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tDCS Pollatos 2024

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Enhancing Interoceptive Abilities and Emotional
Processing: Effects of HD-tDCS – Pollatos (2024)
Zusammenfassung
Titel & Abstract

Titel: Verbesserung interozeptiver Fähigkeiten und emotionaler Verarbeitung
durch HD-tDCS

Fokus: Die Studie untersucht, ob anodale HD-tDCS über dem rechten
somatosensorischen Kortex (S1) – in Kombination mit körperlicher
Aktivierung – die Wahrnehmung innerer Körperzustände (Interozeption)
und emotionale Reaktionen verbessern kann.

Ergebnisse: Keine Verbesserung der interozeptiven Genauigkeit oder
emotionalen Verarbeitung – aber eine signifikante Steigerung des kardialen
interozeptiven Bewusstseins nach aktiver tDCS.
1. Einführung

Theoriehintergrund: Interozeption ist zentral für emotionales Erleben. Sie
umfasst drei Dimensionen:
o
Genauigkeit = accuracy (objektiv gemessen),
o
Bewusstsein = awareness (Vertrauen in die eigene Wahrnehmung),
o
Sensibilität = sensibility (subjektives Körperbewusstsein).

Neuronale Grundlagen: Interozeptive Prozesse involvieren Insula &
somatosensorischen Kortex (S1). Studien zeigen: S1 ist an kardialer
Interozeption & Emotionsverarbeitung beteiligt.

Neurostimulation: HD-tDCS kann gezielt Gehirnregionen modulieren. S1 ist
wegen seiner Oberflächennähe ein praktikables Ziel.

Ziel der Studie: Untersuchen, ob HD-tDCS über S1 die interozeptive
Genauigkeit, Sensibilität und das emotionale Erleben verbessert.
2. Materialien und Methoden

Teilnehmende: 36 gesunde Erwachsene (18–30 Jahre), zwei Sitzungen mit
aktiver & Schein-tDCS, Reihenfolge randomisiert.

Design:


o
tDCS: Anodale HD-tDCS (20 Min., 2 mA) über rechter S1 vs. ScheinStimulation.
o
Körperliche Aktivierung: Ergometertraining zur Aktivierung des
interozeptiven Netzwerks.
Messinstrumente:
o
Interozeptive Genauigkeit: Herzschlag- und
Atemwahrnehmungsaufgaben
o
Interozeptives Bewusstsein: Vertrauen, emotionale Bewertung (Valenz,
Erregung, Angst)
o
Interozeptive Sensibilität: Trait & State-Interozeption (Fragebögen)
o
Emotionale Reaktion: IAPS-Bilder (Valenz & Erregung)
o
Kontrollmaßnahme: Taktile Reizaufgabe zur Stimulationseffektivität
Statistik: ANOVAs und MANOVAs mit Messwiederholung; Effektstärken als
partielle Eta-Quadrate.
3. Ergebnisse

Stimulation wirksam: Intensitätseinschätzung taktiler Reize nach aktiver
tDCS signifikant erhöht → S1-Stimulation war effektiv.

Interozeptive Genauigkeit: Keine signifikanten Veränderungen für Herz- oder
Atemgenauigkeit.

Interozeptives Bewusstsein: Keine Effekte auf Vertrauen oder emotionale
Bewertung der Empfindungen.

Interozeptive Sensibilität:
o
Trait-Bewusstheit: keine signifikanten Unterschiede
o
State-Bewusstheit: kardiales Bewusstsein signifikant erhöht nach
aktiver tDCS (η²ₚ = 0,123)

Emotionale Bewertung: Bilder wurden wie erwartet emotional bewertet
(positiv/negativ), aber tDCS hatte keinen Einfluss darauf.

Körperliche Aktivierung: Keine signifikanten Zusammenhänge mit
interozeptiven Veränderungen.
4. Diskussion

Kernaussage: HD-tDCS über S1 verändert nicht die objektive interozeptive
Leistung, aber subjektives Bewusstsein für den Herzschlag.

Mögliche Erklärungen für fehlende Effekte:
o
Einzelne Sitzung zu kurz
o
Fokale Wirkung begrenzt
o
Hohe interindividuelle Unterschiede in Ansprechbarkeit

Wert der Studie: Erstmalige Kombination von S1-HD-tDCS & körperlicher
Aktivierung zur Beeinflussung von Interozeption & Emotion.

Ausblick: Potenzial für klinische Anwendung bei emotionalen Störungen,
Bedarf an Langzeitstudien und Integration von interozeptivem Training.
5. Fazit

Ergebnisse gemischt: Keine objektiven, aber subjektive Verbesserungen
der Herz-Körperwahrnehmung nach tDCS.

Implikation: HD-tDCS könnte gezielt interozeptives Bewusstsein
modulieren.

