Sozialkapital - Club of Vienna

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Ernst Gehmacher
SOZIALKAPITAL
Arbeitspapier 1
Definitions-Skizze
1. Zitate aus FUKUYAMA Francis, The Great Disruption, Human Nature and the
Reconstruction of Social Order, London: Profile Books 1999
"Sozialkapital (social capital) kann einfach definiert werden als eine Menge von
informellen Werten und Normen, die von den Mitgliedern einer Gruppe geteilt werden
und die deren Kooperation ermöglicht." (S 16)
"Die Normen, welche Sozialkapital hervorbringen, müssen in wesentlichen Maß
Tugenden einschließen wie Wahrhaftigkeit, das Einhalten von Verpflichtungen und
gegenseitiges Vertrauen." (S 17)
"Koordination ist für alle sozialen Aktivitäten notwendig, gleich ob gut oder schlecht ...
sogar eine Räuberbande braucht Gerechtigkeit untereinander .." (S 18)
"Robert Putnam hat die These vertreten, dass die Qualität des Regierens
(governance) ... mit Sozialkapital korreliert...Er verwendet zwei Arten von Statistiken,
Sozialkapital zu messen ..
Gruppen-Mitgliedschaft
von
Sportvereinen
..bis
zu
..politischen
Parteien,
..Wahlbeteiligung und Zeitungsleserschaften .. und detaillierte Zeitbudgets und
andere Indikatoren, wie die Leute ihre wache Zeit verbringen.
Die zweite Art ist Umfrageforschung (survey research), wie das General Social
Survey für die USA und das World Values Survey für mehr als vierzig Länder in der
Welt mit Fragen über Werte und Verhaltensweisen." (S 20)
"Ein alternativer Zugang ist ... den Mangel an Sozialkapital durch traditionelle
Indikatoren der sozialen Disfunktion zu messen, wie Kriminalität, Familienauflösung,
Drogenkonsum, Konfliktniveau, Selbstmorde und Steuermoral (tax evasion). Diese
Strategie wurde von der National Commission on Civic Renewal benutzt, um
Politikverdrossenheit und Individualisierung (civic disengagement)
zu messen." (S 23)
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2. Argumente für ein Indikatorsystem
Dem Begriff Sozialkapital liegt die Idee zugrunde, dass sich die synergetische
"Bindungskraft" einer Gemeinschaft objektiv quantifizieren, also in Maßzahlen
ausdrücken lässt - wie gut oder wie ungenügend, wie verlässlich oder wie ungenau
das auch mit den heutigen Methoden gelingt. Da nun soziale Bindungen und
"Verbindungen", "social support", soziale Inklusion und Integration mit ihren Wurzeln
in Normen, Werten und Verhalten, mit ihren Folgen in allen Arten von
Gemeinschaften, zweifellos erworben und verloren, genützt, missbraucht und
verschwendet werden können, ist die Parallele zum Finanzkapital gegeben. Und der
ähnliche Begriff "Humankapital" für das Guthaben einer Sozietät an Arbeitskraft,
Fähigkeiten und Qualifikationen hat sich schon weitgehend in der Bildungsökonomie
und Bildungsforschung durchgesetzt - und für die politische Steuerung der
Wissensgesellschaft als nützlich erwiesen.
Der Begriff macht auch den Unterschied deutlich zwischen dem Bestand an
Bindungskraft (Kapital-Stock) einerseits und dessen Anwendung und Gebrauch
(Investition) für verschiedene Ziele sowie des Verbrauchs und des Neu-Gewinns
andrerseits. (Bei gewissen Teilmengen des Sozialkapitals, wie der "Popularität" von
Politikern oder dem "Marken-Image" von Produkten sind solche Berechnungen schon
gang und gäbe.)
Schwer fällt heute noch die klare Trennung von Sozialkapital einerseits und erzieltem
Nutzenertrag. Das ist begreiflich, wenn das Sozialkapital nicht bemessen wird. Doch
dahingehend gab es kaum einen Bedarf nach exaktem Wissen vor der
Modernisierung durch die Rationalitäts-Dynamik von Marktwirtschaft und Demokratie.
Die Bindungskräfte standen damals so hoch im Kurs, dass praktisch aller
ökonomischer Überschuss ins Sozialkapital floss. Es gab keinen Zweifel, dass jene
Gemeinschaften siegen würden, die am überzeugtesten in ihrem Glauben, am
treuesten
ihren
Führern
und
am
opferbereitesten
beim
Bau
von
Gemeinschaftssymblen (Burgen und Palästen, Kathedralen und Bildungsstätten) und
im Kampf gegen Feinde (bis zur Opferung es Lebens für die Gemeinschaft) waren.
Sozialkapital wurde damals in Bauten, Herrschaftsprunk und Armeen sehr sichtbar
gemacht - und eine Kosten-Nutzen-Rechnung erübrigte sich. Das hat sich nun
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geändert mit dem Sieg der rechnenden Gesellschaften, die mit allen ihren
Ressourcen, auch an Sozialkapital, effizienter umgehen.
Der nächste Schritt in der zivilisatorischen Evolution scheint nun zur Einbeziehung
der sozialen Bindungskräfte in die quantifizierende Rationalität zu gehen.
3. Überlegungen zu einem Indikatorsystem
Selbstverständlich
sind
soziale
Bindungskräfte
genau
so
wenig
real
und
gegenständlich wie die Intelligenz einer Person oder die Effizienz eines
Unternehmens - sie sind, wenn sie quantifiziert werden, ein Konstrukt aus
Indikatoren, deren Mehr oder Weniger miteinander korreliert und deren Wirkung sich
voraussagen lässt. Und diese Konnexe zwischen messbaren Phänomenen sind so
stark, dass sie Theorien stützen.
Einige Basis-Theorien für das Sozialkapital seien in Schlagworten angedeutet.

