Zuglängen und dem einheitlichen Zugleitsystem ERTMS. Mittel, die von der EU im
mittelfristigen Programm 2014–2020 im Rahmen
der „Connecting Europe Facility (CEF)“ zur Verfügung standen, wurden von deutscher Seite bislang nur in geringem Umfang genutzt, weil die
Projekte nicht ausgereift waren. Vor allem im
Falle von ERTMS haben sich Deutsche Bahn
AG und Bund erst sehr spät auf eine beschleunigte
Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen
Realisierung verständigt. Erst der Masterplan zum
Schienengüterverkehr, der im Jahr 2017 kurz vor
den Wahlen zum Bundestag veröffentlicht wurde,
nennt konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der
Konkurrenzfähigkeit der Schiene. Deren Realisierung kann aber erst durch die neu gewählte Regierung beschlossen und gefördert werden. Fakt ist,
dass dieser Masterplan dem BVWP nicht
zugrunde liegt und insofern nur Ankündigungscharakter hat und viele Fragen offen lässt.
Unter Klimaschutzaspekten spielen Ziele
der Reduktion von CO2-Emissionen – wie auch
von anderen klimarelevanten Emissionen wie
Methan (CH4) – seit vielen Jahren eine entscheidende Rolle. Dabei geht es um CO2-Emissionen
aus Haushalten/Gebäuden, Industrie/Produktion,
Landwirtschaft und Verkehr. Während seit 1990
in nahezu allen Sektoren Reduktionen um
20–40 % erreicht werden konnten, sind die absoluten CO2-Emissionen des Verkehrs nahezu konstant geblieben und haben damit im Anteil an den
gesamten CO2-Emissionen zugenommen.
Auf der Grundlage der vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) im 5. Sachstandsbericht (2013/14) geleisteten Klimafolgenabschätzungen und der global diskutierten Ziele
der Begrenzung der Temperaturerhöhung auf 2 C
(Marge 1,5 C–4 C) haben sich vieljährig verschiedene UN-Veranstaltungen („Klimakonferenzen“, Kyoto 1997, Kopenhagen 2009, Paris 2015,
Cancun 2010, Marrakesch 2016 und nachfolgend
Bonn 2017 sowie Warschau 2018) um Verabredungen bzw. Vereinbarungen zu abgestimmten
Aktivitäten nahezu aller UN-Mitgliedsstaaten bemüht. Dies ist letztlich mit dem „Klimaschutzabkommen 2016“ gelungen. Auf dieser Grundlage
hat die Bundesregierung den „Klimaschutzplan
2050“ (14.11.2016) mit Sektorzielen verabredet.
Dies bedeutet für den Verkehr eine Reduktion um
40–42 % (gegenüber 1990). Dieser sollte Rahmen
und Maßstab für verkehrsgestaltende Maßnahmen bezüglich Infrastrukturen, Betriebssystemen,
Fahrzeugen, aber vor allem auch bezüglich Verhaltensänderungen bzw. Nutzungsstrukturen sein
bzw. werden.
9
Während der BVWP derzeit nur eine partielle
Projektbewertung enthält, geht es bei der Weiterentwicklung darum, diese durch eine integrierte
Systembewertung zu ergänzen. Die für diesen
Zweck geeigneten Bewertungsverfahren gehen
über die Nutzen-Kosten-Analyse hinaus. Sie umfassen erweiterte wirtschaftliche Folgewirkungen
(„wider economic impacts, WEI“; s. Rothengatter
2017) und zielen vor allem auf die langfristigen
Effekte für Wirtschaftswachstum, Strukturveränderung und Verteilung. In diesem Zusammenhang
stehen die Wechselbeziehungen zwischen Verkehr
und den übrigen Wirtschaftssektoren sowie der
Einfluss des Verkehrs auf den technischen Fortschritt im Mittelpunkt. Obwohl WEI in einigen
Ländern (UK, Frankreich, Niederlande) für erweiterte Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Großprojekten oder Investitionsprogrammen angewendet werden, gibt es derzeit kein Standard-Verfahren,
d. h. es ist eine Neu-Entwicklung erforderlich.
Die EU-Kommission fördert die Entwicklung
integrierter Bewertungsverfahren („integrated assessment methods, IAM“), die neben den Wechselbeziehungen zwischen Verkehr und Wirtschaft auch
Wechselbeziehungen zu Technologie, Energiewirtschaft und Umwelt berücksichtigen. Beispiele sind
die Projekte HIGHTOOL und TRIMODE.
Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats für Verkehr zur „Strategieplanung Mobilität
und Transport – Folgerungen für die Bundesverkehrswegeplanung“ (2009) und andere Veröffentlichungen (z. B. Beckmann, Klein-Hitpaß und
Rothengatter 2012) fordern eine stärkere strategische Ausrichtung der Bundesverkehrswegeplanung und deren Unterteilung in drei Ebenen:
• politische Strategieebene,
• Systemebene und
• Projektebene.
Diese Empfehlungen sind hinsichtlich ihrer
Sachgerechtigkeit und zukunftsorientierter Erfordernisse nicht in Frage gestellt, aber bisher weitgehend nicht umgesetzt.
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Auf der politischen Strategieebene geht es um
übergeordnete Vorgaben für die Bundesverkehrswegeplanung wie
• institutionelle Festlegungen (z. B. einzubeziehende Netze),
• Festlegungen von Zielen und Eckwerten,
• Festlegung von Maßnahmenkollektiven zur
Zielerreichung,
• Grundsätze der Priorisierung (z. B. Erhaltung
vor Neu- und Ausbau),
• Bewertungsobjekte (Einzelprojekte, Teilnetze,
Gesamtnetz, Programme, z. B. DeutschlandTakt),
• Bewertungsverfahren, abgestimmt auf die
Bewertungsobjekte (Kosten-Nutzen-Analyse
KNA, Multikriterien-Analyse MKA, partiell
für Projekte, integriert für Maßnahmen-Kollektive und Gesamtnetze, analog zur Strategischen Umweltprüfung).
Auf der Systemebene sind die Rahmensetzungen der Strategieebene zu Handlungskonzepten
(Szenarien) zu verdichten und vertiefend auf
Wirkungen zu untersuchen. Dies kann beispielsweise umfassen:
K. J. Beckmann
• Erhaltungs-Szenario (folgend aus Zustandsanalysen und Verschleißprognosen), d. h. Konzentration der Infrastrukturmittel auf Erhaltung
und Erneuerung
• Engpass-Szenario (Analyse verkehrlicher, sicherheits- und umweltbezogener Engpässe als
Grundlage für die Projektauswahl)
• Technologie- und Nachfrage-Szenario (Analyse wahrscheinlicher Änderungen gegenüber
Vergangenheits-Trends; Bestimmung zusätzlicher infrastruktureller Maßnahmen wie Elektrolade- und Wasserstoff-Tankstellennetze, Ergänzungen bei Kommunikationsnetzen)
• Klimaschutz-Szenario zur Erreichung der
CO2-Minderungsziele für den Verkehr durch
infrastrukturelle und ergänzende (organisatorische, steuerliche, managementmäßige und
informatorische) Maßnahmen
• Nachhaltigkeits-Szenarien (Maßnahmenprogramme zur Einhaltung der strategisch vorgegebenen Eckwerte, Vorbereitung zur Auswahl
eines Maßnahmenprogramms unter Einschluss
einer Infrastruktur, durch welche die Einhaltung der Eckwerte wirtschaftlich effizient erreicht werden kann)
• Bewertung der Szenarien mit Hilfe „erweiterter“ integrierter Verfahren
Abb. 3 Betrachtungs- und Entscheidungsebenen (Beckmann und Rothengatter 2017, S. 22)
Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen
• Abstimmung mit der Finanzplanung (Projektion verfügbarer Budgetmittel, Ergänzung
durch ÖPP, mögliche EU-Förderung) (Abb. 3).
4.2
Planungsrecht für
Bundesfernstraßen
Straßenbauvorhaben des Bundes für Bundesautobahnen oder Bundesstraßen dienen der Verbesserung der Verkehrsinfrastrukturen und damit der
Erreichbarkeit von Teilräumen sowie der Verbesserung von Teilnahmechancen und von wirtschaftlichen Austauschprozessen. Sie bedeuten
gleichzeitig Eingriffe in die Umwelt und zumeist
in die Rechte von Menschen oder öffentlich-rechtlichen sowie privat-rechtlichen Körperschaften.
Diese Eingriffe müssen planungsrechtlich begründet, abgewogen und als unverzichtbar eingestuft werden. Dabei gibt es eine Abwägungsspanne zwischen dem Ziel einer zügigen Planung und
Umsetzung („Beschleunigung“) und einer umfassenden Wirkungsermittlung (Verkehrssicherheit,
Umweltbelastungen, Leistungsfähigkeit, Minimierung von Auswirkungen) und einer intensiven
Beteiligung der Betroffenen und der Bürgerschaft
als Gesamtheit.
