Deutsche Geschichte 1945-2010

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DEUTSCHE GESCHICHTE 1945-1990
http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte-nach-1945/
Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland begann mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes
am Ende des Tages seiner Verkündung, dem 23. Mai 1949, als die Weichen für die neue Republik
gestellt wurden. Gut vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die staatsrechtliche
Situation im Nachkriegsdeutschland mit der gegründeten Bundesrepublik im Westen neu geregelt.
1) Ausgangssituation 1945
Bei der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 standen US-amerikanische,
britische und französische Truppen auf dem Gebiet Westdeutschlands. Amerikaner und Briten hatten
zudem noch Thüringen und Teile Sachsens, des späteren Sachsen-Anhalts und Mecklenburgs besetzt.
Aufgrund von vorher getroffenen Absprachen zogen sich die Westalliierten am 1. Juli auf das
vertraglich festgelegte Gebiet zurück.
Auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 teilten die Drei Mächte USA, Sowjetunion und das
Vereinigte Königreich das Deutsche Reich in Besatzungszonen auf. Dabei erhielt die Sowjetunion das
Gebiet der späteren Deutschen Demokratischen Republik und die deutschen Ostgebiete, die sie mit
der Ausnahme von Nord-Ostpreußen (heute Oblast Kaliningrad) unter Verwaltung der späteren
Volksrepublik Polen stellte. Das Vereinigte Königreich beanspruchte das Gebiet des heutigen
Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die US-amerikanische
Besatzungszone erstreckte sich über Bayern, Hessen, die nördlichen Teile von Württemberg und
Baden sowie als Hafenstadt Bremen mit Bremerhaven. Frankreich, das erst spät als vierte
Siegermacht anerkannt wurde, erhielt das spätere Rheinland-Pfalz und die südlichen Teile von
Württemberg und Baden. Das Saarland wurde unter französische Verwaltung gestellt, es wurde erst
Ende der 1950er-Jahre Teil der Bundesrepublik. Die Siegermächte teilten die ehemalige
Reichshauptstadt Berlin in vier Sektoren auf. Für ganz Deutschland hatte der Alliierte Kontrollrat mit
Sitz in Berlin die höchste Regierungsgewalt inne; zuständig für Groß-Berlin war die dem Kontrollrat
unterstellte Alliierte Kommandantur.
In den Ostgebieten, der Tschechoslowakei und anderen ostmitteleuropäischen Ländern begann in
der Folgezeit die systematische Vertreibung der deutschen Bevölkerung. Etwa 14 bis 16 Millionen
Menschen wurden in die westlichen- und in die Sowjetische Besatzungszone vertrieben oder
mussten flüchten und belasteten die ohnehin schwierige Lage zusätzlich, bald bestand in einigen
Gebieten der Großteil der Bevölkerung aus Vertriebenen.
In Deutschland selbst war das Leben in den teils zerbombten Städten mangels Wohnraum sowie
wegen Nahrungsmittelknappheit, zerstörter Infrastruktur, fehlender Stromversorgung und
Brennstoffknappheit sehr schwierig. Weil viele Männer in Kriegsgefangenschaft waren, beseitigten
Trümmerfrauen die Trümmer in den Städten. Stadtbewohner fuhren massenhaft bei so genannten
Hamsterfahrten aufs Land, um gegen Sachgüter Lebensmittel einzutauschen. Die Reichsmark als
offizielle Währung hatte wegen der weitgehenden Zwangsbewirtschaftung keinen realen Wert mehr,
der Schwarzmarkt und der Handel mit Sachgütern blühte, US-amerikanische Zigaretten wurden zu
einer Ersatzwährung. Wegen des Brennstoffmangels wurden zahlreiche Bäume abgeholzt und
Kohlenzüge geplündert. Lebensmittel waren nur über Lebensmittelmarken erhältlich oder wurden
aus eigenem Anbau gewonnen.
Die Besatzungsmächte ordneten eine Entnazifizierung an, verboten die NSDAP und ihre
Unterorganisationen und ließen alle faschistischen Symbole entfernen. Die Deutschen in den
westlichen Besatzungszonen wurden anhand von Fragebögen systematisch auf ihre
nationalsozialistische Vergangenheit untersucht. Allerdings gab es zahlreiche Möglichkeiten, sich auf
dem Schwarzmarkt einen „Persilschein“ zu besorgen. Zahlreiche Ämter wurden neu besetzt, auch
zahlreiche Neulehrer wurden in wenigen Monaten zum Dienst ausgebildet. Am 14. November 1945
begann in Nürnberg der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, bei dem am 1. Oktober 1946
zwölf der 21 Angeklagten zum Tode verurteilt wurden. Daran anschließend gab es Folgeprozesse
gegen andere Kriegsverbrecher.
2) Besatzungszeit
In den Jahren 1946/1947 entstanden die meisten heutigen westdeutschen Bundesländer – teilweise
durch Zusammenschluss vorher eigenständiger Länder und ehemaliger preußischer Provinzen – und
die ersten freien Kommunal- und Landtagswahlen konnten abgehalten werden. Im Februar 1946
wurde in der Britischen Besatzungszone ein Zonenbeirat aus Vertretern von Parteien,
Gewerkschaften und der Verwaltung zur Beratung der Militärregierung gebildet. Am 1. Dezember
1946 gab sich Hessen als erstes Land eine Nachkriegsverfassung. Allerdings wurde der Artikel 41 der
Verfassung, der die Überführung der Betriebe der Schlüsselindustrien in Volkseigentum vorsah, nie
verwirklicht.Mit Konrad Adenauer als Vorsitzendem der CDU in der britischen Zone und Kurt
Schumacher als Vorsitzendem der SPD traten im Frühjahr 1946 zwei wegweisende Personen auf den
Plan. Im April 1946 nahmen die deutschen Gerichte wieder die Arbeit auf. Ebenfalls im August dieses
Jahres begannen US-amerikanische Wohlfahrtsverbände mit der Lieferung von Care-Paketen nach
Deutschland und das GARIOA-Programm, um die Hungersnot zu lindern; im September 1946
gründete sich der RIAS in Berlin. Der US-Außenminister James F. Byrnes betonte in seiner Stuttgarter
Rede vom 6. September 1946 seine positive Einstellung in der Deutschlandpolitik und kündigte einen
Wandel in den deutsch-amerikanischen Beziehungen an. Er deutete auch eine fortdauernde Präsenz
der Westalliierten in Deutschland an.
Am 1. Januar 1947 entstand mit der Vereinigung von US-amerikanischer und britischer
Besatzungszone die Bizone. Ebenfalls in diesem Monat erschien erstmals das Magazin Der Spiegel.
Der Alliierte Kontrollrat löste im Februar 1947 das Land Preußen auf, um so eine Rückwendung der
Deutschen zu ihren militärischen Traditionen zu verhindern. Am 5. Juni 1947 lief der Marshallplan an
und im Juli wurde in der Bizone ein Wirtschaftsrat gebildet, um das Wirtschaftsleben wieder in Gang
zu bringen. Bei den Treffen der Gruppe 47 konnten die ersten Werke der Nachkriegsliteratur
vorgestellt werden.
3) Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949
Nach dem Scheitern der Londoner Außenministerkonferenz im Dezember 1947 wurde der Graben
zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion unüberwindlich. In den Monaten Februar und
März 1948 fand die Londoner Sechsmächtekonferenz mit den USA, Großbritannien, Frankreich, den
Niederlanden, Belgien und Luxemburg statt, die über die Bildung eines westdeutschen Staates und
den Brüsseler Pakt, ein Bündnis zur Wahrung westlicher Interessen gegen das Machtstreben der
Sowjetunion, diskutierte. Aus Protest gegen die Beschlüsse verließ der sowjetische Gesandte am 20.
März den Alliierten Kontrollrat, welcher damit gescheitert war. Ebenfalls im März 1948 begann
Ludwig Erhard als Chef der Wirtschaftsverwaltung der Bizone seine Karriere in der späteren
Bundesrepublik; zur gleichen Zeit wurde die Bank deutscher Länder, Vorgängerin der Bundesbank,
gegründet.
Mit der Währungsreform vom 20. Juni 1948, an der wenige Tage später auch West-Berlin teilnahm,
zeichnete sich das Wirtschaftswunder ab. Die parallel zur Einführung der D-Mark aufgehobene
Zwangsbewirtschaftung entzog dem Schwarzmarkt schnell die Grundlage. Als Folge der
Währungsumstellung verhängte die Sowjetunion am 24. Juni 1948 die Berlin-Blockade, worauf die
Westalliierten ab dem 26. Juni 1948 mit der Luftbrücke nach Berlin reagierten.
Am 1. Juli 1948 übergaben die Militärgouverneure Frankreichs, des Vereinigten Königreiches und der
USA den westdeutschen Ministerpräsidenten die Frankfurter Dokumente, Papiere, in denen sie ihre
Vorstellungen zur Bildung eines deutschen Staates mitteilten. Daraufhin berieten sich die
Länderchefs und fassten vom 8. bis 10. Juli 1948 die Koblenzer Beschlüsse, womit sie verdeutlichten,
dass es keiner Staatsgründung, sondern lediglich einer Neuorganisierung Deutschlands bedarf. Die
Mitglieder einer verfassunggebenden Versammlung sollten von den Landtagen und nicht direkt
gewählt werden. Vom 10. bis 23. August 1948 traf sich der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee
zur Vorbereitung dieser Versammlung. Am 1. September 1948 trat der 65-köpfige Parlamentarische
Rat unter Vorsitz von Konrad Adenauer in Bonn zusammen und arbeitete in den folgenden Monaten
das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland aus. Im April 1949 beschlossen die drei
Westmächte, die Militärregierungen in den Westzonen durch die Alliierte Hohe Kommission
abzulösen und das Besatzungsstatut festzuschreiben. Westdeutschland wurde zur Trizone vereinigt.
Am 8. Mai 1949 legten die Mitglieder des Parlamentarischen Rats das Grundgesetz vor. Am 10. Mai
wurde die Hauptstadtfrage erörtert und letztendlich mit 33 zu 29 Stimmen zu Gunsten von Bonn
entschieden, welches sich gegen Frankfurt am Main durchgesetzt hatte, weitere, vorher allerdings
bereits ausgeschiedene, Bewerber waren Kassel und Stuttgart gewesen. Einige Jahre später gaben
einige Abgeordnete zu, im Sinne der Abstimmung beeinflusst worden zu sein. Ob in diesem
Zusammenhang auch Bestechungsgelder geflossen waren, konnte der hierzu eingesetzte
Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages aber nicht klären. Am 12. Mai 1949
genehmigten die drei westlichen Militärgouverneure das Grundgesetz, vorbehaltlich der
Bestimmungen des Besatzungsstatuts. Am 12. Mai beendete die Sowjetunion die Berlinblockade.
