1. Die intuitive Argumentation zugunsten des Universalien

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Universistät Freiburg
Vorlesung WS 2004/05
Kapitel 1. Universalien und andere abstrakte Gegenstände
§ 1.
Gianfranco Soldati
Metaphysik
Die intuitive Argumentation zugunsten des Universalien-Realismus - Terminologie
1. Grundargumentation:
1.1. Denken, Sprechen und Handeln setzen die Fähigkeit voraus, Dinge klassifizieren zu können.
1.2. Dinge werden nicht beliebig klassifiziert. Es gibt einen Grund in den Dingen für die Weise, wie sie
klassifiziert werden.
1.3. Dinge zusammen zu klassifizieren heißt, etwas zu erkennen, was ihnen gemeinsam ist.
1.4. Das, was den Dingen gemeinsam ist, das nennt sich ein Universal.
2. Definitionen:
2.1. wenn die Gegenstände <x1, x2…., xn> zusammen klassifiziert werden, dann gibt es ein Attribut  und
eine Beziehung , so dass jeder Gegenstand <x1,x2….,xn> in der Beziehung  zu  steht.
2.2. Wir nennen  das Attribut und  die Beziehung der Teilnahme, Instantiierung oder Exemplifikation.
2.3. Ein und dasselbe Attribut kann von verschiedenen Einzeldingen exemplifiziert werden. Aus diesem
Grund wird es Universal genannt.
Fragen und Einwände:
a) Universalien sind Begriffe und Begriffe werden von Menschen erworben, u. a. durch soziale Anpassung.
• Antwort: Es ist wichtig, Attribute nicht mit Begriffen zu verwechseln. Wir lernen Begriffe um die Gegenstände zu
klassifizieren. Wir assoziieren Begriffe mit sprachlichen Ausdrücken, sie bilden die Bedeutung dieser Ausdrücke. Ob
unsere Begriffe die richtigen sind, das liegt jedoch in den Dingen. Der Satz 'Schnee ist weiß' ist wahr, wenn: (a) er
bedeutet, dass der Schnee weiß ist; und (b) wenn Schnee tatsächlich weiß ist.
b) Universalien sind Begriffe, die wir verwenden, um die Dingen zu klassifizieren. Diese Begriffe sind
jedoch zu allgemein, um die Welt richtig zu beschreiben. Würden wir genau hinsehen, so fänden wir
keine Gemeinsamkeiten zwischen den Objekten.
• Antwort: Vieles hängt hier von der Frage ab, was wir meinen, wenn wir sagen, dass unsere Begriffe zu allgemein
sind. Zweierlei muss unterschieden werden: (i) der Begriff bestimmt ein Attribut in der Welt, jedoch fällt es uns
schwer, ihn entsprechend anzuwenden; (ii) der Begriff selber bestimmt kein eindeutiges Attribut in der Welt.
Beispiel: nehmen wir das Prädikat 'ist 3 cm lang'. Bei der Anwendung dieses Prädikats mit Hilfe des bloßen Auges
werden wir kaum in der Lage sein, Gegenstände, die 2.99999999 cm lang sind, von Gegenständen zu
unterscheiden, welche 3.000000001 cm lang sind. Das impliziert nicht, dass es nicht zwei unterschiedliche
Gegenstände geben kann, welche genau 3 cm lang sind. Dem Prädikat 'ist 3cm lang' entspricht ein ganz
bestimmtes Attribut, ob wir es nun als solches am Gegenstand erkennen oder nicht. Man könnte nun aber
argumentieren, dass wir gewöhnlich mit 'ist 3 cm lang' meinen, dass ein Gegenstand mehr oder weniger 3cm lang
ist. Die beiden oben genannten Gegenstände wären dann tatsächlich mehr oder weniger 3 cm lang. Hier bekommt
nun aber der Begriff (die Bedeutung des Prädikats) selber unbestimmte Grenzen, er ist vage. Angenommen, alle
Begriffe, die wir de facto auf konkrete Einzeldinge anwenden, sind vage. Würde dies implizieren, dass es keine
Universalien gibt? Oder dass Universalien selber vage sind? Nein! Aus der Tatsache alleine, dass unsere Begriffe
vage sind, folgt nicht, dass die Attribute unbestimmt sind. Selbst wenn wir den Begriff 'mehr oder weniger 3cm lang'
verwenden, haben die Gegenstände, die wir damit klassifizieren, ganz bestimmte Längen.