Die bisherige Zuständigkeit der Bundesländer
nach Art. 85 und 90 GG für Verwaltung, Planung,
Neubau und Unterhaltung – mit Ausnahme der
Ortsdurchfahrten von Gemeinden mit mehr als
80.000 Einwohnern (§ 5 Abs. 2 Bundesfernstraßengesetz FStrG) – ändert sich mit der Gründung einer
Bundesfernstraßengesellschaft, die die Aufgaben
der Länder übernimmt (2017). Der Bund, vertreten
durch den jeweiligen Bundesverkehrsminister (derzeit BMVI), behält die Zuständigkeit für Bundesverkehrswegeplanung, Bedarfsplanung und Linienbestimmung, die Städte die Zuständigkeit für
Ortsdurchfahrten – bei mehr als 80.000 Einwohnern
– und die Möglichkeit zur Beantragung der Zuständigkeit bei mehr als 50.000 Einwohnern.
Die Zuständigkeit für Landesstraßen (Landstraßen, Staatsstraßen) liegt bei den Ländern.
Diese regeln über die Landesstraßengesetze auch
11
die Rahmenbedingungen für Kreisstraßen und
Gemeindestraßen als „klassifizierte“ Straßen,
deren Zuständigkeit aber bei den Kreisen bzw.
Gemeinden als Baulastträger liegt. Während
Bundesautobahnen, Bundesstraßen, Landes- und
Kreisstraßen nach den Straßengesetzen des Bundes (FStrG) bzw. den Straßengesetzen der Länder
geplant, gebaut, betrieben oder unterhalten werden (straßen-/wegerechtliche Sicherung), werden
Gemeindestraßen oder öffentliche Wege zumeist
über Bebauungspläne nach Baugesetzbuch BauGB
geplant und gesichert. Der Einsatz Privater erfolgt
über Private-Public-Partnerships oder über private
Finanzierungsmodelle (z. B. A-Modelle, bei denen Private Planung, Bau, Betrieb und auf eine
Laufzeit von 30 Jahren Erhaltung übernehmen
und dazu Erträge der Lkw-Maut für den jeweiligen Straßenabschnitt vom Bund erhalten („Konzessionsvertrag“)).
Mit der Aufnahme eines Straßenbauvorhabens
in den Bedarfsplan für Bundesfernstraßen als
Gesetz – analog für Eisenbahnvorhaben in den
Bedarfsplan für Schienenwege oder für Wasserstraßen in den entsprechenden Bedarfsplan – ist
der Bedarf für die Linienbestimmung (§ 16
FStrG) und für die Planfeststellung (§ 17 FStrG)
verbindlich festgelegt. Über Raumordnungs- und
Linienbestimmungsverfahren sowie Planfeststellungsverfahren muss das Baurecht nach § 17
FStrG geschaffen und die Finanzierung im Rahmen des jeweils laufenden Investitionsrahmenplans und der Haushaltspläne des Bundes gesichert werden.
Das für Bundesfernstraßen zuständige Bundesministerium bestimmt im Benehmen mit den
Landesplanungsbehörden der beteiligten Länder
die Planung und Linienführung, d. h. Anfangsund Endpunkt sowie grundsätzlichen Verlauf
(§ 16 FStrG) – zumeist auf der Grundlage von
vorgelagerten Raumordnungsverfahren. Für Ortsumgehungen bedarf es keiner Linienbestimmung.
Die Linienbestimmung bindet nur die beteiligten
öffentlichen Verwaltungen. Rechte und Pflichten
gegenüber dem Bürger entfalten erst die Planfeststellungsbeschlüsse. Notwendig ist im Verlauf oder
als integraler Bestandteil eines Raumordnungsverfahrens (§ 15 Raumordnungsgesetz RO) eine Um-
12
weltverträglichkeitsprüfung. Nach UVP-Gesetz ist
eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Bau und
Änderung von Bundesfernstraßen vorgeschrieben
(Anlage 2 UVP-Gesetz; vgl. auch Louis i. d. B.).
Die Umweltverträglichkeitsprüfung beinhaltet eine
umfangreiche Öffentlichkeitsbeteiligung. Die
Umweltauswirkungen werden somit frühzeitig
ermittelt und – unter Beteiligung der Öffentlichkeit
– bewertet. Sind die im Gesetz festgelegten Kriterien (Anlage 2 UVP-Gesetz) für eine UVP nicht
erfüllt, so sind in einem Screening-Verfahren die
Umweltauswirkungen durch die Planfeststellungsbehörde überschlägig zu ermitteln, um über das
Erfordernis einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung zu entscheiden.