Zukunft: Kombinierte Ansätze (z. B. mit Achtsamkeitstraining) und LangzeitStimulationsprotokolle könnten effektiver sein.
Übersetzung
Zusammenfassung (Abstract):
Hintergrund:
Interozeption – die Verarbeitung und Integration körperlicher Signale – ist wesentlich
für emotionale Erfahrungen und das allgemeine Wohlbefinden. Das interozeptive
Netzwerk, zu dem auch die somatosensorischen Kortexbereiche gehören, ist für
seine Rolle bei der interozeptiven und emotionalen Verarbeitung bekannt. Es wurde
gezeigt, dass hochauflösende transkranielle Gleichstromstimulation (HD-tDCS) die
Gehirnaktivität im primären somatosensorischen Kortex (S1) modulieren kann. Auf
Basis dieser Erkenntnisse stellten wir die Hypothese auf, dass anodal angewandte
HD-tDCS über dem rechten S1 die interozeptiven Fähigkeiten verbessern und die
emotionale Wahrnehmung verstärken würde.
Methoden:
36 gesunde Erwachsene nahmen an zwei Sitzungen teil, die durch mindestens eine
Woche Abstand getrennt waren. In zufälliger Reihenfolge wurde jeweils eine 20minütige HD-tDCS-Stimulation (2 mA) und eine Schein-Stimulation angewendet.
Beide Bedingungen beinhalteten eine körperliche Voraktivierung durch
Ergometertraining vor der tDCS-Anwendung. Interozeptive Fähigkeiten wurden
jeweils vor und nach beiden Sitzungen mithilfe einer HerzschlagWahrnehmungsaufgabe und einer respiratorischen Belastungsaufgabe gemessen.
Die emotionale Wahrnehmung wurde anhand von vier abgestimmten Bildsets aus
dem International Affective Picture System (IAPS) gemessen, die in zufälliger
Reihenfolge präsentiert wurden.
Ergebnisse:
Die aktive HD-tDCS führte nicht zu einer signifikanten Verbesserung der
interozeptiven Genauigkeit, der interozeptiven Emotionsbewertung oder der
interozeptiven Sensibilität. Es wurde jedoch ein deutlicher Anstieg des kardialen
interozeptiven Bewusstseins nach aktiver HD-tDCS beobachtet. Die erwartete
Verbesserung der emotionalen Verarbeitung trat nicht ein.
Schlussfolgerung:
Diese Studie stellt den ersten Versuch dar, interozeptive und emotionale
Verarbeitung durch HD-tDCS über dem S1 zu modulieren. Auch wenn keine
durchgängig positiven Effekte nachgewiesen wurden, liefern die Ergebnisse wichtige
Einblicke in die Modulierbarkeit interozeptiver und emotionaler Prozesse durch HDtDCS und eröffnen Ansatzpunkte für weitere Forschung. Zukünftige Studien sollten
die differenzierten Effekte von Stimulationstechniken und das komplexe
Zusammenspiel zwischen Interozeption und Emotion berücksichtigen.
Schlüsselwörter: Herzschlagwahrnehmung; nicht-invasive Neurostimulation;
körperliche Aktivierung; primärer somatosensorischer Kortex; transkranielle
Gleichstromstimulation
1. Einleitung
Wir neigen dazu, unsere Emotionen über körperliche Empfindungen zu beschreiben,
wie dies durch Ausdrücke wie „einen Kloß im Hals haben“ bei Angst oder
„Schmetterlinge im Bauch“ beim Verliebtsein veranschaulicht wird. Dies betont die
Vorstellung, dass die Interpretation körperlicher Empfindungen eng mit dem
Entstehen, der Wahrnehmung und der Verarbeitung von Emotionen verknüpft ist.
Die Idee, dass Emotionen auf körperlichen Veränderungen basieren, existiert seit
über einem Jahrhundert. Sie wurde erstmals von William James vorgeschlagen [1]
und hat die Emotionsforschung seither maßgeblich geprägt. Natürlich haben sich die
Emotionstheorien seit der kontrovers diskutierten James-Lange-Theorie der Emotion
[2] weiterentwickelt. Neuere Theorien, wie etwa die Zwei-Faktoren-Theorie von
Schachter und Singer [3] oder Damasios somatische Marker-Hypothese [4],
beziehen kognitive Bewertungen und andere Faktoren in die Emotionsverarbeitung
mit ein – körperliche Veränderungen gelten aber weiterhin als zentral.
Die Fähigkeit, solche körperlichen Zustände zu verarbeiten und zu integrieren – auch
als Interozeption bezeichnet – hat sich auch als wesentlich für eine Vielzahl weiterer
psychologischer und physiologischer Prozesse erwiesen [5,6]. Interozeptive
Prozesse sind dafür verantwortlich, afferente Informationen über den Körper in
bewusste körperliche Empfindungen zu überführen, und zwar durch mentale
Repräsentation [6,7]. Menschen verlassen sich auf Interozeption, um körperliche
Empfindungen wie Hunger oder Schmerz wahrzunehmen und zu verstehen – meist
ohne sich dessen bewusst zu sein [5]. Dennoch sind wir in der Lage, interozeptive
Prozesse bewusst wahrzunehmen, zum Beispiel durch gezielte Aufmerksamkeit auf
den Herzschlag.
Drei unterschiedliche Dimensionen der Interozeption wurden postuliert und empirisch
belegt [8,9]. Garfinkel et al. [9] beschreiben diese Dimensionen wie folgt:
1. Interozeptive Genauigkeit: Die Fähigkeit, körperliche Empfindungen korrekt
wahrzunehmen; messbar durch objektive Tests.
2. Interozeptives Bewusstsein: Eine metakognitive Fähigkeit, die Einsicht in die
eigene interozeptive Genauigkeit erlaubt; messbar über das Vertrauen in die
eigene Genauigkeit.
3. Interozeptive Sensibilität: Das subjektiv empfundene Ausmaß, in dem man
sich auf innere Körperwahrnehmungen fokussiert und interne Signale erkennt;
messbar durch Selbstauskunft.
Die am häufigsten untersuchte interozeptive Fähigkeit ist die
Herzschlagwahrnehmung, die meist mithilfe einer entsprechenden
Wahrnehmungsaufgabe gemessen wird [10]. In jüngerer Zeit wurden auch
interozeptive Fähigkeiten in anderen Modalitäten, etwa respiratorische oder
gastrointestinale Empfindungen, untersucht. Diese Forschung legt nahe, dass
interozeptive Fähigkeiten über mehrere physische Systeme hinweg miteinander
verbunden sind [11–13].
-
Interozeptive Fähigkeiten haben sich als wesentlich für die Aufrechterhaltung der
psychischen Gesundheit erwiesen [7,14–16]. Zwar unterscheiden sich
interozeptive Fähigkeiten individuell, jedoch wurden Veränderungen in
interozeptiven Prozessen mit geringerer kognitiver Leistungsfähigkeit, Angst,
Depression, Essstörungen, Abhängigkeitserkrankungen und psychosomatischen
Störungen in Verbindung gebracht [6,16–22].
-
Glücklicherweise konnte auch gezeigt werden, dass sich interozeptive
Fähigkeiten durch Training verbessern lassen [23]. So gewinnt z. B. die
Integration von Achtsamkeit in der Depressionsbehandlung zunehmend an
Bedeutung. Dabei wurde ein Zusammenhang zwischen dem Behandlungserfolg
von Achtsamkeit und einem gleichzeitigen Anstieg des interozeptiven
Bewusstseins beobachtet [24]. Eine Übersichtsarbeit zu interozeptiven Aspekten
psychischer Gesundheitsinterventionen fand eine Symptomreduktion bei
Angststörungen, Essstörungen sowie psychosomatischen und
Abhängigkeitsstörungen [25]. Auch bei der Behandlung von Essstörungen [20]
und bei der Reduktion von Angstsymptomen bei Autist:innen [26] konnten nach
interozeptivem Training Verbesserungen festgestellt werden. Somit belegen
zahlreiche Befunde, dass interozeptive Fähigkeiten grundsätzlich verbesserbar
sind.
-
Auch für die emotionale Verarbeitung ist die vielfach postulierte Rolle körperlicher
Veränderungen und damit interozeptiver Prozesse durch empirische Studien
untermauert – sei es beim Erleben von Emotionen oder bei der Verarbeitung
emotionaler Sprache [14,27,28]. Bei Menschen mit Alexithymie – einer Störung,
die die Wahrnehmung und den Ausdruck von Emotionen betrifft – ist häufig auch
die interozeptive Fähigkeit eingeschränkt [29]. Zudem besteht ein starker
Zusammenhang zwischen hoher interozeptiver Fähigkeit und sowohl der
Intensität emotionalen Erlebens als auch mit erhöhter neuronaler Aktivität bei
emotionalen Aufgaben [14,30–32].
-
Entsprechend hat die aktuelle Forschung begonnen, neuronale Grundlagen von
Interozeption und Emotion genauer zu untersuchen [6,33]. Es gilt als gut belegt,
dass der Insulakortex Teil eines neuronalen Netzwerks ist, das sowohl
interozeptive als auch emotionale Verarbeitung umfasst [6,34–38]. Die Insula ist
stark vernetzt mit dem präfrontalen und orbitofrontalen Kortex, dem Thalamus,
der Amygdala, dem anterioren cingulären Kortex und dem somatosensorischen
Kortex [6]. Eine Beteiligung des somatosensorischen Kortex an interozeptiven
Prozessen wurde ebenfalls vielfach dokumentiert [34,35,39–42], was zur
Annahme interozeptiver Pfade führt, die sowohl die Insula als auch den
somatosensorischen Kortex einschließen [33,43,44].
-
Ein wachsender Forschungsstand unterstützt außerdem die Annahme, dass der
somatosensorische Kortex – aufgrund seiner Rolle bei der physiologischen
Wahrnehmung – auch wesentlich an der emotionalen Verarbeitung beteiligt ist
[45]. Empirische Studien zeigen somatosensorische Aktivierung bei der visuellen