§ 2.
Die Natur der Universalien
1. Es gibt zwei allgemeine Kriterien der ontologischen Klassifikation::
1.1.
Das Kriterium der raum-zeitlichen Bestimmung:
1.1.1. abstrakte Entität = Entität, welche weder im Raum noch in der Zeit bestimmt ist;
1.1.2. konkrete Entität = Entität die entweder in Raum, oder in der Zeit, oder in beiden bestimmt ist.
1.2.
Das Kriterium der Universalität:
1.2.1. Universal = Entität, die von unterschiedlichen Entitäten exemplifiziert werden kann.
1.2.2. Einzelding = Entität, die von keiner Entität exemplifiziert werden kann.
1.3.
Aus der Verbindung der beiden Kriterien ergeben sich vier mögliche Klassen von Entitäten:
Abstrakt
Konkret
Universal
Attribut Mensch
?
Einzelding
?
Sokrates
1
1.4.
Eine weit verbreitete These lautet: Universalien sind alle abstrakt, Einzeldinge sind alle konkret.
1.5.
Fragen: (a) gibt es keine konkreten Universalien? (b) gibt es keine abstrakte Einzeldingen?
2. Neben den einstelligen Prädikaten gibt es die mehrstellige Universalien (Relationen). Die Elemente
verschiedener Paare können in derselben Beziehung zueinander stehen.
3. Unter den Attributen kann man unterscheiden: (i) Eigenschaften; (ii) individuierende Universalien
3.1.
a ist ein Fleck, b ist ein Fleck;  es gibt zwei Flecken (individ. Universal)
a ist rot, b ist rot;  es gibt 2 Rote (??? – Eigenschaft)
4. Universalien haben unterschiedliche Allgemeinheitsgrade:
<Lebewesen> <Tier><Mensch>?? Sokrates.
5. Universalien können selbst Universalien exemplifizieren.
<rotn> ist heller als <rotm>.
<rot> ist bestimmter als <Farbe>

§ 3.
Man kann sich nun fragen, ob es unter den Universalien nur Eigenschaften, Arten und Relationen gibt.
Wie steht es z.B. mit Mengen, Zahlen, Tatsachen, usw.?
Andere Universalien : Mengen vs raum-zeitliche Ganze (vgl. Grossmann 1992:59-60)
1. These: Mengen sind abstrakte Einzeldinge. Argument:
1.1.
Mengen sind Einzeldinge und keine Universalien (Beispiel: die Menge der Menschen wird nicht von
Sokrates exemplifiziert, obwohl er ein Element davon ist).
1.2.
Raumzeitliches Totalitäten (Ganze) sind konkrete Einzeldinge;
1.3.
Mengen sind nicht identisch mit raumzeitlichen Totalitäten;
1.4.
Mengen sind mit keinen anderen konkreten Einzeldingen identisch;
1.5.
Also sind Mengen abstrakte Einzeldinge.
2. Argument für die Prämisse 1.3.:
2.1.
Sei die räumliche Totalität P, bestehend aus zwei räumlichen Teilen, a und b.
2.2.
Sei die räumliche Totalität Q, bestehend aus P.
2.3.
Die räumliche Totalität Q enthält sowohl P wie a und b.
2.4.
Sei die Menge P bestehend aus den Elementen a und b, also P: a,b.
2.5.
Sei die die Menge Q, bestehend aus dem Element P, also Q: P=a,b
2.6.