Die UVP umfasst die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Auswirkungen auf die
Umweltschutzgüter Menschen, Fauna, Flora,
Boden, Wasser, Luft, Klima, aber auch Landschaft, Kulturgüter und sonstige Sachgüter. Die
Umweltbelastungen müssen mit den verkehrlichen, wirtschaftlichen, raumordnerischen und
städtebaulichen Effekten des Straßenbauvorhabens abgewogen werden. Die Unterlagen sind
nach § 6 UVPG durch den Vorhabenträger der
zuständigen Behörde zur Entscheidung vorzulegen. Die UVP ist ein Verfahrensrecht, aus dem
einzelne Bürger und Betroffene keinen unmittelbaren Anspruch ableiten können.
Besondere Schutzbelange ergeben sich nach
der Flora-Fauna-Richtlinie (FFH-RL 1992) in
Gebieten von (europäischer) gemeinschaftlicher
Bedeutung wie „Natura-2000-Gebiete“ oder „Europäische Vogelschutzgebiete“.
Um die Umsetzung von Straßenbauprojekten
des Bundesfernverkehrs nicht behindern zu lassen, kann nach der Planungsrichtlinie ein Geländekorridor festgelegt werden (§ 9a Abs. 3 Satz
FStrG), in dem eine Veränderungssperre schon
vor Beginn des Planfeststellungsverfahrens erlassen werden kann, um wertsteigernde oder die
Straßenplanung nachteilig beeinflussende Maßnahmen zu verhindern. Diese Wirkung tritt
andernfalls erst mit der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens ein.
K. J. Beckmann
4.3
Planfeststellungsverfahren
Das Planfeststellungsverfahren ist als allgemeines Verfahrensrecht im Verwaltungsverfahrensrecht VwVfG (§§ 72–78) und als spezielles Verfahrensrecht im Fachrecht (§§ 17–17 e FStrG)
festgelegt. Danach dürfen Bundesfernstraßen erst
gebaut werden, wenn ein Planfeststellungsbeschluss (§ 17 FStrG) vorliegt oder eine Plangenehmigung für Vorhaben, für die keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist oder
Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden und
mit Trägern öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereiche berührt sind, das Benehmen hergestellt worden ist. Sollten andere öffentliche
Belange nicht betroffen sein und Rechte anderer
nicht beeinflusst werden, kann das Vorhaben ohne
förmliches Verwaltungsverfahren („Verwaltungsakt“, § 74 Abs. 7 VwVfG) realisiert werden.
Wird – vor allem im bebauten Zusammenhang
der Gemeinden – die Anlage von Straßen auf
der Grundlage eines Bebauungsplans nach § 9
BauGB (§ 17 b Abs. 2 FStrG) geplant, so erübrigt
sich ein Planfeststellungsbeschluss. Dieses Vorgehen hat aber den Nachteil der fehlenden abschließenden Regelung sonstiger Erlaubnisse
und Bewilligungen – z. B. nach Naturschutzrecht,
Wasserrecht, Bauordnungsrecht o. ä.
Der Planfeststellungsbeschluss legt als Verwaltungsakt konkret und grundstücksgenau – einschließlich sonstiger Verpflichtungen wie z. B.
Lärmschutz, Ausgleich oder Ersatz von Eingriffen nach Naturschutzrecht – die Grundlagen des
Baus fest. Damit können auch für den Bau notwendige Grundstücke – eventuell auch über Enteignungsverfahren bei fehlender Veräußerungsbereitschaft – erworben werden.
Der Planfeststellungsbeschluss hat insoweit
Konzentrationswirkung, als keine zusätzlichen
öffentlich-rechtlichen Verfahren – auch bauordnungsrechtliche Genehmigungen – oder Erlaubnisse erforderlich sind.
Folgende Akteure sind im Planfeststellungsverfahren beteiligt:
• Die planaufstellende Behörde als „Projektträger“ – im Regelfall die Straßenbaubehörde, die
Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen
sich zumeist der Unterstützung von Planungsund Ingenieurbüros bedient (z. B. DEGES bei
Vorhaben in den neuen Bundesländern oder für
die Bundesfernstraßengesellschaft).
