Die deutsche Sprache in Forschung und Lehre Der Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache e.V. (ADAWiS) und die Freie Universität Berlin (FUB) veranstalteten am 29. Jan. 2013 im Einstein-Saal der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Berliner Gendarmenmarkt eine Podiumsdiskussion zum Thema „Die Sprache von Forschung und Lehre: Welche – Wo, für Wen?“ Ausgewiesene Gelehrte verschiedenster Fachrichtungen und viele sprachinteressierte Bürger füllten den Plenarsaal. Thematische Einführung Herr PD Dr. Hermann H. Dieter, Vorstandsmitglied des ADAWiS, begrüßte die Anwesenden und kündigte an, dass ein Mitschnitt-Protokoll veröffentlicht werden solle. Dann gab der Präsident der FUB, Herr Prof. Dr. Peter-André Alt, der selbst von Hause aus Germanist ist, eine thematische Einführung. Alt skizzierte die neuzeitliche Entwicklung im „lateinischen“ Europa und konstatierte, dass Deutsch als Wissenschaftssprache im „langen 19. Jahrhundert“, d.h. zwischen 1789 und 1914, auf vielen Gebieten dominiert habe. Zugleich aber hätten die Wissenschaftler jener Epoche über extrem gute Fremdsprachenkenntnisse verfügt, und alle international ausgerichteten wissenschaftlichen Zeitschriften seien mehrsprachig gewesen. Seit den 1960er Jahren wurde die Mehrsprachigkeit der deutschen Publikationsorgane sukzessive aufgegeben, und das angloamerikanische Idiom sei seitdem auf einem unaufhaltsamen Siegeszug. Podiumsdiskussion Im Zentrum der Veranstaltung stand eine Podiumsdiskussion. Sie wurde moderiert von Frau Dr. Amory Burchard, Redakteurin „Wissen“ beim Tagesspiegel. Auf dem Podium wirkten mit: Frau Prof. Erika Fischer-Lichte, Theaterwissenschaftlerin an der FUB, Herr Prof. Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Herr Prof. Ralf Mocikat, Immunologe und 1. Vorsitzender des ADAWiS, Herr Prof. Jürgen Trabant, Romanist, der nach seiner Emeritierung als Professor of European Plurilingualism an der Jacobs-University Bremen arbeitet, und Herr Prof. Günter M. Ziegler, Mathematiker an der FUB. Frau Prof. Lichte erläuterte, dass Multilingualität für die Theaterwissenschaftler eine Selbstverständlichkeit sei. Die Vorstellung, allein mit der englischen Sprache auskommen zu können, würde zwangsläufig zu einer Verarmung der menschlichen Kultur führen. Ihre in Berlin studierenden Ausländer arbeiteten aus eigenem Interesse mit Eifer an der Vervollkommnung ihrer Deutschkenntnisse. Prof. Ziegler ging es nicht um Multilingualität, sondern um Internationalität. Das Ziel bestünde in der internationalen Sprachfähigkeit der Studenten. Dieses Ziel werde erreicht, wenn die Studierenden lernen, sich in ihrem Studienfach englisch auszudrücken. Deshalb könne man das Mathematikstudium von Anfang an voll und ganz in Englisch anbieten. Dabei sei es quasi belanglos, ob es sich um deutsche oder ausländische Studierende handele. Ziegler meinte, dass gelte im Grunde auch für die Naturwissenschaften und die Ingenieurwissenschaften. 1 Dem hielt Prof. Mocikat entgegen, dass die meisten ausländischen Studenten keine perfekten Kenntnisse des Englischen mitbrächten und auch deshalb nach Deutschland kämen, um sich mit der deutschen Kultur und Sprache vertraut zu machen. Sie seien sehr enttäuscht, wenn ihnen deutsche Arbeitsgruppenleiter in deutschen Forschungsinstituten verbieten, Fachgespräche in Deutsch zu führen. Es sei auch nicht hinnehmbar, dass Forschungsanträge von deutschen Forschern beim BMBF und der DFG neuerdings in englischer Sprache eingereicht werden müssen, zumal die beantragten Forschungsgelder aus dem deutschen Steueraufkommen fließen. In diesem Zusammenhange sei nach der Rechtmäßigkeit staatlicher Zwänge zu Ungunsten der deutschen Sprache zu fragen. Der Romanist Trabant wies auf den fundamentalen Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken hin. Er selbst schreibe unmittelbar in vier Sprachen, ohne dabei von einem deutschen Erstmanuskript auszugehen und dieses dann zu übersetzen. Die Humanwissenschaften brauchen dringend die verschiedenen Sprachen. Das Studium der Originaltexte durch die Studierenden sei unverzichtbar, zumal die zur Verfügung stehenden englischen Übersetzungen häufig nicht gut genug sind. Administrative Vorgaben zur Förderung der Multilingualität halte er aber für kontraproduktiv, da Politik und Öffentlichkeit ohnehin nicht verstünden, was Sprache eigentlich sei. Auch der HRK-Präsident Hippler