Das Werk: Brechts Schauspiel „Leben des Galilei“

Werbung
Inhaltsverzeichnis
Einleitung.......................................................................................................................... 1
Das Werk: Brechts Schauspiel „Leben des Galilei“ ......................................................... 1
Hintergrund: Die beiden Weltsysteme ............................................................................. 3
Ptolemäus: Das geozentrische System.......................................................................... 3
Kopernikus: Das heliozentrische System ..................................................................... 4
Das neue Sehen – Der Blick auf die Welt mit dem Teleskop .......................................... 6
Problematik: Wissenschaft und Glaube ............................................................................ 9
Fazit ................................................................................................................................ 10
Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 11
Einleitung
Heute kaum vorstellbar: die Sonne dreht sich um die Erde, die ihrerseits das Zentrum
des Universums ausfüllt. Erst Geist und Instrument eines Mathematikers des 17.
Jahrhunderts aus Italien sollten das Weltbild, das uns heute selbstverständlich erscheint,
beweisen. Galileo Galilei war der Wissenschaftler seiner Zeit, er bewies das Weltbild
des Kopernikus, das zwar auf dem Blatt existierte, aber bisher nicht durch Fakten
untermauert werden konnte. Sein Instrument war ein kleines Rohr, das erstmals in den
Niederlanden für Furore gesorgt hatte. Mit Hilfe des Teleskops gelang es Galilei
erstmals, revolutionäre, bahnbrechende Entdeckungen am Sternhimmel zu machen.
Bertold Brecht war fasziniert von Galilei und widmete ihm ein Theaterstück, von dem
hier ebenso die Rede sein soll, wie von den Widerständen der Kirche, die das
kopernikanische Weltbild als Gefahr für den christlichen Glauben sah und ihre
Überzeugung von einer geozentrischen Welt mit allen Mitteln verteidigte. Doch was hat
es mit den beiden Weltbildern auf sich? Warum verflucht die Kirche ein
heliozentrisches Weltbild und fürchtet sich vor dem „neuen Sehen“ durch das Fernrohr?
Diese Fragen und diverse andere Aspekte sollen hier im Folgenden behandelt werden.
Diese Seminararbeit schließt mit einem resümierenden Fazit.
Das Werk: Brechts Schauspiel „Leben des Galilei“
Bertolt Brechts Schauspiel liegt heute in drei verschiedenen Fassungen vor. Die „Ur“ –
Fassung ist als „Dänische Fassung“ in die Literaturgeschichte eingegangen. Nachdem
Brecht im Dezember 1933 aufgrund der Machtübernahme der Nazis und dem
Reichstagsbrand aus Deutschland geflohen war, beschäftigte ihn in seinem Exil in
Dänemark zunehmend die Geschichte des Galileo Galilei. In den kommenden Jahren
arbeitet Brecht immer wieder an einem die Thematik aufgreifenden Schauspiel. Er
schrieb es mehrmals um, nannte es zunächst „Leben des Galilei“ und nahm kleinere und
größere Veränderungen daran vor. Am 9. September 1943, Brecht lebte mittlerweile in
den USA, wurde das Stück unter dem Namen „Galileo Galilei“ am Schauspielhaus
Zürich uraufgeführt. Die „Amerikanische Fassung“ entwickelte Brecht im Zeitraum von
1944 bis 1947. Brecht ließ das Stück ins Englische übersetzen und suchte sich ein
geeignetes Ensemble für eine mögliche Inszenierung zusammen, darunter auch der
Schauspieler Charles Laughton, den Brecht für sein Können sehr bewunderte. Ihn sah
Brecht als die optimale Besetzung der Hauptrolle, des Galileo Galilei. Laughton half
Brecht dann auch bei der Umarbeitung des Stücks. Die Bearbeitung des Stoffes schien
1
Brecht aus Anlass der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki im August
1945 zwingend notwendig. Er wollte der Figur des Wissenschaftlers Galilei wesentlich
negativer Züge einverleiben. Am 30. Juli 1947 wurde das Stück unter dem Titel
„Galilei“ am Coronet Theatre in Beverly Hills mit dem Regisseur Joseph Losey
aufgeführt. Brecht ließ das Stück nun wiederum ins Deutsche übersetzen Diese
„Berliner Fassung“ wurde erstmals wieder 1955 auf deutschem Boden in den
Kammerspielen in Köln aufgeführt. Der Text zu„Leben des Galilei“ erschien in Heft 14
seiner Reihe „Versuche“.1
Das Drama „Leben des Galilei“ (aktuelle Textfassung) ist in 15 Szenen aufgeteilt. Jede
Szene beginnt mit einer Überschrift, die meist einen Überblick über die zeitliche
Einordnung und den Inhalt der Szene gibt. Danach wird die Szene mit einem
inhaltsbezogenen Kurzgedicht eingeleitet; Ausnahmen: 5. Szene, 10. Szene und 12.
