Texte zum Thema „Musik – Klang – Stille“ Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht nur Schweigen ist, sondern Hören. So ist es: Beten heißt nicht sich selbst reden hören, Beten heißt still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört. (Sören Kierkegaard) Der eine Ton (1) Als Kakua, einer der frühen Zen-Weisen im Japan des 9. Jahrhunderts, von einer Reise durch ferne Länder zurückkehrte, bat ihn der Kaiser zu sich und trug ihm auf, alles zu berichten, was er auf seiner Reise erlebt hatte. Kakua verneigte sich tief, schwieg lange, nahm die kleine Bambus-Flöte, die er stets bei sich trug, aus der Tasche und spielte einen einzigen Ton, schwieg erneut, verneigte sich noch tiefer als vorher und – ging. Der Kaiser war ratlos. Aber er bewahrte diesen einen Ton in seinem Herzen und – so wird berichtet – in hohem Alter fand er Erleuchtung. (Zen) Der eine Ton (2) In Armenien – im Süden dessen, was einmal die Sowjetunion gewesen ist – lebte im 18. Jahrhundert ein Ehepaar. Der Mann war ein Cellospieler – einer der Großen seiner Zeit, der alles, was bis damals für sein Instrument komponiert worden war, virtuos beherrschte. Je älter aber er wurde, desto weniger spielte er und desto mehr legte er darauf Wert, dieses wenige in höchster Vollendung der Tongebung zu spielen. Als er nun ganz alt war, spielte er nur noch einen einzigen Ton, diesen jedoch so wunderbar, wie man es nie zuvor von einem Cello gehört hatte. Seiner Frau war das langweilig – täglich stundenlang der gleiche Ton! Schließlich wusste sie, welch begnadeten Cellospieler sie zum Mann hatte. Nun geschah es, dass in diese kleine armenische Stadt eines Tages ein Orchester kam und ein Konzert gab. Die Frau ging voller Erwartung hin, hörte erregt zu, kehrte begeistert zurück und berichtete ihrem Mann: „Es waren sehr viele Cellisten in diesem Orchester, und sie spielten rauf und runter, viele verschiedene Töne – und du spielst immer nur den einen Ton.“ Darauf der Mann: „Sie suchen den Ton.“ (Sufi) Die Energie der Stille Ein Mann hatte ein seltsames Hobby. Er sammelte Reden – all die großen Reden dieses Jahrhunderts: von Martin Luther King, Kennedy, Osho, Weizsäcker, Gorbatschow, Mitterand, Adenauer, Ché Guevara, Eisenhower und all die anderen. Diese Reden besaß er auf Bändern und Kassetten, und er hörte sie oft; aber je öfter er sie hörte, desto mehr fiel ihm auf, wie viel Energie in den Pausen steckte. Dem spürte er nach und kam schließlich – nach Jahren – dahin, dass er die Pausen aus all den vielen Reden herausschnitt und aneinanderklebte. Anschließend hörte er nur noch die Stille der Pausen und erfuhr in Minutenschnelle die geballte geistige Energie der großen Redner dieses Jahrhunderts. (frei nach Heinrich Böll) Die wichtigsten Lebensvorgänge geschehen in aller Stille. Lautlos und still setzt eine Blüte Frucht an, still wachsen die Bäume des Waldes, still reift das Korn auf dem Felde, still und ohne Getöse folgt der Tag auf die Nacht, der Frühling auf den Winter. (Ernst Schmitt) Der Reifen eines Rades Der Reifen eines Rades wird gehalten von den Speichen, aber die Leere zwischen ihnen ist das sinnvolle beim Gebrauch. Aus nassem Ton formt man Gefäße, aber das Leere in ihnen ermöglicht das Füllen der Krüge. Aus Holz zimmert man Türen und Fenster, aber das Leere in ihnen macht das Haus bewohnbar. So ist das Sichtbare zwar von Nutzen, doch das Wesentliche bleibt unsichtbar. (Lao-Tse: Tao-Te-King) eine weitere Interpretation/Übersetzung: Dreißig Speichen treffen die Nabe Dreißig Speichen treffen die Nabe, Die Leere dazwischen macht das Rad. Lehm formt der Töpfer zu Gefäßen. Die Leere darinnen macht das Gefäß. Fenster und Türen bricht man in Mauern. Die Leere darinnen macht die Behausung. Das Sichtbare bildet die Form eines Werkes. Das Nicht-Sichtbare macht seinen Wert aus. (Lao-Tse: Tao-Te-King) und eine dritte Interpretation/Übersetzung: Dreißig Speichen vereint die Nabe Dreißig Speichen vereint die Nabe, das Nichts, das sie umschließt macht so das Rad vollkommen. Ton wird zum Topf geformt, das Nichts, das er umschließt macht das Gefäß vollkommen. Wände und Dach bilden das Haus, das Nichts, das es umschließt als Wohnung macht's vollkommen. Wir sind im Sein Nichtsein gibt ihm Fülle. (Lao-Tse: Tao-Te-King) Ein heiliger Raum Die Mystiker sagen es: in jedem von uns existiert ein Raum der Stille und Freiheit. Diesen Raum müssen