Mortag <-- Globales Lernen <-- Text KMK Schmitt, Ferdinand: Globales Lernen und die 1997er KMK-Empfehlung: Hält ein neues Unterrichtsprinzip Einzug in die deutsche Schullandschaft? DL-spezial 8-9/98 „....................... 1. In welcher Tradition steht das Globale Lernen? Eine ganze Reihe von Konzepten haben sich um den Umgang mit der Konfrontation durch die kulturelle Vielfalt in der eigenen Gesellschaft und um die Verständigung zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen bemüht. Dem Ziel einer möglichst schnellen Integration der Ausländer in die deutsche Gesellschaft versuchte sich die Ausländer-Pädagogik zu nähern. Die Interkulturelle Erziehung legte den Schwerpunkt mehr auf Verständigung. Bis vor kurzem sprachen wir dann mehr von entwicklungspädagogischen und entwicklungspolitischen Konzepten. Aus dem Süden schickte uns Paolo Freire die Befreiungspädagogik2. Viele Ansätze dazu finden wir bei Gandhi und später bei Nyerere. Die UNICEF und vor allem die UNESCO Schulen haben bereits früh einen Interkulturellen Ansatz für ihr Schulkonzept entwickelt. Die MontessoriPädagogik3 mit dem Konzept der „ kosmischen Erziehung“ lässt zwar die globale Perspektive noch vermissen, unterlegt jedoch systemisches Denken in Form von sozialem und verantwortungsbewusstem Handeln. Wie wir noch sehen werden, ist das Globale Lernen tief verwurzelt auch im Konzept der Antinomischen Pädagogik4. Sie wendet sich gegen Exklusionen aller Art! Jedes Nomen hat sein Antinomen! Ohne solche Antinomien dürfte weiterhin das „entweder-oder“ stehen, doch so wie es ist, kann es nur ein „ sowohl - als auch „ geben. Besonders fruchtbar für das Globale Lernen kann die „Pädagogik zwischen den Kulturen“ von Jouhy5 gemacht werden, fordert sie doch dazu auf, den geschichtlichen Prozess oder den Tropenholzboykott in seiner ganzen Ambivalenz zu erkennen, sich um Sachlichkeit zu bemühen. Und - das ist von Bedeutung - es fordert zur Parteilichkeit auf. Auch das „ökumenische Lernen“ erkennt die globale Dimension und stellt fest: „ das christliche Gewissen lebt sich ein auf den Haushalt der bewohnten Erde“. In der Einleitung stand das Wort „neu“ (es ging um das Unterrichtsprinzip des Globalen Lernens) Anführungsstrichen. Schon in der aller ersten deutschen Buchveröffentlichung zur Didaktik des entwicklungspolitischen Unterrichts von 1962 (UNESCO-Institut für Pädagogik)6 lesen wir: „Ein Wandel in der Perspektive ist notwendig. Die außereuropäische Welt muss als Bildungsgut im vollen Sinne Medium einer menschlichen Erziehung und Bildung werden. Es soll darum gehen, dem Menschen die Zukunft der Einen Welt wirklich begreiflich zu machen und sie ihm als Wirkungs-und Handlungsfeld vor Augen zu stellen. Es geht dabei nicht um einen neuen Lernstoff. Sondern um eine Verschiebung der Akzente, um eine neue Disposition des Bildungsstoffes“(S.14). Der Satz passte ohne Angabe der Jahreszahl seines Erscheinens auch heute noch in die Veröffentlichung eines globalen Bildungskonzeptes! In einem demnächst in „Die Deutsche Schule“7 erscheinenden Artikel zitiert Klaus Seitz aus einem 1952 erschienenen Band von F.W. Foerster8. Einige Fragmente sollen seine Gedanken zur Einen Welt beleuchten: „ Unentbehrlich ist eine übernationale Erziehung, die das Veständnis für fremde Werte entwickelt, zur Teilnahme am Schicksal der Nachbarn anleitet... zur Universalität heranreifen... die Schicksalsgemeinschaft alles menschlichen Lebens auf Erden zu begreifen ... Nächstenliebe durch Fernstenliebe ergänzt...“ (S. 147). Klaus Seitz spannt hier einen Bogen von Comenius, Kant, Herder bis zur Weltfriedensbewegung Berta v. Suttners und bis zur„Education for a world community“ des Völkerbundes. Schließlich sei auf das Konzept der „ Global Education“ mit entsprechender Tradition in den USA9 oder der noch älteren Verankerung der „ Development Education“ in Großbritannien verwiesen. Und jetzt kommt „ Globales Lernen“. Auch nur ein Modewort? Was ist neu an diesem Konzept? 2. Globales Lernen Es wurde in den letzten Jahren sehr gerungen um diesen Begriff des Globalen Lemens und den Versuch, eine Art Definition zu bekommen. Dies ist bis heute nicht eindeutig gelungen und eventuell auch gar nicht wünschenswert. Dennoch müssen wir uns in irgendeiner Weise diesem Konzept nähern. „Die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können nur von Menschen bewältigt werden, die in globalen Zusammenhängen denken und sich dafür engagieren. „10 Kürzer und prägnanter wie Susan Fountain kann man es kaum sagen. Klaus Seite hat sehr früh bereits die Notwendigkeit des Globalen Lernens umrissen und für seine Einführung als Querschnittsthema und Unterrichtsprinzip plädiert. „Der Tourismus der Reichen in die Länder der Armen ist ein Beispiel dafür, wie sehr die Welt zusammengewachsen ist und sich zu einem globalen Dorf gewandelt hat, in dem, zumindest theoretisch, jeder mit jedem jederzeit in Kontakt treten kann (...). Auch wenn wir zu Hause bleiben, kommt die Welt zu uns (...).“11 Richtig. Und das in Form von Produkten aus aller Welt, über die Medien, durch die Wissenschaft, Literatur, Musik, über (nur gemeinsam zu meisternde) weltweite Umweltprobleme und vieles mehr. „Die Lebenswelten, in denen sich Kinder und Jugendliche heute bewegen, sind längst in einen weltumspannenden Zusammenhang eingebettet. Daher können auch die Geschehnisse im sozialen Nahbereich heute ohne den Blick auf den globalen Kontext nicht mehr angemessen begriffen und bewältigt werden (...), die möglichen Auswirkungen, die unser Handeln auf Menschen jenseits unseres Gesichtsfeldes und jenseits unseres Zeithorizontes hat, erschließen sich nicht mehr allein aus der unmittelbaren lebensweltlichen Erfahrung.