Szene. Die Regieanweisungen sind, wie bei Brecht traditionell üblich, eher kurz
gehalten und vermitteln nur die wesentlichen Orts- und Zeitangaben,
Gefühlsäußerungen, Handlungen und Personenbeschreibungen (Beispiel: „Das ärmliche
Studierzimmer des Galilei in Padua. Es ist morgens. Ein Knabe, Andrea, der Sohn der
Haushälterin, bringt ein Glas Milch und einen Wecken.“2)
Das Personenverzeichnis steht am Beginn des Schauspiels und hält sich bei der
Gliederung der Personen an ihren Anteil am Gesamtwerk. Dabei ist auffällig, dass
einige Figuren scheinbar bewusst keine Erwähnung finden. So haben beispielsweise der
Inquisitor oder Kardinal Barberini, immerhin der zukünftige Papst, durchaus ihre
Funktion im Stück, werden aber im Verzeichnis nicht benannt. Stattdessen finden sich
dort „Ein Individuum“ und „Männer, Frauen, Kinder“.
Die Frage nach „offener“ oder „geschlossener“ Dramenform lässt sich leicht durch die
Anwendung der Voraussetzungen nach Klotz beantworten.3 Die Handlung des
Schauspiels spricht eher für eine geschlossene Form, sie ist einsträngig und in sich
abgeschlossen. Dagegen sprechen allerdings Zeitsprünge, die sich zwischen den Szenen
ereignen. Oft werden mehrere Jahre übersprungen und die Ereignisse der
verschwiegenen Zeit nur beiläufig erwähnt. Zwischen der 13. und 14. Szene liegen
beispielsweise neun Jahre. Nach der Enttäuschung über den Widerspruch Galileis über
die Erdbewegung in Szene 13 knüpft die Geschichte in der 14. Szene nahtlos an die
vorherigen Geschehnisse an. Die Einheit des Ortes ist im „Leben des Galilei“ nicht
1
Vgl. Daten zur Entstehungsgeschichte. In: Brecht, Bertold: Leben des Galilei, S. 141ff.
Brecht, Bertolt: Leben des Galilei. 1. Szene, S. 9.
3
Vgl. Klotz, Volker: Geschlossene und offene Form im Drama.
2
2
gegeben. Die Handlung spielt von Szene zu Szene an den verschiedensten Ortschaften,
einmal in Padua, dann im Hafen von Venedig oder auch in Florenz. Die Vielfalt des
Standes der handelnden Personen lässt auf eine offene Dramenform schließen. Es
treffen Personen verschiedenster sozialer Schichten und Weltbilder aufeinander. Das
offensichtlichste Beispiel hierfür ist das Gespräch des armen Andrea mit dem
Großherzog Cosmo de Medici4.
Die Aufteilung des Stücks in 15 Szenen spricht ebenfalls für eine offene Dramenform
gegenüber der klassischen Einteilung eines geschlossenen Dramas mit fünf Akten.
