Die Auseinandersetzung des frühen Heidegger mit Aristoteles

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PHILOSOPHIE
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Martin HEIDEGGER
Aristoteles-Rezeption
11-3
Die Auseinandersetzung des frühen Heidegger mit
Aristoteles : ihre Entstehung und Entfaltung sowie ihre
Bedeutung für die Entwicklung der frühen Philosophie Martin
Heideggers (1919 - 1927) / von Dimitrios Yfantis. - Berlin :
Duncker & Humblot, 2009. - 545 S. ; 24 cm. - (Philosophische
Schriften ; 75). - Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2007. - ISBN 978-3428-12934-8 : EUR 78.00
[#0595]
Erst nachdem aus dem Nachlaß die zahlreichen Schriften und Vorlesungen
Martin Heideggers zu und über Aristoteles veröffentlicht wurden, ist es
möglich, ein präzises Bild vom Werden eines der einflußreichsten Denker
des 20. Jahrhunderts zu zeichnen.1 In diesem Kontext wird man auch die
vorliegende, sehr umfangreiche Kölner Dissertation sehen müssen, die sich
gründlich und solide mit dem im Titel präzise angegebenen Thema beschäftigt.
Der Verfasser gliedert seine Arbeit chronologisch und verfolgt den Weg der
Heideggerschen Aristoteles-Rezeption präzise anhand der überlieferten
Informationen zu Vorlesungen, Vorträgen und Publikationen bis zur
Publikation des Heideggerschen Hauptwerks Sein und Zeit 1927. Die
Phasen bis dahin seien hier nur kurz erwähnt. Im ersten Teil der Arbeit geht
Yfantis auf die Entstehung und erste Phase des Projektes
phänomenologischer Interpretationen zu Aristoteles ein, wobei hier als
Hintergrund auch Heideggers Auseinandersetzung mit der Religion eine
Rolle spielt.2 Die Auseinandersetzung mit Aristoteles fällt dann in jene Zeit,
1
Zur Übersicht vgl. Der Rückgang auf die Griechen in den zwanziger Jahren :
eine hermeneutische Perspektive auf Aristoteles, Platon und die Vorsokratiker im
Dienst der Seinsfrage / Franco Volpi. // In: Heidegger-Handbuch : Leben, Werk,
Wirkung / Dieter Thomä (Hrsg.) Unter Mitarb. von Katrin Meyer und Hans
Bernhard Schmid. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2003. - XVII, 574 S. ; 25 cm. ISBN 3-476-01804-0 : EUR 49.95 [7374]. - Hier S. 26 - 37. - Rez.: IFB 04-2-434
http://swbplus.bsz-bw.de/bsz103186247rez.htm
2
Vgl. dazu auch A companion to Heidegger's “Phenomenology of religious
life” / ed. by S. J. McGrath ... - Amsterdam [u.a.] : Rodopi, 2010. - XIX, 375 S. ; 22
cm. - (Elementa ; 80). - ISBN 978-90-420-3080-0 : EUR 80.00 [#1585]. - Rez.: IFB
11-1 http://ifb.bsz-bw.de/bsz333409566rez-1.pdf
in der Heidegger bereits eine strenge Grenzziehung zwischen Theologie
und Philosophie durchgeführt hat, die aus dem persönlichen Ringen um
Klarheit hinsichtlich des Verhältnisses von wissenschaftlicher Forschung
und katholischem Glauben erwachsen war. Man kann in der ersten Phase
mit dem Verfasser so etwas wie eine Vorgeschichte von Heideggers
Auseinandersetzung mit Aristoteles erblicken.
Von 1921 bis 1923 findet dann die erste Phase der phänomenologischen
Interpretationen von Aristoteles statt, die hier unter die Formulierung
Dekonstruktion der aristotelischen Seins- und Lebensexplikation zu fassen
sucht. In der Zeit von 1923 bis 1927 erfolgt dann die Entfaltung der
fundamentalontologischen Konzeption in Auseinandersetzung mit Aristoteles, wobei in die Zeit von 1923 bis 1925 der Höhepunkt der Heideggerschen
Aristoteles-Interpretation fällt, danach bis 1927 Aristoteles dann von der
Konzeption von Sein und Zeit her thematisiert wird. Im Ausblick am Schluß
wird schließlich noch kurz auf die Aristoteles-Deutung bei Heidegger in der
Zeit nach dem Erscheinen von Sein und Zeit eingegangen, als sich
Heidegger auf dem Weg zur sogenannten “Kehre” befand.
