Gudula List - trilingua im saarland

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Vortrag vom 18. Mai 2011 im Rahmen der Veranstaltung „Sprache als Chance“
der CEB Akademie Merzig-Hilbringen
Gudula List
Wie kommen Kinder zu Sprachen?
Die beiden Vorträge heute Abend verknüpfen Sprachenerwerb mit Bewegung. Das ist eine im
höchsten Maße berechtigte Zusammenfügung. Denn Sprache ist Bewegung, und sie entsteht
aus der Bewegung. Das gilt für die über Jahrtausende erarbeitete Sprachfähigkeit der
menschlichen Gattung ebenso wie für die Sprachentwicklung der Kinder in jeder neuen
Generation.
Um genau zu sein, muss ich jedoch (was meinen Beitrag angeht) einschränken: Wenn im
Zusammenhang mit der Sprache von Bewegung die Rede ist, dann geht es um Bewegungen,
die zwischen Menschen im Dienst der Mitteilung stattfinden, also um kommunikative
Bewegungen. Und es geht überdies um solche kommunikativen Bewegungen der Kinder, die
ganz unmittelbar mit sinnlicher Wahrnehmung derjenigen Bewegungen verkoppelt sind, die
sie, die Kinder, vom Gegenüber empfangen.
Wiegenlieder der Babyzeit: Impulse für erste Sprechbewegungen und Artikulationen
Lassen Sie mich versuchen, deutlich machen, wie das zu verstehen ist: Kleinkinder machen
zunächst Phasen motorischer Aktivität durch, die zwar den späteren Austausch von verbalinhaltlichen Botschaften erst vorbereiten, aber dennoch unzweifelhaft schon kommunikativen
Zwecken dienen. Das ist bereits der Fall, wenn Babys die Erwachsenen, die sich mit ihnen
beschäftigen, im Ansatz imitieren - zunächst mit mimischen Ausdrucksbewegungen, mit noch
ungezielten Bewegungen der Arme und Händchen und mit wohligem oder auch verärgertem,
‚Krähen’, das am Anfang noch undifferenziert klingt. Aber schon nach wenigen Monaten
kommt die Stimme mit ins Spiel, die auf die Anregungen des Gegenübers reagiert. Die Kinder
beginnen, ihre Sprechwerkzeuge auf spätere Gespräche vorzubereiten und üben damit den
Bewegungsapparat ihres Mund- und Rachenraumes ein. Es geschieht dabei folgendes: Sie
nehmen den sprachlichen Singsang von ihnen zugewandten Personen sinnlich über das Gehör
wahr. Und bemühen sich, in diese Melodie selbst mit einzustimmen, indem sie markante Teile
hiervon nachahmen. Um mit der Zeit ihre Lautproduktion zielgerechter auszuführen, müssen
sie mehrere sinnliche Wahrnehmungen miteinander zu verbinden lernen:
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- die akustische Wahrnehmung, die vom Gegenüber ausgesendet wird,
- zugleich die visuelle Wahrnehmung eines ausdrucksreichen Gesichts, vor allem des
Mundbilds
- die Wahrnehmung der internen Rückmeldung ihrer eigenen Muskeltätigkeit bei den
Sprechbewegungen
- und die akustische Wahrnehmung dessen, was sie selber produzieren zurück an das eigene
Ohr.
So steuert die Abgleichung der gehörten fremden und eigenen Laute, unterstützt durch die
Gesichtswahrnehmung beim Gegenüber, von Beginn an die Kontrolle der Eigenbewegung bei
der Artikulation – noch weit vor allen Inhalten, aber getragen von der emotionalen, im wahren
Sinne ‚bewegten’ Stimmung des Zusammenspiels. Das ist der sensu-motorische Auftakt zur
späterhin unauflösbaren Verkettung von Sprechen und Verstehen.