Emotionserkennung, dem tatsächlichen emotionalen Erleben und der
Emotionsregulation [45–47]. Der primäre somatosensorische Kortex (S1) scheint
dabei insbesondere an der kardialen Interozeption sowie an der Verarbeitung
aversiver emotionaler Reize beteiligt zu sein [38,43].
-
S1 umfasst die Brodmann-Areale 1, 2 und 3 und liegt im postzentralen Gyrus. Er
repräsentiert den gesamten Körper und verarbeitet afferente Informationen über
somatotopisch organisierte Neuronen [48,49]. Die Hauptfunktion von S1 besteht
darin, auf somatosensorische Reize zu reagieren [48].
-
Neben der dokumentierten kortikalen Aktivität im S1 bei interozeptiver und
emotionaler Verarbeitung haben sich auch Neurostimulationsverfahren, die auf
diesen Hirnbereich abzielen, als wirksam in der Modulation körperlicher
Wahrnehmung erwiesen [50–52]. So konnten beispielsweise Veränderungen in
der kardialen interozeptiven Genauigkeit durch transkranielle Magnetstimulation
(TMS) über dem rechten somatosensorischen Kortex erzeugt werden [52], was
die Rolle des somatosensorischen Kortex bei der Interozeption unterstreicht.
Auch Veränderungen in der Schmerz- und Temperaturempfindung sowie in der
taktilen räumlichen Wahrnehmung wurden nach transkranieller
Gleichstromstimulation (tDCS) über dem S1 festgestellt [53–55]. Zudem wurde
gezeigt, dass TMS über interozeptiven Netzwerken auch die emotionale
Wahrnehmung beeinflussen kann [56]. Diese Befunde verdeutlichen sowohl die
enge Verbindung zwischen interozeptiver und emotionaler Verarbeitung als auch
deren Anfälligkeit für Modulation durch Neurostimulation.
-
tDCS ist eine nicht-invasive neurostimulative Methode, die zunehmend an
Popularität gewinnt und zur Modulation der kortikalen Erregbarkeit beim
Menschen eingesetzt wird [57–59]. Dabei unterscheiden sich die Effekte von
positiver (anodaler) und negativer (kathodaler) Stimulation: Anodale tDCS
erleichtert die spontane und ausgelöste kortikale Aktivität, während kathodale
tDCS die kortikale Erregbarkeit nachweislich hemmt [51,57,60]. Klassischerweise
wird tDCS durch Anbringen einer Ziel- und einer Referenzelektrode auf der
Kopfhaut durchgeführt [57]. Über die Elektroden wird ein schwacher Gleichstrom
ins Gehirn geleitet, der elektrische Felder erzeugt, die auf die Zellkörper und
Axonenden der betroffenen Neuronen wirken [61].
-
Traditionell werden Schwammelektroden zur Anwendung von tDCS verwendet
[51]. In den letzten 15 Jahren wurde jedoch zunehmend der Einsatz von
Ringelektroden untersucht, wobei sich zeigte, dass diese eine höhere räumliche
Fokussierung ermöglichen als herkömmliche Schwamm- oder
Scheibenelektroden [62,63]. Speziell das sogenannte High-Definition tDCS (HDtDCS), das solche Ringelektroden verwendet, hat sich als bevorzugte Methode
der Gleichstromstimulation etabliert. HD-tDCS bietet Vorteile gegenüber
konventioneller tDCS, darunter eine höhere räumliche Präzision und länger
anhaltende Nachwirkungen [60,64–66]. HD-tDCS ist eine sichere, effektive und
nicht-invasive Methode der Neurostimulation und hat sich in randomisierten
kontrollierten Studien als wirksam erwiesen [66–68].
-
Da interozeptive Fähigkeiten und emotionale Wahrnehmung veränderbar und
miteinander verknüpft sind – ebenso wie die zugrunde liegende kortikale Aktivität
–, stellt sich die Frage, ob sich interozeptive Fähigkeiten auch durch tDCS über
die entsprechenden Hirnregionen beeinflussen lassen. Kürzlich wurde durch
kathodale tDCS über dem Zungenmotor-Kortex eine wirksame Modulation des
Hungergefühls erreicht [69]. Da der Zungenmotor-Kortex mit dem interozeptiven
neuronalen Netzwerk verbunden ist [33,70] und Interozeption beim Hungergefühl
eine wichtige Rolle spielt [71], stellt dies einen weiteren Hinweis auf das Potenzial
von tDCS zur Modulation interozeptiver Prozesse dar.
-
Obwohl die Insula gemeinhin als das Zentrum interozeptiver Verarbeitung im
Gehirn gilt, ist der S1 sowohl mit Interozeption als auch mit emotionaler
Verarbeitung verbunden. Da der S1 näher an der Schädeloberfläche liegt als die
Insula [6], bietet er zudem ein leichter zugängliches Ziel für Hirnstimulation als der
Insulakortex. Bislang sind uns keine Studien bekannt, die versucht haben,
interozeptive Fähigkeiten und emotionale Wahrnehmung mithilfe von HD-tDCS
über dem somatosensorischen Kortex zu beeinflussen.
-
In der vorliegenden Studie versuchten wir, interozeptive Fähigkeiten und
emotionale Wahrnehmung durch Anwendung von anodaler HD-tDCS über dem
rechten S1 zu verbessern. Wir stellten die Hypothese auf, dass sich nach aktiver
tDCS die interozeptive Genauigkeit, das interozeptive Bewusstsein und die
interozeptive Sensibilität verbessern würden.
-
Zusätzlich führten wir eine körperliche Voraktivierung durch – bestehend aus
Radfahren auf einem Ergometer –, um die Verarbeitung körperlicher Signale auf
„bottom-up“-Weise anzuregen. Aufgrund der bekannten Verbindung zwischen
interozeptiver und emotionaler Verarbeitung sowie der überlappenden neuronalen
Substrate erwarteten wir zudem, dass das emotionale Erleben nach aktiver tDCS,
jedoch nicht nach Schein-tDCS, intensiver ausfallen würde.
2. Materialien und Methoden
2.1 Teilnehmende
Eine G*Power-Analyse ergab eine ideale Stichprobengröße von 34 Teilnehmenden
für unsere geplante Analyse einer zweifaktoriellen, faktoriellen Varianzanalyse mit
Messwiederholung (ANOVA) für kontinuierliche abhängige Variablen. Wir erwarteten
dabei einen kleinen bis mittleren Effekt (η = 0,25) und strebten eine Teststärke
(Power) von 0,80 an.
Es wurden 60 Erwachsene über lokale Aushänge an der Universität Ulm rekrutiert.
Nach dem Screening auf Kontraindikationen für tDCS und aufgrund fehlender
Rückmeldungen wurden 24 Personen ausgeschlossen. Die verbleibenden 36
gesunden, deutschsprachigen Erwachsenen (61,1 % weiblich) im Alter von 18 bis 30
Jahren (M = 23,5 Jahre, SD = 2,903) nahmen an der Studie teil. Ausschlusskriterien
und der Einschlussprozess sind in Abbildung 1 dargestellt.
Alle Teilnehmenden gaben vor Beginn der Studie schriftlich ihr Einverständnis. Nach
Abschluss erhielten sie eine Aufwandsentschädigung von 45 € oder
Versuchspersonenstunden, je nach Wunsch. Das Forschungsvorhaben wurde von
der Ethikkommission der Universität Ulm genehmigt. Die Studie wurde in
Übereinstimmung mit der Deklaration von Helsinki durchgeführt.
2.2 Studienprotokoll
Das Experiment wurde im Rahmen eines Within-Subject-Designs mit
Messwiederholung durchgeführt und folgte dem in Abbildung 2 dargestellten
Protokoll.
Die Teilnehmenden beantworteten zunächst zu Hause eine Online-Umfrage. In
diesem ersten Studienteil wurden demografische Daten erfasst sowie folgende
Skalen verwendet: die Edinburgh-Handedness-Inventory [72] zur Bestimmung der
Händigkeit, das Beck-Depressions-Inventar II (BDI-II) [73] zur Erfassung depressiver
Symptome, die Trait-Skala der State-Trait-Angst-Inventars (STAI-T) [74] zur Messung
von Angstsymptomen und der Freiburger Fragebogen zur körperlichen Aktivität [75].
Zudem wurde die interozeptive Sensibilität in der Ausgangslage erhoben –
mittels des Body-Perception-Questionnaire [76] und des Anxiety Sensitivity Index
(ASI-3) [77]. Zusätzlich beantworteten die Proband:innen einen Fragebogen zur
subjektiven Wahrnehmung verschiedener Körpersensationen (Herz, Atmung,
Gastrointestinaltrakt, Zittern, Temperatur/Schwitzen) – die sogenannte Trait
Interoceptive Awareness (TIA).
Im zweiten Studienteil erfolgten zwei Labor-Sitzungen von jeweils ca. 2 Stunden,
die mindestens eine Woche auseinander lagen. Der Ablauf war in beiden Sitzungen
identisch, mit Ausnahme der jeweils veränderten tDCS-Bedingung. Jede:r
Teilnehmende erhielt einmal eine aktive tDCS-Stimulation und einmal eine ScheinStimulation. Die Reihenfolge war randomisiert, und die Proband:innen wussten nicht,
in welcher Bedingung sie sich befanden. Die Randomisierung erfolgte über das
Software-Tool "Research Randomizer" (Version 4.0, https://www.randomizer.org)
[78].
Zu Beginn jedes Messzeitpunktes – also vor und nach tDCS – wurde mit dem STAI-S
(State-Skala) [74] die aktuelle Angstintensität erhoben. Im ersten Block (vor tDCS)
wurde zusätzlich die Stimmung mit der Kurzversion des Profile of Mood States
(POMS) [79] erfasst.
Die State Interoceptive Awareness (SIA) – also die momentane interozeptive
Sensibilität – wurde mit einem Fragebogen erfasst, in dem die Teilnehmenden ihre
aktuelle Wahrnehmung von Herzschlag, Atmung, gastrointestinale Empfindungen,
Zittern und Temperatur/Schwitzverhalten beurteilten.
Interozeptive Genauigkeit wurde mithilfe von zwei Paradigmen erfasst:

Herzschlag-Wahrnehmungsaufgabe (heartbeat perception task) [10]: Vier
Intervalle (25, 35, 45 und 60 Sekunden) wurden in zufälliger Reihenfolge
präsentiert. Die Teilnehmenden sollten in diesen Zeitfenstern ihre Herzschläge
mental mitzählen – ohne ihren Puls zu tasten – und die gezählten Schläge am
Ende jedes Intervalls angeben. Die Durchführung erfolgte nach einem
etablierten Protokoll [80].

Atemlast-Schätzaufgabe (respiratory load task) [13,52]: Hierfür wurde ein
POWERbreathe® K5 Trainingsgerät (Modell K5, POWERbreathe®,
Großbritannien) verwendet. Es wurden sieben Inspirationswiderstände (3, 5,
7, 10, 13, 19 und 25 cm H₂ O) eingestellt. Die Teilnehmenden atmeten
zunächst einmal durch jeden Widerstand, um sich daran zu gewöhnen.
Anschließend wurden in zufälliger Reihenfolge sieben Durchgänge mit je
einem dieser Widerstände durchgeführt. Nach jedem Atemzug beurteilten die
Teilnehmenden die empfundene Schwierigkeit auf einer siebenstufigen LikertSkala. Die Reihenfolge wurde mithilfe des Random Allocation Software Tools
(Version 1.0, Saghaei, Iran) randomisiert [81].
Die interozeptive Genauigkeit für Herz und Atmung wurde nach den Formeln von
Pollatos et al. [52] berechnet, die Werte liegen zwischen 0 und 1 (je höher, desto
besser die Genauigkeit).
Interozeptives Bewusstsein wurde gemäß Pollatos et al. [52] erhoben: Nach jedem
Versuch (Herz oder Atmung) bewerteten die Teilnehmenden auf einer 9-Punkte-Skala
ihr Vertrauen in ihre jeweilige Antwort („kein Vertrauen“ bis „vollständiges Vertrauen“).
Zusätzlich wurde nach jedem Versuch die emotionale Bewertung erhoben – für
Herz- und Atemaufgabe getrennt – ebenfalls auf 9-Punkte-Skalen zu:

