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Medienkompetenz im digitalen Zeitalter: Orientierungswissen

HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN
INSTITUT FÜR PHILOSOPHIE
Wie können sich Menschen in der Welt der digitalen Medien
orientieren?
– Warum wir Medienkompetenz als Orientierungswissen vermitteln
sollten.
Name: Josias Strelow
Matrikelnummer: 603084
E-Mailadresse: [email protected]
Telefonnummer: 0176 729 136 34
Studiengang: B.A. Philosophie /Ethik
Modul: 9b Schwerpunkt Praktische Philosophie
Lehrveranstaltung: Digitalisierung und Ethik
Semester: Sommersemester 2023
Dozent/in: Prof. Dr. Dr. h. c. Julian Nida-Rümelin und Dorothea Winter
Abgabedatum: 29.03.24
Zeichen: 30700
Einleitung – Medienkompetenz und Orientierung
Der Begriff der Medienkompetenz erfuhr durch Dieter Baacke im Laufe der 1970er bis 1990er
Jahre eine Systematisierung, die ein scheinbar erstmaliges Aufleben der Diskussionen und
pädagogisch-philosophischen
Analysen
des
Begriffs
einläutete.
Obgleich
die
Medienkompetenz vor dem Kommunikationszeitalter in pädagogischen und philosophischen
Auseinandersetzungen z. B. in Form von isolierter Medienkritik oder Diskussionen zur
Nutzung von Massenmedien auftrat, gewinnt der Begriff durch die „digitale Revolution“
angeführt durch die Massenadaption des Internets und die Systematisierung der neunziger Jahre
an höherer Relevanz für Forschung, Praxis und Lebensalltag. Wie die technologische
Entwicklung der Medienlandschaft und die ökonomische Verflechtung der neuen digitalen
Medien mit der Weltwirtschaft voranschritt, so wurde ebenfalls der Begriff der
Medienkompetenz bzw. wurde das grundlegende Modell nach Dieter Baacke weiterentwickelt.
Die Herausforderungen des Web 2.0s, mit unter anderem der Ausbreitung von Social-MediaPlattformen und vor allem technologischen Entwicklungen auf der Ebene der künstlichen
Intelligenz, werden auch weitere Anpassungen der Konzepte und Modelle, die sich um die
Medienkompetenz drehen, benötigen. In einer Zeit, in der algorithmische Desinformation die
Grenzen zwischen Wahrheit und Unwahrheit verschwimmen und künstliche Intelligenzen
visuelle und auditive Trugbilder entstehen lassen, erlebt die Frage; „Was machen die Medien
mit den Menschen?“, eine Renaissance und mündet in die Frage: „Wie können sich Menschen
in der Welt digitalen Medien orientieren?“
Die vorliegende Arbeit versucht, die Dimensionen der Medienkompetenz nach Baacke auf
orientierungsschaffende Elemente in der digitalisierten Welt zu untersuchen. Dabei werden die
Begriffe der Medienkompetenz und des Orientierungswissens inhaltlich analysiert und
argumentativ miteinander verbunden. Es werden untergeordnete Fragen thematisiert, die zum
einen die Notwendigkeit von Orientierungswissen für Orientierung und zum anderen den
Zusammenhang zwischen praktischer Vernunft, Orientierungswissen und Medienkompetenz
beleuchten.
Meine Bemühungen innerhalb dieser Arbeit zielen darauf ab, argumentativ zu verdeutlichen,
dass es Dimensionen in Baackes Modell gibt, die am besten dazu geeignet sind, um Individuen
2
Orientierung in ihrer digitalen Lebenswelt zu verschaffen. Zusätzlich werde ich argumentieren,
dass im Zusammenspiel aus Verfügungswissen und Orientierungswissen zweiteres die höchste
Relevanz für den Umgang mit digitalen Medien besitzt.
Theoretische Grundlagen und strukturelle Argumentation
Der folgende Abschnitt soll den theoretischen Rahmen der Schrift bilden. Hierbei wird das
Modell der Medienkompetenz nach Dieter Baacke und der digitalen Bildung analysierend
dargestellt, sowie verglichen und im Folgenden werden die Begriffe des Orientierungswissens
und Verfügungswissens voneinander abgegrenzt. Eine Betrachtung des Orientierungsbegriffs
wird anschließend die Argumentation einleiten.
Medienkompetenz und Medienbildung
Das
sog.