Der sprechmotorische Apparat, der uns zunehmend den von Inhalten getragenen Austausch
mit anderen Menschen über die Stimme ermöglicht, ist verantwortlich für die gewiss
kompliziertesten menschlichen Bewegungen überhaupt. Die allmähliche Beherrschung dieses
Apparats in der Kindheit könnte niemals losgelöst von sozialer Ansprache geschehen. Es
bedarf dieses Kontakts, um die Verbindung der beschriebenen Wahrnehmungen mit der
Eigenmotorik anzubahnen. Schon in ihrem ersten Jahr nehmen die Kinder hierbei wichtige
Informationen über die melodischen und sprachlichen Strukturen auf, die später
beispielsweise einmünden in das Erkennen von Wortgrenzen und von Grundmustern der
Satzgefüge.
Es gibt über dieses Geschehen im ersten Lebensjahr seit einiger Zeit viel Forschungsarbeit,
die vor allem in bestimmten Teildisziplinen der Linguistik geleistet wird. Sie als Angehörige
oder als ErzieherInnen müssen die Details aus solcher Laborforschung nicht kennen. Aber
dies ist die erste wichtige, alltagsrelevante Feststellung darüber, wie Kinder zu Sprachen
kommen: Es tut den Kindern gut, wenn Menschen von Anfang an viel mit ihnen sprechen, und
zwar von Angesicht zu Angesicht, mit möglichst ausdrucksvoller Rede und begleitender
Bewegung. Viele Erwachsenen verhalten sich hierin intuitiv richtig. Ganz verkehrt wäre es,
sich Gedanken darüber zu machen, dass die Kleinen ja noch gar nicht mitbekommen, was da
gesprochen wird, dass man ja abwarten könnte, bis sie verstehen, was man sagt!
Ein Glück, dass die Kinder in den ersten Lebensjahren nicht merken, was sie beim
Sprachenlernen leisten. Sie achten hierauf nicht, sondern sind stattdessen aufmerksam auf die
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Menschen und das Geschehen in der nahen Umgebung um sie herum. Niemand kann sich
später an die Anfänge des eigenen Spracherwerbs erinnern. Denn er geschieht am
Bewusstsein vorbei, implizit, beiläufig zum interaktiven Handeln, das die Sprachentwicklung
trägt.
Das liegt daran, dass in den ersten Lebensjahren Lernen und Gedächtnis noch anders arbeiten
als später im Leben. Ja, es ist die Ausbildung der elementaren Sprachfähigkeit in den ersten
Jahren selbst, die im Lauf der Zeit die Verarbeitung von Erfahrungen und ihre Verankerung
im Gedächtnis grundlegend verändert. Im Fachjargon ausgedrückt: implizite Prozesse
reichern sich mit den Jahren durch explizite Prozesse an, also durch solche, die sich ins
entstehende Bewusstsein zurückholen lassen und die sich mitteilen (eben: explizieren) lassen.
Es muss allerdings schon an dieser Stelle eingeräumt werden, dass die Forschung, die gerade
bei der frühkindlichen Entwicklung gern auf den universellen, allgemein gültigen, Charakter
der Abläufe verweist, erst allmählich einzuschätzen beginnt, wie sehr Tempo und Gang dieser
Entwicklung mit den Anregungen aus der Umwelt variieren kann. Lange Zeit sind vorrangig
Kinder aus bildungsbeflissenem Milieu in die Untersuchungen einbezogen worden, wo Eltern
sich für solche Unternehmungen gern zur Verfügung stellen. Das prägt das Bild von dem
vermeintlich universellen Verlauf der Entwicklung.
Austausch bedeutungsvoller Gesten auf dem Weg zur verbalen Mitteilung: Die Anfänge der
mit anderen Menschen geteilten Aufmerksamkeit für die Umgebung
Bis hierher habe ich den Zusammenhang angesprochen, der zwischen Spracherwerb und
Bewegung besteht, indem Kleinstkinder im Rahmen intimer Zweierbeziehungen ihre
Artikulationsbewegungen einüben. Im nächsten Schritt geht es um die Öffnung der Dyade hin
zu dem Geschehen in der gegenständlichen und sozialen Umwelt.
