DOC - Europa.eu

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SPEECH/09/353
Benita Ferrero-Waldner
Kommissarin für Außenbeziehungen und Europäische
Nachbarschaftspolitik
(Europa)Politik als Vertrauensbildung
Eröffnung der politischen Gespräche
Europäisches Forum Alpbach, 30. August 2009
Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Erhard!
Sehr geehrter Herr Generalsekretär!
Sehr geehrter Herr Bundesminister, lieber Michael!
Exzellenzen!
Meine sehr geehrte Damen und Herren!
Das diesjährige Thema der Alpbacher Gespräche könnte gar nicht relevanter sein:
"Vertrauen", das ist kein politischer Luxus, sondern die Basis jeglicher Politik.
Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft können ohne Vertrauen schlichtweg
nicht existieren. Das zeigt sich gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise.
Für den US-Politologen Francis Fukuyama ist Vertrauen „soziales Kapital“, das
entscheidend für den Wohlstand einer Gesellschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit
ist. Oder wie Fukuyama es selbst formuliert: „Es sind nicht Argwohn, Rückzug oder
Eigennutz, die eine Gesellschaft gedeihen lassen. Im Gegenteil: Es ist Vertrauen.“
Vertrauen, das ist ein wesentliches Element jeder Beziehung, ob zwischen
Individuen, Gesellschaften oder Staaten. Es bedeutet Vorhersehbarkeit,
Kalkulierbarkeit und nicht zuletzt Respekt basierend auf ethischen Grundwerten.
Politik und Wirtschaft brauchen aber nicht nur Vertrauen in sie, sondern müssen
umgekehrt darauf gerichtet sein, Vertrauen zu schaffen, indem sie Brücken
bauen, transparent agieren und vor llem den Menschen Resultate liefern.
Im 21. Jahrhundert, im Zeitalter globaler Vernetzung, muss dieses Vertrauen über
Grenzen hinweg geschaffen und erhalten werden.
Ein "grenzenloses" Zeitalter braucht internationales Vertrauen – und nicht das
Hochklappen nationaler Zugbrücken. Internationale Organisationen, wie unsere
„Weltfamilie“, die Vereinten Nationen, aber auch die Europäische Union, sind
daher relevanter denn je.
Unsere Nationalstaaten, die über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte der
Rahmen für dieses Grundvertrauen waren, sind zu klein geworden, um die
Herausforderungen im globalen Dorf alleine bewältigen zu können.
Das zeigen die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise und die Frage der
Zusammenarbeit mit aufstrebenden Schwellenländern
ebenso wie die
„Zwillingsherausforderungen“ von Energiesicherheit und Klimaschutz – der
Klimawandel wird ja stets mehr zum Konfliktmotor.
Ich denke hier aber auch an die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, mit
den Themen Iran und Nordkorea ganz oben auf der Tagesordnung; oder an das
Phänomen der neuen Piraterie, die die Nabelschnur des Welthandels antastet.
Einer unserer europäischen Gründerväter, Paul-Henri Spaak, hat schon vor
Jahrzehnten ironisch gemeint: „In Europa gibt es nur mehr kleine Staaten – nur
manche dieser Länder wissen das noch nicht.“ Ich würde dieses Diktum heute
beinahe global anwenden.
Genau deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir eine geeinte
Europäische Union.
Nicht als "Verschwörung" zur "Aushöhlung" nationaler Demokratien, wie manche
Kritiker meinen, sondern weil wir viele Herausforderungen in und für Europa eben
nur mehr gemeinsam lösen können.
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Um den Soziologen Ulrich Beck zu zitieren: „Am Beginn des 21. Jahrhunderts
gefährdet die EU nicht die nationale Souveränität, sondern ermöglicht diese erst.“
Die fast schon tragische Ironie besteht somit darin, dass die EU die Basis
erfolgreicher Politik ist, gleichzeitig aber unter dem allgemeinen Vertrauensverlust
leidet.
Diese Vertrauenskrise hat der Union in den letzten Jahren unleugbar zu schaffen
gemacht. Sie hat viele Gründe, deren Wurzeln tief reichen und mindestens
ebensoviel mit verständlichen Modernisierungsängsten und der Beschleunigung
aller Lebensbereiche zu tun haben wie mit der EU selbst. Wir sehen ein
generelles „Unbehagen an der Politik“, dessen Sündenbock und Blitzableiter die
EU leider bisweilen ist.