“ Um in dieser sich herauskristallisierenden Weltgesellschaft Orientierung zu gewinnen und handeln zu können, muss gefragt werden: Was und wie sollen wir in den Schulen von heute lernen? Susan Fountain macht die wechselseitige Abhängigkeit12 zu einem von 5 Hauptthemen, wenn sie sagt, dass wir alle unabhängig von unserem Wohnort mit allen Teilen des Planeten verbunden sind. Hans Bühler betont ebenfalls die weltumspannenden gesellschaftlichen Veränderungen und die weltweite Vernetzung und Migration, um das Globale Lernen zu legitimieren. Nur so kann man sich in angemessener Form mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen. Er weist daraufhin, dass Globalität sich auch in unmittelbarer Nähe und im Alltag wiederfindet, wenn man nur an die vielen multikulturellen Klassenzimmer denkt oder an die Auseinandersetzung mit der Asylbewerberproblematik in der Gesellschaft.13 Daneben sind die Gegenstände des Globalen Lernens unendlich vielfältig und gehen über die Schwerpunkte Entwicklung, Umwelt, Kulturalität, Umgang mit dem Fremden, Bildung, Frieden, Migration, Menschenrechte, Weltmarkt-Ordnung, Frauen usw. noch hinaus. Susan Fountain umreißt neben ihrem Punkt der Wechselseitigen Abhängigkeit vier weitere inhaltliche und didaktische Felder des Globalen Lernens: Bilder und Wahrnehmungen (hier soll sensibilisiert werden zu erkennen, wie wir Bilder wahrnehmen und welche Vorurteile und Stereotypen damit verbunden sind), Soziale Gerechtigkeit (nur so kann der einzelne seine Möglichkeiten voll ausschöpfen und nur so kann dauerhafter Frieden entstehen), Konflikte und Konfliktlösungen (auf nationaler und globaler Ebene müssen Alternativen zur Gewaltstrategie entwickelt und eingeübt werden), schließlich Wandel und Zukunft (die Zukunft ist nicht vorherbestimmt, was heißt, dass junge Menschen an einer besseren Zukunft mitwirken können).14Das Schweizer „Forum Schule für Eine Welt“ formuliert vier Leitideen für das Globale Lernen: Bildungshorizont erweitern, Identität reflektieren und Kommunikation verbessern, Lebensstil überdenken, lokal und global verbinden.15 Gegenüber dem Traditionellen Lernen ist eine ganze Menge neu. Die regionalzentrierte Weltsicht wird durch eine globale ersetzt, das Prinzip „vom Nahen zum Fernen“ wird verworfen zugunsten der Verknüpfung „lokal-global“, die weite Welt wird mit der Lebenswelt der Jugendlichen verknüpft, das Fächerwissen tritt mehr in den Hintergrund, während das Denken in Zusammenhängen und Systemen gefordert wird, Lernende sind aktiv, kreativ, bringen eigene Erfahrungen ein, üben sich statt in Konkurrenz und Wettstreit in Zusammenarbeit und Solidarität, sind nicht so sehr produktorientiert, sondern mehr prozessorientiert. Die didaktischen Kategorien haben einen Schwerpunkt im antizipatorischen, partizipatorischen und situativen Lernen, im Denken in Zusammenhängen und im ganzheitlichen Lernen. Auch Wolfgang Klafki hat einen Themenkatalog für das Globale Lernen formuliert mit seinen epochaltypischen Schlüsselproblemen,mit denen sich die Gesellschaft, bzw. die Schule auseinandersetzen muss. Es sind die Themen Krieg und Frieden, der Themenkomplex Nationalitätsprinzip, Kulturspezifik und Interkulturalität, die ökologische Frage, das Wachstum der Weltbevölkerung, die Ungleichheiten in den Gesellschaften, die neuen Technologien, die Ich-Du-Beziehungen und die Subjektivität des Einzelnen.16 Wir sind bei der Frage nach den Strategien und Zielen des globalen Lernens angelangt. Susan Fountain fasst zusammen, was vorher schon andere vorgeschlagen hatten, nämlich dass der Weg zum Globalen Lernen nur gekennzeichnet sein kann durch Begriffe wie interdisziplinär, kooperativ, handlungsorientiert, erfahrungsorientiert. Die Arbeit soll in kleinen Gruppen erfolgen, die sich auch um die angemessenen Diskussionstechniken bemühen. Gefordert wird überall die Methodenvielfalt! Ganzheitliches Lernen versteht sich von selbst H. Bühler hat dem Globalen Lernen im deutschen Sprachraum am intensivsten nachgespürt.17 Sein Entwurf spezifiziert eine Reihe von Punkten des Schweizer Forums beziehungsweise geht darüber hinaus. So beispielsweise spielt bei Bühler der Punkt der Parteilichkeit eine große Rolle und ganz besonders das Prinzip des „inklusiven Denkens“ (siehe auch Jouhy, der sich gegen Determinismen wendet und Bühler, der das „Holistische Paradigma“ erläutert), ferner seine Skeptik gegenüber eindeutigem Wissen als alleinigem Wissensstand, kurz - das Zulassen des „sowohl - als auch“. Exklusives Denken ist dagegen mehr dem Handeln zugeordnet, denn wer handelt, muss sich schließlich entscheiden. Bühler zitiert aus einem Brief eines westafrikanischen Freundes und Schuldirektors ein schönes Beispiel für inklusives Denken in der afrikanischen Denkstruktur: „Ein junger Jäger behauptete, dass er stärker als ein anderer, alter Jäger sei, dass er eine Antilope gleichzeitig mit einem Pfeil am Kopf und an einem ihrer Hinterläufe getroffen habe Der König, der glaubte, dass man sich über ihn lustig mache, indem man ihn für naiv hielt, wollte den jungen streng bestrafen. Aber ein alter Weiser, ebenfalls ein Jäger, verteidigte den unklugen, jungen Jäger und sagte zum König: ‚Das geht, oh König, und zwar in dem Augenblick, wo sich die Antilope am Ohr kratzt’“. Eng verbunden mit dem inklusiven Denken ist das Einüben von erfahrbar gemachten Ambivalenzen, unter anderem, um vorschnelle/ falsche Antworten zu vermeiden. Aus dem Bereich der Medien ist uns bekannt, dass wir immer mehr Chancen haben, uns zu informieren, aber dadurch eventuell immer mehr manipuliert werden. Oder ein anderes Beispiel: Spricht mehr dafür, Tropenholz zu boykottieren oder zwingt gerade der Boykott die Staaten, andere und noch schlimmere Methoden der Vermarktung und Holzverwertung zu suchen? Oder: Kulturelle Unterschiede können faszinierend, aber auch ärgerlich sein. „Einseitige Faszination (jedoch) kann das Gerechtigkeitsempfinden der Einheimischen verletzen „ (z.B. wenn dort Folter herrscht oder Ungerechtigkeit). Globales Lernen ist undenkbar ohne Lernziele wie Empathie, Solidarität, kultureller Respekt, Erziehung zu Universalismus und Weltzivilisation, Erziehung zu aufgeklärten und handlungskompetenten Weltbürgern, die global denken (nicht nur inklusiv, sondern auch dialektisch, abstrakt und vernetzt) und lokal handeln können. Lokal auch in den Schulen! 