Q besteht nicht aus den Elementen a und b, denn:
2.6.1. Man nehme an Q bestünde
aus den zwei Elementen a und b
(Hypothese ad absurdum)
2.6.2. nicht (a=b)
(2.6.1)
2.6.3. Q enthält P
(Annahme)
2.6.4. a=P
(2.6.1 & 2.6.2)
2.6.5. b=P
(2.6.1 & 2.6.2)
2.6.6. a=b
(2.6.4 & 2.6.5 & Trans Id)
2.6.7. a=b & nicht (a=b)
(2.6.2 & 2.6.6) Widerspruch
3. Moral: Es gibt zwei grundsätzliche ontologische Beziehungen: Teil/Ganzes und
Universal(Menge)/Einzelding. Nominalisten versuchen die zweite Beziehung auf die erste zu reduzieren.
Das Argument soll zeigen, dass die nicht geht.
§ 4.
Propositionen
1. Nehmen wir an:
(i)
Hans sagt: ‘Sokrates ist weise’
(ii)
Jean sagt: ‘Socrate est sage’
(iii)
John sagt: ‘Socrates is wise’
(iv)
Gianni sagt: ‘Socrate è saggio’
Es gibt etwas, was den verschiedenen Äußerungen gemeinsam ist. Was ist es?
2. Erste Antwort: Hans, Jean, John und Gianni behaupten dasselbe, mit dem was sie sagen. Hans, Jean, John
und Gianni behaupten, dass Sokrates weise ist.
2
3. Universalien-Realist: es gibt etwas, das behauptet wird, und das typischerweise mit dem Ausdruck: "dass
Sokrates weise ist" bezeichnet wird. Wir nennen diese Entität eine Proposition.
4. Eine Proposition ist nicht identisch mit einer sprachlichen Äußerung, da Hans, Jean, usw. unterschiedliche
sprachliche Äußerungen gemacht haben.
5. Die behauptete Proposition ist nicht identisch mit den Entitäten, auf denen sich die Bestandteile der
Äußerungen beziehen. Weder Sokrates, noch Weisheit werden behauptet.
5.1. Es wird auch nicht die Menge bestehend aus Sokrates und Weisheit behauptet.
5.2. Es wird auch nicht die Menge bestehend aus Sokrates, Weisheit und Exemplifikation behauptet (denn diese
drei Elemente könnten in einer Menge sein, zB der Menge der Dinge, an die ich gerade denke, ohne dass
Sokrates die Weisheit exemplifiziert).
6. Das, was behauptet wird, ist wahr oder falsch. Die Proposition ist die ursprüngliche Wahrheitsträgerin.
6.1. Giannis Äußerung ist wahr, wenn: (a) Gianni damit die Proposition behauptet hat, dass Sokrates weise ist;
(b) Sokrates weise ist.
7. Das, was behauptet wird, kann Gegenstand einer psychischen Einstellungen sein: man kann glauben,
wünschen, fürchten, dass p. Derartige psychische Einstellungen nennen sich propositionale Einstellungen.
8. Propositionen können kommuniziert werden, unterschiedliche Menschen können dieselbe Proposition
glauben, fürchten, usw.
9. Zwischen Propositionen bestehen logische Beziehungen: ((p  q) & p)q. Aber nicht: wenn N
urteilt/behauptet, dass p impliziert q und er glaubt, dass p, dann wird er glauben, dass q.
10. Frage: sind Propositionen abstrakte Gegenstände? Wenn ja, dann: (a) darf ihre Existenz nicht in der Zeit
und im Raum bestimmt sein; (b) dürfen ihre intrinsischen Eigenschaften nicht von Raum und Zeit anhängen.
§ 4.1.
