Theorie aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Eine Theorie ist eine Gebrauchsanweisung zur Welt, die anpassungsfähig ist. Während Begriffe die Welt bestimmen, richten sich Theorien nach ihr. Eine Theorie, die ihren Zweck verfehlt, gilt dadurch als widerlegt. Während Begriffe Maßstäben gleichen, die zeigen, wieviel ein bestimmter Gegenstand von ihnen enthält oder nicht, entsprechen Theorien Futteralen, die nach ihrem Gegenstand gearbeitet sein wollen. Das Wort Theorie (griechisch the: beobachten, betrachten, schauen; theoría: das Anschauen, die wissenschaftliche Betrachtung) bezeichnete ursprünglich die Betrachtung der Wahrheit durch reines Denken, unabhängig von ihrer Realisierung. Vermutlich deshalb wird der Begriff auch unbestimmt als Gegenteil von Praxis benutzt. Definition Eine Theorie entwirft ein Bild (trifft eine Aussage) über den Lauf der Welt und ist insofern immer eine Prognose, die per Experiment zur Rechenschaft gezogen werden kann. Das Ergebnis des Experimentes bestätigt (verifiziert) oder widerlegt (falsifiziert) eine Theorie. Nicht falsifizierbare Aussagen, z.B. eine Tautologie oder Definition, können keine Theorien sein. Eine Theorie muss sinnhaftig sein: das Bild, was sie von der Welt gibt, muss den Vorschriften der Logik und Grammatik entsprechen. Ihre Wahrhaftigkeit kann danach aber nur durch einen Vergleich des Bildes, was sie von der Welt gibt, mit der Wirklichkeit erwiesen werden. Theorien, die etwas über den Lauf der Welt sagen, ohne ein Experiment zu wissen, dass sie gegebenenfalls widerlegt, heißen spekulativ. Beispiele 1. Physik: Die Vorhersagen der klassischen Mechanik und der speziellen Relativitätstheorie unterscheiden sich beispielsweise deutlich, wenn die betrachteten Objekte sich mit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit bewegen. Im Alltag kann man die Unterschiede nicht feststellen, da die klassische Mechanik der Grenzfall der speziellen 1 Relativitätstheorie ist, wenn die Geschwindigkeit wesentlich geringer ist als die Lichtgeschwindigkeit. Daher ist die klassische Mechanik im Alltag die angemessene Theorie. 2. Geometrie: Zu jeweils einer Geraden und einem Punkt, der nicht auf dieser Geraden liegt, gibt es genau eine Parallele durch diesen Punkt. Diese Aussage hat man lange versucht aus den anderen Axiomen der Geometrie zu folgern. Dadurch, dass man zeigen konnte, dass die Geometrie, in der die Parallelenaussage nicht gilt, zu sinnhaften Modellen führen, hatte man bewiesen, dass die Parallelenaussage ein zu den übrigen Geometrieaxiomen unabhängiges Axiom ist (siehe nichteuklidische Geometrie). 3. Mathematik: Der Mathematiker Georg Cantor hatte eine Definition für den Begriff Menge vorgeschlagen. Die daraus resultierende Theorie wurde von Bertrand Russell als widersprüchig nachgewiesen mit der Paradoxie: Die Menge aller Mengen, die sich selbst nicht als Element enthalten. Diese "Menge" ist eine Menge im Sinne Cantors. Aber die Aussage bezogen auf diese Menge: Diese Menge ist Element ihrer selbst stellt eine Paradoxie dar. Trotzdem genügt es in der Schulmathematik mit dieser naiven Mengenlehre zu arbeiten. Die Mathematiker verwenden jetzt in der Regel die Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre. Weitere Beobachtungen zum Theoriebegriff Die methodische Art und Weise, wie Theorien zustandekommen, wie also der Zuwachs an Wissen stattfindet, ist umstritten. In der Fortentwicklung von Theorien wird gelegentlich zwischen Induktion und Deduktion unterschieden: Bei der Theorienbildung durch Induktion geht man davon aus, dass der Wissenschaftler im empirischen Prozess Datenmaterial erarbeitet, in dem schließlich innere Strukturen und Gesetzmäßigkeiten sichtbar werden. Weitere positiv verlaufende Experimente sollen die Theorie bestätigen und sind die Bausteine einer Verifikation (Beweisführung), die letztlich in naturgesetzlicher Sicherheit (Wahrheit) münden soll. Bei der Theorienbildung durch Deduktion geht man davon aus, dass der Wissenschaftler durch kreative Akte sinnvolle Hypothesen erzeugt, deren Übereinstimmung mit dem Datenmaterial er anschließend überprüft. Weitere Experimente müssen mit dem ernsthaften Ziel der Falsifikation (Widerlegung) unternommen werden. Nur in dem Ausmaß wie 2 sich Theorien bewähren (der Falsifikation entziehen), kann relative Sicherheit gewonnen werden. In der Praxis der Wissenschaft mischen sich induktive und deduktive Elemente ohne Probleme, so dass diese Frage mehr eine wissenschaftstheoretische und weltanschauliche Bedeutung besitzt. Bietet die Wissenschaft mit ihren Theorien einen Weg zu absoluter Wahrheit oder zu einer schrittweise stattfindenden Annäherung an die Wahrheit (der man sich jedoch nie ganz gewiss sein kann)? Diese zweite, auf Karl Popper zurückgehende, Position wird