Säkulare und Religiöse/Spirituelle Psychologie und Psychotherapie: Wie können sie zusammenarbeiten?* K. Helmut Reich, Universität Freiburg / Schweiz Problemlage Säkulare Psychologie und Psychotherapie basieren auf der neueren Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, sind ergebnisbezogen (im Sinne der Evidence Based Medicine, EBM) und im Prinzip offen für Erforschung von Neuland. Für sie ist Religion (und Spiritualität) eine Variable unter anderen, falls sie überhaupt ins Blickfeld kommt. Die Versuchung bzw. die Gefahr ist, mit Kopernikus, Darwin, Freud und der modernen Neurobiologie den Menschen als unbedeutendes, zufällig existierendes, isoliertes, bestimmungsloses, seiner selbst nicht wirklich bewusstes, von den Gesetzen der Physik und der Biologie determiniertes Wesen zu verstehen. Religiöse / spirituelle1 Psychologie und Psychotherapie basieren hingegen auf einem Verständnis des Religiösen / Spirituellen als des Umfassenden, das alles im Leben Berühreden und z.T. Bestimmenden. Oft stellen heilige Schriften die höchste Wissens- und Erkenntnisautorität dar, beispielsweise die Weden bzw. die Upanischaden, Sutras, die hebräische bzw. die christliche Bibel oder der Koran. Die Verbindung des Menschen mit kosmischen Kräften steht im Zentrum solcher Therapiebemühungen. Heilung beinhaltet gewöhnlich Wiederganzwerdung, Wiederherstellung der Harmonie mit dem Kosmos, der Natur und den Mitmenschen. Die Versuchung bzw. die Gefahr besteht bei diesem Zugang möglicherweise darin, die besondere Situation des betroffenen Individuums ungenügend zu erfassen wenn sie von dem religiösen / spirituellen Menschen- bzw. Weltbild abweicht.. Auf den ersten Blick sind die beiden Zugänge unvereinbar: Niemand kann zwei Herren dienen. Es ist jedoch unbestritten, dass beide Zugänge – jede auf ihre Art – sowohl wissenschaftliche Kenntnisse erarbeitet als Heilerfolge bei psychischen Krankheiten aufzuweisen haben. Wie kann man das verstehen? Und vor allem, wie ist dennoch eine Zusammenarbeit möglich? Die Beantwortung dieser Fragen ist ein Teilthema dieses Seminars. (Das andere ist das Verhältnis von Seelsorgern in Kliniken zu den Psychotherapeuten und Psychiatern). Säkulare und religiöse / spirituelle Psychotherapie * Seminar auf dem Kongress «Psychotherapie in der Krise? Die neue Lust auf Sinn und Werte», Akademie für Psychotherapie und Seelsorge, Margburg/Lahn, 28. Mai - 1. Juni 2003. 1 Das Verhältnis von Religion und Spiritualität wird kontrovers diskutiert: (1) Religions als Ober- begriff mit Spiritualität als Teilmenge, (2) Spiritualität als Oberbegriff mit Religion als Teilmenge, (3) Religion und Spiritualität als "selbständige", überlappende Bereiche. Ich votiere für die letztere Auffassung, d.h. ich akzeptiere die Existenz nichtreligiöser Spiritualität (der Musik, der Naturerhaltung und -verehrung usw.) – vgl. Reich, 2000a, 2002. -2Unsere Fragestellung ist weniger grundsätzlich neu (bereits Freud und Pfister debattierten sie – Freud & Meng, 1963) als heutzutage – im Zeitalter einerseits einer mächtigen pharmazeutischen Industrie und andererseits wachsenden Interesses für Spiritualität (bspw. Reich, 2000a, 2002a) – von steigender Aktualität. Ehe von Zusammenarbeit gesprochen werden kann, muß klar sein, was die Hauptunterschiede beider Zugänge ausmacht. Obwohl das per se auch am Beispiel der Religionspsychologie aufgezeigt werden könnte (Reich, 2000b), konzentrieren wir uns hier auf die Psychotherapie. Während vor 50 Jahren im Fall von Neurosen eine individuelle (langjährige) psychoanalytische Therapie zumindest in westlichen Ländern in hohem Ansehen