Bernt Pölling-Vocke Blumenmorgen 22 49090 Osnabrück [email protected] Von Leben und Tod Bernt Pölling-Vocke, 25.02.2001 Er wälzte sich vom Bett von der einen zur anderen Seite. Zwar hatte er einen harten Arbeitstag hinter sich und war, als er weit nach Sonnenuntergang endlich seinen Wagen in seine Einfahrt fuhr, fest der Überzeugung, dass er eines Tages an einem Herzinfarkt sterben würde, wenn er nicht endlich seinen Job an den Nagel hängen und sich nach einer Anstellung mit humanen Arbeitszeiten umsehen würde, aber trotz allem faszinierte ihn sein Job noch immer nach all den Jahren, auch wenn er indirekt sicherlich eine Mitschuld an seiner gescheiterten Ehe hatte. Es war eigentlich eine recht ruhige Nacht, aber in seinem Kopf schwirrten schon wieder die unzähligen Projekte der nächsten Wochen, Projekte, die ihn und seine Abteilung wieder bis über alle akzeptablen Maße auslasten würden und für deren Erledigung es am Ende doch wieder nichts als neue Projekte zur Belohnung gab. Wach im Bett liegend, müde von den 14 Stunden im Büro aber aufgeregt wie ein kleines Kind vor Weihnachten wegen der großen Präsentation des letzten Projektes am heutigen Nachmittag, an dem sie fast einen Monat gearbeitet hatten, blickte er zu seiner Digitaluhr auf dem Nachtschrank, die als einzige Lichtquelle im ganzen verdunkelten Raum ein futuristisch wirkendes rötliches Licht abwarf. 3:11, knapp 4 Stunden, bevor der Wecker ihn wecken würde, wenn er nicht schon aufgestanden war, knapp 3 Stunden, nachdem er sich im Anschluss an ein Eishockeyspiel im Fernsehen ins Bett geworfen hatte, wobei er, bedingt durch seinen langen Arbeitstag, einmal wieder das erste Drittel verpasst und seine Mannschaft dies mit 4:0 für sich entschieden hatte und in den letzten beiden Dritteln gar nichts mehr passierte. Und wenn es nicht die Arbeit wäre, die ihn irgendwann ins Jenseits schicken würde, dann wäre es bestimmt seine Ernährung, denn seitdem seine Frau ihn mitsamt ihren beiden Kindern verlassen hatte, war die Küche eigentlich nicht mehr benutzt worden, es sei denn, man wertet das Aufwärmen von bestellten Pizzen vom Vortag als aktive Küchennutzung. In wenigen Wochen würde sich die Scheidung zum fünften Mal jähren, und außer Kantinenfraß (ganz im Sinne des Shareholdervalues wurde vor einigen Monaten die halbe Küchenmannschaft wegrationalisiert, höhere Dividenden für die Aktionäre schlagen also doch direkt auf den Magen der Beschäftigung) und Fast-Food hatte es seitdem in seinem kulinarischem Leben nicht viel gegeben. Sport treiben, Salat mampfen wie ein Kaninchen, alle guten Vorsätze scheiterten letzten Endes an seinem Job, und wenn er ehrlich war, konnte er auch gut damit leben, zumindest, bis um 3:14 plötzlich die Haustürklingel gedrückt wurde. Er blickte auf die Uhr und lauschte für einige Sekunden, ob er irgendwelche Geräusche erhaschen konnte, vielleicht waren es wieder die verdammten Von Leben und Tod, Bernt Pölling-Vocke 2001 Nachbarsjungen, die ihre Schulferien dazu nutzen, die gesamte Nachbarschaft ordentlich zu nerven, aber er konnte nichts hören. Stille, nichts als Stille, wer auch immer die Klingel im Erdgeschoss direkt unter seinem Schlafzimmer gedrückt hatte, stand entweder immer noch dort oder war entflogen. Hatte er sich das Klingeln nur eingebildet? Vielleicht arbeitete er doch zuviel, wenn