Das einkommens- und vermögensunabhängige Blindengeld in der Diskussion 4 Fragen – 4 Antworten von Dr. Herbert Demmel 1. Warum benötigen blinde Menschen ein Blindengeld? In einer optisch geprägten Welt hat der Verlust des Sehvermögens mannigfaltige Auswirkungen auf vielen Bereichen. Betroffen werden dadurch die Information, die Mobilität, der Vollzug lebenspraktischer Verrichtungen im Alltag und die Kommunikation mit Mitmenschen. Nur wenn die dadurch verursachten Mehraufwendungen und Nachteile ausgeglichen werden, sind ein selbstbestimmtes Leben und eine befriedigende Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben möglich. Der Ausgleich kann durch spezielle und deshalb teure Hilfsmittel und durch Assistenzleistungen erfolgen. Hier nur einige Beispiele: Zeitungen, Bücher oder andere Schriftstücke müssen von Hilfskräften vorgelesen oder mit Hilfe teurer Lesegeräte gelesen werden. Nur ein Bruchteil steht auch in Blindenschrift zur Verfügung. Dann sind Blindenschriftbücher aber etwa 10-mal so teuer wie Schwarzschriftbücher. Blinde Menschen, die nicht selbst Schreiben können, was vor allem bei im Alter erblindeten Menschen häufig der Fall ist, brauchen auch zum Schreiben eine Hilfe. Zumindest unbekannte Wege können nicht alleine zurückgelegt werden. Eine Begleitperson ist bei Spaziergängen, Behördengängen, Arztbesuchen, aber auch Urlaubsreisen notwendig. Wer als Blinder alleine unterwegs ist, benötigt häufig ein Taxi, wo sehende Menschen den öffentlichen Personenverkehr oder das eigene Auto benutzen können. Hilfe wird häufig auch für die Körperpflege, Nahrungszubereitung (Belegen von Broten, Schneiden von Speisen) und hauswirtschaftliche Versorgung benötigt (Reinigen der Wohnung). Dieser Hilfebedarf ergibt sich, weil ja die optische Kontrolle wegfällt. Wenn ein blinder Mensch durch spezielle Schulung gelernt hat, viele der angeführten Verrichtungen z. B. im Haushalt selbst zu verrichten, müssen zum Ausgleich der fehlenden optischen Kontrolle oft teure Hilfsmittel, wie Waagen oder andere Messgeräte mit Sprachausgabe eingesetzt werden. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass die Hilfeleistungen häufig durch Familienangehörige erbracht werden, und dass vor allem ältere blinde Menschen nicht in ein Heim müssen, sondern in ihrer gewohnten Umgebung verbleiben können. Wie die wenigen Beispiele zeigen, ist der Hilfebedarf sehr vielfältig. Er hängt von der Lebenssituation des einzelnen blinden Menschen ab. 2. Ist es gerechtfertigt, dass das Blindengeld in den Ländern ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt wird? Wie gezeigt, ist der Hilfebedarf sehr vielfältig. Die zum Ausgleich notwendigen Aufwendungen entstehen jedem von der Blindheit betroffenen Menschen. Sie liegen mit Sicherheit höher als das gewährte Blindengeld. Wenn die vollen Belastungen vom Blinden alleine getragen werden müssten, träte gegenüber sehenden Mitmenschen eine Benachteiligung ein, die die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nicht mehr möglich machen würde. Man darf auch nicht übersehen, dass von den Blinden Menschen im erwerbsfähigen Alter nur etwa 30 % überhaupt einer beruflichen Tätigkeit nachgehen können, die überwiegend im unteren Einkommensbereich zu finden sind. 70 % der blinden Menschen haben ihr Augenlicht erst im Alter verloren. Wenn sie all ihre Ersparnisse zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen einsetzen müssten, würde das rasch ihre finanziellen Möglichkeiten überfordern, oder, was noch mehr zu befürchten wäre, sie würden sich zurückziehen, vereinsamen und auf ein angemessenes Leben verzichten. 3. Andere Behindertengruppen erhalten zum Ausgleich ihrer durch die Behinderung bedingten Bedürfnisse auch keine vom Einkommen und Vermögen unabhängige Leistung. Weshalb sollen dann blinde Menschen eine solche Leistung erhalten? Diese Frage wird oft gestellt. Sie wird mit der Behauptung verbunden, dass andere Gruppen behinderter Menschen keine entsprechende Leistung erhalten. So stimmt diese Aussage nicht. Viele behinderte Menschen erhalten wegen ihres speziellen Hilfebedarfs Leistungen aus der Pflegeversicherung nach dem SGB XI. Diese Leistungen werden ebenfalls ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen gewährt. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer … in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe in den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung bedürfen. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen sind nach § 14 Abs. 4 des SGB XI: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung, 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, 4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Ein Mensch, dem das Augenlicht fehlt, ist, wenn keine weiteren Behinderungen vorliegen und ihm durch Schulungen geholfen wurde, trotz Verlust des Augenlichts den Alltag zu bewältigen, nicht Pflegebedürftig im Sinn des Pflegeversicherungsgesetzes. Das liegt daran, dass der Hilfebedarf, wie schon ausgeführt, den ein blinder Mensch hat, von anderer Art ist als der Hilfebedarf, der nach dem Pflegeversicherungsgesetz ausgeglichen werden soll. Vorlesen, Begleiten, Hilfe bei der Erledigung schriftlicher Arbeiten, sind keine Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz. Dort geht es mehr um Hilfen am Körper wie z. B. Hilfe beim Waschen, bei der Hygiene und beim Essen usw. Behinderte Menschen, die Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz erhalten, können je nach ihrem persönlichen Hilfebedarf zwischen persönlicher Hilfe durch Pflegefachkräfte (§ 36 SGB XI) oder einem Pflegegeld wählen (§ 37 SGB XI). Die Höhe der Leistungen richtet sich nach dem Umfang der Pflegebedürftigkeit. Dementsprechend gibt es 3 Pflegestufen (§ 15 SGB XI). Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat: für Pflegebedürftige der Pflegestufe I 205 Euro, für Pflegebedürftige der Pflegestufe II 410 Euro und für Pflegebedürftige der Pflegestufe III 665 Euro. 4. Für die Pflegeversicherung werden Beiträge gezahlt. Das Blindengeld wird aus Steuern finanziert. Ist das nicht ein großer Unterschied? Es liegt im Ermessen des Gesetzgebers, ob Leistungen, die ein Lebensrisiko ausgleichen sollen im Rahmen einer Sozialversicherung gewährt werden oder ob die Hilfe durch Steuern finanziert wird. In Österreich wird das Blindengeld z. B. im Rahmen der dortigen Pflegeversicherung gezahlt. Wenn sich der Gesetzgeber für ein steuerfinanziertes Leistungsgesetz entschieden hat, verlangt es schon der Vertrauensschutz, dass er sich daran gebunden hält.