stand, hat sich seither zunehmend die Einsicht in mögliche, im Gehirn verortete biologische Ursachen entwickelt (Prince, 1995-1996). Eine ihrer Konsequenzen ist die Entwicklung entsprechender Psychopharmaka2 So bewährt sich bekanntlich Lithium bei manisch-depressiven Erkrankungen (Tondo, Baldessarini, Hennen & Floris, 1998) und verringert dementsprechend die Suizidgefahr (Tondo, Jamison & Baldessarini, 1998). Ein anderes Beispiel für erfolgreiche neurobiologische Behandlung psychischer Erkrankungen sind Inhibitoren einer selektiven Aufnahme von Serotonin (Schloss & Williams, 1998; Beispiele von solchen Inhibitoren sind: Citalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin – Edwards & Anderson, 1999). In der Tat gilt heute die medikamentöse Behandlung insbesondere von Depressionen (Beispiel Prozac) als eine Methode, die nachweislich zuverlässige positive Ergebnisse zeitigt, zumindest solange die Behandlung andauert.. Verständlicherweise steht eine solche Behandlung in Gefahr, den Heilungsprozess zu eng zu sehen. Zumindest implizit geht diese Sicht davon aus, dass Heilung ganz überwiegend eine Sache der richtigen Chemie in engeren Sinne ist. Die Betonung liegt auf der medikamentösen Effizienz: Welches pharmazeutische Mittel verspricht im vorliegenden Fall die schnellste und nachhaltigste Wirkung (Edwards & Anderson, 1999)? Das tiefere Verstehen der Psyche des Patienten / der Patientin, ihre Mitarbeit, ihre soziale Einbindung spielen gemäß einer solchen Denkweise allenfalls eine Nebenrolle – von ihrer Religion, ihrem Glauben, ihrer Spiritualität erst gar nicht zu reden. Allerdings ist dennoch nicht auszuschließen, dass der 'Glorienschein' von Wissenschaft und Pharmaindustrie auch bei einer derartigen medikamentösen Behandlung einen (zusätzlichen) Placeboeffekt bewirkt, die Wirkung also zumindest teilweise auf ihm beruht. Religiöse / Spirituelle Psychotherapie Religiöse / Spirituelle Psychotherapie hat eine jahrtausendalte Geschichte, in Griechenland vom Heiligtum des Asklepios in Epidauros seit dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert über Hippokrates von Kos (460-377 v.Chr.) zu den heutigen Klöstern auf dem Berg Athos. In 2 In den USA können approbierte Psychotherapeuten bestimmte Psychopharmaka verschreiben; in Deutschland ist das Ärzten vorbehalten. -3anderen Erdteilen und Kulturen gibt es seit alters Entsprechendes: Shamanen, Medizinmännner, Priester, Heiler sind traditionell und oft heute noch die Ansprechpartner bei Erkrankungen, insbesondere auch psychischer Natur (bspw. Schenk, 1999; cf. Chez, 2002). Insgesamt sind die entsprechenden, vielfältigen, unterschiedlichen Methoden religiöser / spiritueller Therapie u.a. weitgehend durch die Abwesenheit allopathischer Medikamente gekennzeichnet, obwohl Naturheilmittel (Pflanzen usw.) dort ihren Platz haben. Eine der Grundmethoden besteht in der Anwendung von "religiösen" Ritualen (bspw. Prince, 19951996, S. 185-190), was man aus säkularer Sicht z.T. als Pacebo- oder Suggestionstherapie auffassen kann. Oft ist auch die Einbindung in die religiöse Gemeinschaft und in die Familie Teil der Standardpraxis (bspw. Murken & Shah, 2002). In westlichen Ländern haben Psychotherapeuten und selbst Psychiater in jüngster Zeit von Religion / Spiritualität und ihrer Bedeutung für die Heilung psychischer Krankheit vermehrt Kenntnis genommen (bspw. Brown, 1994; Chez, 2002; Duke University, 2002; Jones, 1994; Koenig, 1994, 1999, 2002; Koenig. McCullough, & Larson 2001; Larson, 2002; Murken, 1998; Murken & Shah, 2002; Pargament, 2001; Plante & Sherman, 2001; Richards & Bergin, 2000; Shafranske, 