man anfing, Geräusche zu hören, die es nicht gab, war dies sicherlich kein allzu gutes Indiz, vielleicht sollte er in der heutigen Mittagspause zumindest den ersten Schritt zum gesunden Kaninchendasein machen und das magere Salatbuffet in der Kantine abgrasen, es wäre immerhin ein Anfang, der sich im Laufe der Zeit auch gut für seine arg geschundene Figur auswirken würde. Wenn er morgens seine dick mit Schmierkäse beschmierten Bagels verschlang und an der Wand die Fotos von sich als Quarterback seiner College-Mannschaft vor vielen Jahren sah erblickte er einen jungen, gut aussehende und gut gebräunten athletischen Studenten, wenn er heute in den Spiegel blickte, versuchte er mit teuren Krawatten und noch teureren Anzügen so viel an der im Grunde genommen fetten und im Laufe der Zeit auch eher haarlos gewordenen Figur aufzubessern, wie nur möglich war. Irgendwer hatte mal gesagt, dass man spätestens dann seine Ernährung umstellen muss, wenn man seine eigenen Füße nicht mehr sehen kann. Nach dieser Faustregel gehend war er ein hoffnungsloser Fall, selbst wenn er einen Football kicken würde, wäre die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass er nicht viel mehr als seinen großen Zeh erblicken würde. Und jetzt mach endlich die verdammten Augen zu, sonst stehst du den langen Tag nicht, "Dingdong", oh Gott, 3:16, wer auch immer vor zwei Minuten schon einmal geklingelt hatte schien es ernst zu meinen. Sollte er die Polizei rufen? Wegen der Nachbarjungen? Wenn es Einbrecher wären, hätte ein Blick vor das Haus gereicht, um sein Auto zu sehen, selbst debile Einbrecher würden sich jetzt in der Ferienzeit ein anderes Haus aussuchen. Wieder lauschte er angestrengt in die schon fast beängstigende Stille. Nichts! Wenn er jetzt morgen Abend auch noch früh das Büro verlassen würde und es einmal mit dem Betriebssport probieren würde, dazu den Salat am Mittag, "Dingdong", wieder klingelte es an der Tür. Es half wohl alles nichts, wenn er nicht bis um sieben Uhr alle zwei Minuten das Geräusch seiner Haustürklingel hören wollte, musste er wohl einen Blick auf seinen nächtlichen Besucher werfen. Aber wer zum Geier könnte nachts um kurz nach drei vor seiner Haustür stehen und in einer geradezu anmaßenden Ruhe alle paar Minuten die Stille mit einer kleinen Fingerbewegung unterbrechen? Ein Staubsaugervertreter würde wohl kaum in Frage kommen, vielleicht waren es doch die Nachbarskinder, die ihn, um den Witz noch zu unterstreichen, mit Wasserpistolen oder sonstigem beschießen würden und dann lachend davon laufen würden, aber selbst dafür gab es bessere Zeiten als halb vier nachts an einem normalen Wochentag. Einen kleinen Kraftakt später hatte er seinen einstmals top durchtrainierten Körper vom Bett erhoben und sich in Richtung Schlafzimmertür in Bewegung gesetzt, "Dingdong", meine Güte dachte er sich, ich komme doch (und haue dir aufs Maul...)