K.-H.Volkmann-Schluck.Die technische Welt

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Karl-Heinz Volkmann-Schluck
[F.A.Z.17. Mai 1977]
Die technische Welt und das Geschick
Die seit dem Erscheinen von Sein und Zeit im Jahre 1927 mehr oder minder
offenkundig andauernde Präsenz Heideggers im gegenwärtigen Denken veranlaßt das
zurückblickende Andenken natürlicherweise zu der Frage, welche Gedanken Heideggers
für die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie von bleibender Bedeutung seien.
Demgegenüber ist daran zu erinnern, daß Heidegger mehrmals erklärt hat, die in Sein
und Zeit auf die Bahn gebrachte Frage nach dem »Sinn« von Sein, d. h. nach der
Verstehbarkeit und Offenbarkeit des Seins für das menschliche Denken, sei von der
gegenwärtigen Philosophie überhaupt noch nicht aufgenommen, und infolgedessen sei
Sein und Zeit als eine existentiale Anthropologie mißverstanden worden. Der folgende
Hinweis möchte andeutend zeigen, daß in der Tat Heideggers Fragestellung dem gegen wärtigen Denken als Fragestellung noch bevorsteht.
Heideggers
Frage
betrifft
inmitten
der
die
ganze
Erde
einbeziehenden
technisch-industriellen Vorherrschaft das Wesen des Menschen, d. h. die Art, wie der
Mensch als Mensch ist. Sie lautet: Ist der Mensch dasjenige Lebewesen, das sich selbst
produziert, indem es mittels der wissenschaftlich-technischen Vernunft in permanenter
Steigerung seine Lebensbedingungen produziert? (Zu dieser Existenzweise des
Menschen gehören unter anderem die szientistisch-technische Weltauslegung, die
Vorstellung von der Erde als einem Lieferanten von Rohstoffen und Energien, die
Organisation der Arbeit und der Menschenmassen als Arbeitspotential, die Bürokratie, die
Verflechtung von Politik, Wirtschaft, Technik und Wissenschaft in der Gestalt der
Zivilisation.) Oder aber ist der Mensch als Mensch ein Wesen, das sich in ein Geschick zu
fügen hat, indem er es übernimmt und austrägt? Dieser Gedanke vom Menschen, obzwar heute
kaum verständlich, ist insofern bereits in bestimmter Weise vorausgedacht worden, als im
griechischen Beginn unserer Geschichte der Mensch als der Sterbliche erfahren wurde, als das
Wesen, das dem Tod geöffnet ist und deshalb in seinem Dasein den Tod offen anwesend sein
läßt. Nach Heraklit ist der Mensch gerade um seiner Sterblichkeit willen ein unentbehrlicher
Mitspieler innerhalb des Weltspiels, sofern die Götter, die ewig Lebenden, erst im Dunkel des
Todes, welches im Dasein des Menschen existent ist, in das Leuchtende ihrer Gegenwart
einkehren können.
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Heideggers Denken auf das Wesen des Menschen ist eine verwandelnde Aufnahme
dieser frühgriechischen Erfahrung: Als der dem Tod Geöffnete existiert der Mensch im
Abschied von allem Seienden. So gehört er inmitten der Fülle alles Seienden zugleich
einem Anderen zu, das niemals und nirgendwo ein Seiendes ist: dem Sein selbst, dem
Anderen zu allem Seienden. Als der Sterbliche hat der Mensch die „ontologische
Differenz“ zum Bereich seines Weltaufenthaltes. Die „ontologische Differenz“ darf
jedoch nicht gegenständlich als eine bestehende Beziehung zwischen Gegenständen
vorgestellt werden, sondern sie ist als Ereignis zu denken: Alles Seiende ist dank dem
Sein. Dieses gewährt sich dem Seienden, so daß es als dieses und jenes anwesend ist.
Aber das Sein gewährt sich als Differenz zum Seienden, d. h. in der Weise, daß es als
das Gewährende zugleich mit sich selbst an sich hält, indem es sich entzieht. Denn nur
sofern das Sein im Sichgewähren mit sich zurückhält, händigt es dem Seienden das ihm
Gewährte aus und überläßt es ihm als sein Eigenes, so daß es in sich selbst wohnen und
weilen kann. Der Mensch aber ist das »wesende« (offene) Verhältnis zum Sein als dem
im Gewähren Sichentziehenden. Sein Dasein ist die Stätte, wo Lichtung und
Verbergung des Seins sich ereignen, der Ort des Geheimnisses von allem, was ist und
sein kann. Durch dieses »Geschick« ist das Dasein des Menschen bestimmt, üb er das er
nicht verfügt, sondern in das er sich zu fügen hat.
Aber dieses Geschick ist im technisch-wissenschaftlichen Zeitalter nicht das
gegenwärtig Anwesende, es ist vielmehr das dem Menschen Vorenthaltene und
Verweigerte. Als das Verweigerte geht es den Menschen zwar an, aber so, daß er die
Verweigerung nicht zu erfahren vermag. Denn gegenwärtig ist die Welt und das
menschliche Dasein nicht aus dem Geschick gefügt, sondern der Mensch existiert als
das
sich
selbst
produzierende,
im
Massenhaften
auftretende
Lebewesen
der
technisch-wissenschaftlichen Ratio, welche die Welt als ein Ganzes von in Formeln
gesicherten und von daher rechnerisch verfügbaren Wirkbeständen vorstellt und so das
Geschick verstellt. Deshalb besteht die Aufgabe des Denkens darin, dem Geschick der
Verweigerung zu entsprechen, d.h. sowohl sich unablässig auf das zu besinnen, was
gegenwärtig ist, wie auch dem uns vorenthaltenen Geschick als einem Vorenthalt
entgegenzudenken und so eine Bereitschaft vorzubereiten für eine mögliche Ankunft
des Geschicks. Von diesem Denken kann äußerstenfalls gesagt werden, es könnte der
Umriß eines Schattens sein, den die mögliche Ankunft des Geschicks vorauswirft.
Entsprechend
hat
Heidegger
seine
Denkversuche
als
»vorläufiges
Denken«
gekennzeichnet.
Überblickt man den Umkreis des gegenwärtigen philosophischen Arbeitsfeldes, dann
wird man zugestehen: Heideggers Gedanken sind nicht in der Weise vergangen, daß
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ihre Wirkungen heute noch existent sind, sie sind vielmehr in der Weise zukünftig, daß
ihre Aufnahme und die Auseinandersetzung mit ihnen dem Denken als Aufgabe in ihrer
zweifachen
Gestalt
noch
bevorstehen:
als
anhaltende
Besinnung
auf
die
wissenschaftlich-technische Welt und ihre metaphysikgeschichtliche Herkunft und als
denkende Vorbereitung des »Geschicks« in seiner möglichen Ankunft.
Es könnte sein, daß sich an der Frage, ob das Denken zur Aufnahme von Heideggers
Gedanken bereit ist oder ob es sich ihnen versagt, Wesentliches entscheidet.
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