Hintergrund: Die beiden Weltsysteme
Ptolemäus: Das geozentrische System
Claudius Ptolemäus wurde in Ägypten geboren und arbeitete von 127 bis 141 n.Chr. in
Alexandria. Dort verstarb er schließlich um 165 n.Chr. Ptolemäus´ Hauptwerk ist das
„Handbuch der Sternkunde“, auch „Almagest“ genannt. In dieser Arbeit verewigte er
seine Theorie der Planetenbewegungen. Dabei handelte es sich vor allem um
mathematische Darstellungen, welche die Vorgänge am Himmel begründen und
beweisen sollten. Diesen mathematischen Berechnungen stellte Ptolemäus fünf
grundlegende Annahmen voraus:
1. Der Himmel ist kugelförmig und dreht sich wie eine Kugel.
2. Die Erde als Ganzes ist kugelförmig.
3. Die Erde ist in der Mitte des Weltalls.
4. Die Erde ist punktförmig im Verhältnis zum Sternhimmel.
5. Die Erde zeigt keine Bewegung.5
Mit diesen Voraussetzungen steht Ptolemäus in Tradition mit Plato (ca. 427-347 v.
Chr.) und Aristoteles (ca. 384-322 v.Chr.). Er entwarf wie seine Vordenker ein
Geozentrisches Weltsystem, in dessen Zentrum die Erde stehen sollte. Um sie bewegen
sich in Kreisbahnen Sonne, Mond, Planeten und Sterne, hierarchisch angeordnet in
kristallenen Sphären. Die Lehren Platos von der Gleich- und Kreisförmigkeit der
Bewegung der Himmelskörper nahm Ptolemäus ebenso in seinen Forschungen auf wie
Aristoteles Entwurf von einem ganzheitlichen, in sich geschlossenen System der
irdischen Physik für die im Zentrum des Kosmos ruhende Erde.6
4
Vgl. Brecht, Bertolt: Leben des Galilei. 4. Szene.
Vgl. Zinner, Ernst: Entstehung und Ausbreitung der copernicanischen Lehre, S. 32f.
6
Vgl. Ebd., S. 34.
5
3
Ptolemäus befasste sich, wie bereits erwähnt, in seinem Handbuch mit den Bewegungen
der Planeten. Einem wichtigen Teilaspekt dieses Forschungsprojekts widmete er sich
jedoch mit besonderer Hingabe. Die Vorausberechnung der Positionen der
Himmelskörper für einen beliebigen Zeitpunkt stellte ihn vor zwei schwerwiegende
Probleme, die es zu lösen galt:
1. Die Planeten bewegen sich auf ihren Bahnen nicht gleichförmig (1.
Ungleichheit)
2. Die Planeten vollführen „Schleifbewegungen“, eine Art Vor- und
Rückwärtsschreiten auf ihrer Bahn (2. Ungleichheit)
Diese zwei Annahmen erschwerten die Berechnung der Planetenpositionen beträchtlich.
Eine Lösung für die Ungleichheiten musste gefunden werden. Hierfür nahm Ptolemäus
die Theorien von zwei antiken Astronomen zur Hilfe: die Epizykeltheorie von
Apollonius von Perga (zirka 262-190 v.Chr.) und die Exzentertheorie von Hipparchos
von Nicaea (190-120 v.Chr.).
Die Epizykeltheorie ging davon aus, dass sich die Himmelskörper auf sogenannten
Epizykeln bewegen, deren Mittelpunkte um die Mitte des Weltalls kreisen. Nach der
Exzentertheorie werden eben jene Epizykeln auf sogenannten „Deferenten“ oder
„Exzentern“ um die Erde geführt. Unter Berücksichtigung der ersten Ungleichheit ging
man zudem davon aus, dass die Zentren dieser „Exzentern“ nicht mit der Erde
zusammenfallen können.7
Das so entworfene Bild eines geozentrischen Weltsystems nach Aristoteles und
Ptolemäus beherrschte die Planetenforschung für fast 1500 Jahre.