! Die Holztreppe knartschte, als er sich ohne das Licht anzumachen nach unten bewegte, falls möglich wollte er den nächtlichen Störenfried überraschen, aber was, Von Leben und Tod, Bernt Pölling-Vocke 2001 wenn es wirklich ein Irrer war, ein Nachahmer der zur Zeit arg beliebten HollywoodTeeny-Horrorstreifen wie Scream, der ihn einfach nur erledigen und ihn erstmals seit Jahren wieder in die Zeitung bringen würde (jedoch nicht ruhmreich mit 4 Touchdown-Pässen sondern ganz einfach mit "Unerklärlicher Mord in der letzten Nacht und so weiter")? Sicherheitshalber machte er einen kurzen Umweg durch die Küche und schnappte sich eines der großen Messer aus der Besteckschublade, wenn der Typ da draußen keine sonderlich plausible Erklärung für sein Gebaren haben würde, würde er ihn erst einmal ins Wohnzimmer schleifen und den Spieß umdrehen, wer auch immer es war, beeindrucken konnte er ihn nicht sonderlich. Und wenn es mehrere sind? Sie haben ja auch mehrmals geklingelt? Stop jetzt, einfach einen Fuß vor den anderen, nur noch wenige Schritte bis zur Haustür. Angestrengt lauschend baute er sich hinter der hölzernen Eingangstür seines Hauses auf, umgriff das Messer fest mit seiner linken Hand und legte die rechte Hand auf die Türklinke der unverschlossenen Tür, wer auch immer da draußen vor seiner Tür stand, hätte sie auch einfach öffnen können, der letzte Einbruch in diesem Stadtteil war vor der Erfindung des Farbfernsehens gewesen und er hatte es nur als Zeitverschwendung erachtet, sein Haus abzuschließen. Ein letztes Mal lauschte er in die Stille, fest entschlossen die Tür mit einem Ruck aufzureißen, als ein weiteres "Dingdong" über seinem Kopf erscholl und ihm im Kopf dröhnte. Wut stieg in ihm auf, er riss die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen, als er die Person sah, die da vor seiner Haustür an einen der Balkonpfoten angelehnt stand. Die schwarze Kutte des Mannes streifte über den Boden, in den Händen hielt die Person jedoch nichts, so dass zumindest keine direkte Gefahr von ihr auszugehen schien. Durch das Aufreißen der Wohnungstür war die mit einem Bewegungsmelder über der Tür angebrachte Lampe angegangen, die sich automatisch nach einigen Minuten abschaltete. Während er also zuerst an Phantomgeräusche geglaubt hatte und sich dann über den Umweg der Küche zur Haustür geschlichen hatte, war Kuttenmann regungslos vor seiner Tür und gemütlich angelehnt an den Pfosten verharrt, so dass nicht einmal der Bewegungsmelder ihn registriert hatte oder nach einigen Minuten der Bewegungsstille einfach ausgegangen war. Außer einer Kutte schien der fremde Mann nichts zu tragen, aber als er das freundliche Grinsen im leicht gealterten und etwas unrasierten Gesicht des Fremden sah, glaubte er doch wieder an seine Mördervisionen, wahrscheinlich war es ein mit Drogen vollgepumpter Irrer, der einfach nur in bester Scream-Manier gute Mitbürger abmurksen wollte und vor lauter Crack oder Hasch sein Messer zu Hause oder in der Brust des letzten Opfers vergessen hatte. Vielleicht war er ja zuvor bei der nervigen alten Schrulle von nebenan mit ihren 5 Kötern gewesen? Hätte er jetzt eine Bibel in der Hand getragen hätte er vielleicht geglaubt, dass es einer der reisenden Vertreter irgendeiner Sekte gewesen wäre, bei Sekten konnte man ja nie so genau wissen, was sie im Schilde führten, und Gruppierungen, die dumm genug waren, sich in Waco selbst abzufackeln oder sich zum Milleniumwechsel in den Freitod stürzten, um von Außerirdischen auf einem Kometen mitgenommen zu werden, hatten sicherlich auch Vertreterbesuche um drei Uhr morgens in ihrer Agenda. Für einige Sekunden standen sie sich wortlos gegenüber, der grinsende Kuttenmann und unser Ex-Footballstar, der jetzt in seinem lächerlichen Nachtgewand mit einem