Der Erfolg eines Gemeinschaft in der Konkurrenz resultiert aus ihrer
Handlungs-Effizienz und ihrer Anpassungsfähigkeit.

Die Effizienz einer Sozietät hängt ab von der Persönlichkeitsstärke, dem
Lernvermögen und der Motivation ihrer Mitglieder.

Die
Anpassungsfähigkeit
ist
umso
besser,
je
mehr
unterschiedliche
Handlungs- und Ideenmuster synergetisch in kreativ-innovativen Prozessen
wirksam werden.

Persönlichkeitsstärke wächst aus "Urvertrauen" und "Social Support" in
Krisen, sowie dem Erlebnis der Selbstbestimmtheit.

Lernvermögen setzt Lernkontakte, Erfolgserlebnis und Offenheit für Neues
voraus - und Freiheit von starker Angst und Verunsicherung (mäßige Angst
verbunden mit Persönlichkeitsstärke stimuliert Bindungskräfte).

Motivation
beruht
primär
auf
Identifikation,
sozialer
Stützung
und
Wohlbefinden - sekundär auf sozialen und ökonomischen Nutzenkalkülen.

In "guten" Zeiten wirkt optimistische Hoffnungs-Mut-Steuerung, in schlechten
Zeiten pessimistische Angst-Wut-Steuerung.
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Ein vollständiges Indikator-System muss daher einschließen:
1. auf der individuellen Erfassungsebene: Befindlichkeit, Sozialkontakte, soziale
Stützung,
Identifikation,
Lernkontakte,
Freiheit
von
Anomie
und
Verunsicherung, Persönlichkeitsstärke (Sense of Coherence), deklarierte
Motivation, Kooperationsbereitschaft; Angst Aggression, Neurotizismus - in
Test,
Befragung
Teilnahme
an
und
in
Events;
statistischen
Indikatoren
Krankenstände,
(Vereinsaktivitäten,
Streiktage,
Konfliktfälle,
Normenverletzungen, Kriminalität);
2. auf der kollektiven (sozietären) Ebene: Zugang und Abgang (Fluktuation),
Umfang
der
Normen
und
Regulationen,
Tiefe
der
Hierarchie,
Einkommensverteilung, Verteilung von Bildung und Qualifikation, Stärke der
Kultur, Teilnahme an Ritualen und Veranstaltungen, Multikulturalität (Distanz
zwischen Mehrheit und Minderheiten);
3. auf der System-Ebene: (wenigstens grobe) Schätzung des Sozialkapitals in
den
übergeordneten
größeren
Systemen,
in
den
untergeordneten
Teilsystemen - da der "Kurswert" des Sozialkapitals in einer Sozietät von der
Sozialkapital-Ausstattung der mit ihr interagierenden Systeme abhängt.
Je höher entwickelt die Rationalität einer Sozietät, umso mehr solcher Indikatoren
werden schon erfasst und verwendet. Die ganzheitliche Zusammenfassung zu einer
Buchführung über Sozialkapital ist aber eine Innovation.
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