derzeit von der Mehrheit der Naturwissenschaftler bevorzugt. In der Soziologie wurde - für die Sozialwissenschaften allgemein das Konzept der Theorie mittlerer Reichweite entwickelt. In der Umgangssprache wird der Begriff meist im Sinne von "nur eine Theorie" verstanden, und bezieht sich dann lediglich auf besonders unsichere Erkenntnisse. Dies hat nicht viel mit der wissenschaftlichen Definition von "Theorie" zu tun, und führt leider häufig zu Missverständnissen: Beispielsweise bedeutet der Begriff "Relativitätstheorie" nicht, wie oftmals (von nicht-Wissenschaftlern) fälschlich angenommen, dass diese im Sinne von "nur eine Theorie" besonders unsicher sei. Selbstverständlich ist sie falsifizierbar, aber das Teilwort "-theorie" besagt nichts über die (Un-)Sicherheit der in ihr enthaltenen Aussagen. Alltagstheorien Auch wenn Menschen sich nicht immer dessen bewusst sind: sie handeln im Alltag nach Theorien, die sie sich im Laufe ihres Lebens aufgebaut haben. Im Kleinkindalter werden beim Spielen z.B. unbewusst physikalische Experimente gemacht, die ein schlussfolgerndes physikalisches Denken begründen. Weitere praktische Erfahrungen auch im sozialen und kulturellen Bereich schaffen den Raum für Erkenntnisse, die den Aufbau von persönlichen Alltagstheorien schaffen. Der Grad der Kohärenz ihrer Theorie richtet sich nach dem Stand ihrer Reflexion. So ist davon auszugehen, dass Kenntnisse in Psychologie und Soziologie eine größere Kohärenz beispielsweise bei Erziehungsmaßnahmen oder generell beim Umgang mit anderen Menschen sichern. Alltagstheorien sind in allen Lebensbereichen wirksam und beeinflussen das Wahlverhalten, die Haltung gegenüber Ausländern und gegenüber Minderheiten, die Freizeitgestaltung und die Art und Weise, wie man Werte in der Öffentlichkeit vertritt. Verdeckte Alltagstheorien bewusst zu machen, ist eine Aufgabe des Bildungssystems. 3 Zitate "Das Leben übersteigt unendlich alle Theorien, die man in Bezug auf das Leben zu bilden vermag." - Boris Pasternak, Über Kunst und Leben "Der liebe Gott war Junggeselle. Man kann daher wohl mit Recht vermuten, dass seine die Ehe betreffenden Gebote mehr theoretischer als praktischer Natur waren." - Peter Ustinov, Was ich von der Liebe weiss "Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis noch größer als in der Theorie." - Unbekannter Autor "Der Wissenschaftler arbeitet, wie alle Organismen, mit der Methode von Versuch und Irrtum. Der Versuch ist eine Problemlösung. Der Irrtum, oder genauer die Irrtumskorrektur, ist in der Evolution des Pflanzen- und Tierreichs gewöhnlich die Ausmerzung des Organismus; in der Wissenschaft die Ausmerzung der Hypothese oder Theorie." - Karl Raimund Popper, "Alles Leben ist Problemlösen, Erkenntnistheorie und Frieden" "Die Theorie bestimmt, was wir beobachten können." - Albert Einstein "Die Theorie träumt, die Praxis belehrt." - Karl Holtei "Eine gute Theorie ist das Praktischste was es gibt." - Gustav Robert Kirchhoff "Eine Theorie ist desto eindrucksvoller, je größer die Einfachheit ihrer Prämissen ist, je verschiedenartigere Dinge sie verknüpft, und je weiter ihr Anwendungsbereich ist." Albert Einstein "Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie." - Kurt Lewin "Grau ist alle Theorie, und graumeliert sind ihre Verkünder." Gerhard Kocher "Immer wenn dir eine Theorie als die einzig mögliche erscheint, nimm das als Zeichen, dass du weder die Theorie noch das zu lösende Problem verstanden hast." - Karl Raimund Popper "Theorie ist, wenn man alles weiss, aber nichts funktioniert. Praxis ist, wenn alles funktioniert, aber niemand weiss warum. Hier ist Theorie und Praxis vereint: nichts funktioniert… und niemand weiss wieso!" - "Albert Einstein" 4 "Unglücklicherweise passen die Fakten nicht zur Theorie." Alexis de Tocqueville "Grau ist alle Theorie." - Goethe, Faust Physikalische Theorie Instinkttheorie Liste der Theorien / Überholte Theorien Wissenschaftstheorie Liste griechischer Suffixe Liste lateinischer Suffixe Thesenpapier, Induktion (Logik), Abduktion, Statistik, Nullhypothese, Rhetorik, Dialektik, Fehler 1. und 2. Art Literatur Stephen Hawking: Die Illustrierte Kurze Geschichte der Zeit. ISBN 3-499-61487-1 Immanuel Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. (1793). Neuerer Abdruck in: Schriften zur Geschichtsphilosphie, Immanuel Kant, Stuttgart 1985 (reclam). Kurt Lewin: Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Bern, Stuttgart: Huber, 1963 Joachim Ritter: Die Lehre vom Ursprung und Sinn der Theorie bei Aristoteles, in: Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NordrheinWestfalen, Geisteswissenschaften 1 (1953), S. 32-54. Helmut Seiffert und Gerard Radnitzky: Handlexikon der Wissenschaftstheorie, Deutscher Taschebuchverlag (DTV) 1992, ISBN 3-423-04586-8 5