Gutachten zur Beispielhausarbeit Wahlverhalten

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„Gutachten“ zur Hausarbeit
Analyse der Bedeutung kurzfristiger Ursachen für die Wahlentscheidung. Eine
Untersuchung am Beispiel der SPD bei der Bundestagswahl 2009
1. Forschungsfrage und -design
Hauptproblem der Arbeit ist die unklare Fragestellung. Im dritten Absatz finden sich zwei
Fragen:
„Doch was waren stichhaltige Gründe für die enorm schwache Wahlbeteiligung und wie
orientiert sich ein Wähler bei der Wahl?“
Der Sinn des ersten Teils der – für sich genommen – nicht verständlichen Frage ergibt sich
nur bedingt aus dem Zusammenhang der vorangegangenen Ausführungen. Bei diesen geht es
zunächst um die Verluste an Wählern der SPD, wobei eine Art „Kontinuum“ zwischen den
Jahren 1980 und 2009 suggeriert wird: Man erhält den Eindruck, dass die SPD praktisch seit
1980 bei jeder Bundestagswahl ständig Wähler verloren hat, was nicht stimmt. Der Verfasser
endet mit dem Hinweis, rund
„ein Drittel der Abtrünnigen suchten den Weg zur Wahlurne gar nicht erst auf. Als
Ursache ergründete man im Nachhinein Mängel bei der Mobilisierung der
Wählerschaft.“
Abgesehen davon, dass diese Aussage nicht mit irgend einer Quelle belegt wird, der Leser
also auch gar nicht weiß, wer „man“ hier ist (Die SPD-Führung? Wahlforscher?), wird nicht
klar, ob sich der zweite Satz ausschließlich auf den vorangegangenen oder die gesamten zwei
einleitenden Absätze bezieht. Die sich daran anschließende, oben zitierte Fragestellung deutet
darauf hin, dass es sich tatsächlich nur auf die Nicht-Wähler bezieht, wobei zumindest
erstaunlich ist, dass „wer-auch-immer“ eine so klarer Ursachenzuweisung für die Enthaltung
von SPD-Wählern vornehmen konnte.
Positiv formuliert wäre also der erste Teil der o.g. Frage die „Forschungsleitfrage“, während
der zweite eine untergeordnete Frage darstellt, die zur Beantwortung der ersteren notwendig
ist. Dies wäre methodisch vertretbar.
Unklar bleibt – wiederum mangels Quellen – wie der Verfasser darauf kommt, das sich die
Ursachen für das Scheitern einer Partei bei einer Wahl entlang von Zeitperioden einteilen
lasse – dies ist zwar irgendwie einleuchtend, wenn diese „Erkenntnis“ aber nicht aus der
Literatur gewonnen wurde, hätte ein „meines Erachtens“ da hinein gehört, auch das wäre dann
methodisch okay. Warum sich der Verfasser dann freilich nur mit den „kurzfristigen
Ursachen“ auseinandersetzen will, bedürfte der Erklärung, und sei es auch nur der Verweis
auf den beschränkten Rahmen einer solchen Hausarbeit.
Aus seiner Fragestellung geht nicht hervor, warum der Verfasser – von der oben genannten
Fragestellung ausgehend - , zunächst nur das Ergebnis der Wahl von 2009 darstellen will. Vor
diesem Hintergrund und den weiteren Ausführungen hätte die Fragestellung etwa so lauten
müssen:
„Welches sind die kurzfristigen Ursachen für die Nicht-Beteiligung von Wählern an der
Bundestagswahl 2009, die bei der Bundestagswahl 2005 noch die SPD gewählt haben?“
Dies wäre eine zumindest in sich logische Fragestellung, wenngleich auch eine nicht gerade
leicht zu beantwortende.
Naturgemäß hätte dann in der Arbeit zunächst einmal theoretisch zwischen den drei
Ursachenarten (kurz-, mittel-, langfristig) unterschieden und die drei Kategorien auch anhand
von Indikatoren operationalisierbar gemacht werden müssen. Das fehlt aber völlig. Ebenso
fehlt eine Einordnung in den Forschungsstand – hat sich schon einmal jemand mit dieser
Frage befasst? Wäre ja denkbar, weil eine solche Frage nicht nur für die SPD, sondern auch
für die Forschung von großem Interesse sein dürfte.
Erst nach dieser theoretischen Konzeptionalisierung in Zusammenhang mit dem
Forschungsstand käme die Darstellung der Wahlergebnisse der SPD, und zwar (mindestens)
der von 2005 und 2009, weil man sonst ja gar nicht von einem „Wählerverlust“ reden kann.
