12-Die ProfTH im WeiterenM+L - Supervision

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Die Professionstheorie im Weiteren
Wenn hier von den Ausgangsbedingungen Sozialer Arbeit, der Gleichzeitigkeit von Therapieleistung und
Konsensbeschaffung, die Rede ist, so muss betont werden, dass damit nur ein sehr oberflächlicher Blick auf die
Professionstheorie geworfen wird. Professionen sind durch viele weitere Merkmale gekennzeichnet, von denen einige
hier nur kurz angedeutet werden sollen:
- Professionsautonomie bedeutet, dass das professionelle Handeln von immanenten Angemessenheitskriterien
gesteuert wird. Jemand, der nicht zur Profession gehört, kann keinen Einfluss auf das „richtige“ fachliche Handeln
ausüben.
- Problemlösungstyp: Gleichzeitigkeit von theoretisch-wissenschaftlichen Grundlagen und der Besonderheit des
Einzelfalles. Professionelles Handeln ist folglich nicht standardisierbar.
- Die Autonomie der Lebenspraxis der Adressaten bleibt grundsätzlich gewahrt. Sozialarbeiter greifen nur in
Ausnahmefällen direkt in das Leben ihrer Adressaten ein. Sie leisten Hilfe zur Selbsthilfe.
- Zwang zur aktiven Gestaltung der Berufsrolle: Sozialarbeiter wissen, was Sozialarbeit ist und handeln
professionsgesteuert, nicht organisationsgesteuert.
- Höhersymbolischer Sinnbezirk: Wissenschaft, Fachsprache, Rituale, Kleidung, usw.
- Paradoxien professionellen Handelns: Unüberwindbare Widersprüche, die sich zwangsläufig aus dem
professionellen Handeln ergeben.
- Stellvertretende Deutung und spezifisches Fallverstehen.
Professionelle besitzen eine bestimmte „Kunst“ im Verstehen ihrer Adressaten. Die Ergebnisse des Verstehens
teilen sie den Adressaten mit. Sie handeln aber nicht für diese, sondern deuten nur.
Mandat und Lizenz
Neben den hier nur kurz angerissenen Themen muss an dieser Stelle noch ein besonders relevanter Problembereich
angesprochen werden, der im Bereich der Behandlung suchtkranker und psychisch kranker Menschen von hoher
Bedeutung ist. Professionelle benötigen für ihr Handeln eine Lizenz und ein Mandat. Beim Arzt gestaltet sich dieses
Verhältnis relativ einfach: Die Lizenz erhält er durch seine Ausbildung und seine Approbation. Bei den Sozialarbeitern
ist das ähnlich. Mit dem Diplom, der staatlichen Anerkennung und der Anstellung erhalten Sozialarbeiterinnen und
Sozialpädagoginnen die Lizenz, in einem bestimmten Bereich sozialarbeiterisch zu handeln.
Mit dem Mandat ist es etwas schwieriger. Der Patient erteilt dem Arzt das Mandat, in einem bestimmten, begrenzten
Ausschnitt für ihn zu handeln (also seine Bauchschmerzen zu behandeln). Wer aber erteilt dem Sozialarbeiter sein
Mandat. Kommt der suchtkranke- oder psychisch kranke Mensch tatsächlich in die Beratungsstelle und erteil dem
Sozialarbeiter das Mandat, in einem begrenzten Bereich für ihn tätig zu werden? Während der Therapiewelle in der
Sozialen Arbeit1 hat man so gedacht. Man hat nur diejenigen behandelt, die aufgrund ihres Leidensdruckes den
Professionellen ein Mandat gegeben haben. Die anderen hatten noch nicht genügend Leidensdruck. Die Praxis der
letzten dreißig Jahre hat uns jedoch gezeigt, dass der motivierte suchtkranke Klient eher der Ausnahmefall ist.
