Predigt vom 22. Juni 2008

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5. Sonntag nach Trinitatis 22. Juli 2008
1
Liebe Gemeinde,
Lasst uns diesen Gottesdienst dankbar feiern,
im Vertrauen darauf, dass Gott, als Vater und Mutter unseres
Lebens, als Bruder im Sohn und als Heiliger Geist mitten unter
uns ist. Amen.
Voller Sorge schaue ich in mein Herz. Meine Seele ist so
unruhig, dass ich ihr gut zureden muss:
Vertrau du nur auf Gott, sage ich ihr, vertrau ihm, du wirst ihm
noch danken, weil er dir die Kraft gibt, die du jetzt brauchst.
AMEN.
Psalm42 (in freier Übertragung und in Auszügen)
Meditation der Seelenvogel:
Wie sich der Hirsch nach frischem Wasser sehnt, so sehnt
sich meine Seele nach dir, Gott.
Manchmal denke ich, dass jeder meiner Seufzer und Schrei
nach dir zu hören ist.
Wo bist du?
Siehst du nicht wie sehr ich mich nach dir verzehre?
Ignorierst du meine Tränen wenn ich verzweifelt nach dir rufe?
An den guten Tagen schaue ich dankbar auf mein Leben
und bin froh, dass du mit mir bist.
Dann frage ich mich oft, warum ich so unruhig bin?
Was ist geschehen, dass meine Seele so aufgewühlt ist?
Ich prüfe mein Herz und erkenne, dass mein Vertrauen in dich
und dein Wort sinkt. Wie ein Mensch komme ich mir vor, der
keine Kraft hat, einer, über dem die Wasserfluten
zusammenschlagen. Hilflos zieht es mich in die Tiefe, immer
weiter weg von dir.
Warum hast du mich vergessen, schreie ich dann! Warum
mutest du mir soviel Leid zu? Wie soll ich das aushalten?
Wie soll ich da noch Luft zum Atmen haben?
Manchmal ersticke ich an der Angst, du könntest mich
vergessen haben.
Dann wieder sage ich mir: DU bist mein Fels, Gott, der Grund,
an dem ich meinen Anker festmache.
Schon aus dem Psalm ist zu erkennen, dass es heute um die
Seele geht, die tief in uns wohnt.
Niemand hat sie je gesehen, aber jeder weiß, dass es sie gibt.
Aber was ist sie, die Seele?
Wie schaut sie aus? Ist sie klein oder groß?
Woraus besteht sie?
Wo im Körper sitzt sie?
Selbst Mediziner können sie unter dem Mikroskop nicht finden.
Und trotzdem gibt es sie. Unsere Seele. Jeder Mensch hat
eine.
Bei unserer Geburt hat Gott uns mit seinem ATEM
beschenkt/berührt und uns damit die Seele eingehaucht.
Fein und zart.
Seitdem wohnt sie in uns und begleitet uns auf allen unseren
Wegen. Sie ist da, wenn wir uns freuen, wenn wir traurig sind,
wenn wir lachen, wenn wir weinen, wenn wir vor Freude in die
Luft springen und vor Sorgen kaum schlafen können.
Sie ist da, wenn wir von einem Termin zum andern hetzen,
wenn wir uns nicht ernst genommen fühlen, wenn wir
ausgenutzt werden, wenn wir endlich still werden und vor
Gott zur Ruhe kommen.
Das wissen wir.
Trotzdem frage ich mich, wie sie ausschaut, unsere Seele.
5. Sonntag nach Trinitatis 22. Juli 2008
Ich bemühe mich, sie mir bildlich vorzustellen und denke zuerst an einen Vogel, der auf einem Bein steht.
Er fühlt alles, was wir fühlen.
Wenn uns jemand verletzt, tobt der Seelenvogel in uns herum;
hin und her, nach allen Seiten, und alles tut ihm weh. Er ruft
dann laut: „Meine Seele verzehrt sich nach dir, Gott, ich
sehne mich nach Recht und Gerechtigkeit“.
Wenn uns aber jemand lieb hat, macht der Seelenvogel
fröhliche Sprünge, kleine, lustige – vorwärts und rückwärts, hin
und her. Er lobt Gott in den höchsten Tönen und singt voller
Freude: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist,
seinen heiligen Namen!“
Wenn jemand unseren Namen ruft, wird der Seelenvogel
ganz aufmerksam, denn er weiß, Gott spricht: „Ich habe dich
bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir.“
Wenn jemand mit uns streitet, ärgerlich oder gar böse mit uns
ist, macht sich der Seelenvogel ganz klein. Er zieht sich in sich
selbst zurück, wird immer stiller und ist manchmal sogar
todtraurig.
Verzagt wartet er auf eine freundliche Stimme, die ihm zuruft:
„Fürchte dich nicht, ich bin doch bei dir, ich erlöse dich!“
Wenn uns jemand in den Arm nimmt, merkt der Seelenvogel
dass er Flügel hat, die er ganz weit ausbreiten kann. Er spürt,
wie groß er werden könnte ... so groß, dass er uns ganz
ausfüllt.