Yfantis unternimmt neben der genauen Darstellung der Heideggerschen
Auseinandersetzung mit Aristoteles auch den Versuch einer kritischen
Würdigung. Hier ist insbesondere noch darauf zu verweisen, daß die Arbeit
für das allgemeine Problem der Hermeneutik zwischen objektivem
Verstehen und Relativismus relevant ist, weil sie zu erläutern versucht, was
Heideggers Auffassung von der Geschichtlichkeit des Philosophierens
bezweckte (vgl. S. 210). Entscheidend ist hierbei der Gedanke, in
Abweisung quasi-naturwissenschaftlicher Interpretationsverfahren, daß
Interpretation kontextbezogen ist: „Der auszulegende Text ist Heidegger
zufolge nicht etwas objektiv Gegebenes und von sich aus schon
Verständliches, so daß man sich nur auf ihn zu berufen brauchte; er ist
vielmehr nur in einer konkreten hermeneutischen Situation und für sie
zugänglich“ (S. 210). Yfantis sieht richtig, daß mit Heideggers Position eine
ganze Reihe von Schwierigkeiten verbunden sind. Er gibt durchaus zu, es
könne sein, „daß ein Text sich besser oder überhaupt erst erschließt, wenn
der Interpret über ihn hinaus- bzw. hinter ihn zurückgeht, indem er z.B. an
ihn mit Fragestellungen herantritt, die ihm zunächst fremd zu sein scheinen,
und auf diese Weise dasjenige erreicht, was unausgesprochen in ihm
enthalten ist und ihn trägt“ (S. 211). Wie auch immer es sich damit verhalten
mag, es ist damit jedenfalls ein wichtiges Problem genannt, zu dem es bis
heute kontroverse Ansätze gibt.
Weiterhin ergibt sich als problematische Dimension der Heideggerschen
Position, daß ihre Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition
am Leitfaden des Aristoteles erfolgt, also auch eine gewisse Einseitigkeit
reproduziert, so als sei die gesamte abendländische Tradition von Ontologie
und Anthropologie von Aristoteles abhängig (S. 215). Eine mit der
Einseitigkeit seiner Vorgehensweise verbundene Problematik besteht weiter
darin, daß Heideggers Auffassung, Aristoteles' Denken sei „nur die
Vollendung und konkrete Ausformung der vorangegangenen Philosophie“
(Heidegger) von der Vorstellung einer Kontinuität des griechischen Denkens
abhängig ist. Dies verbindet sich mit der hermeneutischen Maxime, „daß
man beim Auslegen vom Hellen ins Dunkle gehen soll“ (S. 215 - 216).
In eine Auseinandersetzung mit der reichen Arbeit kann hier nicht
eingetreten werden. Sie ist für denjenigen interessant und aufschlußreich,
der sich mit der Philosophie Heideggers in ihrer Genese beschäftigt. Sie
kann aber für denjenigen interessant sein, der sich mit der antiken
Philosophie, insbesondere von Aristoteles, und ihrer Wirkungsgeschichte
befaßt. Am besten ist es sicher, bei der Lektüre sowohl die einschlägigen
Heidegger- wie auch Aristoteles-Texte griffbereit zu haben, um so im Detail
die Argumentation im Dialog mit den philosophischen Quellen
nachvollziehen zu können. Das umfangreiche Buch wird durch Personenund Sachregister sowie ein feingliedriges Inhaltsverzeichnis sehr gut
erschlossen; ein Index griechischer Termini ist ebenfalls eine willkommene
Zutat
Till Kinzel
QUELLE
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http://ifb.bsz-bw.de/bsz308782267rez-1.pdf
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