Kopernikus: Das heliozentrische System
Nikolaus Kopernikus (1473-1543 n.Chr.) verfasste im Jahr 1510 n.Chr. den „Ersten
Entwurf des Nikolaus Kopernikus zu den von ihm aufgestellten Hypothesen über die
Himmelsbewegungen“, kurz „Commentariolus“. Dies war der Vorläufer seines
Hauptwerkes, mit dem er endgültig die Theorie des „Heliozentrischen Weltsystems“
begründen sollte. Die grundliegenden Aspekte seiner Forschung waren nicht neu. Noch
eingebettet in der antiken Denktradition versuchte er erneuernde mit erhaltenden
Elementen zu verbinden. Kopernikus stand in der Arbeit an Problemstellungen und
deren Lösungsmethoden gänzlich in der Tradition der griechischen Astronomie. In
seinen neuen Anschauungen fällt daher das Alte viel mehr auf als das Neue. Auch er
7
Vgl. Ebd., S. 37f.
4
konnte nicht mit den Begriffen und Methoden aufräumen, derer sich die Astronomie
durch die Jahrhunderte hindurch bedient hatte. Seine Neuerungen können deshalb nur
schlecht mit Ausdrücken wie „Umwälzung“ oder „Revolution“ tituliert werden. 8
Nikolaus Kopernikus brachte im ptolemäischen System zwei prinzipielle Änderungen
an, die beide eine Rückkehr zu älteren griechischen Vorstellungen bedeutete. Er nahm
an, dass sich die Erde bewegt und folgte zudem der platonischen Vorschrift, dass die
Planetenbewegungen ausschließlich durch gleichförmige Kreisbewegungen dargestellt
werden können. Ptolemäus hatte die Bewegung der Erde aus physikalischen Gründen
verworfen, obwohl er die astronomische Brauchbarkeit einsah. Trotz physikalischer
Einwände führte Ptolemäus Ausgleichspunkte ein, um die Phänomene zu retten.
Kopernikus dagegen passte sein physikalisches Denken der Lehre einer sich
bewegenden Erde an, fühlte sich aber zugleich der Tradition der Antike verpflichtet,
jegliche ungleichförmige Bewegungen abzulehnen. Mit seiner Kenntnis der Erdbahn
ging Kopernikus an die Untersuchung der Bewegungen der anderen Himmelskörper. Im
Gegensatz zu Ptolemäus verzichtete er dabei auf exzentrische Bahnen, sah sich aber
genötigt eine doppeltepizyklische Bewegung für jeden Planeten einzuführen, wobei
jeder Planet gleichmäßig einen Kreis beschreibt.9
Die zentralen Ideen zu den Planetenbewegungen fasste Kopernikus in sieben Sätzen
zusammen:
1. Für alle Himmelskreise oder Sphären gibt es nicht nur einen Mittelpunkt.
2. Der Erdmittelpunkt ist nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern lediglich der
Mittelpunkt der Schwere und des Mondbahnkreises.
3. Alle Bahnkreise umgeben die Sonne, als stünde sie in aller Mitte. Daher liegt der
Mittelpunkt der Welt in Sonnennähe.
4. Das Verhältnis der Entfernung Sonne – Erde zur Höhe des Sternhimmels ist
kleiner als das vom Erdhalbmesser zur Sonnenentfernung, so dass diese
gegenüber der Höhe des Sternhimmels unmerklich ist.
5. Die scheinbare Bewegung des Sternhimmels kommt von der Bewegung der
Erde her. Die Erde dreht sich mit ihren nächsten Elementen täglich um ihre
unveränderlichen Pole, während der Sternhimmel und der äußerste Himmel
ruhen.
8
9
Vgl. Ebd., S. 177f.
Vgl. Ebd., S. 183.
5
6. Die scheinbare Bewegung der Sonne kommt von der Bewegung der Erde, mit
der wir um die Sonne getragen werden wie jeder andere Planet. So wirken
mehrere Bewegungen auf die Erde ein.
7. Was bei den Planeten als Rückgang und Vorrücken erscheint, rührt nicht von
ihnen her, sondern ist lediglich von der Erde aus gesehen so. Nur aus der
Erdbewegung erklären sich so viele scheinbare Verschiedenheiten am Himmel.10
Auf dieser Grundlage erschuf Kopernikus also ein neues Weltbild, mit einer bewegten,
sich täglich drehenden Erde und ihrem Umlauf um die in der Weltmitte ruhenden
Sonne. Diese umwälzenden Erkenntnis sollte sich einige Jahre später ein gewisser
Galileo Galilei zu nutzen machen. Galilei war überzeugter Anhänger der
copernicanischen Lehre, ihm fehlten aber die Belege, diese Theorien zu beweisen. Eine
Erfindung aus den Niederlanden sollte ihm jedoch bald Gelegenheit dazu geben.