Schon eine Weile bevor die Kinder Wörter (oder Annäherungen an Wörter) äußern, mit denen
sie auf Dinge oder Ereignisse verweisen, machen sie durch Zeigebewegungen ihr Gegenüber
hierauf aufmerksam. Dabei ist das Entscheidende, dass sie sich dessen Aufmerksamkeit
vergewissern, indem sie ihren Blick zwischen dem Bezeichneten und der Partnerin oder dem
Partner hin und her bewegen, so als wollten sie sagen ‚ich will, dass du siehst, was ich meine
und was ich davon halte’. Damit imitieren sie das, was Erwachsene ebenso tun: auch
Erwachsene, die sich intensiv mit ihren Kindern befassen, vergewissern sich durch
Blickwechsel zwischen dem gemeinten Geschehen und dem angesprochenen Kind darüber,
dass ihre Zeigebotschaften von diesem auch registriert werden. Und sie, anders als die
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Kleinen, die noch nicht sprechen können, reden dazu, geben den Dingen Namen und
Erläuterung. Erwachsene (auch ältere Kinder) neigen dazu, solche Situationen ganz intuitiv so
zu gestalten, als teilten sie den Kindern mit, wie sie selbst zu den bezeichneten Ereignissen
stehen. Wir dürfen dieses Geschehen als den Anfang des zwar noch unsymmetrischen, aber
doch beide Seiten gleichermaßen betreffenden Dialogs ansehen, der von vornherein nicht nur
hinweisend, sondern auch emotional gestimmt und erklärend ist.
Zeigegesten sind daher nicht bloße Kennzeichnungen von den konkreten Dingen als solchen.
Sie gelten vielmehr der Bedeutung, die Objekte und Geschehnisse für die Gesprächspartner
haben, und sie dienen dazu, dem anderen diese Bedeutungen zu übermitteln. Demonstrative
Handbewegungen, also Zeigegesten auf Sachverhalte sind ein Mittel für diesen Austausch. Es
kommen konventionalisierte Gesten hinzu, wie ‚beide Ärmchen hoch heben’ für die
Aufforderung, in dem Arm genommen zu werden. Oder die entsprechende Reaktion auf die
Abschiedsgeste des ‚winke, winke’. Wir sollten dies als ein Verhalten würdigen, bei dem
bereits eine Art von Erwartung bei den Kindern wirksam ist, dass andere verstehen, was sie
meinen. Oder anders gesagt: dass sich eine durch vielfältige Erfahrung herbeigeführte
Zuversicht entwickelt: auf eine bestimmte Geste wird eine entsprechende Reaktion erfolgen.1
Übrigens: das gestische Zwiegespräch mag beim Austausch mit Kleinkindern besonders
intensiv gepflegt werden – es dauert jedoch das Leben lang an. Wir gestikulieren, mancher
mehr und manche weniger, beim Sprechen und unterstreichen damit die Bedeutung des
Gesagten, ganz so, wie wir das auch mit der Intonation der Rede tun – sogar beim
Telefonieren, wenn die Gesprächspartner uns gar nicht sehen können. Erst beim schriftlichen
Verkehr miteinander über Distanzen hinweg entfallen alle Hinweise aus der Sprechsituation,
die intonatorischen und die sprachbegleitenden. Entsprechend ausführlicher muss eine
schriftliche Mitteilung ausfallen, weil es einschätzen gilt: was benötigen die anderen an
Präzisierung, um auch ohne die gestische, mimische und melodische Begleitung, die ja
mündliche Mitteilungen verdeutlichen und zu verstehen helfen, was gemeint ist.
Also: kleine Kinder gestikulieren, um Bedeutungen zu vermitteln, vor dem Sprechen, und sie
bereiten sich hiermit darauf vor, dass allmählich der verbale Part der dominante werden wird,
bei dem die gestischen Begleitungen sich langsam einschränken, aber nie ganz verschwinden
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Es gibt in Deutschland eine Arbeitsgruppe, die sich besonders intensiv mit frühkindlichen sozialen
Kompetenzen befasst. Geleitet wird sie von dem Amerikaner Michael Tomasello. Sein grundlegendes Buch über
den Spracherwerb hat noch keine Übersetzung erfahren: Constructing a language. A usage-based theory of
language acquisition. Cambridge 2003. Etliche andere Werke liegen in Übersetzung vor, unter anderem: Warum
wir kooperieren. Berlin 2010.