Genau diese EU-Skepsis müssen wir überwinden. Es darf nicht sein, dass große
Teile der Welt über die EU „staunen“, während Europas Bürger darüber „stöhnen“,
wie es Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker pointiert ausgedrückt hat.
Denn die EU ist nicht das trojanische Pferd der Globalisierung, sondern im
Gegenteil eine positive Kraft zu deren Gestaltung! Die Europäische Union ist nicht
die Zerstörerin von Vertrauen, sondern letztlich das richtige politische Instrument,
um Vertrauen in die europäische res publica zu fördern und
wiederzugewinnen. Und sie liefert gleichzeitig wichtige Bausteine für die neuen
Spielregeln einer multipolaren Welt.
Das sage ich als passionierte „Überzeugungstäterin“ mit der Erfahrung der
letzten fünf Jahre als EU-Außenkommissarin, die Europa auf der Weltbühne
vertreten durfte.
Und das sehen auch viele Europäerinnen und Europäer so. Meinungsumfragen
zeigen, dass eine große Mehrheit nicht „weniger“ Europa will, sondern in
wichtigen Bereichen eine bessere, stärkere Union – gerade in der Außen- und
Sicherheitspolitik.
Kurzum: Im „Management“ globaler Umbrüche sehe ich den Auftrag und auch
die Legitimations- und Vertrauensgrundlage der EU im 21. Jahrhundert.
Lassen sie mich dies an drei Beispielen illustrieren:
Die Union ist erstens, eine treibende Kraft im G20-Prozess: Das heißt bei der
Stützung der globalen Konjunktur und der Ausarbeitung neuer wirtschaftlicher
„Spielregeln“, nicht zuletzt für die internationalen Finanzmärkte, deren Wildwuchs
ja mit an der Basis der aktuellen Krise steht.
Daher ist es so wichtig, dass wir als EU beim kommenden G20-Gipfel in Pittsburgh
Ende September darauf drängen, dass sich die G20-Staaten auf weltweite
Standards zur Verantwortung von Unternehmen gegenüber Umwelt und
Gesellschaft verpflichten und gleichzeitig ein Signal für wirtschaftliche Offenheit
und gegen Protektionismus geben.
Diese Krise ist also auch eine Chance. Ich sehe die G-20 – die ganz bewusst
wesentliche Schwellenländer umfasst - durchaus als Nukleus einer neuen
„Weltwirtschaftsordnung“. Nicht im Sinne einer institutionellen Neuordnung,
sondern als Basis eines neuen ökonomischen Grundkonsenses, der die enormen
Verflechtungen unserer Volkswirtschaften und die daraus resultierenden
gemeinsamen Interessen widerspiegelt.
Zweitens ist Europa weltweiter Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel.
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Hier stehen wir mitten in den Vorbereitungen des Kopenhagener Klimagipfels
Ende des Jahres. Als Außenkommissarin konnte ich in den letzten Jahren das
Thema Klimaschutz immer stärker in unseren Beziehungen mit Drittstaaten
einfließen lassen.
Denn natürlich kann Europa trotz seiner ehrgeizigen Klimaziele die Erderwärmung
nicht alleine stoppen. Wir haben daher weltweit ein „grünes Diplomatienetzwerk“
aufgebaut, das die Länder – vor allem die größten CO2 Emittenten, allen voran die
USA, Indien und China - für die Gefahren des Klimawandels sensibilisiert.
Wir müssen insb. aufstrebenden Ländern wie China oder Indien Alternativen zur
bisherigen Energiegewinnung bieten. Allein in China geht ja pro Woche ein
neues Kohlekraftwerk ans Netz.
Deshalb unterstützen wir China mit einem EU-Zentrum für saubere
Energietechnologien, das auch beweist, dass Wirtschaftswachstum und
Klimaschutz langfristig Hand in Hand gehen.
Umgekehrt müssen wir aber auch Europas Energieversorgung sicherstellen,
quasi die zweite Seite derselben Medaille. Denn eine sichere Energieversorgung
setzt einen schonungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen voraus, und zwar
weltweit.
Schon jetzt importieren wir 54% unserer Energie aus Drittstaaten. Bis 2030 wird
unser Importanteil bei Öl 93% und bei Gas 84% ausmachen. Der Aufbau einer EUEnergieaußenpolitik war daher ein wesentlicher Teil meiner Arbeit der letzten Jahre.