1996; Shumaker, 1992; Scotton, Chinen, & Batista, 1996). Zwar ist diese Art von Forschung nicht unumstritten (Sloan, Bagiella, & Powell, 2001; Sloan & Bagiella, 2002) und es bestehen z.T. im Einzelnen noch Unklarheiten, welche Art von Religion / Spiritualität genau welche Wirkung hat (bspw. Koenig, 1997), aber dass in etlichen Fällen ein bestimmter religiöser Glaube sich als positiv für die (psychische) Gesundheit auswirkt, dürfte erwiesen sein (bspw. Astin, 2002). Ein Modell der Psychotherapie Wir legen hier für die weiteren Betrachtungen das Modell von Harald Walach (2002, S. 37) zugrunde. Es beschreibt Psychotherapie mittels vier Kategorien: (1) Wärme, umsorgende Beziehungen: die weibliche oder mütterliche Komponente; (2) Struktur, Anforderungen, Konfrontation: eine männliche oder väterliche Komponente (3) Bewusstsein, Einsichten haben, lernen: eine aufklärerische Komponente und (4) Prozess, eine individuelle und temporale Dimension. Versuchen wir, dieses Modell einerseits auf die skizzierte säkulare und andererseits auf die religiöse / spirituelle Psychotherapie anzuwenden. Die erste Komponente betrifft insbesondere die menschliche Beziehung zwischen Erkrankten und PsychotherapeutInnen. Sie ist besonders wichtig, wenn es um Heilen von blockierten Gefühlen und dergleichen geht oder auch um Beruhigen, Mut und Hoffnung machen. Bei einer rein medikamentösen Behandlung riskiert sie vernachlässigt zu werden, aber selbst bei einer traditionelleren säkularen Psychotherapie unter Zeitdruck bzw. finanziellem Sparzwang. Eine religiöse / spirituelle Therapie bringt von ihrem Menschenbild und bestehenden Traditionen her im Prinzip bessere Voraussetzungen für -4die Verwirklichung dieser Komponente mit. Die zweite Komponente beinhaltet die Bemühungen, die Erkrankten aus den gewohnten, krankmachenden Geleisen herauszubringen, ihre etwaigen Abwehr- und Verleugnungstendenzen zu Fall zu bringen, Grenzen zu setzen und Forderungen aufzustellen sowie deren Erfüllung durchzusetzen. Für eine religiöse / spirituelle Lebensführung gehört alles dies sozusagen zum täglichen Brot (wenn auch wahrscheinlich z.T. mit anderen Inhalten); eine Therapie bedeutet also keine tiefgreifende Veränderung, sondern eher eine inhaltliche und prozessurale Anpassung. Für die säkulare Psychotherapie erschweren postmoderner Zeitgeist und die "vaterlose" Spaßgesellschaft das Implementieren der männlichen / väterlichen Komponente. Die dritte Komponente scheint mir auf eine Klasse / Schicht von Erkrankten zugeschnitten, die sich weltweit kaum in der Mehrheit befinden dürfte. Raymond Price (1995/1996, S. 185193) beschreibt seine Erfahrungen einerseits mit Angehörigen der Yaruba-Kultur in Nigeria und andererseits mit armen Kanadiern: In beiden Fällen versagte eine Therapie, die auf Einsicht als Grundlage der Selbstüberwachung beruhte. (Hingegen hatte jene ritualisierte bzw. glaubensbasierte Therapie Erfolge, die die zu Heilenden darauf verpflichtete). Die vierte Komponente schließlich beinhaltet (a) das Eingehen auf die Spezifizität des/der Erkrankten, (b) den zeitlichen Ablauf der Behandlung und (c) die Erziehung der Konvaleszenten mit dem Ziel, verbesserte Verhaltensweisen weiter zu verstärken und zu internalisieren, u.a. um einen Rückfall zu vermeiden. Die medikamentöse Behandlung orientiert sich u.a. an (a) und (b), fokussiert aber kaum auf (c). Das Umgekehrte gilt tendenziell für die religiöse / spirituelle Therapie. Es zeigt sich, dass die beiden Zugehensweisen unterschiedlich punkten: die säkulare mehr bei (4 a, b) und in gewissen Fällen bei (3), die religiöse / spirituelle