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werden. Diesen Weg von Gesten, gepaart mit Blicken, hin zu vorrangig sprachlichen
Äußerungen müssen wir genauer betrachten.
Es hat sich in Langzeit-Untersuchungen, also solchen, bei denen die Kinder zusammen mit
ihren Bezugspersonen über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, nachweisen lassen,
dass eine reichhaltige gestisch-kommunikative Aktivität der Kinder, gegen den zweiten
Geburtstag aufgezeichnet, eine gute Vorhersage über den Stand des Wortverstehens derselben
Kinder im Alter von dreieinhalb Jahren erlaubt.2 Es gibt bekanntlich im zweiten und dritten
Jahr beträchtliche Unterschiede zwischen Kindern, was das Anwachsen ihres aktiven und
passiven Wortschatzes betrifft. Wie lassen sich diese Unterschiede erklären?
Die Untersuchungen verweisen, nicht überraschend, auf einen Zusammenhang zwischen der
Reichhaltigkeit der gestisch-vokalen Zuwendung der erwachsenen Dialogpartner mit der
kommunikativen Entwicklung des Kindes. In Elternhäusern wird unterschiedlich intensiv mit
Kindern kommuniziert, schon vom frühen Alter an. Und es zeigt sich, dass die Kinder sich
dem häuslichen Stil anpassen. Ein paar Details aus einer neueren Untersuchung:
Über 50 Eltern-Kind-Paare wurden alle vier Monate über einen längeren Zeitraum zu Hause
beim Spielen beobachtet und auf Video aufgenommen, als die Kinder zwischen 14 und 34
Monate alt waren, etwas nach dem ersten Geburtstag und kurz vor dem dritten. Über die
ganze Zeit hinweg blieb die Zuwendung der einzelnen Erwachsenen an ihre Kinder
nachweislich recht konstant, sowohl was die gesamte Anzahl an Zeige- und konventionellen
Gesten betrifft, wie auch die Anzahl unterschiedlicher Gesten und den Anteil der von Gesten
begleiteten Rede. Bei den Kindern hat man zum ersten Untersuchungszeitpunkt (knapp über
einem Jahr) jeweils etwa halb so viele Gesten wie bei ihren erwachsenen Mitspielern
registriert, wenn auch nur sehr wenige Gesten, die von Vokalisierungen begleitet waren, aus
denen man bereits Wörter heraushören konnte. Bis zum dritten Untersuchungszeitpunkt, also
binnen acht Monaten, als die Kinder knapp zwei Jahre alt waren, hatten sie in ihrem
Gestenreichtum jeweils bereits mit ihrer Mitspielerin gleichgezogen; nur in den Gesten mit
Redebegleitung, blieben sie (natürlich) noch weit hinter den Bezugspersonen zurück. Dieser
mit knapp zwei Jahren an die Eltern angepasste Zustand blieb stabil bis zum letzten
Beobachtungszeitpunkt. Ein halbes Jahr danach hat man dann mit den Kindern einen
Wortschatztest durchgeführt.
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Berichte über diese und andere Untersuchungen finden sich z. B. in einer Sondernummer der Zeitschrift First
Language, Vol.28, No.2 (2008): Special Issue: ‚Gestures and communicative development’
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Die Frage erhebt sich nun nach den Zusammenhängen zwischen der Beteiligung der beiden
Dialogpartner und den Ergebnissen in diesem Wortschatztest. Zwischen dem individuellen
Gestenreichtum der Erwachsenen bei der ersten Beobachtung und diesem später erhobenen
rezeptiven Vokabeltest der einzelnen Kinder hat man keine nennenswerte Korrelation
gefunden. Auch nicht zwischen dem späteren Test und dem eigenen Gestenreichtum der
Kinder am Anfang der Untersuchung. Dagegen wurde ein hoch bedeutsamer Zusammenhang
festgestellt zwischen diesen Testwerten und dem kindlichen Gestenreichtum acht Monate
nach Beginn der Untersuchung. Man kann das so interpretieren: es hat sich zwar nicht ein
direkter Einfluss der gestisch-verbalen Kommunikation der Vorbilder auf die Entwicklung
der Kinder ergeben, wohl aber ein indirekter Zusammenhang. Indem sich die Kinder
hinsichtlich der Zeigegesten und der konventionellen Gesten während ihres zweiten
Lebensjahres an ihre erwachsenen Vorbilder angeglichen haben, sich damit also je nach
Partner selbst unterschiedlich aktiv verhalten, machen sie in ihrer Entwicklung einen Schub,
der sich später in geringeren oder höheren Werten eines recht zuverlässigen Sprachtests
niederschlägt.