3. Globales Lernen - ein neues Unterrichtsprinzip? Globales Lernen legitimiert sich, wie wir gesehen haben, aus einer Fülle von Veränderungen heraus, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten zur Realität geworden sind. Im Grunde möchte man fragen: Warum wurde das Rad nicht früher erfunden? Es hätte doch auch da schon nützlich sein können. Klaus Seitz stellt richtig fest, dass es sich hier in erster Linie nicht um eine Addition neuer Themen in den (ohnehin überfrachteten) Lehrplänen handelt, sondern Bildungsinhalte sollen vielmehr als Querschnittsaufgabe im Licht neuer Kontexte gesehen werden. Somit stellt sich die Frage: Kommt hier ein neues Unterrichtsprinzip daher? Und wird es länger bestehen können als nur im sporadischen Auftauchen in einzelnen Bildungseinrichtungen, hineintransportiert durch einige „ Global-Bewegte „ oder als Gegenstand eines Diskurses unter Fachleuten? Es sieht ganz so aus, als wäre dem so! Der Diskurs zum Globalen Lernen ist intensiviert, die Zahl der Veröffentlichungen deutlich gestiegen, den Kultusministerien ist das Konzept nicht mehr ganz fremd, und schließlich wird auf europäischer Ebene gerade eine Charta zum Globalen Lernen erarbeitet. Ob Globales Lernen als Konzept allerdings eine Chance hat angesichts der negativen Auswirkungen des Globalisierungsprozesses, wird von einigen nachgefragt. Es könnte aber durchaus gerade dieses Konzept ein potentielles Gegeninstrument gegenüber den negativen Entwicklungen darstellen, die aus der Globalisierung hervorgehen. Die Möglichkeiten für die Arbeit mit diesem Konzept sind schier unendlich - man hat eher ein Kontingenzproblem angesichts der unermesslichen Fülle von Beispielen, Wegen, Fragen und Inhalten, um global zu lernen! Und die KMK hat in zwar bescheidener, aber hoffentlich signalhafter Weise auf die Notwendigkeit reagiert, die Arbeit mit den Nord-Süd-Themen zu verstärken. Zunächst aber noch dieser Hinweis: 4. Die Gefahr des abermaligen Eurozentrismus Mit wenigen Ausnahmen (zum Beispiel in Ghana, Senegal) hat es auf dem afrikanischen Kontinent bis in die Kolonialzeit hinein kaum eigene Entwicklungen von Bildungsplänen gegeben. Auch in der Zeit seit der Unabhängigkeit gab es hier und da Ansätze (Tanzania u.a.), doch blüht die informelle und die den Bedürfnissen angepasste Bildung und Ausbildung mehr in den Hinterhöfen, auf der Straße und in Kooperativen. Erst in den letzten 10 Jahren ist ein intensiverer Diskurs und Austausch in Gang gekommen. Und dennoch besteht beim hier vorgestellten Konzept des Globalen Lernens wiederum die Gefahr, dass wir mit einem fertigen Produkt aus dem Norden den Süden ungenügend am Diskurs beteiligen und damit eine der ureigensten Leitlinien (nämlich die gemeinsamen Bildungsaufgaben interkulturell zu erörtern) sträflich verletzen. Simone Fuoss wird in einem Artikel der ZEP 3/98 (Zeitschrift für Internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, IKO-Verlag, Frankfurt/M) Eindrücke von einem Streifzug über die Worlddidac in Basel im Mai 98 vermitteln und Zitate präsentieren, die sie aus den Diskussionen mit mehreren in der Öffentlichkeit gut bekannten afrikanischen Kollegen entnommen hat. Hier ein paar Kostproben, die zeigen mögen, worüber wir wachsam nachdenken müssen: Hat man das Recht, die Geschichte der anderen zu schreiben? (David Gakunzi, Rwanda) Globales Lernen sagt alles und nichts; es ist ein Modewort und ein politisches Wort und damit unkonkret, leer. (Jacob Savoessi, Benin) Globales Lernen ist ein wichtiges Konzept Es ist vor allem für Europäer notwendig geworden, um globale Perspektiven wahrzunehmen, um aus ihrem Eurozentrismus herauszukommen.... (Neville Alexarider, Südafrika) Globales Lernen kennt keine Fragmente, sondern man muss Interdependenzen erkennen und leben. (Paul Salatou, Kamerun) Um Globale Erziehung zu verwirklichen, müssen wir Methoden einfuhren, die den Menschen dazu bringen, im Modus gegenseitiger Abhängigkeitsverhältnisse zu denken, die Kreativität und Vorstellungskraft begünstigen ... (Assi Dian, Elfenbeinküste) Globales Lernen als Wort für internationale Solidarität bedeutet oft Hilf e und Rat aus Europa! Deshalb ist zu befürchten, dass der Süden weiterhin wissenschaftlich beeinflusst wird, besonders in der „Zusammenarbeit“ beim Vollenden von Texten. (Jacob Savoessi) Der Missbrauch unserer afrikanischen Geschichte ist schon phänomenal: In einem Erdkundebuch wird als Entdecker des Kilimandjaro Ludwig Kraft genannt! (J. Mudina, Kenya) Die Zeit ist gekommen, wo Europäer lernen sollten, Afrikanern zuzuhören, um Möglichkeiten (der Lebensund Interessengemeinschaften) nicht nur zu verstehen, sondern angemessen in eigene Aktionen zu transformieren. Weiteres Lernen von Afrikanern beinhaltet z.B. Inklusives Denken und Verstehen statt exklusivem Denken und überstürztem Handeln... (Neville Alexander). Soweit diese Zitate (ohne weiteren Kommentar). 