wahrscheinlich mehr bei (1), (2) und (4c). Um die Unterschiede voll herauszuarbeiten, sei noch eine erweiterte Betrachtung eingebracht, jene, die die spezifische Wirksamkeit einer Therapie von der unspezifischen unterscheidet. Ich beziehe mich dabei auf die Arbeiten von Jerome Frank. Ein Modell für unspezifische Wirksamkeit Gemäß der Arbeiten von Frank ([1980] 1997, 1989) und ihrer Interpretation durch Walach (2001) werden folgende vier Komponenten für die unspezifische Wirksamkeit einer Therapie als wesentlich erachtet: (1) eine starke, entlastende Beziehung; (2) Kennzeichen therapeutischer Mächtigkeit; (3) ein akzeptierter, allgemeinverständlicher Mythos der Krankheitsentstehung und beseitigung; (4) ein therapeutisches Ritual, welches die Eigenaktivität des Patienten mobilisiert. Wir betrachten wieder säkulare und religiöse / spirituelle Psychotherapie gemäß diesem -5Modell. Die Komponente (1) ist bei der religiösen / spirituellen Therapie im Prinzip vorgegeben, bei der säkularen muss eine Beziehung aufgebaut werden, was je nach Art der Therapie mehr oder weniger im Zentrum steht. (2) ist bei medikamentöser Behandlung gewöhnlich gegeben; das gilt auch bei selbstgewählter religiöser / spiritueller Therapie.(3) gilt wahrscheinlich für beide Zugänge, wenn auch die jeweiligen Inhalte sich stark unterscheiden. (4) dürfte zentraler für eine religiöse / spirituelle Therapie gelten, vor allem im Vergleich mit einer medikamentösen Behandlung. Wiederum punkten die beiden Therapiearten unterschiedlich. Es reizt daher, die positiven Seiten beider Zugänge nach Möglichkeit zu kombinieren. Dazu ist relations- und kontextbezogenes Denken (Reich, 1997, 1999, 2002b, 2002c) hilfreich: Statt einer ausschließenden Entweder-oder-Logik beinhaltet es eine einschließende Sowohl-als-auch-Logik. Zusammenarbeit von säkularer und religiöser Psychotherapie Bei den Überlegungen zu dem entsprechenden Anliegen in der Religionspsychologie war ein Ergebnis, gemischte Forschergruppen aus 'religiösen' und 'nichtreligiösen' MitarbeiterInnen ins WQerk zu setzen, dies zwecks gegenseitiger Anregung aber auch zum Schutz vor voreiligen einseitigen Schlussfolgerungen. Entsprechendes gilt auch im vorliegen Fall, obwohl hier das Anliegen schwieriger zu verwirklichen ist: Bei der psychologischen Forschung kann man sich öfters auf solche Aufgaben einigen, bei denen die Zusammenarbeit nicht zu schwierig ist; bei der Therapie kann man nicht immer die Patienten nach Wunsch aussuchen, alle haben Anspruch auf Behandlung. Wie zu erwarten, gibt es eine Reihe von Vorschlägen, die in die gewünschte Richtung zielen. Robert N. Sollod (1993) weist u.a. auf die Möglichkeit hin, bei der Ausbildung von TherapeutInnen ihre Rolle als 'HeilerInnen' von ganzheitlichen Menschen zu thematisieren und positive Elemente traditioneller Methoden (s.o.) einzubringen. Sollod ist auch der Ansicht, dass das geschärfte Bewusstsein vieler spiritueller Heiler für Psychotherapeuten nützlich sein könnte wie auch deren Sicht der zu Heilenden nicht als kranke Defizitärwesen, sondern als von Begrenzungen zu Befreiende. Neben etlichen anderen Vorschlägen von 'Übernahmen' wird auch der Wert von Meditieren als Heilmittel hervorgehoben. Sollod illustriert seine Vorschläge anhand von Berichten über die Heiltätigkeit von Joel Goldsmith und Styllanos Atteshlis. Ein Aspekt ist die gewollte, vergleichsweise merkbare Vernachlässigung der Probleme, Konflikte und negativen Gefühle der zu Behandelnden und statt dessen das Bemühen, Erfahrungen und assoziierte Gedanken zu ermöglichen, die zufriedentellend sind und die Lebensfreude