Das ist bemerkenswert, und was lässt sich daraus lernen? Die unterschiedliche Reichhaltigkeit
der Anregung ruft größere oder geringere Eigenaktivität bei den Kindern hervor, und diese ist
es, die eine gute Prognose für die weitere Entwicklung erlaubt. Kinder sind Mitkonstrukteure
des eigenen Fortkommens – und zwar nach Maßgabe der Anregungen, die ihnen zuteil
werden!
Spracherwerb ist nicht Vokabellernen! Spracherwerb heißt vielmehr:Kinder erlangen die
Fähigkeit, durch strukturierte Äußerungen Bedeutungen zu verstehen und zu übermitteln
Das scheint eine triviale Bemerkung zu sein. Und doch gehen viele offizielle Einschätzungen
des Sprachstands, bis ins vierte, fünfte Jahr hinein so vor, dass sie die Anzahl der einzelnen
Wörter auszählen, die Kinder zu verschiedenen Zeitpunkten schon verstehen oder selber
benutzen (das gilt auch für den Test, der in der gerade geschilderten Untersuchung
herangezogen worden ist).3
Die so genannte ‚Einwortphase’ ist nicht wirklich eine treffende Bezeichnung für den aktiven
Sprachbeginn. Denn, sozusagen in der Nussschale, stehen hier ‚Wörter’ bereits für Aussagen.
Und sofern ein Wort (wie ‚weg’ oder ‚ham’ oder ‚papa’) von einer Zeigegeste begleitet wird
3
Es handelt sich hier allerdings um ein US-amerikanisches Verfahren, das alle Gütekriterien eines guten Tests
erfüllt: den Peabody Picture Vocabulary Test. Eine deutsche Version hiervon gibt es für die Kindheit nicht
sondern erst für das Jugendalter.
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(z.B. auf einen Teddy oder einen Schuh), ist dies, beides zusammengenommen, eine
Äußerung über einen Aussage-Gegenstand. Kombinationen von Wort und Geste dürfen als
Vorboten von dem aufgefasst werden, was dann (ebenso wenig präzis) gern ‚Zweiwortphase’
genannt wird. Viele Erwachsene reagieren auf solche Äußerungen mit dem einzig
angemessenen Verständnis: ‚Ja, das ist Papas Hausschuh, er ist zum Einkaufen gefahren. Da
braucht er andere Schuhe’. Es gibt Beobachtungen darüber, wie die so angebotene Sprache
von den Kindern in der Folge aufgegriffen und in die eigene verbale Verfügung übernommen
wird. Je intensiver die Gesprächspartner so auf für die Kinder plausible und informative
Weise Bezeichnungen in den Sprech- und Handlungskontext einbetten und an die Kinder
heranbringen, desto stärker begünstigt dies das Aufgreifen neuer Sprachelemente, die in der
Folge zu Bestandteilen von immer stärker verbal-komplexen Aussagen werden.
Komplexer werdende Äußerungen, das heißt: solche die zunehmend durch das Regelwerk der
Grammatik strukturiert werden. Im kindlichen Spracherwerb wird Grammatik nicht ‚gelehrt’.
Sie stellt sich im Zuge der Kommunikation ohne jegliche Unterrichtung ein. Das gehört zu den
am Anfang erwähnten, segensreichen impliziten Aneignungsprozessen, für deren Entwicklung
unsere Gattung ausgerüstet ist. Erwachsene, besonders wenn es sich um linguistische
Fachleute handelt, mögen dies dann so ausdrücken: ‚in dem und dem Alter haben Kinder die
Verb-Zweitstellung in Aussagesätzen geschafft’. Glücklicherweise braucht man mit solchen
Dingen die Kinder nicht zu behelligen. Wichtig ist nur, dass man das Lernen von Strukturen
und Bedeutungen auch tatsächlich als einen Aneignungsprozess begreift: Selbsttätig aneignen
können sich Kinder in dem Alter nur das, was ihnen unmittelbar in der Kommunikation
angeboten wird.