Bielefelder
Medienkompetenzmodell
nach
Dieter
Baacke
teilt
den
Betrachtungsgegenstand in vier Dimensionen ein, die in mehrere Unterdimensionen unterteilt
sind.1 Die erste Dimension der Medienkritik enthält die analytische und die reflexive
Unterdimension, welche zusammen das ethische Betroffensein umfassen. Der analytische
Aspekt der Medienkritik beschreibt ein Wissen über mediale-gesellschaftliche Prozesse, wie
z.B., dass fast alle Social-Media-Plattformen ihre Gewinne durch personalisierte Werbung
erzielen, was zu einer Ökonomisierung des Nutzers führt. Daraus folgend sollte das Individuum
das analytische Wissen mit anderen Wissensformen verbinden und daraus auf der subjektiven
Ebene Schlüsse für das eigene Handeln ziehen können. Auf die Ausbildung dieser Fähigkeit
zielt die reflexive Unterdimension ab. Durch den beschriebenen Erkenntnis- und
Verarbeitungsprozess kann das Individuum ein ethisches Bewusstsein entwickeln, welches
wiederum im Kontext sozialer Verantwortung auf das analytische Wissen und den reflexiven
Rückbezug rückkoppelt und diese definiert.2 Medienkunde stellt die zweite Dimension dar und
unterteilt sich in die informative und die instrumentell-qualifikatorische Unterdimension. Sie
beschreiben klassisches Fakten- und Methodenwissen3, welche ich im Folgenden als
1
Vgl. Baacke (2001): Medienkompetenz als pädagogisches Konzept. In: Gesellschaft für Medienpädagogik und
Kommunikationskultur (GMK) (Hrsg.): Medienkompetenz in Theorie und Praxis. Broschüre im Rahmen des
Projekts „Mediageneration – kompetent in die Medienzukunft (gefördert durch das BMFSFJ), S. 6-8. Abrufbar
unter: https://dieter-baacke-preis.de/ueber-den-preis/was-ist-medienkompetenz/ [Stand:08.03.2024].
2
Vgl. Ebd, Abschnitt Medienkritik
3
Vgl. Ebd. Abschnitt Medienkunde
3
Verfügungswissen betiteln werde. Wie weiter unten ausgeführt wird, verliert diese Dimension
im Kontext der technologischen Entwicklung und der Verflechtung des Digitalen mit der
Lebenswelt junger Menschen immer weiter an Bedeutung. Bei der Dimension der
Mediennutzung wird in rezeptiv-anwendende und interaktiv-anwendende Unterdimensionen
unterschieden. Ersteres stellt die passive Nutzung von Medien, wie einen Film auf Netflix
schauen oder Tweets auf Twitter lesen, dar. Zweiteres entspricht einer aktiven Nutzung von
Medien, wie das Absetzen eines Tweets oder das Kommentieren eines YouTube-Videos. 4
Die letzte Dimension ist die der Mediengestaltung, welche in eine innovative und eine kreative
Unterdimension unterteilt ist. Dabei zielen beide Unterdimensionen auf die Weiterentwicklung
von vorhandenen Medienstrukturen ab. Zum einen werden Mediensysteme innovativ von
partizipierenden Individuen in Aspekten wie Benutzeroberflächen und effizienteren
Übertragungstechnologien weiterentwickelt und zum anderen führt eine kreative aktive
Partizipation zu einer Entwicklung der Möglichkeiten über die bestehenden Grenzen und
übliche Kommunikationsmuster hinaus.5 Beispielsweise setzte Apple mit der Einführung ihres
Betriebssystems für Smartphones neue Maßstäbe im Punkto Benutzerfreundlichkeit. Des
Weiteren
revolutionierte
die
Ausweitung
von
Videostreaming,
als
Teil
der
Unterhaltungsbranche hin zum Videostreaming als Kommunikationsmethode, das Arbeitsleben
von Millionen von Menschen weltweit.
Alle vier Dimensionen tragen dazu bei, dass Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgebaut werden,
die eingesetzt werden können, um Probleme im Zusammenhang mit Medien zu lösen. Durch
die rasante technologische Entwicklung in den letzten 30 Jahren sind Medien, die ohne binäre
Verarbeitungsprozesse
auskommen
oder
ohne
auf
dem
Binärsystem
basierende
Darstellungsprozesse übermittelt werden, die Ausnahme geworden. Dementsprechend ist ein
Großteil der Medienlandschaft den digitalen Medien zuzuordnen.6 Resultierend daraus würde
ein zentraler Teil der Vermittlung von den Fertigkeiten und Fähigkeiten, die die
Medienkompetenz bilden, der digitalen Bildung zuzuordnen sein. Digitale Bildung wird im
Folgenden aufgefasst als: „Ein kontinuierlicher Prozess, der Menschen befähigt, ihr Leben und
4
Vgl. Ebd., Abschnitt Mediennutzung.
Vgl. Ebd., Abschnitt Mediengestaltung.
6
Für eine genauere Einstufung betrachte die Definition von digitalen Medien nach dem Bpd.:
Bundeszentrale für politische Bildung. (2021) Digitale Medien/Neue Medien. Abrufbar:
https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/medienpolitik/500666/digitale-medien-neue-medien/.
[Stand: 08.03.2024].
5
4
Lernen in einer digitalisierten Welt aktiv zu gestalten.“ Dabei geht es nicht mehr um den Erwerb
von Faktenwissen – viel bedeutender wird die Kompetenz, sich Wissen selbstorganisiert
anzueignen, es anzuwenden und kreative Lösungen für Problemstellungen eigenständig
entwickeln zu können.“7
Betrachtet man das Medienkompetenzmodell als Teil der Beschreibung der Kompetenzen, die
durch digitale Bildung erlangt werden sollen, verdeutlicht sich der Anspruch des Modells: Die
erlangten Fähigkeiten und Fertigkeiten sollen das Individuum bemächtigen die eigene digitale
Lebenswelt aktiv und selbstgesteuert zu gestalten. Tragend dabei, Baackes Anspruch folgend,
dass Werturteile grundlegend mit dem Umgang mit Medien sind, ist eine adäquate ethischreflexive Rückkopplung mit sich selbst, die eine wertorientierte Bewertung und damit eine
verantwortungsvolle Partizipation und Gestaltung an und von Medien ermöglicht. Wie im
Verlauf argumentiert wird, kann das Individuum ohne vor allem die in der ersten Dimension
beschriebenen Fähigkeiten und Fertigkeiten keine Deliberation vollziehen und damit innerhalb
dessen Entscheidungen keine Kohärenz, in Bezug auf das eigene medienausgerichtete Handeln,
erzeugen.