5. Die Eine Welt/Dritte Welt-Diskussion seit 1989 Im Zuge des Paradigmenwechsels nach 1989 war im Grunde der Terminus „Dritte Welt“ obsolet geworden. Viel wichtiger aber war die Tatsache, dass die Ausgrenzung von Themen und Fragestellungen, die der Begriff„Dritte Welt“ nun einmal mit sich brachte, die Interdependenzen bzw. die jeweilige Reflektion der einen in der anderen Welt nicht nachvollziehbar machen. Der Nord-Süd- Thematik wurde seit etwa 1990 in der Tat viel mehr Aufmerksamkeit zuteil, wenn auch nicht flächendeckend und wenn auch noch ganz und gar nicht in angemessener Form vor Ort in den Schulen. Unter anderem sind die verschiedenen Kongresse zum Themenbereich „Nord-Süd“ bzw. „Eine Welt“ von Bedeutung, allen voran der Kölner Bundesbildungskongress von 1990 („Der Nord-SüdKonflikt - Bildungsauftrag für die Zukunft“}18 der geradezu einen Meilenstein in der Fortentwicklung der entwicklungspolitischen Arbeit in der Bundesrepublik darstellt. Eine ganze Anzahl Landesbildungskongresse folgten in den darauffolgenden Jahren, zum Beispiel der Freiburger Kongress „Lernen in der Einen Welt“ 1992.19 In Baden-Württemberg sind bei der Lehrplanrevision von 1994 eine große Zahl von Eingaben seitens der vor Ort arbeitenden NROs berücksichtigt worden. Die Zusammenabeit zwischen Kultus und NRO ist um Quantensprünge besser geworden. Die Zahl der Aufsätze zum Themenkreis Nord-Süd stieg deutlich an, unter anderem in den unterrichts-bezogenen Periodica wie „ Geographische Rundschau“ und „Praxis Geographie“, aber auch in den entsprechenden Zeitschriften für die Fächer Geschichte, Deutsch, Gemeinschaftskunde usw. Vielen von ihnen liegt seit Jahren das Beiheft „Eine Welt in der Schule“ aus der Arbeitsgruppe um Rudolf Schmitt (Uni/Bremen) bei. Brot für die Welt und der Verein für Friedenspädagogik, Tübingen geben gemeinsam das Heft „ Global lernen“ heraus, das an die Schulen verschickt wird, um nur eine Auswahl zu nennen. Auf Länderebene kam in vielen Bundesländern ein stetig wachsender Austausch zwischen den verschiedenen Initiativen des EZ-Ressorts der Wirtschaftsministerien (auch der Kultusministerien) und NROs zustande (zu dem die NROs immer wieder erst anregen mussten). Auch der internationale Austausch gewann an Bedeutung, die Vernetzung der Gruppen von lokal bis international wuchs an und tut es immer noch. Das BMZ berief einen Beraterkreis, in dem Vertreter wichtiger NROs, Hochschulen und auch Länder-Initiativen sitzen. Zuvor hatte sich bereits infolge des Kölner Bildungskongresses von 1990 auf Initiative des Bremer Senators Günther Hilliges die „AG Informations- und Bildungsarbeit des Bund-Länder-Ausschusses Entwicklungszusammenarbeit und de rBund-Länder-NRO-AG ‚Kölner Bildungskongress“ etabliert, in der unter dem Dach des BMZ die Kultusseite, die Länder-EZ-Seite und die NROs beraten, wie und wo die Nord-Süd-Thematik bzw. die Themen der Einen Welt in der Bildungslandschaft zu fordern und zu verankern sind. Zusammenfassend kann man sagen, die Diskussion ist intensiver geworden, was allerdings durchaus im Gegensatz steht zur Tatsache, dass in der Öffentlichkeit und in der Schülerschaft das Thema Nord-Süd nicht gerade Konjunktur hat. 6. Die KMK-Empfehlung „Eine Welt/Dritte Welt“20 Bereits im Jahre 1988 erschien ein von der Kultusministerkonferenz in Auftrag gegebener,, Bericht zur Situation des Unterrichts über die Dritte Welt“. Während sich der Bericht von 1988 noch so gut wie ausschließlich an der Thematisierung der Eigenproblematik der Entwicklungsländer und ihrer Umsetzung in den Schulen der einzelnen Bundesländer orientiert, kommt in der neuen „Empfehlung“ an vielen Stellen zum Ausdruck, dass die Behandlung der Länder des Südens mit ihrer „ Eigenproblematik“ um das Thema „ Globale Herausforderung der Einen Welt“ erweitert werden muss. Die KMK-Empfehlung zur Einen Welt im Unterricht von 1997 reiht sich logisch an die Richtlinien zu den Menschenrechten, zur Umwelterziehung (1992) und für Interkulturelle Bildung (1996) an. Die Legitimation und der Auftrag zur Eine-Welt-Thematik ist klar aus den Schulgesetzen der Länder und dem Grundgesetz abzuleiten. Auf dieser Grundlage sind die in der Empfehlung genannten Themen aufzugreifen. In Baden-Württemberg (in anderen Bundesländern wird es nicht grundsätzlich anders sein) sind das beispielsweise: das wachsende Ungleichgewicht zwischen „armen“ und „reichen“ Ländern die ökologische Gefährdung des Planeten die Bedrohung durch Militarisierung, Kriege, Hungersnöte und Migration die Bevölkerungsexpansion usw. Diese Themen erfordern jedoch eine „ aktive und breite Mitarbeit aller am Entwicklungsprozess“„ und eine „weltweite Schaffung menschenwürdiger Lebensverhältnisse“. Globale Entwicklung und solidarisches Handeln werden als Ziele klar umrissen. Es heißt unter anderem: „Bei der Erziehung zur gemeinsamen Verantwortung für die „Eine Welt“ ist auch die Schule gefordert, die Komplexität der zu lösenden Probleme und ihre existenzielle Relevanz darzustellen.“ Ferner wird (und das ist einer der neuen Punkte in der Empfehlung) auf die verstärkte Handlungsorientierung verwiesen (als Ergänzung zur Wissensvermittlung). Weitere Stichpunkte sind: globale Verantwortung, Offenheit gegenüber kultureller Vielfalt, Völkerverständigung, Friedenserziehung. Ein ganzer Themenkatalog wird aufgeführt, in dem einige Punkte neu sind oder aber besondere Erwähnung verdienen, zum Beispiel die Kenntnis über die „ eigenständige kulturelle Genese, der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaften und Staaten... Eroberung und Kolonisierung bis hin zur heutigen Situation“„. Oder die „Bestrebungen einer kohärenten gesamtgesellschaftlichen Entwicklung“ oder die „Befähigung zum interkulturellen Dialog“ und schließlich die „Bereitschaft, in den persönlichen und beruflichen Orientierungen einen Zusammenhang zwischen der eigenen Identität, den heimatlichen Bezügen und der globalen Mitverantwortung anzustreben.“ Und gleich im Anschluss wird gesagt, diese schulische Aufgabe fordere die „schulische Bildungsarbeit in allen ihren Bereichen!