Der grundlegende Erwerb von Regelsystemen der umgebenden Sprachen (Regeln der
Lautbildung, der Wort- und Satzbildung) gilt, zu Recht, als ein sehr verlässlicher Vorgang. Er
greift sogar dann, wenn das Sprachangebot in der häuslichen Situation nicht besonders
reichhaltig ist. Schließlich stellen alle Erwachsenen, die einmal Eltern werden, diese
elementaren Angebote schon deshalb zur Verfügung, weil sie die Regelwerke selbst auf
implizite Art erworben haben. Tatsächlich kommen alle Kinder, sofern sie hören können und
nicht schwere Schäden mitbringen, gar nicht umhin, in ihren ersten Lebensjahren die
elementaren formalen und semantischen Strukturen derjenigen Lautsprachen - oder ihrer
Sozio- oder Dialekte - zu erwerben, die in ihrer nahen Umgebung herrschen. Das kann dazu
verleiten, kindlichen Spracherwerb insgesamt als eine Art Naturgeschehen misszuverstehen.
Er ist aber ein soziales Geschehen, bei dem die Qualität der sprachlichen Anregung, die ein
Kind erfährt, mit ansteigendem Alter immer wichtiger wird. Sie kommt verstärkt dann ins
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Spiel, wenn für Kinder die Sprache ab drei, vier Jahren zum hauptsächlichen Instrument des
erwachenden Denkens wird.
Kindlicher Spracherwerb erschöpft sich nicht im Wörter- und Regellernen. Er bewirkt
vielmehr den Einstieg in das Handeln mit Sprache in der Interaktion mit anderen und mit
sich selbst
Zunächst ist es unbestreitbar nötig, dass kleine Kinder sich in ihrer nahen Umwelt zurecht zu
finden und zu behaupten lernen. Sie müssen einigermaßen verstehen, was man zu ihnen
spricht, und müssen ausdrücken können, was sie wollen und empfinden. Dazu lernen sie die
Wörter für Objekte, die sie umgeben und für Geschehnisse, an denen sie teilhaben. Sie lernen
damit, die an sie gerichtete Ansprache aus der Situation heraus zu verstehen und selber
Wörter zu Äußerungen zu verbinden, die auszudrücken, was ihnen unmittelbar wichtig ist.
Dies ist aber erst der Anfang. Die Macht der Sprache, mit der Kinder aus der frühkindlichen
Befangenheit im Hier und Jetzt heraustreten und mit der sie ab dann ihr Leben gestalten, führt
weit hinaus über die Fähigkeit, sich mit andern über das auszutauschen, was gerade geschieht.
Sprachen erlauben uns vielmehr, zu begreifen, und dies zum Gesprächsgegenstand zu
machen, dass allem, was wir gegenwärtig erleben, eine Geschichte zugrunde liegt, eine
Geschichte, die sich fortentwickeln wird. Sprachen sind also das Instrument zum Ausdruck
der Fantasie, die sich vom Gegenwärtigen entfernt und zu Erklärung, Begründungen und
Planungen führt. Wir können sogar mit den Mitteln der Sprache die Realität außer Kraft
setzen: Märchen erzählen, uns Fiktionen, Witz und Ironie erlauben. Vor allem ist die Sprache
daran beteiligt, dass wir uns vorstellen können, was in anderen Menschen vor sich geht. Das
ist die unabdingbare Voraussetzung für ein zivilisiertes Miteinander.
Viele erwachsene Gesprächspartner gehen ganz intuitiv schon zu einer Zeit, wenn Kinder sich
in ihren Äußerungen noch ganz in der Gegenwart befinden, dazu über, vorherzusagen, zu
erklären, zu bewerten, Gefühle und Empfindungen zu thematisieren. Das kommt der
Entwicklung der Kinder insgesamt zugute, nicht nur der sprachlichen, denn die Kinder ziehen
intellektuell und partnerschaftlich mit.4
Solche Gespräche bewirken so viel mehr, als dass Kindern damit Wörter angeboten werden!