langen Küchenmesser in der Hand eher wie Homer Simpson aussah als wie der Manager mit fast sechsstelligem Jahresgehalt, der er tatsächlich war. Von Leben und Tod, Bernt Pölling-Vocke 2001 "Guten Tag, oder besser gesagt gute Nacht, ich habe einen vollen Terminkalender, konnte es also leider nicht zu einem genehmeren Termin schaffen", durchbrach der fremde Kuttenmann die nächtliche Stille, wobei das Grinsen sein Gesicht nie verließ und er völlig regungslos in seiner tiefschwarzen, gar unendlich schwarzen Kutte an den Dachpfosten gelehnt vor der Tür stand. Jetzt reichte es ihm endgültig: wenn der Fremde ein armer Irrer war, der ihn abmurksen wollte, gut, damit hätte er leben und fertig werden können, aber ein offensichtlicher Trottel in einer Kutte mit beträchtlicher Überlänge, die jeden Staubsauger überflüssig machen würde, und einem Grinsen wie die durchtrainierten Muskelmonster, die im nächtlichen Fernsehprogramm vor Glückshormonen sprudelnd Fitnessgeräte verkaufen wollten, die in nur 5 Minuten täglicher Arbeit selbst einen Sofasportler wie ihn in einen Arnold Schwarzenegger verwandeln würden (selbstverständlich in nur 30 Tagen), das verschlug ihm die Sprache. "Gestatten Sie, ich bin Tod", sagte Kuttemann, als er darüber nachdachte, wie er diese unendlich verwirrte Gestalt am Besten von seinem Grundstück verjagen konnte, ohne gleich die Polizei rufen zu müssen oder die Nachbarschaft aus den Betten zu brüllen. "Tod" nutzte die momentane Unentschlossenheit seines Gegenübers und flutschte an ihm vorbei in dessen Wohnzimmer, übelerweise auch noch einige Blätter und anderen Unrat mit seiner Kutte ins Wohnzimmer schleifend. Jetzt wurde es ihm wirklich zuviel, "Es ist mir wirklich egal, wer sie sind, wo sie herkommen und was sie wollen, aber es ist mir nicht egal, wohin sie gehen, und wenn sie nicht in kleinen Appetithappen in meiner Gefriertruhe enden wollen, würde ich ihnen raten, mitsamt ihrem Vampirgewand ihren Hintern von meinem Grundstück zu entfernen" fuhr es lauter als er es wollte aus ihm heraus, aber Tod setzte sich nur seelenruhig auf seinen Lieblingsplatz auf dem Sofa und nahm sich ein Stück der mittlerweise kalten Pizza vom Wohnzimmertisch. "Ich hatte einen langen Tag, zwar ist Salamipizza normalerweise nicht mein Fall und auch nicht sonderlich gesund, aber als Tod bin ich zumindest BSE-immun", sagte Kuttenmann, der nicht einmal die Freundlichkeit besaß, seine Kopfbedeckung im Haus abzunehmen, und fing an, an seiner Pizza zu knabbern, die ihm eigentlich noch als Frühstück dienen sollte. "Nehmen Sie die Pizza und verschwinden Sie sofort, sonst werden sie sich nicht mit mir, sondern mit der Polizei unterhalten müssen" fuhr es erneut aus ihm heraus, wobei er mit seinem Messer wild in der Luft herumfuchtelte und sich vornahm, schon zum Frühstück einen Salat bei einem der Fastfood-Restaurants auf dem Weg zur Arbeit zu kaufen, warum nicht schon früher als geplant mit dem Lebenswandel anfangen, wenn schon aus gesundem Schlaf nichts wurde? "Setzten Sie sich erst einmal, trinken Sie einen Tee, wenn Sie gerne Tee trinken, knöpfen Sie erst einmal ihren Schlafanzug zu, ist ja ekelhaft, und lassen sie uns zur Sache kommen, ich bin schließlich nicht zum Spaß hier, schließlich bin ich Tod", sagte Kuttenkasper zwischen dem ersten und zweiten Stück der Pizza, offensichtlich