Orientierung, Orientierungswissen und Verfügungswissen
Zentral für die weitere Analyse wird der Begriff des Orientierungswissens bzw. der
Orientierung sein. Der anschließende Abschnitt soll den komplexen Begriff der Orientierung
erläutern und in Verbindung mit praktischer Vernunft setzen. Dazu wird eine Abgrenzung zum
Begriff des Verfügungswissens vorgenommen und eine kurze Betrachtung ausgewählter
orientierungsverschaffenden Einzelkompetenzen praktischer Vernunft vollzogen.
Um sich dem Begriff der Orientierung zu nähern, ist eine intuitive Betrachtung des Begriffs
sinnvoll. Spricht man im Allgemeinen von Orientierung, so meint man die mentale Fähigkeit,
sich im Raum, in der Zeit und im Bewusstsein seiner eigenen Identität zurechtzufinden. Auf
Basis von Informationen und ihrer Verarbeitung, Kontextualisierung und auch ethischer
Bewertung erlangen Individuen für spezifische gesellschaftliche, soziale und strukturelle
Konstellationen
die
Fähigkeiten,
um
sich
in
ihnen
zu
orientieren.
Dementsprechend muss es Wissen geben, welches diese Fertigkeiten und Fähigkeiten
7
Netzwerk digitale Bildung (2016). Zwischen analog und digital. Lernen und Lehren an Schulen und
Hochschulen. Abrufbar: https://www.netzwerk-digitale-bildung.de/wpcontent/uploads/2020/12/NDB_Whitepaper_Zwischen_analog_und_digital_12Seiten.pdf. [Stand:08.03.24].
5
impliziert. Dieses Wissen wird Orientierungswissen genannt. Es steht im Gegensatz zu dem
sog. Verfügungswissen, welches „ein positives Wissen, ein Wissen um Ursachen, Wirkungen
und
Mittel“8
darstellt.
Verfügungswissen
ist
im
Kontext
des
Bielefelder
Medienkompetenzmodells das analytische und auch methodische Wissen, welches in jeder
Dimension eine Rolle spielt. Dass z.B. Social-Media-Konzerne den Nutzer:in als Produkt für
Werbedienstleister:innen sieht und deshalb so viele Daten wie möglich über sie sammelt, stellt
ein Wissen über Ursache und Wirkung dar, liefert aber noch keine Implikation für das Handeln
des Nutzers. Genau darin liegt der Unterschied. „Es beantwortet Fragen nach dem, was wir tun
können, aber nicht Fragen nach dem, was wir tun sollen. Also muß zum positiven Wissen ein
handlungsorientierendes Wissen, eben ein Orientierungswissen hinzutreten, das diese Aufgabe
übernimmt.“9 Es besteht zwangsläufig eine symbiotische, trotzdem nicht gleichberechtigte
Beziehung zwischen dem Orientierungswissen und dem Verfügungswissen. Wenn ein
Individuum über kein Wissen über bestimmte Umstände in sozialen und gesellschaftlichen
Kontexten verfügt, können Entscheidungen über Handlungsoptionen selten Kohärenz erzielen.
Eine adäquate Deliberation von Gründen bedarf Wissen über den vorliegenden Kontext.
Anderenfalls basieren die Handlungen auf nicht rational zugänglichen Entscheidungen. Das
Ablehnen der Nutzung von Social Media Produkten kann auftreten, ohne, dass man über deren
Geschäftspraktiken oder jedes weitere verfügbare Wissen über den dahinterstehenden Konzern
besitzt. Allerdings stellt dann die Ablehnung eine nicht rational nachvollziehbare Überzeugung
dar, wenn ihre Begründung unter Umständen auf rein emotionalen und falschen Gründen
basiert. Das Verfügungswissen stellt im metaphorischen Sinne einen Ankerpunkt dar, ohne den
man das Orientierungswissen nicht ansetzen kann, um Ziele und Maßstäbe für und an die
eigenen Handlungen fest- und anzulegen. Ohne Verfügungswissen fehlen die Ansatzpunkte des
Orientierungswissens und ohne Orientierungswissen kann das Verfügungswissen nicht in
kohärente Entscheidungen umgesetzt werden. In beiden Varianten fehlt die Orientierung. Wie
im Abschnitt „Die Notwendigkeit des Orientierungswissens für das Leben mit digitalen
Medien“ herausgearbeitet, ist zu bemerken, dass das Vorhandensein von Orientierungswissen
notwendig für das Vorhandensein von Orientierung ist. Das gemeinsame Auftreten von
Verfügungswissen und Orientierungswissen ist hinreichend für das Vorhandensein von
8
Mittelstrass (1989). Glanz und Elend der Geisteswissenschaften. Oldenburg, Bibliotheks- und
Informationssystem der Universität Oldenburg, 19.