Das neue Sehen – Der Blick auf die Welt mit dem Teleskop
Galilei „Ich sage Dir, die Astronomie ist seit tausend Jahren stehengeblieben, weil sie
kein Fernrohr hatten.“ 11
Die gezielte Anwendung von Glas zur Korrektur von Fehlsichtigkeit kam erstmals in
der Mitte des 13. Jahrhunderts auf. Die Gläser des ersten Brillen waren bikonvex- also
nach beiden Seiten gewölbt- und sahen Hülsenfrüchten ähnlich. Diese konvexen Linsen
dienten dazu, nahe Gegenstände wieder scharf sehen zu können. Während die Gläser
zur Behebung der Weitsichtigkeit bei jedem Brillenmacher problemlos erworben
werden konnten, waren Linsen zur Korrektur der Kurzsichtigkeit zunächst schwerer zu
beschaffen. Hierfür mussten konkave Linsen hergestellt werden, die der Sehschwäche
individuell angepasst sein sollten. Bald waren aber auch diese konkaven Gläser überall
erhältlich und somit konnte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis jemand auf die Idee
kommen würde, konvexe und konkave Linsen gegeneinander zu halten und somit das
Fernrohr zu erfinden. Im Jahr 1608 war es dann soweit.12 Die ersten Fernrohre kamen
zu dieser Zeit in den Niederlanden auf. (Ludovico „[..] Nehmen Sie zum Beispiel dieses
komische Rohr, das sie in Amsterdam verkaufen.[..]“13)
Am 2. Oktober 1608 beauftragte der Brillenmacher Hans Lipperhey aus Middelburg in
der flämischen Provinz Seeland vor den Generalständen in Den Haag ein Patent für „ein
10
Vgl. Ebd., S. 181f.
Brecht, Bertolt: Leben des Galilei. 2. Szene., S. 26.
12
Vgl. Panek, Richard: Das Auge Gottes, S. 30.
13
Brecht, Bertolt: Leben des Galilei. 1. Szene., S. 17.
11
6
gewisses Instrument, um in die Ferne zu sehen“14. In der Folgezeit gingen weitere
Patentanträge in großer Anzahl ein, weshalb man sich dazu entschloss, die Erfindung
nicht rechtlich schützen zu lassen. Zu groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass die
Entdeckung kopiert werden würde, zumal die Maße des Rohrs bekannt waren und die
Kunst des Gebrauchs der Linsen daraus mehr oder weniger abzuleiten war. Die Technik
war recht simpel, darauf zu kommen aber umso komplizierter.15 Es handelte sich um
eine einzige Kombination der Linsen unter allen möglichen, allerdings eine relativ
ungewöhnliche. Die Version, die schließlich in Europa kursierte, bestand aus einer
schwachen Konvexlinse auf der Seite der Röhre, die auf ein Objekt gerichtet wurde
(daher „Objektiv“) und einer starken Konkavlinse am anderen Ende, am Auge (lat.
„oculum“, daher „Okular“). (Ludovico „Eine Hülse aus grünem Leder und zwei Linsen,
eine so er deutet eine konkave Linse an, eine so er deutet eine konvexe Linse an. Ich
höre, eine vergrößert und eine verkleinert.“16) Es wurde also eine schwache
Vergrößerungslinse mit einer Linse kombiniert, die tatsächlich die Bilder sogar
verkleinert und das Fernrohr war erfunden und gehörte ab diesem Zeitpunkt zugleich
keinem und allen gemeinsam.