war sein Magen so leer wie sein Hirn hohl. Er wußte wirklich nicht, was er mit seinem nächtlichen Besucher anfangen sollte, der gar nicht auf ihn einging und ihn auch noch aufforderte, mit ihm netten Smalltalk um halb vier morgens zu machen, während er sein Frühstück vernichtete und dazu auch noch seinen Lieblingsplatz eingenommen hatte. "Noch nicht, aber bald...", kam es nur aus seinem Mund gemurmelt als er klein beigab, seinen Schlafanzug zuknöpfte, was auch gleich ein bestätigendes Nicken der Kutte zur Folge hatte, und setzte sich seinem nächtlichen Besucher gegenüber, fest entschlossen, ihm gut zuzureden und innerhalb von wenigen Minuten wieder vor der Tür zu haben. Von Leben und Tod, Bernt Pölling-Vocke 2001 "Nein, Sie verstehen nicht, ich bin Tod, nicht tot", das Lächeln wurde noch breiter, praktisch von einem Ohr bis zum anderen, als hätte Kuttentrottel gerade einem Zehnjährigen erklärt, wieso Flugzeuge Flugzeuge heißen. "Es ist 3:25, ich muss in dreieinhalb Stunden aufstehen, habe einen langen Arbeitstag vor mir und zu Ihrem Glück ein gutes Gemüt, würden Sie jetzt bitte endlich gehen, meinetwegen können Sie sich die Putzarbeit wegen der Blätter, die Sie mit ihrem Teppich hier reingeschleppt haben, auch sparen, ich werde sonst noch verdammt ungemütlich, verdammt ungemütlich!" Es reichte langsam wirklich mit diesem nächtlichen Gast, dem offensichtlich der Appetit langsam verging, zumindest pulte er die Salamischeiben vom dritten Pizzastück. "Man weiß ja nie, sicher ist sicher", murmelte Kutty dazu und biss erneut breit grinsend in die Pizza. "Worum es eigentlich hier geht, ist ganz einfach,", begann Kutty trotz des Kauens der Pizza klar artikuliert zu sagen, "ich bin Tod und sie sind bald tot, und weil das manchmal für die jeweiligen Individuen etwas plötzlich kam, hat Gott sich vor ein paar Jahren überlegt, dass man zumindest für diejenigen Menschen, die eines natürlichen Todes sterben, eine Art Informationsservice errichten kann, Sie wissen ja: Kundenfreundlichkeit ist alles! Dass spart dann auch an der Himmelspforte wieder Zeit, Petrus steht ziemlich im Stress, und wenn er dann auch noch den überraschend dahingerafften ausführlich erklären muss, dass sie tot sind, naja, er hatte halt die Schnauze ziemlich voll davon, wurde auch ein wenig monoton mit der Zeit, und deswegen bin ich halt als Außendienstmitarbeiter unterwegs und sage eben vorher Bescheid. Wegen der Hungersnot und Aids in Afrika sind es oben an der Himmelstür teilweise schon Zustände wie an den Vorverkaufsstellen für Britney Spears Konzerte, und Petrus wird ja auch nicht jünger". Nachbarskinder, verrückte Mörder, einen Sektenvertreter, mit allem hatte er gerechnet, aber was Kutty ihm da gerade gesagt hatte, war doch einfach zu bescheuert, um wahr zu sein, und bevor er etwas sagen konnte, ergriff die grinsende Kutte wieder das Wort: "Für Sie macht es auch keinen großen Unterschied, noch vor einigen Jahren wären Sie einfach um 4 Uhr gestorben, aus und vorbei, Herzinfarkt, weiß der Geier was, habe Ihre Informationen aus der Kundendatenbank auch nicht im Kopf, erst wenn Bill Gates gestorben ist, werden wir oben auch mal vernünftige Verwaltungsprogramme haben, im Moment steigt da außer Maria keiner durch, die muss aber den ganzen Tag an den Herd, Gott ist da noch ein wenig altmodisch, also weiß keiner genau, wo´s langgeht, außer natürlich unter die Erde in Ihrem Fall". Jesus, Maria, Josef, noch ein Stück Pizza, Blätter auf seinem Teppich, dieses Grinsen, träumte er schlecht? Und wie spät war es eigentlich? 