“ Das bedeutet, die KMK anerkennt die Behandlung globaler Fragen als Teil der Allgemeinbildung. Besondere Bedeutung kommt dabei den Möglichkeiten zum fächerverbindenden Arbeiten und den Projekttagen zu. Auch das schulische Umfeld soll einbezogen werden. All dies weist hin zu einem wesentlich neuen Gesamtaspekt der Eine-Welt-Thematik in der KMK-Empfehlung, nämlich ihre Eingebundenheit als Querschnittsaufgabe bzw. Unterrichtsprinzip in praktisch alles schulische Geschehen. Diese Querschnittsaufgabe ist im Grunde Teil einer „Pädagogik aus einem Guss“ wie sie vielfach gefordert worden ist. Und das ist der Kernpunkt - es erscheint nicht mehr die „Dritte Welt“ als Teilaspekt im riesigen Themenkanon des Lehrplans, sondern (wie W. Klafki mit seinem epochaltypischen Themenkreis schon vorschlug) die wesentlichen Themen und Gegenstände des Lemens können nur im globalen Kontext verstanden werden. Die englische Sprache und auch das erweiterte Sprachangebot in Richtung Spanisch oder der Arabisch-AG ist also zum einen die Erfüllung der Forderung nach Sprachkompetenz in dieser Einen Welt (und verbesserten Berufschancen) und zum anderen Transportmedium für die Themen der Einen Welt, dann nämlich, wenn sich die Lehrkraft ganz bewusst für einen englischen Text (z.B.) zum Thema „The Achievement of the German Colonization in Eastern Africa“ entscheidet. Also doch der Paradigmenwechsel? Wie sagte noch Albert Einstein dazu: „Die Welt, die wir geschaffen haben, ist das Resultat einer überholten Denkweise. Die Probleme, die sich daraus ergeben, können nicht mit der gleichen Denkweise gelöst werden.“ Auf zu neuen Ufern! Dies alles erfordert aber nun auch eine Inventur der didaktischen Vielfalt (oder Nicht-Vielfalt). Ausdrücklich weist die Empfehlung auf die Methodenvielfalt hin, die diese Thematik (es sei ergänzt: jede Thematik) erforderlich macht. Vom Medieneinsatz spannt sich der Bogen über Rollenspiele, praktisches Arbeiten, Arbeiten in Gruppen, entdeckendes Arbeiten, kreatives Suchen nach neuen Möglichkeiten und Lösungsansätzen bis hin zur Öffnung der Schule, zum Beispiel auch, um zurückgekehrte Fachkräfte (Rückkehrer) oder ausländische Gäste in den Unterricht einzubeziehen. Natürlich immer unter dem Aspekt der Effektivität, denn Schule bedeutet immer auch Arbeit. Und was hier teilweise redundant erscheint, ist nur Ausdruck dafür, wie groß die Übereinstimmung in der Methodik und Didaktik bereits ist. Eine besondere zu bewältigende Herausforderung ist stets die Bereitschaft, sich mit der Komplexität der Themen auseinander zu setzen. Neben der von uns Pädagogen so meisterhaft beherrschten Methode der Reduzierung von Komplexität (die selbstverständlich auch wichtig ist) kommt hier aber nun noch etwas anderes auf uns zu, nämlich zusammen mit den Schülern die Komplexität auch zu erarbeiten, sie zu ertragen, mit ihr umzugehen, Unsicherheiten auszuhalten, die Aporie zu erkennen und auszuhalten und schließlich „inklusiv“ denken zu lernen. Weder unter eurozentristischem noch unter logozentristischem Aspekt (also dem Begreifen des Fremden als bloße Kontrastfigur zum Eigenen) ist der Bewertung fremder Realitäten beizukommen oder eine Problemanalyse und ein handlungsorientiertes Engagement zu bewerkstelligen. Zudem soll die Vertiefung des Verständnisses anderer Kulturen dem Irrtum vorbeugen, die Realitäten dieser Einen Welt seien überall gleich. Und bloße Toleranz gegenüber den fremden kulturellen Wirklichkeiten muss erweitert werden durch aktive interkulturelle Partnerschaft. Konkret empfohlen wird, sich mit vergleichender Religionslehre, der eigenen Geschichte im Weltgeschichtskontext, vergleichenden soziokulturellen Betrachtungen usw. zu befassen. Schließlich weist die Empfehlung noch auf die Chancen hin, die sich aus der interkulturellen Begegnung und den Schulpartnerschaften mit Schulen Lateinamerikas oder Afrikas usw. ergeben. Hierauf soll hier nicht weiter eingegangen werden, sondern nur auf ein ausgezeichnetes Buch zu Schulpartnerschaften von Marianne März hingewiesen werden.21 Wann sollen denn nun die Schüler und Schülerinnen an die Themen der Einen Welt herangeführt werden? Aus den Studien von Rudolf Schmitt geht eindeutig hervor, dass dies so früh wie möglich zu geschehen hat. Dies hat er auf der Fachtagung noch einmal eingehend erläutert, die eigens zur Diskussion des KMKPapiers in Ludwigsfelde stattfand.22 Haltungen und Einstellungen gegen das Fremdartige verhärten sich im Alter von 5 - 7 Jahren. So geht es aus Schmitts Studien hervor. Dies ist eine klare Aufforderung an die Grundschulen und auch an die Kindergärten, sich um eine kindgerechte Aufarbeitung von Eine-WeltThemen zu bemühen. Ein altersgerechter Aufbau ist unabdingbar, sagt die Empfehlung. Das ist auch unstrittig. Aber es darf nicht dazu fuhren, dass man jungen Menschen nun die Komplexität vorenthält. Sie sind vielmehr sukzessive damit zu konfrontieren, denn Komplexität ist ein Stück Realität. An der KMK- Empfehlung ist viel und lange gearbeitet worden. Die bereits erwähnte Fachtagung in Ludwigsfelde im Mai 1996 diente vor allem dem Zweck, die von verschiedenen Seiten geäußerte Kritik und um die gemachten Änderungsvorschläge möglicherweise zu berücksichtigen. Insgesamt gesehen ist dies ein Konsenspapier der 16 Bundesländer. Dennoch sollen hier zusätzlich einige Anmerkungen zitiert werden, die auf dieser Fachtagung von verschiedenen Referenten gemacht wurden. Zunächst noch einmal RudolfSchmitt, der ganz besonders auf die Arbeit mit Grundschülern einging und Folgendes forderte: einen frühen Beginn mit dem Themenbereich Eine Welt/Dritte Welt (weil die Kleinen sehr früh schon die Werte- und Ordnungsskala der Erwachsenen um sie herum verinnerlichen, meist also im negativen Sinne) Maßnahmen, die den emotionalen Bewertungshintergrund der Kinder in Bewegung bringen können umfassende Sozialerziehung in der Klassse, in die das partnerschaftliche Verhältnis zu Menschen in der fernen Welt eingebettet ist eine handlungsorientierte Vermittlung des Themas Kinder nicht mit unlösbaren Problemen alleine lassen nicht Toleranz allein, sondern Solidarität einüben usw. Annette Scheunpflug (damals: Universität der Bundeswehr/Hamburg) fordert, die Situation Globalen Lernens in beruflichen Schulen zu verbessern, da hier noch der allergrößte Nachholbedarf besteht. Norbert Ingler (Haranni-Gymnasi-um Herne) stellt Forderungen für die gymnasiale Oberstufe auf und schlägt vor: einer neue Sensibilität für die Themen der Einen Welt anzustreben (angesichts fortgeschrittener Individualisierungsprozesse und materialistischer Orientierung in diesem Alter) der eurozentristischen Sicht der Welt entgegenzutreten (angesichts der Zunahme sozialökonomischer und ökologischer Probleme in Deutschland) die Lehrer in Bezug auf die Eine Welt/Dritte Welt besser auszubilden der Arbeit der NRO mehr Beachtung zu schenken usw. 7. Kritische Anmerkungen zum KMK-Papier Das Empfehlungspapier ist sowohl auf der Fachtagung als auch außerhalb in mehreren Punkten kritisiert worden. Die Kritik beginnt bei Begrifflichkeiten. Vielen ist nach wie vor unklar, warum man nicht endgültig den Begriff ,, Dritte Welt“ zu den Akten legt. Zum anderen hat MdB Mathias Schubert angemerkt, der Begriff,, Entwicklungkrise“ (den die Empfehlung benutzt) für den Süden allein anzuwenden, sei völlig irreführend und unverständlich. Ebenso der Begriff „Bevölkerungsexpanision.