Das Grundgesetz wurde von den Landtagen angenommen, es gab keine Volksabstimmung. Nur
Bayern verweigerte sich, weil es den Mangel an Föderalismus kritisierte, trotzdem akzeptierte der
Freistaat die Gültigkeit der provisorischen Bundesverfassung auch für sich. So trat das Grundgesetz
nach seiner Verkündung am 23. Mai 1949 mit Anbruch des 24. Mai 1949 in Kraft: Die Bundesrepublik
Deutschland war entstanden. Das Grundgesetz ist von der überwiegenden Mehrheit der Bürger als
rechtliche Grundordnung akzeptiert worden.
Am 14. August 1949 fand die erste Wahl zum Deutschen Bundestag statt. Die CDU/CSU wurde
stärkste Kraft, die SPD folgte aber dicht dahinter. Insgesamt zogen elf Parteien in den Bundestag ein.
Die konstituierenden Sitzungen von Bundestag und Bundesrat fanden am 7. September 1949 in Bonn
statt. Alterspräsident Paul Löbe eröffnete die Bundestagssitzung und übergab die Leitung später an
den gewählten Bundestagspräsidenten Erich Köhler. Der Bundesrat wählte den nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten Karl Arnold zum Vorsitzenden und damit zum Stellvertreter des
Bundespräsidenten. Am 12. September 1949 wählte die Bundesversammlung Theodor Heuss im
zweiten Wahlgang zum Bundespräsidenten, sein stärkster Gegenkandidat war Kurt Schumacher. Am
15. September 1949 wählte der Bundestag mit exakt der benötigten Mehrheit Adenauer zum
Bundeskanzler. Dieser bildete eine Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und Deutscher Partei. Ob
die Bundesrepublik bereits mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes oder erst mit der Konstituierung
ihrer Verfassungsorgane (also der ersten Bundestagssitzung) oder erst am 20. September 1949 mit
dem Amtsantritt des Kabinetts Adenauer zu existieren begann, ist in der Forschung umstritten.
4) Ära Adenauer
Konrad Adenauer betrieb in seiner Politik eine Westintegration der Bundesrepublik, was schon mit
dem Petersberger Abkommen deutlich wurde, das er mit der Alliierten Hohen Kommission schloss.
Vor allem seitens der SPD mit ihren Vorsitzenden Kurt Schumacher und später Erich Ollenhauer gab
es heftige Kritik an dieser Richtungsentscheidung, weil eine „Zementierung“ der deutschen Teilung
befürchtet wurde. Innerhalb der Regierungskoalition blieb die Politik ebenfalls nicht widerspruchslos.
Im Oktober 1950 trat Bundesinnenminister Gustav Heinemann aus Protest gegen die geplante
Wiederbewaffnung und den Führungsstil Adenauers zurück. Bereits am 30. November 1949 erwog
Adenauer die politische Durchsetzbarkeit eines deutschen Kontingentes für eine europäische Armee.
Am 23. April 1949 in der Schlusserklärung der Londoner Deutschland-Konferenz verzichtet die
Bundesrepublik Deutschland auf einige Grenzgebiete zu den Niederlanden (Elten-, Selfkantgebiet),
im Gegenzug verzichten die Niederlande auf die Umsetzung des Bakker-Schut-Plans.
Das Vertriebenenministerium musste ab 1949 die Bereitstellung von Wohnraum und den finanziellen
Lastenausgleich organisieren. Etwas über 14 Millionen Deutsche waren zwischen 1944/1945 und
1950 von Flucht und Vertreibung betroffen, etliche davon kamen in die Bundesrepublik.
Am 1. März 1950 berichtet der Ausschuss für das Besatzungsstatut und Auswärtige Angelegenheiten
in seiner 10. Sitzung, dass die Bundesrepublik Deutschland von 1. Oktober 1948 bis zum 30.
September 1949 rund 4.491,5 Millionen DM an die alliierten Besatzungsmächte gezahlt hat, was fast
50 Prozent der gesamten Bundeseinnahmen (8.750 Millionen DM) entsprach. Für jeden
Bundesbürger bedeutete dies einen Anteil von 95,46 DM, was fast einem durchschnittlichen
Monatslohn gleichkam.
Am 24. Mai 1950 ernannte Bundeskanzler Adenauer General a. D. Gerhard Graf von Schwerin zu
seinem ständigen Berater in militärischen und Sicherheitsfragen. Am 26. Oktober 1950 folgte die
Ernennung von Theodor Blank (CDU) zum Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der
Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen. Blank berief hierzu die ehemaligen
Generäle der Wehrmacht Adolf Heusinger und Hans Speidel als militärische Berater. Das „Amt Blank“
wurde zur Keimzelle des späteren Verteidigungsministeriums.
1952 machte Josef Stalin den Vorschlag, Deutschland als ein neutrales Land wieder zu vereinigen. Die
Stalin-Noten sorgten für Irritationen, wurden aber seitens der Westmächte abgelehnt, weil man eine
Vereinnahmung von ganz Deutschland durch die Sowjetunion befürchtete. 1954 folgte eine
ergebnislose Außenministerkonferenz der Vier Mächte in Berlin über die Wiedervereinigung (der
Brite Anthony Eden, der Amerikaner John Foster Dulles, der Franzose Georges Bidault und
Wjatscheslaw Molotow für die Sowjetunion; 25. Januar bis 18. Februar 1954). Es kam nicht zu freien
Wahlen in ganz Deutschland. Es folgten die Pariser Verträge, inklusive westlichem
Deutschlandvertrag, und die staatliche Souveränität der DDR. Am 25. Januar 1955 erklärt die
Sowjetunion einseitig den Kriegszustand mit Deutschland für beendet. Knapp ein halbes Jahr später
verkündete der Generalsekretär der KPdSU, Nikita Chruschtschow, am 26. Juli auf einer Kundgebung
in Ost-Berlin die sowjetische Zwei-Staaten-Theorie, die von zwei deutschen Staaten ausgeht, deren
Sache die Wiedervereinigung selbst sei.
Ein wichtiges politisches Thema der Folgezeit war der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik
für Deutschland in den Grenzen von 1937. Die Hallstein-Doktrin besagte, dass die Bundesrepublik
Deutschland mit jedem Staat, der die DDR diplomatisch anerkannte, die diplomatischen Beziehungen
beenden sollte. Die Doktrin wurde erstmals 1957 in Bezug auf Jugoslawien angewendet. Sie hinderte
Adenauer aber nicht daran, im September 1955 nach Moskau zu reisen, um mit der Sowjetunion, der
Schutzmacht der DDR, diplomatische Beziehungen aufzunehmen und die Rückkehr der letzten
deutschen Kriegsgefangenen aus sowjetischen Lagern zu erwirken. Die Doktrin verlor Ende der
1960er-Jahre ihre Bedeutung.
1951 wurde das Auswärtige Amt wieder errichtet und der Bundesgrenzschutz gegründet; die
Bundesrepublik wurde Mitglied im Europarat. 1952 einigten sich Konrad Adenauer und Theodor
Heuss in einem Briefwechsel auf das Hoffmann-Haydn’sche Lied als deutsche Nationalhymne. Heuss
ließ sich zunächst Zeit mit der präsidialen Entscheidung, teilte dann aber im Bulletin der
Bundesregierung im Mai 1952 mit, dass bei staatlichen Anlässen die dritte Strophe des
Deutschlandliedes gesungen werden solle. Im April 1952 entstand das Bundesland BadenWürttemberg.
Die Westbindung schritt voran. 1952 entstand der Deutschlandvertrag, und der EVG-Vertrag wurde
unterzeichnet. Die Verteidigungsgemeinschaft scheiterte aber 1954. Am 23. Juli 1952 trat auch die
am 18. April 1951 gegründete Montanunion in Kraft, welche sich als Keimzelle der europäischen
Einigung erweisen sollte; mit ihr endete die internationale Kontrolle über das Ruhrgebiet.
Im September 1952 wurde mit Israel das Luxemburger Abkommen zur Entschädigung von NS-Opfern
unterzeichnet. Im Oktober 1952 verbot das Bundesverfassungsgericht die rechtsradikale
Sozialistische Reichspartei (SRP), im August 1956 die KPD. Dies blieben die einzigen Parteiverbote in
der Bundesrepublik. Bei der Bundestagswahl im September 1953 konnte die CDU dazugewinnen und
Theodor Heuss 1954 als Bundespräsident wiedergewählt werden. Ab 1954 wurde in der
Bundesrepublik der 17. Juni als „Tag der Deutschen Einheit“ begangen; Anlass war der 17. Juni 1953,
der Tag des Volksaufstandes in der DDR.
Nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wurde die Bundesrepublik im Mai
1955 in die NATO aufgenommen und trat der WEU bei. Gegen die Wiederbewaffnung gab es massive
Widerstände und Bedenken quer durch alle Gesellschaftsschichten. Faktisch wirkte sich eine Ohne
mich-Verweigerungshaltung dann allerdings kaum aus.
Auch die Resonanz der Anti-Atomwaffen-Bewegung und des Pazifismus blieb begrenzt. Bei der
Gründung der Bundeswehr wurde gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, den Wehrdienst zu
verweigern und stattdessen Zivildienst zu leisten. Die Akzeptanz der erstmals in der deutschen
Militärgeschichte möglichen Kriegsdienstverweigerung war anfangs gering; Vorhaltungen gingen in
Richtung kommunistische Infiltration bzw. „Drückebergerei“. Viele ehemalige Wehrmachtsoffiziere
erhielten aufgrund ihrer Erfahrung Karrieremöglichkeiten in der neuen Armee. Das Verschweigen der
NS-Vergangenheit von Angehörigen der Bundeswehr wie auch vieler anderer führender Männer in
Staat, Parteien, Verwaltung und Justiz sollte später eine große Belastung für die
bundesrepublikanische Gesellschaft werden. Im April 1956 ging aus der früheren Organisation
Gehlen der Bundesnachrichtendienst hervor. Erster Verteidigungsminister wurde Theodor Blank, der
später von Franz Josef Strauß, dem früheren Minister für Atomfragen, abgelöst wurde. Dessen
Bestrebungen, die Bundeswehr auch mit Atomwaffen in deutscher Kontrolle auszurüsten,
scheiterten nach einigen Jahren.