3:35? Hatte Kutty nicht etwas von vier Uhr im Zusammenhang mit seinem Tod, Moment! Pause hier: seinem Tod? Jetzt musste erst einmal einiges klargestellt werden: "Lieber Herr Tod oder wie auch immer ich Sie nennen soll, zwar ist das Gespräch mit Ihnen recht amüsant, aber zum einen sind sie bei mir an der falschen Adresse, und zum anderen bin ich eh Atheist und habe insoweit gewisse Probleme, Ihnen zu folgen, ich werde Ihnen auch nicht folgen, wenn Sie aus meiner Tür ´raus sind, was jetzt hier einmal wieder auf der Tagesordnung ein wenig nach oben rutschen sollte....". "Habe ich Gott ja gleich gesagt, dass das mit der kundenfreundlichen Tour nichts wird, jeden Tag dasselbe, kein Wunder, dass man nicht mal Zeit hat gesund zu essen und sich von kalten Pizzen ernähren muss. Wenn Sie einfach um 4:01 vor der Himmelspforte gestanden hätten, gäbe es nicht viel zu diskutieren, aber nein, wir glauben ja nicht an Himmel&Gott, wir nehmen uns ja nicht ernst, vielleicht sollte ich mal bei Gott Einspruch gegen diesen Mist erheben und Petrus macht das dann wieder alleine, schließlich ist der alte Sack ja derweil Von Leben und Tod, Bernt Pölling-Vocke 2001 unsterblich....", jetzt war sein nächtlicher Besucher sichtlich genervt. "Fakt ist auf jeden Fall, dass Sie in wenigen Minuten tot sind, ob Sie nun wollen oder nicht, der Herr hat so gesprochen, eigentlich auch nicht, das macht derweil ein Zufallsgenerator, der Herr wurde dem nach einigen Jahrhunderten überdrüssig, außerdem vermehrten sich die Menschen ja auch wie sonst was und ohne zünftige Kriege stieg die Anzahl der natürlichen Tode ja auch ins Unermessliche, dabei hatte es doch alles so nett, klein und überschaubar angefangen, bis die dumme Schlange ins Spiel kam, da hätte man sich auch einen der sieben Tage sparen und die Mistviecher sein lassen können!". Er wusste wirklich nicht, was er jetzt sagen sollte, auf jeden Fall konnte er seinem Besucher die Reste seiner Pizza nicht mehr anbieten, bis auf einen Haufen Salamischeiben war derweil alles von seiner Kingsize-FamilyPizza vertilgt, und ein einfacher Rausschmiss würde mit Kuttenmann oder Tod auch nicht möglich sein, dafür war dieser viel zu abgeklärt und, naja, irgendwie trotz allem seriös. Er blickte auf die Uhr über dem Fernseher, 3:42, 18 Minuten vor vier Uhr. Was soll´s, dachte er sich, spiele ich das Spiel mal mit. "Hat man noch so etwas wie ein gewisses Einspruchsrecht gegen diese Zufallsauswahl oder ist das bei Euch totalitär geregelt und die lebenden Fasttoten müssen sich nur noch nachts aus dem Bett klingeln lassen, bevor sie dann tot umfallen?" Irgendwie amüsierte ihn die Unterhaltung schon. "Haben Sie vielleicht noch etwas zu trinken? Eine kalte Cola vielleicht? Ich war gerade eben bei einem Araber, der nur Tee da hatte, und bei der ganzen Hetzerei wäre etwas Kühles mal angebracht!", erwiderte sein Gesprächspartner nur, woraufhin er sich vom Sofa erhob und Tod aus dem kleinen Wohnzimmrkühlschrank eine Dose Dr. Pepper zuwarf, das ekelige süße Zeug trank einer seiner Kollegen immer, mit dem er abends oft noch zu Hause an Projekten arbeitete und der auch