Nicht-jüdische Zuwanderung im jüdischen Staat? – Internationale Immigrationskonferenz in Israel Israel ist ein Einwanderungsland sui generis. Seit Gründung des Staates im Jahre 1948, aber auch schon in den Jahrzehnten zuvor haben jüdische Menschen aus allen Teilen der Welt zu Hunderttausenden im historischen Land Palästina Zuflucht und/oder eine neue Heimat gesucht. Das 1950 erlassene „Rückkehrgesetz“ öffnete nach den Erfahrungen der 1930er und 1940er Jahre, in denen Juden häufig in lebensbedrohlicher Lage vergeblich an die Türen so manchen Staates geklopft hatten, weit die Grenzen für all jene, die als Juden am Aufbau des jungen Staates mitwirken wollten. An die Möglichkeit, dass es eines Tages tatsächlich Nicht-Juden geben könnte, die in Israel Zuflucht, Broterwerb und neue Heimat suchen, dachte damals – und über viele Jahrzehnte hinweg – niemand. Diese Bewusstseinslage kann schlaglichtartig an einem Sachverhalt erläutert werden: Israel hat zwar bereits 1954 die Flüchtlingskonvention der UN unterzeichnet, aber bis heute nur in Ansätzen die rechtlichen und institutionellen Regelungen geschaffen, deren ein Mitgliedsstaat der Konvention bedarf, um Flüchtlinge und Asylbewerber de facto aufnehmen und betreuen zu können. Nicht zuletzt der wirtschaftliche Aufstieg des Landes seit den 1990er Jahren hat für Israel eine völlig neue Situation geschaffen: Der Bedarf an (billigen) Arbeitskräften, vor allem in drei Wirtschaftssektoren (Landwirtschaft, Bau, häusliche Pflege), der nach Ausbruch der zweiten Intifada im Jahre 2000 nicht mehr durch den bisher geschätzten Zufluss palästinensischer Arbeitskräfte aus Westbank und Gazastreifen befriedigt werden konnte, führte zur staatlich geregelten Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften (vor allem aus China, Thailand und den Philippinen), von denen – anders als von den Initiatoren blauäugig vorausgesetzt nicht alle nach Ablauf ihrer befristeten Aufenthaltsgenehmigung nach Hause zurückkehren wollten. Zu groß ist das Lohngefälle zwischen vielen Drittweltstaaten und dem frisch gebackenen OECDMitglied Israel. Hinzu kamen immer mehr illegale Zuwanderer („Infiltranten“), die vor allem über die schwer zu kontrollierende israelisch-ägyptische Grenze im Negev nach Israel einsickern – äußerst kritisch beäugt von den allgegenwärtigen israelischen Sicherheitsorganen. Hierbei handelt es sich vor allem um Migranten aus Eritrea und Sudan, die – als Angehörige ethnischer und/oder religiöser Minderheiten – gelegentlich auch den Flüchtlingsstatus für sich reklamieren. Alljährlich kommen so – neben den offiziellen Arbeitsmigranten – einige Zehntausende Zuwanderer ins Land. Israel ist auf diese Situation bisher weder mental noch in institutioneller Hinsicht vorbereitet. Hier setzt eine von der „Radzyner Law School“ am Interdisciplinary Center (IDC) Herzliya – der ersten Privatuniversität Israels – ausgehende Initiative des angesehenen Staatswissenschaftlers und bedeutenden Liberalen Amnon Rubinstein und seines jungen, gerade promovierten Mitarbeiters Liav Orgad an. Gemeinsam mit dem renommierten Jerusalemer Politikwissenschaftler Shlomo Avineri und unterstützt von der früheren Richterin am Obersten Gericht Israels, Ruth Gavison, wurden die rechtlichen Grundlagen zu einer konsistenten israelischen Einwanderungspolitik formuliert und dem israelischen Präsidenten, Shimon Peres, sowie dem israelischen Kabinett als Ausgangsbasis für eine rechtliche Kodifizierung unterbreitet. In den geradezu sprichwörtlichen Wirren israelischer Innen- und Koalitionspolitik ist diese Initiative jedoch steckengeblieben. Die neue rechtskonservative Regierung von Premier Netanyahu ist nicht mehr gewillt, sich die Initiative aus Herzliya zueigen zu machen - auch wenn sich ihre Initiatoren als zionistische Patrioten verstehen, die zum Wohle des Staates Israel agieren. Auf Einladung des IDC, des Metzilah Centers und des Büros Jerusalem der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit fand nun zur Monatwende Oktober/ November eine internationale Konferenz unter dem Titel „Immigration, Liberalism, and the Nation-State. Israel in Global Perspective“ in Jerusalem und Herzliya statt. Ziel der anderthalbtägigen Konferenz war es, internationale Erfahrungen zur Migrationspolitik für die innerisraelische Diskussion fruchtbar zu machen. Dazu