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Stefanietag: Apg 6,8-0.7,54-60; Mt 10,17-22
Predigt: Franz Gruber
Liebe Gottesdienstgemeinschaft!
Die „Gretchenfrage“ unserer Zeit
Für viele Menschen, Wissenschaftler, Politiker, Friedensbewegte ist sie die
Schlüsselfrage: Wie gehen wir mit unseren Aggressionen, mit unserer Gewaltbereitschaft um? Die globale Welt, aber auch die familiäre Welt führen es uns täglich vor Augen: Das gefährlichste Lebewesen für den Menschen ist der Mensch
selbst. Homo homini lupus – der Mensch ist des Menschen Wolf hat schon der
englische Philosoph Thomas Hobbes geschrieben. Wenn wir an die entsetzlichen Terrorattacken im Irak, in Afghanistan und Pakistan, an den Bürgerkrieg in
Syrien oder an den Amoklauf jüngst in den USA denken, dann erschaudern wir
im Grunde vor Schrecken und Ratlosigkeit.
Und nicht weniger nachdenklich stimmt uns der Umstand, dass auch die Religionen und Religionsgemeinschaften vor dem Gift der Gewalt nicht frei sind, im
Gegenteil: manchmal waren und sind sie sogar ihre Produzenten. Das ist denn
auch das Einfallstor von populären Religionskritikern wie es heutzutage zum
Beispiel der englische Biologe Richard Dawkins ist, der meint, die Gewalt unter
den Menschen entspringt letztlich dem Gotteswahn der monotheistischen Religionen. Weil sie ihren Gott als den einzig wahren Gott behaupten, vernichten sie
die Andersdenkenden und Andersgläubigen im Glauben, gegen das Böse, gegen
dein Glaubensfeind einen heiligen Krieg führen zu dürfen. Darum wird Friede
erst dann sein, wenn die Religionen überwunden seien. Aber auch das ist eine
naive einäugige Idee, gerade die großen Kriege des 20. Jh. mit seinen 500 Millionen Toten waren keine religiösen Glaubenskriege.
„Wie halten wir es mit der Gewalt?“ – das also ist die Gretchenfrage unserer
Zeit. Sie lässt uns auch in der weihnachtlichen Liturgie und Feststimmung nicht
in Ruhe. Denn erst recht ist die biblische Verheißung des Messias im Kern die
Hoffnung, dass endlich, endlich Friede sein möge unter den Menschen. Friede
den Menschen auf Erden – diese Zusage aus dem Weihnachtsevangelium hat an
Aktualität nichts verloren. Aber wie ist dieser Friede möglich? Wie entsteht er?
Die Antwort des christlichen Glaubens
Die heutigen Schriftstellen zeigen uns keinen unmittelbar politischen Weg zu
diesem Frieden, ja vielleicht ist es sogar der anspruchsvollste und kühnste Weg,
den es gibt, und darum auch nur eine große allgemeine Vision für Politik und
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Diplomatie. Denn dieser Weg des Evangeliums ist von Voraussetzungen motiviert, die der Glaube, aber nicht die Politik geben kann.
Was sagen diese Texte der Lesung und des Evangeliums zur Frage der Gewalt?
Am Beispiel des Stefanus und am Beispiel Jesu wird uns zunächst vor Augen
geführt, worin die Wurzel aller Gewalt liegt: im Identitätsverlust, in der Bedrohung, in der Angst. Jesus und Stefanus sind beide Opfer der Gewalt. Einer Gewalt, die im Namen des Glaubens an Gott ausgeübt wurde und entweder wie bei
Jesus kaltblütig und zynisch oder wie bei Stefanus fanatisch und hysterisch zur
Anwendung kam. Tatsächlich lösten Menschen wie Jesus und Stefanus Angst
aus, so wie Mahatma Gandhi oder Martin Luther King und viele andere, die zu
Opfern der Gewalt wurden. Sie sind pardoxerweise zu Opfer der Gewalt gerade
deshalb geworden, weil sie keine Gewalt angewendet haben, weil der Kern ihres
Glaubens, ihres Lebens, die Gewaltfreiheit, die Überwindung des Kreislaufes
der Gewalt war.