Besonderes Gewicht hätte dabei natürlich auf den zweifelsohne vorhandenen Einschätzungen
der einschlägigen Wahlforschungseinrichtungen (infratest, Forschungsgruppe Wahlen) etc.
liegen müssen, die sicherlich schon Erkenntnisse zu der Frage gewonnen haben, es sei denn,
der Verfasser wollte eigene Forschungen vornehmen.
Die offene theoretische Basis lässt natürlich auch nicht erkennen, wie der Verfasser die
„möglichen kurzfristigen Erklärungsansätze für die mangelnde Wahlbeteiligung der
Sozialdemokraten“ herausarbeiten will (mal abgesehen davon, dass die Formulierung „der
Sozialdemokraten“ sehr ungenau ist – die würde man eher verwenden, wenn man von
Parteimitgliedern spricht, denn Menschen, die einmal SPD gewählt haben, müssen sich
keineswegs gleich als „Sozialdemokraten“ verstehen). Was genau er damit meint,
herauszufinden, „in welcher Form kurzfristige Ursachen dem Wähler als Orientierungshilfe
für die Wahlentscheidungen dienen“, ist recht unklar. „Ursachen“ können nicht als
Orientierungshilfe dienen, höchstens „Ereignisse“ oder ähnliches. Was der dann folgende
„Erklärungsansatz“ und sogar das „Modell der Wahlverhaltenstheorie“ soll, ist jedenfalls an
dieser Stelle rätselhaft – handelte es sich dabei um theoretische Ansätze der Forschung, hätten
die natürlich in den Theorieteil gehört, es sei denn, dies sollten eigene theoretische
Überlegungen sein.
Das der Autor recht „unbescheiden“ gleich noch eine „Gestaltungshilfe für Parteien in Bezug
auf kurzfristige Ursachen“ (auch hier wollen wir mal die sprachliche Unbeholfenheit
ignorieren…) liefern will, kann man ihm natürlich nicht vorwerfen… Die Basis welcher
Überlegungen der „eigens entworfene Fragebogen“ sein soll, bleibt auch unklar.
2. Umsetzung des Designs
Die angesprochenen Problem spiegeln sich denn auch vollumfänglich in der Arbeit wieder. So
bezieht sich der Verfasser in Kapitel 2.1 zwar tatsächlich auf die Entwicklung von den
Wahlen 2005 zu denen von 2009, wenn er von den Verlusten der Parteien spricht, benennt
erstere aber gar nicht explizit. Die Ausführungen zu den anderen Parteien sind für die
Fragestellung, bei der es (wohl) nur um die Verluste der SPD ging, völlig irrelevant. Solcher
„allgemeinen Rahmenausführungen“ sollte man sich bei Arbeiten so geringen Ausmaßes
enthalten (zumal, wenn man so viel vorhat, wie der Verfasser…!).
Die Ausführungen in Kapitel 2.2 könnten relevant sein – wenn der Verfasser nur ein
theoretisches Konzept vorgelegt hätte, in das diese Aussagen eingeordnet hätten werden
können. Anscheinend geht es dem Autor aber auch nur darum, dem Leser die „Dramatik“ der
Verluste vor Augen zu führen, was eigentlich auch überflüssig ist.
Interessant ist das Kapitel 3 – denn anders, als aus der Einleitung erkennbar, nimmt der
Verfasser doch eine Erhebung des Forschungsstandes vor, bzw. er stellt dar, was die
Forschung als Begründung für das Ergebnis der SPD ausführt, was völlig legitim und sinnvoll
ist.
Leider wird diese Darstellung nicht sehr strukturiert vorgenommen, was vor allem an dem
fehlenden theoretischen Konzept liegt. Woraufhin soll die Forschung untersucht werden? Wie
2.2 klingt auch das Kapitel 3.1 eher nach einer „allgemeinen Beschreibung“, die man sich
auch hätte schenken können – es sei denn, hier wäre schon auf die „kurzfristigen
Ursachen“ eingegangen worden, nach denen der Verfasser ja sucht.
Zum „Forschungsstand“ gehört, das sei nur erwähnt, natürlich nicht die Einschätzung eines
„Spiegel-Redakteurs“ (S.7).
Etwas besser ist Kapitel 3.2, aber auch hier macht sich wieder die mangelnde theoretische
Einbettung bemerkbar – es wäre einem viel geholfen, hätte sich der Verfasser allein auf die
Aussagen der Forschung zu den Gründen des Verhaltens ehemaliger SPD-Wähler kapriziert,
die nunmehr ins Lager der Nicht-Wähler abgewandert sind. Dazu gibt es zumindest Zahlen
aus der Nachwahlbefragung von dimap etc., die hier seltsamerweise gar nicht erwähnt werden.