wir nicht erst schaffen, er ist schon in uns. Hier sind wir ganz und heil. Dieser Raum ist nicht beschädigt durch unsere Fehler und Schwächen, nicht beeinträchtigt durch die Urteile und Verurteilungen der Menschen durch ihre Erwartungen. Hier können wir ausruhen, weil dort Gott selber in uns wohnt. Wenn wir mit diesem Raum in Berührung kommen, dann haben Fehler keine Macht mehr über uns, dann können wir sie zulassen, weil wir wissen, es gibt diese lautere und unversehrte Wirklichkeit in uns. Ich kann immer wieder die Erfahrung dieses innern Raums machen, ich kann sie jedoch nicht erzwingen. Aber wenn ich mich einer Meditation hingebe oder wenn ich mich einfach ganz vergesse – zum Beispiel im Schauen auf einen Sonnenaufgang -, dann erahne ich etwas von diesem Einssein, Heilsein; dann fällt dieser Zwang ab, perfekt sein zu müssen; dann spüre ich, es ist einfach gut. Viele Menschen, viel mehr als wir denken, machen diese Erfahrung des Einsseins mit sich, mit der Natur. Einverstanden sein mit dem Leben, das ist für mich eine tiefe spirituelle Erfahrung. Die Bibel, der Häbräerbrief, spricht vom Allerheiligsten, in das Christus eingezogen ist, und in das wir jetzt schon eintreten können. Eckehart spricht vom „Seelenfünklein“, Teresa vom „innersten Gemach der Seelenburg“, oder denken wir auch an die „innere Zelle“ der heiligen Katharina von Siena. Das sind Bilder, die uns helfen können. Man kann das freilich immer nur im Augenblick erfahren. Man kann diese Erfahrung nicht festhalten. Aber sie gehört zu den tiefen spirituellen Momenten wirklichen Glücks. Sie ist der Grund tiefster Heiterkeit. (Anselm Grün) Lasst uns still werden jeden Tag Lasst uns still werden jeden Tag... Lasst uns still werden, wenigstens einmal jeden Tag so still, dass wir unseren Atem wieder hören; lasst uns ruhig werden, wenigstens einmal jeden Tag so ruhig, dass wir unseren Puls wieder spüren; lasst uns sanft werden, so sanft, dass wir wieder Liebe fühlen – und aus der Stille, der Ruhe, der Sanftheit heraus lasst uns stark werden, jeden Tag so stark, dass wir Vertrauen schenken können; lasst uns mutig werden, alle Augenblicke so mutig, dass wir uns gewaltfrei behaupten können; lasst uns zielstrebig werden, dass uns jeder Schritt unserem Ziel näher bringt – und aus der Stärke, dem Mut, der Zielstrebigkeit heraus lasst uns leben, lasst uns wachsen, lasst uns wirken, damit immer mehr Menschen wirken können, wie wir gelebt haben werden – weiße, schwarze, gelbe, braune, rote – alle. (Roland Müller aus: Sieben Tage einer Woche, Verlag Ruth Seiler) Sich dem Treiben entziehen Es ist nötig, manchmal anzuhalten, auszusteigen, sich dem Treiben zu entziehen, selbst wenn es noch gut geht, selbst wenn es noch läuft, selbst wenn ich noch produktiv bin. Ich will anhalten, meinen Atem spüren, mir in die Augen sehen, meine inneren Bilder leuchten lassen. Ich muss anhalten, zur Ruhe kommen, zu mir kommen, damit ich anderen begegnen kann. (Max Feigenwinter) Was in dir erwacht, wenn die Instrumente deine Erinnerung wecken, ist die ganze Musik. Nicht die Geigen sind es, nicht die Kornette – es sind nicht die Oboen und Pauken, weder die Stimme des Baritons, der seine süße Romanze singt – noch die des Frauenchores. Sie liegt näher als diese und doch ferner. (Walt Whitman) Wenn die Lippen geschlossen sind Wenn die Lippen geschlossen sind, beginnt das Herz zu sprechen; wenn das Herz schweigt, entzündet sich die Seele, wird zur Flamme und erleuchtet das ganze Leben. Dieser Gedanke zeigt die große Bedeutung der Stille, und diese Stille wird in der Ruhe erlangt. Die meisten Menschen wissen nicht, was Ruhe bedeutet, weil sie nur ein Verlangen danach haben, wenn sie müde sind, während sie sonst nicht die Notwendigkeit der Ruhe erkennen. (Hazrat Inayat Khan) Wenn du das Tal sehen möchtest Wenn du das Tal sehen möchtest, steige auf den Berg, Willst du die Bergspitze erblicken, schwinge dich zur Wolke empor, Willst du jedoch die Wolke verstehen, schließe die Augen und denke nach. Wenn du müde geworden bist vom Laufen nach den Sternen Wenn du müde geworden bist vom Laufen nach den Sternen, um den Menschen in der Nacht etwas Licht zu bringen, dann setz dich in der Stille nieder und lausche auf die Quelle. Wenn du tief genug vordringst zum Kern der Dinge, dann bekommst du Augen, um unsichtbare Dinge zu sehen, und Ohren, um unhörbare Dinge zu hören. (Phil Bosmans)