Erst heute wieder, nach fast 2000 Jahren Christentumsgeschichte, die leider auch
eine unfassbare Gewaltspur hinterließ, wird uns bewusst, dass die Botschaft Jesu, dass im innersten Kern unseres Glaubens die spirituelle Antwort auf das
Schlüsselproblem der Menschheit liegt. Nur wenn der Mensch aufhört, dem anderen ein Feind zu sein, nur wenn er seine Angst vor dem anderen besiegt, weil
seine Kraft des Vertrauens, sein Gefühl der Sicherheit aus der spirituellen Kraft
der Liebe kommt, kann er auf zerstörerische Gewalt verzichten.
Weihnachten ist nicht deshalb das Fest des Friedens, weil wir unsere Sehnsucht
nach Frieden ein paar Tage lang hochhalten, sondern weil wir auf diese Sehnsucht nach Identität und Angstfreiheit die größte und schönste Zusage vernehmen, die der Glaube geben kann: Du Mensch, du bist in deiner Einmaligkeit,
aber auch in deinen Abgründen von einer unendlichen Liebe und Güte umfangen. Wenn du die Kraft hast, dich auf diese Liebe, die wir Gott nennen, einzulassen, jeden Tag, jeden Augenblick, dann wird dir ein Mut geschenkt, selbst in Situationen, in denen dein Leben bedroht ist, nicht mit Gewalt zu antworten, sondern mit Friedfertigkeit und Vertrauen.
Helden der Seele – Stefanus‘ Kraft des Verzeihens
Stefanus ist der erste Zeuge dieses Lebensmutes, der aus seiner Nachfolge Jesu
erwachsen ist. Sein Mut ist nicht jener verwegene Mut eines Felix Baumgartner,
der todesverachtend mit 1300 km/h auf den Erdboden zustürzte, um Weltrekorde zu brechen, sondern es ist der Mut eines Heldens der Seele, der seinen Feinden, die ihn erschlagen, verzeiht. Er hatte jenen Seelenmut, der offenbar Menschen geschenkt ist, denen sich der Himmel geöffnet hat und die erkannt haben:
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die größte Macht, die die Gewalt besiegen kann, ist die Liebe und die Barmherzigkeit Gottes. Aber diese Liebe lebt als spirituelle Kraft in jedem Menschen.
Ein letzter Gedanke, der uns zurückführt in unsere private und zivile Welt: Gewalt beginnt nicht mit Totschlag, sondern mit der Sprache. Sie beginnt ganz
klein, und täglich sind wir Täter der Gewalt durch Sprache. Wir verunglimpfen,
beleidigen, verletzen, missachten, demütigen. Mehr oder weniger. Und jeder und
jede tut es. Jesus, Stefanus, Mahatma Gandhi und andere für ihren Lebensmut zu
preisen, ist das eine. An unserer latenten Gewaltbereitschaft zu arbeiten, aber ist
das unverzichtbar andere. Unser weihnachtliches Feiern wäre Heuchelei, wenn
es nicht immer vom anspruchsvollen Vorsatz begleitet ist, sensibel zu werden
auf die je persönliche Gewaltbereitschaft und auf die Herausforderung, Konflikte aufzuarbeiten und Verzeihung zu ermöglichen. In nicht wenigen Familien
stehen am Ende der Weihnachtstage oft nicht versöhntere Menschen, sondern
von Streit und Verletzungen verstörte Menschen. Ich wünsche uns, dass in unseren sozialen Netzen ein Stückweit Friede wächst – jener Friede, mit den uns der
Glaube an den Gott der Güte beschenken möchte. Amen.
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