1 Wechselwirkungen der Ethinylfunktion 1.1 Die Ethinylgruppe als Wasserstoffbrückendonor Die endständige Ethinylgruppe kann in intermolekularen Wechselwirkungen als Wasserstoffbrückendonor fungieren. Gegenüber anderen Wasserstoffbrückenbildnern wie O–H oder N–H zeichnet sie sich durch eine geringere Stärke aus, während grundsätzliche Charakteristika der Wasserstoffbrückenbindung erhalten bleiben wie etwa die Abhängigkeit der Stärke von der Azidität des Donors und der Basizität des Akzeptors.[3] Innerhalb der Kohlenwasserstoffverbindungen gehört das Wasserstoffatom an der Kohlenstoffdreifachbindung zu den am stärksten aziden Protonen und ist damit ein starker Wasserstoffbrückendonor unter den schwachen. 1.1.1 Statistische Daten Als Folge der vergleichsweise geringen Donorstärke ist auch der Beitrag zur Gitterenergie in Kristallen geringer.[4] Wasserstoffbrücken mit Ethinylgruppen werden deshalb besonders dann im Festkörper erwartet, wenn sie die einzigen Donoren sind oder neben den von stärkeren Donoren ausgebildeten Motiven sekundäre Motive bilden können. Einen Hinweis dafür, dass diese Erwartung korrekt ist, liefert die Häufigkeitsabschätzung in der Isostar-Datenbank.[5,6] In Isostar finden sich 133 Einträge, die sowohl eine Ethinylgruppe als auch, exemplarisch, ein terminales Sauerstoffatom enthalten. Von diesen bilden 64 eine Wasserstoffbrücke aus. Bei der Beschreibung von Wasserstoffbrücken werden häufig geometrische Parameter herangezogen. Gerade bei schwachen Wasserstoffbrücken, wie sie die Ethinylfunktion ausbildet, sind jedoch Definitionen der Wasserstoffbrückenbindung nur über die Geometrie wenig sinnvoll. So zeigt das Histogramm dieser Abstände keine Gaußverteilung, die deutlich von den lediglich dispersiven Wechselwirkungen getrennt ist, wie es bei starken Wasserstoffbrückenbindungen der Fall ist.[3] Ebenso ist die berechnete Energiehyperfläche über einen weiten Winkelbereich sehr flach. Dennoch können Wasserstoffbrücken der Ethinylfunktion als gerichtet beschrieben werden. Dies gilt insbesondere da die Geometrie der gesamten funktionellen Gruppe, über die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Dreifachbindung bis zur Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindung, linear fixiert ist. Andere Wasserstoffbrückendonoren wie eine Hydroxylgruppe oder ein primäres Amin ermöglichen eine effektive Rotation um die Bindung zum Donoratom, die auch zu einer breiteren Verteilung des Winkels an der Wasserstoffbrücke führt. Die gemittelte Geometrie der Wasserstoffbrücke der Ethinylfunktion ist gekennzeichnet durch eine breite und flache Verteilung der intermolekularen Abstände§: 1,99 Å ist die kürzeste be- § Die Geometrie einer Wasserstoffbrücke zwischen zwei Molekülen (kurz: intermolekulare Abstand) wird in der Literatur mit drei Parametern wiedergegeben. Der Parameter d bezeichnet den Abstand von dem (üblicherweise) richtete Entfernung in der CSD, viele C-H···O Abstände liegen im Bereich von d = 2,3 bis 2,5 Å.[3] Die Verteilung der intermolekularen Winkel C–H···X ist breiter, verglichen mit denen starker Wasserstoffbrücken. Jedoch muss bei der Ethinylgruppe der Raumwinkel berücksichtigt werden, dies entspricht einer Wichtung mit 1/sin (cone correction). Für die Ethinylgruppe findet sich dann mit einem mittleren Winkel von = 152(2)° eine eher lineare Ausrichtung, was die größere Stärke z.B. gegenüber olefinischen Wasserstoffatomen mit = 143(1)° oder gar aliphatischen mit = 137,1(7)° zeigt.[3] 1.2 Die Ethinylgruppe als Wasserstoffbrückenakzeptor Neben der Donorfunktion in Wasserstoffbrücken kann eine Ethinylgruppe auch als Akzeptor einer Wasserstoffbrücke wirken.[3] Basis hierfür ist die hohe Bindungselektronendichte, die die Ethinylgruppe zu einem dem Phenylring vergleichbaren -Akzeptor macht.[7,8] Die Akzeptorwirkung tritt nicht nur gegenüber einer anderen Ethinylgruppe auf, sondern ist auch in Wasserstoffbrücken mit anderen Donoren verbreitet. Wie bei der -Akzeptorwirkung des Phenylringes wird bei der Ethinylgruppe im Kristall keine feste Geometrie präferiert. Sowohl der Bindungsmittelpunkt als auch beide Einzelatome sind Anknüpfungspunkte für die intermolekulare Brücke. Grundsätzlich wird aber eine T-artige Geometrie angestrebt. 1.3 Kooperativität an der Ethinylgruppe Da die Ethinylfunktion als Donor und als Akzeptor gleichzeitig auftreten kann, stellt sich die Frage der Kooperativität.[9] Gerade für Netzwerke von schwachen Wasserstoffbrückenbindungen ist Kooperativität entscheidend, da durch sie die Gesamtenergie des Netzwerkes gegenüber nicht-kooperativen Anordnungen gestärkt werden kann. Die Frage der Kooperativität ist auch in biologischen Systemen wichtig, da hier häufig mehrere Wasserstoffbrücken auf verschiedene Art untereinander angeordnet sein können. Hierbei hat sich gezeigt, dass gleichgerichtete oder homodrome Anordnungen gegenüber anderen bevorzugt gebildet werden.[10] Grundsätzlich polarisiert eine Wasserstoffbrücke an der Bindung einer Ethinylgruppe diese leicht und stabilisiert damit eine andere von ihr ausgehende Wasserstoffbrücke weiter. Daher bildet sich in durch Wasserstoffbrücken kettenartig verbundenen Ethinylgruppen ein kooperativer Effekt aus, der die Gesamtanordnung energetisch begünstigt. Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Effekte der Kooperativität mit der geringeren Bindungsstärke der Wasserstoffbrücken von Ethinylgruppen ebenfalls abnehmen. normalisierten Wasserstoffatom bis zum Akzeptoratom. D bezeichnet den Abstand von Donor- zu Akzeptoratom. ist der am Wasserstoffatom gemessene Winkel zwischen diesen drei Atomen.