Valenz („negativ“ bis „positiv“)

Erregung („ruhig“ bis „nervös“)

Angst („gar nicht“ bis „sehr“)
Ergänzend wurde die Self-Assessment Manikin (SAM) Skala [82] zur Beurteilung
von Valenz und Erregung verwendet.
Für die emotionale Wahrnehmung nutzten wir das International Affective Picture
System (IAPS) [83]. Es wurden vier Bildsets erstellt, bestehend aus je 10 positiven,
10 neutralen und 10 negativen Bildern. Die Mittelwerte der Valenz- und
Erregungsbewertungen wurden zwischen den Sets so abgestimmt, dass sie
vergleichbar waren. In jeder Laborsitzung sahen die Teilnehmenden je ein Bildset vor
und ein weiteres nach der tDCS-Stimulation. Die Reihenfolge der Sets war ebenfalls
randomisiert. Jedes Bild wurde für 2 Sekunden präsentiert, und die Teilnehmenden
bewerteten es in Echtzeit auf SAM-Skalen zu Valenz und Erregung.
Zur Kontrolle der Effektivität der tDCS-Stimulation des S1 führten wir eine taktile
Reizaufgabe durch. Die Reizung erfolgte am oberen Brustbein, da sich die kortikale
Repräsentation der entsprechenden Thoraxdermatome und das tDCS-Zielgebiet
(beide in Brodmann-Areal 3, also S1) überlappen [49,84,85]. Die taktile Stimulation
orientierte sich an etablierten Protokollen [86–89]: Mit einem weichen, 1 cm breiten
Pinsel wurden 5 cm lange vertikale Bewegungen mit einer Frequenz von 2 Hz
entlang der T2-T3-Dermatome durchgeführt. Die Reize wurden in zwei 30-SekundenIntervallen mit 10 Sekunden Pause appliziert. Danach bewerteten die
Teilnehmenden:

die wahrgenommene Intensität („überhaupt nicht intensiv“ bis „sehr intensiv“)

und den empfundenen (Un)komfort („sehr angenehm“ bis „sehr unangenehm“)
jeweils auf 9-Punkte-Skalen.
Im aktiven tDCS-Zustand wurde eine 20-minütige anodale HD-tDCS über dem
rechten postzentralen Gyrus (S1, Brodmann-Areal 3) durchgeführt. Die passende
Elektrodenkonfiguration wurde mit der Software HD-Targets™
(https://soterixmedical.com/research/software/hd-targets) [90] berechnet. Es wurde
ausschließlich anodale tDCS verwendet, um die kortikale Aktivität zu erhöhen.
Abbildung 3 zeigt die Elektrodenanordnung und das durch HD-tDCS erzeugte
elektrische Feld im Gehirn. Ringelektroden mit 1 cm Durchmesser und leitfähigem
Gel wurden verwendet. Zur Vorbereitung wurde das Haar zur Seite gelegt und die
Haut mit Wattestäbchen leicht aufgeraut.
Im Schein-tDCS-Zustand wurde die gleiche Anordnung verwendet, die Stimulation
jedoch nach 2 Minuten abgeschaltet – um identische Kopfhautwahrnehmungen wie
bei aktiver Stimulation zu erzeugen, jedoch ohne tatsächlichen Effekt [91–95].
In beiden Bedingungen begann das Ergometertraining direkt mit Beginn der
Stimulation. Die Teilnehmenden sollten mit 60 Umdrehungen pro Minute radeln,
während die Belastung schrittweise erhöht wurde, bis eine Herzfrequenz von 150
bpm erreicht war. Die Herzfrequenz wurde mit einer Apple Watch Series 8
gemessen. Nach Erreichen der Ziel-HF wurde eine Minute lang bei konstanter
Belastung weitergeradelt. Ziel dieser körperlichen Voraktivierung war es, die
Stimulationseffekte zu verstärken – körperliche Aktivität mit HF > 150 bpm ist mit
Insula-Aktivierung verbunden, die wiederum mit dem S1 zusammenarbeitet [39,96].
Da niedrigere Herzfrequenzen bei Belastung und schnellere Erholung nach
Belastung mit höherer kardiovaskulärer Fitness zusammenhängen [97], erwarteten
wir, dass fittere Teilnehmende länger brauchten, um 150 bpm zu erreichen, und sich
danach schneller erholten.
Der Post-Messzeitpunkt begann für alle Teilnehmenden exakt 12 Minuten nach
Beginn der Stimulation. Dies ermöglichte, dass sowohl gut trainierte Personen die
Zielherzfrequenz erreichten als auch untrainierte ausreichend Zeit zur Erholung
hatten. Außerdem wurde damit sichergestellt, dass die Nachmessung während
aktiver Stimulation erfolgte, gleichzeitig aber bereits Effekte der Stimulation auftreten
konnten [50,51,60].
2.3 Statistische Auswertung
Die Daten wurden mit IBM SPSS Statistics Version 28.0.1.0 (IBM Corp., Armonk,
NY, USA) analysiert. Alle abhängigen Variablen wurden auf Ausreißer,
Normalverteilung und Varianzhomogenität überprüft. Zweiseitige Tests wurden mit
einem Signifikanzniveau von p < 0,05 durchgeführt.
Die Interozeption wurde in drei Teilkomponenten getrennt analysiert:
1. Interozeptive Genauigkeit:
– Herzschlag-Genauigkeit
– Atemlast-Genauigkeit
2. Interozeptives Bewusstsein:
– Vertrauen in die eigene Herz- und Atemwahrnehmung
– Bewertung der Empfindungen auf den Dimensionen Valenz, Erregung und
Angst
3. Interozeptive Sensibilität:
– Trait-Interozeptive Bewusstheit (TIA)
– State-Interozeptive Bewusstheit (SIA)
Für die Analyse der interozeptiven Genauigkeit und des Bewusstseins wurde
jeweils eine zweifaktorielle ANOVA mit Messwiederholung durchgeführt:

Faktor Zeit: vor vs. nach der tDCS

Faktor Stimulation: aktiv vs. Schein
Für die interozeptive Sensibilität wurde zusätzlich eine Multivariate
Varianzanalyse (MANOVA) mit Messwiederholung durchgeführt, da hier mehrere
Skalen simultan betrachtet wurden. Wurde in der MANOVA ein signifikanter
Haupteffekt oder eine Interaktion gefunden, folgten post-hoc Einzel-ANOVAs mit
Bonferroni-Korrektur.
Die emotionale Bildbewertung wurde ebenfalls über eine zweifaktorielle ANOVA mit
Messwiederholung analysiert:

Faktor Valenz des Bildes: positiv, neutral, negativ

Faktor Stimulation: aktiv vs. Schein
Zur Überprüfung der tDCS-Effektivität auf taktile Reize wurden zwei ANOVAs mit
Messwiederholung (Intensität und Unkomfort) gerechnet, mit denselben Faktoren
(Zeit × Stimulation).
Die Stärke der körperlichen Aktivierung wurde über die Zeit zur Zielherzfrequenz (in
Sekunden) und die Herzfrequenz-Erholung (HF-Wert 1 Minute nach Belastungsende)
erfasst. Zusammenhänge mit interozeptiven Variablen wurden explorativ über
Pearson-Korrelationen untersucht.
Zur Abschätzung der Effektstärken wurden partielle Eta-Quadrate (η²ₚ) angegeben.
Als Orientierung galten folgende Schwellenwerte [98]:

η²ₚ ≈ 0,01 → kleiner Effekt

η²ₚ ≈ 0,06 → mittlerer Effekt

η²ₚ ≥ 0,14 → großer Effekt
3. Ergebnisse
3.1 Manipulationskontrolle: Effektivität der HD-tDCS-Stimulation
Um zu überprüfen, ob die Stimulation über dem S1 wirksam war, wurden die
Bewertungen taktiler Reize vor und nach der tDCS-Stimulation analysiert.
Die ANOVA zeigte einen signifikanten Interaktionseffekt Zeit × Stimulation auf die
wahrgenommene Intensität der taktilen Reize:
F(1,35) = 5,01, p = 0,032, η²ₚ = 0,125
Post-hoc-Tests zeigten, dass nur in der aktiven tDCS-Bedingung ein signifikanter
Anstieg der Intensitätsbewertung nach der Stimulation vorlag (p = 0,024), nicht
jedoch in der Scheinbedingung (p = 0,639).
Für die Bewertung des Unkomforts ergab sich kein signifikanter Interaktionseffekt:
F(1,35) = 2,01, p = 0,165
→ Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die HD-tDCS-Stimulation über dem
rechten S1 erfolgreich die taktile Reizverarbeitung beeinflusste, was auf eine
wirksame Stimulation hindeutet.
3.2 Interozeptive Genauigkeit
Herzschlag-Wahrnehmung
Für die Herzschlag-Genauigkeit ergab die ANOVA keinen signifikanten Haupteffekt
der Zeit (F(1,35) = 1,62, p = 0,212) und keinen Haupteffekt der Stimulation
(F(1,35) = 0,27, p = 0,609). Auch die Interaktion Zeit × Stimulation war nicht
signifikant (F(1,35) = 1,91, p = 0,176).
Atemlast-Wahrnehmung
Analog zeigte die Analyse für die Atemlast-Wahrnehmung keine signifikanten
Effekte:

Zeit: F(1,35) = 1,49, p = 0,230

Stimulation: F(1,35) = 0,04, p = 0,849

Zeit × Stimulation: F(1,35) = 0,10, p = 0,754
→ Keine signifikante Verbesserung der interozeptiven Genauigkeit durch HDtDCS.
3.3 Interozeptives Bewusstsein
Vertrauen in die eigene Leistung
Sowohl für die Herzschlag- als auch die Atemaufgabe zeigten sich keine
signifikanten Effekte auf das Selbstvertrauen:

Herz: alle p > 0,134

Atmung: alle p > 0,223
Emotionale Bewertung der Körperempfindungen
Bei der Bewertung der Herzschlagwahrnehmung hinsichtlich Valenz, Erregung und
Angst ergaben sich ebenfalls keine signifikanten Unterschiede zwischen den
Bedingungen oder Zeitpunkten (alle p > 0,094).
Für die Atemaufgabe war der Effekt auf das Erregungsniveau grenzwertig (F(1,35)
= 3,72, p = 0,062), jedoch nicht signifikant nach Bonferroni-Korrektur.
→ HD-tDCS beeinflusste das interozeptive Bewusstsein nicht signifikant.
3.4 Interozeptive Sensibilität
Trait-Interozeptives Bewusstsein (TIA)
Die MANOVA mit Messwiederholung für die TIA-Skalen ergab keine signifikanten
Haupteffekte oder Interaktionen:

Pillai’s Trace: F(6,30) = 1,12, p = 0,371
Einzelne Skalenanalyse zeigte lediglich einen deskriptiven Anstieg der
wahrgenommenen Herzsensibilität nach aktiver Stimulation, jedoch keine
Signifikanz (p > 0,1).
State-Interozeptives Bewusstsein (SIA)
Die MANOVA zu den momentanen Körperwahrnehmungen zeigte eine signifikante
Interaktion Zeit × Stimulation:
Pillai’s Trace: F(5,31) = 2,72, p = 0,038, η²ₚ = 0,305
Post-hoc-ANOVAs zeigten, dass insbesondere das Bewusstsein für den eigenen
Herzschlag nach aktiver Stimulation signifikant zunahm (F(1,35) = 4,93, p = 0,033,
η²ₚ = 0,123), nicht aber nach Schein-Stimulation.
→ HD-tDCS steigerte selektiv das momentane Bewusstsein für kardiale
Interozeption.
3.5 Emotionale Bildbewertung
Die emotionale Bewertung der IAPS-Bilder zeigte:

Valenz: Erwartungsgemäß signifikante Unterschiede zwischen positiven,
neutralen und negativen Bildern (F(2,70) = 221,19, p < 0,001)