In der heutigen Sozialarbeit werden häufig die Begriffe Dienstleitung und Kunde verwendet. Wenn wir uns fragen,
wer ist der Kunde der Sozialarbeit eigentlich, müssen wir auch die Frage danach stellen, wer die Leistungen des
Sozialarbeiters bezahlt. So können wir bald feststellen, dass in den meisten Fällen die Leistungen nicht vom Klienten
selbst bezahlt werden, so wie es der Patient in der Arztpraxis über seine Krankenversicherung tut, sondern es gibt in der
Regel zunächst staatlich geförderte Programme, die meistens gesetzlich abgesichert sind (SGB mit BSHG und KJHG
usw.). In diesen Fällen würde dann also der Staat als Kunde gelten, der dem Sozialarbeiter ein Mandat erteilt, denn er
bezahlt ja die Leistungen. Tatsächlich kann man genau dieses Mandantenverhältnis in der Praxis der Suchtkrankenhilfe
gut nachvollziehen. Der gesamte niederschwellige Bereich wird als nachgehende Arbeit bezeichnet. Sozialarbeiter als
Streetworker oder in den Beratungsstellen haben den Auftrag, Kontakt zu suchtgefährdeten und suchtkranken
Menschen herzustellen. Die besondere professionelle Kompetenz der Sozialarbeiter besteht nun darin, dieses
gesellschaftliche Mandat in ein persönliches Mandat durch den Klienten zu wandeln. Dies nannte man in der
Vergangenheit „Motivationsarbeit“. Wenn dies glückt, ändert sich in manchen Fällen auch die Finanzierungsgrundlage
von den Sozialhilfeträgern zu den Renten- oder Krankenversicherern. In den Beratungsstellen findet man also ein
gesellschaftliches Mandat im Bereich der gesamten niederschwelligen und nachgehenden Arbeit sowie in der
allgemeinen Beratungsarbeit bis zur Therapievermittlung. Bei den sozialpsychiatrischen Diensten ist dies noch
deutlicher, sie suchen die als psychisch auffällig gemeldeten Mitbürger in deren Wohnungen auf. Sie kritisierten sogar
lange Jahre die „Komm-Struktur“ der Suchtberatung mit dem Argument, dass dadurch nur der weitaus geringere Teil
der Betroffenen erreicht werden würde. Diejenigen Klienten, die nicht in der Lage wären, einen Hilfewunsch zu
artikulieren, würden von den hochschwellig arbeitenden Beratungsstellen nicht erreicht, argumentierten die
sozialpsychiatrischen Dienste. Bei vielen Suchtberatungsstellen hat dadurch ein Umdenken stattgefunden und es
wurden Konzepte von nachgehender und aufsuchender Sozialer Arbeit entwickelt.
Das persönliche Mandat erhält die Sozialarbeiterin dann, wenn es ihr gelungen ist, ihren Klienten in das Programm
„ambulante Reha“ überzuleiten und eine konkrete Einzelfallfinanzierung zu erreichen. Natürlich versucht auch der
Streetworker auf der „Platte“ bereits ein persönliches Mandat zu erringen, was auch in vielen Fällen gelingt. Die
besondere professionelle Kompetenz der Sozialarbeiter liegt folglich in ihrer Fähigkeit, Klienten dazu zu bewegen,
sich auf eine persönliche Beziehung zu ihnen einzulassen, obwohl zunächst nur ein gesellschaftliches Mandat
bestand. So wirkt auch hier Konsensbeschaffung und Therapieleistung zusammen, indem Sozialarbeiter im Sinne des
gesellschaftlichen Normenkonsens gleichsam um einen Therapieauftrag durch ihre Klientel werben. Ein eindeutiges
persönliches Mandat ist erst gegeben, wenn sich der Klient in eine ambulante Psychotherapie bei einem
niedergelassenen Psychotherapeuten begibt. In der Suchthilfe und der Psychiatrie schwingt überall noch das
gesellschaftliche Mandat mit, folglich findet in diesen beiden Bereichen grundsätzlich ein Arbeiten im Spannungsfeld
zwischen Konsensbeschaffung und Therapieleistung statt.
1
Die Zeit zwischen etwa 1974 und 1989 wird als „Psychoboom“ in der Sozialarbeit bezeichnet.
(vergl. Schülein, Joh. - Psychoanalyse und Psychoboom, in: Psyche 1978)
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