Vor lauter Freude könnte er gleich abheben und selig durch
die Lüfte fliegen. Gesegnet fühlt er sich dann und darum
kann er an dem Punkt auch zum Segen für andere werden.
2
Kommt Sie Ihnen bekannt vor, meine Seele?
Ich denke, sie sitzt tief in uns, dort, wo die Gefühle zu Hause
sind.
Niemand hat sie je gesehen, aber jeder weiß, dass es sie gibt.
Und noch nie, noch kein einziges Mal, wurde ein Mensch
ohne Seele geboren. Gott würde das nie zulassen, denn
schließlich wohnt er mit ihr in jeder und jedem von uns.
Sie verlässt uns erst, wenn Gott seinen Geist von uns
zurücknimmt und unser Leib tot ist.
Manche von uns gehen mit ihrer Seele sehr sorgsam um. Sie
hegen sie und pflegen sie, als ob sie ein kostbarer Schatz
wäre, den sie mit ihren Händen schützen müssen.
Ich denke solche Menschen verstehen sich und ihr Leben als
Geschenk von Gott und empfinden sich auch Geschöpfe,
die Gott in seiner schützenden Hand behutsam durch die
Wirren des Lebens trägt.
Andere verachten ihre Seele, verdrängen sie in den tiefsten
Winkel ihres Bewusstseins, sperren sie wie einen Vogel in einen
Käfig, geben ihr keine Nahrung, hoffen, dass sie so verkommt
und sich nie mehr zu Wort meldet.
Vielleicht wissen sie nicht, dass der Seelenvogel nicht nur ein
besonderer Vogel ist, der auf einem Bein stehen kann,
sondern vielmehr auch einer, der aus der Erfahrung lebt.
Sein Leib besteht nämlich aus vielen Schubladen.
Aus vielen, kleinen, einzelnen Schubladen.
Und zu jeder Lade gehört ein eigener Schlüssel.
Niemand von uns kann über diese Schlüssel verfügen. Das
macht allein der Seelenvogel.
Wie?
5. Sonntag nach Trinitatis 22. Juli 2008
Mit seinem zweiten Bein.
Wenn er ruhig ist, steht er gelassen da und hat sein zweites
Bein den Bauch gezogen. Wenn er spürt, dass sich da was
regt und die Unruhe von ihm Besitz ergreift, dann holt er seine
Schlüssel hervor, sperrt die Laden auf, schaut, was darin zu
finden ist und zwar so lange, bis er weiß, was los ist …
So lange, bis er das Geschehen einordnen kann.
Da ist die Lade mit der Angst und dem Versagen,
die mit der Freude und der Lust,
Trauer und Schmerz.
Eifersucht und Hoffnung.
Enttäuschungen und Verzweiflung.
Geduld und Ungeduld.
Hass und Wut.
Schmerz und Versöhnung.
Neid und Missgunst.
Güte und Barmherzigkeit.
Das sind nur die Laden, die mir jetzt auf die Schnelle einfallen.
Wenn man genau hinschaut, dann gibt es da noch viele, in
jeder Form und Größe sind sie anzutreffen … und sie sehen bei
jeder/jedem von uns anders aus.
Geprägt von der Erfahrung eben, die ein Mensch in seinem
Leben macht.
Immer aber steht der Seelenvogel auf einem Bein. Das kann
ganz schnell zu einer wackligen Angelegenheit werden. Das
Gleichgewicht steht auf dem Spiel. Wenn er umfällt, kann es
sein, dass er von allein nicht mehr aufkommt.
Ärgerlich ist, dass wir den Seelenvogel nicht im Griff haben,
auch dann nicht, wenn er in einem Käfig sein Dasein fristen
muss.
3
Deshalb bringt er uns manchmal in Schwierigkeiten oder in
peinliche Situationen. Immer dann, wenn er unvermutet die
eine oder andere Schublade öffnet und uns mit seinen
Erfahrungen überrollt, ohne zu fragen, ob uns das passt oder
nicht.
Was kann man also tun, um mit dem Seelenvogel gut
auszukommen?
Was können wir tun, um ihm ein Leben in Gelassenheit zu
ermöglich?
Ich denke, wir könnten ihm hin und wieder ganz bewusst ein
Gutes Wort zu kommen lassen, ihn Gemeinschaft erfahren
lassen, die gut tut, ihn mit Menschen bekannt machen, die es
gut mit uns und dadurch auch gut mit ihm meinen,
wir könnten ihm hin und wieder eine breite Schulter suchen,
an der er sich ausweinen darf,
oder eine Hand annehmen, die uns über die Stolpersteine
leitet,
immer öfter wieder die Bibel zur Hand nehmen, um uns für die
Dürreperioden zu rüsten, quasi die Lebensworte zu sammeln
und Schritt für Schritt lernen, intensiver auf Gott zu hoffen und
ihm zu vertrauen, weil er zu uns spricht:
Fürchte dich nicht! Ich bin bei dir, auf allen deinen Wegen,
von nun an bis in Ewigkeit. Amen.
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