Wo die Intuition hierzu oder der häusliche Kommunikationsstil diese Anregungen nicht
4
Ein Literaturhinweis: Astington, Janet W. (2000): Wie Kinder das Denken entdecken. München. Die englische
Originalausgabe ist zwar schon über 15 Jahre alt, aber immerhin liegt eine Übersetzung vor. Leider noch nicht
übersetzt ist ein rundum zu empfehlendes Werk das leider noch nichtübersetzt: Nelson, Katherine (2007): Young
minds in social worlds. Experience, meaning, and memory. Cambridge
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hinreichend zur Verfügung steht, muss man in den Einrichtungen und auch bei den Eltern, auf
diese Zusammenhänge hinweisen. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Trainingsstudien,
die sinnvoller Weise mit Familien durchgeführt werden, die nicht, wie das Gros aller
Untersuchungen, der Mittel- oder Oberschicht angehören. Mütter verändern ihren
Interaktionsstil, wenn sie über eine längere Zeit kundig begleitet und darin gut beraten
werden, wie wichtig es für die Entwicklung ihrer Kinder ist, dass sie sich mit ihnen häufig
und ausführlich über zurückliegende und geplante gemeinsame Erlebnisse unterhalten, dabei
die Emotionen der Beteiligten ansprechen, viele offene Fragen stellen, gut und interessiert
zuhören und ihr Kind zu mehr Ausführlichkeit anspornen. Es zeigt sich in solchen Studien,
dass ein reichhaltiger Gesprächsstil nicht das Privileg bestimmter Milieus bleiben muss,
sondern, dass er lernbar ist.5 Auch manche Erzieherin kann hier noch hinzulernen. Und wenn
es ihr gelingt, ihr Wissen und ihre Praxis sensibel an Eltern weiterzugeben, so wird daraus
eine gute Erziehungspartnerschaft!
Mehr als eine Sprache in der frühen Kindheit
Ich bin Ihnen zum Schluss einige Anmerkungen zur mehrsprachigen Entwicklung schuldig.
Das kann ich aber kurz fassen, denn in der frühen Kindheit, mindestens bis zum 5./6.
Lebensjahr, herrschen auch bei mehrsprachiger Umgebung implizite Lernprozesse vor, die
wie beim einsprachigen Erwerb - so wie hier beschrieben - erst mit der Zeit durch explizite,
stärker sprachbewusste Prozesse ergänzt werden.6
Wenn es von Anfang an in der Umgebung eines Kindes zwei Idiome gibt, sei es dass die
Sprachherkunft der Eltern verschieden ist, oder dass es sich um hochsprachliche und
dialektale Varianten handelt, so werden Kinder von vornherein einen mehrsprachigen Erwerb
leisten (dokumentiert sind viele Fälle von zweisprachiger, einige auch von dreisprachiger
Entwicklung). Voraussetzung hierfür ist freilich, dass die Sprachen ähnlich präsent sind und
einigermaßen den jeweiligen Personen zugeordnet bleiben. Vor allem jedoch: dass es nicht
5
Einige dieser Untersuchungen werden beschrieben in: List, Gudula (2010): Die Entwicklung narrativer
Kompetenzen, oder: Wie das erzählende Ich entsteht. In: Lutz, Klaus & Struckmeyer, Kati (Hrsg.): Erzählkultur.
Sprachkompetenzförderung durch aktive Medienarbeit. München, S. 37-46
6
Statt einer ausführlicheren Darstellung an dieser Stelle sind hier einige Literaturempfehlungen angebracht: List,
Gudula (2007): Förderung von Mehrsprachigkeit in der Kita. München: Deutsches Jugendinstitut. Download unter
http://www.dji.de/bibs/384_8288_Expertise_List_MSP.pdf; Reich, Hans H. (2008): Sprachförderung im
Kindergarten. Grundlagen, Konzepte und Materialien. Berlin; Ringler, Maria u.a. (2004): Kompetent
mehrsprachig – Sprachförderung und interkulturelle Erziehung im Kindergarten. Frankfurt/M.: Verband
binationaler Familien; Tracy, Rosemarie (2007): Wie Kinder Sprachen lernen. Und wie wir sie dabei
unterstützen können. Tübingen.