Im November des Jahres 1608 hörte der venezianische Theologe Paolo Sarpi erstmals
von der Entdeckung eines Apparats, mit dem es möglich sein sollte, Dinge aus der
Ferne nah zu sehn. Wenige Monate später erzählte er einem befreundeten
Mathematikprofessor der Universität Padua von diesem Instrument- es war Galileo
Galilei. Anders als in Brechts Schauspiel erfährt Galilei also von einem alten Freund
und nicht von einem jungen Burschen (Ludovico Marsili) von dem Fernrohr.17 Auch die
Vermarktung der Erfindung nahm in der Realität etwas geringere Formen von Habgier
an. Galilei nahm selbst nie in Anspruch, der erste Erfinder dieses Instruments zu sein.
Er sah sich als jemanden, der ein bereits existierendes Gerät nachbaut. Bei seinem
Nachbau handelte es sich jedoch keineswegs um eine einfache Kopie. Er baute das
Fernrohr zu seinen Zwecken um und verbesserte dabei die Eigenschaften des
Instruments. Als er das neue Fernrohr dem Dogen von Venedig zum ersten Mal
präsentierte, holte es Objekte acht Mal näher heran und vergrößerte sie mehr als 60fach
als konkurrierende Modelle aus den Niederlanden. In diesem Sinn log der historische
Galilei also nicht, wenn er das neue, weiterentwickelte Fernrohr als „seine“ Erfindung
14
Panek, Richard: Das Auge Gottes, S. 30.
Vgl. Ebd., S. 31.
16
Brecht, Bertolt: Leben des Galilei. 1. Szene, S. 17.
17
Vgl. Ebd.
15
7
anpries. Anders der Galilei in Brechts Stück: Er behauptet vor den Senatsmitgliedern
Venedigs das Fernrohr als seine alleinige Entwicklung, als „[..] mein Fernrohr oder
Teleskop, angefertigt in ihrem weltberühmten Großen Arsenal nach den höchsten
wissenschaftlichen und christlichen Grundsätzen, Frucht siebzehnjähriger geduldiger
Forschung ihres ergebenen Dieners.[..]“18 In späteren Berichten betonte der „reale“
Galilei immer wieder die Leistungen der ersten Erfinder des Fernrohrs, unterstellte
ihnen aber auch eine Zufälligkeit ihrer Entdeckung: Der erste Erfinder habe
möglicherweise durch „zufälliges Hantieren mit unterschiedlichen Linsen“19 Erfolg
gehabt. Galilei selbst machte die gleiche Erfindung nach eigenem Bekunden durch
logische Schlussfolgerungen, die aber in Wahrheit auch nicht sonderlich weit von
einfachen Methode wie „Versuch und Irrtum“ entfernt waren. Das Teleskop nun sollte
Galilei schon bald Beobachtungen ermöglichen, mit denen er endlich das
kopernikanischen Weltsystem beweisen konnte und somit ein althergebrachtes Weltbild
auf den Kopf stellen würde.
Zunächst war Galilei selbst nicht sicher, was er mit diesem Gerät eigentlich bewegen
könnte. Er bot es den Ratsherren von Venedig als fortschrittliches Instrument zur
Kriegsführung und für die Seefahrt an, mit dem es erlaubt sein würde, Schiffsrümpfe
und Segel der Feinde auf eine viel größere Entfernung als gewöhnlich zu entdecken, die
Zahl und Art ihrer Schiffe zu unterscheiden und deren Kräfte einzuschätzen. Doch bald
wurde Galilei klar, das ein Fernrohr auch anders eingesetzt werden konnte. Im
November 1609 stellte er sein Teleskop in seinem Garten in Padua auf und richtete es
auf den Mond. Und nun erkannte Galileo Galilei, dass am nächtlichen Sternhimmel
mehr zu sehen war, als man mit dem größten Optimismus erwarten konnte.20
Bis zum Jahr 1609 lebten die Menschen der Erde in unschuldiger Isolation im Zentrum
des Universums. Im darauf folgenden Jahr stürzte dieses Weltbild jedoch in sich
zusammen. Im März 1610, also nur wenige Monate nach seinen ausführlichen und
genauen Beobachtungen des Himmels mit Hilfe des Fernrohrs, schrieb Galilei seine
Untersuchungen im „Sidereus Nunicus“, frei übersetzt „Sternbotschaft“21, nieder.