• Die Anhörungsbehörde – z. B. bei den Mittelbehörden („Bezirksregierungen“) –, die die
Unterlagen von der planaufstellenden Behörde
erhält, diese innerhalb eines Monats in den
betroffenen Gemeinden öffentlich auslegt und
die beteiligten Behörden und Stellen unter
Fristsetzung zur Stellungnahme auffordert. In
einem Erörterungstermin werden die Einwendungen behandelt. Einwendungen, die nicht
fristgerecht eingebracht werden, unterliegen
der Präklusion, können also später nicht mehr
vorgebracht werden. Die Stellungnahme der
Anhörungsbehörde ist innerhalb der vorgegebenen Fristen (§ 18 a Nr. 5 FStrG) der Planfeststellungsbehörde zuzuführen.
• Die Planfeststellungsbehörde – das zuständige
Landesministerium oder eine nachgeordnete
Behörde – stellt den Plan mit Auflagen und
Rechtsbehelfsbelehrung fest. Die Entscheidung
wird den Einwendern zugestellt oder – bei einer
größeren Anzahl von Einwendern – öffentlich
bekannt gemacht und in den Gemeinden für
zwei Wochen zur Einsicht ausgelegt.
Zur Verfahrensbeschleunigung ist ein Widerspruchsverfahren bei der Planfeststellungsbehörde ausgeschlossen, sondern es ist nur direkt
Klage beim zuständigen Oberverwaltungsgericht
(OVG) oder Verwaltungsgerichtshof (VGH, z. B.
Bayern) zulässig bzw. erforderlich.
Bei der Planfeststellung wie auch der Plangenehmigung für Bundesfernstraßen sind insbesondere als Wirkungsbereiche zu beachten:
• Flächenbeanspruchungen, auch durch Nebenanlagen
• Trennwirkungen in naturbelassenen Gebieten, land- und forstwirtschaftlichen Gebieten,
Natur- und Landschaftsschutzgebieten, Gebieten europäischer Schutzkategorien, damit Eingriffe in Natur und Landschaft mit dem Ziel
der weitgehenden Vermeidung oder des Ausgleichs oder Ersatzes
13
• Lärmemissionen/-immissionen (Immissionsgrenzwerte nach 16. Bundes-ImmissionsSchutz-Verordnung BImSchV)
• Trennwirkungen für funktionale Beziehungen
• Anforderungen der Luftreinhaltung und – vor
allem zukünftig – des Klimaschutzes.
4.4
Planungsrecht für Eisenbahnen,
Stadt- Straßenbahnen
Eisenbahnen des Bundes wie aber auch nichtbundeseigene Eisenbahnen unterliegen analogen
Regelungen wie die Bundesverkehrswegeplanung, die Durchführung von Raumordnungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfungen
sowie das Planfeststellungsverfahren. Grundlage
für Neubau und Erneuerung von Schienenwegen
ist der „Bedarfsplan Schiene“. Zuständig ist die
Deutsche Bahn AG. Planfeststellungsverfahren
oder Plangenehmigungen erfolgen durch das
Eisenbahn-Bundesamt EBA. Die Anträge auf
Planfeststellung stellt die DB AG; die Anhörungsbehörden werden nach Landesrecht bestimmt.
Das Planfeststellungsrecht für U-Bahnen, Stadtund Straßenbahn bestimmt sich als Landesrecht
(VerwVfG der Länder).
Für Binnenwasserstraßen bestimmt der Bund
nach § 13 Abs. 1 Wasserstraßengesetz WaStrG die
Planung und Linienführung. Für die Verfahren der
Planfeststellung gelten §§ 72–78 VerwVfG und
§§ 14 ff. WaStrG. Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde ist die jeweilige Wasser- und Schifffahrtsdirektion. Das Planfeststellungsrecht für
Flughäfen ist in den §§ 8–12 Luftverkehrsgesetz
LuftVG geregelt.
5
Beispiel „Großräumige
Energieübertragungsnetze“
5.1
Grundlagen
Mit den Zielen der Energiewende ist nach dem
Reaktor-Unfall von Fukushima (2011) die mittelund langfristige Stilllegung von Atom-Kraftwerken verbunden. Unter den Zielen des Klimaschutzes durch Reduktion der CO2-Emissionen ist
14
die langfristige Aufgabe von (Braun- und Stein-)
Kohle-Kraftwerken erforderlich. Sie sollen ersetzt
werden durch Anlagen der regenerativen Energieerzeugung aus
• Windenergie (On-Shore- und Off-Shore-Windräder),
• Sonnenenergie durch Fotovoltaik (SolarzellenParks),
• Wasserkraft (großmaßstäbige und dezentrale
Wasserkraftanlagen),
• Bio-Energie/Bio-Masse (Bio-Reaktoren wie
Vergärungsanlagen oder Faultürme für Klärschlamm).