trugen u.a. neun internationale Referenten aus fünf Ländern sowie israelische Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft bei. Zur Einstimmung wurden die ausländischen Gäste von der Präsidentin des israelischen „Supreme Court“, Dorit Beinisch, empfangen. Frau Beinisch informierte die fachkundigen Gäste über die Spezifika des israelischen Rechtssystems und erläuterte ihnen, wie Israel bisher – in Ermangelung einer Verfassung und anderweitiger gesetzlicher Grundlagen – in Konfliktfällen mit Flüchtlingen und Zuwanderern verfahren ist. Zur Eröffnungssession traf man sich in den Räumlichkeiten des israelischen Parlaments. In seinem Eröffnungsvortrag betonte Stephen Legomsky (Washington University, St. Louis), einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Immigrationsforschung, dass die Einwanderungsgesetzgebung wie kein anderer Rechtsbereich eine Gesellschaft einer gleichsam charakterlichen Prüfung aussetze. Während der Begegnung mit führenden Politikern Israels machte der amtierende Innenminister Eli Yishai deutlich, dass eine von seiner Regierung anzustrebende gesetzliche Lösung der Zuwanderung von einem Grundsatz bestimmt sein müsse: Es gelte die jüdische Bevölkerungsmehrheit im Staat Israel zu erhalten und zu sichern. Auch die Oppositionsführerin in der Knesset, Tzipi Livni, betonte die Notwendigkeit, den jüdischen Charakter des Staates Israel zu sichern. Sie unterstrich jedoch auch, dass der „jüdische und demokratische“ Staat Israel ebenso seinen liberal-demokratischen Traditionen, die in der Unabhängigkeitserklärung von 1948 ihren Niederschlag gefunden haben, verpflichtet sei. Livni erklärte sich bereit, das von Rubinstein und Orgad erarbeitete Gesetzesprojekt ins Parlament einzubringen. Der Generaldirektor des Justizministeriums, Guy Rotkopf, kündigte eigenständige Gesetzesinitiativen der Regierung Netanyahu an. Die zweite Tagungssession in Herzliya war den Dilemmata der Immigration nach Israel gewidmet. Sharon Rabin-Margalioth (IDC, Herzliya) setzte sich mit dem arbeitsrechtlichen Schutz von angeworbenen Arbeitskräften in Israel auseinander. Sie unterstrich, dass ein übereinstimmendes Interesse bei Arbeitgebern wie Arbeitnehmern in Israel bestehe, die Zuwanderer arbeitsrechtlich anders zu behandeln als lokale Arbeitskräfte. Migranten erführen daher lediglich durch ihre – je nach den Gegebenheiten der Branche – starke Stellung am Arbeitsmarkt einen gewissen Schutz ihrer individuellen Rechte. Yuval Livnat (Universität Tel Aviv) wies den Eindruck zurück, Israel habe es im Zuge der Zuwanderung mit außergewöhnlichen Problemen zu tun: Man habe die Arbeitsmigranten als billige Arbeitskräfte eingeladen in der naiven Erwartung, dass sie auch brav das Land wieder verlassen würden. Nun zeige sich jedoch zunehmend, dass dem nicht so sei. Aber man lade weiter zur Zuwanderung ein – ohne auf sie vorbereitet zu sein. Sawsan Zaheer, Mitarbeiterin einer palästinensischen Menschenrechtsorganisation in Israel, setzte sich mit spezifischen Einschränkungen der Bürgerrechte palästinensischer Israelis, z. B. auf dem Felde der Familienzusammenführung, auseinander. Aus ihrer Sicht bestehe die Gefahr, dass bei zukünftigen rechtlichen Fixierungen des Zuwanderungsrechtes palästinensische Bürger Israels schlechter gestellt würden als Flüchtlinge oder Migranten. Alex Yakobson (Hebräische Universität Jerusalem) warb in seinem Beitrag für Verständnis für die ungewöhnliche Integrationsleistung, die der Staat Israel bereits in seiner Geschichte erbracht habe. Der jüdisch-zionistische Staat sei von Beginn an ein multikulturelles Phänomen, da er Menschen aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen habe integrieren müssen. In der dritten Konferenzsektion wurden europäische Erfahrungen eingebracht. Christian Joppke (Amerikanische Universität Paris) lehnte die Vorstellung ab, als könne es überhaupt eine kohärente Einwanderungspolitik geben. Zu groß seien z.B. die Unterschiede zwischen ungelernten und hoch qualifizierten Zuwanderern. Bei ersteren übersteige das Angebot im Regelfalle weit die Nachfrage, während die Staaten sich um die zweite Gruppe einen scharfen Wettbewerb lieferten. Joppke sah des Weiteren einen eklatanten Widerspruch zwischen Menschenrechtsregelungen und der Logik einer von Marktinteressen bestimmten nationalen Zuwanderungspolitik. Ausführlich