Seine erstaunlichsten Beobachtungen, die er in dieser Schrift beschrieb, waren dem
Planeten Jupiter gewidmet. Am 7. Januar 1610 entdeckte er eine Veränderung der drei
Fixsterne, die Jupiter umgaben. Waren Tage zuvor zwei dieser Sterne östlich von
18
Brecht, Bertolt: Leben des Galilei. 2. Szene, S. 25.
Panek, Richard: Das Auge Gottes, S. 33.
20
Vgl. Ebd., S. 38.
21
Vgl. Ebd., S. 39.
19
8
Jupiter und einer westlich zu erkennen, so standen nun alle drei an der Westseite. Galilei
erklärte sich dies durch die Annahme, dass Jupiter inzwischen anderswohin als nach der
Rechnung zu erwarten, gewandert war.22 Am 10. Januar waren dann nur noch zwei
Sterne zu sehen, wieder in einer geraden Linie mit Jupiter stehend, aber in anderer
Stellung. Galilei musste sich bewusst machen, dass es sich hierbei nicht um eine
ungewöhnlichen Bewegung Jupiters handelte, sondern um Monde, die ihr Stellung zu
ihm dauernd änderten. Am 13. Januar erkannte er, dass es sich insgesamt um vier
Monde handelte. Seine Entdeckungen schrieb er in seine „Sternbotschaft“ und widmete
sie dem Großherzog Cosmo Medici von Toskana und nannte ihm zu Ehren die vier
Jupitermonde „Medicäische Gestirne“23 (Vgl. auch Brecht „Leben des Galilei“ 3. Szene,
S. 41).
Doch trotz der großen Unterstützung, die Galilei von Seiten des jungen Großherzogs
zuteil wurde, musste er sich immer heftigerer Kritik erwehren. Die katholische Kirche
wollte nicht einfach zusehen, wie Galilei das christliche Weltbild von heute auf morgen
nichtig machte und den Menschen aus dem Mittelpunkt des Universums verbannte.
Galileo Galilei hatte nämlich nicht nur durch sein Fernrohr etwas neues gesehen, er
begründete damit vielmehr ein „Neues Sehen“. Das „Alte Sehen“24 der christlichen
Tradition war so ausgelegt, „dass nicht der Mensch sieht, sondern von Gott gesehen
wird.“25 Galileis neue Entdeckungen bewirkten das genaue Gegenteil. Der Mensch war
nun mittels des Teleskops in der Lage, das Universum zu erforschen und somit die
tradierte Schöpfungsgeschichte anzuzweifeln. Die Wissenschaft war also nicht länger
gewillt, die christliche Überzeugung zu unterstützen und wurde für Kirche und Papst
zum Problemfall.
Problematik: Wissenschaft und Glaube
Sagredo „[..]Meinst du, der Papst hört deine Wahrheit, wenn du sagst, er irrt, und hört
nicht, dass er irrt? Glaubst du, er wird einfach in sein Tagebuch einschreiben: 10.
Januar 1610 – Himmel abgeschafft?[..]26“
Das heliozentrische Weltbild, von Kopernikus wissenschaftlich erarbeitet und von
Galilei durch seine Beobachtungen und Experimente bewiesen, ließ eine tiefe Kluft
zwischen Wissenschaft und Glauben entstehen. Die Ablösung des überlieferten
22
Vgl. Zinner, Ernst: Entstehung und Ausbreitung der copernicanischen Lehre, S. 340.
Ebd.
24
Knopf, Jan: Sichtbarmachen des Unsichtbaren. In: Dramen des 20. Jahrhunderts. Bd 2, S.22.
25
Ebd.
26
Brecht, Bertolt: Leben des Galilei. 3. Szene, S. 40.