9
Mittelstrass 1989, 19.
6
Orientierung. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Orientierung in Bezug auf die eigene
Identität entsteht. Jedes menschliche Individuum interpretiert, bewertet und deliberiert Dinge
aus dessen eigener Sicht und schafft somit für sich subjektive Orientierung10.
Zusammenfassend entspricht Orientierungswissen den Kenntnissen, Fertigkeiten und
Fähigkeiten, die erforderlich sind, „um sich in bestimmten Bereichen kohärent entscheiden zu
können. Der Kern dieses Orientierungswissens ist in der Lebenswelt verankert.“ 11 Folglich
kann man Orientierung als ein Produkt von Fähigkeiten und Fertigkeiten vorstellen, die aus
dem Zusammenspiel von Orientierungswissen und Verfügungswissen entstehen. Ein
konsistentes Resultat von Orientierung ist das Treffen von kohärenten Entscheidungen in dem
zu orientierenden Bereich der Lebenswelt.
Bevor weiter unten der Bereich der digitalen Medien, also die digitale Lebenswelt von
Individuen genauer, in Bezug auf Orientierung, betrachtet wird, ist zu klären, welche
Fertigkeiten und Fähigkeiten durch die Ausbildung von Orientierungswissen erlangt werden.
Eine Antwort auf diese Frage liefert meines Erachtens die Betrachtung des Deutschen Ethikrats
bezüglich praktischer Vernunft. Diese zielt, genau wie das Orientierungswissen, auf ein
kohärentes, verantwortliches Handeln ab, welches ein gutes Leben ermöglichen soll.12 Das Ziel
geht über das Vorhandensein von wohlüberlegten praktischen Einzelurteilen hinaus, hin zu
einem zeitlich konsistenten, möglichst richtigen und verantwortlichen Handeln, welches eine
kohärente Ordnung der lebensweltlichen Praxis garantiert.13 Anders formuliert nutzen wir
Menschen die praktische Vernunft, um als Individuen richtige Entscheidungen zu treffen, den
>richtigen Weg< einzuschlagen, sprich uns im Leben zu orientieren. Der deutsche Ethikrat stellt
in ihrer Stellungnahme „Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche
Intelligenz“ acht Einzelkompetenzen der praktischen Vernunft vor14, die hier teilweise
paraphrasiert und verkürzt dargestellt sind.
10
Vgl. Ebd.
Nida-Rümelin, Weinfeld (2018). Digitaler Humanismus – Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen
Intelligenz. Piper Verlag GmbH, München, 153.
12
Vgl. Deutscher Ethikrat (2023). Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz.
Stellungnahme. Deutsche Ethikrat. Berlin, 130.
13
Vgl. Bormann (2021). Ist die praktische Vernunft des Menschen durch KI-Systeme ersetzbar? Zum
unterschiedlichen Status von menschlichen Personen und (selbst-)lernenden Maschinen. In: Fritz et al. (Hg.)
(2021). Digitalisierung im Gesundheitswesen. Anthropologische und ethische Herausforderungen der MenschMaschine-Interaktion. Freiburg im Breisgau, 41–64. 48-51
14
Vgl. Deutscher Ethikrat 2023, 131-133.
11
7
1. Verständnis von Moralsprache
Moralisch relevante Güter, Werte und Haltungen verstehen und deontische Prädikate, wie
richtig oder falsch angemessen auf verschiedene Situationen anwenden.
2. Unterscheidungs- und Einfühlungsvermögen in Bezug auf moralische Entitäten
3. Deliberatives Vermögen
Praktische Vernunft beinhaltet die Fähigkeit zum Abwägen von konfligierenden
moralischen Gütern und Werten.
4. Reflektierter Umgang mit moralischen Regeln
Die Fähigkeit, moralische Regeln anzuwenden und ggf. weiterzuentwickeln, um kohärentes
Handeln zu ermöglichen.
5. Intuitives Erfassen komplexer Handlungssituationen und Umstände
6. Urteilsvermögen
7. Begründung der eigenen moralischen Urteile
Die Fähigkeit des Gründe Gebens und Nehmens sowie die Ausrichtung des eigenen
Handelns danach.