Die internationale Gemeinschaft hielt sich mit offiziellen Kontakten zu Deutschland noch zurück, so
wurde der Bundespräsident erst 1956 durch einen Vorstoß Griechenlands zu einem Staatsbesuch
eingeladen.Der Bundesaußenminister Heinrich von Brentano nahm die euphorische Stimmung und
herzliche Begrüßung der dortigen Bevölkerung zum Anlass, Abkommen im Bereich Kultur und
Erziehung abzuschließen und somit bilaterale Beziehungen auf Ministerebene einzuläuten.
Ausländische Botschafter blieben dem offiziellen Empfang demonstrativ fern, es folgte jedoch eine
Einladung der Türkei, der sich Theodor Heuss wie zu Griechenland persönlich verbunden fühlte.
Im französisch dominierten Saarprotektorat wurde der Wunsch nach einem Anschluss an die
Bundesrepublik bei der Landtagswahl 1952 deutlich, auch wenn die Parteien einen Anschluss nicht
fordern durften. Adenauer versuchte das bisher ausgeklammerte Problem der saarländischen
Sonderstellung zugunsten von Frankreich zu lösen, die Saarländer lehnten das Saarstatut jedoch in
einer Volksabstimmung deutlich ab. Im weiteren Verlauf lenkten sowohl Adenauer als auch die
Franzosen ein, der Vertrag von Luxemburg ermöglichte den zum Jahresbeginn 1957 wirksamen
Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik, wobei dies zunächst noch Zollausland blieb. Die
wirtschaftliche Eingliederung in Form der zollrechtlichen Eingliederung und des Ersatzes des Franc
durch die Deutsche Mark erfolgte am 6. Juli 1959.
Mit den Römischen Verträgen wurde am 25. März 1957 die EWG, Vorgängerorganisation von EG und
EU, ins Leben gerufen, die Bundesrepublik war Gründungsmitglied. Am 13. März 1957 gab das USamerikanische Hauptquartier in der Bundesrepublik die Ausrüstung der US-Streitkräfte mit
Nuklearwaffen bekannt.
Bei der Bundestagswahl 1957 erhielten CDU/CSU erstmals und bisher einmalig die absolute Mehrheit
im Bundestag. Konrad Adenauer zog 1959 eine Kandidatur als Bundespräsident in Betracht, die er
dann aber verwarf. Im Juli 1959 wurde schließlich der frühere CDU-Landwirtschaftsminister Heinrich
Lübke zum Bundespräsidenten gewählt. Im November 1959 streifte die SPD im Godesberger
Programm ihr Selbstbildnis einer Arbeiterpartei ab und wandelte sich zu einer Volkspartei.
Nach mehreren „Berlinkrisen“ und um den Flüchtlingsstrom aus der DDR in die Bundesrepublik zu
stoppen, riegelte die DDR-Regierung am 13. August 1961 die Grenze zu Berlin (West) ab und begann
mit dem Bau der Berliner Mauer. Die Westmächte protestierten lediglich verhalten, auch aus Furcht,
eine schwere Krise heraufzubeschwören. US-Präsident John F. Kennedy sagte erst zwei Jahre später,
bei seiner Berliner Rede im Juni 1963, den berühmten Satz „Ich bin ein Berliner“.
Die Vielfalt in der Parteienlandschaft hatte sich zugunsten der CDU verringert, die Vertriebenenpartei
(Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, kurz BHE) war gespalten,
und Abgeordnete der DP traten 1960 zur CDU über. Bei den Bundestagswahlen im September 1961
verlor die Union aus CDU und CSU ihre absolute Mehrheit, bildete aber weiterhin die Regierung.
Erstmalig waren im Bundestag neben den Unionsparteien nur noch zwei andere Parteien vertreten,
die SPD und die FDP, was für den deutschen Parlamentarismus auf Bundesebene kennzeichnend in
den nächsten beiden Jahrzehnten sein sollte. Im Oktober 1962 stürzte Verteidigungsminister Strauß
über die Spiegel-Affäre. Im Januar 1963 erreichte mit dem Élysée-Vertrag die Aussöhnung der
bisherigen „Erbfeinde“ Deutschland und Frankreich ihren formellen Höhepunkt. Frankreich ist seither
wichtigster Partner der deutschen Außenpolitik.
Schon 1961 hatte der 85-jährige Adenauer angekündigt, nicht mehr für eine volle Legislaturperiode
im Amt bleiben zu wollen. Trotz Querelen zwischen Adenauer und Wirtschaftsminister Ludwig Erhard
bestimmte die CDU diesen im April 1963 zum Nachfolger als Bundeskanzler. Konrad Adenauer trat
am 15. Oktober 1963 von seinem Amt zurück.
5) Wirtschaftswundergesellschaft
Nach der Währungsreform von 1948 entwickelte sich mit der Starthilfe durch den Marshallplan in
Westdeutschland bzw. der Bundesrepublik allmählich das sogenannte Wirtschaftswunder. Ein erster
Aufschwung war weltpolitisch durch den Koreakrieg verursacht. Die Arbeitslosigkeit der
Nachkriegszeit ging soweit zurück, bis schließlich 1962 die Vollbeschäftigung erreicht war. Der
steigende Bedarf an Arbeitskräften wurde anfangs durch den Flüchtlingsstrom aus der DDR gedeckt;
als dieser mit dem Mauerbau abbrach, warb die Bundesrepublik Gastarbeiter vor allem aus
Südeuropa und der Türkei an.
Nachdem der Bedarf nach Grundnahrungsmitteln gedeckt war – die Lebensmittelkarten wurden
1950 abgeschafft –, entstand erstmals wieder ein Absatzmarkt für Feinkostartikel. Anschließend
wurde die Nachfrage nach Bekleidung gestillt („Fresswelle“, „Edelfresswelle“ und
„Bekleidungswelle“). Ab den 1960er-Jahren setzte die Verdrängung der „Tante-Emma-Läden“ durch
Supermärkte mit breitem Sortiment ein. Durch den steigenden Wohlstand vollzogen sich der
Übergang vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt und die Bedeutung der Werbung nahm stark zu.
Der Tourismus entwickelte sich, auch durch die steigende Zahl von Urlaubstagen und Verkürzung der
Arbeitszeit. Waren anfangs nur innerdeutsche Urlaubsziele gefragt, so stieg bei steigendem
Wohlstand auch die Beliebtheit von Zielen im europäischen Ausland, z. B. Italien.
Anfang der 1950er-Jahre fuhren die meisten Bundesbürger noch mit Fahrrad, Bus und Bahn.
Zunehmend wurden Motorräder populär und in den 1960er-Jahre stiegen die Verkaufszahlen der
nun massenhaft produzierten Automobile stark an. Der VW Käfer wurde so zum Symbol des
deutschen Wirtschaftswunders. In der Landwirtschaft verdrängten große Agrarbetriebe mit ihrer
modernen Technik kleine Landwirtschaftsbetriebe. Diese Entwicklung wurde auch durch die
Flurbereinigung und die Agrarpolitik in der EWG begünstigt. Mit der vollen Ausbildung der später
sogenannten Zweiten industriellen Revolution erreichte Mitte der 1960er-Jahre der Anteil der
Industriearbeiterschaft an den Beschäftigten einen historischen Höchststand.
Die Frauen wurden rechtlich besser gestellt, trotzdem war ihre Haupttätigkeit weiterhin die der
Hausfrau und Mutter. Aus Protest gegen den „Wohlstandsmief“ der Erwachsenen entwickelte die
Jugend eine eigene Kultur, die sich vor allem im Rock ’n’ Roll ausdrückte. Idole der Zeit waren James
Dean, Marlon Brando und Elvis Presley. Erstmals in der Geschichte stand einer breiten jugendlichen
Altersgruppe, verursacht durch den steigenden Wohlstand, Kaufkraft zur Verfügung: sie wurde für
Konsumgüter, Kleidung und Mobilität verausgabt und nicht zuletzt von einer neu entstehenden
Popkultur abgeschöpft.
Da nach wie vor der Wohlstand sehr ungleich verteilt war und es eine hohe Anzahl von
Sozialhilfeempfängern gab, versuchte die Bundesregierung, soziale Missstände abzubauen;
dementsprechend stieg der Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt enorm an. Dennoch waren
vor allem kinderreiche Familien und Rentner benachteiligt, und so führte man 1957 die dynamische
Rente ein, um die Einkommen der Rentner der Einkommensentwicklung der übrigen Bevölkerung
anzupassen. Ebenso dienten Maßnahmen wie das Mutterschaftsschutzgesetz und die Einführung des
Kindergeldes diesem Zweck. Der Wohnungsbau spielte in der Nachkriegszeit eine bedeutende Rolle.
Durch schnell steigende Löhne kam auch zunehmend die breite Masse der Arbeiter in den Genuss
der wirtschaftlichen Entwicklung.
1950 wurde die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten der
Bundesrepublik Deutschland (ARD) gegründet. Am 25. Dezember 1952 erschien das erste
Fernsehtestprogramm. Verschiedene Spielfilme waren in der Anfangszeit des Fernsehens wahre
„Straßenfeger“. Aber auch die Eigenproduktionen erfreuten sich wachsender Beliebtheit, vor allem
Durbridge-Filme wie Das Halstuch und Tim Frazer erreichten Einschaltquoten um 90 Prozent. 1963
nahm durch den Rundfunkstaatsvertrag das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) seinen Betrieb auf.
1967 wurde das Farbfernsehen in der Bundesrepublik eingeführt.
Kinobesuche waren ein beliebter Zeitvertreib. Man wollte die Vergangenheit vergessen und das
Leben unbeschwert genießen, und so erhielt der Heimatfilm großen Zuspruch beim Publikum. Eine
prägende Figur in Film und Fernsehen war Heinz Erhardt. Der 1951 gedrehte Film Die Sünderin wurde
wegen angeblicher Glorifizierung von Prostitution, Sterbehilfe und Suizid zum Skandal. 1957 wurde
die Prostituierte Rosemarie Nitribitt ermordet. Der 1958 über diesen Mord gedrehte Film verstand
sich auch als Gesellschaftskritik. Rowohlts Rotations Romane (rororo) erschienen 1950 als
Taschenbücher und revolutionierten wegen ihres günstigen Preises den Büchermarkt.
