20 Deutschlands größere Rolle auf der europäischen Bühne

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Deutschlands größere Rolle auf der europäischen Bühne:
Handels-, Macht- oder Zivilstaat?
 Es gab Befürchtungen in Ost und West, dass Deutschland über
kurz oder lang, eher wohl lang, wieder auf seine machtstaatliche Tradition zurückgreifen und in Europa vor allem im Osten
eine Vorherrschaftsrolle zu spielen versucht sein könnte.
Für eine Sicht durch die realistische, machtpolitische Brille ist diese
Annahme nahe liegend, weil davon ausgegangen wird, dass Machtpotential
auch stets umgesetzt wird.
Konkret kann das allerdings alles Mögliche heißen: etwa im Konzert mit
Russland nach dem Traditionsmuster der polnischen Teilungen Osteuropa
ordnen oder gegen Russland die osteuropäischen Staaten stützen.
So beschrieb z. B. die Frankfurter Allgemeine 1994 „Bonn als Anwalt des
Baltikums“ bei der Frage nach dem Abzug der russischen Truppen aus
Estland und Lettland.
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 Zuerst einmal bedarf es dafür einer Bestimmung der deutschen
Interessen in dieser Region unter Einschluss der geopolitischen
Betrachtungsweise.
Geopolitik, wenngleich hierzulande noch weitgehend tabuisiert, legt sicher
nahe, dass ein Gürtel von Klein- und Mittelstaaten zwischen Deutschland und
Russland der direkten Grenze mit dem eurasischen Koloss vorzuziehen ist.
Folglich gäbe es ein deutsches Interesse am Bestand dieser „Zone“ von
unabhängigen Staaten. Um sie zu stützen, mussten diese Länder
konsequenterweise an die EU und die NATO herangeführt werden, also fest
im Westen verankert werden.
Da diese Politik zwangsläufig einen anti-russischen Akzent hatte, könnte sie
nur sehr vorsichtig und mit soviel Rücksicht auf Russland als möglich
betrieben werden.
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 Für einen nationalen Alleingang bei der Stabilisierung Ostmitteleuropas und Osteuropas fehlen Deutschland die Ambition und
die Kraft. Dem aufgeklärten deutschen Selbstinteresse blieb nur
der multilaterale Weg über die EU und die NATO.
Beide Institutionen taten sich mit der Osterweiterung schwer, sahen aber
letztlich dazu keine vernünftige Alternative und hatten die Weichen dafür bald
gestellt.
Neu war dabei, dass Deutschland nun aktiv EU und NATO zu einer
schnelleren Gangart als es die meisten Verbündeten gewünscht haben
bringen konnte. Darin drückte sich der gewachsene deutsche Einfluss in
beiden Ordnungsinstitutionen aus.
Entscheidend war, dass die deutschen Ordnungsinteressen nicht denen der
Partner widersprechen. Dispute über Wege und Zeitrahmen können als
Verteilungsfragen in den westlichen Klubs gewertet werden, sie waren keine
substantiellen Konflikte.
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 Weltordnungspolitisches Engagement ist für Deutschland erst
recht nur konzertiert möglich. Von einer tragenden Rolle auf der
Weltbühne kann nicht die Rede sein.
Die längere innenpolitische Debatte um die Einsatzmöglichkeiten für deutsche
Soldaten haben den gesellschaftlichen Dissens über den Umfang deutlich
gemacht.
Menschenrechtlich motivierter internationaler Aktivismus und prestigenationalistische Ambitionen mit England und Frankreich gleichzuziehen haben hier
gemeinsam eine interventionistische Debattierkultur gefördert.
Faktisch begann der humanitäre Interventionismus mit dem eher symbolischen
Einsatz in Somalia. Bis 1995 war wenig geschehen. Für ein größeres
militärisches Engagement auf dem Balkan gab es zu Recht hohe
Hemmschwellen. Dann folgten dort mehrere Einsätze. In Afghanistan wurde
dann über den europäischen Raum hinaus gegangen.
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 Der aus Prestigegründen gewünschte Sitz im Weltsicherheitsrat hat bei der Debatte in der UNO bislang auf gezeigt,
worum es der Mehrheit der Entwicklungsländer dort hauptsächlich geht.
Das Finanzdesaster der Weltorganisation angesichts bürokratischer Verschwendung und laxer Zahlungsmoral vieler Mitglieder, selbst von solchen
mit ständigem Sitz im Sicherheitsrat wie den USA und Russland, lässt die
deutschen wie auch die japanischen Beitragszahlungen besonders attraktiv
erscheinen.
Ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat für die beiden braven Großzahler hinter
den USA ist aber nicht wirklich erwünscht. Die Sollzahlen für 1996 betrugen
für Deutschland 9 Prozent, für Japan 15 und für die USA 25 Prozent des
Hauhalts der Vereinten Nationen.
Die ernüchternden Erfahrungen mit UNO-Einsätzen in Somalia und auf dem
Balkan haben freilich weltweit die Begeisterung für Weltordnungspolitik
abgekühlt und dem in Deutschland verbreiteten Urvertrauen in die
Möglichkeiten der Vereinten Nationen einen Dämpfer aufgesetzt.
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 Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit wurde ab
Mitte der neunziger Jahre immer wieder allzu deutlich. Die in
Deutschland beliebte und auch vorschnell eingesetzte
Menschenrechtsrhetorik in Politik und Gesellschaft wirkte
deshalb vielfach von der weltpolitischen Realität losgelöst, rituell
und leer.