Diese Diversifizierung von Energiequellen und Transitrouten ist ein zentrales
strategisches Projekt. Vor diesem Hintergrund war die Unterzeichnung des
Regierungsübereinkommens zur Nabucco-Pipeline Mitte Juli ein wichtiger
Meilenstein.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Drittens muss eine intelligente Außenpolitik imstande sein, soziales Kapital
aufzubauen.
Denn nur wer in seinen Partnerländern Respekt und Vertrauen fördert – natürlich
auf der Basis elementarer Grundwerte – kann langfristige Sicherheit schaffen.
Im Lichte "scheiternder Staaten" und festgefahrener Regionalkonflikte, die
Unsicherheit "exportieren" – auch nach Europa, stellt sich die Frage, wie die Union
Stabilität ausstrahlen kann, ohne eine bestimmte Politik von außen
aufzuoktroyieren.
Auf diese Fragen haben wir in den letzten Jahren eine durchaus effektive Antwort
gefunden, insb. durch die Europäische Nachbarschaftspolitik, für die ich eine
besondere Zuständigkeit habe, und die wir mittlerweile mit der Union für das
Mittelmeer und der Ostpartnerschaft verstärkt haben.
Die ENP steht pars pro toto für eine „smarte“ EU-Außenpolitik, die den richtigen
„Mix“ aus „soft und hard power“ findet; eine Außenpolitik, die
Demokratisierungshilfe und den Schutz der Menschenrechte, Wirtschaftshilfe und
Handelsliberalisierung, humanitäre Hilfe und Sicherheitsmissionen und viele andere
Instrumente, von der Energie- bis zur Migrationspolitik verbindet; eine Außenpolitik,
die nicht "interventionistisch" ist, die aber sich aktiv aufstellt, anstatt es sich
gemütlich in einer „Festung Europa“ einzurichten!
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All das ist letztlich eine Politik der schrittweisen "Vetrauensbildung". Allzu oft
sind Konflikte ja das Resultat mangelnden Vertrauens zwischen den Parteien, ob im
Nahen Osten oder in unserer östlichen Nachbarschaft. Wir müssen daher durch
wirklich "vertrauensbildende Maßnahmen" das "Aufeinander-Zugehen" fördern, das
"Sich-aufeinander-verlassen-können".
Dieses Engagement der EU ist weder kalte Machtpolitik noch blauäugiger
Altruismus oder – überspitzter formuliert - „diplomatische“ Sozialarbeit.
Sondern es ist im Gegenteil ein ganz praktischer Ansatz im handfesten Interesse
unserer Bürgerinnen und Bürger. Denn dieses fehlende "Vertrauen" bei unseren
Partnern wirkt sich unmittelbar auf Europas Sicherheit und Wohlstand aus. Das
haben die letzten Jahre hinlänglich gezeigt, vom Nahen Osten bis zu den russischukrainischen Gaskrisen.
Natürlich sind wir nicht imstande, unseren Partnern "Vertrauen" aufzuzwingen.
Das wäre illusorisch, ja kontraproduktiv.
Wir können und müssen allerdings in seine Wurzeln investieren und einen
positiven Gegenentwurf zu einer Politik des radikalen Misstrauens vorlegen, wie sie
von den Extremisten verschiedener Provenienz propagiert wird. Daher war unsere
Hilfe
bei
der
Vorbereitung
und
Abhaltung
der
afghanischen
Präsidentschaftswahlen so zentral.
Lassen Sie mich hier zwei Punkte besonders unterstreichen, die für die Schaffung
von Vertrauen, d.h. sozialem Kapital, entscheidend sind:
Erstens: Die Stärkung der Menschenrechte, insbesondere der Frauenrechte.
Sie kennen den weisen Spruch Mahatma Gandhis: „Wer einem Mann hilft, hilft
einem Menschen. Wer einer Frau hilft, hilft einer ganzen Gesellschaft.“ Die Welt
kann es sich nicht leisten, dass die Hälfte ihres Potenzials nicht gefördert, ja
diskriminiert wird. Die Marginalisierung von Frauen, Instabilität und Armut gehen
leider Hand in Hand.
Hier anzusetzen ist deshalb eine Investition in Sicherheit und Wohlstand! Diese
Erkenntnis setzt sich zum Glück immer mehr durch.