“ Auch H. Bühler macht eine Reihe kritischer Anmerkungen. Er hält das Papier fachwissenschaftlich und entwicklungspädagogisch für nicht auf dem Stand der Diskussion. Er weist auf die Gefahr von Verkürzungen hin und nennt als Beispiel ebenfalls die „Bevölkerungsexpansion“ , ein Thema, das vermutlich eher mit gewissen Ängsten bei uns Europäern zu tun habe als mit der Realität, nämlich dass entstehende Armut eher das Resultat eines sehr komplexen Ursachennetzes sei. Auch einen etwaigen Zusammenhang zwischen Wissen und daraus resultierender Handlungskompetenz wird von Bühler negiert. Handlungskompetenz folge vielmehr aus dem „Erfahren von Gewissheit, dass soziale Tugenden real Sinn machen, dass Partizipationswüle im Leben positive Antworten findet.“23 Hans Bühler urteilt, die Empfehlung verharre in alten Denkmustem, sei weiterhin eurozentristisch und borniert paternalistisch. In einer sehr detaillierten Analyse geht Klaus Seitz ein weiteres Mal auf das KMK-Papier ein.24 Er unterstreicht wie H.Bühler, dass das Papier nicht auf dem Stand der pädagogischen Diskussion sei und die vorhandenen Traditionslinien ignoriere, die Vorarbeit der NROs missachte, auf einem eurozentristischen Kulturverständnis beharre, mahnt ebenfalls die Aufarbeitung der Agenda 21 an und kritisiert, dass die Eine Welt nicht als Dimension, sondern immer noch als Teil einer stofforientierten Didaktik gesehen werde. Der,, Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen“ (VENRO) äußerte sich in ähnlicher Weise. 8. Dennoch ... Alle begrüßen gleichzeitig das Papier, weil es die Chance in sich trägt, die Diskussion um die globale Weltsicht der schulischen Themen als Querschnittsaufgabe zu intensivieren und weil es das Bemühen vieler Lehrerinnen und Lehrer, sich mit den Themen der Einen Welt und dem „ Globalen Lernen „ auseinander zu setzen, legitimiert. Obendrein sei festgelegt, dass die Grundschule quasi zur Avantgarde erhoben ist (Bühler), und „... entwicklungspolitische Bildung sei auf dem Weg, als Unterrichtsprinzip praktiziert zu werden.“ Trotz seiner bereits erwähnten Kritik hatte schließlich auch M Schubert zusammenfassend die KMK-Empfehlung klar als,, Ermutigungspapier“ bezeichnet, dessen Inhalte es im schulischen Unterricht zu verankern gelte. So kann man denn durchaus behaupten, dass es sich um ein politisches Papier handelt und uns alle auffordert, etwas daraus zu machen. Für Baden-Württemberg wurde in einer einzigartigen Studie vom EPIZ in Reutlingen (in drei Bänden, geordnet nach Schularten) festgestellt, dass die Bezüge des Globalen Lernens beziehungsweise der Inhalte dieser KMK-Empfehlung in den neuen Lehrplänen mehr als zahlreich sind. Die Themen der Einen Welt sind häufig vertreten, ganz besonders in der SEK I und auch bei den fächerverbindenen Themen (FTh). Musste Klaus Seitz in einer früheren Untersuchung noch feststellen, dass diese Thematik in diesem Bundesland ein Mauerblümchendasein führe und Schlusslicht sei, so kann sich Baden-Württemberg inzwischen sehen lassen, was die Öffnung der Lehrpläne zum Globalen Lernen hin betrifft. Die Bereitschaft zur Unterstützung, das Globale Lernen und die Themen der Einen Welt in der schulischen Arbeit voranzutreiben, ist inzwischen auch im Kultusministerium groß, wie wir aus den Gesprächen mit den hierfür Zuständigen ersehen. Ihre Präsenz in den Arbeitsgruppen der NROs ist gestiegen. Zwar gehen die 16 Bundesländer unterschiedlich mit der Umsetzung um (sofern man bereits von Umsetzung sprechen kann), aber der Aufforderungscharakter der Empfehlung, gekoppelt mit den mit Sicherheit in allen Bundesländern (mehr oder weniger) zahlreichen Bezügen der Lehrplaneinheiten zum Globalen Lernen dürfte ausreichen, ein für die bundesdeutsche Schullandschaft neues Konzept fruchtbar zu machen. Somit kann der Inhalt dises KMK-Papier zum wesentlichen Bestandteil der inneren Schulreform werden, die aus Sicht engagierter Lehrerund Lehrerinnen so dringend nötig ist. Allerdings ist immer noch eine hohe Persistenz zu beobachten, was das Festhalten an althergebrachten Unterrichtsmethoden und Inhalten angeht. Während aber inzwischen viele Lehrer/innen und viele Schulen freudig und eifrig auf den Zug aufspringen, der da heißt Methodenvielfalt, Projektarbeit, Freiarbeit usw. sehe ich vor mir den schiefen und skeptischen Blick der Kollegen, wenn es um Globales Lernen geht, ist es doch noch mit dem strengen Stallgeruch der Dritte-Welt-Fraktion behaltet. Dabei gibt bis heute keine überzeugende bzw. gar keine Evaluierung all der neuen Arbeitsweisen. Warum dann nicht auch mal beim Konzept des Globalen Lernens reinschnuppern und vielfältig Anleihen machen? Hans Bühler berichtet von der Shell-Studie und einer neuen Studie der Universität Bern, aus denen hervorgeht, dass das Wissen und Verständnis um das Globale Lernen herum seit 1985 bei Schülerinnen und Schülern gestiegen ist.25 Na bitte. Bleibt nur zu hoffen, dass die Lehrenden im Lande diese innere Schulreform nicht als „ Verordnung von oben“ missverstehen, sondern als unsere ureigenste Sache begreifen, um die Zukunft der Bildung zu sichern und auch voranzutreiben. Sich auf dem nächsten Pädagogischen