Erregung: Ebenfalls signifikante Unterschiede je nach Bildtyp (F(2,70) =
143,46, p < 0,001)
Es gab jedoch keinen Haupteffekt der Stimulation und keine Interaktion mit dem
Bildtyp (alle p > 0,16).
→ Die emotionale Reaktion auf affektive Bilder wurde durch HD-tDCS nicht
verändert.
3.6 Korrelationen mit körperlicher Aktivierung
Explorative Korrelationen zeigten keine signifikanten Zusammenhänge zwischen
der Dauer bis zur Zielherzfrequenz oder der Herzfrequenz-Erholung mit
interozeptiven Veränderungen (alle p > 0,05).
4. Diskussion
In der vorliegenden Studie wurde erstmals untersucht, ob anodale HD-tDCS über
dem rechten primären somatosensorischen Kortex (S1) die interozeptiven
Fähigkeiten sowie die emotionale Verarbeitung beeinflussen kann. Zusätzlich
wurde durch körperliche Aktivierung vor der Stimulation versucht, interozeptive
Prozesse durch eine „bottom-up“-Modulation zu verstärken.
Unsere zentrale Hypothese, dass die Stimulation die interozeptive Genauigkeit, das
interozeptive Bewusstsein und die interozeptive Sensibilität verbessern würde, wurde
nur teilweise bestätigt. Entgegen unserer Erwartungen führten HD-tDCS und
körperliche Aktivierung nicht zu einer signifikanten Verbesserung der
interozeptiven Genauigkeit oder des interozeptiven Bewusstseins. Es wurde jedoch
eine signifikante Steigerung des momentanen Bewusstseins für den
Herzschlag (State Interoceptive Awareness, SIA) nach der aktiven Stimulation
festgestellt. Dies legt nahe, dass HD-tDCS zumindest kurzfristig in der Lage ist,
kardiale Interozeptionsprozesse zu modulieren – wenn auch nur auf der
subjektiven Ebene.
Hinsichtlich der emotionalen Verarbeitung zeigte sich kein Effekt der Stimulation
auf die Bewertung affektiver Bilder. Obwohl frühere Studien Verbindungen zwischen
S1-Aktivität und emotionalem Erleben dokumentierten [45–47], konnte in unserer
Untersuchung kein Einfluss der HD-tDCS über S1 auf affektive Reaktionen
nachgewiesen werden. Dies könnte daran liegen, dass emotionale Bewertungen
stärker durch höhere kortikale Netzwerke beeinflusst werden, insbesondere durch die
Insula und präfrontale Strukturen [6,34].
Ein möglicher Grund für die ausbleibenden Effekte auf die interozeptive Genauigkeit
und die emotionale Wahrnehmung könnte die limitiert fokale Wirkung von HDtDCS sein. Zwar erlaubt das Verfahren eine präzisere Stimulation als konventionelle
tDCS, doch bleibt die tatsächliche neuronale Beeinflussung beschränkt. Zudem
könnten interindividuelle Unterschiede in der Reagibilität auf tDCS die Wirkung
abgeschwächt haben [91,92]. Ebenso ist denkbar, dass der Zeitraum der
Nachmessung (innerhalb der 20-minütigen Stimulation) noch zu früh war, um volle
Effekte zu beobachten – insbesondere im Vergleich zu Studien, die tDCS über
mehrere Sitzungen hinweg anwenden.
Die beobachtete Erhöhung des kardialen Bewusstseins nach aktiver tDCS deckt
sich mit früheren Studien, die S1 mit kardialer Interozeption in Verbindung brachten
[38,43]. Diese Befunde liefern erste Hinweise darauf, dass HD-tDCS über dem S1
geeignet sein könnte, subjektive Körperwahrnehmung im Bereich des Herzens
kurzfristig zu verstärken.
Trotz der Einschränkungen ist die vorliegende Studie von besonderem Wert, da sie:

erstmals HD-tDCS über dem S1 zur Modulation interozeptiver und
emotionaler Prozesse einsetzt,

ein kombiniertes Protokoll aus körperlicher Aktivierung und
Neurostimulation testet,

und dabei mehrdimensionale Aspekte der Interozeption (Genauigkeit,
Bewusstsein, Sensibilität) umfassend berücksichtigt.
Zukünftige Studien sollten klären, inwieweit mehrfache HD-tDCS-Sitzungen
nachhaltigere Effekte hervorrufen können. Zudem könnte eine gezieltere
Kombination mit interozeptiven Trainingsprogrammen (z. B.
achtsamkeitsbasiertes Training) das Potenzial zur Modulation körperbezogener
Selbstwahrnehmung und emotionaler Regulation erhöhen. Auch die Erfassung
neuronaler Veränderungen mittels bildgebender Verfahren könnte helfen, die
genauen Wirkmechanismen zu verstehen.
5. Fazit
Die vorliegende Studie stellt einen innovativen Ansatz zur Modulation
interozeptiver Prozesse und emotionaler Verarbeitung durch anodale HD-tDCS
über dem primären somatosensorischen Kortex (S1) in Kombination mit
körperlicher Aktivierung dar.
Obwohl die Intervention nicht zu signifikanten Verbesserungen in der
interozeptiven Genauigkeit oder in der emotionalen Bewertung führte, konnte eine
erhöhte kardiale interozeptive Sensibilität nach aktiver Stimulation festgestellt
werden. Diese Ergebnisse liefern erste Hinweise darauf, dass HD-tDCS über dem S1
eine kurzfristige subjektive Steigerung der Körperwahrnehmung bewirken kann –
speziell in Bezug auf Herzempfindungen.
Die Ergebnisse unterstreichen die komplexe Beziehung zwischen Interozeption,
Emotion und kortikaler Aktivität und legen nahe, dass gezielte Hirnstimulation ein
vielversprechender, aber differenzierter Ansatz zur Modulation körperbezogener
Wahrnehmungsprozesse sein kann. Weitere Studien sind notwendig, um die
zugrunde liegenden Mechanismen besser zu verstehen und potenzielle klinische
Anwendungen – etwa bei emotionalen Störungen mit interozeptivem Defizit – weiter
zu erforschen.
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