8. Affekt und Impulskontrolle
Diese hier aufgeführten Kompetenzen der praktischen Vernunft kann man als Blaupause für
kohärente Entscheidungen und daraus resultierend ein reflektiertes, werteorientiertes und
verantwortliches Handeln nehmen. Die Grundlage der kohärenten Entscheidung ist das
Verstehen und das Differenzieren der moralischen Entitäten sowie das empathische Reagieren
auf die Differenzen (1. und 2.). Um komplexe Handlungsstrategien zu entwickeln oder
Konflikte zwischen moralischen Gütern aufzulösen und damit reflektierend moralische Regeln
zu spiegeln oder zu erweitern, bedarf es der Fähigkeit, die unter Punkt 3. und 4. aufgeführt
wurde. Je komplexer die Handlungssituationen und die zu beachtenden Kontexte und
Umstände, desto besser muss die Fähigkeit des intuitiven Erfassens (5.) dieser und das
Beurteilen der daraus resultierenden Handlungsalternativen (6.) sein. Eine Kohärenz im
eigenen Handeln tritt dann ein, wenn die moralische Beurteilung reflexiv und unter
Berücksichtigung verschiedener moralischer Standpunkte vollzogen wurde (7.). Für eine
8
dauerhafte Kohärenz ist eine Affekt- und Impulskontrolle unerlässlich.15 Wenn ein Individuum
nicht über diese Einzelkompetenzen verfügt, basieren Entscheidungen auf emotionalen,
affektierten und nicht volitionalen Zuständen. Sprich, ein rationaler Zugang zu Entscheidungen
und den darauf basierenden Handlungen liegt nicht vor. Eine verantwortliche, reflektierte und
kohärente Handlung ist nicht möglich. Dementsprechend sollten diese Einzelkompetenzen auch
im Bielefelder Medienkompetenzmodell verortet sein.
Die praktische Vernunft im Bielefelder Medienkompetenzmodell
Um den angestrebten Zusammenhang zwischen dem Orientierungswissen und der
Medienkompetenz darzustellen, werden im folgenden Abschnitt orientierungsverschaffenden
Einzelkompetenzen der praktischen Vernunft in das Bielefelder Medienkompetenzmodell
eingeordnet.
Die Basis der aufgeführten Einzelkompetenzen der praktischen Vernunft ist ein rationaler
Zugang zur Ethik. Dabei besteht ein allumfassender Anspruch, dass die Maßstäbe, die durch
das rational moralische Fundament als Basis für kohärentes Handeln gesetzt werden, in allen
Lebensbereichen gelten. Medienbezogenes Handeln als Teil der digitalen Lebenswelt bildet
dabei keine Ausnahme. In welchen Dimensionen des Bielefelder Medienkompetenzmodells
findet man also die Einzelkompetenzen wieder? Prädisponiert dafür ist die Dimension der
Medienkritik. Diese enthält unter anderem eine reflexive und ethische Unterdimension.
Letzteres wird als ethisches Betroffensein bezeichnet und umfasst, dass wir als vernunftbegabte
Menschen unser Wissen und Reflexion hinsichtlich moralischer Entitäten abstimmen und diese
definieren.16 Durch ethische, reflexive Betrachtungen wird ein soziales, verantwortliches,
werteorientiertes und kohärentes Verhalten angestrebt. Für den handlungsvorbereitenden
Prozess, der in erster Dimension beschrieben wird, sind die Kompetenzen 1.- 3. unerlässlich.
Ohne Kenntnisse der relevanten moralischen Entitäten und deontischen Prädikate kann keine
ethische Betrachtung vollzogen werden. Auch in Bezug auf Medien wird es moralische
Entitäten geben, die konfliktäre Situationen hervorrufen, die es zu differenzieren und mittels
Deliberation zu beseitigen gilt. Mit ansteigender Nummerierung der Einzelkompetenzen steigt
auch die inhaltliche Nähe zu einer Handlung. Nichtsdestoweniger kann man auch die weiteren
Kompetenzen in der ersten Dimension verorten. Der reflektierte Umgang mit moralischen
15
16
Vgl. Deutscher Ethikrat 2023, 131-133.
Vgl. Baacke 2001.
9
Regeln ist notwendig, wenn eine deliberierte, differenzierte moralische Entität als Basis für eine
Handlung gewählt wurde. Nur, wenn aus der Abwägung von moralischen Entitäten eine
Bevorzugung einer den moralischen Regeln entsprechenden entsteht, dann kann eine
verantwortungsvolle Partizipation und Gestaltung von Medien folgen. Anderenfalls entstehen
Diskrepanzen und Konflikte mit anderen Partizipierenden. Zu bemerken ist, dass die
Medienlandschaft einem ständigen Wandel unterliegt, sodass man ggf. eine Änderung der
moralischen Regeln vollziehen muss. Der Fakt, dass Daten im Web 2.0 beliebig kopierbar sind,
sollte eine Änderung von moralischen Regeln, beispielsweise in Bezug auf die Weitergabe von
privaten Informationen zufolge haben, sodass es geboten ist, weniger private Informationen
oder Informationen über andere Menschen online zu verbreiten. Tatsächlich scheint es so, dass
durch geschickte PR- und Marketingstrategien eine gegenläufige Änderung der moralischen
Regeln erreicht wurde, was ein Konfliktpotenzial birgt. Solche Konfliktpotentiale sollten in die
Deliberation mit Ziel des verantwortlichen Handelns miteinfließen. Dementsprechend ist ein
intuitives Erfassen von komplexen Handlungssituationen und verschiedenen Kontexten
unerlässlich. In Rückkopplung mit sich selbst beurteilt das Individuum werteorientiert die
erfassten Umstände und urteilt daraufhin. Durch den Anspruch der reflexiven Unterdimension,
die Rückkopplung auf sich selbst immer wieder zu vollziehen, wird dieses Urteil und damit
zwangsläufig die eigenen moralischen Urteile bewertet. Um sich nicht von den Urteilen
abbringen zu lassen, bedarf es der Affekt- und Impulskontrolle. Genau die fehlende
Impulskontrolle wird von medienkreierenden Menschen genutzt. Die Fusion von Social-Media
und Videoplattformen, auf denen kurze Videos mit geringer Sekundenlänge das Hauptprodukt
sind und die User:innen stundenlang beschäftigt, sind eindeutige Indizien für das
Vorhandensein
und
das
Ausnutzen
von
fehlender
Impulskontrolle.
