Abstract DVR Presseseminar am 05

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Abstract
DVR Presseseminar am 05.09.2006 in Bonn
Individuelle Mobilität?
Kriterien zur Beurteilung der Fahreignung alkohol- und drogenauffälliger Fahrer
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Art. 2 Abs. 2 ist formuliert: „Jeder hat das
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In
diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“
Die gesetzlichen Regelungen und gesellschaftlichen Normen müssen bei der Beurteilung der
körperlichen und geistigen Eignung von Kraftfahrzeugführern Beachtung finden. Jedem
Einzelnen muss einerseits die Chance zur Teilnahme am Straßenverkehr eingeräumt
werden, sofern er die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllt, die im
Straßenverkehrsgesetz (StVG) und in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) festgeschrieben
sind. Andererseits hat der Schutz der Allgemeinheit Vorrang vor dem Recht auf individuelle
Mobilität, wenn eignungsausschließende bzw. eignungseinschränkende Sachverhalte
festgestellt werden. Im letzteren Fall spielen verstärkt Fragen der bedingten Eignung unter
Anwendung von Auflagen und Beschränkungen eine immer größere Rolle.
Hierbei wird der Prüfung von Kompensationsmöglichkeiten aus verhaltenspsychologischer,
medizinischer und technischer Sicht eine besondere Bedeutung beigemessen. Denn nicht
nur die medizinische oder psychologische Beeinträchtigung allein charakterisiert einen
Verkehrsteilnehmer, sondern in erster Linie die Art und Weise, wie er mit dieser umgeht.
Den Schwerpunkt bildet hierbei die Orientierung am schwächeren, leistungsgeminderten
Fahrer, denn die Teilnahme am Straßenverkehr ist keine Eliteveranstaltung.
In diesem Zusammenhang kommt der Selbstüberprüfungspflicht jedes Verkehrsteilnehmers
eine besondere Bedeutung zu. Während einerseits die Förderung, Erhaltung und
Wiederherstellung der individuellen Mobilität im Straßenverkehr eine vorrangige
gesellschaftliche und ökonomische Aufgabe ist, muss andererseits die Allgemeinheit vor
Fahrzeugführern, die z. B. unter Alkohol- oder Drogeneinfluss am Straßenverkehr
teilnehmen, geschützt werden.
Die Ursachen für Unfälle mit Personenschäden in Deutschland in 2005 liegen zu nur ca. 1,3
% in der Technik (im Fahrzeug) und zu mehr als 94 % im menschlichen Fehlverhalten. In
diesem Zusammenhang wird besonders deutlich, dass Straßenverkehrsverhalten auch
Sozialverhalten ist. Die entscheidenden Ressourcen zur Senkung der Anzahl der Unfälle mit
verletzten und getöteten Personen im Straßenverkehr liegen also überwiegend in der
positiven Beeinflussung des Verhaltens und Erlebens von Verkehrsteilnehmern. Diese
auszuschöpfen ist Ziel der EU-Charta von Dublin, die die Forderung aufstellt, die Zahl der
Verkehrstoten in Europa bis zum Jahre 2010 um 50 % zu reduzieren.
Kraftfahrzeugführer, die ihren Führerschein u. a. auf Grund aktenkundiger Alkohol- und
Drogenvorkommnisse verloren haben, sind gehalten, je nach den vorliegenden Bedingungen
ein Facharzt- oder ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen.
Seit Jahren hat sich die Anzahl derjenigen, die sich einer durch die Verwaltungsbehörde
veranlassten medizinisch-psychologischen Begutachtung unterziehen mussten, auf ca. 0,21
% im Verhältnis zu den Führerscheininhabern (ca. 50 Mio.) eingepegelt.
Im Jahr 2005 waren dies konkret 104325 Begutachtungsfälle in den a. a. BfF der
Bundesrepublik Deutschland. Davon entfielen ca. 78 % auf Alkohol- und
Drogenproblematiken. Seit Jahren ist insbesondere ein kontinuierlicher Anstieg der Drogenund Medikamentenauffälligkeiten im Straßenverkehr zu verzeichnen.
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Statistiken bezüglich der Anzahl und des Ausgangs von Facharztgutachten zur körperlichen
und geistigen Eignung entsprechend Betroffener liegen in Deutschland nicht vor.
Die Begutachtung wird auf der Grundlage der „Begutachtungs-Leitlinien zur
Kraftfahrereignung“, der „Anforderungen an Träger von Begutachtungsstellen für
Fahreignung“ der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), des „Kommentars zu den
Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung“ sowie der „Beurteilungskriterien“ – die als
normatives Dokument durch die BASt eingeführt wurden - durchgeführt. Die
Beurteilungskriterien selbst berücksichtigen drei fachliche Ebenen, die entsprechende
Hypothesen, Kriterien und Indikatoren einschließen, worauf im Vortrag näher eingegangen
wird.
Die genannten fachlichen Grundlagen stehen auch als eigenständiger Beitrag zur
Harmonisierung der Kriterien der Begutachtung der körperlichen und geistigen Eignung von
Kraftfahrzeugführern für die nächste EU-Führerscheinrichtlinie zur Diskussion. Insofern
dienen sie auch der Verhinderung des Führerscheintourismus.
Sowohl die fachärztlichen als auch die medizinisch-psychologischen Begutachtungen
müssen hinsichtlich des Methodeneinsatzes dem Stand von Wissenschaft und Technik
entsprechen. Mit der Anwendung der zuvor genannten fachlichen Grundlagen wird das Ziel
zur Erhöhung der Transparenz und zur Vereinheitlichung der Begutachtung verfolgt, das
auch den Aspekt des Verbraucherschutzes einschließt. Zu betonen ist hierbei der
interdisziplinäre Charakter der medizinisch-psychologischen Begutachtung. Die medizinischpsychologische Begutachtung von z. B. drogen- und alkoholauffälligen Kraftfahrern wird
unter Beachtung der Einzelfallgerechtigkeit als Entlastungs- und ressourcenorientierte
Diagnostik durchgeführt.
Zur kontinuierlichen Verbesserung der Prozesse und Produkte im Rahmen der Begutachtung
wird von amtlich anerkannten Trägern von Begutachtungsstellen für Fahreignung ein
Qualitätsmanagement-System – hier sind u. a. Produkt- und Systemaudits gefordert –
vorgehalten. Träger von a. a. BfF müssen von der BASt akkreditiert und von der obersten
Aufsichtsbehörde des jeweiligen Bundeslandes, in dem sie tätig sind, anerkannt sein.
Die Gutachten, die der Vorbereitung der behördlichen Entscheidung über die Versagung
oder Neuerteilung einer Fahrerlaubnis dienen, müssen den Kriterien der Vollständigkeit, der
allgemein verständlichen Sprache, der Nachvollziehbarkeit und der Nachprüfbarkeit
entsprechen.
Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Schubert
Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie e. V. (DGVP)
1. Vorsitzender des Vorstands
DEKRA Automobil GmbH
Fachbereich Verkehrspsychologie
Ferdinand-Schultze-Str. 65
13055 Berlin
Tel. 030 / 98 60 98 - 80/81
Fax 030 / 98 60 98 - 67
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