Tag mit der KMK-Empfehlung (und möglichst auch mit der dazugehörigen Dokumentation der Fachtagung von Brandenburg) sowie mit diesem neuen Unterrichtsprinzip des Globalen Lernens auseinander zu setzen, kann ein Anfang beziehungsweise für viele Schulen bereits eine Fortsetzung der Reformarbeit sein. Natürlich ist die Umdrehungsgeschwindigkeit, mit der die einzelnen Bundesländer für die Umsetzung sowohl des Konzepts „ Globales Lernen „ als auch der Empfehlungen der KMK betreiben, recht unterschiedlich. Nordrhein-Westfalen ist sehr weit gekommen und hat eine ganze Anzahl von Erfolgen zu verzeichnen (eine Schulstelle als Pilotprojekt von Land und NRO gemeinsam, ein sogenanntes Promotorenmodell, eine eigene Zeitung „Forum Eine Welt“, einen Nord-Süd-Beauftragten, der in der Staatskanzlei angesiedelt ist, seit langem bereits mit Schleswig-Holstein zusammen Herausgeber sogenannter Runderlasse zu „Dritte Welt im Unterricht“). Auch Hessen ist ein Stück weitergekommen und auch in den meisten Neuen Bundesländern ereignet sich eine ganze Menge. Traditionell sind die sogenannten A-Länder stets weiter gewesen als die B-Länder. Hier muss es aber bei diesen wenigen Andeutungen bleiben, denn nur eine genaue Analyse wird den Anstrengungen (oder Bremsvorgängen) gerecht, die in den verschiedenen Bundesländern stattfinden. Die Zeitschrift epd hat eine Umfrage bei den Bundesländern gestartet zur Frage der Umsetzung der KMK-Richtlinien. Die Ergebnisse sind im Spätsommer veröffentlicht worden.26 9. Umsetzungsmöglichkeiten Nochmal klar und deutlich: In allen Lehrplänen aller Bundesländer gibt es (wenn auch unterschiedlich) eine Fülle von Anknüpfungspunkten für das Globale Lernen. Und die KMK-Empfehlung legitimiert in hinreichender Weise die Arbeit mit ihnen, ja sie regt sie im Grunde an und ermutigt ihre Umsetzung innerhalb der jeweiligen Rahmenrichtlinien und strukturellen Voraussetzungen. Und noch deutlicher! Diese mutige Umsetzung, getragen durch möglichst viele Kollegien, brächte unter dem Strich mehr, als eine KMK-Empfehlung, in der einige Bundesländer über ihren Schatten springen, nur um die Kritiker zufriedenzustellen. Die Hauptenergie der Kollegien im Moment muss der Umsetzung gelten und nicht dem Verriss oder dem Ziel eines verbesserten Ansatzes. Scheue sich niemand, die KMK-Empfehlung selbst zum Gegenstand der Analyse in der Jahrgangsstufe 13 zu machen! Das ist mit Sicherheit ein ergiebiges Thema. Und damit sind wir beim letzten Teil dieses Plädoyers für das Globale Lernen angelangt. Ich möchte aneinandergereiht eine Anzahl von Vorschlägen machen, wie sich Globales Lernen gestalten könnte, quer durch alle Fachdisziplinen, fächerübergreifend und durch alle Klassenstufen hindurch. Sei noch vorausgeschickt, dass die Länge dieser Liste eher in Kilometern zu messen wäre, würde man alle Themen und Fragen abhandeln wollen. Ich sprach bereits vom Kontingenzproblem, das man dabei hat... Einige praktische Vorschläge:27 Erzählungen, die ganz persönlich ein Fluchtschicksal wiedergeben, ermöglichen eine intensive Arbeit mit den Hintergründen und weltweiten Verstrickungen von Ursachen, von politischen, wirtschaftlichen, weltwirtschaftlichen, ethnisch oder religiös bedingten, von Umweltursachen, der Frage nach Flucht in der Geschichte, dem weiteren Schicksal, dem Umgang mit Flüchtlingen in den Gastländern, der Verarbeitung des Schicksals durch die Betroffenen selbst. Eine Tabelle mit den Zahlen der Ausländer in Deutschland lässt sich von der Seite der Mathematik vielfach bearbeiten, prozentuale Anteile der verschiedenen Nationen gemessen an der Gesamtbevölkerung geben überraschenden Aufschluss, lassen einen Vergleich mit afrikanischen Ländern zu, in denen der Anteil von Fremden oft viel größer ist (der Süden ohnehin die Hauptlast trägt). Es lässt sich nach Hintergründen fragen, ebenfalls nach der Art unseres Umgangs mit den Fremden, es beleuchtet die Asylpolitik. Die Suche nach weiteren Darstellungen von Zahlenverhältnissen aus den Medien bringt Erstaunliches zutage, weil sich die Art der Präsentation als eine mit vielschichtiger Interpretationsmöglichkeit entpuppt, zumeist irgendetwas suggerieren soll, mit oder ohne Absicht. Sammeln von Karikaturen, Bildwitzen und dergleichen zum Thema Nord-Süd sind eine Goldgrube für den Versuch, mit Schülern unsere Gesinnung und Einstellung gegenüber dem Fremden zu analysieren, beispielsweise Karikaturen zur Aussage: „Das Boot ist voll“ {wie sie auch zu finden sind im Heft Migration 1/94 der Landeszentrale für politische Bildung). Der Einsatz von Kurzfilmen (z.B. „Der Schwarzfahrer“) motivieren außerordentlich zur Weiterarbeit mit Fragen zur Wahrnehmung des Fremden, Umgang usw. Ein riesiges Projekt lässt sich aus dem Boden zaubern, wenn man das Rezeptbuch eines schönen deutschen Gerichtes aufschlägt und die Herkunft der Zutaten verfolgt. Geschichtliche und weltmarktpolitische Zusammenhänge, genauso Kolonialzeitgeschichte, all das eröffnet ein Meer von Erkenntnissen und Aktivitäten. Und wenn sich daran noch die Frage nach unserer (gesunden) Ernährung, dem Fleischkonsum, den EU-Billigexporten, dem Einsatz von Produktionsmitteln bis hin zu Insektiziden anschließt, dann ist vom Eintagesprojekt bis zur Projektwoche alles möglich. ‚Vielleicht eine Idee zur Welthungerwoche? Die Frage „Was ist Fortschritt“ beginnt bei der Erfindung des Rades, der Dampfmaschine, der Eisenbahn, des Autos, Flugzeugs, dem Staudamm, dem Computer, der Atomkraft und der Gentechnologie und endet in phantastischen Arbeits- und Diskussionsphasen, bei denen „inklusives und antizipatorisches Denken“ geübt wird sowie der Umgang mit Ambivalenzen. Die Suche nach Entwicklung in allen Ländern und Kulturen zeigt, welche Überraschungen Afrika oder Indien bereithalten. Es fühlt unserem Überlegenheitsgehabe auf den Zahn und ist potentiell ein Eisbrecher gegen den Eurozentrismus und Ethnozentrismus. Die Aluminiumdose, mitgebracht und auf