Letztendlich zielt die ethische und reflexive Unterdimensionen der Medienkompetenz auf
reflexive Entscheidungen ab, die in delebrierte Handlungen münden. Ohne die formulierten
Einzelkompetenzen der praktischen Vernunft ist dies nicht möglich. Dementsprechend gehören
sie zu den Kompetenzen, die in der ersten Unterdimension angesprochen werden. Des Weiteren
erkennt man den Einfluss der praktischen Vernunft ebenfalls in den handlungsnäheren
Dimensionen drei und vier. Auch bei der Mediennutzung und Mediengestaltung kommen die
ethischen Maßstäbe, die in der ersten Dimension festgelegt wurden, zum Tragen und somit auch
die Einzelkompetenzen der praktischen Vernunft. Der Unterschied besteht darin, dass die
Kompetenzen in der ersten Dimension einen Prozess des Bewertens, des Abwägens und der
10
Reflexion beschreiben, der genauer ausdifferenziert die Einzelkompetenzen der praktischen
Vernunft darstellt und die dritte und vierte Dimension vornehmlich Handlungen beschreibt.
Diesen Handlungen vorausgehend muss aber der Prozess des Bewertens, des Abwägens und
der Reflexion vorangegangen sein, damit ein verantwortliches, reflektiertes und kohärentes
Handeln auftreten kann.
Die Kompetenzen, die dazu beitragen, ein Orientierungswissen zu bilden, sind also in Form
von den Einzelkompetenzen der praktischen Vernunft in der ersten Dimension des Bielefelder
Medienkompetenzmodells verortet. Aber warum sollten genau diesen Kompetenzen die
höchste Relevanz zugeordnet werden? Dafür lohnt es sich, zwei Aspekte zu betrachten. Zum
einen, welchen logischen Anteil Orientierungswissen an dem Vorhandsein von Orientierung
besitzt und zum anderen, dass Individuen in der heutigen Gesellschaft ein hohes Maß an
Orientierungswissen benötigen, um mit den rasanten Entwicklungen der digitalen Welt und
sozial-ökonomischen Verflochtenheit zurechtzukommen.
Die Notwendigkeit des Orientierungswissens für das Leben mit digitalen Medien
Der folgende Abschnitt soll die beiden oben genannten Aspekte zu einem Argument
verknüpfen, sodass die übergeordnete Relevanz des Orientierungswissens für das Leben und
den Umgang mit digitalen Medien verdeutlicht wird.
Für den Aspekt der Notwendigkeit des Orientierungswissens für Orientierung wird an dem
Entstehungsprozess
der
Orientierung
angesetzt.
Durch
die
Analyse
der
orientierungsverschaffenen Kompetenzen wurde verdeutlicht, dass die Fertigkeiten und
Fähigkeiten,
die
einen
Deliberations-
und
Reflexionsprozessermöglichen,
der
in
verantwortliches, reflektiertes und kohärentes Handeln mündet, auf dem Orientierungswissen
basieren. Darin ist zu erkennen, dass Orientierungswissen die Grundlage und damit eine
Voraussetzung für kohärentes Handeln und damit für Orientierung ist. Um die Notwendigkeit
zu verdeutlichen, betrachtet man das Vorhandensein von Orientierung. Ist ein Individuum in
der Lage, sich einem Lebensbereich zu orientieren, d.h. reflektierte, verantwortliche und
kohärente Entscheidungen zu treffen, die gleichgeartete Handlungen zu Folge haben, dann
muss ein Prozess der Reflexion verschiedener Umstände und moralische Bewertung dieser
vollzogen worden sein, sprich ein Prozess der Anwendung der praktischen Vernunft. Ohne
11
diesen würde man z.B. keine Kohärenz zwischen mehreren Entscheidungen erzeugen. Basieren
Entscheidungen auf emotionalen Zuständen und nicht auf dem Geben und Nehmen von
Gründen, so würden verschiedene, aber ähnliche Situationen, stark divergent zueinander
bewertet werden. Die Frage, nach dem, wie man handeln soll, würde auf die Antwort, wie man
sich fühlt, reduziert werden, was jeglichen rationalen Zugang erschwert bzw. unmöglich macht.
Dementsprechend ist immer ein orientierungsverschaffender Prozess, getragen durch das
Vorhandensein der Kompetenzen der praktischen Vernunft, dem Vorhandensein von
verantwortlichen, reflektierten und kohärenten Handlungen, sprich dem Vorhandensein von
Orientierung vorgelagert. Da das Wissen die notwendigen Kompetenzen impliziert, ist das
Orientierungswissen notwendig für die Kompetenzen der praktischen Vernunft und damit
notwendig für Orientierung.