Daher werbe ich unter anderem sehr für die Abhaltung einer Folgekonferenz zur
UNSCR 1325 im Jahr 2010 zum Schutz von Frauen in Konflikt- und
Postkonfliktsituationen
und
habe
als
Kommissarin
durch
gezielte
Förderprogramme und Stipendien, nicht zuletzt in unserer südlichen
Nachbarschaft, versucht, einen Beitrag zu leisten.
Eine zweite absolute Priorität: Gute und für alle zugängliche Bildung. Sie ist
der Schlüssel zu politischen und wirtschaftlichen Chancen, zur Selbstbestimmung,
zur Stabilität, und gegen Radikalismus und Extremismus.
Daher unterstützt die EU weltweit nicht nur eine enorme Zahl von Projekten im
Bildungsbereich mit 600 Millionen Euro jährlich, sondern fördert vor allem den
Bildungsaustausch durch das Erasmus Mundus Programm. Europa ist und bleibt –
allen Unkenrufen zum Trotz – ein wissenschaftlich-intellektueller Magnet. Erst
kürzlich haben wir 10.000 neue Stipendien für das Studienjahr 2009-2010
vergeben.
Gerade weil ich davon überzeugt bin, dass Bildungschancen die Basis
internationaler Sicherheit sind, habe ich mich für den Posten der UNESCOGeneraldirektorin beworben. In der UNESCO-Präambel von 1945 steht: "Da Kriege
in den Köpfen der Menschen entstehen, muss auch die Verteidigung des Friedens
im Geist der Menschen verankert werden." Besser kann man es nicht auf den Punkt
bringen!
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Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich komme zum Schluss.
"Politikverdrossenheit", d.h. der Vertrauensverlust etablierter Politik und ihrer
Akteure, ist keine vernachlässigbare "Wohlstandskrankheit". Sie ist vielmehr
Anzeichen einer Desillusionierung, die man sehr ernst nehmen muss.
Das essentielle gesellschaftliche Grundvertrauen können wir aber nur mit
transparenter, konstruktiver und effektiver Politik wiedergewinnen – und nicht
durch mediale Scheingefechte, kurzfristige Umfragepolitik oder gar populistische
Destruktivität.
Genau dabei spielt die Europäische Union eine große Rolle. Eine weltweit
denkende und global agierende EU, die mit einer Stimme spricht und ihre Kräfte
bündelt, eine Union, die eine wirklich gemeinsame Außenpolitik umsetzt und sich
als Teil einer multilateralen Welt versteht, eine solche Union wird die Interessen
ihrer Bürgerinnen und Bürger wirksam vertreten und damit Vertrauen stärken.
Wenn ich eine Bilanz meiner Arbeit der letzten fünf Jahre ziehen müsste, dann wäre
es dieser "globale Imperativ" der EU.
Wir haben wie gesagt als "Vertrauensbilder" Einiges erreicht: Intern als echte
Solidaritätsgemeinschaft, die sich z.B. auch im neuen EU-Grundrechtskatalog
widerspiegelt, und extern durch unseren Einsatz für Sicherheit, gute
Regierungsführung und gemeinsamen Wohlstand.
Jetzt geht es darum, die Union institutionell und inhaltlich weiter zu stärken. Der
Vertrag von Lissabon, den alle Mitgliedsstaaten hoffentlich in den nächsten
Wochen ratifizieren werden, bringt hierfür wichtige Neuerungen.
Doch Vertragsrevisionen reichen alleine nicht aus, um die europäische
Vertrauensbasis zu erneuern.
Letztlich zählt für die Menschen nur ein „Europa der Resultate“. Und für den
braucht es politischen Willen auf Seiten unserer Mitgliedsstaaten.
In Zeiten globaler Vernetzung muss genau das unser Ziel sein: Eine echte Union,
die unser Schutzschild und unsere Versicherung in einer risikoreichen Welt ist.
Das ist das beste Rezept für europäisches Vertrauen, ja europäische
„Zuversicht“!
Um noch einmal den eingangs erwähnten Ulrich Beck zu zitieren: „Wenn es die
Europäische Union nicht bereits gäbe, müsste sie heute erfunden werden.“ – ich
füge hinzu: als Vertrauensgemeinschaft.
Ich danke Ihnen.
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