Der WM-Titel der deutschen Elf bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz hob das
deutsche Selbstwertgefühl und begründete die Fußballbegeisterung – das „Wunder von Bern“ ging in
die Geschichte ein. Von 1952 an gab es in der Bundesrepublik eine neunjährige Schulpflicht. Der
Glaube an den ungebremsten Fortschritt und die Wissenschaft war noch ungebrochen. Die friedliche
Nutzung der Kernenergie wurde als Lösung für das Energieproblem angesehen. Das Kernkraftwerk
Kahl wurde zur kommerziellen Stromerzeugung als erster deutscher Kernreaktor (nach dem
Forschungsreaktor München 1957) gebaut und lieferte ab Juni 1961 Strom ans Netz. Bei der
Sturmflut 1962 in Hamburg bewährte sich der damalige Senator der Polizeibehörde und spätere
Bundeskanzler Helmut Schmidt als Krisenmanager. Bei dem Grubenunglück von Lengede wurden
nach zwei Wochen Suche am 7. November 1963 elf nach einem Wassereinbruch eingeschlossene
Bergarbeiter lebend geborgen.
6) Ludwig Erhard, Große Koalition und 68er-Bewegung
Der neue Bundeskanzler Ludwig Erhard (seit 1963) wurde von der Bevölkerung mit dem Erfolg der
Sozialen Marktwirtschaft in Verbindung gebracht. Allerdings waren die Ideen des Ordoliberalismus
nicht die des heutigen Sozialstaates. So war Erhard ein erklärter Gegner des von Adenauer 1957
durchgesetzten Umlage-Systems der Rentenversicherung. Bei der Wahl des deutschen
Bundespräsidenten 1964 wurde Heinrich Lübke auch mit den Stimmen der SPD wieder gewählt, die
keinen eigenen Kandidaten aufstellte. Dies gilt als ein Schritt hin zur Großen Koalition. Die
Bundestagswahl 1965 bestätigte die Koalition von CDU/CSU und FDP und damit die Kanzlerschaft
Ludwig Erhards, der jedoch recht schnell an Ansehen verlor. Es wurde deutlich, dass die Jahre des
Wirtschaftswunders vorbei waren. 1965 waren 45 Prozent der Beschäftigten Westdeutschlands
Fabrikarbeiter, mehr als je zuvor in der Geschichte. Von da an trat der Wandel ein: weniger
Hauptschüler, weniger Industriearbeiter, der Dienstleistungssektor wächst seither zunehmend.Ab
1966 geriet die Bundesrepublik in eine Rezession mit erhöhter Arbeitslosigkeit. Dazu kam der
Umstand, dass die Kohle aus dem Ruhrgebiet durch das billigere Erdöl ihre Bedeutung als wichtiger
Energielieferant zunehmend verlor. Es kam zu einem Zechensterben und einem langsamen
Strukturwandel im Ruhrgebiet in den späten 1960er- und den 1970er-Jahren. Erhard weigerte sich,
eine aktive Konjunkturpolitik zu betreiben, weil dies seinem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft
widersprach. Auch die Starfighter-Affäre, verschiedene Abstürze der technisch noch unausgereiften
Jagdflugzeuge und die Verwicklungen bei seinem Kauf, belastete die Regierung. Die FDP entfernte
sich allmählich programmatisch von der CDU. Schließlich erklärte Ludwig Erhard am 30. November
1966 seinen Rücktritt als Bundeskanzler. Vorausgegangen waren das Scheitern von neuen
Koalitionsverhandlungen mit der FDP und das Zusammengehen mit der SPD zur Großen Koalition.
Nach dem Eichmann-Prozess 1961 und den 1963 beginnenden Auschwitzprozessen beschäftigte 20
Jahre nach Kriegsende die Verjährungsdebatte um die Verbrechen der nationalsozialistischen
Diktatur die Gemüter. Nach damaligem Strafrecht verjährten diese Morde 1965. Um dies zu
verhindern, versuchte man ab 1964 vor allem aus Osteuropa verstärkt Belastungsmaterial zu
beschaffen. Da abzusehen war, dass die Zeit für die Anklageerhebungen nicht ausreichte, einigte man
sich nach langen Debatten, die Verjährung auf das Jahr 1969 festzulegen, 20 Jahre nach Gründung
der Bundesrepublik Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen
Vergangenheit wurde erst jetzt in nennenswertem Umfang thematisiert. Auch sorgten die
Wahlerfolge der rechtsradikalen NPD in verschiedenen Landesparlamenten international für
Befürchtungen eines erneuten Abgleitens Deutschlands in den Nationalismus. 1969 wurde vom
Bundestag zunächst die Verjährungsfrist für Völkermord aufgehoben, 1979 dann generell für Mord.
Ein weiteres Thema der Zeit war der Bildungsnotstand. Überfüllte Hörsäle und Kritik an dem
bestehenden Schulsystem führten 1965 zu einer Großdemonstration der Schüler und Studenten
„Gegen den Bildungsnotstand“ in etwa 30 Städten mit über 200.000 Teilnehmern und danach zur
Bildung eines nationalen Bildungsrates. Aber erst die sozialliberale Regierung (Kabinett Brandt I)
sollte eine Bildungsreform anstreben. 1967 wurde erneut gegen den Bildungsnotstand in
Deutschland demonstriert, nun aber weiteten sich die Themen des Protestes gegen
Notstandsgesetze und Vietnamkrieg aus.
Im Juni 1966 wurde der Kindermörder Jürgen Bartsch verhaftet, in der Folgezeit entflammte die
Debatte um eine Wiedereinführung der Todesstrafe.
Der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger gelang es mit einer energischen
Wirtschaftspolitik, die Rezession zu stoppen. Maßnahmen dazu waren das Stabilitäts- und
Wachstumsgesetz, das die wirtschaftspolitischen Ziele vorgab und auch als Magisches Viereck galt,
und die konzertierte Aktion, eine Politik des Konsenses zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern.
Die Einführung des Mehrheitswahlrechts im Angesicht der NPD-Erfolge scheiterte vor allem am
Widerstand der SPD.
Die Notstandsgesetze, die schon früher erwogen worden waren, wurden nun durchgesetzt. Diese
Gesetze, als „Notverfassung“ konzipiert, sollten in Ausnahmesituationen wie Katastrophenfällen und
Staatsbedrohungen die Machtbefugnisse und Zuständigkeiten des Bundes regeln. Damit einher
gingen Einschränkungen der Grundrechte. Durch die Große Koalition war die nötige
Zweidrittelmehrheit zur Grundgesetzänderung erreichbar. Gegen die Notstandsgesetze und auch die
Große Koalition bildete sich in der Bevölkerung ein breiter Widerstand, da mit Ausnahme der kleinen
FDP keine Opposition im Parlament mehr vorhanden war. Es entstand die Außerparlamentarische
Opposition (APO) mit Massenkundgebungen und Protestmärschen.
Der Vietnamkrieg, der Bildungsnotstand, das Schweigen zur NS-Vergangenheit und eine Scheinmoral
in der Gesellschaft führten, hauptsächlich in der Studentenschaft, zu einer Bewegung, die die
Gesellschaft verändern wollte. Ein Auslöser war der Besuch des persischen Schahs in Berlin Anfang
Juni 1967. Bei einer Demonstration gegen den Besuch wurde der Student Benno Ohnesorg von
einem West-Berliner Polizisten erschossen, wobei 2009 bekannt wurde, dass der Polizist mit dem
Staatssicherheitsdienst der DDR kooperierte, eine abschließende Bewertung ist aber bis heute nicht
möglich. In der Folgezeit zog die Protestbewegung immer weitere Kreise und erlebte mit dem
Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 ihren Höhepunkt. In der Folge kam es zu massiven
Ausschreitungen, besonders vor dem Gebäude des Axel Springer Verlages im Westteil Berlins, da
dessen Zeitungen die Studenten in polemischer Weise kritisiert hatten.
Durch innerparteiliche Querelen verlor Kiesinger an Ansehen, wohingegen Vizekanzler und
Außenminister Willy Brandt durch seine Politik und sein Auftreten an Profil gewann. Bei der
Bundespräsidentenwahl im März 1969 gewann der gemeinsame Kandidat der SPD und FDP, Gustav
Heinemann. Dieser Schritt war ein Vorgriff auf eine mögliche Regierungsverantwortung der beiden
Parteien, allerdings hatten Änderungen in der Zusammensetzung der Länderparlamente, welche die
Hälfte der Mitglieder der den Bundespräsidenten wählenden Bundesversammlung entsenden, ein
solches Abstimmungsergebnis erst ermöglicht. Aus der Bundestagswahl im September 1969 ging die
CDU als stärkste Fraktion hervor, aber SPD und FDP hatten zusammen die „Kanzlermehrheit“ und
bildeten die Regierung. Die Union ging zum ersten Mal in die Opposition. Brandt wurde
Bundeskanzler, der FDP-Politiker Walter Scheel neuer Außenminister und Vizekanzler.
7) Sozialliberale Koalition
In der Innenpolitik wurden zahlreiche Reformvorhaben unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen“
umgesetzt: Das Ehe- und Familienrecht wurde im Sinne der Gleichberechtigung reformiert, das
Strafrecht im Hinblick auf die mögliche Resozialisierung von Straftätern verändert und überholte
Moralvorstellungen gestrichen. Neu hinzu kamen Delikte der Umwelt- und Wirtschaftskriminalität.
Das Pornographieverbot wurde gelockert und die Strafbarkeit von Gotteslästerung, Ehebruch und
Homosexualität aufgehoben. Allgemein war die Tendenz hin zur Liberalisierung des Strafrechts. Nach
heftigen Debatten wurde der § 218 des StGB zu einer weitreichenden Indikationsregelung bei der
Abtreibung modifiziert. Das Volljährigkeitsalter wurde von 21 auf 18 Jahre heruntergesetzt.
Die Bildungsausgaben der öffentlichen Haushalte wurden enorm ausgeweitet. Mit Hilfe des 1971
eingeführten „BAföG“ sollten finanziell Schwache bei Ausbildung und Studium unterstützt werden.
Eine umfassende Bildungsreform scheiterte aber am Widerstand der CDU gegen die Gesamtschule
und an der Kulturhoheit der Länder. Lediglich die gymnasiale Oberstufe wurde reformiert, indem
Grund- und Leistungskurse angeboten wurden und mit Punkten zwischen 0 und 15 statt wie bisher
mit Zensuren benotet wurde. Auch die Lehrpläne wurden auf neue Inhalte umgestellt. Zahlreiche
neue Fachhochschulen und die Berufsakademien als akademische Ausbildungstypen entstanden. Seit
1972 wird in einigen Studienfächern ein Numerus clausus vorausgesetzt, um die Studentenanzahl zu
begrenzen.
Die neue Regierung hatte allerdings Schwierigkeiten, ihre Vorhaben durchzusetzen. Einerseits
behinderte sie der Bundesrat, wo die CDU in den Länderparlamenten die Mehrheit hatte,
andererseits mussten aufgrund der konservativen Haltung des Bundesverfassungsgerichts mehrere
Reformen nachgebessert werden.