Für den Nachweis der höheren Relevanz des Orientierungswissens, im Vergleich zum
Verfügungswissen, was die Bildungsziele im Bereich des Digitalen betrifft, wird an der
symbiotischen Beziehung angesetzt. Wie bereits ausgeführt, stehen Verfügungswissen und
Orientierungswissen in engem Zusammenhang. Das Orientierungswissen beantwortet die
Frage, was wir tun sollen, auf Grundlage von bestimmten Umständen. Das Kennen dieser
Umstände stellt das Verfügungswissen dar. Im Kontext der Medienkompetenz entspricht dies
dem analytischen Wissen über Ursache und Wirkung, den methodischen und fachlichen
Kenntnissen. Ohne das Wissen über Ursache und Wirkung kann kein adäquates Abwägen von
Gründen stattfinden und damit keine ethische Bewertung vollzogen werden, ohne das Kennen
der Gründe, kein Abwägen der Gründe. Logisch betrachtet sind beide Arten von Wissen
zusammen hinreichend für Orientierung. Betrachtet man die Abgrenzung zwischen dem
Orientierungswissen und dem Verfügungswissen, wird deutlich, dass das Verfügungswissen
nicht alleinstehend notwendig und hinreichend für Orientierung sein kann. Ursache und
Wirkungsbeziehungen zu kennen, beantwortet dem Individuum nicht, welche Handlung richtig
oder falsch, geboten oder nicht geboten ist. Ohne Orientierungswissen keine Orientierung. Ist
aber alleine Orientierungswissen hinreichend und notwendig für Orientierung? Auch hier stößt
man auf Probleme. Es könnte durchaus sein, dass man auf Grundlage von abgewogenen
Gründen Maßstäbe an das eigene Handeln angelegt hat, sodass ein verantwortliches und
kohärentes Handeln entsteht, ohne für die Handlungssituation eine besondere Bewertung
vorgenommen werden musste. So ist es denkbar, dass ein kohärentes Handeln in Bezug auf das
eigene Datenmanagement auf Social-Media-Seiten vorliegt, ohne die Datenspeicherungs- und
12
Verarbeitungsprozess des dahinterstehenden Konzerns zu kennen. Allerdings basierte dann die
Wahl der Maßstäbe auf einem Abwägungsprozess, in dem Gründe reflektiert abgewogen
wurden und somit eine Art von Verfügungswissen in den Entstehungsprozess mit eingeflossen
ist. In Bezug auf das genannte Beispiel kann ein Verständnis von ökonomischen Prozessen in
Social-Media-Konzernen und die ökonomischen Kennzahlen Maßstäbe generieren, die
Handlungen in Bezug auf Datenmanagement signifikant dauerhaft beeinflussen. Ohne
Verfügungswissen geht es nicht. Dementsprechend ist logisch betrachtet Orientierung
äquivalent zum Vorhandensein von Orientierungswissen gemeinsam mit Verfügungswissen.
Warum sollte man also dem Orientierungswissen Vorrang gegenüber dem Verfügungswissen
geben? Die Antwort ist in der digitalen Lebenswelt von einzelnen Individuen verankert.
Begibt man sich in die individuelle digitale Lebenswelt einzelner Menschen, muss man
selbstverständlich die subjektiven Lebensumstände betrachten. Legt man den Fokus auf die
digitale Lebenswelt, gruppiert man Individuen in Digital Natives, Digital Immigrants und
Digital Pioneers.17 Jede Gruppe besitzt andere Bildungsziele in Bezug auf den digitalen
Bereich, aber betrachtet man die digitalen Medien isoliert, haben alle Gruppen eine
Gemeinsamkeit: Durch die steigende Verflochtenheit der digitalen Welt mit allen anderen
Lebensbereichen sind digitale Medien für fast alle Menschen allgegenwärtig. Alle Menschen,
die am herkömmlichen sozialen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sind Konsumenten
digitaler Medien. Eine Entziehung ist nur in äußersten Ausnahmefällen und mit gezielter
Intention dahingehend möglich. Sieht man von den Ausnahmefällen ab, dann unterliegen alle
Digital Natives, Immigrants und Pioneers der unaufhörlich fortschreitenden technologischen
Entwicklung der Medien. Ob Metaverse oder KI-gesteuerter Journalismus, die neuesten
technologischen Fortschritte finden Anwendung im Bereich der Medien. Um mit der
Entwicklung Schritt zu halten, muss eine ungemeine Menge an Verfügungswissen akkumuliert
werden. So gibt es alleine im Bereich Blockchain und künstliche Intelligenz wöchentliche
Fortschritte, die wieder neue Wissensaspekte zum möglichen Verfügungswissen hinzufügen.
Der unaufhörliche Strom an Informationen ist unmöglich komplett in Kenntnisse
umzuwandeln. Zusammen mit der stetigen Verfügbarkeit von Informationen besteht die größte
Aufgabe darin, sich Informationen selbst zu ordnen und zu bewerten. Die Notwendigkeit,
eigene Urteile zu fällen und divergierende Meinungen zu analysieren und an eigenen
17
Vgl. Nida-Rümelin, Weinfeld 2018,152-153.
13
Überzeugungen zu messen, erhöht sich mit der Digitalisierung der Medien konsequent.18 Genau
hier liefert das Orientierungswissen Unterstützung. Legt man die Ausbildung von
Orientierungswissen als Bildungsziel frühzeitig fest, so wird die Urteilskraft des lernenden
Individuums gestärkt und es besitzt fundierte Überzeugungen über die relevanten deontischen
Prädikate
in
Bezug
auf
Medien.