erläuterte Randell Hansen (Universität Toronto) die Windungen britischer Migrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Als Lehren aus diesen Erfahrungen benannte Hansen u.a. die Bedeutung der Sprachvermittlung in der Mehrheitssprache und die Vermeidung ethnisch segregierter Schulen. Im Gegensatz zu dem – gerade auch in Deutschland – über lange Zeit praktizierten Multikulturalismus warb Hansen für den Grundsatz der Assimilation als einem „zutiefst liberalen Konzept“. Der deutsche Migrationsexperte Kay Hailbronner (Universität Konstanz) referierte die deutschen Erfahrungen mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005, wobei er sich skeptisch zeigte bzgl. der Möglichkeiten eines – z.B. in Großbritannien und Kanada erprobten - Punktesystems zur Regelung der Zuwanderung. Evelyn Ersanilli (Universität Oxford) warnte in ihrer detaillierten und kundigen Analyse der Einwanderungspolitik in den Niederlanden vor einer Überschätzung politischer Gestaltungsmöglichkeiten. Die niederländischen Erfahrungen unterstrichen die Bedeutung des Spracherwerbs und die Vermittlung eines gemeinsamen Wertehaushalts. Eine weitere Sektion blieb der Erörterung US-amerikanischer Erfahrungen vorbehalten. Philip Martin (University of California, Davis) vermittelte einen Gesamteindruck der amerikanischen Gesellschaft als einer Gesellschaft von Migranten, die nun mit dem Zustrom spez. aus der lateinamerikanischen Nachbarregion umgehen lernen müsse. Für die aktuelle israelische Diskussion von besonderem Interesse waren Peter Schucks (Yale Law School) Ausführungen zum Loyalitätseid. Dieser habe in den USA vor allem eine symbolische Funktion und beziehe sich auf die in der Verfassung definierten Werte – also eine mit Israel - als einem Staat ohne Verfassung - nur sehr bedingt vergleichbare Situation. Schuck warnte vor einer Überbewertung eines solchen Eides für die „Staatstreue“ der Bürger. Cristina Rodriguez (New York University) setzte sich mit den Bedingungen für gesellschaftliche Integration von Zuwanderern auseinander. Die amerikanische Erfahrung belege, dass Integration sowohl die Integrationsbereitschaft der Migranten als auch die Aufnahmebereitschaft der örtlichen Bevölkerung voraussetze. Sprachliche Integration sei wichtig, reiche aber nicht aus zur notwendigen kulturellen Integration. In der Abschlussrunde referierte der Stellvertretende UN-Hochkommissar für Flüchtlingsfragen, T. Alexander Aleinikoff, zu aktuellen Themen der Behandlung von Asylsuchenden. Er zeigte Verständnis für die spezifische geographische Lage Israels und seine Sicherheitserwägungen. Grenzsicherungen seien legitim, aber sie dürften nicht ausschließlich abweisend und restriktiv gegenüber potentiellen Asylsuchenden sein. Die lange Aufenthaltsdauer im Gewahrsam und die äußerst geringe Anerkennungsrate für Asylsuchende seien akute Probleme für Israels Flüchtlingspolitik. Aleinikoff warb für rasche gesetzliche und institutionelle Regelungen. In seinen Schlussworten erinnerte S. Avineri an die traumatischen Erfahrungen jüdischer Flüchtlinge während und nach dem Holocaust, als ihnen z.T. die Einreise nach Palästina von der britischen Mandatsmacht verwehrt wurde. Der Staat Israel sei ein historischer Sonderfall: ein Staat der vornehmlich von Flüchtlingen für Flüchtlinge gegründet wurde. Avineri warb zugleich – gerade auch aus dieser Erfahrung – für eine rasche gesetzliche Regelung der Zuwanderung in Israel, die von liberalem Geist geprägt sein müsse. Vor allem die israelischen Gastgeber und Veranstaltungsteilnehmer aus Gesellschaft, Wissenschaft und öffentlicher Verwaltung waren sich einig in der überaus positiven Bewertung der durchweg sehr konstruktiven und eng am Thema orientierten Konferenzbeiträge. Mit Unterstützung der FriedrichNaumann-Stiftung für die Freiheit konnte hier ein wichtiger Beitrag auf dem - evtl. noch langen - Weg zu einer schon heute längst überfälligen Regelung der faktischen nicht-jüdischen Zuwanderung nach Israel geleistet werden. Mit großer Spannung schauen Teile der israelischen Öffentlichkeit derzeit darauf, wie die Regierung mit der bisher nur aufgeschobenen, nicht aufgehobenen Ausweisung von 400 in Israel geborenen Kindern illegaler Zuwanderer umgehen wird. Ein Testfall - im Sinne von Stephen Legomsky - steht bevor. Hans-Georg Fleck, Jerusalem