einen Privatvorrat bei ihm im Kühlschrank angelegt hatte. "Vielen Dank, um auf die Frage zurück zu kommen: allein aus logistischen Gründen ist kein Einspruchsrecht vorgesehen, wie würden wir denn eine ausreichende Sterbensquote erreichen, wenn ich die ganze Zeit herumreisen müsste, bis ich endlich mal jemanden finde, der nicht herumnörgelt, nur weil er sterben soll? Soll ich vielleicht wie ein Reisebürovertreter Hochglanzprospekte vom Himmel mit mir rumschleppen, um einen ewigen Aufenthalt im Robinson Club anzupreisen? Außerdem wäre es dann auch verdammt schwer, diesen ganzen Zirkus geheim zu halten, schließlich wollen wir ja auch die Religionsvielfalt erhalten, und was wäre wohl los, wenn alle Inder plötzlich wüssten, dass das wahre Buch doch die Bibel war? Oder die Araber erst? Es gäbe auch keine Religionskriege mehr, noch mehr natürliche Tote kämen auf uns zu, also nein, schlagen Sie das Gott oder sonst jemandem bloß nie vor, das würde auch dem Tod die ganze Vielfalt auf Erden rauben, würde es mir allerdings ersparen, als Mohammed verkleidet zu den ganzen Arabern zu reisen, die würden mir die Bibelgeschichte mit Petrus&Maria ja nie abnehmen und mich außerdem sofort erdolchen, wenn ich nicht glaubwürdig rüberkäme", sprudelte es aus Tod nur so hervor, 3:48 war des derweil. "Natürlich würde das Erdolchen auch wieder nicht funktionieren, aber das sind nur nebensächliche und in der Praxis kurzfristig verwirrende technische Details, wie Sie sich denken können.". 3:49, noch 11 Minuten bis 4 Uhr. "Sie wollen mir jetzt also allen Ernstes erzählen, dass, ganz egal, was ich mache, der Tod mich in 11 Minuten ereilen wird, nur weil ein Zufallscomputer, den keiner bedienen kann, im Himmel entschieden hat, dass ich dran bin? Ich meine, ich lebe nicht gesund oder so und Von Leben und Tod, Bernt Pölling-Vocke 2001 wäre sicherlich ein prädestinierter Kandidat, aber einfach so?" "Oh ja, ungesund leben sie schon, und wenn Maria sich nicht mal von Gott weggeschlichen hätte und ein wenig herumprogrammiert hätte, wäre ihr Gewicht nicht einmal ein die Sterbenswahrscheinlichkeit erhöhender Faktor, aber sonderlich viel machen können Sie nicht, "einfach so" ist auch ein wenig banal, schließlich ist es ein schöner Herzinfarkt, das muss man schon würdigen, da gibt´s Unangenehmeres, wie ich aus Erfahrung zu berichten vermag!". "Du unglaublicher Trottel!", ertönte es plötzlich aus Richtung der noch immer offen stehenden Tür. Im Türrahmen stand in einer strahlend weißen Kutte mit modischen Bügelfalten ein weiterer nächtlicher Eindringling in die bis dahin normale Welt von ihm. Im Vergleich zu Tod war die neue Gestalt wesentlich besser gepflegt und offensichtlich frisch rasiert, aber was war jetzt hier los? "Wer sind Sie!" entfuhr es ihm, er sprang auf und ging auf die Tür zu. Irgendwann war es einmal genug mit diesen Spielchen hier. "Ich? Ich bin Leben, aber darum würde ich mich an ihrer Stelle nicht kümmern, es ist 3:55 und da sollten Sie wirklich andere Probleme haben, an denen der Depp auf Ihrem Sofa da einiges an Mitschuld trägt!" Jetzt wurde es Tod zuviel und auch er sprang vom Sofa auf, schüttete dabei seine Dr. Pepper über seine Kutte und fluchte leise vor sich hin, bevor er sich an Leben wandte: "Hast du nichts Besseres zu tun als mich hier zu beschimpfen? Gibt´s nicht genug Neugeborene, denen