Die Zunahme des Bestandes an Anlagen und
der Gesamtleistung der erneuerbaren Energien
zeigt sich beispielsweise für die Windkraft mit
einem Anstieg vom Jahr 2000 mit 30.000 Windrädern und 1665 MW-Leistung auf 2017 mit
1,6 Mio. Anlagen und einer Leistung von
ca. 50 Mio. MW-Leistung.
Der Ausbau der regenerativen Energieerzeugung und der Umbau des gesamten Energieversorgungs-Systems erfolgt unter den Zielen der
Versorgungssicherheit, der Netzstabilität, des
Ausgleichs von Nachfrageschwankungen, aber
auch der Wirtschaftlichkeit und des Umweltschutzes.
Mit dieser Umstrukturierung wird sich das
Standortgefüge der Erzeugungsanlagen („EnergieDargebot“) verändern, während das Standortgefüge der Nachfrage aus Haushalten, Industrie und
Verkehr – zumindest kurz- und mittelfristig – weitgehend unverändert bleibt. Dies bedeutet für die
Strom(fern)übertragung, dass die DargebotsSchwerpunkte der Windenergie im Norden
Deutschlands durch neue leistungsfähige Höchstspannungsleitungen – im Wechselstrom- oder
Gleichstrombetrieb – mit den Nachfrageschwerpunkten in West- und Süddeutschland (Ruhrgebiet,
Köln/Bonn, Frankfurt, Rhein/Neckar, Stuttgart,
München) verbunden werden müssen. Die
bisherigen Braunkohlekraftwerke liegen überwiegend in den Braunkohlegebieten (Niederrhein,
Sachsen-Anhalt/Niedersachsen, Sachsen/Brandenburg), die Windkraftanlagen jedoch in Nord-
K. J. Beckmann
deutschland (Schleswig-Holstein, Niedersachsen,
Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt), Solarzellen-Parks demgegenüber in
Nord- und Süddeutschland. Wegen der Volatilität
der Wind- und Sonnenenergie bedarf es vermehrt
der Anlagen zur Energiespeicherung (Wasserkraftanlagen/Pumpspeicherwerke) und zur Umwandlung zu Wasserstoff („power to gas“) oder zu flüssigen Energieträgern („power to liquid“).
Zum räumlichen Ausgleich von Nachfrage und
Dargebot bedarf es somit einer Kapazitätserweiterung vorhandener Stromtrassen – beispielsweise
durch Erhöhung der Höchstspannung, durch zusätzliche Kabel an vorhandenen Masten der
Trassen, aber vor allem auch durch Bau neuer
Stromtrassen. Dazu sind drei Hauptkorridore für
Gleichstromtrassen – zum Teil mit Trassenalternativen – in der Diskussion und planerischen Vorbereitung:
• Emden (Niedersachsen) – Philippsburg (Baden)
• Brunsbüttel/Wilster (Niedersachsen/SchleswigHolstein) – Großgatach (Baden-Württemberg)
• Wolmirsted bei Magdeburg (Sachsen-Anhalt)
– Isar/Landshut (Bayern).
Zwischen 2013 und 2017 sind dafür bereits
3,1 Mrd. Euro investiert worden, für den Zeitraum
2018 bis 2023 sind Investitionen in Höhe von
3,3 Mrd. Euro vorgesehen.
5.2
Netzausbauplanung
Grundlage des Ausbaus der Netze ist die Erarbeitung eines Bundesbedarfsplans zur Netzentwicklung, der regelmäßig überprüft und fortgeschrieben werden soll. Die Planungen beruhen auf
räumlichen und quantitativen Szenarien des Ausbaus der („regenerativen“) Energieerzeugung und
der Stilllegung von Kohle- und Atomkraftwerken
(„Bundesbedarfsplan“).
Mit dem Bundesbedarfsplanungsgesetz (BBPlG
2013) sind Anfangs- und Endpunkte der Trassenkorridore festgelegt, nicht jedoch die genauen Trassenverläufe. Die endgültigen Trassenverläufe müssen eine Breite von 500 bis 1000 m aufweisen. Die
Überörtliche Infrastrukturnetze – planerische und rechtliche Grundlagen
Festlegung der Trassenverläufe erfolgt auf der
Grundlage strategischer Umweltprüfungen (§ 5
Abs. 2 NABEG).