Absolute und relative Propositionen
1. Die Wahrheit einer Äußerung ist manchmal relativ. Beispiele:
(i)
Es regnet
(ii)
Ich bin ein Philosoph
(iii)
Da Vincis Gioconda ist hässlich
(iv)
Säugetiere haben eine Lunge
1.1. Die Äußerung (i) ist wahr in Ort-1 und in der Zeit-1 und falsch in Ort-2 und Zeit-2.
1.2. Die Äußerung (ii) ist wahr wenn von Plato geäußert und falsch wenn von Busch geäußert.
1.3. Die Äußerung (iii) ist (so meinen einige...) wahr für den einen und falsch für den anderen.
1.4. Die Äußerung (iv) ist wahr, könnte aber fasch sein (sie ist wahr in unser Welt, falsch in einer anderen)
2. Frage: drücken diese Äußerungen relative Propositionen aus?
3. These: jeder Äußerungs-Kontext, in dem eine relative Proposition wahr oder falsch ist, bestimmt eine
absolute Proposition, die kontextunabhängig wahr oder falsch ist. Beispiele:
3.1. Ist die mit der Äußerung (i) ausgedrückte Proposition in Fribourg am 1.1.2004 wahr, so ist die Proposition,
dass es in Fribourg am 1.1.2004 regnet immer und überall wahr.
3.2. Ist die mit Platos Äußerung (ii) ausgedrückte Proposition wahr, so ist die Proposition, dass Plato ein
Philosoph ist wahr wer immer sie mit einer Äußerung ausdrückt.
3.3. Ist die mit der Äußerung (iii) ausgedrückte Proposition für Anna wahr, so ist die Proposition, dass die
Gioconda für Anna hässlich ist, für alle wahr.
3.4. Ist die mit der Äußerung (iv) ausgedrückte Proposition in der Welt w1 wahr, so ist die Proposition, dass
Säugetiere in w1 Lungen haben in allen möglichen Welt wahr.
4. Konklusion:
4.1. Propositionen sind nicht relativ, sondern absolut wahr oder falsch
4.2. Sind Propositionen absolut wahr oder falsch, so werden sie nicht wahr oder falsch, sondern waren es schon
immer und überall.
4.3. Sind Propositionen immer und überall wahr oder falsch, so kann ihre Existenz nicht in der Zeit und im Raum
bestimmt sein.
4.4. Also sind Propositionen abstrakte Gegenstände.
3
Bemerkungen:
1. Die in Bezug auf die Äußerung (iii) gemachte Bemerkung kann auf jede Äußerung angewandt werden.
Selbst von der Äußerung ’2+2=4’ kann gesagt werden, dass sie wahr für die einen und falsch für die
anderen ist. Der Punkt hier ist, dass die daraus resultierende absolute Proposition (z.B: dass 2+2 für
klein Hans nicht gleich 4 ist) nichts zu tun hat mit der mathematischen Proposition, welche uns
interessiert. Es gibt also Formen von Realitivisierung, welche uninteressant sind.
2. Der folgende Unterschied ist wichtig:
(a) dass p in w1 wahr ist, ist in allen möglichen Welten wahr.
(b) p ist in allen möglichen Welten wahr.
3. Vergleiche:
(a*) dass p in p, t, ist immer und überall wahr. (Ex.: dass es am 1.1.2005 in FR regnet ist immer
überall wahr).
( b*) p ist immer und überall wahr (Ex.: es regnet immer überall)
4. Genau so wenig wie (b*) (a*) impliziert, so impliziert (a) nicht (b).
§ 5.
Einige Klassiker über die Natur der Propositionen
Cartwright, Richard 1962: "Propositions". In: Butler, R. J. 1962: Analytical Philosophy. Oxford: Blackwell, 81-103.
Also in: Cartwright, Richard 1987: Philosophical Essays, Cambridge (MA): MIT Press, S. 33-53.
Chisholm, Roderick M. 1979: "Events, Propositions and States of Affairs". In: Weingartner, P. and Morscher, E.
eds. 1979: Ontologie und Logik. Berlin: Duncker, 27-57.
Prior, Arthur 1971: Objects of Thought. Oxford: Oxford University Press. Ch. 1-3.
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