Dr. Wolfgang Schindler. PS Syntax. VIEL. Das Wort VIEL Viel ist ein syntaktisch nicht so leicht fassbares Wort. Es kommt u. a. in folgenden Verwendungen vor: 1) Adjektivisch (zwischen Artikel und NP-Kopf-Substantiv) z. B. in (1) (2) das viel-e (meiste) Geld / sein viel-es Geld Sie trinken das viele (meiste) Wasser? Hier sieht man nicht nur an der adjektivtypischen Flexion, dass ein Adjektiv vorliegt, sondern auch an der Möglichkeit, das Adjektiv durch Steigerungspartikeln zu modifizieren: Es waren [sehr/ziemlich/wahnsinnig/irre/relativ/zu viele] Menschen zu sehen. 2) Pronomenartig (als NP-Stellvertreter) in (3) (4) Das wissen viele/mehr, als man denkt/die meisten (SUBJ)! Das Wissen vieler/von vielen (ATTR) war nötig, um das Problem zu lösen. Hier handelt es sich wohl um eine elliptische Verwendung für viele Menschen/Leute/... Das heißt, es liegt im Grunde das Adjektiv vor. 3) Diese Verwendung sieht artikelwortartig (linker NP-Rand) aus: (5) Trinken Sie das//kein//viel/mehr (warme(s)) Wasser! 4) Adverbartig (in adverbialer Funktion) in (6) (7) Es hatte viel (/mehr als früher/am meisten//sehr/irre) geregnet Sie waren viel (am meisten; mehrmals, Wie oft? = frequentativ) im Ausland Sie waren viel/oft im Ausland. – Das Buch wurde viel/oft zitiert (Frage: Wie oft?) 5) Adadjektivisch und das Adjektiv graduierend (8) (9) (10) (11) Pia ist viel (/wesentlich/weitaus) größer als ihre Mutter Udo ist viel zu groß für einen Jockey Die viel (Steigerungspartikel) größeren Geschwister Viele größere Geschwister (b) Die vielen größeren Geschwister Die Vorkommnisse in (8) bis (10) können wir als Steigerungspartikel einordnen. Dabei ist viel an den Komparativ (größer) bzw. den zu hohen Grad (zu groß) vorkommensgebunden. (Mit der Positivform verträgt sich viel nicht, vgl. Pia ist sehr/*viel groß.) Die Beispiele (10) und (11) demonstrieren den Unterschied zwischen der Steigerungspartikel viel, die nicht flektierbar ist, und der adjektivischen Verwendung. Da Steigerungspartikeln gelegentlich auch (in einem modal-quantifizierenden Sinn) verbbezogen gebraucht werden, siehe (6) und die Substitutionsmöglichkeiten, können wir viel in dieser Verwendung ebenfalls als Steigerungspartikel einordnen. (Eine Alternative wäre es, hier von einer Adverbiale zu sprechen, auch weil der Topikalisierungstest positiv ausgeht, z. B. in Viel hat es (ja) nicht geregnet!) Dr. Wolfgang Schindler. PS Syntax. VIEL. In adverbialen Verwendung mit iterativer/frequentativer Semantik (Frage: wie oft, Substitution: oft) wie in (7) kann man viel als adverbial verwendetes Adjektiv (vgl. nominalisiert das viele Regnen/Zitieren) oder auch als Adverb einstufen. Zentral erscheint die adjektivische Verwendung in (1) und (2). Viel steht dabei zwischen Artikelwort und Substantiv und flektiert adjektivisch. Für ein Adjektiv spricht auch die Möglichkeit, viel hinsichtlich des Grades zu modifizieren: das sehr viele Geld, sehr viel Wein, das Wissen sehr vieler. Die Bedeutung ist eine Quantifikation im Sinne einer unbestimmten großen Anzahl oder Menge des vom Substantiv Benannten (viele Regale, viel Wein). Dieses Adjektiv ist suppletiv komparierbar (viel-/mehr/meist-). Nun kann man versuchen, die Verwendungen in 2) und 3) hiervon ableiten: (12) Da standen viele (Menschen/Regale) herum (b) Analog: Da standen schöne (...) herum Die artikelwortartigen Verwendungen rühren oberflächenstrukturell wohl daher, dass in Adjektivketten die quantifizierenden Adjektive (viel, wenig, fünf, ...) im „Adjektivfeld“ (zwischen Artikel und N) am linken Rand auftreten, vgl. die vielen eleganten roten chinesischen Schriftzeichen, was auch für die Nähe zu den Artikelwörtern links außen („linkes Nominalklammerelement“) spricht. Man könnte also annehmen, dass keine „Artikelwörter“ (oder: Indefinitpronomina in artikelartiger Verwendung) vorliegen, sondern pränominale Adjektive, und dass bei Die/Viele Menschen standen da herum im Grunde nicht die gleiche Position besetzt wird (die = Art, viele = Adj). Man müsste auch überprüfen, ob die vielen Menschen nicht eine Erweiterung von viele (Adj) + Menschen darstellt. Vorläufiges Fazit: Man hat wohl zwei viel (viel1, viel2) zu unterscheiden, wobei viel1 in (1) mit (5) als (nichttypisches) Adjektiv einzustufen und die pronominale bzw. artikelartige Verwendung davon abzuleiten (aber nicht wesentlich zu unterscheiden) ist. Dagegen kann man viel2 als Steigerungspartikel (in neuerer Terminologie) oder auch als graduierendes Adverb (in traditioneller Terminologie) klassifizieren. Ob man sowohl Adverb (etwa in (7)) als auch Steigerungspartikel (bei adadjektivischer Verwendung) benötigt, wäre ebenfalls zu untersuchen. – Letztlich kann man versuchen, im Sinne einer Unterspezifikationstheorie von einem Element viel auszugehen und die kontextuellen Anreicherungen bzw. Verschiebungen funktional und auf regelhaften kognitiven o. Ä. Operationen beruhend deuten. Andererseits kann man im Rahmen traditioneller Grammatik bzw. Lexikologie versuchen, wie viele Lexeme viel man benötigt. Ausleitung: Eine Arbeit (BA-Arbeit, MA-Arbeit) zu VIEL wäre wünschenswert (sofern sie nicht bereits geschrieben, aber von mir noch nicht entdeckt wurde). Es gibt auch weitere analysewürdige Verwendungen wie (13) Für den Preis bekommt man viel Auto oder Mehr Auto geht nicht Zudem wäre eine diachrone Abklärung der Variation von viel wünschenswert.