Die Begründung für die Beteiligung der Bundeswehr auf dem Balkan,
vornehmlich mit dem Erfordernis, Allianzsolidarität zeigen zu müssen, ohne
selbst ein Lösungskonzept für den Konflikt zu haben, zeigt auf, wie sehr die
deutsche Außenpolitik noch Probleme hat die eigene Rolle im Konzert zu
definieren.
Die konsequente Wahl zwischen entschlossenen Maßnahmen im Bündnis
oder der bewussten Nichtbeteiligung, weil der Konflikt unlösbar erscheint, war
für die deutsche Politik noch nicht möglich. Sie blieb im Schatten der
Vergangenheit zwischen widersprüchlichen Anforderungen befangen.
Immerhin gelangte die deutsche Außenpolitik jetzt über die undankbare Rolle
der Scheckbuchdiplomatie während des Golfkriegs hinaus als Deutschland mit
17 Mrd. DM noch nur Zahlmeister sein konnte.
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 Ab Mitte der neunziger Jahre war mehr gefordert und möglich.
Die Orientierungsprobleme und die Rollenunsicherheit waren
weniger Folge einer entschlussschwachen außenpolitischen
Elite sondern Ausdruck einer weltpolitischer Verantwortung
entwöhnten Gesellschaft.
Außenpolitische Kontinuität war von den Nachbarn dezidiert gewünscht. „Ein
europäisches Deutschland, nicht ein deutsches Europa“ im Sinne von
Thomas Mann braucht eine solide eingebundene Selbstfindung.
Da Deutschland sich dabei Zeit lies, konnte dies den Nachbarn eigentlich
recht sein. Ein zögerliches Deutschland mit noch deutlichen Unsicherheiten
beim Spiel der größeren Rolle im multilateralen Kontext ist europaverträglicher als allzu forsche Einflussnahme.
Hauptsache bleibt, dass der Multilateralismus im Rahmen von EU, NATO und
UNO selbst nicht zur Debatte steht. Die Größe der Rolle ist von Fall zu Fall
verhandelbar.
Auf dem Feld der Wirtschaft bleibt es bei der Hauptrolle. Im Sicherheitsbereich dürfte es die größte Nebenrolle auf der Europabühne werden. Auf der
Weltbühne sind tragende Rollen nicht angesagt.
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Dokument 25
Aus der Rede vom Bundesminister des Auswärtigen, Kinkel, vor der
Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am 24. August 1994 in Bonn
... „Erfolgreiche Außenpolitik - das heißt für uns deshalb auch weiterhin in
erster Linie Partnerschafts- und Bündnisfähigkeit, Verzicht auf nationale
Alleingänge. Mit einem liberalen menschlichen Gesicht wurde Deutschland
wieder zu einem Staat, dem die Welt vertraut. Nach der Wiedervereinigung ist
der liberale, weltoffene Kompass für unser Land noch wichtiger geworden.
... Dazu gehört untrennbar eine interessen- und wertorientierte Außenpolitik.
Dieser der Würde des Menschen und dem Schutz seiner Rechte
verpflichtende Maßstab unserer Politik bleibt für uns ganz wichtig.
Zugegeben: Prinzipien sind leider im harten politischen Tagesgeschäft nicht
immer lupenrein durchzuhalten. Wie immer in der Politik müssen auch
Kompromisse geschlossen werden; es gilt nur, den richtigen Kompromiss zu
finden. Aber das heißt nicht, seine Prinzipien über Bord zu schmeißen. ...“
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 Das Schlagwort des Bundeskanzlers Schröder vom
„deutschen Weg“ im Wahlkampf 2002 deutet eher auf ein
reines Wahlkampfsignal hin. Ein neues außenpolitisches
Konzept war das noch wirklich. Strukturell standen die
Zeichen weiterhin auf handelsstaatlicher Kontinuität
Die multilateral eingebundene deutsche Außenpolitik ist bislang nicht
verlassen worden. Die Ablehnung den Irak-Kurs der konservativen Administration Bush mitzutragen, ist real eher wenig spektakulär.
Die veröffentlichte Meinung überzeichnet die „Chemie“ zwischen Staatschefs
gern spektakulär. Letztlich agieren demokratisch gewählte westliche Politik
vornehmlich als rationale Akteure.
Persönliche Dissonanzen gab es auch schon zwischen z. B. Adenauer und
Kennedy oder Schmidt und Carter. Wahlkampfmusik bleibt gewöhnlich temporär.
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
Insgesamt kann es sich die deutsche Politik jetzt eher leisten
als im Ost-West-Konflikt Abweichungen von der amerikanischen Linie durchzustehen und sich z. B. als Zivilmacht zu
profilieren.
Die Lastenteilung im Bündnis wird dadurch nicht aufgehoben, aber im Gewicht
modifiziert.
Wie der konkrete deutsche Irakbeitrag aussehen wird, ob nur ein großer
Scheck wie vor 10 Jahren, oder auch eine kleine militärische Komponente z.
B. bei der Ausbildung der neuen irakischen Armee, bleibt spannend.
Laute Berliner Töne hätten den Preis für den deutschen Steuerzahler eher
hochgetrieben und eher Unsicherheit als durchdachte Konzepte angezeigt.
Die „Irak-Achse“ Berlin, Paris, Moskau gegen die amerikanisch-britische
Intervention konnte nur instabil sein. 2 machtpolitische Linien gegen die USA
und eine Friedenspolitik bilden keine „Achse“.
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