unterstrich, dass in der Vielsprachigkeit ein großer Schatz liege. Es sei aber dem freien Ermessen der Hochschulen und ihrer Selbstverwaltungsorgane anheim gestellt, die Sprachempfehlungen, die die HRK im November 2011 beschlossen hatte, zu beachten oder zu ignorieren. Die Universitäten müssten sich selbst entscheiden und bekennen. Gesetzgeberische Eingriffe seien fehl am Platze. Es sei Aufgabe der Universität, zu „bilden“ und nicht „auszubilden“. Beiträge aus dem Auditorium Nachdem auch dem Auditorium die Möglichkeit gegeben war, sich aktiv an der Debatte zu beteiligen, gab es viele Wortmeldungen, von denen aus Zeitgründen nur einige wenige zu Gehör gebracht werden konnten. Die sehr engagiert vorgetragenen Redebeiträge drehten sich vor allem um die folgenden Aussagen: 1. Die Sprache spiele in Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften eine ganz andere Rolle als in der Mathematik, deren Terminologie auf eindeutigen abstrakten Definitionen beruhe und damit von den Umgangssprachen abgekoppelt sei. Prof. Ziegler könne nicht zugestimmt werden. 2. Der Übergang auf Englisch als alleinige Lehrsprache an deutschen Universitäten, die von den deutschen Steuerzahlern finanziert werden, widerspreche den nationalen deutschen Interessen. Es ginge nicht an, dass in Deutschland ausgebildete Hochschulabsolventen dem deutschen Arbeitsmarkt infolge unzureichender Deutschkenntnisse verloren gingen. Neuere Studien aus Schweden und den Niederlanden zeigten, dass mit dem Übergang von der Muttersprache auf Englisch erhebliche Qualitätsverluste bei der Wissensaneignung und –vermittlung verbunden seien. 3. Ein Germanistikprofessor aus Barcelona betonte, dass in Katalonien darauf geachtet würde, die katalonische Sprache auf allen Gebieten, auch in den Wissenschaften, zu pflegen, denn die Wissenschaftler stünden in der Verantwortung vor der ganzen Gesellschaft. Ihn wundere, dass diese 2 Maxime, die in seiner Sprachgemeinschaft mit nur 5 Mio. Muttersprachlern eine Selbstverständlichkeit sei, im deutschen Sprachraum (mit seinen etwa 100 Mio. Muttersprachlern) zur Disposition stehe. 4. Ein französischer Anglistikprofessor erinnerte ebenfalls an die legitimen Rechte des deutschen Steuerzahlers. Wollen die Deutschen wirklich, dass die deutschen Kinder keine gediegene Ausbildung in ihrer Muttersprache erhalten? Will man sie schon vom Kindergarten an in Englisch unterrichten und der schönen deutschen Sprache schon im Vorschulalter entwöhnen? Die europäische Kultur lebe jedoch von der Vielsprachigkeit, die auch in wissenschaftlichen Zeitschriften und auf Kongressen gepflegt werden müsse, erforderlichenfalls unter Mitwirkung professioneller Dolmetscher. Die gegenwärtige Tendenz zur Angloamerikanisierung sei als eine Art von Kolonialisierung zu werten. Abschlussbewertung Nach der Diskussion folgt programmgemäß eine „Abschlussbewertung“ durch den Präsidenten der FUB. Prof. Alt stellte zunächst fest, dass die Positionsunterschiede auf dem Podium viel geringer gewesen seien als zwischen Podium und Auditorium. Die Geisteswissenschaften würden auch in Zukunft polyphon bleiben. Die Mathematik nehme aufgrund ihrer hohen Formalisierung eine Sonderstellung ein. Grundsätzlich wolle man in der Wissenschaft keine Sprachprotektion. Die Selbststeuerung der Wissenschaft könne man nicht verordnen. Die Sprache sei auch ein Denkmedium, das Bewusstsein, Erkenntnis und Wissen formt. Bei der Ausbildung zum Lehramt dürfe englisch nicht allein im Zentrum stehen. Auf Konferenzen solle man durchaus in mehreren Sprachen vortragen und diskutieren dürfen. Nicht akzeptabel sei eine Vermischung von Sprachen im Sinne von „Denglisch“. Dem Verlust bzw. Rückgang des Deutschen als Wissenschaftssprache könne nur durch kritische Reflexion entgegengewirkt werden. Abschließend nutzten die Teilnehmer die Gelegenheit, die angerissenen Fragenkomplexe in kleineren wechselnden Gruppen, bei einem Glas Wein und einer Brezel, vertiefend oder klärend weiter zu diskutieren. Kurt Reinschke Interessierte finden im Archiv unserer Website unter dem Datum vom 28. 9. 2005 einen Appell zur Pflege der Deutschen Sprache in der Wissenschaft, der maßgeblich auf dem Aufruf „Sieben Thesen zur deutschen Sprache in der Wissenschaft“ fußt. Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehört Professor Dr. Ralph Mocikat, der 1. Vorsitzende des ADAWiS. Mehr zu ADAWiS hier: http://www.adawis.de 3