Die auf diesen Vorgaben beruhende Bundesfachplanung erfolgt für länder- und grenzübergreifende Hochspannungsleitungen durch die
Bundesnetzagentur (§ 2 Abs. 2 NABEG), anderenfalls durch die zuständigen Landesbehörden.
Zentrale rechtliche Grundlage ist das Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG 2011), nach
dem für die von dem jeweiligen Netzbetreiber
(z. B. 50 Hertz, Amperion, Tenne T, Transnet BW
. . .) beantragte Vorzugstrassen (§ 18 NABEG) und
für Trassenalternativen (§ 8 Abs. 3 NABEG) eine
Raumverträglichkeitsprüfung – analog zu einem
Raumordnungsverfahren (vgl. Kap. 6.1.1.5), aber
nicht mit den rechtlichen und förmlichen Anforderungen – und eine Strategische Umweltprüfung
durchgeführt werden müssen. Die federführende
Bundesnetzagentur lädt zu Beginn des Prozesses
zu einer Plan-/Antragskonferenz ein. Die Einladung richtet sich an den/die jeweiligen Netzbetreiber, an die Gebietskörperschaften, an Träger öffentlicher Belange, aber auch an die Öffentlichkeit.
Nach einer Offenlage (§ 6 Abs. 3 NABEG) muss
das Verfahren für eine Trasse spätestens sechs
Monate nach Vorlage der vollständigen Unterlagen
abgeschlossen sein. Das Ergebnis wird nachrichtlich in den Bundesnetzplan übernommen.
Die Verfahren der Raumverträglichkeitsprüfung und der Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen als integrierte Verfahren nach Beantragung der
Trassen und der Anlagen bei der Bundesnetzagentur. Diese führt bei länderübergreifenden Trassen
auch das Planfeststellungsverfahren durch.
Im Sommer 2018 zeigten sich bei der ersten
Tranche des Ausbaus der Stromnetze auf vorhandenen Trassen katastrophale Verzögerungen: es wurden weniger als 50 % der geplanten Maßnahmen
von 24 Neubau- und Umrüstvorhaben („Energieleitungsausbaugesetz EnLAG“ 2009) realisiert.
Dieses Ergebnis resultiert vor allem aus unklaren
und/oder widersprüchlichen Positionen der Politik
aller föderalen Ebenen (Bund, Bundesländer, Kommunen, auch Fachministerien des Bundes), aber
auch aus strittigen Präferenzen für technologische
Optionen wie Gleichspannungs- versus Wechselstromnetze, Freileitungen versus öl-ummantelte
Erdleitungen sowie aus unterschiedlichen Beurtei-
15
lungen der Wirkungen auf Umwelt, Stadt- und
Landschaftsbild, Land- und Forstwirtschaft, Naturhaushalt und Menschen. Dies gilt in vermehrtem
Maße für die „neuen“ Stromtrassen, die von einigen
Bundesländern – z. B. Bayern – lange abgelehnt
wurden und beispielsweise auch zwischen Hessen
und Thüringen strittig behandelt wurden.
Strittig ist auch immer noch das Über-/Unterordnungsverhältnis von Raumordnungsgesetz
ROG und Bundesfachplanung. Insgesamt ist auch
die „Präklusion“ verspätet eingebrachter Aspekte
im Beteiligungsverfahren noch streitig. Zudem
fehlt eine abschließende Klärung, ob und unter
welchen Bedingungen „Bündelungstrassen“ in
gleichen Trassenkorridoren oder sogar auf gleichen
Leitungsmasten zulässig sind. Auch wird das Fehlen einer bundesweiten Standortplanung der Energieerzeugung, der Energiespeicherung und der
Energieumwandlung kritisiert und ein Fachplan
nach § 17 Abs. 1 ROG gefordert (ARL 2013,
S. 2). Auch fehlen notwendig erscheinende integrierte Konzepte zur Speicherung der zeitlich sehr
ungleichmäßig generierten Wind- und Sonnenenergie. Die Potenziale für (weitere) Speicher auf
Wasserkraftbasis (Talsperren, Pumpspeicheranlagen) sind aufgrund topografischer Gegebenheiten
und Belangen des Landschaftsschutzes nur noch
sehr begrenzt verfügbar. Es bedarf zudem des Einsatzes von Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff
oder synthetischer Kraftstoffe („power to gas“ und
„power to liquid“) sowie der Festlegung dazu
geeigneter Standorte. Batteriespeicher sind demgegenüber wegen eingeschränkter Kapazitäten allenfalls für dezentrale Netze sinnvoll („smart grids“).
Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz genügt
im Wesentlichen den Anforderungen der Koordination von Bund, Ländern, Kommunen, Trägern öffentlicher Belange, Stromerzeugern und
Netzbetreibern. Ob allerdings die Hindernisse
der Umsetzung des Bundesbedarfsplanungsgesetzes durch fachsektorale Widerstände (z. B. Umweltschutz, Naturschutz) oder durch Widerstände
im Rahmen der Beteiligungsverfahren reduziert
oder abgebaut werden können, muss dahingestellt
bleiben. Die mangelnde klare Abstimmung zwischen Bund und Ländern und die fehlenden Kriterien für die Wahl technologischer Konzepte und
für die Trassenwahl erscheinen weiterhin hinderlich.
16
5.3
K. J. Beckmann
Planfeststellungsverfahren
Nach Feststellung der „verträglichen“ Variante
der Vorzugstrasse kann vom Netzbetreiber eine
Planfeststellung beantragt werden, die nachfolgende Schritte und die federführende Zuständigkeit beinhaltet.
Schritte des Planfeststellungsverfahrens
• Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung
mit
- Vorankündigung und
Vorbesprechung
- Antragstellung (Pläne,
Erläuterungsbericht, Gutachten
. . .)
- Eingangsprüfung
(Vollständigkeit der Unterlagen)
• Einleitung des
Anhörungsverfahrens mit
- Übersendung an Fachbehörden
- Offenlage der Unterlagen
- Sammlung der Einwendungen
und Stellungnahmen
• Erwiderung auf Einwendungen und
Stellungnahmen auf der Grundlage
von
- Öffentlicher Erörterung
(Erörterungstermin)
- Abschließender Stellungnahme
und Abschluss des
Anhörungsverfahrens
- Weiterleitung an
Planfeststellungsbehörde
• Abschluss des Verfahrens
- Erstellung des
Planfeststellungsbeschlusses
- Zustellung des
Planfeststellungsbeschlusses
- Öffentliche Bekanntmachung
und Auslegung des
Planfeststellungsbeschlusses
- ggf. gerichtliche Prüfung
(A)
(BNA)
(A)
(BNA)
(E)
(E)
(E)
(E)
(BNA, A)
(E)
(E)
(E)
(BNA)
(BNA)
(BNA)
(BNA)
(Öffentlichkeit,
Betroffene)
(A Antragsteller, BNA Bundesnetzagentur, E
Anhörungsbehörde)
6
Fazit
Die Funktionsfähigkeit technischer Infrastrukturen des Verkehrs sowie der Ver- und Entsorgung
setzt konzeptionell-planerische, entwerfende und
betriebliche Ingenieurleistungen voraus. Technische Infrastrukturen dienen der Sicherung der
Nutzbarkeit von Teilräumen auf europäischer,
nationaler, regionaler und kommunaler Ebene –
letztlich bis zum einzelnen Grundstück – für
Funktionen wie Wohnen, Produktion, Handel,
Freizeit und Erholung sowie auch Naturraumentwicklung. Sie stehen unter den Anforderungen
einer sozialen, ökonomischen, ökologischen und
kulturellen Nachhaltigkeit, aber auch der Sicherung des Wohlbefindens von Menschen heute und
in zukünftigen Generationen. Gestaltungsprinzipien müssen zunehmend auch den Anforderungen
der Resilienz (Anpassungsfähigkeit), der Ressourceneffizienz, und des Umwelt- und Klimaschutzes genügen. Dazu bedarf es geeigneter
rechtlicher und finanzieller Sicherungen.
Literatur
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Energiewende. Positionspapier aus der ARL 93. Hannover
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und BGBl I, S 148/271), zuletzt geändert durch Artikel
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Bundesfernstraßengesetz FStrG in der Fassung der
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Mobilität/Infrastrukturplanung. Zugegriffen am
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FGSV (2008) Richtlinien für integrierte Netzgestaltung. Köln
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Jochimsen R (1966) Theorie der Infrastruktur – Grundlagen der marktwirtschaftlichen Entwicklung. Tübingen
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Monse J, Hassheider H (2017) Der neue Bundesverkehrswegeplan 2030 – Verfahren, Schwerpunkte und zentrale
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Rothengatter W (2017) BVWP-Bewertungsverfahren:
Volle Fahrt zurück in die orthodoxe Neoklassik. Zeitschrift für Verkehrswissenschaften. S 189-2014
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