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insgeheim oder gar offenkundig Vorbehalte gegenüber einer der Sprachen gibt. Kinder sind in
der Regel sehr sensibel, was dies betrifft.
Tritt zu einer ersten Sprachvariante, die zu Hause herrscht, in frühem Alter eine weitere
ähnlich präsente (z. B. im Kindergarten) hinzu, und geschieht dies ab etwa dem dritten/vierten
Lebensjahr, so spricht man von sukzessivem, zeitlich versetztem Zweitspracherwerb. Über
dieses Geschehen gibt es, zumal für den Fall, dass die häusliche Variante nicht einem
bildungsbeflissenen Milieu entstammt, bisher kaum verlässliche Dokumentationen, und
dementsprechend herrscht große Unsicherheit in der Öffentlichkeit. Das liegt zum guten Teil
daran, dass allgemein (und zuweilen durchaus auch in der Fachwelt) eine nur eingeschränkt
zutreffende Vorstellung von ‚Familien- oder Muttersprache’ und von ‚Landes- oder
Mehrheitssprache’ verbreitet ist. Die Vorstellung nämlich, es seien damit komplette Nationalund Standardsprachen gemeint, die die Kinder automatisch erwerben.
In der Umgebung kleiner Kinder werden nun aber – zu Hause wie in der Kita - nur Varianten
einer Sprache benutzt, mal standardnahe, mal nur eingeschränkte, mal auch vermischte, im
Glücksfall jedenfalls reichhaltige. Kleine Kinder, die ja noch keine explizite Motivation zum
Sprachenlernen ausgebildet haben, sondern einer ursprünglichen Motivation zum Handeln mit
Sprache folgen, können nur erwerben, was ihnen angeboten wird. Das werden am ehesten die
flüssige Sprachmelodie und die Grundmuster von Grammatik und Semantik sein, nicht jedoch
unbedingt elaborierte und bildungssprachliche Register. Die aktuelle Diskussion um
frühkindliche Bildung in unserem Land zielt zu Recht auf jene Kinder, die – mit oder ohne
Migrationshintergrund - zu Hause wenig oder nur einfaches, situationsgebundenes Deutsch
erfahren und insgesamt unter wenig entwicklungsförderlichen Bedingungen aufwachsen.
Was den Fall des echten mehrsprachigen Erwerbs von Anfang an von dem sukzessiven
Zweitspracherwerb unterscheidet, ist Folgendes: Beim späteren Hinzutreten einer zweiten
Sprache in früher Kindheit lässt sich zwar im Prinzip mit denjenigen Lernstrategien rechnen,
die in den frühsten Stadien des Erstspracherwerbs wirksam sind. Jedoch sind die Kinder mit
zwei, drei Jahren sozial, emotional und intellektuell bereits in ihrer häuslichen Umgebung im
Umgang mit Sprache vertraut. Es wäre also unangebracht, mit der hinzutretenden Sprache auf
sie zuzukommen wie auf ein Baby im ersten und zweiten Jahr. Wohl aber profitieren diese
Kinder von flüssiger, lebhafter Wort- und Satzbetonung, deutlichem Mundbild und
begleitender Gestik, und zwar von Angesicht zu Angesicht. Kinder, die in diesem Alter dem
Deutschen als Zweitsprache begegnen, brauchen also keine Babysprache, aber sie sind,
zumindest zeitweilig, auf enge Zweierbeziehungen angewiesen.
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Was sich hieraus von selbst verstehen sollte ist, dass der Sprachinitiation in der häuslichen
Umgebung in jedem Fall Achtung gebührt – und zwar psychologisch gesprochen, gar nicht
einmal so sehr, weil es um Respekt vor der arabischen, russischen oder kurdischen Sprache
geht (das natürlich auch), sondern, weil die ersten Schritte der sprachlichen Interaktion die
Grundlage für alles weitere Sprachenlernen ist, und nicht nur dies: sie sind grundlegend für
die gesamte Entwicklung der Person.
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