Im
digitalen
Informationsdschungel
sind
orientierungsverschaffenden Fertigkeiten und Fähigkeiten, die auf dem Orientierungswissen
basieren, genau diejenigen, die Informationen und Fachwissen ordnen, einordnen, abwägen und
ein reflektiertes Urteil ermöglichen. Ohne Orientierungswissen gerät das Individuum in eine
aussichtslose Situation. Im Takt des technologischen Fortschritts verliert es die Anbindung zu
den Werten, Maßstäben und Handlungsprämissen, die am Ende ein gutes Leben ausmachen.
Es lohnt sich, einen weiteren Aspekt zu betrachten, der vornehmlich die Digital Natives betrifft.
Das Verfügen über Fachwissen und Kenntnisse über Ursache und Wirkung sind nicht die
einzigen Medienkompetenzaspekte, die dem Verfügungswissen zugeordnet werden. Ein Teil
der schulischen Medienkompetenzausbildung besteht dem staatlichen Anspruch nach aus dem
Erlernen von methodischem und algorithmischem Vorgehen, durch das eine kompetente
Partizipation und Gestaltung an und von Medien ermöglichen soll.19 Auch im Baackes Modell
findet man die Gestaltung und Partizipation von und an Medien. Diese Kompetenzen werden
erst durch das Verfügen über bestimmte Wissensbestände ermöglicht, dennoch scheint es
plausibel, dass das methodische Wissen, welches ohne Zweifel benötigt wird, an Relevanz
verliert, wenn man sich der Gestaltung und Partizipation zu wendet. Durch die Ökonomisierung
der digitalen Lebenswelt sind den Individuen Gestaltungsmöglichkeiten und Teilhabe an
digitalen Medien unheimlich erleichtert worden. Ob Videoproduktionen, Fotogeschichten oder
schriftliche Reaktionen auf andere digitale Inhalte, für viele Digital Natives gehören die
benötigten Fertigkeiten oder Fähigkeiten zu autodidaktisch erlernter Grundausstattung. Ein
erleichterter Zugang garantiert noch kein reflektiertes, verantwortliches Handeln. Je weniger
Individuen über methodische und anwendungsbezogene Aspekte lernen müssen, um an Medien
teilzuhaben und diese mitzugestalten, desto mehr kann man und sollte man sich der Frage nach
den ethischen Maßstäben und die soziale Verantwortung der Individuen widmen, sprich der
18
Vgl. Ebd. 159.
Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.12.2016 in der Fassung vom 07.12.2017. Strategie der
Kulturministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“. Sekretariat der Kultusministerkonferenz (Hg), Berlin.
16-19.
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Ausbildung der Fertigkeiten und Fähigkeiten, die auf dem Orientierungswissen basieren. Ohne
Orientierungswissen ist jedes noch so praktisch veranlagte Individuum ohne ethische Leitbilder
und Maßstäbe ausgestattet, was insbesondere bei einer Partizipation an digitalen Medien
weitreichende und nachhaltig negative Folgen für dessen eigenes und anderes Leben haben
kann.
Zusammenfassung und abschließende Betrachtung
Die vorliegende Arbeit hat den Begriff des Orientierungswissens im Bielefelder
Medienkompetenzmodell analysierend erläutert und argumentativ mit dem Begriff der
praktischen Vernunft verbunden. Dadurch konnten Fertigkeiten und Fähigkeiten identifiziert
werden, die es erleichtert haben, die orientierungsverschaffenden Dimensionen in Baackes
Modell zu erläutern und die Notwendigkeit des Orientierungswissens für den adäquaten
Umgang mit digitalen Medien zu verdeutlichen. Zusammenfassend ist Orientierungswissen
notwendig für das Vorhandensein von Orientierung und mit dem Verfügungswissen zusammen
hinreichend. Dennoch kann man durch die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Information, die
fortschreitende technologische Entwicklung und die erleichterte Zugänglichkeit zur
Mediengestaltung und -nutzung eine höhere Relevanz der Ausbildung von Orientierungswissen
erkennen. Ziel der Vermittlung der Medienkompetenz sollte mit steigender Verflochtenheit des
Digitalen mit anderen Lebensbereichen ein ethisch reflektierter und verantwortlicher Umgang
mit Medien sein. Dahingehend ist die Vermittlung von Kompetenzen der praktischen Vernunft,
spezialisiert auf Medienumgang, ein zu bevorzugendes Mittel. Diese findet man vornehmlich
in der ersten Dimension des Bielefelder Medienkompetenzmodells. Vermittelt man
Medienkompetenz mit einem Schwerpunkt auf die erste Dimension, fokussiert man sich auf die
Ausbildung von orientierungsschaffenden Kompetenzen, die dem lernenden Individuum am
Ende Orientierung in der digitalen Medienwelt ermöglicht.
Insgesamt:
Inhaltlich einwandfrei, klarer Aufbau, innovativer Ansatz, klare Forschungsthese/frage
1,0
Die Kommentare beziehen sich fast ausschließlich auf das Formale!
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