Insofern wirkt das ganze etwas „ungeordnet“, während die eigentlich interessierende Frage
nicht mal gestreift wird, sondern ganz allgemeine Gründe für die Wahlniederlage der SPD
aufgeführt werden. Da der Verfasser sich ja nie die Mühe gemacht hat, theoretischkonzeptionell zwischen lang-, mittel- und kurzfristigen Ursachen zu unterscheiden, ist die
Aussage, „kurzfristige Faktoren“ hätten erheblichen Einfluss auf die Wahlentscheidung der
Wähler (S.9), intersubjektiv nicht nachvollziehbar.
Die nun folgende Darstellung der Wahlverhaltenstheorie ist zumindest ziemlich am „falschen
Ort“ der Arbeit – sie hätte eigentlich an ihren Anfang gehört. Von der Sache her ist es auch
nicht übermäßig einleuchtend, gerade mit der RC-Theorie zu beginnen – kommt diese doch
zu zum Schluss, dass es ohnehin irrational ist, Wählen zu gehen. Offenbar verwenden die hier
zitierten Forscher aber nur Teile des ursprünglichen Modells, was grundsätzlich möglich ist.
Welchen Sinn diese Darstellung aber für die Erklärungsanalyse hat, warum SPD-Wähler ins
Lager der Nicht-Wähler abwandern, bleibt zumindest zu diesem Zeitpunkt noch im Dunkeln –
hätte man aber durchaus schon hier festhalten können!
Rätselhaft ist, was es mit dem „situativ-kurzfristigen-Nutzenmodell“ auf sich hat (4.2). Wer
hat dieses formuliert? Als Quelle wird nur ein Beitrag von Faas (ohne konkrete
Titelnnennung!!) in einem allgemeinen Werk zur BT-Wahl 2009 genannt. Zumindest wird
hier mal etwas klarer, wie der Verfasser auf seine Unterscheidung kurz-, mittel-, langfristiger
Ursachen kommt, wobei er eben eher von „Nutzen“, als von „Ursachen“ hätte reden müssen.
Die wiedergegeben „Formel“ ist aber sehr eigenartig, zumal hier die verschiedenen
unabhängigen Variablen nur durch einen Platzhalter „f“ wiedergegeben werden. Überdies
stellt man sich die Frage, an welcher Stelle die langfristigen Faktoren (er verwendet hier
immer andere Begriffe!) für das Wahlverhalten relevant werden sollen.
Weiter unklar bleibt, woher die Aussagen der Seiten 12f. kommen – aus dem Beitrag von
Faas? Dieser wird ja nicht mehr weiter zitiert. Es scheint auch irgendwie so, als habe sich der
Verfasser seine Erklärungen der unabhängigen Variablen irgendwie selbst zusammengebastelt,
zumal auch unvermittelt andere Autoren (Laas, S.13) eingeführt werden. Das ist natürlich
unzulässig und wenig sinnvoll, das Modell eines Autoren zu nennen, dies aber ohne dessen
eigene Begründungen wiederzugeben. Das Kapitel endet damit, dass die nunmehr die
genannten unabhängigen Variablen operationalisiert werden sollen – tatsächlich wird aber nur
die Erstellung eines Fragebogens erläutert, was weniger mit Variablenoperationalisierung als
mit der Nutzung eines methodischen Datenerhebungsinstrumentes zu tun hat. Die eigentliche
Operationalisierung fehlt eben gerade.
Wenig überraschend wird die eigentliche Fragestellung nicht beantwortet, auch die Antworten
der Forschung werden nicht herangezogen. Besonders unklar ist, was dieser Fragebogen für
eine Funktion mit Blick auf die Forschungsfrage haben soll – denn warum Wähler 2009 der
SPD den Rücken gekehrt haben, wird ja nicht herausgefunden. Überdies werden durchaus
ähnliche Bögen von den Meinungsforschungsinstituten längst verwendet.
3. Wissenschaftliche Form
Auffällig ist das permanente Wechseln zwischen amerikanischer und klassischer Zitierweise,
was nicht zulässig ist.
4. Ausdruck
Der Sprachstil ist zum Teil sehr umgangssprachlich oder feuilletonistisch, mit vielen
„emotionalen“, wertenden Begriffen durchsetzt, was nicht dem Stil eines neutralen
wissenschaftlichen Beitrags entspricht (z.B. „Ekstase der Freude“, „Unannehmlichkeit“.
„Hochrechungen erobern das Fernsehprogramm“ auf Seite 3). Nur mal so am Rande: auch
meine Ohren haben beim Hören lokaler Radio- und Fernsehsprecher manchmal Probleme,
anstelle des Wortes „begleitete“ das – richtige – Wort „bekleidete“ herauszuhören, wenn es
darum geht, das jemand ein Amt inne hat (S.7)… Dialekte sind doch was schönes!
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