erhöhen. Dabei können Suggestionen und Autosuggestionen sowie Visualisierungen (der neuen Person, die zu werden man im Begriff ist) und Traumdeutungen eine Rolle spielen. Sollod empfiehlt jedoch, alle solche Anleihen vorsichtig auszuprobieren und eine Wirksamkeitsstudie durchzuführen bevor weiträumiger Anwendung praktiziert wird. Dabei kann es sich auch herausstellen, dass bisher erfolgreiche Methoden an Wirksamkeit verlieren, wenn sie aus dem gewachsenen Kontext in einen ganz anderen verpflanzt werden. -6Eric Johnson und Steven Sandage (1999, S. 5) zählen acht Gründe auf, warum die Psychotherapie Religion nicht vernachlässigen sollte: (1) es ist wünschenswert, individuelle Unterschiede anzuerkennen und zu respektieren – religiöser Glaube gehört dazu; (2) da PsychotherapeutInnen ihre persönlichen Werte [bewusst oder unbewusst] in die Therapie einbringen, und etliche religiös sind (vgl. Hofmann, 2002; Möckelmann & Hofmann, 2002), sollten solche Werte in der Therapie zur Auswahl stehen; (3) etliche der Rat und Heilung Suchenden sind religiös; (4) es hat sich erwiesen, dass Religion positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben kann (bspw. Chez, 2002); (5) spiegelbildlich kann Religion auch zu Pathologien beitragen; (6) Religion kann zusätzliche therapeutische Mittel zur Behandlung psychischer Erkrankungen bereitstellen; (7) es gibt gewisse Überschneidungen von Psychotherapie und Religion in ihren Bemühungen um die psychische Gesundheit der Menschen; (8) religiös Gläubige verlangen zunehmend, dass PsychotherapeutInnen ihr Wertesystem mindestens kennen und, noch besser, teilen. Ein weitergehender Grund wäre, dass Religion alle Gebiete des Lebens erfasst, m.a.W. dass das menschliche Leben seinem Wesen nach religiös ist. Dabei unterscheiden die Autoren zwischen Religionen mit übernatürlichen Entitäten wie Konfuzianismus (Ahnenkultur) und die abrahamitischen, monotheistischen Religionen auf der einen Seite und die 'gottlosen' wie Theravada und Zen Buddhismus auf der anderen. Johnson und Sandage (S. 7) führen drei Hinweise auf die fundamentalen Gemeinsamkeiten zwischen Religion und Psychotherapie näher aus: (a) Für beide gelten gewisse Werte und Verbote, beispielsweise Pädophilie (die bei Einräumung in den USA PsychotherapeutInnen von ihrer Schweigepflicht entbindet); (b) Religion hat auch therapeutische Funktionen wie die Vergebung von Sünden; (c) vom religiösen Standpunkt aus betrachtet, sind alle Menschen religiös. Schließlich weisen die Autoren auf die Kontextgebundenheit des therapeutischen Prozesses hin (S.12). In den heutigen multikulturellen, multiethischen Gesellschaften bedeutet das, dem Prozess der Passung zwischen dem/der Rat und Heilung Suchenden einerseits und dem/der Psychotherapeuten/in andererseits gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Zum Abschluss noch einen etwas anders gerichteten Blick auf unser Thema, den ich Dan Johnson (2002) verdanke. Er entnimmt der Schrift von Hobson und Leonard (2001) u.a. folgende Empfehlungen (um die Lage der 2 Millionen AmerikanerInnen zu verbessern, die unter psychischen Krankheiten deshalb litten, weil die Psychiatrie heute auf einem Stand wäre, der mit jenem der Seuchenbekämpfung zu Beginn des 20. Jh. vergleichbar sei): (1) Integration von medikamentöser Behandlung und Psychotherapie. Psychopharmaka sind kein Allheilmittel und Psychotherapie allein heilt nicht alle psychischen Krankheiten. Idealerweise sollte diese doppelte Behandlung von der selben Person geleistet werden (dazu Fußnote 2). (2) Behandlung psychische Krankheiten nicht lediglich als akute Fälle, sondern als