Zu den Ostblockstaaten schlug Brandt Wege der Annäherung und Versöhnung ein und versuchte
durch die sogenannten „Ostverträge“, unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ eine
Normalisierung der Beziehungen zu erreichen. Bei einer Kranzniederlegung am Denkmal für die
Opfer des Aufstandes im Warschauer Ghetto kniete Willy Brandt nieder, um der Toten zu gedenken.
Das Bild des „Kniefalls von Warschau“ ging um die Welt. Die Hallstein-Doktrin wurde schon ab Ende
der 1960er-Jahre schrittweise aufgegeben, und es kam zu einer Annäherung der beiden deutschen
Staaten. Im März 1970 trafen sich Bundeskanzler Brandt und der Ministerpräsident der DDR, Willi
Stoph, zum ersten deutsch-deutschen Gipfeltreffen in Erfurt und anschließend im Mai in Kassel. In
der Folgezeit unterzeichneten die Bundesrepublik, die DDR und die Siegermächte Verträge, um die
Beziehungen der beiden deutschen Staaten zu normalisieren. Am 18. September 1973 wurden
Bundesrepublik und DDR in die UNO aufgenommen.
Die Opposition im Deutschen Bundestag fand sowohl in dieser Frage als auch zum Grundlagenvertrag
mit der DDR zu keiner geschlossenen Haltung, was schließlich zum Rücktritt des UnionsFraktionschefs Rainer Barzel führte. Die neue Ostpolitik der Ära Brandt rief nach wie vor heftige
Widerstände seitens der Opposition hervor, die von einem Ausverkauf deutscher Interessen sprach.
Nur mit Mühe wurden die Ostverträge im Bundestag ratifiziert.
Zwischen dem 26. August und dem 11. September 1972 fanden die XX. Olympischen Sommerspiele
in München statt, die von der tödlich verlaufenen Geiselnahme palästinensischer Terroristen der
Organisation Schwarzer September auf das Olympische Dorf überschattet wurden. Israelische
Sportler wurden als Geiseln genommen, bei deren versuchter Befreiung insgesamt 17 Personen
starben. Als Folge der Ereignisse wurde die „GSG 9“ als besondere Eingreiftruppe des
Bundesgrenzschutzes gegründet.
Im Oktober 1973 traf die Ölkrise die Bundesrepublik hart. Als Reaktion auf den verlorenen JomKippur-Krieg mit Israel verhängten die im Förderkartell der OPEC zusammengeschlossenen Staaten
ein Ölembargo gegen die Staaten, die ihrer Ansicht nach Israel unterstützten. Damals lag der Anteil
der Erdölförderung der OPEC-Staaten weit höher als heute, so dass es zu drastischen
Preissteigerungen bei Erdöl kam. Zur Vermeidung von Versorgungsengpässen wurde ein Fahrverbot
an Sonntagen und eine Beschränkung der Abgabemenge an Tankstellen von 20 Litern pro
Tankvorgang verhängt. Mit der Ölkrise begann eine langanhaltende Rezession in der Bundesrepublik.
Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land wurde Deutschland Weltmeister, obwohl
man in der Vorrunde gegen die Mannschaft der DDR verloren hatte.
Nachdem wegen Kritik an der Ostpolitik einzelne Abgeordnete die Regierungskoalition verlassen
hatten, kam es im April 1972 zu einem konstruktiven Misstrauensvotum im Bundestag, wobei der
CDU-Vorsitzende Barzel zum Kanzler gewählt werden sollte. Dieses scheiterte, da die notwendige
Stimmenzahl nicht erreicht wurde. Da aber nicht klar war, ob die Regierung sich noch auf eine
Mehrheit im Parlament stützen konnte und um den Weg für Neuwahlen frei zu machen, ließ die
SPD/FDP-Koalition eine Vertrauensfrage der Bundesregierung scheitern. Bei den Bundestagswahlen
im November 1972 wurde die SPD erstmals und bisher einmalig stärkste Fraktion und die Koalition
gestärkt. Im Juni 1973 gab der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Julius Steiner an, beim
Misstrauensvotum bestochen worden zu sein. Der Bundestag richtete einen Untersuchungsausschuss
zur Steiner-Wienand-Affäre ein, dieser blieb aber ergebnislos. Im April 1974 wurde der
Bundeskanzleramtsmitarbeiter Günter Guillaume als DDR-Spion enttarnt. Willy Brandt trat daraufhin
am 6. Mai wegen angeblicher Erpressbarkeit durch die „Guillaume-Affäre“ zurück. Finanzminister
Helmut Schmidt wurde sein Nachfolger als Bundeskanzler. Der bisherige Bundesaußenminister
Walter Scheel wurde zum Nachfolger von Gustav Heinemann, der nicht wieder antrat, zum
Bundespräsidenten gewählt.
Im Zuge der Außerparlamentarischen Opposition („APO“) entstanden auch zwei linksextremistische
terroristische Gruppen: die Bewegung 2. Juni und die Rote Armee Fraktion („RAF“). Primär begründet
mit der Bekämpfung der RAF erging im Januar 1972 der umstrittene Radikalenerlass, ein
Berufsverbot für Beamte mit extremistischen Denkweisen im Staatsdienst, das jedoch vielfach
missbräuchlich verwendet wurde, indem bereits Mitgliedschaft in Organisationen als ausreichender
Beleg gewertet wurde. Die Terrorwelle der RAF erreichte 1977 im sogenannten „Deutschen Herbst“
ihren Höhepunkt. Nach Ermordung von Siegfried Buback und Jürgen Ponto entführten Mitglieder der
RAF am 5. September den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Um ihren Forderungen
Nachdruck zu verleihen, kaperten verbündete palästinensische Terroristen am 14. Oktober die
Lufthansamaschine „Landshut“. Die Bundesregierung ging jedoch nicht auf die Erpressung ein,
sondern ließ die „Landshut“ von GSG 9-Beamten auf dem Flughafen Mogadischus stürmen, wobei
sämtliche Passagiere befreit wurden. Kurz darauf wurde Schleyer von der RAF ermordet und die
inhaftierten RAF-Terroristen nahmen sich im Gefängnis Stammheim das Leben.
Am 1. August 1975 wurde in Helsinki die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (KSZE) unterzeichnet. Damit unterstrichen die europäischen Staaten ihre
verstärkten Verständigungsbemühungen. Diese Schlussakte und die Berufung von
Bürgerrechtsgruppen in der DDR auf die dort verbrieften Rechte sollten vor allem die deutschdeutschen Beziehungen bis zur Wende im Jahr 1989 nachhaltig prägen. Die Opposition aus CDU/CSU
lehnte die Schlussakte wie zuvor schon die Ostverträge ab, vornehmlich unter Verweis auf zu hohe
Zugeständnisse an die Ostblockstaaten.
Die Bundestagswahlen 1976 gewann Helmut Schmidt gegen Helmut Kohl, 1980 gegen Franz Josef
Strauß. 1979 wurde der CDU-Kandidat Karl Carstens zum Bundespräsidenten gewählt. Helmut
Schmidt setze auch angesichts der sich wieder verhärtenden Fronten im Ost-West-Konflikt durch den
sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und die Unruhen in Polen die deutsch-deutschen
Annäherungsbemühungen fort. Im Dezember 1981 kam er zu einem Besuch in die DDR. Während der
Gespräche im mecklenburgischen Güstrow bei Teterow war die Stadt von der NVA abgeriegelt, um
Sympathiekundgebungen gegenüber dem Bundeskanzler wie beim Besuch in Erfurt von Willy Brandt
1970 zu verhindern.
Nach dem NATO-Doppelbeschluss im Dezember 1979 über atomare Mittelstreckenraketen in Europa
kam es zu einem Anwachsen der Friedensbewegung. Zunehmend wurde der Doppelbeschluss in der
SPD abgelehnt, Helmut Schmidt hielt aber daran fest. Diese widersprüchlichen Positionen und die
wachsende Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung führten zu einer Entfremdung der
Koalitionspartner. Am 17. September 1982 zerbrach die Koalition und die SPD stellte ein eigenes
Kabinett auf. Am 1. Oktober stürzte Helmut Kohl mit einem konstruktiven Misstrauensvotum Helmut
Schmidt. CDU und FDP bildeten eine neue Regierung.
8) Regierung Kohl
Helmut Kohl wollte seine Regierung durch Neuwahl legitimieren. Deshalb versagte ihm der
Bundestag nach Absprache in verfassungsrechtlich umstrittener Weise das Vertrauen; es wurden
Neuwahlen ausgeschrieben. Die Bundestagswahlen im März 1983 gewann die CDU, erstmals zogen
auch die Grünen als politische Kraft ins Parlament ein. 1984 erschütterte der FlickParteispendenskandal die Politik. Ebenfalls in diesem Jahr wurde Richard von Weizsäcker zum
Bundespräsidenten gewählt. Dieser genoss hohes Ansehen, auch durch seine Rede zum 40. Jahrestag
des Kriegsendes. Der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß gewährte der DDR, mit
Unterstützung der Bundesregierung 1983/1984 Milliardenkredite, die ihren Verfall verzögerten.
Der Reaktorunfall in Tschernobyl im April 1986 erschütterte auch die Bundesrepublik und führte zur
Errichtung des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die
Bundestagswahl 1987 gewann erneut Helmut Kohl, in diesem Jahr kam mit Erich Honecker das erste
DDR-Staatsoberhaupt zu einem Staatsbesuch in die Bundesrepublik. Die Bespitzelung des SPDKandidaten Björn Engholm bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein durch den CDUMinisterpräsidenten Uwe Barschel sorgte bundesweit für Aufsehen. Wenige Wochen später starb
Barschel, seine Todesumstände sind bis heute ungeklärt.
Die Bundesregierung erneuerte ihre engen politischen Beziehungen mit dem französischen
Staatspräsidenten François Mitterrand, durch die Gründung des Eurokorps, dem Schengener
Abkommen 1985 und den langjährigen Vorarbeiten zur Gründung des Fernsehsenders ARTE.
Die zweite Hälfte der 1980er-Jahre war von einer Entspannungspolitik der Supermächte
gekennzeichnet, die in erster Linie eine Folge der Perestroika-Politik (Umgestaltungspolitik) des
sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow war, der die Bundesrepublik im Juni 1989 besuchte.
