sche Perspektiven (2003), S. 117

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In: Widerspruch Nr. 39 Kritik der Globalisierung - außereuropäische Perspektiven (2003), S. 117-120
Autor: Rainer Alisch
Rezension
Susanne Lettow
Die Macht der Sorge
Die philosophische Artikulation von Geschlechterverhältnissen in Heideggers „Sein und Zeit“, Tübingen 2001 (edition diskord), 224 S., 16.- EUR.
In der römischen Cura-Fabel des Hyginus formt die weibliche „Sorge“ (Cura) den ersten Menschen aus Erde, während Jupiter ihm den Geist einhaucht. Im anschließenden Streit um die Namensgebung, an dem sich auch
die Erde (Tellus) beteiligt, balanciert Saturn die Ansprüche aus: Das Geschöpf soll „homo“ heißen, weil es aus „humus“ (Erde) gemacht ist, nach
seinem Tod soll Jupiter seinen Geist erhalten und die Erde den Körper. Die
„Sorge“ aber soll das Geschöpf besitzen, solange es lebt: Sich „sorgend“ soll
es sich selbst immer schon vorauseilen.
Wenn Heidegger sich in Sein und Zeit auf den römischen Schöpfungsmythos
bezieht – anstatt auf den biblischen –, verwirft er nicht nur den emanzipatorischen Anspruch des biblischen Glaubens an die Gottesebenbildlichkeit des
Menschen, er bricht auch mit dem Phantasma der Allmacht, das diesem Mythos gleichfalls innewohnt und auch die cartesianische Subjektivität bestimmt. Denn „sorgend“ sich voraus sein, von der „Sorge“ „festgehalten“
und „durchherrscht“ werden, bedeutet in der heideggerschen Lesart, zeitlebens unter einer Verfehlung stehen. Gottgleich soll der Mensch zwar sein
eigener Ursprung sein, doch zugleich ist ihm dies in kafkaesker Weise verwehrt: Das „Selbst, das als solches den Grund seiner selbst zu legen hat“,
kann „dessen nie mächtig werden und hat doch existierend das Grundsein
zu übernehmen“ (Heidegger, zit.n. 75).
Subjektivitätsmodelle dieser Art, die rational durchsichtige, an einer festen
Entität orientierte Entwürfe anti-essentialistisch auflösen, haben Heidegger
für feministische Theoriekonzeptionen und deren Suche nach einer Subjektivität, jenseits der patriarchial dominierten, interessant gemacht; für einige
Autorinnen antizipiert Heidegger sogar zentrale Themen feministischer Philosophie.
Susanne Lettow kann nun nachweisen, dass zu derartiger Euphorie kein Anlass besteht. Sie gibt im Gegenteil zu bedenken, dass der von Heidegger kritisierte tradierte Körper-Geist-Dualismus die ihm implizite Männlichkeit
keinesfalls auflöse, sondern in eine neue Form „hegemonialer Männlichkeit“
überführe. Lettow ordnet dies historisch in die gesellschaftliche Situation
der Weimarer Republik ein, wo sich Modernisierer und Konservative
verschiedenster Schattierungen ideologisch rüsten, um Frauenemanziption
und fordistischer Modernisierung zu trotzen.
Auch in Sein und Zeit werden „Geschlechterverhältnisse“ – wie in der bisherigen philosophischen Tradition zumeist üblich – nur indirekt, entnannt (vgl.
101f), thematisiert und können, wie Lettow auf Foucault bezugnehmend
schreibt, nur aus der „Beschreibung der ‚diskursiven Fakten‘“ (13) rekonstruiert werden. Hierzu bedient sich Lettow einer Theorie ideologischer
Subjektion, die aus dem von Wolfgang F. Haug begründeten Projekt Ideologie–Theorie hervorgegangen ist. In einer daran anschliessenden, in sich
konsistenten Lektüre kann sie zeigen, wie Heideggers „ursprungsmythische
Erzählung“ (90) von einer Subjektwerdung handelt, bei der sich die „Sorge
als eine Konstruktion von Mütterlichkeit" erweist, als eine „Ursprungsmacht“, in deren „Schatten sich ein autoritäres (männliches) Subjekt formiert“ (73), in dem es sich ihr unterwirft.
Dieses Kernstück der Arbeit wird von verschiedenen philosophietheoretischen Überlegungen flankiert. Von einer „‚Verjenseitigung‘ neuen Typs“
(34) ist die Rede oder mit Bourdieu von einer „konservativen Revolution in
der Philosophie“ (22), und in der avanciertesten These begegnen sich Heidegger und Marx auf Augenhöhe. Denn Lettow versteht die im „sich Sorgen“ gegebene Tätigkeit, die Handlung also, mit der sich das Subjekt der
„Sorge“ unterwirft, als eine Art „praxeologische“ (110) Antwort Heideggers
auf den theoretischen „Bruch“ (43), den Marx in seiner Wendung zum
„wirklich tätigen Menschen“ (Marx, zit.n. 56) mit der Bewusstseinsphilosophie vollzogen hat. Gegenüber der marxschen Vorgabe wird „Praxis“ in der
heideggerschen Version des „sich Sorgens“ jedoch „nicht mehr in ihrer Genese aus sozialer Praxis begreifbar(..)“, sondern nur als „omnihistorisch angesetzte(.) ‚wesenhafte(.) Grundstruktur‘“, die sozusagen allem „Dasein“
immanent ist. Diese Ausrichtung wird von Lettow als „die Operation“ interpretiert, „mit der Heidegger in Sein und Zeit die theoretische Revolution
der Feuerbach-Thesen bändigt“ (48, vgl. 109ff).