chronische Krankheiten, die von Zeit zu Zeit der Überprüfung bedürfen und vor allem der Einbettung der PatientInnen in eine soziale Struktur. In Anbetracht der Reichhaltigkeit dieser diversen Vorschläge (die leicht noch wesentlich -7erweitert werden könnten), möchte ich nur noch einmal die Wichtigkeit eines Sowohl-alsauch-Zugangs betonen (Reich, 1997, 1999, 2002b, 2002c). Von Fall zu Fall geht es darum, welche Elemente von säkularer und welche von religiöser / spiritueller Psychotherapie genau diesem/r Rat und Hilfe Suchenden nach menschlichen Ermessen zum gegebene Zeitpunkt wohl am besten weiterhelfen. Seelsorger in Kliniken und Psychotherapeuten "Spiritualität in der Psychosomatik? Konzepte und Konflikte zwischen Psychotherapeuten und Seelsorge", so hieß das Thema einer interdisziplinären Tagung in Bad Kreuznach im September 2001. Auf dem Hintergrund der Aussage, dass der Umgang mit Spiritualität der PatientInnen ein bisher eher vernachlässigtes Thema in ambulanten und stationären Psychotherapien sei, berichteten Mitarbeiter von sieben verschiedenen Kliniken über ihre Bemühungen zum Tagungsthema (Recollection-Haus, Münsterschwarzach; Klinik Hohe Mark, Oberursel; Fachklinik Heiligenfeld, Bad Kissingen; Christoph-Dornier-Stiftung, Münster; Klinik für Psychosomatische Medizin, Bad Grönenbach; De'Ignis-Klinik, Egenhausen; Psychosomatische Fachklinik St.-Franziska-Stift, Bad Kreuznach; vgl. Murken, Laux & Rüdde, 2003). Wieso Konflikt? Aus obigen Darlegungen geht bereits hervor, das postmoderne Psychotherapien und Religion / Spiritualität sich teilweise überschneiden. Johnson und Sandage (1999, S. 4) machen das (wahrscheinlich ungewollt) noch deutlicher: "Daher kann Psychotherapie als eine Art interpersonale 'Orientierung' betrachtet werden. Typischerweise fungieren PsychoterapeutInnen als Mentor, der den PatientInnen hilft herauszufinden, wo sie stehen, woher sie kamen, und wohin sie gehen. Auf diese Weise betrachtet, kann Psychotherapie als eine Art teleologische Karte für Rat und Hilfe Suchende verstanden werden und zugleich als Ratgeberin für jene Mittel, dank derer das angezeigte Ziel erreicht werden kann." Diese abstrakte Formulierung der psychotherapeutischen Aufgabe lässt verschiedene Interpretationen zu: von einer strikten Beschränkung auf innertherapeutische Belange bis zu einer weltanschaulisch-ideologischen Vereinnahmung der PatientInnen. In letzteren Fällen können SeelsorgerInnen den (berechtigten) Eindruck einer Grenzüberschreitung und eines Eindringens in ihr Arbeitsgebiet haben. Der umgekehrte Fall könnte eintreten, wenn SeelsorgerInnen therapeutische Ambitionen an den Tag legen würden. In Bad Kreuznach ging man davon aus, dass sich klinische Erfahrungen und empirische Daten immer mehr zu dem Bild verdichten, dass ohne die Integration der individuellen Glaubensvorstellungen und -erfahrungen eine gute Behandlung kaum möglich ist. (Das gilt besonders für die Kliniken in denen psychisch erkrankte Geistliche behandelt werden). Bei auftretenden Konflikten ist zu bedenken, dass es der selbe Patient, die selbe Patientin ist, der/die möglicherweise von zwei Seiten kontrovers angegangen wird. Wenn das PatientInnenwohl in den Mittelpunkt gerückt wird, sollten gewisse Konflikte an Schärfe verlieren. Zumindest sollte es möglich sein, Grenzüberschreitungen als solche zu erkennen und zu diskutieren -8sowie idealiter eine Lösung zu finden. In Bad Kreuznach gab es dazu zahlreiche Erfahrungsberichte und Einzelvorschläge, deren Diskussion den hier gesteckten Rahmen weit überschreiten würden. 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