9) Gesellschaft der 1970er- und 1980er-Jahre (BRD)
Mit der 68er-Bewegung ging ein neuer Lebensstil einher. In den Medien war besonders die Sexuelle
Revolution, ermöglicht durch die Antibabypille, von nachhaltiger Wirkung. Die sich anbahnende
Frauenbewegung stieß allerdings nicht auf uneingeschränkte Zustimmung bei den Wortführern der
68-Bewegung. Bekanntestes Beispiel für den Versuch den neuen Lebensstil nicht nur theoretisch zu
meistern war die Kommune I. Der damals ebenfalls propagierte Marsch durch die Institutionen
führte Jahrzehnte später zu einer Generation, die Schlüsselpositionen in der deutschen Politik, in der
Presse und im Beamtenapparat errungen hatte.
Die Beatles lösten eine Hysterie unter den Jugendlichen aus. Aber auch andere Bands wie The Rolling
Stones, The Doors und Janis Joplin feierten Erfolge. Es war die Zeit der Hippies, Flower-PowerMädchen, des Drogenkonsums und der freien Liebe. Als in den 1980er-Jahren die Immunschwäche
AIDS erstmals auftauchte, löste sie landesweit und über die vermeintlichen Zielgruppen hinweg
große Besorgnis aus.
Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus der RAF führte zum Radikalenerlass. Ende der siebziger
Jahre wurde ständig zu seiner Verschärfung und zur Verfolgung der „Sympathisanten“ aufgerufen. In
dem Kurzroman Die verlorene Ehre der Katharina Blum klagte Heinrich Böll die Regenbogenpresse,
vor allem aber die Bild-Zeitung, wegen Rufmord und Verletzung der Menschenrechte an. Bölls Buch
wurde sogleich von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta verfilmt. Die mehrteilige
Fernsehserie Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß, die im Januar 1979 im deutschen
Fernsehen ausgestrahlt wurde, entfachte eine erneute Debatte über die NS-Vergangenheit. Ein
Gesetzesantrag im Bundestag hatte die Begrenzung der Strafbarkeit von Verbrechen während der
Zeit des Nationalsozialismus zum Ziel. Mit Karl Carstens stand die Wahl eines Erzkonservativen und
ehemaligen NSDAP-Mitglieds zum Bundespräsidenten bevor. Seine NSDAP-Mitgliedschaft wurde von
Claus Peymann, dem Direktor des Stuttgarter Staatstheaters, durch die Aufführung von Thomas
Bernhards Stück Vor dem Ruhestand thematisiert. Der baden-württembergische Ministerpräsident
Hans Filbinger erzwang Peymanns Entlassung, musste aber selbst noch vor Peymann sein Amt
verlassen. Rolf Hochhuth hatte ein neues Stück angekündigt, in dem die Todesurteile thematisiert
wurden, die Filbinger als Marinerichter noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs gegen
deutsche Soldaten verhängt hatte.
Vor allem die Intervention der Sowjetunion in Afghanistan, die Solidarność in Polen und der NATODoppelbeschluss ließen eine noch nie da gewesene Friedensbewegung mit zahlreichen
Massendemonstrationen entstehen. Auch die Sorge um die Umwelt wurde immer mehr zu einem
Thema. Neben der Friedensbewegung entwickelte sich eine Umweltbewegung, die die Umweltpolitik
stärker zur Geltung bringen wollte. Aus dieser Bewegung entstand die Partei Die Grünen, die 1983
erstmals in den Bundestag einzog und sich seitdem im politischen System etablieren konnte. Auch
die Kernenergie wurde nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 in Teilen der Bevölkerung negativ
gesehen und alternative Energiequellen werden seitdem gefordert und gefördert. Gegen atomare
Wiederaufarbeitungsanlagen und Endlager regte sich Widerstand: Das Zwischenlager Gorleben geriet
immer wieder bei Atommülltransporten in die Schlagzeilen. 1986 erzwangen die Gewerkschaften die
Einführung der 38,5-Stunden-Woche als Kompromiss zu ihrer Forderung der 35-Stunden-Woche. In
den letzten Jahren der alten Bundesrepublik wurde deutlich, dass zahlreiche Bereiche reformiert
werden mussten, aber wenig getan wurde. Der Reformstau wurde von der Opposition zum
Markenzeichen der Regierung stilisiert und die Arbeitslosigkeit wurde für viele zum Menetekel.
Bis Anfang der 1980er-Jahre konnten mit der Neuen Deutschen Welle deutschsprachige Lieder der
Punk- und New Wavemusik Erfolge bei den Teens feiern. Nachdem die rechtlichen Voraussetzungen
geschaffen waren, gingen am 1. und 2. Januar 1984 die ersten Privatfernsehkanäle auf Sendung. RTL
und PKS, Vorläufer von Sat.1, entstanden. Im Mai 1987 entstand Eureka TV, Vorläufer von ProSieben.
10) Die Deutsche Demokratische Republik – DDR (1949-1990)
1949 Gründung der DDR : Während im Westen Deutschlands das Modell der sozialen
Marktwirtschaft aufgebaut wurde, ging in der Sowjetischen Besatzungszone die Sozialisierung der
Industrie voran. Die Trennung zwischen Ost und West war mit der Verkündung der Verfassung der
Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober 1949 auch juristisch vollzogen. Es gab zwei
deutsche Staaten, die beide den Anspruch erhoben, Kern und Modell eines wiederherzustellenden
Gesamtdeutschlands zu sein. Die DDR folgte mit Einheitslistenwahlen, straffer Lenkung und Kontrolle
von Staat und Gesellschaft durch die SED dem Muster der sowjetisch beherrschten
„Volksdemokratien“ Ostmittel- und Südosteuropas.
Das sowjetische Angebot, Deutschland bis zur Oder-Neiße-Grenze als „demokratischen und
friedliebenden“ Staat im Status strikter Neutralität wieder zu vereinen, wurde von den Westmächten
auf dringendes Anraten Adenauers nicht tiefer ausgelotet. Adenauer wollte die Westintegration der
Bundesrepublik nicht aufs Spiel setzen. Und er fühlte sich bestätigt, als ein Jahr später, kurz nach
Stalins Tod und nach Veränderungen in der Moskauer Führung, sowjetische Panzer einen
Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 blutig niederwalzten. Auch in Ungarn schlugen
sowjetische Truppen im November 1956 einen Volksaufstand nieder. Die Sowjetunion forcierte ihr
Programm der atomaren Aufrüstung und entschied das Rennen um die Nutzung des Weltraums mit
dem „Sputnik“ im Oktober 1957 für sich, was im Westen einen „Sputnik-Schock“ auslöste.
Vor diesem Hintergrund entwickelte sich ein Status quo, der lange anhielt. Während die
Westmächte ihre Präsenz in West-Berlin sowie Freiheit und Sicherheit der Stadt gewährleisteten,
schottete sich die DDR immer mehr ab: Am 13. August 1961 wurde die Mauer mitten durch Berlin
gebaut und ein Todesstreifen entlang der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten gezogen.
Damit sollte der Flüchtlingsstrom aus der DDR nach Westen gestoppt werden.
Deutsch-deutsche Beziehungen - Neue Ostpolitik (Willy Brandt – BRD) : Das atomare Patt zwischen
den beiden Supermächten hatte einen Prozess der Entspannung eingeleitet, der trotz der
Niederschlagung der Prager Reformpolitik („Prager Frühling“) von 1968 weiter verfolgt wurde und zu
konkreten Ergebnissen führte: Das Kernstück der Entspannungs- und Friedenspolitik von
Bundeskanzler Willy Brandt bildete der Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion über Gewaltverzicht und Anerkennung der
Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa. Im „Brief zur deutschen Einheit“ bekräftigte die
Bundesregierung einseitig ihren Wiederver-einigungs-anspruch. Im Warschauer Vertrag vom 7.
Dezember 1970 wurden die Beziehungen zu Polen normalisiert und die Oder- Neiße-Linie als
polnische Westgrenze anerkannt. Das Viermächte- Berlin-Abkommen vom 3. September 1971
bekräftigte den Status quo der Stadt. West-Berlin war zwar kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik
Deutschland, aber die „Bindungen“ zwischen ihnen sollten aufrechterhalten und weiterentwickelt
werden. Ermöglicht wurden „praktische Verbesserungen der Lage“, die die Teilung der Stadt
erträglicher und die Mauer durchlässiger machten. Insgesamt wurde die Berlin-Frage entschärft und
reguliert. Im Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 zwischen den beiden deutschen Staaten
wurden die deutsch-deutschen Beziehungen normalisiert. Die Einrichtung von Ständigen
Vertretungen wurde vereinbart. Es öffnete sich der Weg für eine Vielzahl von Einzelverträgen. Am 18.
September 1973 wurden die beiden deutschen Staaten in die UNO aufgenommen, beide Staaten
unterzeichneten am 1. August 1975 die KSZESchlussakte in Helsinki über Fragen der Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa.
Für seine „Politik der Versöhnung zwischen alten Feindbildern“ erhielt Bundeskanzler Willy Brandt
1971 als erster Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg den Friedens-nobel-preis. Zu diesem
Zeitpunkt waren die Vertragswerke jedoch noch nicht ratifiziert. Leidenschaftliche Debatten liefen in
Volk und Parlament um die Frage, ob die Wieder-ver-einigung durch die Anerkennung der Fakten
erschwert oder der Zugang zu den ehemaligen deutschen Ostgebieten in einem Europa
freundschaftlich verbundener Völker erleichtert werde. Die Regierungsmehrheit bröckelte, so dass
Oppositionsführer Rainer Barzel gute Chancen hatte, Brandt durch ein konstruktives
Misstrauensvotum abzulösen. Der Versuch scheiterte am 27. April 1972. Am 17. Mai 1972 billigte der
Bundestag bei Enthaltung der meisten Unionsabgeordneten die Verträge mit Moskau und Warschau.
In einer „interpretierenden Entschließung“ fügte das Parlament hinzu, dass diese Verträge nicht im
Widerspruch zur friedlichen Wiederherstellung der deutschen Einheit stünden. Vorgezogene
Neuwahlen ergaben eine noch deutlichere Mehrheit für die sozial-liberale Koalition und damit auch
die klare Unterstützung für die Ostpolitik der Regierung Brandt.
Niedergang der DDR : In der DDR hatte sich die große Mehrheit der Bevölkerung trotz
Kommandowirtschaft, Geheimpolizei, SED-Allmacht und strikter Zensur mit dem System arrangiert.
Dazu trug die staatlich geregelte und subventionierte und daher für den Einzelnen sehr preisgünstige
Grundversorgung bei. Eine vielfältige Lebensgestaltung war in Nischen des teilweise elastischen
Systems möglich. Große internationale Sporterfolge sorgten ebenso für Genugtuung der Werktätigen
wie der Umstand, dass die DDR trotz größter Reparationsleistungen innerhalb der Gemeinschaft
sozialistischer Länder schon bald die höchste Prokopf-Industrieproduktion und den höchsten
Lebensstandard vorweisen konnte.