Für die Perspektive, aus der diese Arbeit verfasst ist, kommt der Verknüpfung Heideggers mit Marx eminente Bedeutung zu. Denn mit der Rede von
der „omnihistorisch angesetzten ‚wesenhaften Grundstruktur‘“ verweist Lettow auf den Heidegger- und Lacan-Rezipienten Althusser, der wiederum
den Gedanken der Omnihistorizität – für ihn das Merkmal von Ideologie
schlechthin – an das „Unbewußte“ Freuds angelehnt hatte. Im „Sorgen“ ist
Heideggers „In-der-Welt-Sein“ somit gewissermaßen zur Reinform althusserscher Ideologiezität geronnen, an der Lettow auch ihre kritische Analyse
des heideggerschen Entwurf einer neuen patriarchalen Subjektivität ausrichtet. Sie kritisiert somit nicht nur, dass Heideggers Subjektionsmodell auf der
Unterstellung unter eine weiblich Ursprungsmacht basiert, sondern auf einem Akt ideologischer Unterstellung überhaupt (vgl. 74). Dies ist insofern
bemerkenswert als neuere feministische Subjekttheorien wie etwa von Judith
Butler (Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Suhrkamp 2001) nach
wie vor an dem von Althusser vorgegebenen Modell festhalten. Doch für
Lettow ist entscheidend, dass Ideologie – im Unterschied zu Althusser –
nicht als „Ewiges“ gedacht wird und somit kritisierbar bleibt – denn nur
dann kann es die Perspektive einer nicht-ideologischen Subjektwerdung überhaupt geben. Und so verweist Lettow – will sie sich nicht nur von Heidegger als patriarchalem Theoretiker, sondern auch vom SubjektTheoretiker abgrenzen – mit Brecht und Gramsci auf emphatisch auf die
„Aktivität eines Sich-kohärent-machens“, bei der es darum geht, zu den
„sich hinter dem Rücken der Individuen herstellenden Zugehörigkeiten ein
bewusstes, kritisches und aktiv-gestaltendes Verhältnis herzustellen“ (172).
Dass eine derartige Arbeitsperspektive letztlich wohl nicht unproblematisch
ist, läßt sich mit einem Blick auf Slavoj ÎiÏek vermerken, der die cartesianische Subjektivität rehabilitiert, gerade indem er am Unbewußten festhält. In
Die Tücke des Subjekts (Suhrkamp 2001) versucht er nachzuweisen, dass postcartesianische Philosophien exzessive Momente wie das „diabolische Böse“
(Kant) oder die „Nacht der Welt“ (Hegel) enthielten, die sie allerdings sofort
zu „normalisieren“ trachteten. Für Heideggers Philosophie hingegen konstatiert er eine Leerstelle; Heideggers Begriff von Subjektivität scheine „diesen
innewohnenden Exzess nicht in Betracht zu ziehen“, er decke „jenen Aspekt des Cogito nicht ab, von dem Lacan sagte, er sei das Subjekt des Unbewussten." (ÎiÏek, a.a.O., 89). Damit erschließt sich für ihn auch Heideggers Nazismus in neuer Weise. Anders als Heidegger es nachträglich glauben
machen wollte, war dies keinesfalls den unreflektierten subjektphilosophischen Resten seines Denkens geschuldet – etwa dem Dezisionis-
mus –, sondern eher ein Versuch, den Konsequenzen dieses exzessiven Potentials neuzeitlicher Subjektivität in der Überantwortung an eine geschichtsmächtige Instanz auszuweichen.
Mit ÎiÏek ließe sich nun fragen, ob Lettow nicht einer falschen Alternative
Heideggers aufsitzt, wenn sie einerseits das von Althusser in die marsche
Philosophie eingebrachte „Unbewusste“ exkludiert (vgl. 74), sich somit
gleich Heidegger vom „exzessiven Potential neuzeitlicher Subjektivität“ verabschiedet, andererseits aber dem völligen Ausgeliefertsein des heideggerschen Subjektionsmodells einen Vernunftsbegriff entgegensetzt, der darauf
abhebt, Leben liesse sich umfassend rational „aneignen“ (vgl. 99f, 171f).
Für die in Aussicht gestellte weitere feministische Aneignung Heidggers
könnte dies vielleicht eine spannende Fragestellung sein, der das Buch mit
seiner Fülle des ausgebreiteten Materials bestens entgegenkommt.
Rainer Alisch
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