23
9
geozentrischen Weltbilds durch das neue Weltsystem hebt zugleich die im Mittelalter
stark verbreitete Überzeugung der Einheit von astronomischem und theologischem
Himmel auf.27 Der Himmel wurde nicht länger als der Ort angesehen, an dem Gott
thront und über die Menschheit wacht. Und die Erde wurde gleichermaßen in ihrer
Bedeutung abgestuft. Sie war nicht mehr der Mittelpunkt des Weltalls, sondern ein
Planet von vielen in einem scheinbar endlosen Kosmos. Die Kirche wollte dies
verständlicherweise nicht zulassen. Dennoch vertraut der Brechtsche Galilei auf die
Vernunft des Menschen und erhofft sich von ihr eine „sanfte Gewalt“28. Der Mensch
könne sich nicht länger der Wahrheit verschließen und würde früher oder später nicht
daran vorbeikommen, das Offensichtliche mit eigenen Augen zu sehen. Doch Galilei
ließ sich bald von einer ganz anderen Vernunft überzeugen. Von der Inquisition unter
Druck gesetzt, widerruft er seine Forschungsergebnisse und lässt sich schließlich von
der „sanften Gewalt“ der katholischen Kirche entmündigen.
Fazit
Das Weltbild des christlichen Glauben, die Überzeugung von einem geozentrischen
Universums, wird erschüttert von Galileis Beobachtungen durch das Teleskop, das der
Menschheit eine Chance zum neuen Sehen gibt. Doch würde die Weltordnung und der
Glauben unter diesen Erkenntnissen zusammenbrechen und einer neuen Welt, ohne
Glaube, Liebe, Hoffnung platzmachen müssen? Die Geschichte zeigt, dass es nicht so
kam, dennoch sind die Befürchtungen der Kirche nachvollziehbar. Eine Welt, dezentral
und verloren im All und der Mensch darin, sinnlos dahinschweben wie der Astronaut in
Kubricks „Odyssee“. Eine beängstigende Vorstellung. Der Mensch braucht seinen
Glauben, er gibt ihm Halt und lässt ihm den Sinn seines Daseins plausibel erscheinen.
Entzieht man diesem gläubigen Menschen jedoch den Boden unter den Füßen, so
verliert er den Halt und Folge dessen wäre, der Überzeugung der Kirche folgend, eine
Welt im Chaos. Der Wissenschaftler denkt anders. Er ist von seiner Arbeit überzeugt
und glaubt mit seinen Werken der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen. Er hofft auf
die Vernunft der Menschen und ihrem Willen, die Wahrheit sehen zu wollen. Brechts
Galilei ist sich dessen aber immer weniger sicher und ergibt sich scheinbar der Macht
der Kirche. Ein Restglaube an den Wissensdurst der Menschheit bleibt ihm aber noch
und so besinnt er sich schließlich wieder auf sein Wissenschaftsethos.
27
28
Vgl. Zimmermann, Werner: Bertold Brecht. Leben des Galilei. Dramatik der Widersprüche, S. 87.
Ebd., S. 90.
10
Literaturverzeichnis
Primärliteratur:
Brecht, Bertolt: Leben des Galilei. Schauspiel. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag,
1988.
Sekundärliteratur:
Biagioli, Mario: Galilei, der Höfling. Frankfurt am Main, 1999.
Blumenberg, Hans: Die Genesis der kopernikanischen Welt. Frankfurt am Main, 1975.
Fölsing, Albrecht: Galileo Galilei – Prozess ohne Ende. München, Zürich, 1983.
Klotz, Volker: Geschlossene und offene Form im Drama. München: Hanser, 1976.
Knopf, Jan: Sichtbarmachen des Unsichtbaren. In: Interpretationen. Dramen des 20.
Jahrhunderts. Bd. 2. Stuttgart, 1996.
Panek, Richard: Das Auge Gottes. Das Teleskop und die lange Entdeckung der
Unendlichkeit. Stuttgart, 2001.
Szczesny, Gerhard: Bertolt Brechts „Leben des Galilei“. Dichtung und Wirklichkeit.
Bonn, 1986.
Zimmermann, Werner: Bertolt Brecht, Leben des Galilei. Dramatik der
Widersprüche. Paderborn; München; Wien; Zürich: Schöningh, 1985
Zinner, Ernst: Entstehung und Ausbreitung der copernicanischen Lehre. München,
1988.
11
Herunterladen