Trotz der Propaganda wuchs in der Bevölkerung jedoch die Einsicht, dass die angestrebte
wirtschaftliche Überrundung des Westens Fiktion bleiben würde. Erschöpfung der Ressourcen und
Produktivitätsverluste durch Zentralismus und Planwirtschaft zwangen das DDR-Regime, Vorgaben
und Versprechungen zu strecken und immer wieder finanzielle Anleihen im Westen anzunehmen. Bei
den Konsumgütern herrschte das Prinzip der Improvisation. Vor allem für die junge Generation
wurde dieser Staat mit seiner umfassenden Bespitzelung und Dauerpropaganda fragwürdig. Es wuchs
das Verlangen nach Selbst- und Mitbestim-mung, nach individuellen Freiheiten sowie nach mehr und
besseren Konsumgütern.
Immer mehr Menschen kamen Mitte der Achtzigerjahre in die Ständige Vertretung der
Bundesrepublik in Ost-Berlin sowie in die deutschen Botschaften in Prag und Warschau, um nach
neuen Wegen zur Ausreise in die Bundesrepublik zu suchen. Das Streben nach Freiheit förderte von
1985 an der neue sowjetische Machthaber Michail Gorbatschow, der für Auflockerung, Vertrauen
und Transparenz stand. Die SED-Führung wollte sich indes von den Gorbatschow-Devisen
„Perestroika“ (Umgestaltung) und „Glasnost“ (Offenheit) nicht anstecken lassen.
Bereits 1987 griff Helmut Kohl bei einem Besuch Erich Honeckers in Bonn eine neue Perspektive für
die deutsch-deutschen Beziehungen auf, die sich aus dem Schwenk der Politik in Moskau ergab: „Wir
achten die bestehenden Grenzen, aber die Teilung wollen wir auf friedlichem Wege durch einen
Prozess der Verständigung überwinden.“
Weitere erfolgreiche Abrüstungs-verhand-lungen zwischen Ost und West verstärkten in der DDR die
Forderungen nach Reformen und mehr Freiheit. Anfang 1988 wurden bei Demonstrationen in OstBerlin 120 Anhänger der Friedensbewegung „Kirche von unten“ festgenommen. Für die Inhaftierten
hielt die Kirche einen Gedenkgottesdienst ab, an dem über 2.000 Menschen teilnahmen. Zwei
Wochen später kamen bereits 4.000 zur Gethsemanekirche, während die Polizei in Dresden eine
Demonstration für Menschenrechte, Meinungs- und Presse-freiheit auseinandertrieb.
Vom Sommer 1989 an gerieten die DDR-Strukturen in einen sich immer schneller drehenden Strudel.
Ungarn öffnete seine Grenzen für ausreisewillige DDR-Bürger, so dass Tausende von ihnen über
Österreich in die Bundesrepublik gelangen konnten. Dieser Ausbruch aus der Disziplin der
Warschauer-Pakt-Staaten ermutigte in der DDR immer mehr Menschen zu Protestaktionen. Sie
knüpften dabei an eine bescheidene Oppositionsbewegung an, die sich seit den Siebzigerjahren
vorwiegend im kirchlichen Raum ausgebreitet hatte. Als die DDR-Führung Anfang Oktober 1989 mit
großem Propagandaaufwand den 40. Jahrestag der Staatsgründung feierte, kam es vor allem in
Leipzig zu ersten Massenprotesten. „Wir sind das Volk“ war der Slogan. Anders als 1956 in Ungarn,
1968 in Prag und 1980 in Polen wurde sehr schnell klar, dass die Sowjetunion an einer gewaltsamen
Unterdrückung diesmal kein Interesse hatte. Das verstärkte den Druck auf den alten Apparat
zusätzlich. Aber selbst der Rücktritt Honeckers von der Staatsund Parteispitze und das „Wende“Versprechen seines Nachfolgers Egon Krenz vermochten die Auflösung nicht zu stoppen. Ministerrat
und Politbüro der SED traten geschlossen zurück.
Friedliche Revolution : Die „sanfte Revolution“ in der DDR bewirkte eine Art Lähmung der
Staatsorgane. Das SED-Politbüromitglied Günter Schabowski gab am Abend des 9. Novembers 1989
eine neue, freizügige Ausreiseregelung bekannt, die einen ungeheuren Erwartungsdruck der DDRBewohner und die Öffnung der Grenzüber-gangs-stellen in Berlin auslöste. Unbe-schreib-liche
Freudenszenen spielten sich in dieser Nacht auf den Grenzstraßen und auf dem West-Berliner
Kurfürstendamm ab, als die Mauer faktisch gefallen war. Der Regierende Bürgermeister Walter
Momper brachte die gesamtdeutsche Stimmung jener Tage zum Ausdruck: „Wir Deutschen sind jetzt
das glücklichste Volk auf der Welt.“
Der friedliche Umsturz in der DDR brachte die Chance zu der jahrzehntelang erstrebten und von
vielen nicht mehr für möglich gehaltenen Wiedervereinigung Deutschlands. Bundeskanzler Kohl
stellte am 28. November 1989 ein Zehn-Punkte-Programm vor, das über aktuelle Wirtschaftshilfe,
einen grundlegenden Wandel des politischen und ökonomischen Systems, eine
Vertragsgemeinschaft und konföderative Strukturen den Weg zu einem bundesstaatlich verfassten
wiedervereinigten Deutschland skizzierte. Die Opposition stimmte dieser Perspektive zu. Aber den
protestierenden und demonstrierenden Menschen in der DDR erschien diese Perspektive zu
langwierig. Längst waren die Rufe auf den Straßen von „Wir sind das Volk“ in „Wir sind ein Volk“
übergegangen. Am 15. Januar 1990 versammelten sich in Leipzig 150.000 Menschen unter der Devise
„Deutschland einig Vaterland“. Die Bürgerrechtsbewegung misstraute der neuen Regierung unter
Hans Modrow. Der Sog des Westens verstärkte sich von Woche zu Woche, die Destabilisierung der
DDR nahm rapide zu.
Freie Wahlen in der DDR : Erstmals seit 40 Jahren konnten die DDR-Bürger am 18. März 1990 frei
wählen. Auf die CDU und den Demokratischen Aufbruch (DA) entfielen 41,7 Prozent der Stimmen,
auf die SPD 21,9, auf die Deutsche Soziale Union 6,3, auf die Liberalen 5,9 und auf die bislang
allmächtige SED, die sich inzwischen in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) umbenannt
hatte, 16,4 Prozent der Stimmen. Das war ein Votum für eine beschleunigte Wiedervereinigung.
Lothar de Maizière trat an die Spitze einer Koalition aus CDU, DSU, DA, SPD und FDP. Mit ihm
vereinbarte die Regierung Kohl einen Fahrplan für eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum
1. Juli 1990. Für die Fortsetzung einer staatlich eigenständigen DDR gab es keine ökonomische Basis
mehr. Im August 1990 sprach sich die DDR-Volkskammer für den schnellstmöglichen Beitritt zum
Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland aus. Der Einigungsvertrag vom
31. August sah vor, dass die fünf neu gebildeten Länder Brandenburg, Mecklenburg- Vorpommern,
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland werden. In Moskau
unterzeichneten am 12. September 1990 die Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, der
DDR, der USA, der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs den „Vertrag über die
abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“, den so genannten Zwei-plus-vier-Vertrag, der am
2./3. Oktober von den KSZE-Außenministern in New York in einem Kommuniqué begrüßt wurde. Am
3. Oktober 1990 endete die Existenz der DDR. Die staatliche Einheit Deutschlands war wieder
hergestellt.
11) Die Wiedervereinigung
Nach der Öffnung der Mauer 1989 vergingen noch elf Monate bis zur Wiedervereinigung
Deutschlands. Sie entsprach dem Willen der Deutschen in beiden deutschen Staaten. In der ersten
(und letzten) freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 stimmten die Ostdeutschen mit großer
Mehrheit für die Parteien, die einen raschen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik forderten. Dieser
wurde im Sommer 1990, wie zuvor schon die deutsch-deutsche Währungsunion, zwischen beiden
deutschen Staaten vertraglich ausgehandelt. Parallel dazu verständigten sich die Bundesrepublik und
die DDR mit den vier Mächten, die Verantwortung für Berlin und Deutschland als Ganzes trugen, also
den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, im Zwei-plus-Vier-Vertrag
über die außen- und sicherheitspolitischen Bedingungen der deutschen Einheit.
Die deutsche Frage wurde 1990 gelöst im Sinne der alten Forderung „Einheit in Freiheit“. Sie konnte
nur im Einvernehmen mit allen Nachbarn gelöst werden, und das heißt auch: nur zeitgleich mit der
Lösung eines anderen Jahrhundertproblems, der polnischen Frage. Die endgültige, völkerrechtlich
verbindliche Anerkennung der polnischen Westgrenze an Oder und Neiße war eine Voraussetzung
der Wiedervereinigung Deutschlands in den Grenzen von 1945.
Das wiedervereinigte Deutschland ist seinem Selbstverständnis nach keine „postnationale
Demokratie unter Nationalstaaten“, wie 1976 der Politikwissenschaftler Karl Dietrich Bracher die
„alte“ Bundesrepublik genannt hatte, sondern ein postklassischer demokratischer Nationalstaat
unter anderen – fest eingebunden in den supranationalen Staatenverbund der Europäischen Union
(EU), in dem Teile der nationalen Souveränität gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten ausgeübt
werden. Von dem ersten deutschen Nationalstaat trennt den zweiten vieles – nämlich alles, was das
Bismarckreich zu einem Militär- und Obrigkeitsstaat gemacht hat. Doch es gibt auch Kontinuitäten
zwischen dem ersten und dem zweiten Nationalstaat. Als Rechts- und Verfassungsstaat, als Bundesund Sozialstaat steht das wiedervereinigte Deutschland in Traditionen, die weit ins 19. Jahrhundert
zurückreichen. Dasselbe gilt vom allgemeinen gleichen Wahlrecht und der Parlamentskultur, die sich
schon im Reichstag des Kaiserreichs entwickelt hatte. Unübersehbar ist auch eine räumliche
Kontinuität: Der Zwei-plus-Vier-Vertrag, die völkerrechtliche Gründungsurkunde des
wiedervereinigten Deutschland, hat die kleindeutsche Lösung, die getrennte Staatlichkeit für
Deutschland und Österreich, nochmals festgeschrieben.