den Tisch gestellt, fordert auf, über ihre Herkunft nachzuforschen. Vielleicht kommt man in Brasilien bei „Alumar“ an und bekommt heraus, unter was für umweltzerstörenden Bedingungen und unter welchem Energieaufwand Aluminium hergestellt wird. Von hier ist es nicht weit bis zur Diskussion über Rohstoffe allgemein, wer sie hat, wer sie veredelt, wer wie von ihnen abhängig ist. Auch zur Frage nach Müll, Verpackung und Recycling ist es nur ein Katzensprung. Die Antinomie von Nutzen einer blühenden Wirtschaft und den Belastungen der Umwelt eben dadurch eröffnet den Denkweg zu Schlagwörtern wie Entschleunigung und Nachhaltigkeit. Ein zunächst biologisches Thema ist es, wenn man dem Weg von Insektiziden im Gewebe von Tieren nachspürt. Was sich zunächst wie eine normale Nahrungskettengeschichte anhört, entpuppt sich schnell als Beispiel für die hochkomplexe Vernetztheit aller Ökosysteme und macht klar, dass an der Lösung solcher Probleme nur eine Völkergemeinschaft arbeiten kann, die etwas von Kohärenz, vernetztem Denken, Ambivalenz, Antizipation, Solidarität und dergleichen mehr versteht. Bevölkerungsexplosion und Autoexplosion miteinander ins Gespräch zu bringen, ist höchstbrisant. Material zu solchen und ähnlichen Themen findet man in den Unterrichtshilfen des „Dritte Welt Hauses Bielefeld“. Die Tagesschau berechnen: Mit der Stoppuhr werden die Länge der Beiträge gemessen, festgehalten, was vorgelesen wird, was als Film gezeigt wird. Die kürzeste und längste Meldung wird ebenso notiert wie die Art der Beiträge (Sport, Kultur, Politik). Wieviel über das Ausland war dabei? Was für eine Nachricht war es? Wie werden die Menschen dabei bezeichnet (Rebellen z.B.), welches ist die Botschaft der Geschichte? Welche Klischees erkennen wir? Solche und ähnliche Unterlagen finden wir in großer Zahl in „ Global denken - lokal handeln“ Horlemann Verlag 1997, Bd I. Straßenkinder aller Art und aller Herren Länder - ein aktueller Komplex. Von den Straßenkindern in Deutschland kann er handeln. Und natürlich von den Straßenkindern in Indien und Südamerika, Kenya und Moskau. Elternlos und verwahrlost, kriminell und voller Träume, ohne Hoffnung und Job, der Gewalt ausgesetzt, manchmal noch so zarte Kindlein. Warum sind sie hier? Was sind die Hintergründe? Gibt es gemeinsame Hintergründe? Die ersten Opfer der Globalisierung oder einfach nur die Früchte der Bevölkerungsexplosion, für die nun nichts mehr übrigbleibt? Frauen in den verschiedenen Kulturen und Schichten. Hier erreichen wir die Schnittstellen der bedeutendsten Themen (im Grunde auch epochaltypisch) wie Entwicklung, Demokratie, Rolle, Umwelt, Gleichberechtigung und Chancengleichheit, Verwirklichung, Menschenrechte, Krieg, Folter, Bildung... Ein Megathema, wenn man es anzupacken weiß. Quellenhinweise: 1. Aus: Diakonischcs Werte in Hamburg und Schleswig-Holstein u.a. (Hg.): medieninformation entwicklungspolitik. Bausteine für die Bildungsarbeit. Fremd ist der Fremde nur in der Fremde. 8/92, Nr. 20, S. 2 2. Freire, R, 1973: Pädagogik der Unterdrückten, Reinbek 3. Holtstiege, H., 1994: Montessori-Pädagogik und Soziale Humanität, Herder, Frankfurt/M 4. Winkel, R., 1986: Antinomische Pädagogik und kommunikative Didaktik: Studien zu Widersprochen und Spannungen in Erziehung und Schule, Düsseldorf 5. aus: Mergner, G., 1995: Zur Aktualität des Erziehungswissenschaftlcrs Erncst Jouhy für die Bildungsforschung mit den Ländern des Südens, Frankfurt 6. UNESCO-Institut für Pädagogik / Wolfgang Hug (Hg.): Die Entwicklungsländer im Schulunterricht, Hamburg 1962 7. Seitz, K., 1998: Politische Bildung in der Einen Welt, Die Empfehlung der Kultusminister „Eine Welt/Dritte Welt“, in: Die Deutsche Schule, 90. Jg. 1998, H. 3 8. Foerster, F. W.: Grundsätzliches zur Verwertung fremder Bildungselemente und ausländischer Institutionen. In: Pädagogische Rundschau. H. 4/1952, S. 146-151 9. Anderson, Lee, 1979: Schooling and Citizcnship in A Global Agc, Bloomington, Indiana University 10. Fountain, S., 1996: Leben in Einer Welt, Anregungen zum Globalen Lernen, Westermann/ Praxis Pädagogik 11. Seitz, K.: in: Global lernen (Einleitung), H. 3/1996, Brot für die Welt u. Verein für Friedenspädagogik, Stuttgart/ Tübingen 12. Fountain, S.: a.a.O. 13. Bühler, H. u.a.: in: Global denken - lokal handeln. 6 Beispiele für Globales Lernen in fächerverbindendem Unterricht, S. 5-6 14. Fountain, S.: a.a.O. 15. Forum „Schule für Eine Welt“ (Hg.): Globales Lernen, Jona/Schwciz, 1996 16. Klafki, W., 1993: Allgemeinbildung heute - Grundzüge internationaler Erziehung, in: Pädagogisches Forum, H. 2, S. 21-28 17. Bühler, H., 1996: Perspektivenwechsel - unterwegs zu globalem Lernen, IKO-Verlag, Frankfurt 18. WUS (Hg.), 1991: Der Nord-Süd-Konflikt - Bildungsauftrag für die Zukunft, HorlemannVerlag 19. Stiftung Entwicklungszusammenarbeit B.W. (Hg.), 1993: Lernen in der Einen Welt. Dokumentation des Bildungskongresses in Freiburg. Verein für Friedenspädagogik, Tübingen 20. Ständige Konferenz der Kultusminister: „’Eine Welt / Dritte Welt’ in Unterricht und Schule“. Veröffeneichungen der KMK. Bonn 1997 21. März, M., 1994: Eins plus eins macht mehr als zwei. Nord-Süd Schulpartnerschaftcn in Baden-Württemberg. Verein für Friedenspädagogik, Tübingen 22. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport/Brandenburg (Hg.): Dokumentation der Fachtagung zum Unterricht über die „Eine Welt/Dritte Welt“ im Auftrag der KMK vom 29. und 30. Mai 1996 23. Schade, F.K., 1995: KMK-Leitlinienentwurf: Dritte Welt-Pädagogik light? in: epd, H. 21, S. 15, Frankfurt 24. Seitz, K.: a.a.O. 25. Bühler, H/ Datta, A.: Global-total-fatal, ZEP 3/98, Zeitschrift für Internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, IKO-Vcrlag, Frankfurt/M 26. epd, Entwicklungspolitik, Emil-v.-Behring-Str. 3, 60439 Frankfurt/M 27. Bühler, H. u.a. Global denken ... a.a.O.; Fountain, S.: Leben in Einer Welt a.a.O. (beide mit vielen anderen Beispielen)