du erst mal verklickern musst, was auf sie zukommt (was auch nur funktioniert, da Menschen sich in der Regel nicht an ihre ersten Monate des Lebens erinnern oder sonst in der Irrenanstalt landen)?" "Jajaja, Mr. Tod ist wieder perfekt, Arbeitsrückstände bis zum Geht-nicht-mehr, 6 Milliarden Menschen auf der Erde, Gott tobt schon, aber kein Wunder bei deinem Zeitplan, und wenn du gerade vorhin bei dem alten Indianer nicht so lange an den Räucherstäbchen geschnuppert hättest, wäre der Araber auch nicht tot und Dicki hier würde auch weiterhin ruhig in seinem Bett liegen!" Leben schien richtig aufgebracht und unser übergewichtige Manager trat ein paar Schritte zurück, um Leben und Tod nicht zu unterbrechen. "Judas hat mal wieder nichts auf die Reihe gebracht und dir heute Morgen eine Betaversion der Sterbenslisten in die Hand gedrückt, zum Glück hat Gott heute Durchfall, so dass Maria nicht kochen musste, und schwups stellt sie fest, dass mal wieder alles am PC daneben gegangen ist. Natürlich merkst weder du noch Judas, dass deine Liste vollkommen falsch ist, und am Ende kriegt Gott dann wieder Kopfschmerzen, weil wieder die Falschen gestorben sind, meine Güte, ist man denn hier nur von Dilettanten umgeben?" "Das kenne ich aus der Firma", murmelte Dicki dazwischen, einen Blick auf die Uhr werfend, die derweil auf 3:59 vorgesprungen war. "Schnauze, sonst bist du tot, und das nur, weil Tod mal wieder gekifft hat", fuhr Leben ihn erzürnt an. "Oh Gott, wir nehmen aber mal wieder alles verdammt ernst hier, als wäre es so wichtig, wer jetzt unter die Radischen müsste, am Ende heulen die Angehörigen eh immer "heul, warum sie oder er?", und bald haben wir doch auch Bill Gates..." Resignierend wandte sich Tod an ihn "Ach ja, du bist nicht tot, auch nicht gleich, die Pizza kriegst du aber nicht zurück, und wenn ich es nicht so eilig hätte, würde ich auch eben noch staubsaugen. Versuch mal, keinem hiervon zu erzählen, sonst kommst du in die Klapse und würdest nur andere Idioten treffen, die eine ähnliche Geschichte haben, Arbeitsunfälle sozusagen", dann an Leben gewandt: "Dann gib mir die neue Liste, ist gut, den einen Araber kriegt Gott vielleicht auch nicht mit und vielleicht legt der 4-Uhr-Kandidat auch keine Beschwerde wegen mangelnder Aufklärung ein oder nervt Petrus nicht so sehr, dass der gleich zu Gott Von Leben und Tod, Bernt Pölling-Vocke 2001 rennt, und dann kehren wir das alles noch mal unter die Kutte". "Soll mir Recht sein", erwiderte Leben, schob Tod zur Tür heraus und beide verabschiedeten sich mit einem einfachen "Ein schönes Leben noch" und verschwanden wild miteinander diskutierend in seinem Vorgarten. Er lehnte sich an den Pfosten seines Balkons und blickte den beiden nach, bis sie aus dem Lichtkegel der Straßenlaterne vor seinem Haus verschwanden und getrennt ihre Wege gingen. "Verrückte Typen", dachte er sich und schloss kurz darauf die Haustür hinter sich, schleppte sich und seinen fetten Bauch wieder die Treppe zum Schlafzimmer hinauf und wälzte sich bald wieder in sein Bett. Salat zum Frühstück, Salat zum Mittag und, mmmh, vielleicht auch ein Besuch des Betriebssports am Abend, mit diesen Gedanken fiel er schnell in einen tiefen Schlaf, der erst vom Klingeln des Weckers um Punkt sieben Uhr beendet wurde. Von Leben und Tod, Bernt Pölling-Vocke 2001