Die deutsche Frage ist seit 1990 gelöst, aber die europäische Frage ist nach wie vor offen. Seit den
Erweiterungen von 2004 und 2007 umfasst die EU zwölf weitere Staaten, von denen zehn bis zur
Epochenwende von 1989/91 kommunistisch regiert wurden. Es sind allesamt Staaten, die zum alten
Okzident gehören – geprägt durch eine weithin gemeinsame Rechtstradition, durch die frühe
Trennung von geistlicher und weltlicher wie von fürstlicher und ständischer Gewalt, aber auch durch
die Erfahrung der mörderischen Folgen von religiöser und nationaler Verfeindung und Rassenhass.
Das Zusammenwachsen der getrennten Teile Europas erfordert Zeit. Es wird nur gelingen, wenn die
Vertiefung der europäischen Einigung mit der Erweiterung der Union Schritt hält. Vertiefung verlangt
mehr als institutionelle Reformen. Sie macht gemeinsames Nachdenken über die europäische
Geschichte und die Folgerungen notwendig, die sich aus ihr ergeben. Die Folgerung, die alle anderen
überragt, ist die Einsicht in die Allgemeinverbindlichkeit der westlichen Werte, an ihrer Spitze der
unveräußerlichen Menschenrechte. Es sind die Werte, die Europa und Amerika gemeinsam
hervorgebracht haben, zu denen sie sich bekennen und an denen sie sich jederzeit messen lassen
müssen.
12) Begrifflichkeiten „Bonner Republik“ und die „zweite Republik“
Die Bezeichnung des westdeutschen Teilstaates von 1949 bis 1990 als Bonner Republik etablierte sich
gleichzeitig mit dem Begriff Berliner Republik für die folgende geschichtliche Phase. Die Analogie zu
dem Begriff der „Weimarer Republik“, der sich lediglich auf den Ort der Verfassungsgebung bezog,
lässt sich damit begründen, dass es sich gleichwohl „seit der Weimarer Zeit […] in Deutschland
eingebürgert [hat], die demokratisch verfassten Republiken jeweils mit dem Namen der Stadt zu
bezeichnen, in der Regierung und Parlament ihren Sitz haben“.
Vor der Wende war „zweite Republik“ eine weitere bekannte Bezeichnung für diese Zeit. Mit der
„ersten Republik“ ist wiederum die Weimarer Republik gemeint. Zuweilen wird auch von der „alten
Bundesrepublik“ in Abgrenzung zur „Berliner Republik“ ab 1990 gesprochen.
13) Berliner Republik (1990–Gegenwart)
Laut Art. 1 Absatz 1 des Einigungsvertrags wurden mit dem Wirksamwerden des Beitritts der
Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 des
Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen,
Sachsen-Anhalt und Thüringen („neue Bundesländer“) Länder der Bundesrepublik Deutschland. Die
Vier Mächte hatten mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 die Hoheitsbefugnisse
abgegeben, und durch das Inkrafttreten am 15. März 1991 konnte das wiedervereinigte Deutschland
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die volle staatliche Souveränität wiedererlangen.
Im Rahmen der Wiedervereinigung sollten bis Ende 1994 die fremden Militäreinheiten weitgehend
durch den Vertrag vom 12. Oktober 1990 das Land verlassen – die noch verbliebenen der
Westalliierten haben keinerlei Hoheitsbefugnisse mehr und unterliegen dem NATO-Truppenstatut.
Deutschland verpflichtete sich zur Abrüstung auf maximal 370.000 Soldaten. Mit dem am 14.
November 1990 in Warschau unterzeichneten deutsch-polnischen Grenzvertrag wurde die OderNeiße-Linie eine anerkannte Grenze und das Territorium östlich davon endgültig völkerrechtlich
Polen zugesprochen. Im Januar 1997 folgten Deklarationen zur Aussöhnung mit der Tschechischen
Republik.
Mit einer knappen Mehrheit von 338 zu 320 Stimmen beschloss der Bundestag am 20. Juni 1991,
Bonn als Regierungssitz aufzugeben und Regierung und Parlament nach Berlin zu verlegen. Durch die
Umsetzung des Berlin/Bonn-Gesetzes ist neben der Hauptstadt Berlin die Bundesstadt Bonn zweites
politisches Machtzentrum Deutschlands. Dort verblieben die ersten Dienstsitze von sechs
Bundesministerien; alle anderen haben ihren Zweitsitz in Bonn. Die Mehrzahl der
Ministeriumsbeschäftigten arbeiten vereinbarungsgemäß dort; zahlreiche Bundesinstitutionen sowie
drei Verfassungsorgane haben ihren Dienstsitz in der Bundesstadt.
Der neue Sitz des Deutschen Bundestags ist das von Grund auf renovierte Reichstagsgebäude in
Berlin, in dem erstmals am 19. April 1999 wieder eine Parlamentssitzung stattfand. Bereits zu WestBerliner Zeiten, bis in die 1970er-Jahre, tagten dort oftmals das Plenum und einige Ausschüsse; auch
der Bundespräsident wurde dort von 1954 bis 1969 gewählt. Seit September 1999 ist die
Bundesregierung in Berlin angesiedelt.
Die 1990er-Jahre waren nach dem kurzen Boom der Wiedervereinigung von geringer wirtschaftlicher
Dynamik, Massenarbeitslosigkeit und wahrgenommenem „Reformstau“ geprägt. Insbesondere in
den neuen Bundesländern entwickelte sich die Wirtschaft nicht wie erhofft und angekündigt.
Mehrere Reformvorhaben der Bundesregierung scheiterten an der rot-grünen Mehrheit im
Bundesrat. Außenpolitisch setzte sich Kohl für eine stärkere Zusammenarbeit im Rahmen der
Europäischen Union und zum Beispiel für die EU-Osterweiterung ein. Als 1991 die SFR Jugoslawien zu
zerfallen begann, war Deutschland eines der Länder, welches die Anerkennung der Unabhängigkeit
von Kroatien und Slowenien durch die westlichen Staaten massiv unterstützte. Eine direkte
Teilnahme am Zweiten Golfkrieg zur Befreiung Kuwaits lehnte die Bundesregierung mit Blick auf die
historische Last ab. Stattdessen leistete Deutschland finanzielle Unterstützung und ersetzte
Marineeinheiten der NATO-Partner im Mittelmeer. Nach Beendigung der Kämpfe half ein Verband
der Bundesmarine bei der Räumung von Seeminen im Persischen Golf.
Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte kam es in Folge der Bundestagswahl 1998 zu einem
vollständigen Regierungswechsel. Die bisherigen Regierungsparteien CDU/CSU und FDP verloren ihre
Bundestagsmehrheit, die bisherigen Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen bildeten
die erste Rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Bei der Bundestagswahl 2002
wurde die Bundestagsmehrheit von SPD und Grünen knapp bestätigt.
Die Rot-Grüne Koalition setzte erste Ansätze für umfassende Veränderungen in der Sozial-, Rentenund Gesundheitspolitik (Agenda 2010) durch. Mittels der Einnahmen aus der umstrittenen Ökosteuer
gelang es, die Lohnnebenkosten (Rentenversicherungsbeiträge) zu reduzieren. Allgemein wurde das
Thema Ökologie stärker gewichtet, beispielsweise mit dem Beginn des Atomausstiegs oder
Gesetzesinitiativen zur Reduzierung von Treibhausgasen. Andere Reformen der rot-grünen Regierung
waren etwa das Lebenspartnerschaftsgesetz, das neue Staatsbürgerschaftsrecht oder und das
Gewaltschutzgesetz. Während Schröder für einige Bundesratsabstimmungen CDU-regierte Länder
durch Zugeständnisse dazu bewegen konnte, im Sinne der Bundesregierung abzustimmen,
scheiterten andere Reformvorhaben von Rot-Grün, wie das Verbraucherinformationsgesetz, an der
CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat.
Der erste Kampfeinsatz deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg – 1999 im Kosovokrieg –
markierte einen Wendepunkt der deutschen Außenpolitik. Nach dem Anschlag auf das World Trade
Center in New York 2001 garantierte Bundeskanzler Schröder den USA die „uneingeschränkte
Solidarität“. Deutschland unterstützte die „Operation Enduring Freedom“ und den Krieg in
Afghanistan. Deutschland beteiligte sich im Jahre 2003 nicht am Irakkrieg. Dies führte zu Konflikten
vor allem mit den USA, aber zu großen Sympathiebekundungen aus der deutschen Bevölkerung
gegenüber dem „Friedenskanzler“ Schröder. Die Bundeswehr sicherte die Seewege am Horn von
Afrika, entsandte ABC-Spürpanzer nach Kuwait und zog gemäß ihren internationalen Verpflichtungen
deutsche Soldaten nicht aus NATO-AWACS-Flugzeugen ab. Letzteres erkannte das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 7. Mai 2008 wegen Verletzung der Rechte des
Bundestages als verfassungswidrig.
Die Hartz-IV-Gesetzgebung von 2004 hatte das Ziel, den Arbeitsmarkt zu beleben. Es wuchsen die
Proteste gegen eine – insbesondere durch die direkt Betroffenen – als sozial ungerecht empfundene
Politik, die Kritiker nicht von der SPD erwartet hatten. Nach durch Rot-Grün verlorenen
Landtagswahlen in den Jahren 2004 und 2005 stellte Bundeskanzler Schröder schließlich am 1. Juli
2005 im Bundestag die Vertrauensfrage nach Art. 68 GG mit dem Ziel, diese absichtlich zu verlieren.
Daraufhin löste Bundespräsident Horst Köhler den 15. Deutschen Bundestag auf und setzte
Neuwahlen für den 18. September 2005 an. Da diese Wahl kein Ergebnis zugunsten einer der
angestrebten Koalitionen (SPD/Grüne und Union/FDP) ergab und alle Versuche, eine andere
Dreiparteienregierung zu bilden, scheiterten, einigten sich CDU/CSU und SPD auf die Bildung einer
Großen Koalition unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU).
Am 27. September 2009 fand die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag statt. Die beiden
Unionsparteien und die FDP erreichten zusammen die notwendige Mehrheit für die von beiden
Seiten angestrebte Bildung einer schwarz-gelben Koalition. Dies war vor allem aufgrund der
Stimmenzuwächse der FDP möglich, da die CDU wiederum an Stimmen verlor.Merkel blieb
Bundeskanzlerin; Guido Westerwelle (FDP) wurde Außenminister und Vizekanzler. Am 16. Mai 2011
ernannte Merkel Philipp Rösler zu ihrem neuen Stellvertreter.
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